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IV. Bei den Eiszeitmenschen

13. Das arktische Southampton

Southampton Island.

Am dritten Tage unserer Fahrt durch die Hudsonbucht sollten wir Southampton Island anlaufen. Diese Insel schließt die Bucht im Norden ab wie ein Pfropfen, der schlecht schließt. Zu beiden Seiten führen breite Wasserstraßen in das Fox-Bassin, von dem es weitergeht in das Labyrinth von Kanälen, Meerengen und Meeresstraßen, Fjorden und Buchten und in das Gewirr der tausend Inseln, die jahrhundertelang die Nordwestliche Durchfahrt unlösbar machten, zumal alle diese Wasserwege den größten Teil des Jahres oder dauernd durch Eis verstopft sind.

Ich stand vorne auf der Back und sah voll äußerster Spannung unserer ersten arktischen Station entgegen. So viele Meere ich auch schon befahren, so viele Länder ich auch durchquert hatte, die Arktis war mir bisher fremd, und ich fühlte mich geladen mit Erwartung und Abenteurerlust, wie seinerzeit als vierzehnjähriger Knabe, als ich allein von Wien über Bremen und Helgoland nach Sylt reiste und zum ersten Male das Meer sah.

Neben mir lehnte der Oxforder Geograph an der Reling, kaum weniger gespannt oder vielmehr noch ganz anders erwartungsvoll. Für ihn war es ja noch unvergleichlich wichtiger, wie Southampton wohl sein möge, sollte er doch ein volles Jahr hier zubringen, um die Insel zu vermessen und kartographisch aufzunehmen.

Es mag uns seltsam erscheinen, daß eine Insel, die so offen und zugänglich in der Hudsonbucht liegt, noch so wenig erforscht ist, daß es nötig ist, dafür einen Gelehrten aus Oxford dorthin zu schicken. Allein trotz seiner leichten Zugänglichkeit ist Southampton Island merkwürdig unbekannt, es liegt außerhalb der Route, die durch die Hudsonstraße in die Hudsonbucht führt und ebenso außerhalb des Gebietes, das auf der Suche nach der Nordwestlichen Durchfahrt von so vielen Polarexpeditionen befahren und aufgenommen wurde. So kommt es, daß der Nordteil der Insel noch völlig unerforscht war, als Rasmussen vor ein paar Jahren auf einem kleinen Eiland nördlich von ihr sein Hauptquartier zur Erkundung der östlichen Arktis aufschlug.

Im Süden der Insel hat allerdings die Hudson's Bay Company einen Posten, aber sie interessiert sich lediglich für Pelze, nicht für Geographie. – »Ich weiß wirklich nicht, was der Oxfordmann auf Southampton will«, sagte der Kapitän mir, »da ist beim besten Willen nichts zu erforschen. Da ist nichts, überhaupt nichts!«

Ich konnte dem Kapitän nicht so unrecht geben, als gegen Mittag Land in Sicht kam. Auf diesem Land gab es tatsächlich nichts, nicht einmal etwas zu vermessen. Es war so flach, daß es sich kaum über dem Meeresspiegel erhob. Wie wir näher kamen, kreiste es uns langsam ein, bis wir in eine Bucht fuhren, die uns von allen Seiten umschloß. Ringsum war nichts als dieses flache, vollständig öde Land. Ich hatte bisher geglaubt, die Tundra um die Hudsonbucht sei das ödeste, was es gibt. Verglichen mit dieser Landschaft aber war die Tundra reizvoll und abwechslungsreich. Auf der Tundra wuchs doch Moos, und ab und zu unterbrachen ein Wassertümpel oder See das einförmige Graugrün der Fläche. Hier war nicht einmal Moos. Hier war nur flacher Fels, Geröll und Sand.

Ich schielte mitleidsvoll zu meinem Nachbar hinüber. »Nun, wie wird Ihnen?«

»Allright«, erwiderte der tapfer, »das sieht gar nicht so schlecht aus.«

Langsam näherten wir uns dem flachen Strand, und langsam begann Coral Harbour sich vom Horizont abzuheben. Korallenhafen, das klingt nach Südsee, Palmenstrand und den roten, blauen und violetten Wundern der seltsamen, winzigen Tiere, die unter dem Meeresspiegel ganze Gebirge aufführen. Die gab es einst auch hier im nordischen Meer, und der Geologe der Expedition zeigte uns später Korallen, die er gefunden hatte. Freilich sahen sie ganz anders aus als die Korallen, die wir von der Südsee her kannten. Es sind gewissermaßen Fossilien, eine ausgestorbene Art, Voreltern der jetzigen Koralle.

So trägt der Ort seinen Namen doch zu recht, wenn er auch gar nicht danach aussieht. Sieben Häuser zählten wir als wir näher kamen, darunter zwei Kirchen, eine katholische und eine anglikanische. Rechts und links flankierten sie die arktische Stadt. Dabei gibt es auf der ganzen Insel nur vier Weiße und achtzig Eskimos!

Zwei Kirchen, zwei Bekenntnisse für achtzig Eingeborene! Drastischer kann die Unsinnigkeit nicht vor Augen geführt werden, die darin liegt, in dem gleichen begrenzten Gebiet mehrere Kirchen im Wettbewerb miteinander Mission treiben zu lassen.

Die beiden katholischen Priester kamen mit dem Leiter des Hudsonbay-Postens an Bord, um den Bischof, der auf dieser Reise seine arktischen Gemeinden inspiziert, abzuholen. Die katholische Kirche hat das »Zwei-Mann-Prinzip«, das in der ganzen Arktis gilt, übernommen, ebenso wie die Hudson's Bay Company und die Polizei. Es stammt von den Eskimos. Diese machen alles zu zweit. Zwei Mann gehen zusammen auf die Jagd, zwei ziehen im Hundeschlitten los. In der Regel leben auch immer zwei Familien zusammen, das heißt in zwei getrennten Zelten und Booten.

Die anglikanische Kirche war nur mit einem eingeborenen Geistlichen besetzt

Die anglikanische Kirche schickte keinen Vertreter an Bord. Sie war nur mit einem eingeborenen Geistlichen besetzt. Wir besuchten ihn später. Wir trafen ihn in seiner Kirche zusammen mit seiner ganzen Familie. Allem Anschein nach wurde das Gotteshaus die Woche über von dem Pfarrer und seiner Familie als Wohnraum benützt.

Es war eine seltsame und gleichzeitig überaus bescheidene Kirche. Das bedeutendste und anscheinend wichtigste Einrichtungsstück war ein mächtiger, eiserner Ofen. Der Altar bestand lediglich aus einem Tisch. Darauf stand als einziger kirchlicher Schmuck ein geradezu winziges Kreuz. Daneben hing an der Wand ein Bild aus dem Neuen Testament, »Jesus, der den Sturm besänftigt«. Das Bild war nicht schlecht gewählt. Für ein Volk, das im wesentlichen auf dem Meer und vom Meer lebt, und das in seinen winzigen Booten jedem Unwetter auf Gnade und Ungnade preisgegeben ist, ist ein Gott entschieden einleuchtend und zusagend, der die Macht hat, Stürme zu besänftigen und die erregten Wogen der See zu glätten.

Dann war da noch ein Grammophon in der Kirche, und das war sicher das wichtigste Ausstattungsstück nach dem Ofen. Ein Grammophon ist für den Eskimo ein sehr beliebtes Erzeugnis der Zivilisation. Es kommt gleich nach der Flinte. Man findet es mitunter selbst bei Eingeborenen, die im übrigen ohne alle Berührung mit der europäischen Kultur leben. Sie meinen, ein Grammophon sei ebensogut, einen vollen Magen zu erfreuen, wie einen leeren zu beschwichtigen.

Der Oxforder hatte inzwischen das Ausladen seines Gepäcks überwacht und sich im Hause der Hudson's Bay Company eingerichtet. Als wir an Bord zurückfuhren, schloß er sich uns an. »In Southampton bin ich schließlich noch lange genug!« meinte er etwas verlegen.


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