Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Churchill.
Es gibt Namen, die eine seltsame Magie bergen, Namen, in denen aller Glanz und alle Romantik längst vergangener Zeiten noch zu leben scheinen. Ein solcher Name ist die »Hudson's Bay Company«. Diese drei Worte erwecken – wenigstens in jedem, der sich nur ein wenig mit der Geschichte des amerikanischen Nordens beschäftigt hat – ein phantastisches Bild von Kühnheit und Abenteuer, ein verwirrendes Kaleidoskop von Mühsal und Gefahr, von unerhörten Dingen und Geschehnissen.
Das seltsame aber ist, daß nicht nur der Name Hudson's Bay Company noch lebt, sondern diese selbst. Wie ein lebendes Fossil ragt dieser letzte Überrest der einst so mächtigen und glanzvollen souveränen Handelsgesellschaft in unsere, so ganz andere und scheinbar so viel genauere und farblosere Zeit hinüber.
Die »Große Kompanie«, wie sie auch heißt, stammt aus der Zeit, als die Weißen gerade entdeckt hatten, daß es außer Europa und dem bißchen Asien und Afrika, das man bisher gekannt hatte, noch eine ganz große, reiche Welt farbiger Menschen gab, die man nach Belieben ausplündern und versklaven konnte, die zum mindesten gute Objekte für skrupellose Handelsgeschäfte waren. Mit einer wahrhaft grandiosen Unbekümmertheit gingen die Könige und Herren Europas daran, diese Welt für sich in Besitz zu nehmen, auszubeuten und an Günstlinge zu verschenken.
Den Anfang hatten Spanien und Portugal gemacht, die unmittelbar nach den Entdeckungsfahrten des Bartholomëus Diaz und Christoph Kolumbus die Erde kurzerhand unter sich teilten. Die andern Mächte standen nicht zurück, sobald sie erst einmal heraushatten, was es da draußen in der neu entdeckten Welt zu verdienen gab, und sobald sich in dem spanisch-portugiesischen Weltbeherrschungssystem nur irgendeine Lücke zeigte, durch die sie eindringen konnten.
Am rührigsten und unbedenklichsten war England. Es war damals nur ein kleines, unbedeutendes Inselreich, selbst Holland war ihm auf dem Weltmeer überlegen. Aber die Briten ersetzten die materielle Überlegenheit und den Vorsprung der andern durch Kühnheit und durch Skrupellosigkeit. Mit wahrhaft königlicher Geste verschenkten Englands Herrscher Inseln, Länder, Kontinente, die ihnen nicht gehörten. Damals wurde die Ostindische Kompanie gegründet, die Rußland-Kompanie, die Plymouth- und Massachusetts-Bai-Kompanie, und jede erhielt ein Gebiet zur Beherrschung und Ausbeutung, das um ein vielfaches größer war als ganz Großbritannien.
So war es auch nichts Besonderes oder Außergewöhnliches, daß Karl II. von England seinem lieben Vetter Ruprecht sowie einer Gruppe von Edelleuten, denen er verpflichtet war, die Hudsonbucht mit allem, was darum herum lag, schenkte. Im Gegenteil, das war weniger aufregend als die Gründung der Ostindischen Kompanie. Das war genau dasselbe, als wenn etwa heute der König von Norwegen den Südpol nebst Umgebung an eine Aktiengesellschaft vergäbe, die sich in Oslo zur Ausbeutung des Südpoles gebildet hätte.
Von der Hudsonbucht wußte man damals gerade so viel wie wir heute vom Südpol wissen. Ein kühner Forscher hatte sie entdeckt und war dabei umgekommen. Die Erzählungen der mit Mühe und Not geretteten und zurückgekehrten Besatzung seines Schiffes waren nicht danach angetan, zu weiteren Fahrten in dieses wilde, entlegene Meer zu verlocken, das von Stürmen, Nebel und treibendem Eis ständig bedroht war und an dessen Küste es nichts, aber auch nicht das geringste zu holen gab.
Wenn ich daran denke, daß selbst heute, wo wir nicht mehr in schwachen Segelschiffen durch das Treibeis der Hudsonstraße fahren, sondern in starken Dampfern, die kanadische Regierung nur durch besonders günstige Bedingungen Getreideschiffe in den neuen Hudsonbuchthafen Churchill locken kann, indem sie ihnen eine ganze Anzahl neugegründeter Radiopeilstationen für die Durchfahrt durch die Hudsonstraße kostenlos zur Verfügung stellt sowie einen Eisbrecher, der sie ebenfalls kostenlos durch das Eis geleitet, so kann ich verstehen, daß man im siebzehnten Jahrhundert nicht so sehr dahinter her war, ausgerechnet diese wenig einladenden arktischen Gewässer zu durchkreuzen. Wenn ich auf die grenzenlose Öde rings um die Bucht blicke, so scheint es mir nur zu begreiflich, wenn Zeitgenossen Karls II. dachten: Na, wenn schon einer den Mut und die Nerven hat, in diese Gegenden zu gehen, so mag er sie behalten.
So wird es auch verständlich, wie dieses erstaunliche Dokument zustande kam, das die »Charter der Hudson's-Bay-Company« heißt und das in dem Verwaltungsgebäude der Gesellschaft in London heute noch sorgfältig aufbewahrt wird. Mit diesem Dokument verschenkte der König von England einen Kontinent, ein Gebiet von der Größe Europas. Auf fünf mächtigen Pergamentblättern wird aufgezählt, was alles für Rechte er der neugegründeten Gesellschaft überträgt, die einen romantischen Namen erhält: »Kompanie der Gentlemen-Abenteurer von England, die in der Hudsonbucht Handel treiben«.
Diesen Gentlemen-Abenteurern wurde durch die königliche Charter, für sie wie ihre Nachkommen, für immer und ewig das alleinige und ausschließliche Recht zuerteilt, Handel zu treiben in allen Meeren, Meeresstraßen, Meerengen und Buchten, allen Flüssen, Bächen, Seen und Sunden, die sich jenseits der Einfahrt in die Hudsonstraße befinden, auf welchen Breitengrad auch immer, zusammen mit allen Ländereien, Gebieten und Territorien, die an diesen Meeren, Meeresstraßen, Flüssen und Seen liegen mögen.
Die Charter vergab nicht nur das Handelsmonopol in praktisch ganz Nordamerika mit Ausnahme der eng umgrenzten besiedelten Gebiete am Sankt Lorenz und der atlantischen Küste, sondern sie überließ der Kompanie auch die gesamten Land-, Berg und Fischereirechte in dem ungeheuren Gebiet, das, nebenbei bemerkt, dem König von England ebensowenig gehörte wie der Südpol heute dem König von Norwegen.
Karl II. konnte also leicht großzügig sein, und es machte ihm augenscheinlich Spaß, es einmal in königlichem Ausmaße zu sein, wo es ihm nichts kostete; denn er übergab seinen lieben »Gentlemen-Abenteurern« gleichzeitig auch alle souveränen Rechte in dem neuen Lande, Verwaltung und Justiz, Heer und Marine. Sie konnten ihre eigenen Truppen aufstellen und sich eigene Kriegsschiffe halten. Sie konnten Krieg und Frieden erklären und alles Land als das ihre betrachten, das sich nicht bereits tatsächlich im Besitz eines christlichen Fürsten befand.
Wenn man die Charter der Hudsonbucht liest, in der der Monarch sich nicht genug tun kann, immer noch weitere Rechte und Vollmachten auf die Gesellschaft zu häufen, so wird man den leisen Verdacht nicht los, daß Karl II. das Ganze für einen Witz hielt, und daß er glaubte, leicht großzügig sein zu können, da es sich um ein Land handelte, in dem sich die Füchse gute Nacht sagen; denn dieser Herrscher, der es sonst durchaus verstand, für seinen persönlichen Vorteil zu sorgen und es von seinen Untertanen zu nehmen, wo er nur konnte, ist gegenüber den Gentlemen-Abenteurern von einer fast rührenden Bescheidenheit. Für den Kontinent, den er verschenkt, verlangt er als Gegenleistung nichts als jährlich zwei Elche und zwei Biber, und auch diese nur für den Fall, daß ein Mitglied der königlichen Familie in das Gebiet der Hudsonbucht kommen sollte.
Die Kompanie hat alle Rechte, die sie aus der königlichen Charter ableiten konnte, voll in Anspruch genommen, solange es die Verhältnisse nur irgend erlaubten, aber die bescheidene Gegenleistung, die sie sich an die königliche Familie zu zahlen verpflichtete, wurde nie bezahlt.
Erst als vor ein paar Jahren der Prinz von Wales auf einer Fahrt zu seiner Ranch in Alberta durch Winnipeg kam, fiel es der Kompanie ein, daß es Zeit sei, den vereinbarten Preis zu zahlen. Man dachte es sich sehr hübsch, den Prinzen auf dem Bahnhof von Winnipeg mit zwei lebenden Elchen und Bibern zu überraschen. Allein die Begleitung des Prinzen, die von dem Plan erfuhr, wehrte erschrocken ab und meinte, daß präparierte Elchköpfe und Felle den hohen Herrn weit mehr erfreuen würden. Aber auch die Zahlung in dieser Form hat den Prinzen augenscheinlich nicht so erfreut, wie man hätte erwarten sollen, und so bleibt es wohl das erste und das letzte Mal, daß die Hudson's Bay Company ihrer Verpflichtung gegenüber dem königlichen Hause nachkam.