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Nach dem Krieg

Auf der Fahrt nach Indien, nach Bombay.

Ich und das Schiff, wir sind Bekannte von früherher. Der große schöne Dampfer hat mich schon vor dem Krieg einmal zur indischen Küste getragen. Damals hieß er »Gablonz«, heute hat er den Namen »Tevere«, nach dem Flusse Tiber.

Während der Seefahrt – es ist meine erste Bombayreise nach dem Weltkrieg – befasse ich mich des öfteren mit der Frage: Wie wird's in Kamatipura ausschauen, im Stadtteil der Freudenmädchen? Vielleicht, wer weiß, existiert jetzt der Buhlbezirk überhaupt nicht mehr!

Ich gestehe, die Sorge um das Wohl und Wehe von Kamatipura ist zwar nicht mein einziger Gedanke, aber unter den Dingen, die mich beschäftigen, befindet sich eben auch Kamatipura.

Doch weshalb beschleicht mich die düstere Befürchtung, der Freudenstadtteil von Bombay könnte den Weg alles Irdischen gegangen sein? Das hat seinen Grund. Und ich will ihn in Kürze mitteilen:

Wie in Bombay, so gab es auch in der hinterindischen Stadt Singapore vor dem Krieg einen sehenswerten Sprengel von Liebesgassen; unter der Bezeichnung »Malaystreet« (so hieß eine der Gassen) erfreute er sich einer internationalen Berühmtheit. Wer ist in Singapore gewesen, ohne die Malaystreet besichtigt zu haben? – Der Herr X. und der Herr Y. – – Nun, dann haben die beiden erwähnten Herren etwas Interessantes versäumt.

Unwiederbringlich versäumt. Denn Malaystreet ist nicht mehr! Als ich zum ersten Mal nach dem Weltkrieg, im Jahre 1920, wieder als Schiffsarzt nach Singapore kam, während einer Japanreise, da machte ich die betrübsame Entdeckung: die Gassen selber sind zwar noch da, sie heißen auch noch so wie früher, aber das Völkchen der Freudenmädchen, das hier vor dem Kriege gehaust, der ganze lachende, zwitschernde, piepsende, lockrufende japanische Mädchengarten, der in Malaystreet geblüht, – er ist verschwunden. Verschwunden.

Ich wandelte durch die stillen Gassen und sann: Ach, wie habt ihr euch verändert, zu euren Ungunsten, um wieviel mehr ehrbar und um wie viel weniger interessant seid ihr mittlerweile geworden. Und ich dachte mit Wehmut der vergangenen Zeiten und Mädchen.

Das war in Singapore. Kein Wunder, daß ich heute, da ich nach Bombay reise, von dem Gedanken geplagt werde: Am End werde ich eine ähnliche Erfahrung in Bombay machen! Möglich, daß auch die Freudengassen von Kamatipura ihre gesamte galante Damen-Bevölkerung verloren haben, seit dem Frühling 1914, seit ich das letzte Mal in Bombay gewesen …

*

Langsam fährt unser Schiff in die Docks von Bombay ein sacht und behutsam, um nicht mit dem Land in unsanfte Berührung zu kommen.

Sei mir gegrüßt, du indischer Boden!

Auf den Quais, an denen der Dampfer vorüberzieht, wandeln braune Inder mit weißen Gewändern, dort drüben strecken Tropenpflanzen ihre Zweige der sengenden Sonne entgegen, Falken kreisen über den Mastspitzen, – mich überkommt mit einem Mal das Gefühl, als träte ich plötzlich durch ein hohes, phantastisch geformtes Tor in eine ganz andere, fremde Welt, die von den Ländern des Westens durch eine großmächtige Kluft geschieden ist.

Alles fremd – und alles so wohlbekannt.

Die Erinnerungsbilder stecken treubewahrt im Gedächtnis, doch sie sind gleichsam in eine Wolken-Emballage eingewickelt, welche aus all den Eindrücken und Erlebnissen der Zwischenzeit gewoben ist.

Wenn man sich dann ein paarmal von neuem in den Straßen der indischen Stadt umschaut, löst sich allgemach jene Wolkendecke und sehr bald ist einem zu Mute, als wäre man zuletzt erst gestern hier gewesen.

*

Der Fahrplan verlangt, daß der Dampfer zwölf Tage in Bombay liegen soll.

Die Besatzung des Dampfers – ich spreche im folgenden vom Durchschnitt der Mannschaft, von den Normal-Schiffsleuten – die Besatzung ist dem Fahrplan nicht gar freundlich gesinnt. – Etwa weil die Frist des Aufenthaltes in Bombay zu kurz ist? – O nein! Mit nichten! – Vielmehr weil die zwölf Tage als ein allzu langer Zeitraum empfunden werden.

Zwölf Tage und Nächte in den drückend schwülen Docks von Bombay! – Sieh dort den Mann, wie er von der Hitze gequält auf dem Schiffsverdeck herumirrt und mit leidendem Gesichtsausdruck ein Plätzchen sucht, wo ein bißchen Brise, ein kühlender Windhauch zu finden wäre. Er träumt von dem gewissen Fichtenbaum, der im Norden auf kahler Höh steht und ausgiebig von Eis und Schnee umgeben ist, und er seufzt: Ich wollt', ich könnte mich jetzt unter jenem Fichtenbaum ein wenig niedersetzen, meinetwegen auf den blanken Schnee, selbst auf die Gefahr hin, mir eine heftige Erkältung der edelsten Teile zu verschaffen!

– Zudem sind die Docks von Bombay noch mit einer anderen fatalen Eigenschaft ausgestattet. Sie beherbergen blutgierige geflügelte Feinde, die des Nachts den ahnungslosen Schläfer überfallen und ihm schlimmen Schaden zufügen; solch eine winzige Mücke ist zum mindesten ebenso bösartig wie der sagenhafte Vampyr; nicht nur daß sie sich trunksüchtig vollsaugt mit dem Blute ihrer schlummernden Opfer, sie impft ihnen überdies einen tückischen Fieberkeim ein.

Wer die Absicht hat, dem Fieber vorzubeugen, schläft im Moskitonetz und verspeist Chinin.

In den Docks von Bombay hat sich schon mancher Seemann ein schlimmes Siechtum geholt.

Zwölfmal vier-undzwanzig Stunden, – eine lange Zeit! Die Schiffsleute zählen die Tage, indes die Lade-Krane unermüdlich die Baumwollballen zu haushohen Massen unten im Schiffsbauch aufstapeln, und es wird als prächtiger Glücksfall angesehen, wenn das Schiff aus irgendeinem Grunde um vierundzwanzig Stunden vor dem Normaltermin von Bombay abdampfen kann, oder gar zwei, drei Tage vorher.

*

Das Wunderland Indien, soweit es durch die Stadt Bombay verkörpert wird, vermag zur Tageszeit dem schlichten Seemann keine nennenswerten Genüsse zu bieten.

Während der Tagesstunden sind die Leute auf dem Schiff beschäftigt, jeder in seinem Fach. An Sonn- und Feiertagen rasten sie an Bord oder besorgen Einkäufe in der Stadt.

Es kommt selten vor, daß einer, lediglich zum Vergnügen und um sich zu belehren, einen beschaulichen Spaziergang unternimmt. Sie können begreiflicherweise eine Fußwanderung in den staubigen, peinvoll heißen Gassen nicht als Vergnügen empfinden. Und der edle Zweck der Belehrung? Der Normal-Schiffsmann ist keineswegs erpicht auf eine Erweiterung des geistigen Horizontes, falls sie mit einem Sonnenstich verknüpft ist, und überhaupt rät ihm sein natürlicher Instinkt, allen Wörtern, die mit »–ologie« endigen, möglichst aus dem Weg zu gehn, z. B. der Ethnologie, Anthropologie und dergleichen.

Erst wenn die Sonne, die sich hier nicht als das freundliche gütige Gestirn fühlbar macht, untergegangen ist, erwacht an Bord in den abendlichen Mußestunden eine Unternehmungslust.

Der richtige Bordhocker – es gibt auch diesen Typus – bleibt freilich unter allen Umständen auf den geliebten Schiffsbrettern, die seine Welt bedeuten. Ein paar andere besuchen irgendwo in der Hafen-Nähe ein Lokal, wo sie in nicht übertriebener Weise dem Verführer Alkohol eine maßvolle Huldigung darbringen, ohne daß das Maß allzu voll wird.

Zwei oder drei Leute der höheren Rangstufen, – Junggesellen, die mit ihrem Monatsgehalt nicht haushälterisch umzugehen brauchen, – nehmen ein Auto und sausen hinaus in die Nachtluft, bloß der Nachtluft zuliebe, etwa nach Malabar-Hill, und auf dem Rückweg erquicken sie sich irgendwo an einem Glas Whisky-Soda oder sonst einer flüssigen Erfrischung.

Eine andere Gruppe von Schiffsleuten – zu ihr gehören Personen aller Kategorien – folgt im Abenddunkel den Eingebungen des Geschlechtstriebes.

Das Ziel dieser minnefreudigen Ausflügler heißt Kamatipura.

Ja, Kamatipura, der Stadtteil der Freude, lebt noch!

Der Krieg hat die Liebesgassen von Bombay weder vernichtet noch in ehrbare Straßen umgewandelt.

Sie sind dieselben geblieben … Doch halt, ehe wir voreilig über das Wohlbefinden des Lustbezirks ein Urteil aussprechen, wollen wir uns mal in den Gassen und Gäßchen ein wenig umschauen und wollen ermitteln, ob sich das Antlitz von Kamatipura irgendwie verwandelt hat.

Da steh ich vor den Buhlkäfigen der Falkland-Road und eine Art Rührung überkommt mich, während sich meine Blicke mit den tiefdunkeln Augen kreuzen, die hinter den Gitterstäben aus bronzefarbenen Mädchengesichtern hervorglühen. –

Erinnerungen an Tage, die versunken sind. –

Damals, vor so und so viel Jahren, als wir hier herumbummelten, sind wir eben um so und so viel Jahre jünger gewesen, und jetzt ist uns zu Mute, als stünde uns jenes Damals neubelebt gegenüber. Wir sind bewegt, weil es wie ein Wiedersehen mit einem Stück Jugendzeit ist.

Auf den ersten Blick könnte ich meinen: es ist alles genau so, wie ich's vor sieben Jahren verlassen habe, und die braunen Mägdelein haben sich in keiner Weise verändert.

Aber da erhebt sich vor allem ein mathematischer Einspruch: Schau doch die Mädchen an! Die dort und die und die kann noch gar nicht zwanzig Jahre alt sein. Und in jenem Käfig sproßt noch beträchtlich frischere Jugend, – braunes Grünzeug. – Just so jung waren sie schon vor sieben Jahren. – Und da ich kaum voraussetzen darf, daß sie einen Wundertrank benützen, der ihnen ewig währende Kindheit verleiht, so muß ich zur weisen Folgerung gelangen, daß es andere Mädchen sind als dazumal; andere gleichalterige Inderinnen.

In diesen Gassen wird also nach Kräften darauf geachtet, daß die indische Buhlerin den Reiz der Jugend nicht vermissen lasse. Ist ihr Frühling vorüber, so verschwindet sie vom Schauplatz. Und im Orient kommt für gar manche Frau gleich nach dem Lenz ein herbstliches Welken.

Eine asiatische Freudengreisin, ein orientalisches Buhlmädchen, das einen heldenhaften Kampf mit der Altersschwäche führt, ist also minder leicht möglich als eine europäische Lustdirne von hohem Antiquariatswert.

Ich will also nun hier in der Falkland-Road meine gewohnte peripatetische Studiermethode befolgen. Spazieren und gaffen. Langsam auf dem linken Trottoir dahinwandelnd geh ich die Käfig-Reihe entlang, bleibe stehen, wo mich irgendein Bild interessiert und nachdem ich zwischen Droschken, Tramway, Automobilen die Straße überquert, wandere ich dann auf dem gegenüber liegenden Trottoir wieder zurück, um auch die jenseitigen Käfige zu besichtigen.

Mit Schüchternheit darf ich bei solcher Gelegenheit nicht behaftet sein. Das wäre verfehlt. Wenngleich der einzige Europäer in dieser Gasse des Eingeborenen-Stadtteils darf ich mich nicht von Skrupeln plagen lassen, was die indischen Leute – Straßenpassanten und Käfigmädchen – was sie wohl von mir denken mögen, wenn ich da vor jedem Gittertürchen Halt mache, wie vor einer Schaubude, und neugierig und unverfroren die exotischen Menschenweibchen anglotze, die in den Kammern eingesperrt sind.

Ich gehe meiner Wege und scher mich mehr um meine als um die öffentliche Meinung.

Die öffentliche Meinung der Falkland-Road, das Straßen-Publikum, revanchiert sich, sie kümmert sich um mich ebenfalls nicht; zum mindesten nicht in wahrnehmbarer Weise.

Nur die weiblichen Häftlinge hinter den Gitterstäben zeigen für mich Interesse.

Und es ist ersichtlich, daß auch sie nicht schüchtern sind. Nein, gewiß nicht!

Und das ist eine Erscheinung, die mir neu und überraschend ist.

Die Szenerie der Käfige hat sich zwar nicht merklich verändert, aber das Benehmen der Mädchen ist anders als es vor dem Kriege gewesen.

Der Unterschied ist nicht kolossal, er hat scheinbar keine große Bedeutung und dennoch steckt in ihm ein Sinn, der des Bemerkens wert ist.

Also inwiefern betragen sich die schwarzbraunen Mägdelein heute in ungewohnter Weise?

Sie sind auffallend freundlicher geworden!

Vertraulich lächeln sie mich an, winken lebhaft mit der Hand, während in ihrem Auge eine Zuversicht aufleuchtet, sie laden mich ohne Zögern ein, ich möge in ihren Käfig kommen, um daselbst mit ihnen die Freuden der Liebe zu genießen, als wäre dieser klägliche Kotter das reizendste Nestchen, worin jedermann sich außerordentlich wohlfühlen müsse.

So haben sie sich vor dem Krieg nicht gebärdet.

Freilich, drüben in der anderen Gasse, der Suklajistreet, im Zentrum des Buhlbezirks, trat auch damals die Inderin dem Europäer sehr ungeniert und dreist-familiär entgegen, aber hier in der Falkland-Road, in der ich heute lustwandle, da konnte der europäische Spaziergänger in der Zeit vor dem Kriege bemerken, daß ihm die Mehrheit der indischen Freudenmädchen mit einer Haltung gegenüberstand, in der sich eine gewisse Scheu und ein zages Abstandsgefühl ausdrückten.

Viele Käfigmädchen machten dazumal überhaupt nicht den Versuch, sich mit Wort und Wink an den europäischen Mann zu wenden; und die, welche sich zu einer Anlockung entschlossen, taten es in einer zögernden Weise, aus der zu ersehen war, daß sie sich keiner großen Hoffnung auf Erfolg hingaben.

Wenn der Europäer in jenen vergangenen Tagen der Vorkriegszeit die Käfigreihe entlang wandelte, da bekam er aus dem Verhalten der Insassinnen den Eindruck: diese Kinder der unteren indischen Volksklassen bringen nicht den Mut auf, den Europäer, den Sahib, den Herrn, in ihre Zelle einzuladen; sie empfinden ihn als ein Wesen, das viel zu hoch über ihnen stehe, als daß sie sich erdreisten dürften, eine Annäherung an solch einen Halb- oder Viertelgott zu wagen.

Und heute, nach dem Krieg? Heute sehen sie's offenbar als eine ganz natürliche Sache an, daß der Sahib, der Europäer, ihrer Freudenstallung einen Besuch macht und sich mit ihnen paart. Ihr Lächeln ist intim-vertraulich geworden. So lächelt man keinen Halbgott an. – Halbgötterdämmerung.

Eine Folge des Weltkrieges.

Die welterschütternden Ereignisse des Krieges haben auch in den Buhlkäfig eine Auswirkung getragen; sie haben die Ehrfurcht vor dem Abendlande erschüttert. Der Glaube dieser indischen Halbwelt an den europäischen Halbgott ist ins Wanken geraten.

Der Empfindungs-Umschwung der Freudenmädchen ist zwar an sich kein welterschütterndes Ereignis, aber er ist ein Merkmal der Stimmung in Indien.

Wenn man heute nach Indien kommt, so wird es einem bald klar: der Native, der Eingeborene blickt nicht mehr mit dem gleichen scheuen Respekt zum Europäer empor wie anno dazumal in der Vorkriegszeit. Der braune Mann beträgt sich gegen den weißen Mann minder hochachtungsvoll. Man braucht gar nicht übermäßig scharf aufzupassen, um das zu bemerken. Die Anzeichen sind deutlich genug und nicht spärlich. Man beobachtet es selber und man wird auch von anderen auf diese Erscheinung aufmerksam gemacht.

Weniger Respekt, – weniger Furcht.

Das indische Freudenmädchen zeigt eine freundlichere Miene, – das bedeutet: die Inder sind den Europäern weniger freundlich gesinnt.

Das indische Freudenmädchen lächelt, – das bedeutet: die Oberhoheit der Europäer ist in Indien einigermaßen ins Wanken geraten.

*

Ich möchte jetzt nicht etliche naheliegende Fragen erörtern, zum Beispiel, ob der Inder nicht auch sein gutes Menschenrecht habe, den Kopf hochzutragen; ob der Europäer gar soviel Ursache hat, die Nase hochzutragen; ob es vorteilhaft für den Westen sei, wenn die nicht-europäischen »Eingeborenen« aller Art den Glauben an die Überlegenheit und Höherwertigkeit des Europäers einbüßen; ob ich selber, für meine eigene Person, nach der Ehre lechze, in dünkelhaftem Sinn mich als »Europäer« zu fühlen; und verschiedentliche andere Fragen.

Es sollte lediglich die Tatsache registriert werden: während die Völker des Westens in trottelhaftem Schlächterwahnsinn einander niedermetzeln und sich einbilden, daß sie hiemit die bewundernswertesten Ruhmestaten vollbringen, erzielen sie mit ihrer Bemühung, daß ihr Ruhm außerhalb des europäischen Irrenhauses schlimmen Schaden leidet. Aus dem »Feld der Ehre«, in das sie die Gefilde Europas verwandelt haben, ersprießen ihnen Früchte, die nicht ganz wie Ehre ausschauen.

Wer jetzt in der Nachkriegszeit sich auf afrikanischem und asiatischem Boden umsieht, der kann unschwer wahrnehmen, daß sich die Stimmung der bräunlichen und schwärzlichen Leute zu Ungunsten des Okzidents verändert hat.

Wenn man ins Antlitz der Schwarzen sieht, sieht man die Zukunft des europäischen Prestiges ziemlich schwarz.

Es gibt nicht nur eine »gelbe Gefahr«, sondern auch eine kaffeebraune, schwärzliche, bronze-ähnliche, – eine vielfarbige, – »farbige«.

Das Abendland ist umgeben von einem Gewimmel farbiger Leute, die alles eher als die Freunde des weißen Mannes sind.

Und die europäischen Narren sind weiterhin gerne bereit, einander gegenseitig umzubringen. Statt endlich einmal Ruh zu geben!

*

Heute morgens erschien in meiner Schiffs-Ambulanz ein junger Kellner mit einer Rißquetschwunde seines geschätzten Schädels.

»Wo haben Sie das erwischt?«

»Gestern abend in Kamatipura. – Ein ›Indiano‹ hat mir einen Schlag auf den Kopf versetzt.«

– – Symptomatisch für die veränderte Stimmung der Eingeborenen. Vor dem Krieg war der »Native« nicht so leicht gewillt, seine Hand wider das Haupt des Europäers zu erheben.

– – Der britisch-indische Zollbeamte, der Nachmittags seinen Tee an Bord zu nehmen pflegt, hat mich gestern ernstlich gewarnt, allein zur Nachtzeit in den Gassen der indischen Eingeborenen-Stadtteile umherzupilgern.

Die Inder – sagte er – sind heutzutage mit Schuß- und Stichwaffen insgeheim versehen und überdies sind sie dem Europäer feindselig gesinnt.

*

In der Suklajistreet.

Die Gasse kommt mir mehr verlottert vor, als in jenen vergangenen Tagen.

Vielleicht ist sie seitdem tatsächlich minder nett geworden; oder vielleicht war sie auch damals schon in einem einigermaßen verluderten Zustand und es kommt mir erst heute deutlich zum Bewußtsein.

Wahrscheinlicher aber ist's, daß sich diese Freudengasse mittlerweile wirklich zu ihrem Nachteil verändert hat. Ich bemerke gewisse Einzelheiten, die vormals nicht zu sehen waren, – soweit ich mich erinnere, – und die nicht als Verschönerung des Gassenbildes bezeichnet werden können; zum Beispiel die Schläfer im Straßenstaub, die indischen Männer armseligster Volksklasse, welche unter freiem Himmel auf der Gasse ihre Nachtruhe zu finden trachten, eingewickelt in ein kümmerliches, vergilbtes Laken.

Ansonsten fällt mir in und nahe der Suklajistreet auf, daß jetzt nach dem Krieg das indische eingeborene Element mehr im Vordergrund ist als ehedem; die Freudenmädchen indischen Stammes sind heute zahlreicher. So sind zum Beispiel etliche Stockwerke und Fenster-Reihen, wo sich vormals lockrufende Japanerinnen zur Schau gestellt, derzeit von indischen Mädchen besetzt. Und ich konstatiere im Vorübergehen, daß auch das mir gar wohlbekannte Häuschen, wo meine japanische Freundin Ajame gewohnt hat, nunmehr eine Kollektion indischer Buhldamen beherbergt.

Doch im großen und ganzen hat sich diese Gasse, die Hauptzeile des Freudenrayons, nicht sehr verändert.

Die Zusammensetzung, das Aussehen, das Gehaben der Dirnen-Gilde ist vom Wandel der Zeiten so ziemlich unberührt geblieben. Ja, ich sehe zu meinem Erstaunen noch »alte Bekannte«, Figuren der Vorkriegszeit.

Dort, die alte Kupplerin aus Kairo, sie sitzt, wie einstmals, auf der Schwelle ihres Häuschens, neben ihren braunhäutigen, grell-rotweiß-geschminkten, halb-europäisch aufgeputzten Mädchen.

Ist es denn wahr, daß sieben Jahre dahingegangen sind, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe? Und daß sich unterdessen soviel, so ungeheuer viel begeben hat?

Oder war's nicht erst gestern, daß ich mit der Alten geschwatzt? – Nein, es war wirklich vor sieben Jahren. – Und sie ist mittlerweile schneeweiß geworden. Ungefähr siebzig Jahre mag sie jetzt alt sein. Ihr stattlich reiches Silberhaar könnte Ehrfurcht erwecken, wenn man sich nicht entsänne: im Handel mit Menschenfleisch ist sie alt und weiß geworden.

Und dick. – An Dicke, an Körperumfang hat die rüstige bejahrte Dame gehörig zugenommen. Mir kommt der Gedanke: eigentlich hat sie all die Jahre von ihren Mädchen gelebt, von dem Fleisch, das diese Abend für Abend zu Markte brachten. So hat sie sich gemästet.

Wie in verflossenen Tagen ruft sie mich an, – ich möge eintreten, ein Mädchen nehmen, – und ich bleibe vor ihrem Häuschen stehen. Sie erkennt mich nicht mehr. Und ich mache keinerlei Versuch, mich ihr in Erinnerung zu bringen. Im übrigen merk ich, die Alte ist die Alte geblieben; ihr Haupt- und Lebensinteresse konzentriert sich in den zwei Worten: Come in! Take a girl!

Komme herein! Nimm dir ein Mädchen!

Ein sonderbares Gefühl überfällt mich unversehens; – wie wenn jemand nach einer Abwesenheit von hundert, von tausend Jahren wieder die Erde beträte und alsdann wahrnähme, daß alles im wesentlichen genau so weitergeht wie früher. Es wird gebuhlt, gekuppelt, man betört einander mit angeschminktem Trug, das giert nach Silberlingen, lechzt nach Lust, neue und neue und aberneue Mädchengenerationen kommen herauf und bieten ihren Schoß dar und werden von aberneuen verdrängt, und eine endlose Menge von Männern brandet heran, erhitzte Gesichter, tatsüchtige leuchtende Augen, sie verschwenden ihre Manneskraft und verschwinden im Nebel und andere drängen nach und wieder andere – – –

So war es und so wird es sein, und so hat es sich auch in diesen indischen Liebesgassen während der letztvergangenen Jahre zugetragen.

Wie sehr auch drüben im Westen der Kriegssturm getobt, – die hier, in den Liebesgassen von Bombay, saßen allabends vor ihren Häuschen oder an den Fenstern und winkten und geleiteten die Männer hinein aufs Buhl-Lager und setzten sich dann wieder hin, um zu winken, zu locken, jahraus, jahrein.

Derweilen rings auf dem Erdenrund die mannigfachsten Geräusche, Töne, Rufe die Luft durchbrausten, ließen die Bewohnerinnen der Freuden-Insel Kamatipura immerdar nur einen einzigen Ruf erklingen, – ihr Schicksalswort »Komm hieher! Komm herein!«

Aber auch dies muß gerechterweise gesagt werden: alle Zeit, während die ehrbaren Menschen der Außenwelt eifrig mit mörderischem Haß beschäftigt waren, haben diese minder anständigen Mädchen sich angelegentlich mit der Ausübung der Liebe befaßt.

*

Ich halte Umschau in dieser Prostitutions-Landschaft und muß mir sagen: Die Nachkriegszeit hat die indischen Liebesgassen vergleichsweise harmlos gemacht. Wir leben heute in einer reichhaltigen Epoche: auf den öffentlichen Bühnen treten einzeln oder herdenweise Frauen auf, die bloß mit dem Vorwand einer Tanzproduktion bekleidet und ansonsten splitternackt sind und vor einer Armee gieriger Augäpfel, Publikum genannt, sich zur Schau stellen. In den elegantesten Großstadtgassen treiben sich sonder Hehl die männlichen Dirnen herum; in verschwiegenen Salons, welche die Ehre haben, die Creme und Sub-Creme der Gesellschaft zu empfangen, werden allerhand abenteuerliche Handlungen der Sexualphantasie zelebriert. Und dergleichen etliches mehr. – Als Zeitgenosse einer so vielseitigen Menschheit hab ich nun begreiflicherweise Momente, wo mir diese indische Buhlwelt geradezu solid-rechtschaffen und spießbürgerlich vorkommt.

*

Etwas Neues! Ich bemerke in den Liebesgassen ein Völkchen, das vor dem Krieg hier noch nicht existiert hat.

Das Völkchen gehört allerdings einem großen Volk an. – Chinesen. – Chinesische Ansiedler!

Sie haben in der Suklajistreet und in ihren Zweiggassen kleine Läden gemietet und betätigen sich daselbst als Kaufleute und Gewerbetreibende.

In einem Seitengäßchen hat ein Chinese eine Haarschneide-Stube etabliert, einen Rasier- und Frisiersalon, um mich der vornehmeren Ausdrucksweise der westländischen Haarkünstler zu bedienen.

Ich werfe im Vorbeigehen einen Blick hinein und bemerke, daß der Meister der Verschönerungsbude nicht nur die Haar- und Barttracht seiner Klienten betreut, sondern daß er ihnen auch noch die Ohren reinigt.

Er stochert gerade im Gehörgang eines chinesischen Kunden herum; das Putzinstrument ist eine Metallsonde, deren Endstück mit einem Wattebäuschchen umwickelt ist. – Eine Hantierung, die man im Orient recht oft wahrnehmen kann.

Verschönert und mit geschärftem Gehör verlassen die Gäste diesen Salon.

Während meiner ersten Bombayreise nach dem Krieg hatte ich den Eindruck, daß in dieser Gegend der Liebesgassen auch chinesische Spielhöllen untergebracht seien. Im Lichtschimmer, der durch die Türspalte einiger Parterrestuben auf die Gasse herausdrang, waren die Gestalten chinesischer Männer zu sehen, die wie Spielergruppen ausschauten. Stimmengewirr und das Silberklirren von Rupienstücken.

Diesmal, während meines derzeitigen Aufenthaltes in Bombay, ist es nicht deutlich erkennbar, ob Spielhöllen vorhanden sind. (Man spricht von Spiel-»Höllen«, weil sich der Spieler darin wie im Himmel fühlt.) Wohl gibt's in diesen Stuben der halbdunkeln Seitengäßchen noch immer ein »verdächtiges« Treiben, – ein mysteriöser »Parteienverkehr«, dann schreibende Chinesen, die irgendwelche Meldungen chinesischer Männer buchen, – aber heute ist von verräterischen Silberlingen nichts zu hören und zu sehen.

Der Spaziergänger im Gäßchen kann sich immerhin nicht der Vermutung erwehren: Winkelbureaus; fragwürdige Operationen ohne offensichtliche Geldzirkulation, mittels deren man etwas gewinnen kann – oder verlieren.

In der Suklajistreet sind einige chinesische Geschäftsläden, die sich den Verschleiß von Lebensmitteln und anderen Dingen zur Aufgabe gemacht haben.

Ich zieh mein Notizbüchlein aus der Tasche, such mir in der Gasse einen Standort, wo ich nicht allzu auffällig bin und trage den Wortlaut einiger Aushängeschilder ein.

Eine Kompagniefirma verlautbart, daß sie chinesische Waren und Vorräte verkauft: »Ah Foong & Co Chinese stores and provisions merchants.« Eine andere Tafel: »Poh wo Loong Chinese Stores.« Für erfrischungsbedürftige Mitmenschen ist ein »Kwong Ho Restaurant« vorhanden. Ich notier mir noch ihres chinesischen Wohllautes halber die Namen »Kwong Sang Woo« und »Chee Chan Kee«.

Hierauf mach ich eine Entdeckung, die mich ein bißchen melancholisch stimmt. Ach, auch das »Verandahäuschen«, wo ich vor Jahren meine japanische Freundin Ajame kennen gelernt und – biblisch gesprochen – »erkannt« habe, auch dieses Häuschen ist von der Chinesierung erfaßt worden; in der Stube, darin ich einst geliebt, ist derzeit die Gemischtwarenhandlung eines Chinamanns. Wo damals lächelnde, lockende Japanerinnen ihre Zärtlichkeiten feilgeboten, wird jetzt Reis und sonstiger Eßvorrat verkauft. Hunger und Liebe. Vordem wurde diese hier gestillt, jetzt jener. Die Minnestätten verdrängt von Lebensmittelgeschäften. – Aber auch die Japanerin, die dem Liebesdurst und Liebeshunger des Wanderers heilsam Befriedigung beut, ist ein »Lebensmittel«.

Wo mag sie jetzt sein, meine japanische Freundin Ajame? Ich habe nach ihr Umschau gehalten, hab sie aber nirgend bemerkt.

Gestorben, verdorben? Oder übt sie noch weiterhin irgendwo hier im Buhlbezirk ihren – Beruf aus? Und hat sie dies seit damals immerzu getan, Jahr um Jahr, Nacht um Nacht? Oder hat sie mittlerweile die Absicht ausgeführt, von der sie des öfteren gesprochen: Heimkehr nach Japan, Rückkehr zu einem anderen Lebenswandel?

– Ich muß doch wieder mal bei Gelegenheit ein bißchen nachforschen, was aus ihr geworden ist.

*

Die kleine Chinesenkolonie, die ich hier sehe, interessiert mich, weil sie vielleicht nicht ohne Folgen bleiben wird; (das Prophezeien ist allerdings eine heikle Sache). Möglich, daß das Häuflein Chinesen, das sich da in Bombay festgesetzt hat, der Beginn einer größeren chinesischen Infiltration ist. Die Herren Tschi Tschan Ki und Kwong Sang Wu sind vielleicht Personen von geschichtlicher Bedeutung, Pioniere, die an der Westküste Indiens eine reichliche Chinesen-Einwanderung angebahnt haben.

Und wenn sie sichs mal in Bombay ordentlich bequem gemacht, dann werden sie, wie vermutet (wenn auch nicht prophezeit) werden darf, ihre Sendboten und Kolonien weiter und weiter westwärts vorschieben. Über's Meer.

Die klugen Chinesen! Als Ort ihrer ersten Niederlassung haben sie den Stadtteil der Freudenmädchen erkoren. Das ist ein locus minoris resistentiae. Sie haben damit gerechnet, daß in dem Dirnensprengel ihre Ansiedlung auf weniger Widerstand stoßen werde als in anderen Bezirken.

Denn dieser Freuden-Rayon ist ein internationales Quartier. Die Damen und die sonstigen Menschenkinder, die daselbst von und neben der Liebe leben, sind aus verschiedentlichen Weltgegenden hiehergekommen, desgleichen die Besucher, die Männer, die der Geschlechtstrieb in die Liebesgassen führt. Gar viele Mädchen und Gäste sind »Zugereiste«. Der Liebesverkehr in Kamatipura ist zu nicht geringem Teil ein Fremdenverkehr. Die Chinesen durften hoffen, daß sie gerade in den Ausländer-Bezirk am leichtesten eindringen würden.

Nicht nur international, auch »verpönt« und bemakelt sind diese Gassen. Ein zweiter Vorzug und Vorteil vom Standpunkt der Chinesen aus. Wo die »Schande« zu Hause ist, pflegt man nicht sehr zimperlich und wählerisch zu sein. Da kann man eher Nachbar werden als in exklusiveren Regionen.

Übrigens ist die Wahl des Ortes auch in kaufmännischer Hinsicht recht glücklich. Es ist ein »belebter Posten«.

Der feine Instinkt der Chinesen für geschicktes Sich-Einsiedeln hat sie auch in Bombay richtig beraten. Die kleine Kolonie schaut ganz lebenskräftig und verheißungsvoll aus.

– Mir kommt in den Sinn, was ich mit Verwunderung und Bewunderung in Singaporegesehen; dort hat sich auf fremdem Boden ein Schwarm Chinesen niedergelassen, ein grandioses, rühriges, ameisenhaftes Gewimmel, so daß Singapore derzeit geradezu eine Chinesenstadt ist.

Die Fähigkeit, einzudringen und sich tüchtig auszudehnen, – Penetration und Expansion, – ist ein Zug der Chinesen.

Und er hat einen Zug gegen die Länder des Westens.

Achtung auf den Zug!

*

Schwüle Tropen-Nacht.

Zwischen den Häusern, Häuschen, Baracken der Prostitution promeniere ich durch die geräuschvolle Suklajistreet.

In der Gegend der Käfige sitzt auf der Schwelle eines netten Parterre-Zimmerchens eine Japanerin, deren Gesicht uns verrät, daß sie nicht hübsch und nicht unhübsch, nicht dreißig und nicht vierzig Jahre alt ist, sondern zwischen diesen Grenzen auf einem Mittelwege weilt. Mit anderen, präziseren Worten: sie ist so so.

Im Zimmerchen drinnen sitzt auf einem Stuhl eine andere Japanerin, die um mehrere Grade hübscher, jünger und feiertäglicher gekleidet ist.

Diese jüngere auf dem Sessel ist das Freudenmädchen, die Arbeiterin, während die ältere die Kupplerin ist.

Die einfache, anspruchslose Kleidung der Zimmerfrau bedeutet: ich will die Blicke und Wünsche der Männer nicht auf mich lenken, ich bin hier bloß Nebenfigur, nur vermittelnde Anstandsdame.

Die feiertäglichen Kleider der jüngeren besagen, daß das Mädchen jetzt durchaus nicht Feierabend machen, sondern tätig und arbeitsam sein möchte; falls ein Freiersmann käme.

Nachdem ich beide Japanerinnen höflich begrüßt und von ihnen freundlichen Gegengruß empfangen, knüpfe ich mit der Frau, die auf der Schwelle des offenen Zimmerchens sitzt, ein Gespräch an.

Um keine falschen – geschäftlichen – Hoffnungen zu erwecken, sage ich ihr vorweg, daß ich nur mit ihr ein wenig zu plaudern wünsche und daß ich nicht die Absicht habe, von ihrem Mädchen Gebrauch zu machen.

Mit japanischer Artigkeit drückt sie ihre Bereitwilligkeit aus.

Ich will mal sehen, ob ich irgend eine Kunde über meine japanische Freundin Ajame erlangen kann. Vielleicht werde ich jetzt eine Auskunft bekommen. Die Frauen und Mädchen der japanischen Kamatipura-Kolonie, die hier seit Jahren ansässig sind, kennen ja einander, sind über das Schicksal der einzelnen Japanerinnen hinlänglich unterrichtet.

Zunächst frage ich, wie es den anwesenden zwei Damen geht, und höre, daß nach dem Krieg das business, der Geschäftsgang, recht flau ist. Vor dem Krieg sei das Freudengewerbe in diesen Gassen blühender und einträglicher gewesen. Die Mädchen hatten mehr zu tun, mehr Gäste, mehr Männer.

– Und was ist die Ursache? frage ich.

= Sie weiß nicht, warum.

– Nun wünsche ich zu erfahren, ob heute ebenso viele Japanerinnen in Kamatipura sind wie vormals.

= Es gibt ihrer noch genug hier, aber immerhin sind während der letzten Jahre etliche Mädchen heimgekehrt, nach Japan.

– »Kennen Sie die Ajame-san?« Ich zeig« auf das Haus hin, in dem ich so oft die Ajame besucht habe, und nenne die Hausnummer. (Heute ist es von Inderinnen und Halb-Inderinnen in Beschlag genommen.)

= Ja, ja, sie hat die Ajame gekannt. Wo diese jetzt ist? In Japan! In ihrer Heimat. Sie ist unter denen, die Bombay verlassen haben.

Ich verabschiede mich von den zwei Japanerinnen, von der Zimmerfrau und ihrem Arbeitsmädchen, nachdem ich für die freundliche Information gedankt. Und gehe weiter.

– Ajame nicht mehr in Kamatipura. – Heimgekehrt. – – Ich fühle etwas wie eine Erleichterung. Es ist mir nicht klar, weshalb. Weil eine Gefahr, die mit neuen – alten – Versuchungen und Verführungen drohte, endgiltig beseitigt ist? – Aber ich sage mir: es war keine Gefahr … Richtig ist, daß mir's ein betrübsamer, bedrückender Gedanke wäre, wenn ich sie noch in diesem Freudenbezirke und in der Rolle der Berufsbuhlerin wüßte.

Ich meine, daß sie in ihrer Heimat mit dem ersparten Gelde ein anderes Leben angefangen hat; vielleicht hat sie sogar – wie dergleichen dort gar nicht selten vorkommt – sich mit einem biederen einfachen Mann verheiratet, der nicht neugierig ist, soweit Vorvergangenheit, Vergangenheit und Mitvergangenheit in Frage kommen. – Mit einem, welcher des Glaubens ist: hat sie sich vergangen, so ist, was vergangen ist, vergangen.

– – Nicht mehr in Bombay. – Im fernen Japan. – Auch das vorbei. – Vorbei. – Recht so. – – Strich darunter.

*

Wenn man auch Jahre lang, Nacht für Nacht, in diesem Buhlstadtteil umherstreifen würde, man fände dennoch immerzu eine bemerkenswerte, neue Einzelheit.

Am Ausgang der Suklajistreet wende ich mich nach rechts und gehe durch das Endstück der Foras-Road, – eine Gassenstrecke, die gleichfalls von den mannigfaltigen Schauspielen des Dirnen-Milieus erfüllt ist und flankiert wird von japanischen und indischen Lusthäuschen.

Nach einigen Minuten bin ich bei den letzten Häusern der Foras-Road und alsbald in einer breiten, vergleichsweise stillen Straße.

Ich merke sogleich: die Dirnenwelt liegt hinter mir; da bin ich außerhalb der Buhlregion angelangt. Dies ist eine anständige Gasse.

In der Nähe meines Standortes gibt's zwar noch zwei Kinotheater, die der neuentdeckten Straße – sie heißt Bellasis-Road – angehören, aber die stehen hier, als sollten sie lediglich bewirken, daß der Übergang von der lockeren Lustbarkeit der Liebesgassen zu dieser ernsten Gasse nicht allzu schroff sei.

Und drüben auf der anderen Seite der nächtlichen Bellasis-Road ist ein Gebäude, das meine Aufmerksamkeit hinzieht. Eine Toreinfahrt, eine Laterne, – – ist es ein Haus der Liebe? Ist auch diese Gasse, ihrem soliden Aussehen zum Trotz, eine Freudengasse?

Vom Schein der Straßenbeleuchtung unterstützt lese ich die Inschriften, die an dem rätselhaften Haus angebracht sind und entziffere die Worte.

Jawohl, es ist ein Haus der Liebe, – ich hab mich nicht getäuscht. Allerdings einer anderen Liebe.

»Municipal maternity home. – Infant milk Depot.«

Städtisches Mutterschaftsheim. Milchdepot für Kindlein. –

Weiterhin ist zu lesen, daß hier für Kinder, die von ihrer Mutter nicht gesäugt werden können, gute Milch verabreicht wird. Und daß man unentgeltliche ärztliche Hilfe bekommt.

Als Leiterin der Anstalt ist auf dem Schild eine Dr. Mary Brown namhaft gemacht.

– – – Am Rande des Buhlstadtteils, vor der Straßenmündung, die aus den Dirnengassen in die anderseitige Welt hinausführt, steht ein Gebäude für Kinder- und Mutterschutz.

Die Tafel, worauf der Name der Frau Dr. Brown steht, ist von klimatischen Einwirkungen schon einigermaßen hergenommen, die Ärztin mag also schon manches Jahr hier tätig sein und sie hat mittlerweile der hilfsbedürftigen und leidenden Kreatur sicherlich viel Gutes getan.

Ich stelle mir sie vor als eine Dame mit Silberfäden im Haar und grundgütigen Augen.

– Ich. weiß nicht, ob man das Haus nur von ungefähr oder mit bewußter Absicht gerade auf diesem Platz aufgestellt hat, – sicher ist, daß es daselbst wie eine Art Sühnhaus wirkt; als hätte es die Sehnsucht, manches gutzumachen, was der Lustbezirk dort drüben gebiert.

Der Bezirk, in dem Frauen das Begattungsgeschäft als Geschäft betreiben, – in dem die Paarung ohne den Willen zur Fortpflanzung exekutiert wird, – der Bezirk, darin man das Kind als ein unerwünschtes Nebenprodukt der Liebe ansieht, scheel ansieht, – der Freudenbezirk, in dem die Mutterfreuden als Leid und Mißgeschick empfunden werden, die Wochen der Hoffnung und die Tage des Wochenbettes als betriebstörendes, höchst unfreudiges Ereignis.

Da ist nun ein Haus, wo man den Kindern und Müttern und Kranken liebreich entgegenkommt.

Wenn wir die Liebesgassen verlassen haben, sind wir in einer Gasse der Liebe.


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