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Aus den Geheimnissen eines europäischen Hauses
Ich will jetzt wieder zu jener interessanten Dame, die ich »Madame Z.« nenne, zurückkehren.
Sie ist, wie erwähnt, die Leiterin eines sozusagen besseren europäischen Freudenhauses in Bombay.
Derzeit – wir befinden uns jetzt auf der Seefahrt von Bombay nach Triest – weilt Madame Z. als Schiffspassagierin und Reisegefährtin auf unserem Dampfer.
Ich suche sie an Bord des öfteren auf, um mit ihr zu plaudern, und sie gibt mir in unseren Unterredungen manche Auskunft, die mir ein Beitrag zum Gegenstand »Prostitution im Orient« ist. Man könnte ihr nicht den Vorwurf machen, als wäre sie eine wortkarge, verschlossene Natur; zum mindesten nicht in den Stunden, da ich mich ihrer Gesellschaft erfreue. Und sie ist nicht nur recht mitteilsam, ich habe auch guten Grund anzunehmen, daß sie zudem sehr aufrichtig ist. Madame Z. ist offenbar froh, daß jemand sich ihr widmet und ihr Anlaß zum Wortaustausch gibt.
Es ist zu bedenken, daß gar viele Passagierinnen – und Passagiere – während einer Seereise in bedeutendem Maße sich langweilen. Sie wissen nicht, wie sie die Stunden ausfüllen sollen, und sie sind glücklich, wenn ihnen ein Gespräch die Gelegenheit bietet, die Zeit zu verkürzen, ihren Mitteilungstrieb oder ihre Neugier zu befriedigen. Das Hinwegkommen über achtzehn Seereisetage ist für manche Leute eine nicht wenig schwierige Angelegenheit.
Unvermeidbar ist es, daß wir im Plaudern das Gebiet der Ziffern berühren.
Wenn auch die Meinung weit verbreitet ist, daß die Beschäftigung mit Zahlen und rechnerischen Dingen zu den nüchternen und trockenen Angelegenheiten gehört, so ist man doch bekanntlich hienieden außerstande, den Umgang mit Ziffern gänzlich zu unterlassen.
Die Gegenstände, die wir zu erforschen trachten, haben nicht selten eine mit Zahlenzeichen beschriebene Stelle und wir können an ihr nicht achtlos vorübergehen, selbst wenn wir für Ziffernmaterial keine heißglühende Sympathie empfinden.
Madame Z. berichtet: Die Mädchen, die sich in meinem Hause betätigen, erhalten daselbst Wohnung und Beköstigung. Hiefür müssen sie eine Monatsgebühr entrichten, die zwischen 15 und 25 Pfund Sterling schwankt.
– Wovon hängt es ab, – frage ich, – ob ein Mädchen mehr zahlt oder weniger?
= Wenn sie zwei Zimmer hat, – erläutert Madame Z. – muß sie natürlich mehr Mietzins bezahlen als eine andere, die nur ein Zimmer bewohnt. Unter meinen Mädchen ist zum Beispiel jetzt eine, die ihr Kind bei sich hat. Sie hat zwei Zimmer gemietet. –
Diese Mitteilung der Madame Z. läßt mich wieder ein absonderliches Sittenbild erblicken: – Ein Kind, das in der Atmosphäre eines Freudenhauses aufwächst. – Zwei benachbarte Zimmer; in dem einen weilt das junge Wesen und in dem Nebenraum gibt sich die Mutter den fremden Männern preis. Durch die Tür, durch die Wand dringen an das Ohr des Kindes lockere Reden und Lachen und ein Stöhnen – und der Silberklang der Geldmünzen. Was mag in dem jungen Hirn vorgehen, wenn es die Bedeutung der Vorgänge, darein die Mutter verflochten ist, noch nicht begreift. – Warum das Stöhnen? Geschieht der Mutter ein Leid? Oder dem fremden Mann? Und weshalb lachen sie dann wieder? – Und was mag sich erst in dem Herzen des verstehenden, reiferen Kindes abspielen? Eines Mädchens. Oder eines Knaben. Zudem: so viele Männer, die vorübergehend die Gatten der Mutter sind, – und kein Vater! Und was wird aus einem solchen Geschöpf, das neben der Buhlstube der Mutter seine Jugend verlebt?
– – Ich bringe meine Gedanken in eine andere Richtung und nehme mir die Freiheit, der Madame Z. die Frage zu stellen: Wieviel beträgt das Honorar, das der Gast für seine Liebesgenüsse dem Mädchen zu geben hat?
= Der Durchschnittsgast zahlt 10 Rupien 15 Rupien = 1 englisches Pfund..
Schaut ein Gentleman so aus, als wäre er befähigt und geneigt, sich mehr Geld abknöpfen zu lassen, dann verlangt man von ihm das Doppelte oder Vielfache der Normaltaxe.
– Können die Mädchen Ersparnisse machen? – frage ich Madame Z. – Sind sie imstande, Geld zurückzulegen?
= Nein! In der Regel bleibt ihnen gar nichts. Manches Mädel hat wohl Einnahmen, aus denen man Ersparnisse erzielen könnte, aber alles wird wieder ausgegeben. Nur wenige Mädchen haben eine Sparfähigkeit.
– In welcher Weise verbrauchen sie das Geld?
= Das ist eigentlich schwer festzustellen; sie nehmen ein Automobil zu einer Spazierfahrt, sie lassen sich Kleider machen, sie gehen ins Kino, – – und dann die Ausgaben für Zimmer-Miete und Verpflegung. – Kurz, im allgemeinen bleibt ihnen nichts.
Madame Z. berichtet diese Sache mit einer Miene und einem Ton, worin Überlegenheit und eine gewisse Geringschätzung sich melden; wie eine praktische Seele von den unpraktischen Leuten spricht, denen vom Schicksal eine bedeutungsvolle Gabe versagt worden ist, die Fähigkeit, Geld zu erlangen und brav festzuhalten.
– Sie erwähnen Automobilfahrten der Mädchen, – bemerke ich; – benützen denn Ihre Damen nicht die Equipage des Hauses? Sie sagten mir unlängst, daß Sie einen eigenen Wagen haben.
= Ja, wir haben einen Wagen; aber mehrere Mädchen.
– Wie hoch sind demnach die monatlichen Einnahmen eines Fräuleins?
= Nicht besonders hoch. Die Mädchen sind nicht in der Lage, sehr viel zu verdienen, weil ja in meinem Hause kein starker Gäste-Verkehr ist. Kann sich's doch ereignen, daß das Haus in der einen oder anderen Nacht überhaupt keinen Gast hat. Wir haben ganz gute, aber nicht viel Kundschaft. Übrigens hängen die Einnahmen davon ab, ob das Mädchen mehr oder weniger schön ist.
Ist sie minder hübsch, wird's ihr vielleicht möglich sein, 20 Pfund Englische Pfund Sterling. im Monat zu erwerben; eine Schöne kann 40 Pfund oder noch mehr erreichen.
*
Nachträglich, nach der Unterredung mit Madame Z., kann ich ausrechnen: ein Mädel, das von der Natur mit weniger verführerischen Reizen ausgestattet worden, muß also ungefähr ihren ganzen Monatsverdienst in die Hände der Freudenhausfrau abliefern, als Gegenleistung für Kost und Quartier. Da bleibt dann freilich für die Sparbüchse des Mädels wenig übrig.
Und ferner: diese weiblichen Hilfskräfte, die in der Trink- und Buhlanstalt bedienstet sind, müssen an jedem Tag eine Normaltaxe einkassieren, es muß ihnen ein Durchschnittsgast »pro Tag« beschieden sein, wofern sie die Mittel erlangen sollen, ihrer Hausfrau einen Monatsbetrag von 20 Pfunden für Wohnung und Verpflegung zu geben.
Mit einem täglichen Besucher – mit 10 Rupien – deckt sie just das Tagesgeld, auf das die Hausfrau Anspruch erhebt.
Anderseits erwäge ich: zehn Rupien für Kost und Quartier ist nach derzeitigen indischen Verhältnissen ein Preis, der eher als recht und billig denn als übertrieben bezeichnet werden kann.
Ob dieses »kulanten« Tarifes wollen wir aber der Hausleiterin keine uneingeschränkte Lobeshymne singen; und Madame Z. soll vom Verdacht der Ausbeuterei nicht ohneweiters freigesprochen werden. Dieweil wir ja gehört haben, daß die Mädchen als Animierdamen den Getränkeverkauf in Schwung bringen, daß sie die Besucher zum Trinken anspornen und hiedurch dem Geldbeutel der Anstalts-Inhaberin reichliche Dienste leisten.
Das tun sie unbesoldet, Madame Z. gibt ihnen hiefür kein Salär.
Die Mädchen erlegen für Miete und Verköstigung eine angemessene Entschädigung und außerdem fügen sie als Draufgabe, als Gratis- und Mehrleistung noch ihre allnächtliche Animiertätigkeit hinzu; diese kann von Madame Z. wie ein kostenfreier Gewinn gebucht werden.
Man müßte denn zu Gunsten der ausnützenden Madame Z. eine Deutung heranziehen, durch die allerdings das Bildnis dieser Dame auch nicht verehrungswürdiger gemacht wird; nämlich: als Vergütung, die den Animiermädchen von der Hausfrau geboten wird, ist die Gelegenheit anzusehen, – die Gelegenheit, beim Trinktisch den Mann zu kapern, ihn ins Liebesstübchen hineinzulotsen, allwo er dem Mädchen die fürs Lieben vorgeschriebene Normaltaxe entrichtet.
Oder die Gelegenheit, mehr als einen einzigen Mann beim Trinktisch zu erbeuten und obendrein Männer, welche in freigebiger Laune mehr als die Normalgebühr spenden. Dieses Mehr ist der Gewinn, den die Mädchen ihrerseits aus ihrem Wirken im Hause der Gelegenheit-bietenden Madame Z. erlangen.
Ich will mich aber jetzt nicht gründlicher mit dem hier erörterten Verhältnis von Leistung und Gegenleistung befassen, und auch nicht mit den zugehörigen ökonomischen und innerpolitischen Angelegenheiten dieses feinen Instituts, ich will vielmehr wiederum zu meinen Unterredungen mit ihr selbst, der Instituts-Vorsteherin, zurückkehren.
Von den Mädchen der Madame Z. lenke ich das Gespräch auf andere europäische Freudenmädchen hin, auf die Europäerinnen, die im engeren Kamatipuragebiet, zumal in der Suklajistreet, sich der Liebesprofession widmen.
Die europäischen Buhlerinnen der Suklajistreet abschätzend macht Madame Z. einen Unterschied zwischen Mädchen, die upstairs, oben in den Stockwerken, und den Mädchen, die im Erdgeschoß wohnen.
Sie sagt mir, daß die Freudenmädchen, die oben in ihren Wohnungen bleiben und sich nicht auf die Gasse hinabbemühen, für ihr Nicht-bemühen mit besseren Geldeinnahmen belohnt werden als die in den Parterre-Räumen wohnenden Mädchen, welche die Gepflogenheit haben, sich unten auf der Gasse zur Schau zu stellen und sich den Männern anzubieten, vor ihren Häuschen auf Sesseln sitzend oder mit Einladungsworten an die Gassenbesucher herantretend, heranspazierend.
Die, die entgegengehen, werden für ihr Entgegenkommen schlechter bezahlt als die, welche eine Reserve, eine Vorliebe für Distanz simulieren und den Mann in die Wohnung hinaufkommen lassen. Im ersten Falle ist das Mädchen eine Werbende, im zweiten Falle eine Umworbene. Und das Werben ist der weniger gute Erwerb.
Der Mann, der Herr Besucher: wenn er's bequem hat, wenn ihm auf der Gasse die Liebesanträge serviert werden, zeigt er sich erkenntlich, indem er mit der Bezahlung zurückhaltender ist; wenn's ihm weniger bequem gemacht wird, wenn die Dame sich zurückhaltender zeigt, sodaß er Stiegen steigen, gewissermaßen nachlaufen muß, dann wird er zahlungswilliger. – Ein niedlicher menschlicher Zug, der auch außerhalb der indischen Freudengasse nicht selten anzutreffen ist.
Madame Z. erzählt mir: den europäischen Mädchen, die in den Parterre-Räumen der Suklajistreet und der benachbarten Gassen wohnen, geht es schlecht. Es sind Mädchen darunter, welche für 2 Rupien oder gar 1 Rupie 1 Rupie ist ungefähr 1? Mark. (In den Währungsverhältnissen der Vorkriegszeit. – Nachträgl. Anm.) mit dem Mann gehen. Die können nichts verdienen. Kaum das Essen. Wie oft kommen sie in ihrer Not zu uns (das ist das Haus der Madame Z.) und bitten um Hilfe.
Anders die Europäerinnen, welche oben in den Stockwerken bleiben und hier den Mann empfangen. Sie haben die Möglichkeit, eine Einnahme zu erzielen, welche im Monat 20 oder 25 oder 30 englische Pfunde beträgt. Weil sich die Besucher in ansehnlicher Zahl einfinden. Und, wie gesagt, es wird ja oben in den Stockwerken vom Gast ein reichlicherer Minnesold erlegt als unten im Erdgeschoß.
Wieviel diese Mädchen ihrer Hausfrau für Kost und Quartier zu zahlen haben, darnach habe ich zu fragen vergessen. Indes ist wohl nicht zu bezweifeln, daß auch sie von der Freudenhausfrau und Kupplerin genugsam exploitiert werden.
– Welchen Gesellschaftskreisen gehören Ihre Gäste an? frage ich.
= Unter den Besuchern meines Hauses sind Leute, die irgendwoher aus ländlichen, entlegenen Gegenden Indiens, von »up-country«, kommen. Der Mann hat sich vielleicht dort Jahre lang aufgehalten, fern von europäischem Leben, nur mit Arbeit und Gelderwerb beschäftigt; nun tritt er eines Tages eine Heimreise nach Europa an, er trifft in Bombay ein, um mit dem nächsten Dampfer wegzufahren. Abends will er sich amüsieren, er steckt 500 Rupien in die Tasche, mit der Absicht, das Geld aufzubrauchen, erkundigt sich, wo er das tun kann, und man empfiehlt ihm mein Haus.
Auch kommen zu uns Offiziere der in Bombay untergebrachten englischen Garnison, wie ich Ihnen schon einmal mitgeteilt habe; dann Vergnügungsreisende, die einen Besuch in Indien machen, ferner die Kapitäne und andere Leute von den fremden Schiffen, dann Männer aus den bürgerlichen Kreisen Bombays.
Nun verrät mir Madame Z. einige Geheimnisse ihres Schankbetriebes: – Was für Champagner-Marken ich meinen Gästen vorsetze? Ja, glauben Sie denn, daß ich wahrhaftig Champagner hergebe? Wenn er Champagner verlangt, erhält er Apfelwein. Irgend einen Apfelwein. Selbstverständlich! Denn wenn ich ihm wirklich Champagner geben würde, könnte ich doch dabei keinen Gewinn haben.
Ebenso mach ich's natürlich auch mit den anderen Weinsorten, die bestellt werden.
Und wenn irgendwie möglich, richten wir's so ein, daß der Gast niemals die Flasche zu sehen bekommt. Er sieht und kriegt nur das Glas. –
– Wenn man diese Äußerungen der Frau Wirtin niederschreibt, so schauen sie einen mit recht zynischem Ausdruck an. Aber im Gespräch fehlte den Worten der Madame Z. jeder höhnisch-schamlose Ton.
Den Betrug, den sie ihren Gästen zuteil werden läßt, berichtete sie gleichmütig wie einen unverfänglichen, durch die Verhältnisse gebotenen Umstand. So und nicht anders muß es sein.
Von den Gästen sprach sie wie von Ziffern, mit denen man in einem Rechenexempel kühl und nüchtern operiert. Wie von Maschinenteilen, die einen Betrieb ordentlich im Gang erhalten sollen; man ist darauf bedacht, daß sie gut funktionieren, man schmiert sie mit einem üblichen Schmiermittel – und beileibe nicht mit Champagner – und gedenkt ihrer ohne tiefere Herzensteilnahme und auch ohne Spott.
(Im übrigen ist es klar, daß diese Gäste sonderbar naiv oder gutmütig sein müssen, wenn sie nicht merken oder merken lassen, in wie gröblicher Weise sie angeschmiert werden.)
Ich glaube, daß ich den Preistarif, den mir Madame Z. auseinandersetzt, richtig verstanden habe; sie sagt, der Getränkepreis ist einheitlich: ein Glas Whisky mit Sodawasser kostet 10 Rupien, ein Glas oder Gläschen eines anderen Getränkes ebenfalls 10 Rupien; jedes zweite, jedes folgende Glas desgleichen. Der Universal-Einheitspreis ist 10 Rupien.
Im Stillen stelle ich preis-vergleichende Betrachtungen an: Ein Glas Whisky kostet also im Hause der Madame Z. genau soviel wie ein Mädchen. 10 Rupien ist die Taxe für beide. Wer nach dem ersten Glas noch Lust hat, wiederum 10 Rupien anzubauen, dem stehen ohneweiters zwei Wege offen: falls er ein leibhaftiges weibliches Geschöpf, ein Menschenkind von Fleisch und Blut vorzieht, nimmt er dieses, falls er jedoch ein Schnäpschen höherschätzt, dann trinkt er ein zweites Glas Whisky. Kostet beides das Gleiche.
Und dann kommt mir in den Sinn, was vorhin Madame Z. von den europäischen Parterre-Mädchen der Suklajistreet erzählt hat: daß sie auch für 1 Rupie »gehen«.
Da ergibt sich gemäß dem Getränketarif der Madame Z. eine sonderbare Gleichung. Wanderer, kommst du nach Bombay, so triff deine Wahl: ein Glas Whisky oder 10 europäische Mädchen! – Zehn. – Und kannst nachsinnen über den Wert des weißen Menschenfleisches. Über den Preis eines Bechers Whisky und des Freudenbechers der Liebe!
Es kommt in unserem Hause vor, – so erzählt Madame Z. weiter, – daß ein Gentleman meint, er habe mit einer großen Getränkezeche, die er hübsch richtig beglichen, auch das Recht erworben, obendrein noch die Liebesgunst eines Mädchens zu genießen.
Da befindet sich aber der Gentleman in einem gründlichen Irrtum. Hie Getränke, hie Mädchen, – zwei durchaus getrennte Conti. Jenes für die Kassa der Frau Wirtin, dieses für die Börse der liebeswilligen Maid. Jeder der beiden Genüsse verlangt gesonderte Bezahlung.
Wenn sich also der Fall ereignet, daß ein in solchem Irrtum befangener Gast, nachdem er seine ausgiebige Getränkezeche gezahlt hat, ein Mädchen als Gratisabschluß des Abends in Anspruch zu nehmen gedenkt, so wird er von den Damen des Hauses in schonungsvoller Weise über seine Irrmeinung aufgeklärt. Hat ihm die Getränkerechnung die Taschen gänzlich geleert, sodaß er nach solcher Aufklärung nicht in der Lage ist, mit einem Mädchen das Liebesstübchen aufzusuchen, dann sagt er: Excuse me, ich werde morgen wiederkommen. – Madame Z. imitiert vortrefflich den verbindlich-höflichen und zugleich etwas verlegenen Ton der Entschuldigung »Excuse me«.
Und am nächsten Abend kommt der Mann wieder – oder nicht.
Auch über ihre eigenen persönlichen Einkünfte äußert sich Madame Z. mit freimütiger Unbefangenheit.
Sie erzählt mir, daß sie eine Geschäftsteilhaberin hat; die Freudenanstalt wird von zwei Hausfrauen geleitet, deren jede eine Hälfte des Gewinnes einheimst.
Der Trink- und Liebesbetrieb ist von Wind und Wetter mitabhängig, die jeweiligen klimatischen Verhältnisse beeinflussen in sehr merklichem Maße den Geschäftsgang.
Während der Monsun-Zeit sind die Einnahmen des Hauses minder gut.
(Wenn im Gespräch mit Madame Z. von »Monsun-Zeit« die Rede ist, so ist der Sommer-Monsun gemeint, der Südwestwind, der in den Sommermonaten – ungefähr von der Juni-Mitte bis zum September-Ende – mit Regengüssen vom Meere her nach Indien kommt.)
Dem Europäer sind die Monsun-Monate nicht sehr angenehm und er verbringt die regen-durchnäßte Sommerzeit lieber außerhalb Indiens, wofern es ihm die Umstände gestatten. Da spürt dann auch das Haus – und die Geldbörse – der Madame Z., daß in Indien eine geringere Anzahl von Europäern, von europäischen Männern weilt.
Der Geschäftsbetrieb dieser Anstalt gedeiht am besten in den Wintermonaten.
Ich registriere nun ein paar Zahlen, die mir unsere Reisegefährtin Madame Z. angegeben hat.
Die Betriebskosten des Hauses, die Spesen der Wirtschaftsführung betragen monatlich etwa 1500 Rupien. (Fünfzehn Rupien sind ungefähr ein englisches Pfund.) Zu diesen Auslagen gehört die Miete, die dem Hauseigentümer gezahlt werden muß, die Ausgaben für Nahrungsmittel, für Wagen und Pferde, für Dienerschaftslöhne (das Haus hat mehrere indische Diener) und für sonstige Haushaltungsbedürfnisse.
Der Hausbesitzer bekommt im Monat 430 Rupien Mietzins.
– Es ist also zu ersehen, daß ein beträchtlicher Teil der Anstalts-Spesen schon von den Kost- und Quartiergeldern der Mädchen gedeckt wird.
Auch über den Reingewinn, den sie selber, die Madame Z., aus dem feinen Unternehmen in der guten Jahreszeit bezieht, gibt sie mir freimütig Aufschluß.
(Die »gute« Jahreszeit ist die Epoche, in der die Witterung kühler, doch der Trink- und Liebesbetrieb des Hauses heißer ist. – Darf man das Wort » Reingewinn« verwenden, wenn sich's um solch ein sauberes Unternehmen handelt? –)
Doch will ich das letztgenannte Bekenntnis der Madame Z. denn doch nicht als eine Aussage von dokumentarischem Werte behandeln, hoch- und festhalten; es schweigt darüber des Berichterstatters Behutsamkeit.
Allein nichtsdestoweniger muß ich wiederum im allgemeinen feststellen: ich empfing den Eindruck, daß kein Grund zur Annahme vorliegt, als würde Madame Z. in ihren Mitteilungen geflissentlich von der Wahrheit abweichen.
Wir – Madame Z. und ich – wir waren ungefähr zwei Wochen auf dem Dampfer beisammen, von Bombay bis Venedig, sodaß ich hinreichende Gelegenheit zu einer Art Kontrolle hatte, indem ich an verschiedenen Tagen Vergleiche anstellte, ob Widersprüche zwischen ihren Aussagen vorkämen.
Sie machte zu verschiedenen Zeiten gleichförmige Angaben. Und die Art, wie sie erzählte, erschien mir redlich und – wenn man in diesem Falle so sagen darf – vertrauenerweckend.
Wenn aus den Äußerungen der Madame Z., wie ich sie hier niedergeschrieben, vielleicht da und dort ein »frivoler« Ton hervorklingt, so ist dafür weniger die Stimmung der Erzählerin als der erzählte Stoff verantwortlich.
Die Tatsachen selber – zum Beispiel die geschäftlichen Gebräuche der Madame Z. – sind ihrem Wesen nach beträchtliche Zynismen, mögen sie auch nicht als solche von der Frau, die darein verstrickt ist, deutlich empfunden werden; sie geben dem Bericht eine zynische Note, auch wenn – ja eben weil – Madame Z. objektiv berichtet.
Und es kam vor, daß diese Frau, weit entfernt davon, einen leichtfertig verhöhnenden Ton anzuschlagen, vielmehr in eine sehr ernste und traurig-bittere Stimmung verfiel: Sie irren, – sagte sie, – wenn sie glauben, daß ich mich glücklich fühle. Ich bin eine unglückliche Frau! Wohin immer ich komme, überall, in der ganzen Welt, in jeder Gesellschaft, in die ich Eintritt finde, muß ich darauf gefaßt sein, daß ich jemanden treffe, der mich und meine Beschäftigung kennt und der durch ein Wort bewirkt, daß ich von allen verachtet und gemieden werde. Ich zittere immerzu vor dem Entdecktwerden. In meinem Hause verkehrt ja ein internationales Publikum, Leute, die aus aller Welt nach Bombay kommen und sich gelegentlich wieder in alle Länder zerstreuen. – Ach, was für Augenblicke furchtbarer Angst habe ich schon erlebt!
Meine Schwester – berichtet Madame Z. weiter – ist in … verheiratet. (Sie nennt eine große europäische Hauptstadt.) Ich fahre jetzt wieder zu ihr. Mein Schwager, ihr Mann, weiß nicht und darf nicht wissen, welchen Beruf ich in Bombay habe. Es wäre entsetzlich, wenn er die Wahrheit erfahren würde. – Als ich, während meines vorigen Aufenthaltes in Europa, im Haus meiner Schwester wohnte, da wurde mir eines Abends angekündigt, daß ich einige Freunde meines Schwagers kennen lernen solle.
Die Herren werden mir vorgestellt und ich sehe zu meinem Schrecken, daß unter ihnen einer ist, der vordem einmal in Bombay meinem Bekanntenkreis angehört hat.
Ich kann Ihnen nicht schildern, was für ein Schrecken mich packte, als ich diesen Mann so plötzlich vor mir sah. Glücklicherweise war's ein verständiger und taktvoller Mann, der sich in seiner Gewalt hatte und nicht merken ließ, daß er mich kennt. Auch ich hatte mich rasch gefaßt; und durch ein Zeichen der Augensprache, das von den anderen nicht wahrgenommen werden konnte, hatten wir sofort die stumme Vereinbarung getroffen: wir sind einander fremd!
Keiner der Anwesenden hatte eine Ahnung, daß sich da ein Wiedersehen abspielte.
Solche Erlebnisse sind gräßlich. In diesem Fall ist freilich alles gut abgelaufen, doch ich bin immer darauf gefaßt, daß mir einmal etwas furchtbar Beschämendes zustößt. Es ist ein unglückliches Leben.
– – Meine jetzige Fahrt nach Europa – bekennt Madame Z. – hat auch einen geschäftlichen Zweck. Ich will mir in Europa eine neue Existenz gründen, ich habe die Absicht, mich von Bombay und von allem, womit ich mich dort befaßt habe, loszumachen …
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