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Meine japanische Freundin
Wenn mich mein unstätes Wanderleben, mein Schiffsarzt-Beruf nach Bombay führt, – und ich bin recht oft hier in Bombay, – so versäume ich fast keinmal, die Japanerin Ajame in der Suklajistreet aufzusuchen und ein Stündlein mit ihr zu verbringen.
Bin also eine Art Stammgast und werde dort von den Töchtern des Kirschblütenlandes, von meiner Freundin Ajame und ihren japanischen Gefährtinnen, mit jener Wertschätzung behandelt, die man einem Stammgast insgemein zu zollen pflegt.
Ich glaube, Ajame würde mir's sehr verübeln, wenn ich einmal zu Minnezwecken in ein anderes japanisches Lusthäuschen ginge und wenn solch ein Seitensprung ihr zur Kenntnis käme.
Oftmals hab ich sie besucht – ich kann jetzt im Augenblick wirklich nicht feststellen, wie oft, – und ich darf annehmen, daß ich sie wahrscheinlich noch des öfteren in ihrem einfachen und freundlichen Nestchen aufsuchen werde.
Dieses Mädchen, das irgendwo in weiter Ferne, im östlichsten Ostasien das Licht der Welt erblickt hat, dieses simple, harmlose Geschöpfchen, das mir von irgend einem dienenden blinden – oder scharfsichtigen? – Genius des Zufalls auf meinen Weg gebracht worden, Ajame, die kleine niedliche Japanerin, – sie spielt eine Rolle in meinem Leben; oder sagen wir: in meinem Reiseleben, – um ihre Bedeutung nicht zu übertreiben«
Jedenfalls würde ihr ein breiterer Raum hier in meinen Aufzeichnungen gebühren, auf den Blättern, die meinen Erlebnissen im Freudenrevier Kamatipura gewidmet sind, wenn auch die Begebenheiten, welche mit meinen Besuchen bei Ajame verknüpft sind, sicherlich nicht als außerordentlich bezeichnet werden können.
Darum will ich jetzt nicht Besuch für Besuch im einzelnen schildern, sondern bloß resümierend einige Punkte notieren, die mich vielleicht später einmal interessieren werden. – – – –
Als ich meine japanische Freundin ersuchte, sie möge mir mit deutlicher Aussprache ihren Namen nennen, da sagte sie, sie heiße Ajame.
Und als ich weiterforschte, welche Bedeutung diesem Namen innewohne und wie man ihn übersetzen könne, erklärte sie, Ajame sei eine Blume, eine Pflanze.
Sie zeigte mir ein kleines hölzernes Zierkästchen, auf dessen Deckel die Abbildung einer Pflanze zu sehen war. Dies hier – das Mädchen wies auf die Zeichnung – sei eine Ajame.
Da mein botanisches Erkennungsvermögen oder die Deutlichkeit der Figur mich im Stiche ließ, war ich nicht imstande, die Art der Pflanze zu enträtseln, und ich begnügte mich, verständnisvoll zu nicken.
Heute kann ich in meiner Klause, in meiner Schiffskabine, mit Hilfe von japanischen Wörterbüchern mich über den Sinn des Wortes »Ajame« unterrichten.
Mein japanisch-deutsches Diktionär, von japanischen Autoren in Tokio herausgegeben, erteilt folgende Auskunft:
Ayame, der Kalmus (Calamus aromaticus).
Eine kleine zarte Zeichnung ist im Wörterbuch als erläuternde Illustration hinzugesetzt: lange, schmale, spitz-endigen de Blätter, eine erblühte Blume und eine Blumenknospe.
Die gleiche Blume, die – in stilisierter Form – auf dem Kästchen im Zimmer meiner japanischen Freundin abgebildet ist.
*
Ich stelle mir die Frage: Was für Beweggründe haben mich denn eigentlich zu dieser Ajame hingeführt?
Es wäre ja naheliegend, die Frage mit einer gewissen brutalen Antwort bündig zu erledigen, aber hiemit wäre die Sache denn doch nicht restlos abgetan.
Einen beträchtlichen Anteil an den Beziehungen, die mich mit Ajame verbinden, hat das Ungefähr. Der Zufall war der Kuppler, der mich seinerzeit das zweite Mal in die Behausung dieser Japanerin hinaufgelenkt hat. Daß ich damals gerade der Ajame in die Hände lief, war das Werk des Zufalls, daß sie aber mit gutem Erinnerungsvermögen mich als einen Jemand wiedererkannt hat, der schon einmal vordem in ihren Armen gewesen, das ist Ajames Verdienst.
Mit dem seelischen Kontakt, der nach mehrjähriger Bekanntschaft zwischen mir und Ajame bestehen sollte, ist's recht dürftig bestellt. Unser Gedankenaustausch während meiner Besuche läßt wahrlich viel zu wünschen übrig. Ursache: Mangelhaftigkeit der sprachlichen Verständigungsmittel. – Wenn ich in ihrer Seele lesen will, bin ich mehr aufs Erfühlen als aufs Erkennen angewiesen. Aber man geht doch eigentlich nicht des seelischen Kontaktes halber zu einem Freudenmädchen. Ich will mich keiner Täuschung hingeben, will mir getrost das Geständnis machen, daß unter meinen inneren Ratgebern, die mich in Ajames Häuschen zu schicken pflegen, der animalische Trieb eine wichtige Stimme hat.
Ich gehe hin, um – – und da sind wir wiederum bei der brutalen Antwort, die mir vorhin zu unbedingt und knapp erschien.
Ja, aber warum gerade die Japanerin? Ich meine, es sind auch Reminiszenzen an meine Japanreisen mitbeteiligt. Wie so ziemlich jeder Reisende, der nach Japan kommt, hab auch ich im Reich der aufgehenden Sonne mich innigst mit den Töchtern des Landes befreundet, mit den Teehausmägdelein wie auch mit den Mädchen, die in den offiziell anerkannten Freuden-Anstalten das Liebes-Metier betreiben.
Ich habe in Joshiwara zu Tokio übernachtet, habe in den Liebesbezirken anderer japanischer Städte persönliche Erfahrungen gesammelt. Nicht zu vergessen der zahlreichen japanischen Teehäuser, in denen ich mich nicht ausschließlich mit Teetrinken beschäftigt, und der japanischen Örtlichkeiten in Shanghai, Hongkong, Singapore.
Well, das sind sicher keine Heldentaten. Jedermann kann sie gegen Erlag einer bestimmten Taxe vollbringen. Erinnernswert, nicht eigentlich rühmenswert. Ich will hiebei nur sagen, daß die Japanreisen im minnefreudigen Pilgrim einen Fond erfreulicher und anmutiger Erinnerungen zurücklassen, Eindrücke, welche tätig nachwirken.
*
Was für Einfälle das Mädel hat!
Ajame fragt mich, ob ich Lust hätte, sie in meine europäische Heimat mitzunehmen; sie sagt, daß sie gerne mit mir gehen würde und daß sie nicht den Anspruch erhebe, meine regelrechte Ehefrau, mein »proper wife« zu sein, vielmehr wolle sie sich mit der Stellung einer liebevollen Haushälterin begnügen, mir die Küche bestellen etc.
Mit heiterem Dank und in einer Weise, die ihr nicht wehtun will, lehne ich ab.
Nein, mein teures Mädchen, das ist nicht möglich!
Im ersten Augenblick war mir die Zumutung ein bißchen befremdlich. Wie kann sie auf eine solche Idee kommen? Doch dann entsann ich mich, daß ich in Ostasien, in Shanghai und anderenorts manchen Europäer gesehen habe, der mit einer Japanerin in mehr oder minder legitimem Verband zusammenlebt.
Europäische Männer, die in Ostasien eine Japanerin als Heimgenossin – rechter oder linker Hand – erwählt haben, rühmten mir die vorzüglichen Qualitäten der Japanerin auf dem Gebiet der Häuslichkeit, der liebenden Fürsorge und Hingebung.
Ich kann mir recht wohl vorstellen, daß zum Beispiel meine Freundin Ajame, bei der ich jetzt weile, sich als Stütze des Hausherrn ganz gut bewähren könnte.
Sie hat eigens betont, daß sie mir nicht vorschlage, sie zur rechtmäßigen Gattin zu machen. Die Gute hat offenbar unter anderem auch die richtige Erkenntnis, daß der Stadtteil Kamatipura eigentlich nicht die passendste Vorbereitungsstätte für den Beruf der züchtigen Hausfrau ist; und daß sie in die häuslichen Freuden aus einem Freudenhaus käme.
Meine liebe Ajame, aus verschiedenen Gründen ist dein wohlgemeinter Vorschlag nicht annehmbar.
Und ich male mir mit viel Vergnügen aus, welche Aufmerksamkeit es in meinem näheren und entfernteren Bekanntenkreis erwecken würde, daheim in Europa, wenn ich so eines schönen Tages mit einer Japanerin angerückt käme.
Schade um all die reizenden Situationen, die sich in diesem Fall ergeben müßten.
*
Es schaut so aus, als würde Ajame einigermaßen meinen, sie habe ein Recht zu wünschen, daß ich ihr treu sein möge.
Ein Gewohnheitsrecht. Sie folgert: er ist so oft zu mir gekommen, demnach muß er immer zu mir kommen.
Ja, sie würde sozusagen eifersüchtig sein, wenn sie vermuten müßte, daß ich ihr »untreu« gewesen. Es gibt auch eine Eifersucht des Freudenmädchens.
Und die Eifersucht der Japanerin Ajame hätte verschiedentliche Nuancen, je nach der Art ihrer Nebenbuhlerinnen.
Wenn sie sähe, daß ich mich mit einer Inderin einlasse, daß ich Einlaß in einen Käfig erstrebe, würde sie mich verachten. – Wie kann er nur so tief sinken …!
In ihrem Herzen würde sich Eifersucht mit Geringschätzung mengen.
Denn gemäß dem Wertungsmaßstab, der in den Liebesgassen von Bombay gültig ist, steht die Inderin ein beträchtliches Stück unter der Japanerin; und selbstverständlich um so tiefer unter dem Europäer. (Das Wort »selbstverständlich« im Sinne der landläufigen – wunderlandläufigen – Menschenklassifizierung verwendet.)
Die Japanerin trägt in ihrem Busen, auch wenn es der eines Freudenmädchens ist, immerhin ein Quantum nationalen japanischen Selbstbewußtseins.
Wiewohl sie ein »gefallenes« Mädchen ist, fühlt sie sich doch nicht so gefallen, daß sie sich auf gleiche Stufe mit einem indischen Freudenmädchen stellen würde.
Wenn Ajame wahrnähme, daß ich in das Buhl-Appartement europäischer Mädchen eintrete, würde ihre Eifersucht einen ansehnlichen lindernden Zusatz von Resignation bekommen. Die Japanerin fände seufzend den mildernden Umstand: Ach, es ist ja kein Wunder, daß der Europäer die Europäerin bevorzugt. Ich kann's ihm nicht verdenken. Bin nur ein einfaches japanisches Mädchen. Es betrübt mich, daß ich zurückgesetzt werde, muß mich aber darein schicken.
Doch ernstlich verstimmt und regelrecht eifersüchtig wäre meine Japanerin, falls sie die Entdeckung machte: Sieh da, er ist in ein anderes japanisches Haus eingetreten und erfreut sich mit einem anderen japanischen Mädchen!
Da wäre sie tüchtig erbittert: Wie? Die drüben, die ja, und mich nicht? Ist die andere vielleicht etwas anderes als ich? Warum die Hana und nicht die Ajame? O, wie mich das schmerzt …!
*
Nachdem ich ein Stündchen bei ihr verweilt, rüstete ich zum Aufbruch.
Nun muß ich Abschied nehmen, sagte ich.
Da schien sie betrübt zu sein.
Aber ich hätte mich nicht zum Entschluß aufraffen können, eine »Liebesnacht«, eine ganze Nacht in engster Gemeinschaft mit ihr zu verbringen.
Woraus ich den Schluß ziehe, daß ich in die niedliche Ajame wohl nicht maßlos verliebt bin, wie sehr sie mir auch sympathisch ist.
Ich erinnere mich mit gemischten Gefühlen einer Nacht, die ich in der Hauptstadt Japans genossen habe, im Hetären-Distrikt von Tokio, Joschiwara geheißen.
Das Zimmer war winterlich kalt und hatte gemäß ortsüblicher Gepflogenheit keinen Ofen. Und kein Bett. Wenngleich es ein fürnehmes Haus war.
Hier in Indien, in Bombay, hat die Stube der Japanerin eine europäisch gebaute, geräumige Bettstatt mit vernünftigem europäischem Bettzeug.
In Japan ließ das Mädchen ihren Gast in einem gemeinsamen Schlafsack nächtigen. Auf dem Fußboden. Wir mußten die Beheizung mit eigenen physiologischen Mitteln bestreiten. Geteilte Winterkälte ist halbe Kälte.
Die Japanerin, die mir damals in Tokio den Schlafsack als gemeinschaftliches Nachtquartier zur Verfügung stellte, hatte keine Ahnung von einer europäischen Sprache. Und da es mit meinen japanischen Sprachkenntnissen überaus dürftig bestellt war, so waren wir lediglich auf die allgemein menschlichen Verständigungsmittel angewiesen.
Seither muß ich jedesmal, wenn ich irgendwo einen Schlafsack seh, an Japan und an Winterkälte denken.
Und wenn meine japanische Freundin Ajame mich jetzt einladet, in ihrem Stübchen zu übernachten, kann ich mich für diesen Gedanken nicht erwärmen, obwohl wir derzeit im heißen Indien sind.
Vielleicht ist der unvergeßliche japanische Schlafsack ein bißchen daran schuld und jene Joschiwara-Nacht.
*
Im Vorzimmer bleibe ich ein Weilchen stehn, um auch von den Gefährtinnen Ajames Abschied zu nehmen.
Die Japanerin, die mir damals, während ich durch die Gasse promenierte, den Gruß »B'ona sera!« aus dem Fenster zugerufen, erhebt sich von ihrem Sessel, kommt zu mir und streichelt mich zärtlich; in uneigennütziger Weise; denn sie muß voraussetzen, daß ich der Ajame eine Treue zu bewahren gedenke und daß ich an den Traditionen der japanischen Liebeshäuser festhalte, an dem Brauch, Stammgast einer bestimmten Japanerin zu bleiben, nachdem man ihr eine Serie von Besuchen gewidmet hat. Wie es denn auch für gewöhnlich nicht Brauch der Gefährtinnen ist, einen solchen ständigen Gast seinem angestammten Mädchen abspenstig zu machen und ihn in das Kämmerchen eines anderen Fräuleins hineinzulocken.
Heute muß ich doch endlich einmal erfahren, woher sie den Gruß »Buona sera« kennt und weshalb sie die Anrede »Dottore!« verwendet hat.
Ich hatte schon früher einigemal fragen wollen –.
Sie gibt mir Aufschluß: die Worte hat sie auf einem Dampfer gelernt; während der Seefahrt sei sie mit dem Schiffsarzt, dem Dottore, bekannt geworden und dieser habe sich ihr sehr freundlich, very kind, erwiesen. Als sie mich unten auf der Straße erblickte, da sei ihr jener Arzt in den Sinn gekommen …
– Jedenfalls ein sonderbares Zusammentreffen von Umständen. Ich bin dessen ganz sicher, daß ich mit dem erwähnten Schiffsarzt nicht identisch bin. Bisher ist auf den Dampfern, mit denen ich gereist, niemals unter den Passagierinnen ein japanisches Mädchen gewesen. Die Episode wäre mir bestimmt in Erinnerung geblieben.
Und ich habe auch anderseits keine Ursache, die Wahrheit des Berichtes, den ich soeben aus dem Munde der Japanerin vernommen, in Zweifel zu ziehen.
Spiel des Zufalls! Ein Beitrag zum Kapitel »Wunderliche Zufälle«. Meine Reisejahre haben mir manches Exempel für dieses Thema gebracht.
*
Ich hatte mich vorhin mit der Frage beschäftigt: woran liegt es, daß ich fast jedesmal, wenn ich nach Bombay komme, wiederum in dem japanischen Freudenhäuschen einkehre? und ich hatte mir die Antwort gegeben: mich dünkt, daß Reminiszenzen an meine Japanreisen sich als verführende und hinführende Mächte geltend machen. Weil es in Japan so schön gewesen, will ich Japan in Bombay wiederfinden.
Aber weshalb zieht's mich gerade zu dieser Japanerin, zu Ajame?
Gewiß, sie ist hübsch, manierlich, nett, säuberlich, hat ein gewinnendes liebes Benehmen, trägt eine Anhänglichkeit und Zärtlichkeit zur Schau, doch ich glaube, daß mich insbesondere eine Tugend fesselt, von der ich, wenn ich mich recht erinnere, schon einmal gesprochen habe: Ajame ist frei von den Exerzitien und Praktiken, welche man »Liebeskünste« zu benamsen pflegt. Die Zärtlichkeiten, womit sie den Gast erfreut, sind von der Art, die als »natürlich« und »normal« bezeichnet wird. All die Spielarten und Liebesspielarten, die in der »Psychopathia sexualis« registriert werden, finden keinen Raum in der Freudenstube dieses japanischen Mädchens.
Ich will mir keinen Schwindel vormachen. Wenn ich's als einen Vorzug empfinde, daß die Liebesweise Ajames mit keinerlei absonderlichen Schnörkeln garniert ist und wenn ich die Ajame wegen solcher Einfachheit belobe und begünstige, so tu ich's nicht aus moralsiederischen Motiven.
Würde ich mich in dieser Angelegenheit bei einer »moralischen Entrüstung« ertappen, ich wäre ernstlich moralisch entrüstet, über mich selbst.
Möge ein jeder nach seiner Fasson seine Beseligung suchen. – Er darf dabei allerdings nicht vergessen, daß es gleichwohl Grenzen und Schranken gibt, vor denen er in scheuer Achtung stehen bleiben muß.
Freilich, im Gemach einer Buhlerin werden dergleichen halt!-gebietende Schranken nicht in allzu großer Zahl vorkommen.
Wenn ich mich recht verstehe, ist mir das natürliche einfache erotische Gebaren meiner Japanerin auch aus Appetitlichkeits-Rücksichten sehr sympathisch. Und um so mehr, weil der Gast eines öffentlichen Mädchens, das mit allerlei sogenannten Liebeskünsten arbeitet, auf den naheliegenden Gedanken kommen müßte: Ich bin doch nicht der einzige Mann, dem diese Maid solch gegen- und neben-normale Gunstbezeugungen gewährt. Das treibt sie auch mit anderen, mit allen, allen. Oh, wie degoutant!
Ein derartiger Gedankengang trägt auch dazu bei, daß einem in den indischen Liebesgassen die Japanerin reichlich wünschenswerter erscheint als ihre daselbst hausende europäische Berufsgenossin. Man hat das Gefühl, daß die Europäerinnen von Kamatipura in allen Sätteln der Lasterhaftigkeit gerecht sind und daß die Japanerin im Vergleich zu diesen europäischen, gründlich routinierten Professorinnen der professionellen Liebe nahezu als eine japanische »Unschuld vom Lande« empfunden werden kann.
– – Die Berufsbuhlerin als Unschuld vom Lande!
– Na ja, man kann die Sache auch so auffassen, wenn's einem Freude macht.
*
Bombay, 19. April 19..
Heute ist friedliche Sonntagsstille im Hafen.
Die Docks – an Werktagen von einem geräuschvollen bunten Getriebe erfüllt – sind heute die ruhige Stätte eines spärlichen gemachsamen Verkehrs.
Da und dort schreitet ein Schiffsangehöriger in gemessenem Tempo gegen den Hafenausgang hin, mit den gezügelten Schritten des Seefahrers, der sich auf tropischem Boden bewegt.
In der Stille bekommt das Krächzen der Raben und der schrille Ruf der Falken eine hervorklingende Auffälligkeit. Raben und Falken sind ein unwandelbar-getreues Zugehör der Bombay-Docks, – zwei beutesuchende Räubersippen, die verträglich neben-einander-leben, als hätten sie in Urzeiten einstmals Frieden geschlossen, nachdem sich die Fruchtlosigkeit einer gegenseitigen Bekämpfung erwiesen.
– Die Engländer, die Herren Indiens, sind gestrenge Anhänger der Sonntagsruhe, darum feiern heute im Hafen alle Hände, sowohl die europäischen wie auch die braunen eingeborenen Hände.
*
Ein Tagesbesuch bei Ajame. Ungefähr fünf Uhr Nachmittags.
Ich steige die schmale Holztreppe empor und betrete das Vorzimmer. Da steht eine Japanerin mit aufgelöstem Haar, sie hat soeben ihr Frisierwerk begonnen. – Ajame!
Ihr Gesicht erscheint ein bißchen verändert; weil ich sie im hellen Tageslicht sehe und weil ihr die hohe Paradefrisur fehlt.
Das schwarze Haar ist jetzt mitten gescheitelt und hängt in langem Gesträhne über Rücken und Schultern nieder.
Sie ist mit einem hellblauen Haus-Kimono bekleidet, an den nackten Füßen sind Strohsandalen.
Auch das Buona-sera-Mädchen – ihr japanischer Name ist Take – weilt hier im Vorzimmer.
Eine dritte Japanerin liegt, in den Kimono gehüllt, schlafend auf einer Bank. Sie öffnet für einen Augenblick die Lider, von meinem Eintrittsgruß geweckt, lugt schlaftrunken zu mir her und überläßt sich dann wieder ihrem Schlummer.
Lächelnd kommt Ajame und begrüßt mich. Sie ist ein wenig verlegen, desgleichen das Buona-sera-Mädchen, da ich sie in ihrer häuslichen, primitiven Verfassung angetroffen.
Ajame entschuldigt sich wegen ihrer unfertigen Toilette und wegen der Kämm-Beschäftigung.
Das tut nichts – never mind! – beschwichtige ich freundschaftlich.
– Jetzt, im Licht der Sonne, kommt mir dieses Empfangszimmer recht nüchtern vor, entzaubert.
Auch die Mädchen scheinen mir weniger romantische Wesen zu sein. Zur Abend- und Nachtzeit lassen wir uns von der Verführung des Rampenlichts und des Kostüms beeinflussen, von den Fensterlaternen, die mit dem nächtlichen Dunkel der Freudengasse ringen, von der hell-leuchtenden Lampe des Empfangszimmers, von dem Prunk-Kimono der hochfrisierten gepuderten Japanerinnen.
Dazu kommt eine Menge betörender Stimmungswellen, die von der Nacht geboren werden. – Man sollte den Eros mit den Flügeln eines Nachtfalters darstellen. –
– Ich konstatiere, daß sich das Buona-sera-Mädchen, die Take, mir als eine sehr wohlgesinnte Freundin erweist. Sie begrüßt mich hier im Empfangszimmer fast nicht minder zärtlich und herzlich als Ajame, meine quasi-legitime Freundin.
Auch Take ist in der Tageshelle weniger hübsch als im abendlichen Lampenlicht. Ihre Gesichtshaut ist einigermaßen verbraucht, schadhaft. Vielleicht durch den Puderstaub zweifelhafter Qualität, mit dem sie Abend für Abend das Gesicht weiß macht. (Sie will uns einen hellen Teint weismachen.)
Ich glaube zu bemerken, – vielleicht ist's Irrtum, – daß die beiden Japanerinnen mit einer gewissen Betretenheit in meinen Mienen lesen, ob ich durch den Alltag, in den ich da hereingeraten, enttäuscht und herabgestimmt sei; und ich habe den Eindruck, als wäre in der Zärtlichkeit der zwei Mädchen auch ein Zusatz von Dankbarkeit, Dank dafür, daß ich ihnen auch in ihrem minder verlockenden Zustande mit unerschütterter Freundschaftlichkeit entgegenkomme.
Nun werde ich in das Stübchen der Ajame eskortiert: voran Ajame mit der gewissen japanischen Gangart, ich folge neben Take, die mich im Gehen liebreich mit ihrem Arm umfaßt.
An der Schwelle von Ajames Zimmerchen denke ich: »Jetzt wird uns Take-san verlassen.« – Aber sieh da, sie tritt mit uns ein. So sind wir unser drei in dem Liebeskämmerlein, die beiden Mädchen und ich.
Wenn ein Besucher mit zwei Europäerinnen in dieser Situation gewesen wäre, so hätte er vielleicht auf den Gedanken kommen können: Hm, sollte man nicht den Vorschlag machen, daß wir alle drei gemeinsam hierbleiben?
Doch im Kämmerlein Ajames hat man die Empfindung, daß eine solche Zumutung nicht ortgemäß ist.
In der Atmosphäre eines europäischen Freudenhauses, die nicht selten ein reichliches Ingrediens von Zynismus hat, hätten möglicherweise die Mädchen selber den Antrag gestellt: aller guten Dinge sind drei!
Hier, im japanischen Häuschen, ist der erotische Zynismus nicht dermaßen heimisch, vielmehr bekommt das Liebesleben daselbst den Nimbus einer sozusagen rechtmäßigen, korrekten, wohlanständigen Angelegenheit; unter anderem wahrscheinlich infolge des einfachen Hausfrau-Betragens, womit die Japanerin, überwürzendes Beiwerk unterlassend, ihres Zärtlichkeitsamtes waltet.
Mag sein, daß ich im gegenwärtigen Falle die monogamische Tugendhaftigkeit der beiden Japanerinnen überschätze, – ich bin jedenfalls derzeit nicht geneigt, einen Wunsch zu äußern, durch den ich in den Verdacht käme, als hätte ich es auf ein »dreieckiges Verhältnis« abgesehen und als wollte ich meiner »alten Liebe« Ajame abtrünnig werden und die Fiktion des Treue-Verhältnisses zerstören.
Ich habe das Gefühl, daß ich der Ajame eine Kränkung zufügen würde, wenn ich der anderen Japanerin vorschlüge, sie möge während des nächsten Stündleins im Bunde die dritte sein.
Nachdem wir drei das Zimmerchen betreten, entstand eine Weile des Schweigens.
Die Gefährtin Ajames, die Take, schien unschlüssig zu sein, zu zaudern.
Dann – wie wenn ihr plötzlich der Gedanke käme: »Doch ich störe hier …« – verbeugte sie sich in japanischer Art und ging langsam hinaus.
Allein mit Ajame.
Heute Nachmittags, also zu einer Stunde, die nicht in der regulären Amtszeit der Mädchen liegt, begnügt sich meine Freundin mit einer schlichten häuslichen Gewandung. Ein einfacher Hauskimono vertritt die Stelle des abendlichen Gala-Kimonos, es fehlen die Gürtelschärpe, der Shawl, die Strümpfe, der Unterrock.
Unter dem Hauskimono hat sie bloß ein dünnes Leibchen und einen Schurz-Umhang.
*
Das sind die Klugen unter den Hetären. – Mit dem Nützlichen wollen sie das Angenehme verbinden. – Sie lassen sich's angelegen sein, aus ihrem gewerblichen Berufsakt das Maximum des Genusses herauszuholen. – Als hätten sie den Leitsatz: wenn ich schon bei der Profession bin, will ich sie mir so lustvoll als möglich gestalten. – Bewußt oder unbewußt befolgen sie diesen hedonistischen Grundsatz. – Anders als eine andere Gattung von Freudenmädchen, die berufsphiliströse, welche nicht fähig oder gewillt ist, sich an ihrem Berufsakt wie an einem Anlaß der Lust nach Kräften zu erfreuen.
Ajame ist von der Art der Klugen.
*
Wir wollen heute nicht auf den psychologischen Hintergrund der widerspruchsvollen Angelegenheit des gründlicheren eingehen, es sei bloß festgestellt:
Richtig ist, – je öfter man mit einer Frau die Freuden der Liebe genossen hat, desto schwächer wird der Reiz, den diese Frau auf uns ausübt.
Die viel- und vielmalige Wiederholung entwickelt abstumpfende und abstoßende Kräfte.
Je bekannter sie uns wird, um so lauer und lauer wird unser Verlangen.
Aber anderseits ist auch folgendes wahr: je öfter man mit einer Frau die Freuden der Liebe genossen hat, desto mehr zieht es uns zu ihr hin.
Wir fühlen uns um so wohler bei ihr, je bekannter und vertrauter sie uns geworden.
Die Wieder- und Wiederholung der freudvollen Stunden schmiedet eine fesselnde Kette, und jedes neue Abermals bindet uns inniger an die Spenderin der Freuden.
– – So zieht es mich immer wieder in das japanische Häuschen, zu Ajame.
*
Lust und Unlust, die zwei mächtigsten Gewalten im organischen Leben …
Lust weckt Lust. Es wird die eigene Glücksempfindung gesteigert, weil die Gefährtin eine entflammte Glücksempfindung äußert.
Du empfängst einen Zuwachs an Lust, indem du gewahrst, daß du ein Anreger und Geber der Lust bist.
Aus beseligendem Geben gewinnst du beseligteres Nehmen.
*
Im Gespräch deutete ich dann an, daß meine Abreise von Bombay nahe-bevorstehe.
Sie sagt, ich möge sie während der Zeit meines Fernseins in Erinnerung behalten: Vergiß nicht die Ajame! – Sie spricht von ihrem kleinen Ich in der dritten Person, wie's die Kinder zu tun pflegen. – Das »Don't forget« ihrer Vergiß-mein-nicht-Bitte hat den Tonfall einer schlichten, gesetzten Aufrichtigkeit, der ebensoweit entfernt ist von rührseliger Übertreibung wie von nüchternem Zeremoniell.
Ich verspreche ihr, daß ich bei Gelegenheit ein Postkarten-Lebenszeichen senden werde. Erfreut holt sie eine kleine Briefkassette und nachdem sie ein wenig zwischen den Briefschaften herumgekramt, reicht sie mir ein Kuvert mit ihrer Adresse.
Wir gehen ins Vorzimmer hinaus. Die Mädchen sind nicht mehr zugegen; von Ajame erfahre ich, daß sie sich zum Imbiß in den Eßraum des Häuschens hinabbegeben haben.
Meine kleine Freundin will mich über die Treppe zur Straße hinabbegleiten, ich bitte sie, zu bleiben und ebenfalls das Eßzimmer aufzusuchen. Und wir nehmen herzlich Abschied.
– – – Ich notiere hier die Adresse, wie sie auf dem Briefkuvert zu lesen ist: Miss Ayame, Nr. 29 Japanese house, Sukraj Street, Kamatipura, Byculla, Bombay.
– Außerdem trägt das Kuvert noch einige japanische Schriftzeichen, eine indische Briefmarke und den Poststempel Bombay.
Vielleicht ist der Briefschreiber ein japanischer, in Bombay wohnhafter Anbeter der Miss Ajame. – Also so eine Art Nebenbuhler von mir.
Statt der richtigen Gassenbezeichnung »Suklaji Street« sagt die Briefaufschrift: Sukraj Street. – Die Laute r und l werden von ostasiatischer Zunge leicht vertauscht. – Jede Einzelangabe der Adresse ist von einem Beistrich gewissenhaft flankiert.
Der briefsendende vermutliche Verehrer Ajames (oder sind deren mehrere?) ist jedenfalls sehr schreibeifrig; die Kassette war gut angefüllt mit Brieflein.
*
Während ich gestern abend durch die Liebesgassen von Kamatipura promenierte, nahm mich wieder die Stimmung gefangen, die mich fast jedesmal überkommt, wenn unser Schiff bereit ist, von einer Stadt wegzudampfen, oder wenn es, schon auf der Ausfahrt aus dem Hafen begriffen, sich weiter und weiter vom Lande entfernt, – die Stimmung: Werde ich jemals wiederum hieher zurückkommen? Vielleicht ist's das letzte, allerletzte Mal, daß ich diese Straße, dieses Mädchen, diese Stadt, diese Küste schaue. Lebewohl, du liebes Stück Erde, wer weiß, ob wir uns noch wiedersehen …
Dergleichen Regungen tauchen in mir auf, ohne daß ich ihnen die Bedeutung von »Ahnungen«, von »prophetischen« Vorgefühlen beimesse. Oft und oft hatte ich in meinen Reisejahren solche Ahnungen, und später gab's dennoch ein Wiedersehen und wieder und wieder ein Wiedersehen.
So ist im Abschiedsgefühl zugleich auch eine aus der Erfahrung geschöpfte Zuversicht: Ja, ich werde wiederkommen. Es ist kein letztes Lebewohl.
Die eigenartige Stimmung des Seefahrers, die ein Gemisch ist aus Skeptizismus und Optimismus. Man ist darauf gefaßt, daß das Morgen irgendein Unheil bringt, vielleicht den Schlußpunkt der irdischen Rundfahrt, und zugleich und gleichwohl ist man durchtränkt von einem heiteren Hoffen, daß es trotzdem ein Übermorgen geben wird, dieweil man die Erfahrung hat, daß man schon aus so vielem Fahren, aus so vielen Gefahren mit heiler Haut herausgekommen ist. – Es ließe sich über die Beziehungen der Worte »Fahren – Fährlichkeit – Erfahrung« eine lohnende Betrachtung anstellen.
Wenn wir den Seefahrer mit einer symbolischen Brille ausstatten wollten, müßten wir ihm eine Brille verleihen, die ein schwarzes und ein rosiges Glas hat. Er sieht die Welt durch das schwarze Glas: Nichts leichter, als daß morgen ein Haifisch meine irdische Hülle zu Nahrungszwecken benützt, ein Haifisch oder eine Herde Pestbazillen oder sonstige gefräßige Lebewesen.
Und er sieht die Welt durch ein rosiges Glas, indem er lacht: Ach was, haben sie mich bisher nicht verspeist, werden sie mich hinfüro auch nicht vertilgen. – – –
Durch die erwähnte Brille schauend – Abschiedsstimmung und Hoffnung auf Wiedersehen – pilgerte ich gestern abend zum Zentrum des mädchenreichen Kamatipura. –
*
»Es ist alles ganz eitel.«
Der Prediger Salomo I. 2.
Mit der Sicherheit, womit man auf wohlvertrautem Wege wandelt, war ich in der Suklajistreet auf das Häuschen zugeschritten, in dem Ajame wohnt.
– Wunderbar, welch scharfes Auge sie hat! Vom Fenster aus hat sie mich erkannt, während ich unten durch die Gasse ging, und als ich die Treppe des Häuschens hinanstieg, da stand Ajame schon an der obersten Stufe, bereit, mich zu empfangen, und begrüßte mich freudig mit dem Rufe: »Hyge-san!«
Hyge-san! – Vor Jahren einmal, als mein japanischer Vokabelschatz größer war als heute, hatte ich ihr gutgelaunt gesagt, ich heiße: Hyge-san. – Sie war bereitwillig auf den Scherz eingegangen und fürderhin trug ich in dem japanischen Lusthäuschen den Namen »Hyge-san«. (Später einmal etwas über die Bedeutung des Wortes.)
»Hyge-san!« rief Ajame, beim oberen Stiegen-Ende harrend, sodaß ich beinahe empfinden wollte: es ist, als ob sie da gewartet hätte – seit –
Nach ein-jähriger Abwesenheit stehe ich meiner kleinen Freundin wieder gegenüber. In der Zeit meines Fernseins war ihr Bild aus meiner Erinnerung einigermaßen hinausgerückt und ich sehe sie heute gleichsam so, als würde ich sie zum ersten Mal erblicken, mit unbefangenen Augen, die Unbekanntes schauen.
Und mit solch verhältnismäßig unbeeinflußtem Urteil stelle ich die Betrachtung an: Wahrhaftig, sie sieht ganz reizend aus! Auch wenn ich mich nach Kräften von jeder verklärenden Illusion freizuhalten trachte, muß ich sagen, daß diese Tochter Japans sehr einladend wirkt, mit den in ihrer Art anmutigen Gesichtszügen, mit ihrem gewinnenden Benehmen, mit all der säuberlichen malerischen Zierlichkeit, in die ihr ganzes Wesen gehüllt ist.
Ajame führt den Gast stracks in ihr Stübchen, ohne ihm vorher eine besondere Empfangs-Förmlichkeit zu widmen, als wollte sie eine Gefühlsangelegenheit vor fremden Augen bewahren, vor den Blicken eines anderen japanischen Mädchens, das zur Zeit im Vorzimmer anwesend ist.
In ihrem Kämmerlein umarmt sie ihren Gast, nicht stürmisch-heftig, sondern in einer innigen, warmen, linden Zärtlichkeit. Und blickt mit einem liebevollen Ausdruck zu ihm auf und sagt: »My old friend Hyge-san …!« – Mein alter Freund Hyge-san! – In ihrer Stimme ist ein weicher Hauch von Rührung.
Auch ihr Freund ist bewegt; durch den lieben Empfang und durch das Wiedersehen.
Es ist ihm in diesem Stübchen wohlig-heimisch zumute, in den Armen Ajames fühlt er sich fast wie in den Armen einer Liebenden.
»Ich dachte schon« – sagt sie – »daß du nie wieder zu mir kommen wirst, niemals … Aber nun bist du wieder da.«
Im Bette wiederholt sie einigemale mit dem Ton zärtlichen Beglücktseins: My old friend Hygesan – –
– – – Es beginnt ein Meinungsaustausch über die Frage: Wie lang ist's her, daß wir einander kennen?
Sie sagt: Seit sechs Jahren.
Er ist genauer unterrichtet, hat die Kenntnis aus seinen Aufzeichnungen. »Wir sind jetzt im fünften Jahre unserer Bekanntschaft« berichtigt er.
In der Gesprächspause läßt er den Blick über die Gestalt dieses japanischen Mädchens gleiten, über den Körper, der ihm bekannt und vertraut ist. Im Kämmerlein ist die laue Schwüle des indischen Abends, schützende Bedeckung ist entbehrlich.
Er fragt, wie es ihrer Freundin Take-san gehe; – dem »Buona-sera-Mädchen«.
»Take-san ist nach Hause zurückgekehrt,« erzählt Ajame, »nach Japan.«
»Bist du manchmal mit ihr im Briefwechsel?« fragt Ajames Gast.
»Jawohl.«
»Dann bitte ich, ihr nächstens meine Grüße zu senden.«
Ajame verspricht es ihm und sagt Dank.
– – Eine Melancholie steigt ihm aus dem Gespräch, aus der Situation empor und läßt einen grauen Flor in seine Stimmung hineinflattern. – Das fünfte Jahr, daß ich dich kenne, – daß ich daherkomme, – – ein halbes Jahrzehnt –
Und eine Melodie will in ihm erklingen, die während der letzten Tage irgendwie in sein Herz hineingeraten ist:
»Alles ist eitel, – es ist alles eitel« …
Wie? bei dem trostlosen Bibelwort angelangt, das all unser Erleben als nichtig und unnütz und nicht-erlebenswert hinstellen möchte?
Die Melodie will sich nicht zum Schweigen bringen lassen, sie ertönt leise bis zum Augenblick des Abschieds. –
»Ajame-san, ich muß dich jetzt verlassen.«
Sie bietet ihm ihren kleinen zierlich-geformten Mund zum Kusse und er küßt sie; – zum ersten Mal, seit sie einander kennen, küßt er sie auf den Mund, – das erste und vielleicht auch das letzte Mal.
Sayonara! sagt sie. – Lebewohl!
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