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Wieder in Indien – Fett oder nicht-fett – Die armen Inderinnen

Bombay, Mai 19..

Zum zweitenmal in Bombay.

Diesmal mit dem Dampfer »Afrika«.

Jetzt ist's in Bombay tüchtig heiß, aber es ist eigentlich doch nicht so arg, wie ich erwartet habe. Man ist immerhin arbeitsfähig und arbeitslustig, die klimatischen Verhältnisse sind denn doch nicht so heillos, daß ihnen Leib und Seele schnöde erliegen müßten.

Ich habe gestern um die Mittagszeit in den Gartenanlagen von Bombay ausführlichere Spaziergänge absolviert, zu botanischen Studien-Zwecken, habe die Pflanzen und deren Namen-Täfelchen besichtigt und bin bei diesem Studium der Bombay-Flora dennoch nicht – meines Wissens – von einem Sonnenstich angefallen worden.

– – – Den billigen Übergang von der Bombay-Flora zu einer anderen Art von Bombay-Flora will ich mir nicht versagen. Da die Mädchen-Flora, die in Kamatipura, im Stadtviertel der Freudenmädchen, gedeiht, erst nach Sonnenuntergang ihre Blüten entfaltet, so wurden die botanischen Studien, die ich während der vergangenen Abende in der Suklajistreet und in den benachbarten Gassen betrieb, minder von klimatischen Schwierigkeiten behelligt.

Wenn ich das Wort »Studien« verwende, so will ich hiemit mir gegenüber sicherlich nicht die Tendenz meiner Kamatipura-Ausflüge beschönigen. Es ist möglich, daß diese Ausflüge einen nicht »rein-wissenschaftlichen« Charakter haben, ja ich darf überzeugt sein, daß sie einigermaßen auch von den sogenannten fleischlichen Interessen veranlaßt sind. – Tut nichts! – Ich sympathisiere mit dem wackeren Satz: »homo sum, humani nihil a me alienum puto.«

Das »nihil« hinlänglich unterstrichen.

Es ist anzunehmen, daß das gegenseitige Stärkeverhältnis der »rein-wissenschaftlichen« und der »fleischlichen« Interessen ziemlichen Schwankungen unterworfen ist; das eine Mal mögen jene stärker sein, ein andermal diese. Doch wie immer sich's auch mit den Triebfedern meiner Kamatipura-Ausflüge verhalten mag, sicher ist, daß meine nächtlichen Streifzüge durch Kamatipura die angenehme Folge haben: es ergibt sich Gelegenheit, die Zustände der indischen Eingeborenenstadt kennen zu lernen, Schlupfwinkel und Geheimnisse von Bombay zu erblicken, an welche ich vielleicht nimmer herangekommen wäre, wenn mich nicht das »homo sum etc.« zu ihnen hergeführt hätte.

Ich spaziere in irgend ein enges Nebengäßchen der Suklajistreet hinein und hier eröffnet mir dann und wann ein Zufall einen Rundblick auf Bombay-Verhältnisse, die eigentlich mit Freudenmädchentum in keinem unlöslichen Zusammenhange sind.

So weiß ich zum Beispiel nicht, ob ich jemals Gelegenheit gefunden hätte, in Behausungen der untersten indischen Volksklassen einzutreten und die Wohnungsverhältnisse kennen zu lernen, wenn mich nicht die Erwartung, dort ein Indermädchen zu finden, hineingeführt hätte. Ich meine hiemit nicht die käfigartigen Kammern im Erdgeschoß, hinter deren Gitterstäben indische »Freudenmädchen« harrend hocken. Man kann, auf der Straße stehend und von außen durch die Gittertür blickend, die Einrichtung des Käfigs ganz gut erkunden, ohne eintreten zu müssen, und zudem sind die Käfige keine richtigen »Privatwohnungen«, sondern spezifische Werkstätten des Freudenmädchens. Einem Käfig hab' ich vorderhand noch keinen Besuch abgestattet.

In der Umgebung der Suklajistreet findet man noch eine reichliche Zahl anderer Gassen, die ebenfalls Freudenmädchen beherbergen. Töchter gar verschiedener Völker.

Darunter gibt es indische Freudenmädchen, welche nicht in derartigen charakteristischen Gitterkammern, sondern in »Privatwohnungen« sich aufhalten; in Wohnungen, die mehr an ein Heim gemahnen und unter Umständen gemütlicher, heimischer anmuten. Der »öffentliche« Zweck ist an der Einrichtung ersichtlich, aber nicht mit dermaßen schroffer karger Einseitigkeit wie in den Käfigen.

*

Auch in den Nebengassen der Foras-Road – einer anderen Freudengasse des Bezirks Kamatipura – geht es recht ungezwungen zu. Während ich durch ein Gäßchen spaziere, gewahre ich einen Männerkopf, der gemütlich aus einem Bett hinausguckt.

Ich bleibe stehen und schau, was da los ist. Das Gäßchen ist ziemlich dunkel und da ich immerhin einige Schritte von der Hausreihe entfernt bin, darf ich voraussetzen, daß ich neugieriger Beobachter von den Insassen der Freudenstube nicht wahrgenommen werde.

Und ich bemerke folgendes Idyll: In der hellerleuchteten Erdgeschoß-Stube ein hohes Bett, ein sogenanntes »Himmelsbett«, aus dem der Kopf eines Inders, mit einem großen Turbantuch umschlungen, hinausblickt. Im Bette liegend sieht der Mann mit dem Ausdruck leidenschaftsloser Aufmerksamkeit auf den Fußboden nieder; hier hocken vier junge Inderinnen, Freudenmädchen, in ein Kartenspiel vertieft. Der Mann oben im Bett ist Zuschauer, er »kiebitzt« den kartenspielenden Mägdelein.

Die Situation ist klar. Der Inder ist ein Gast dieser Liebeskammer. Er hat offenbar vor kurzem dort auf dem Bett in Gesellschaft eines Mädchens dem Trieb, der ihn hiehergeführt, Genüge getan und er verweilt noch ein wenig, indes die Gefährtin seiner Freude, nachdem sie ihre Buhlpflicht erledigt, das Lager verlassen hat, um jetzt, als wäre nichts geschehen, mit ihren drei Freundinnen ein Kartenspiel zu beginnen oder vielleicht das Spiel, das durch den Eintritt des Besuchers unterbrochen worden, fortzusetzen.

– Als wäre nichts geschehen. Und es hat sich ja auch wirklich nichts zugetragen, was geeignet wäre, der mitwirkenden Teilnehmerin als etwas Besonderes zu erscheinen. Sie hat ihren Berufsakt ausgeübt, hat dem Gast ordnungsgemäß das geleistet, was er mit seinem Geld gekauft hat, und nun kehrt sie wieder seelenruhig zu ihrer Kartenbelustigung zurück.

Ein Kartenspielchen, dann ein bißchen sexual-gewerbliche Betätigung, dann wieder ein Kartenspielchen.

Und der Mann im Bette denkt: »Ich ruh' noch ein Weilchen aus. Ich hab' für meinen Platz da auf diesem Lager gezahlt, – es wird hoffentlich gestattet sein, daß ich noch eine Zeitlang bleibe.«

So ist die Liebe hier in den Liebesgassen.

*

Unter den indischen Buhlerinnen, die mir bisher vor Augen gekommen, waren sehr viele äußerst schlanke, – um nicht zu sagen: magere.

Auch unter den Ehrbaren, den ehrbaren indischen Mädchen und Frauen, die man in den Straßen von Bombay sieht, ist die Hagerkeit sehr verbreitet, zumal in der Frauenwelt der unteren Volksklassen.

In Bombay, – im Europäerviertel und in den Stadtteilen der Eingeborenen und in der Hafengegend, – hat ja der Spaziergänger reichlich Gelegenheit, Inderinnen zu sehen, zu betrachten. Sie haben kleine oder mittelgroße, gut-proportionierte Statur, aufrechte Haltung, ungezwungen-geschmeidige Gehweise. Wenn ich von Inderinnen spreche, so meine ich vor allem die Frauen und Mädchen der Hindu-Bevölkerung. Die Mohammedanerin, die ehrbare Mohammedanerin, ist in Bombay, in der Öffentlichkeit des Straßenlebens, selten zu erblicken.

Ich will nun durchaus nicht schlankweg die Regel aufstellen, daß hier auf dem Boden von Bombay die mageren Hindufrauen in der Mehrheit sind, oder gar in einer überwiegenden Mehrheit. Vielleicht sind sie's tatsächlich, – ich kann nichts Bestimmtes über diesen wissenswerten Gegenstand aussagen. Ich habe weder die Mageren gezählt, noch auch die Fetten und so bin ich außerstande, ein konkretes verläßliches Ziffernmaterial zu liefern, das einen Statistiker befriedigen könnte.

Allein es ist jedenfalls sicher, daß ich zuvörderst, auf den ersten Blick, in Bombay den Eindruck hatte: Du lieber Himmel, mich dünkt, ich bin gerade während der sieben dürren Jahre nach Bombay gekommen. Die Damenschlankheit scheint hier endemisch zu sein! Das zartere Geschlecht ist wirklich recht zart!

Es ist aber auch weiterhin sicher, daß man, genauer beobachtend, denn doch eine schöne Anzahl von Hindufrauen und Hindumädchen wahrnimmt, die gewiß nicht als mager bezeichnet werden können, und daß man hierauf sein ursprüngliches absprechendes Urteil korrigiert, ohne es jedoch geradezu umzustoßen.

Freilich, eine gründlich und allseits Fette, ein wuchtig dickes Frauenexemplar, wie man deren auf dem europäischen Kontinent oder nicht selten in der Levante zu sehen bekommt, habe ich meines Erinnerns unter der Hindu-Weiblichkeit von Bombay bisher überhaupt nicht bemerkt.

Da ich nun schon einmal in das anthropologische Problem »Fett oder nicht-fett« hinabgetaucht bin, so möchte ich mir auch Klarheit verschaffen, weshalb denn dem Reisenden, dem Neu-Ankömmling in Indien, die eingeborenen Frauen so fleischarm erscheinen.

Die Beine der Mädchen und Frauen sind es, die uns zu diesem Urteil bringen. Die Beine, die unteren Extremitäten.

Als ich von den »Fleischmädchen« sprach, erwähnte ich, daß die Tracht der minder bemittelten Hindufrauen recht kümmerlich ist. Als einzige Rock- und Schoßkleidung tragen sie ein hosenartig verschlungenes Stück Zeug, das sich wie eine lockere Bandage um den oberen Teil der Oberschenkel und um den Unterleib legt und ein Stück Oberschenkel und die Unterschenkel entblößt läßt.

Da sieht man nun allerdings zumeist sehr schlanke Frauenbeine. Schön geformt, zierliche Knöchelgegend, aber just mit dem Nötigsten an Fleisch ausgestattet.

Und es kann nicht verschwiegen werden, daß man das eine und das andere Mal in Bombay auch Frauenbeine bemerkt, die mehr als billig mager sind.

Der gewissenhafte Forscher wird auch das Weshalb? und Woher? dieser somatischen Eigenheit ergründen wollen und er wird zur Ansicht gelangen, daß die Schmächtigkeit der erörterten indischen Frauenbeine zum Teil eine konstitutionelle Rassen-Eigentümlichkeit sein mag, zum Teil jedoch als eine Folge-Erscheinung der Ernährung betrachtet werden muß.

Die Mahlzeiten, die den Inderinnen der unteren Bevölkerungsklassen beschieden sind, enthalten kein Übermaß an Nährstoffen. Doch, wie gesagt, es ist außer der landesüblichen Verköstigungsweise auch die Rassenanlage mitwirkend. Man sieht eine hinlängliche Menge schmalgebauter hagerer Leute, die ersichtlich und offenkundig den wohlhabenden Ständen angehören und nicht genötigt sind, sich mit schmalen Bissen zu begnügen. –

Um jedoch wieder zu den Hindufrauenbeinen zurückzukehren, – der Betrachter wird verführt zur Folgerung: ich sehe schlanke Beine, – wie mager sind doch diese Frauen!

Er schließt aus der Einzelheit auf die Gesamtbeschaffenheit des Körpers. Manchmal kommt er zu einem richtigen Schlusse, manchmal kann's ihm jedoch passieren, daß er sich sehr täuscht. Es ist nicht alles so mager wie es scheint.

Wenn man aufmerksamer beobachtet, wenn man den Oberkörper der Inderinnen ins Auge faßt, – und das sehr kurze, eng an die Haut sich anschmiegende Leibchen kann die Formen nicht verschweigen, – dann wird man in den Straßen von Bombay oft genug die Entdeckung machen: die Beine sind recht schmächtig, in ihrer ganzen Ausdehnung, und auch die seitlichen Leibeskonturen bezeugen Schlankheit, ja Zartheit, aber siehe, welch voll und reich entwickelte Brüste!

Als hätte Mutter Natur in weiser Fürsorge sich von der Erwägung leiten lassen: mögen die anderen Körperformen karg zugemessen sein, – das eine Organ, das ich zur Wohlfahrt des Säuglings brauche, zu Nutz und Frommen der Gattung, das darf mir nicht verkümmert werden.

– Man hat dergestalt in den Gassen von Bombay, in der Tramway, an Bord des Dampfers hinlänglich Gelegenheit, die Weisheit der Natur zu bewundern, sowohl die verhüllte als auch die unverhüllte, und man wird dabei nicht umhin können, seine Urteile in der Frage »Mager oder nicht-mager?« zu prüfen und mit den Tatsachen in Einklang zu bringen.

*

Die Suklajistreet ist, wie ich seinerzeit berichtet habe, gewissermaßen die Zentralgasse des Freudenstadtteiles Kamatipura, in ihr lebt und liebt ein bunter Schwarm verschiedenartiger Buhlerinnen: Japanerinnen, Inderinnen, Somali-Mädchen, Europäerinnen und andere.

Die erste Freudenmädchengasse von Bombay, die ich im Feber dieses Jahres, während meiner ersten Bombay-Reise kennen lernte, war eben die Suklajistreet und sie zeigte mir wie in einem Extrakt, wie in einer gedrängten Übersicht, den Inhalt des ganzen Freudenmädchen-Bezirkes.

*

Die Hindu-Mädchen – und im weiteren Sinne die Inderinnen – sind unter allen Freudenmädchen von Bombay die am wenigsten geschätzten.

Das ist eigentlich einigermaßen merkwürdig. Denn manches indische Mädchen ist in Gesichts- und Körpergestaltung manchem Kamatipura-Mädchen anderen Volksstammes zum mindesten ebenwertig. Aber: nemo propheta in patria.

Außerdem verstehen die indischen Mädchen nicht, »sich in Szene zu setzen«. Zumeist treten sie als bettelarme Geschöpfe ins Freudenmädchentum ein und diese Anfangsarmut ist der Urgrund, auf dem ihre lebenslängliche Dürftigkeit zustande kommt; weil sie von Beginn an so arm sind, bescheiden sie sich mit sehr geringen Lohnforderungen und entwerten sich solcherart selber.

Denn in Kamatipura und auf dergleichen Märkten gilt das Gesetz: einen je geringeren Preis die Hetäre verlangt, desto geringeren Wert mißt ihr der Mann bei.

In dem Mann entsteht die Suggestion: sie mag wenig wert sein, da sie selber ihren Preis so niedrig ansetzt.

Man taxiert den Wert nach dem Preis. Sie gibt sich wenig Preis, um weniges »gibt sie sich preis«, sie bietet sich »sehr preiswert« an und erscheint dadurch weniger wert, – weniger begehrenswert.

Circulus: weil sie arm, des Geldes sehr bedürftig ist, fordert sie wenig Geld; weil sie wenig fordert, bleibt sie arm und dürftig. Würde sie mehr verlangen, würde sie mehr verlangt sein. Und wäre sie mehr begehrt, dürfte sie sich's erlauben, mehr zu begehren.

Als ich jüngst wieder mal in Gesellschaft; die Suklajistreet besuchte, wollten wir auch in die Preisverhältnisse Einblick gewinnen, wir machten auf unserem Spaziergang vor mehreren Käfigen Halt und befragten die indischen Insassinnen, wie viel ihre Taxe betrage.

Das englische »How much?«, die Frage: »Wie viel?«, wird von vielen indischen Mädchen verstanden, mögen deren fremdsprachliche Kenntnisse im übrigen auch noch so spärlich sein. »How much?« und die englischen Vokabeln der nötigsten Zahlwörter sind in Kamatipura wichtige termini technici des Berufswortschatzes.

Auf unsere Anfrage wurde uns für gewöhnlich geantwortet: 1 Rupie.

Aber auch 8 Annas, also ½ Rupie, wurde da und dort als Taxe angegeben.

8 Annas, – das sind ungefähr 67 Pfennige …

Und die Fama berichtet in Bombay, daß diese armen Geschöpfe in berücksichtigenswerten Fällen ihren Leib sogar noch um geringeren Preis verleihen, in Fällen, wo sich's um eingeborene Besucher handelt.

Ins Bereich des oben erwähnten unerbittlichen Circulus, der diese indischen Freudenmädchen aus ihrer Armut nicht hinausläßt, gehört auch die klägliche Beschaffenheit der vergitterten Zelle.

Da sie arm sind, sind sie nicht in der Lage, den lockenden Rahmen einer hübschen Wohnung zu beschaffen, und da ihre Wohnung so wenig anziehend ist, bleiben die Mädchen arm an Besuchern und Einkünften.

Wenn auch vielleicht das eine oder andere dieser indischen Kamatipura-Mädchen Verständnis dafür hat, wie viel in erotischen Angelegenheiten auf Rahmen, Kostümierung und Hintergrund ankommt, welche Werbekraft von der nett bemalten Kulisse ausgeht, so gebricht es den armen braunen Mädchen hier in Bombay dennoch an Geldmitteln zur Realisierung solcher Erkenntnis.


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