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Der tolle Streich, der im Restaurant des Palace Hotels in St. Louis mit ein wenig Geplauder und einem völlig unmotivierten Scheck begann, sollte mein letzter werden im Lande der Unruhe, und sechs kunterbunte, zappelige, grell ereignisreiche Wanderjahre nett symbolisch beschließen. Aber hübsch der Reihe nach –
Es war in Galveston:
»Jawohl, Herr – Eis-Tee!« sagte der Negerkellner, rollte die Augen, wie alle Neger es aus unerfindlichen Gründen tun, und grinste, wie alle Neger ohne besondere Ursache grinsen. Es war drückend heiß. Ich fühlte, wie mein Kragen sich langsam in seinen ungestärkten Urzustand zurückverwandelte, und wunderte mich, ob es wohl der Mühe wert sein würde, wenn ich die ungeheure Energie aufwendete, eine Treppe hoch zu meinem Zimmer zu steigen und einen neuen umzubinden. Mit unendlicher Faulheit, beschleunigte doch jede Bewegung das Erweichen des Kragens, sah ich mich um. Einige Herren in weißem Leinen oder gelber Rohseide sahen in den Korbstühlen des Rauchzimmers, Fliegen kletterten an dem elektrischen Kronleuchter des Planters Hotel hinauf und hinab, ein trotz allen Drahtgitterschutzes eingedrungener Moskito jagte vergnügt surrend nach Blutbeute. Da waren vortrefflich gedeihende Palmen, reiner gelber Sand auf dem Boden, aber schmutzige Fenster, rauchgraue Vorhänge, zerbrochene Rückenlehnen der Stühle als Symbole der zeitgeheiligten Schlamperei des amerikanischen Südens. In mir war keine Mißbilligung. »Der Teufel mag energisch sein in dieser Hitze!« dachte ich mir nur und träumte von der Farm hundert Meilen weit weg und den Baumwollfeldern und dem kleinen Texasstädtchen und den alten lieben Menschen. Wie hoch ich über dem Erleben vor sechs Jahren stand! Wie alt ich jetzt war und weise! Wie anders würde ich das heute anfangen, und doch, wie schön war es gewesen – – ein Zusammenfahren, ein blitzschnelles Zuschlagen der Hand – da hatte Freund Moskito eingestochen. Genüßlich schlürfte ich den eisigen Tee.
Und mit einemmal war mir zumute, als säße ich auf den Knien einer Gottheit und wartete still des schicksalbestimmenden Willens.
»Na, immer noch nicht gehenkt?« sagte eine sonore Stimme.
Und ich fuhr empor wie aus der Pistole geschossen, weil tief innen in mir gewaltige Erregung war, und stotterte ein idiotisches » How d' you do, Haveland; sehr erfreut, dich zu sehen ...«
»Guten Tag, lieber Junge!« sagte Frederick Haveland und grinste. »Heiß, nicht wahr? Nun, auf der Karibischen See wird es noch viel heißer sein. Wir wollen aus dem Eistee einen Whisky und Soda machen, wenn es dir gefällig ist, und uns mit Geschäften befassen. Zeit drängt ziemlich. Ich habe mit einem Mann in Chicago geredet und meine letzten Informationen erhalten. Danach sehen die Dinge so aus, wie ich es befürchtet hatte. Unser Mann sitzt in einem Landhaus – was man so ein Landhaus nennt in Venezuela – nicht weit von La Guayra, was wiederum nicht weit von Caracas ist, verkonsumiert ungeheure Mengen Chinin und hat sich verrechnet. Es ist eine lange Geschichte, die ich dir ganz gewiß nicht erzählen werde. Nur soviel: Unser Mann glaubt, daß Cipriano Castro im Fallen ist, spekuliert auf politische Baisse mit einer halben Million Schatzscheine der Vereinigten Staaten, die anderen Leuten gehören, pflegt schlechten Umgang und ist eigensinnig; mir aber wissen seit vierundzwanzig Stunden, daß Präsident Castro trotz aller internationaler Verwicklungen fest im Sattel sitzt, und haben entsprechende Schritte getan. Teils übers Kabel, teils durch einen Mann, der jetzt auf dem Neuorleaner Postdampfer wohl schon unterwegs ist. Ich für meinen Teil habe nun die nette Aufgabe, unseren Mann, der viel weiß, sehr große Verdienste hat und einen ganz eigenen Kopf, eines Besseren zu belehren und ihn aus den Händen von Leuten zu befreien, die das Verbrechen begehen, die verlierende Seite darzustellen.«
»Daraus soll der Teufel klug werden,« sagte ich ärgerlich. »Wofür hältst du mich eigentlich?«
»Glaubtest du etwa, ich würde dir Informationen auf den Tisch legen, deren Wert nicht zu ermessen ist?« fragte er eisig kalt. »Geschäft ist Geschäft. Dies ist ein Geschäft ohne Reden. Möglich ist, daß eine Zeitungssache ersten Ranges daraus wird, die ich dir überlasse: sicher ist, daß deine Ausgaben überreichlich gedeckt werden. Großer Gott! Ich dachte, du seist ein Praktikus und ein Draufgänger!«
»Ich habe nachgedacht,« sagte ich.
»Und was ist das Resultat?« sagte Haveland scharf.
»Eine Frage: Weshalb brauchst gerade du gerade mich?«
»Deswegen: Weil Enthusiasten, die auf Kirchhöfen herumkriechen, entweder nicht gerade häufig sind oder aber gefährlich – weil ich Leute mitnehmen muß, so zwanzig Mann – weil ich mit der Sorte nicht umgehen kann, denn mich würden sie wahrscheinlich totschlagen – weil ich glaube, daß du der rechte Mann bist – und weil ich für junge Menschen etwas übrig habe ...«
»Abgemacht!« sagte ich kurz.
Ich sehe die Szene vor mir, den Raum. Seine Korbstühle, seine kleinen Tischchen mit Kupferplatten, die Gläser auf ihnen, seine gleichgültigen Menschen, die stumpf rauchten, die Hüte im Nacken, oder flüsternd miteinander sprachen. Den Mann. Sein hartgeschnittenes Gesicht mit dem ewigen Lächeln, seinen schönen Mund mit dem eckigen Härtezug um die Winkel, seine lässige Haltung, sein Selbstbewußtsein, das beherrschte und überzeugte ohne viel Worte, als ob Energiefunken übersprängen von einem Menschen auf den andern. Und ein Lächeln stiehlt sich über mich. Wenn mir Haveland damals gesagt hätte, er gedenke, sich zum Präsidenten von Venezuela zu machen und mich zu seinem Kriegsminister, so würde ich das eine höchst verständige und ungemein begeisternde Proposition gefunden haben...
»Ich bin gebunden,« fuhr er fort. »Ich werde dir sagen, was und wieviel ich sagen kann.«
Da fragte ich nichts mehr.
*
Eine Stunde später war ich Flibustier geworden und befand mich in scharfem Konflikt mit den Gesetzen der Vereinigten Staaten.
Denn ich warb Männer für eine bewaffnete Expedition nach einem fremden Land. Nichts anderes war es im Grunde. Mir freilich bedeutete es nicht mehr als einen tollen Streich so ganz nach meinem Herzen, der durch das lockende große Ereignis nicht nur völlig gerechtfertigt wurde, sondern einen großartigen Zug annahm, heroischen Charakter. Herrgott, was waren das für Zeiten! Das vererbte Soldatenblut regte sich. Frau Phantasie und Herr Leichtsinn, ständige und getreue Mitarbeiter eines der größeren Gemächer im Lausbubengehirn, müssen seine Tage gehabt haben. Ich hatte mich außer im Planters Hotel augenblicklich noch in einem zweiten, billigen Hotel eingemietet, unter dem schönen Namen eines Mr. John Smith aus Chicago, und ein billiges Köfferchen mitgebracht, nagelneu, in dem ein nagelneuer fertiggekaufter Anzug verborgen war: ein Anzug, wie ihn ein beliebiger Galvestoner der einfacheren Klassen getragen haben würde. Für die Maskerade und das ständige Wechseln vom einfachen Hotel zum Planter's House und zurück – ich war bald da, bald dort – sprachen gute Gründe: es sollte der Neugier nicht so leicht werden, festzustellen, wer ich war.
Heidi, wie schlau ich mich dünkte! Wie vorsichtig und gewitzigt ich mir vorkam! Nun trug wirklich, so schien es mir, das Erleben in den Wanderjahren auf dem Schienenstrang seine praktischen Früchte. Ich, ego, moi même, ich und nur ich, das Ich mit einem großen Wir von Gottes Gnaden geschrieben, war doch ein ganz verteufelter Kerl, denn ich wußte, wo man die Männer zum Abenteuern herbekam und wie man mit ihnen redete und auf welche Weise solch' eine kitzliche Angelegenheit eingeleitet werden mußte!
Wo Kohlenhaufen am Frachtbahnhofende ein gutes Versteck boten für Eisenbahnwanderer, wo leere Frachtwagen bei den Lokomotivenschuppen urbilliges Obdach anzeigten, wo in den Sträßchen dicht am Schienenstrang in kleinen Wirtschaften billiges Bier verkauft wurde, da waren die Männer zu finden, die man für Venezuela brauchte. Die Richtigen ließen sich leicht unterscheiden von den Falschen. Drückt doch das harte Trampleben dem Eisenbahnwanderer bald einen leicht lesbaren Stempel auf. Der Lebensschwache verludert, wird scheu, hat etwas Unterwürfiges, während der richtige Bruder Sausewind klare Augen und lustigen Sinn sich bewahrt.
So einen fand ich in der ersten Viertelstunde.
Er hopste gerade aus einem leeren Frachtwagen eines langsam einfahrenden Zuges. Brennend rotes Haar hatte er, das vergnügt unter der Mütze hervorguckte, ein lustiges Gesicht, und eine sechs Fuß hohe Gestalt. Hosen und Rock waren ganz ordentlich.
»Hier! Jack!« rief ich.
Der Mann drehte sich um. »Schon wieder einer!« sagte er gedehnt im weichen Englisch der Weststaaten. »'s scheint mir, als ob's 'n bißchen zu viel Eisenbahnpolizei gäbe in dieser Höllengegend, für meinen bescheidenen Geschmack wenigstens. Well, and that's allright. Kann's nicht ändern. Wieviel brummen sie einem auf für das bißchen Spazierenfahren in eurem verdammten Loch von der Stadt?«
»Weiß ich nicht,« grinste ich. »Trinken wir ein Glas Bier?«
»Trinken wir – well, ich will Methodistenpfarrer werden, wenn das nich' komisch ist! Wie heißt das Spiel? Heilsarmee?«
»Nein.«
»Hm, die operieren auch nicht mit Bier. Na, Polizei sind Sie keinesfalls. Also her mit dem Bier!« – Da waren wir schon in dem kleinen saloon gegenüber. »Meinen Respekt!« sagte der Mann mit den roten Haaren.
»So!« sagte ich. »Können Sie Arbeit gebrauchen?«
»Etwas ungewöhnliche Arbeit.«
»Das hört sich fischig an,« sagte der Rote gemütlich. »Einbrechen is nich'! Jemand umbringen is nich'! Jemand hauen is nich' – das mach' ich nur zum Vergnügen. Aber das Bier ist gut! Weiter!«
Und er lachte mich seelenvergnügt an.
Ich entschied rasch, daß mein Mann einer von der richtigen Sorte war, und entschloß mich augenblicklich, nicht mehr lange auf dem Busch herumzuklopfen. Ueberdies drängte die Zeit.
»Es mag etwas für Sie sein,« sagte ich, »und es mag nicht etwas für Sie sein, aber ich habe viele Leute vom Schienenstrang gekannt, und wenn Sie mir in drei Worten sagen, was Sie treiben, so will ich Geschäft mit Ihnen reden.«
Nun ging es blitzschnell:
»Nevada-Mann,« sagte er. »Carson City. Silberminen gearbeitet – verdammter Narr gewesen und mit dem bißchen Ersparten auf Silber prospektet – Kuhtreiber dann – wieder Silberminen – Kuba mit Rauhen Reitern ...«
»Was!« ruf ich.
»Roosevelt – Rauhe Reiter – hab' mein Entlassungspapier als Korporal übrigens in der Tasche, 'rumgewurstelt – setz' mir in den Kopf, daß ich den sonnigen Süden 'mal sehen will, is aber eine Saugegend. Das war' alles.«
» Allright,« sagte ich. »Zeitungsmann – Zeitungssache an Hand, – handelt sich um eine Geschichte, die mit einer Dampferfahrt anfängt, irgendwohin, und vielleicht damit endigt, daß man sich seiner Haut ein bißchen wehren muß, und zwar gegen Niggers – dazu brauche ich ein Dutzend Männer, auf die man sich verlassen kann – Sache dauert etwa fünf Wochen – fünfundzwanzig Dollars per Woche – und nach meinem besten Wissen tragen ich und mein Freund das wirkliche Risiko und nicht die Männer mit uns. Das wäre so ungefähr die Idee. Jawohl und hier sind fünf Dollars, damit Sie den Mund halten. Habe ich darin falsch kalkuliert?«
»Nee!« sagte der Rothaarige. »Das nenn' ich reden. Stell' mir vor, daß es so'n bißchen Waffenschmuggel ist nach Haiti oder Südamerika, was der Sohn meines Vaters nich' sündhaft findet. Und – für fünfundzwanzig Dollars in der Woche rutsch' ich augenblicklich nach der Hölle und wieder zurück, immer vorausgesetzt, daß ich nicht 'n Spitzbube sein muß dabei! Danke schön und willkommen – das nenn' ich Geschäft reden!«
So fand ich den ersten richtigen Mann.
Jack – einen anderen Namen hat er nie genannt, und ich habe nie einen anderen wissen wollen – ging mit Feuereifer ins Zeug. Er redete wenig und fragte nichts. Aber er war es, der in einer Nacht und einem halben Tag den Fremdenverkehr Galvestones, soweit er aus Männern ohne Hab und Gut bestand, so gründlich durchsiebte, daß mir wenig mehr zu tun übrig blieb, als Ja und Amen zu sagen. Wir trafen uns alle zwei oder drei Stunden in verschiedenen kleinen Wirtschaften oder abgelegenen Winkeln des Frachtbahnhofs, und jedesmal brachte Jack Rekruten mit. Da waren drei frühere Reguläre, ein Sergeant darunter, – zwei Irländer, die sich schmunzelnd die Lippen leckten, als sie erfuhren, daß die Aussichten auf eine Rauferei nicht schlecht seien: zwei verwitterte alte Gesellen, die vor undenklichen Zeiten Vorarbeiter im Panamakanal gewesen waren: ein paar Cowboys, und etliche junge Menschen ohne Gepräge, aber stark, jung, gesund, und weltweise in der Art des amerikanischen Westens – sechzehn Mann.
»Nette Bande!« sagte Haveland, als ich ihm erzählte.
»Mir gefallen sie ausgezeichnet!« sagte ich. »Daß man dir für deine doch etwas abseits des Hergebrachten liegenden Zwecke brave Sonntagsschüler mit glänzenden Charakterzeugnissen zur Verfügung stellt, kannst du übrigens nicht verlangen!«
»N–no!« meinte er grinsend. »Halte sie aber lieber im Zügel von allem Anfang an!«
»Selbstverständlich!« antwortete ich kalt.
Denn da mit dem Amt zwar nicht immer der Verstand, aber ganz bestimmt die Anmaßung kommt, so bestand für mich gar kein Zweifel darüber, daß meine sechzehn Mann gutwillig oder böswillig nach meiner Pfeife zu tanzen hatten ...
Jack war prima! Ganz von selber hatte er sich zu einer Art Adjutanten gemacht, schafherdete die Gesellschaft, verteilte sie auf Einlogierhäuser, zahlmeisterte halbdollarweise Amüsiergeld, hielt alles in gutem Humor, und log wie Ananias, wenn er mit Fragen geplagt wurde. Ich selber hatte in diesen verrückten drei Tagen die Hände so voll Arbeit, daß ich kaum zur Besinnung kam, und war so seelenvergnügt dabei, daß ich mich um alle Welt nicht zur reinen Vernunft hätte zwingen können. Halb Zeitungsmann sein, halb Glückssoldat, halb praktisch deichseln, halb nebelhaft ins Unbekannte hineinträumen – das war so die richtige Mischung für mein Ich von Anno dazumal. Da sollte man wägen, fragen, zaudern? Nein, Tropenanzüge für die Bande mußte man vorsichtig zusammenkaufen: Wäsche, Kautabak, Pfeifentabak, Revolver, gute starke Messer, vernünftigen Proviant und weiß Gott was alles. Oh, es war sehr schön!
Ich gäbe so manchen Tausendmarkschein darum, wenn ich noch ein einzigesmal genau so jung, genau so töricht und genau so absolut glücklich und zufrieden sein könnte – – –
*
Haveland arbeitete mit subtileren Mitteln.
Da war immer »ein Mann, den er kannte«, und Arrangements, die längst verabredet waren, und gewichtige Schecks, die Wunder wirkten, und über allem seinem Tun lag ein geheimnisvoller Schleier. Es ist mir die lustigste Erinnerung, die sich an diesen verrückten Streich knüpft, daß ich so kindlich bescheiden, so herzerquickend simpel mit den mageren Aufklärungen zufrieden war, die Mr. Geheimnistuer Haveland gütigst zu machen geruhte. Oh, ich wußte gar nichts! Ich weiß heute noch nicht viel, denn die Ereignisse sorgten dafür, daß die Zusammenhänge mir verborgen blieben. Ich wußte nicht, wer alles die Hände im Spiel hatte; ich wußte nicht, was das Endziel eigentlich war: die Gefahr, den Zweck, das Objekt – ich kannte sie nicht. Scherte mich auch den Kuckuck darum. Kann man doch wie betrunken werden von Abenteuerlichkeiten. Man sieht unklar, träumt im Wachen. Ich fand durchaus nichts besonderes darin, daß Haveland kaum zwanzig Worte auf die Mitteilung verwendete, wir würden heute nacht pull out, 'rausrutschen: ich wagte nicht, Fragen darüber zu stellen, wie es kam, daß ein Dampfer fix und fertig für uns dalag: ich war nur sonnenvergnügt, völlig zufrieden damit, das Meinige, das Naheliegende zu tun, als getreuer Vasall, und irgend etwas Unerhörtes zu erwarten.
Freilich, wenn ich heute Haveland erwischen könnte –
Aber immer hübsch der Reihe nach.
Nachts um elf Uhr begaben wir uns auf den Galvestoner Frachtbahnhof und zwar auf krummen Wegen. Hinten herum. Wir kletterten über Zäune und stolperten über Kohlenhaufen. Jack fanden wir an der Stelle, die ich verabredet hatte, und ein leiser Pfiff brachte hinter Frachtwagen und Böschungen hervor meine Leute zusammen. Vorsichtig schlichen wir dem roten Licht zu, das am Frachtbahnhofende vom Hauptgeleise leuchtete, stiegen rasch in den leeren Wagen – ein kurzes »Abdampfen, Jimmy!« des conductors – und der Zug setzte sich in Bewegung. Er bestand aus einer Lokomotive und zwei Frachtwagen; in dem ersten Wagen war unser Gepäck, im zweiten hockten wir. Wie Haveland das gemacht hatte, inwiefern die Eisenbahngesellschaft beteiligt war, das wußte ich nicht. Aber der Trick war kindlich einfach.
Nach zehn Minuten Fahrt hielten wir in einem Hafenschuppen am Wasserrand. Die Lokomotive koppelte ab, dampfte zurück, woher sie gekommen war, und die Tore wurden sofort geschlossen. In einer halben Stunde waren die Kisten und die Säcke an Bord des kleinen Dampfers gebracht, der am Wassertor des Schuppens lag, und wir selbst alle miteinander in einem Winkel des Laderaums höchst ungemütlich verstaut, ohne daß irgend jemand draußen auch nur hätte ahnen können, was in dem Schuppen und dem Dampfer vorging – worauf wir und insbesondere Haveland einiges Gewicht legten. Gesellschaftliche Beziehungen zur Hafenpolizei waren uns augenblicklich sehr unerwünscht! Die Nachtstunden in dem übelriechenden Loch wären langweilig gewesen, wenn nicht Jack, das Juwel, immerwährend Geschichten von Pferdedieben und Richter Lynch und Minenkönigen Nevadas erzählt hätte, die uns die leise bestehende Verstimmung vergessen ließen. Ich hatte nämlich verschiedene Whiskyflaschen konfiszieren müssen. Und so etwas nimmt ein Glückssoldat leicht übel ...
Schrille Glockentöne erklangen lärmend – ding – ding, ding – ding, ding, ding.
»'s geht los!« sagte Haveland, die Mundwinkel nervös zusammenziehend.
Wir saßen da, mit einemmal stille geworden. Gedröhne, Gepolter, Geräusche. Die Schiffswände erzitterten, die Schraube begann zu arbeiten, die Glocken klingelten, und langsam wurde aus dem Wirrwarr von Geräuschen der stete Arbeitstakt des Schiffes. Eine Stunde mochte vergangen sein, als durch die Luke herab eine knarrende Stimme rief:
»Sie mögen an Deck kommen, meine Herren!«
Wir kletterten die Leiter hinauf.
»Der Bootsmann wird Ihren Leuten die Quartiere zeigen, Mr. Haveland,« sagte ein kleiner Mann mit fuchsigem Spitzbart, schlichten knappsitzenden blauen Kleidern, kecker Mütze. »Darf ich die Herren in den Kartenraum bitten? Steward, drei Gläser, eine Flasche und einen Syphon!«
»Jack, sieh zu, daß alles in Ordnung ist,« warf ich hin.
»Kapitän Boardmann – mein Freund und Partner Carlé,« stellte Haveland vor.
»Well,« sagte der Kapitän, »sehr erfreut, Mr. – was ist es – Carley? Wir trinken, wenn es Ihnen beliebt, meine Herren, auf glatte Fahrt und einsamen Weg. Ich muß auf die Brücke. Ich habe die Steuermannskabinen für die Herren zurechtmachen lassen – dies ist sozusagen kein Passagierschiff. Steuermann haust beim Ingenieur – auf'm Boden – Matratze – nee, ein Passagierschiff ist dies nicht. Sonst alles in Ordnung, sir« (zu Haveland). »Gu–uten Morgen!«
Der Kartenraum war ein Loch.
»Dreckiger, alter Kasten,« sagte ich.
»N'n' ja,« grinste Haveland. »Boardmann, der alte Spitzbube – er ist Kapitän und Eigentümer zugleich – beabsichtigt auch gar nicht, an Schönheitskonkurrenzen für Trampdampfer teilzunehmen. Aber seine Maschinen sind tadellos in Ordnung. Sie kosten ihm ein Drittel der Profite. Schnellstes Schiff in der Gegend. Wir haben forcierten Kesselzug und Hilfs-Oelfeuerung und doppeltes Maschinenpersonal, in Summa sechzehn Seemeilen die Stunde, was kein Mensch ahnt. Dja. Für Anstrich jedoch gibt er keinen Pfennig aus. Wir sind 'n prima Kern in dreckiger Schale, mein Sohn!«
»Was meint er mit dem einsamen Weg?«
»Hm. Na, können ja darüber reden. Wir haben eine Ladung für Caracas, Schnellfeuergeschütze und Mausers und Patronen für die venezolanische Regierung, was ganz rechtmäßig ist... Unsere Papiere sind völlig in Ordnung.«
Ich pfiff grell durch die Zähne und fiel beinahe auf den Rücken vor Erstaunen.
»Aber,« fuhr Haveland fort, »unter Umständen können auch – hm – andere Leute unsere Maxims und die Patronen und so weiter kriegen. Ist Gefühlssache. Na, und wir möchten gern niemand begegnen, weil wir vorher, vor unserer eventuellen Ankunft in La Guayra, das ist nämlich der Hafen von Caracas, gänzlich inoffiziell unseren kleinen Abstecher zu unserem bewußten Mann machen, was wir uns bei unserer Geschwindigkeit erlauben können. Dja – es ist kompliziert. Halte um Gotteswillen deine Leute in Ordnung. Hast du einen Revolver in der Tasche?«
»Zwei!« sagte ich vergnügt. »Und unsere Route?«
»Gott! Karibische See! Sieh' doch auf die Karte!«
Und kein Wort mehr brachte ich aus ihm heraus, war so recht Haveland.
Stampfe – stampfe – ging das Schiff seinen unerbittlichen Weg. Im steten Dahinfliegen von Dampfern liegt etwas wie die Unabänderlichkeit des Schicksals. Immer gerade aus. Immer vorwärts. Es war gelbnebelig draußen, und drückend heiß schon, trotzdem die Sonne kaum aufgegangen war. Ich stolperte über das unordentliche Deck hin und sah mich nach meinen Leuten um. Sie lagen, vorne neben dem Matrosenlogis, in winzigen Kojen in einem dumpfen Raum, der wohl für Geräte bestimmt war, und schliefen. Mißbilligend stellte ich fest, daß es nach Whisky roch.
»Ein zweitesmal gelingt euch das nicht, Jungens!« dachte ich mir vergnügt.
Als ich die schmale Leiter wieder hinaufkroch, sah ich auf dem Deck bei der Donkeymaschine einen verwitterten Graubart knien, der auf ein langes Stück schwarzgestrichener Leinwand emsig große weiße Buchstaben pinselte. S – T – A – –. Neugierig trat ich näher, aber der alte Kerl nahm nicht die geringste Notiz von mir. Da berührte mich eine Hand an der Schulter, und Haveland stand neben mir, eine Zigarre im Mund, grinsend wie immer.
»Im bürgerlichen Seeleben heißen wir City of Hartford, sagte er. »Hübscher Name. Und sehr respektabel. Da wir aber in dringenden Privatgeschäften reisen, und unterwegs nicht gesehen und nicht gemeldet zu werden wünschen, so nehmen wir einen Fetzen Leinwand, malen Buchstaben darauf, nageln den neuen Namen über Heck und Bug, und sind – presto – auf einmal der Dampfer State of New York. Der existiert wirklich, sieht uns ungemein ähnlich, und fährt auch irgendwo hier herum. Im Jamaikageschäft. Wie verblüffend einfach es doch ist, ein bißchen zu schwindeln!«
So fuhren wir also auf einem falschnamigen, mit Geschützen vollgepfropften, verdächtig schnellen, richtig klarierten, aber doch wieder krummwegigen Dampfer gen Venezuela. Zu was nun eigentlich? Dja, das war mir wahrhaftig völlig gleichgültig!
Je geheimnisvoller das Ereignis – desto großartiger!