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Mein eigenes Leben in der Stadt der hetzenden Eile und des Dollarinstinkts als Ehrbegriff war tätig und nur tätig. Die komische und doch auch wieder stark eigenartige Idiosynkrasie des Zeitungsmannes verbot Beschäftigung mit allem, das nicht » copy«, Arbeit. Zeitungsresultat produzierte. Was die Rotationspresse nicht brauchen konnte, war an und für sich eine Nebensächlichkeit – als Axiom! Alles, was nicht Zeitungsstoff ergab, war verwerfliches, persönliches Vergnügen, zulässig in bescheidenem Maße, aber doch verlorene Zeit – entgangenes Gut!
So fraß man, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, den merkwürdigen Neuyorker Ehrbegriff vom nur tätigen Leben in sich hinein, und lebte höchst kulturlos wie die Neuyorker leben.
Kein besseres Beispiel dafür gibt es als die völlig untergeordnete Rolle, die der weltenversetzende Begriff Frau in meinem Neuyorker Zeitungsleben spielte.
Es hatte einfach keinen Platz übrig für Frauen!
Praktisch. Theoretisch stand es im Zeichen einer dumpfen Sehnsucht. Es war dazumal Sitte in Neuyork, daß junge Männer, die gern witzig sein wollten, in jenem verrückten Knopfloch des Männerrocks, für das kein korrespondierender Knopf da ist, statt der Veilchen oder Chrysanthemen ein weißes Emailschildchen trugen. Auf dem stand in roten Buchstaben:
Girl wanted!
Mädchen gesucht!
Es war das eine getreue Nachahmung der Ueberschrift in den Annoncenspalten der Zeitungen, in denen Hausfrauen Dienstmädchen suchten: Girl wanted! Nur meinten die jungen Männer etwas ganz anderes. Natürlich fielen die Mädchen immer wieder auf den Witz herein und lachten, und die angenehme Atmosphäre ausgiebigen Flirts war ohne weitere zeitraubende Vorbereitungen gegeben. Ich trug zwar keinen solchen Knopf. Aber in meiner Seele war er stets angeknöpft: Girls wanted! Nur wollte es der Teufel des tätigen Lebens, daß jedesmal, wenn der seelische Knopf wirklich einmal zum Vorschein kommen wollte, schleunigst irgend ein praktischer (höchst interessanter!) Männergedanke aus irgend einer Hirnecke hervorschoß und den schönen Augenblick zerstörte. Nicky sagte einmal:
»Ein Mann wie du ist mir noch nicht vorgekommen! Ich möchte nur einmal erleben, daß du es fertig bringst, länger als fünf Minuten liebenswürdig zu sein! Bin ich nett zu diesem Mann – und er erzählt mir eine alte Mordgeschichte!«
»Verrückt ...« brummte ich.
Und schüttelte verständnislos und arg geniert den Kopf.
*
Und ich lache und lache, daß mir die Feder wackelt in der Hand. Die guten Götter bescheren mir in diesem Augenblick die Gunst, geisterige Stimmen aus der Vergangenheit hören zu dürfen, für die ich völlig taub war, als sie lebendig klangen. Sie schütteln die Köpfchen, die Neuyorkerinnen von Anno dazumal, und ihre Stimmchen flüstern und lachen. In grobmännliche Töne übersetzt, würden die Stimmen sagen:
Der Esel!
Der Idiot!
Der langweilige Zeitungsgeselle!
Welch grobgehobelter, seelenloser, verständnisbarer Idiot der Sausewind von damals doch Frauen gegenüber gewesen sein muß! Sagte einmal Flossy:
»Deine Frau möchte ich nicht sein! Nicht für drei Millionen!«
»Erstens möchte ich nicht dein Mann sein,« antwortete ich, »und zweitens weshalb nicht?«
»Soso und überhaupt,« meinte Flossy, und in ihre Augen kam der stark wasserhaltige Seelenblick, den ich kannte und stets instinktiv als höchst langweilig empfunden hatte.
»Ueberhaupt!« fuhr sie entrüstet fort. »Du würdest lieber in irgend einer dummen Redaktion vier Stunden verquatschen als bei deiner Frau zu sitzen und nett zu sein!«
» Flossy, dear –«
»Geh weg!«
»Weißt du was – heute abend wollen wir ins Dachgartenrestaurant gehen. Den Zigeunerprimas, der dort fiedelt und der so komische Verbeugungen macht, findest du doch wundervoll!«
»– und dann erzählst du mir wieder den ganzen Abend von deinen langweiligen Reportergeschichten und –«
Aber sie ging doch mit.
*
Eines Abends saßen wir im Klub und stellten lachend einen Anfall von allgemeiner Trägheit fest. Holloway hatte seine Pflichten auf einen assistant abgewimmelt, Burton sich vorzeitig aus der Redaktion gedrückt, und Norris meinte gähnend, heute sollten einmal die anderen arbeiten an seiner Stelle. Nach Hause gehen aber wollte keiner so recht. Der eine stimmte für Poker, der andere für ein Varieté, der dritte für einen Bowerybummel. Bis endlich Dick Burton entschied:
»Gaiety-Theater! Die Tänze sollen sehr hübsch sein. Und wir wollen die ladies mitnehmen!«
»Gut!« nickte Holloway.
Und es entstand ein allgemeiner Exodus nach den Telephonzellen, um die Frauen herbeizurufen. Dicky hatte die Polstertüre offen gelassen und ich hörte deutlich sein –
»Jawohl, ins Gaiety-Theater – die Kinder sind doch schon im Bett – bißchen fix, Lizzie, – jawohl, ich bin hier im Klub – wir gehen alle miteinander – du fährst natürlich mit der elevated – in dreißig Minuten kannst du hier sein – au revoir, sweetheart ...«
Da riß ich die Augen weit auf und starrte den zurückkehrenden Dicky an, als sei er auf einmal ein ganz anderer Mensch geworden. Nicht um alle Welt hätte ich den Mund halten können –
»Bist – du – denn – verheiratet, Dicky?«
» Very much so,« antwortete Dick erstaunt. »Aber sehr! Ganz außergewöhnlich so!«
»Und du hast Kinder?«
»Einen ganzen Hut voll,« grinste Dick. »Vier Stück. Weshalb in aller Welt denn nicht?«
»Buben oder Mädels?«
»Drei Buben und ein Fräulein,« antwortete Burton und sah mich verblüfft an. »Weshalb fragst du eigentlich? Bist du nebenbei Agent für eine Lebensversicherung geworden und soll ich vielleicht dein erstes Opfer sein?«
Ich aber schnappte nach Luft und sah mich hilflos um. Waren die anderen vielleicht auch verheiratet? Da lebte und arbeitete ich seit Monaten mit diesen Männern in engster Gemeinschaft, kannte bis ins Kleinste ihre Arbeit, ihre Leistungen, ihre Geldverhältnisse, ihre Eigenheiten; sie waren mir Freunde und Brüder. Aber wo sie eigentlich wohnten – wie sie lebten – und ob sie Frauen und Kinder hatten – das wußte ich nicht! Darüber hatten sie nie geredet!
»Ist Holloway auch verheiratet?« fragte ich leise.
»Gewiß. Was hast du denn heute?«
»M–m–mm–« brummte ich.
So verwundert war ich und so bodenlos neugierig, daß ich die Minuten zählte bis zum Eintreffen der geheimnisvollen Frauen. Es dauerte auch nicht lange, bis der Diener kam und dann immer wieder kam und immer meldete, eine Dame warte im Empfangszimmer. Zu den geheiligten Klubräumen selbst hatten Frauen natürlich keinen Zutritt. Der betreffende Herr verschwand dann mit einer geradezu unheimlichen Promptheit. Man läßt Frauen nicht warten in Amerika. Zufällig war Mrs. Burton die letzte der eintreffenden Damen, und ich ging mit Dick hinüber.
» Halloh, Dick,« sagte händeschüttelnd eine schlanke Dame, so jung, schlank, zierlich und kleinmädchenhaft, daß der Verdacht in mir aufstieg, Dicky müsse die Anzahl seiner Kinder renommistisch übertrieben haben. Drei Buben und ein Mädel und – Gott verdamm' mich, das kleine Dings da ...
»Mr. Carlé, Lizzie – Mrs. Burton.«
»So erfreut, Sie kennen zu lernen!« sagte eine Kinderstimme. »Gehört habe ich von Ihnen längst, und Ihre Arbeit kenne ich natürlich auch!«
Ich schnappte nach Luft.
Was? Nicht nur Kinder hatte das Kind, sondern sogar von unserer Arbeit wollte es etwas wissen oder gar verstehen? Ich sah die anderen Frauen, sie schienen alle jung und alle schlank zu sein, kaum an und machte nur mechanisch meine Verbeugungen, weil ich meine Augen nicht von dem merkwürdigen Kind lassen konnte. Im Varieté, es war eine leg show, wie der Amerikaner diese noch klaftertief unter der europäischen Operette stehenden Tanz- und Singgeschichten nennt, ein »Wadentheater«, kümmerte ich mich wenig um die Bühne und die Beine, sondern hauptsächlich um das Kind mit dem blonden Haar und dem Riesenhut, das vor mir sah. Ich gedachte sie nachher gründlich zu interviewen, diese Mrs. Burton.
Das war einmal eine neue Sorte! Leise lachend überlegte ich mir, daß ich in meinen sechs Jahren amerikanischen Lebens doch recht wenig von Frauen und Frauentum kennengelernt hatte, was bei der Art dieses Lebens ja durchaus nicht zum Verwundern war. Aber komisch kam ich mir doch vor mit meinem tölpelhaften Nichtwissen. War man da hurradix viele Tausende von Meilen umhergekugelt – wußte ganz genau, weshalb die Neuyorker Frau notwendigerweise ein anderes Menschenkind sein mußte als die San Franziskoer Frau – vermaß sich kühnlich, ganz bestimmte Ansichten über den verrohenden Einfluß großen Reichtums auf weibliche Reichtumsträger zu haben – lachte grimmig und wissend, wenn die amerikanische Frauenmanie wieder einmal besonders groteske Verehrungsformen annahm – und – stand nun da wie vor einem unfaßbaren Rätsel, als einem die doch nicht gerade gänzlich unfaßbare Tatsache gegenübertrat, daß Männer, die man kannte, Frauen hatten ... Heute, da sich mit scharfem Erinnern besseres Verstehen paart, ist eine Lizzie Burton, das Kind, eine Verkörperung des besten amerikanischen Frauentyps. Vielleicht mehr.
Bescheiden im Fragen bin ich nie gewesen. »Erzählen Sie mir alles über sich selber!« bat ich das Kind schon bei den Austern im Restaurant.
»Wie unamerikanisch!« lachte Mrs. Burton. »Was ist das Problem? Wenn Sie einen vernünftigen Grund anzugeben wissen, so würde ich vielleicht – –«
»Das Problem ist folgendes: Wie ist es möglich, daß ein Mann wie Dick Burton, den ein lebenausfüllender Beruf so ziemlich die ganzen 24 Stunden des Tages in Anspruch nimmt, noch Zeit für Frau und Kinder übrig hat? Ich meine, wie macht er es?«
Das Kind machte ein nachdenkliches Gesicht. »Sitzt mein Hut gerade?« fragte es. »Ja? Sie sollten sich wirklich eine Frau nehmen ...«
Und dann erzählte mir diese gute und gescheite Frau in sonderbar großmütterlicher Art – ein kleiner Junge schien ich mir ihr gegenüber – wie zwei Kameraden sich ihr Leben teilten. Es waren nur Andeutungen, kurze Strichelchen. Ich hörte mit grenzenlosem Erstaunen, daß diese Frau die Arbeit ihres Mannes Gedanken um Gedanken, Zeile um Zeile fast, mitlebte, die Persönlichkeiten und die Leistungen der Neuyorker Zeitungswelt weit besser kannte als ich, der ich mitten in diesem Leben stand, und Kinder erzog dabei, und genug eigenen Ehrgeiz übrig behielt, sich an Frauennovellen zu versuchen. Fast sonderbarer noch wirkte es auf mich, daß dieser Dick Burton, der rasende Arbeiter, der »gemütliche Junge«, der anscheinend immer im Zeitungsgebäude oder im Klub war, es doch fertig brachte, viele Stunden im Tag mit seiner Frau zu verleben und seine Zeit auf das Raffinierteste einteilte, um ebenso raffiniert darüber zu schweigen. Wie gut der Amerikaner den Mund halten kann, wußte ich längst; wie gründlich er diese Tugend übt, wenn es sich um sein Eigenstes handelt, lernte ich jetzt. Und nahm eine Lehre mit, die merkwürdigerweise dem Lausbuben später eine Art Ideal werden sollte. Sagte das »Kind«:
»Ihr Männer – und mit euch die meisten Frauen – glaubt immer, die Ehe sei eine ganz sonderbare Sache, so eine Art Dauerkonzert von Engelmusik mit gelegentlichen Teufelsmißtönen zur Abwechslung, auf jeden Fall aber ein grandioses Ereignis, dem (das sagt ihr, wenn ihr klug seid) das langweilige Ebenmaß folgen muß, das alle großen Ereignisse beschattet. In Wirklichkeit aber ist die Ehe, mein lieber Junge, etwas ungeheuer Einfaches. Zwei gute Freunde hausen eben zusammen und sind bald ernst, bald traurig, bald toll ausgelassen, bald selig begeistert, wie der Tag und die Stunde es bringen mag. That's all. Das ist alles. Kameraden. Dabei ist es weder dem Mann verboten, zu verehren, noch der Frau, zu bewundern, aber der Witz ist das Gutfreundsein. Kapiert?« Was damals nebensächliches Schauen, naives Zugucken, ziemliches Nichtverstehen war, verdichtet sich heute in der Reife des Urteils aus tausend kleinen Erinnerungen an Hunderte von weiblichen Menschen zu einem Bild der amerikanischen Frau.
*
Doch erfasse ich es wirklich recht?
Gibt es denn eine amerikanische Frau?
Kann man aus dem Zettelkasten der Erinnerung tatsächlich ein Schublädchen hervorziehen, das die Aufschrift trägt: Die Amerikanerin??? Sind wir nicht Menschen allzumal auf dieser runden Erdkugel? Männer oder Frauen erst in zweiter Linie? Einander gleich und ebenbürtig, lächerlich wenig im Grunde doch nur beeinflußt von der abweichenden Kompaßnadel nationaler, klimatischer, gesellschaftlicher Spezialeigenarten?
Es scheint mir ein sonderbares Beginnen, die Frauen des nordamerikanischm Erdteils unter den Hut einer Gesamtklassifizierung bringen zu wollen. Das wäre fast so komisch als das Streben jenes englischen Gelehrten, der einst die lapidare Theorie aufstellte: Amerikanerinnen bringen ihre Kinder schwer zur Welt. Sie leiden außerordentlich unter der Geburt und sind feststehend unfähig, über drei Kinder zu produzieren. Ich, der englische Gelehrte Soundso habe die Lösung gefunden – –
Meine Untersuchungen gingen von den Indianerstämmen aus, zu neu eingewanderten Frauen über, zur zweiten Generation dann, und zur dritten, der typisch amerikanischen, endlich. Diese dritte Generation von Frauen, die wirklichen Amerikanerinnen, leiden an einer eigentümlichen Verhärtung der Knochensubstanz, die gleichzeitig eine Verengerung der ausschlaggebenden Beckenknochen oder vielmehr deren völlige Unbeweglichkeit herbeiführt!
Ueber die Gründe war sich der gelehrte Herr nicht recht klar, glaubte jedoch an besondere atmosphärische Einflüsse und erwog sogar höchst ernsthaft, ob nicht die ungeheuerlichen Ausdünstungen des Großen Salzsees das böse Karnickel sein könnten ...
Oh ja, man glaubt das in Amerika!
Man ventilierte bänglich die Beckenfrage – eine Zeitlang zum wenigsten.
Genau so glaubt man in Europa, daß es eine merkwürdige typische Amerikanerin gebe, die ganz bestimmte Eigenschaften haben müsse. Das gibt es nicht! Und so möchte ich mich dagegen verwahren, eine Schubladenetikette prägen zu wollen. Sondern, was ich von der Amerikanerin gesehen habe, von ihr weiß, über sie las, sei gegeben als ein Bildchen – Menschen daran zu erinnern, daß wir überall in erster Linie Menschen sind und bleiben.
*
Die amerikanische Frau ...
Wieder ist der alte Trick wirksam, über die feinen Dunstgebilde einer Zigarette hinweg in die dunkle Ecke zu starren, bis es sich im Schatten regt und rasch huschend Bilder sich bilden und im Gedankenreich Gestalten kommen und verschwinden.
Da ist eine Neuyorker Straße, wimmelnd von Neuyorkerinnen, die zu ihrer fleißigen, tüchtigen Tagesarbeit eilen, groß behütet, elegant beschuht, sündhaft teuer oft umhüllt. Sie arbeiten wie der Teufel, acht Stunden lang im Tag, reden eine Jargonsprache, die hart ist und grausam nüchtern wie der amerikanische Dollar, sind gerissener, schlauer, berechnender als die Männer neben ihnen, wenn sie auch verhältnismäßig selten die absolute Freude an der Arbeit, die fast ideale Schaffensbegeisterung des amerikanischen Mannes erreichen. Mir schwebt unbestimmt ein Zitat vor, das wahrscheinlich falsch ist, aber auch dann gescheit: Ein Pfaffe ist entweder eine wandelnde Tragödie oder eine unanständige Posse ... So das durchschnittliche Neuyorker Mädel.
Eine Tragödie entweder von Arbeit, so hart, daß es einem das Herz beklemmen könnte, wenn man daran denkt, und einem jämmerlichen Mietzimmerchen, und einem todmüden Mädel, das spät abends heimlich ihre Taschentücher im Waschbassin wäscht, und Garderobe flickt, und über dem Spiritusapparat das kleine Bügeleisen erhitzt, die Bluse zu plätten, die nun einmal tadellos sein muß. Und dann halb im Schlaf, auf dem Bett sitzend, jenes Haarbürsten, fünfzig Bürstenstriche links, fünfzig Bürstenstriche rechts, das dem müden Mädel allabendlich wie eine Höllenplage vorkommt und doch getan werden muß, weil ein gepflegtes Aeußere zum Fortkommen im Leben genau so gehört wie die Arbeit selbst. Gebürstet muß werden, mag der Rücken auch noch so schmerzen und die Augen sich auch noch so sehr gegen das Offenhalten sträuben, und beileibe darf es das arme Ding nicht versäumen, die Nagelhäutchen mit dem Beinstäbchen zurückzuschieben und die Nagelflächen zu glätten, mag es sich auch halbtot gähnen dabei. Denn das Geschäft verlangt gepflegte Hände. Man kann diesen Tageslauf von schwerer Arbeit und jämmerlichem Sichabplagen um die unbedingte Notwendigkeit einer gefälligen äußeren Erscheinung die Tragödie der mittleren amerikanischen Frauenarbeit in Warenhaus und Geschäftskontor nennen. Die Kehrseite der Tragödie, die vom zierlichen Lustspiel bis zur, wie gesagt, unanständigen Posse reicht, ist dann natürlich das Ausnützen der geschäftlich nötigen, gefälligen äußeren Erscheinung zu Theaterbilletts, nicht anscheinend sondern wirklich eleganter Garderobe, netten kleinen Abenddiners, wunderschönen Blumen, die schließlich die Essenz jener lustigen und im Grunde harmlosen Liebesverhältnisse sind, von denen es nur so wimmelt im Lande der anscheinend grenzenlosen Frauenverehrung. Und die unanständige Posse tritt dann in Erscheinung, wenn an Stelle der gelegentlichen, netten Diners gewohnheitsmäßiger Sekt tritt und die elegante, kleine Wohnung. Es gibt eben kein Klischee. Im Prinzip soll und muß von Rechts und Moral wegen das amerikanische Weib eine Göttin sein – in der Praxis wird ihr häufig genug die weniger anspruchsvolle Rolle einer Amorette zugewiesen ...
Die Bilder in der Schattenecke huschen.
Und die Gestalten sind sich merkwürdig unähnlich. Da ist das süße, verlogene, amerikanische Geschöpfchen, das Billy mit Teddy betrügt und Teddy mit Joe. und Joe mit Nr. 4 und so weiter durchs große Einmaleins, und mit sechzehn Jahren schon lügen und schwindeln kann, daß sich die stählernen Balken eines Wolkenkratzers vor Entsetzen biegen könnten; extra dazu geschaffen scheinend, den gräßlichsten Unfug in Herzen und Taschen anzurichten. Da ist in grellem Gegensatz das frische, gesunde, selbstbewußte Mädchen, das sein junges Leben nach dem gesunden Grundsatz lebt, ein »anständiger Kerl« zu sein. Da sind amerikanische Frauen, die träge in den Tag hineinleben, sich von ihren dummen Männern verehren lassen, und jeden hart verdienten Dollar zum Fenster hinauswerfen, ohne einen anderen Besitztitel auf Verehrung zu haben, als den einen, daß ein gütiges Geschick sie mit dem weiblichen Geschlecht bedacht hat – da sind aber auch, und zwar so zahlreich wie die Göttinnen, nämlich zu Hunderttausenden, die tüchtigen weiblichen Menschen, die verheiratet, oder unverheiratet, ihre Pflicht tun und vor sich selber und den anderen den Kopf hochhalten, weil sie Respekt vor sich haben.
Da ist die Leichtsinnige, die Prüde, die küchenfuchsige Frau, deren Lebensstolz und Lebenszweck ihre Kuchen sind und sonst nichts; da ist die Affenmutter, die ihren kleinen Bengel mit heißer Mutterliebe zu einem Scheusal von Menschen verzieht; da ist die giftmischende Klatschbase, da ist die Gesellschaftsgans – sie alle sind im lieben Dollarland so häufig und so selten wie anderwärts auch.
Wie darf man eigentlich von »der amerikanischen Frau« reden, wenn die einen Betschwestern sind, die sich mit Abscheu von jedem männlichen Wesen wenden würden, das nur ein einzigesmal bei dem sündhaften Genuß eines Glases Bier ertappt worden ist, und die anderen tolle Bacchantinnen, bei deren Wackeltänzen einem guten alten griechischen Satyr ob dieser grotesken Verzerrung des Geschlechterspiels die Haare auf dem Bockskopf zu Berge stehen würden?
Wie kann man sich klar sein über das Wesentliche in der Stellung der amerikanischen Frau, wenn im gleichen Erinnern sich so verschiedene Vorstellungen begegnen wie die folgenden:
Gab's da zu meiner Zeit eine Mrs. Wieheißtsiegleichnoch – ich habe den Namen vergessen, aber die Persönlichkeit ist kulturgeschichtlich – aus Kansas City im Staate Kansas. In die war der Wassergeist der Abstinenzler gefahren. Schön und gut. Ansichtssache. Weniger schön und gut aber war es, daß sie sich eine innere Stimme fabrizierte, die ihr allsogleich befehlen mußte, die Trinkstätten des Teufels zu vernichten. Das unangenehme alte Weib – zum Verständnis der Situation muß betont werden, daß die Dame weder jung noch schön war – nahm also ihr Küchenbeil, begab sich in die nächste Bierkneipe und schlug sämtliche Gläser und vor allem die teuren Spiegel kurz und klein. Das war in Kansas City, wo in einigen Tagen in allen Wirtschaften die Gläser rar wurden. Sie dehnte dann, weil's so schön war und die Wasserapostel lauten Beifall heulten, ihren Siegeszug über ganz Amerika aus. Ohne in ein Irrenhaus eingesperrt zu werden, ohne Folgen als gelegentliche kleine Geldstrafen, ohne daß sich auch nur einer der brutalisierten Wirtschaftsbesitzer gewehrt, die Megäre gepackt und aus seiner Wirtschaft hinausgeworfen hätte!
Denn so tief ist, so sagte man damals halb kopfschüttelnd, halb entzückt, in der amerikanischen Oeffentlichkeit die Verehrung des Amerikaners für den Begriff Frau, daß er selbst in solchen Fällen das Geschlecht respektiert. Sehr schön!
Der gleiche Amerikaner aber, das muß einmal konstatiert werden, behandelt in getreuer Nachahmung seines englischen Vetters die Aermsten der Armen unter den Frauen mit einer so gemeinen Brutalität, wie sie anderswo in Ländern weißer Männer kaum zu finden sein dürfte. Im Bordell betragen sich die amerikanischen Muster eingefleischter, mit Muttermilch eingesogener Ritterlichkeit wie Bestien – als müßten sie sich von der aufgezwungenen Anbetung von Göttinnen einmal gründlich erholen. Die Dame eines Hauses im elegantesten Teil des Neuyorker Tenderloin – die Gäste der Maison hatten den Abend vorher für Tausende von Dollars Möbel demoliert, und ich besah mir den Schaden – erzählte mir einmal in der unbefangenen Geschäftsmanier ihrer Klasse, sie gedenke ihr Etablissement in das billige und anspruchslose Ostende der Stadt zu verlegen, denn die »gute« Gesellschaft ruiniere sie! Why, they are, always jumping the bill! jammerte sie. Sie zahlen nicht! Sie danke verbindlichst für die üblichen Gesellschaften von sechs oder sieben Herren in Lack und Frack, die eben von irgend einem vornehmen Ball kämen, »Krach« schlügen bei ihr, Sekt tränken, und dann Arm in Arm johlend davonzögen, ohne einen »roten Cent« zu bezahlen. Policeman?
»Ach, einen Polizisten fressen diese jungen Teufel einfach auf! ... « erklärte Madame. Das mag nur eine kleine Aeußerlichkeit scheinen – randalierende, bezechte, »feine« Herren gibt es auch anderwärts. Wer sich aber einmal von dem Glauben an die immer unbedingte Herrschaft des Weibes in Amerika heilen will, der gehe in ein amerikanisches Bordell! Er wird dort von Männern der guten Klasse einen Unterhaltungston, Ausdrücke, eine tierische Behandlung der Mädchen, Dinge überhaupt, sehen und hören, die einen halbwegs anständigen Menschen anwidern müssen. Typisch ist auch in Amerika, daß der scharf zugespitzte Scherz mit zotigem Einschlag, der anderswo zwar ungezogen, aber graziös ist, stets in platte Gemeinheit, in brutale Wortdeutlichkeit ausartet. Sie läßt einem die Haare zu Berge stehen, die amerikanische Zote der guten Gesellschaft!
Wo bleibt da die Frauenverehrung?
In das gleiche Gebiet gehört das systematische Ausbeuten der Frauenarbeit, das in Amerika mindestens ebenso schamlos betrieben wird wie irgendwo in der Welt: in der Textilindustrie vor allem und in der Konfektion. Die Zustände in der Neuyorker Konfektion, den Schwitzläden, spotteten zu meiner Zeit jeder Beschreibung und sind heute noch unverändert. Was bleibt nun übrig vom Typ der Amerikanerin, der sogenannten Amerikanerin?
In der Erscheinungen Flucht haftet das Auge auf dem Auffallenden, dem Außergewöhnlichen.
Wenn wir uns den Begriff Amerikanerin vorstellen, so tritt wohl uns allen, mögen wir Amerika kennen oder nicht, ein ganz ausgeprägtes, rassiges »amerikanisch-nationales« Bild von einer Frau vor die Augen, die mit mädchenhafter Schlankheit die stolze Haltung des Selbstbewußtseins vereint. Wir sehen eine besonders schön geschwungene Linie des Halsansatzes, sehr stark abfallende Schultern, einen Mangel an allem, was man Ueppigkeit nennen könnte, kräftig blondes Haar, und ein Gesicht, das regelmäßig und schön ist, aber eigentümlich kalt-süß anmutet. Amerikanerinnen, die so aussehen, gibt es namentlich in der besten Gesellschaft, gibt es zu Tausenden, vielleicht zu Zehntausenden. Aber der Typ ist dieses Bild durchaus nicht, sondern wir bilden ihn uns nur ein, weil – Mr. Gibson von des amerikanischen Gottes Gnaden, der berühmte Yankeefederzeichner, sich gerade auf diese Amerikanerin verbiß, sie tausendmal zeichnete, millionenmal über alle Welt hin reproduzieren ließ, und sämtlichen Künstlerkollegen von Stift und Pinsel das gleiche amerikanische Frauenbild in den Schädel hypnotisierte. Wir alle aber glauben getreulich:
So sieht die Amerikanerin nun eben einmal aus!
Ein ähnlicher Vorgang, das Haftenbleiben am Auffallenden, Außergewöhnlichen, wiederholt sich in dem allgemeinen Begriff der sogenannten Amerikanerin. Im gebildeten Durchschnittsgehirn wird der bloße Artname Amerikanerin augenblicklich und mechanisch eine ganze Reihe von Vorstellungen auslösen:
Amerikanerin, Lady, Rührmichnichtan, märchenhafter Reichtum, Tochter wunderschön, Mutter gräßlicher Parvenü, hehre Göttin, vor der alles Staubmännliche in die Knie sinkt, Dollarprinzessin, prachtvolles Menschenkind, denn lügenfrei und knochenehrlich, und so weiter. Nach Reflexion ergänzt sich die Reihe der Vorstellungen: Vernünftigere Erziehung, bessere Stellung der Frau, aber verzerrt zur Weiberherrschaft; bekannte Sache, sehr erklärlich aus den Zeiten, da in dem neuen Land die Frauen rar waren ...
Das alles ist ebenso gescheit wie dumm, ebenso richtig wie unrichtig. Man darf nie vergessen, daß in einem Land, das stetig, und zwar immer von heut auf morgen, stärkster Entwicklung unterworfen ist, sich gar nichts, aber auch gar nichts klischieren läßt. Ich könnte zum Beispiel die absolut richtige Behauptung aufstellen:
Amerika ist ein Land, in dem die Männer die Kriminalromane erleben und fast nur Frauen die Kriminalromane schreiben!
Sämtliche aber an diese Tatsache etwa geknüpfte Folgerungen wären grundfalsch ... Es wird auch in Amerika mit Wasser gekocht und auch die Amerikanerinnen sind Menschen, wandelnd in der Prozession der Menschlichkeiten. Sind dumm oder gescheit, fleißig oder träge, anständig oder unanständig. Weibchen oder Menschen. Aber man kann nicht sagen, daß eine Amerikanerin bestimmte nationale Eigenschaften haben muß, so etwa wie sich aus dem amerikanischen Mann als nationaler Begriff die intensive Arbeit herausdestillieren läßt. Es ist wahr, daß die amerikanische Frau eine schlechte und verschwenderische Hausfrau ist, aber es ist ebenso wahr, daß sie sparen kann bis aufs Letzte, wenn die Not ins Haus kommt. Es ist wahr, daß sie bodenlose Ansprüche an den Mann stellt, aber es ist auch wahr, daß sie für ihn arbeitet und für ihn sorgt, wenn es sein muß. Es ist wahr, daß ihr die Pfäfferei und die Prüderie der Engländer noch in den Knochen stecken, und es ist ebensowahr, daß sie frei und groß und menschlich denken kann.
Wo ist da das Letzte, das Ausschlaggebende, das Amerikanische?
Wo ist die sogenannte Amerikanerin?
Vielleicht hat mir einst die Persönlichkeit Lizzie Burtons diese Frage beantwortet. Noch ist die Eigenart der Amerikanerin nicht greifbar deutlich zu erkennen im großen Zug, denn ein Wust von Ueberliefertem umgibt sie und streitet mit Neuem. Ist doch die anscheinend so echte Dollarprinzessin nichts weiter als uralter englischer Reichtumsdünkel, ein wenig freiheitlicher auflackiert: die Prüde, im Grunde ein Produkt ebenfalls englischen Puritanertums und durch das amerikanische Sektenwesen noch ein wenig mehr belastet; die Anspruchsvolle, eine naive Nachahmerin ihrer nationalen Urgroßmütter, die in Schiffsladungen nach dem neuen Männerland gebracht wurden und begehrter waren denn Edelgestein. Mit all diesen Dummheiten kämpft jedoch sicherlich, und zwar ohne daß die männlichen und weiblichen Leutchen es wissen, in selbstverständlicher Entwicklung die kerngesunde, praktische, vernünftige Eigenart des amerikanischen Landes. Und schließlich wird vielleicht einmal aus der jetzigen sogenannten Amerikanerin, die recht unamerikanisch sein kann, ein nationaler Typ entstehen. Die praktische, kluge, stolze Frau, die ihr Geschlecht weder unterschätzt noch überschätzt, und die Erde der Arbeit mit dem Himmel des Gefühls in Einklang zu bringen weiß, ohne ein Närrchen zu sein, oder ein poesieloses Mannweib. Vorläufig aber darf man weder in der Dollarprinzessin noch in der anspruchsvollen Göttin noch im armen Arbeitstier die wirkliche Amerikanerin zu erblicken glauben – denn eine wirkliche Amerikanerin gibt es noch nicht ...