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Arbeit und Allotria

Die gemütlichen Plakatrekruten. – Wie wir sie müde machten. – Ein verrückter Tag. – Hastings sammelt den Honig des Fleißes.– Wie uns der Major müde machte. – Die neue Arbeit. – Automobilversuche. – Immer noch ein verrückter Tag. – Die Majorin mit der Silberstimme. – Das geheime Liebestelephon. – Sonstige Allotria. – Die ersten amerikanischen Versuche mit drahtloser Telegraphie. – Die Wunderröhre des Kohärers. – Das Wunder spricht.

Im Depot hatten mir zum ersten Male die neuen Werbeplakate des Signalkorps gesehen, die an die Rekrutierungsstellen der großen Städte versandt wurden, und Berufstelegraphisten und Elektriker verlocken sollten, Onkel Sam als Signalisten zu dienen. Sie waren sehr schön. Bunter Farbendruck zeigte einen Adonis in eleganter Uniform an einem pompösen Instrumententisch. Die rechte Hand des Jünglings ruhte lässig auf einem zierlichen Taster und sein Arm war so abkonterfeit, daß die bunten Seidenflaggen am Aermel ja recht farbig und schön zur Geltung kamen. Auf einem Nebentischchen glitzerte stählern eine Schreibmaschine. Der Text des Plakates besagte, daß im amerikanischen Signalkorps Berufstelegraphisten eine vorzügliche Gelegenheit zu rascher Beförderung geboten sei. Das war unter den Umständen ganz richtig. Auch die kurzen Angaben über Löhnung und Verpflegung stimmten vollkommen. Aber das Bild! Die elegante Uniform, die lackigen Stiefel, die lässig telegraphierenden Hände, die ganze geruhsame Behäbigkeit, das Mollige, das Zeithaben, das in allem lag – dieses Bild sah wahrlich aus, als gebe es kein schöneres und fetteres Aemtchen, als Signalmann zu sein ...

Herrgott, unsere Rekruten müssen sich niederträchtig beschwindelt vorgekommen sein!

Sie sollten vorderhand aber auch keine Spur von wohliger Gemütlichkeit zu verspüren bekommen!

Frühmorgens schon kamen die achtzig Mann unter Führung eines Infanteriesergeanten von Neuyork auf dem Washingtoner Bahnhof an, wurden von Souder empfangen, und in beschleunigtem Tempo nach Fort Myer geführt. Gerade eine Viertelstunde ließen wir ihnen Zeit zum Frühstücken. Dann waren sie uns verfallen! Den Kuckuck kümmerten wir uns darum, wie sie hießen, und eine Kompagnieliste aufzustellen, fiel uns schon nicht im Traum ein. Die Vorschrift besagte, daß einem Rekruten sofort nach Eintreffen bei der Truppe die Kriegsartikel vorgelesen werden mußten – wir pfiffen darauf.

Jeder von uns packte sieben, acht, zehn Mann, wies ihnen eilig sieben, acht, zehn Bettplätze an, ermahnte sie, sie möchten lieber die Röcke ausziehen, und schleppte sie von dannen. Ins Quartieramt, ins Büro, in die Schuppen, in die einzelnen Zimmer, in die Keller. Kisten und Kasten wurden umhergeschleppt, Möbel transportiert, Uniformen und Waffen herbeigetragen, mit dem Legen der Telegraphenlinien im Fort begonnen. Es ist verwunderlich, welche Arbeitskraft in achtzig Mann steckt, wenn neun Mann hinter ihnen her sind, die der Ehrgeiz reitet!

Als gegen fünf Uhr nachmittags der Major erschien – er hatte sich klugerweise den ganzen Tag über nicht blicken lassen, denn er wäre ja doch nur im Wege gewesen – saßen unsere Rekruten halbtot und sehr übellaunig bei einem höchst verspäteten Mittagessen und erhoben sich recht unmilitärisch langsam, als Hastings scharf kommandierte: »Achtung! Der kommandierende Offizier!«

Wir aber strahlten. Das Amtszimmer des Kommandeurs war eingerichtet, das Büro fertig, die Quartiere in Ordnung, die Schuppen eingeräumt, die Rekruten eingekleidet, die telegraphische Verbindung mit Washington hergestellt, die Innenlinien begonnen. Wir hatten geschafft wie die Wilden.

»Gut!« sagte der Major.

Er ging rasch durch die Quartiere, sah sich flüchtig um, nahm die schriftlichen Vorschläge der Sergeanten entgegen, betrachtete sich die Schuppen, und winkte dann Hastings und mir, ihm ins Büro zu folgen. Auf dem Wege begegneten wir Mc. Gafferty. Der Kavallerist salutierte stramm den voranschreitenden Major. Uns aber flüsterte er im Vorbeigehen heiser zu:

»Verdammt – wie steht's mit dem Bier?«

»Nix!« antwortete Hastings ebenso leise mit einem freundlichen Lächeln. »Wir arbeiten, Mac. Wir sind fleißige kleine Bienchen. Wir sammeln den Honig des Fleißes und nicht das Bier des Müßiggangs. Nimm dir 'n Beispiel!«

Sergeant Mc. Gafferty schnitt eine Fratze. »Geht zum Teufel!« flüsterte er innig.

Im Kommandeurzimmer wartete Leutnant Burnell.

»Setzen – setzen!« befahl Major Stevens. »Nun wollen wir energisch arbeiten!«

E–energisch arbeiten!! Nach diesem Tag!

Ich wünschte ihn ins Pfefferland. Es ist eine schöne Sache um die Arbeit, aber heute hatte ich genug von ihr! Doch der Major verstand es gründlich, einem die Müdigkeit auszutreiben. Scharf beleuchtet von dem grellen Licht der ungeschützten elektrischen Hängelampe saß er weit zurückgelehnt da, hastig an seiner Zigarre paffend, und seine harten grauen Augen schienen einen packen zu wollen. Bald wandte er sich an den Leutnant, bald an Hastings, bald an mich, in abgerissenen Sätzen. Aber die Gedanken, die die kurzen Worte verkörperten, waren so klar, so zierlich geordnet, so einfach und übersichtlich, daß man mitgerissen wurde und mitarbeiten mußte. Wie ein Gemälde wuchs aus den kurzen Fragen, den knappen Befehlen, den diktierten Anordnungen im Telegrammstil die Organisation, die Arbeit, der Zweck des Signalforts empor. Man sah es, wie hier ein einziger Mann die Fäden spannte, die ein kompliziertes Getriebe lenken sollten. Abteilung für Abteilung wurde rasch durchbesprochen und für jeden Sergeanten eine kurze Dienstanweisung diktiert, die ihm nur sagte, was er zu erzielen habe. Wie er das machte, darüber mochte er sich selber den Kopf zerbrechen. Jeder Einzelne sollte auf eigene Art die Fäden weiterspinnen, sich Hilfskräfte heranziehen, notwendige Neuanschaffungen fordern, über Erfolge oder Nichterfolge täglich berichten.

Um elf Uhr abends endlich gingen wir mit Stößen von Notizen, Befehlen, Diktaten in unser eigenes Büro hinüber und erwischten glücklich auf dem Gang den japanischen Diener des Majors, der uns Butterbrote und Flaschenbier aus der Kantine holen mußte. Hastings sah den Haufen von Papierblättchen fast hilflos an. Die kurzen Befehle mußten nicht nur ausgestaltet werden, sondern zu einem Wochenplan vereint, in dem es keine Kollisionen und keine Widersprüche geben durfte. Das war unsere Arbeit. Eine bösartige Aufgabe.

»Jetzt will ich aber – – –« begann Hastings...

»Sei still!« sagte ich. »Hast ja selbst gesagt, du seist 'n fleißiges kleines Bienchen!«

*

Es war sechs Uhr morgens, als vom Kavalleriefort herüber der langgezogene Trompetensingsang der Reveille schrillend ertönte, und gleich darauf donnerte über den Paradegrund hin der Kanonenschuß, der das morgendliche Hissen des Sternenbanners salutierte. Leise klirrten die Fensterscheiben. Die Wände schienen zu zittern und zu beben. Ich sprang entsetzt aus dem Bett, schimpfend, denn Kanonenschießerei um sechs Uhr morgens war ein gräßliches Weckmittel, wenn man bis in den jungen Morgen hinein an der Schreibmaschine gesessen war. Ta-ra-tara! Zweites Reveillesignal. Hol' dich der Teufel! War aber nichts zu wollen. – »Als Zeichen zum Wecken hat bis auf weiteres der im Kavalleriefort abgefeuerte Kanonenschuß zu gelten. Eine halbe Stunde später versammeln sich die Mannschaften zur Befehlsausgabe vor dem Quartier!«

Und den Befehl hatte ich auch noch selber ausgeschrieben! Wenn nur ein brühsiediges, klotzklobiges Sternhageldonnerwetter – – – schrumm! ...

Eine Viertelstunde später verlas Hastings die über Nacht fertiggestellte Kompagnieliste und die Tagesbefehle.

Das neue Signalkorps war im Betrieb.

Hastend, hetzend und doch planmäßig begann die Arbeit. Stammannschaften wurden gebildet, für die Ressorts, und die toten Schätze in den Schuppen erwuchsen zu lärmendem Leben. Von Zimmer zu Zimmer, von Quartier zu Quartier, von Haus zu Haus begannen die Drähte sich zu spannen. Auf dem schmalen Kiesweg zwischen Baracke und Paradegrund übten kleine Gruppen Marschtritte und Wendungen und erste Karabinergriffe; am Waldrand drüben leuchteten rote und weiße Signalflaggen; vom Arlingtonhügel blitzte ein Heliographenspiegel... Im Büro diktierte mir der Kommandeur einen langen Bericht an den kommandierenden General in die Schreibmaschine, während der Leutnant mit einem der neuen Photographenapparate die arbeitenden Gruppen aufnahm. Die Photographien sollten dem Bericht beigefügt werden.

»Sonst vergessen sie uns!« meinte der Major lächelnd; er war ein sehr kluger Mann und wußte wohl, daß das junge Signalkorps Reklame brauchte! Nicht nur gearbeitet mußte werden, sondern auch dafür gesorgt, daß die Leute, auf die es ankam, recht viel hörten von dieser Arbeit!

Während er diktierte, wurden Drähte gelegt an den Wänden, die telephonische Verbindung mit Washington hergestellt, Telegrapheninstrumente auf jedem Schreibtisch aufgestellt, und je größer der Lärm und Wirrwarr wurden, desto vergnügter wurde der Kommandeur. Er steckte einen förmlich an mit seiner quecksilbrigen Art, seinem Schaffensdrang. –

»Müssen arbeiten!«

Das sagte er nun zum elftenmal, und dabei war es erst zehn Uhr morgens.

Es war ein verrückter Tag und noch viele sollten folgen, die ihm glichen wie ein Ei dem anderen. Der Bericht an den Kommandierenden war fertig, als ein Mechaniker der Firma sich meldete, die die elektrischen Automobile geliefert hatte. Er sollte die technische Einrichtung erklären und einen Chauffeur ausbilden.

»Machen wir selber!« sagte der Major trocken.

Und schickte den Mann fort, schickte ihn eiskalt und seelenruhig wieder weg, obgleich weder er noch der Leutnant, noch irgend einer von uns auch nur die geringste Ahnung von Automobilen hatte! Hastings und mir nahm es beinahe den Atem weg! Der Major aber grinste, ging mit uns in den Schuppen, zog sich den Uniformrock aus, und erklärte den verblüfften Werkstattsergeanten, jetzt würde Auto gefahren. Mit dem Personenautomobil. Zuerst krochen wir alle miteinander unten drunter und dann oben drauf und dann in den Akkumulatorenkasten hinein, wobei meine Uniform zum Teufel ging, weil ich einen Säurebehälter umwarf. Dann schraubten wir die interessanten Teile los, um herauszubekommen, wie alles eigentlich zusammenhing. Kraftübersetzung, Steuerung, Stromleitung, alles. Daß wir die Bescherung wieder zusammen und in Ordnung brachten, war wohl einer jener Glückszufälle, die Major Stevens vom Signallorps zu seinem persönlichen Bedarf gepachtet zu haben schien. Dann wurden die Akkumulatoren an der elektrischen Leitung geladen.

»Einsteigen!« befahl der Major.

Und vier Sergeanten kletterten eilig und vergnügt in die Polstersitze, während er die Lenkstange packte, den Stromauslöser auf volle Kraft schob und vorwärtssauste. Haarscharf ging es um die Ecke beim Kommandeurhaus, am Kavallerieposten vorbei, der Mund und Augen aufsperrte, die Straße entlang.

»Das Ding steuert sich leichter wie 'n Fahrrad!« sagte der Major, vergnügt lächelnd. Aber auf einmal verschwand das Lachen von seinem Gesicht. »– – –eh! – – –Teufel!! – – Hopla!!!– –«

Er hatte beim Sprechen nicht auf den Steuerhebel geachtet und das Auto sauste auf die Bäume beim Wegrand zu. Im letzten Augenblick riß er es seitwärts.

»So! Na, probieren Sie es einmal, Ellis!«

Sergeant Ellis probierte und warf uns auch wirklich nicht um, was meiner Ansicht nach hauptsächlich daran lag, daß die Arlingtoner Straße sehr wohlgepflegt, sehr eben, und außerordentlich breit war. Da mußte das Steuern ja kinderleicht sein! Es verwunderte mich daher sehr, daß Ellis krebsrot im Gesicht war, krampfhaft auf den zwanzig Meter breiten Weg stierte, als sei er gräßlich schwer zu sehen, und dabei die Zähne fletschte wie eine bösartige Bulldogge. Was hatte er nur?

Ich begriff jedoch sofort, als nach wenigen Minuten die Reihe an mir war!

Als ich den Steuerhebel in die Hand bekam und die Höchstgeschwindigkeit einstellte, war mein erster Gedanke der heiße Wunsch, die Straße möchte doch ungefähr fünfmal so breit sein als sie es war, und mein zweiter ein bitterer Vorwurf an den Schöpfer des Alls, dem Menschen nicht gleich einige Augen und einige Arme mehr in dieses irdische Jammertal mitgegeben zu haben, wenn er schon einmal dabei war und die Verwendung des neuen Geschöpfs auch für Automobilzwecke in Aussicht nahm. Vier Augen und etwa sechzehn Arme waren augenblicklich für mich das Minimum der Erfordernisse. Der – der Hebel da – Himmel, mußte der nun links oder rechts gerückt werden, wenn man stoppen wollte? Und – die Haare stiegen mir zu Berge – da – da vorne bog sich die Straße in scharfer Krümmung! Nicht ums liebe Leben wäre es mir möglich gewesen, auf irgend etwas anderes zu achten als den Steuerhebel. Denn ich hatte herausbekommen, daß dieses elektrische Automobil lebendig war und ein Gehirn besitzen mußte! Das boshafteste Trollgehirn, das je einem armen Menschenkind tückische Qualen ersann! Wie war es möglich sonst, daß dieser Satan augenblicklich nach rechts oder nach links hüpfte, den Bäumen zu, wenn ich an etwas anderes als den Steuerhebel auch nur dachte? Vorwärts? – Rückwärts? – Stopp? – – keine Ahnung hatte ich mehr! Da kam die Kurve – ich drehte krampfhaft – kam glücklich herum – und im nächsten Augenblick stöhnte, knarrte, ächzte irgend etwas und ich wurde nach vorwärts geschleudert.– –

In der Aufregung war ich auf die starke Fußbremse getreten, die das Automobil binnen wenigen Metern auch in schärfster Fahrt zum Stehen brachte!

Und auf einmal war ich ruhig und kalt, erkannte plötzlich, wie einfach der Regulierungsapparat war, stoppte ab, schob den Hebel wieder vor und fuhr darauf los. Ich hatte meinen Anfall von Automobilfieber glücklich überstanden, aber die etlichen siebzig oder achtzig Sekunden, die er gedauert hatte, waren ungewöhnlich reich an Empfindungen gewesen, ganz besonders lebhaft!

»Es handelt sich da nur um das Ueberwinden einer gewissen Nervosität,« meinte der Major. »Im Grunde ist es einfacher, ein Automobil zu lenken, als einen mit zwei Pferden bespannten Wagen!«

»Na, na!« dachte ich mir.

Jedenfalls aber schlug sich das Signalkorps wacker herum mit dem Automobilfieber und ließ sich nicht verblüffen, denn am gleichen Abend noch fuhr Sergeant Ellis den Major nach Washington ins Kriegsministerium. Freilich erzählte er uns nachher Geschichten von elektrischen Straßenbahnen, Menschenansammlungen an Straßenecken, und dem Wagenwirrwarr vor dem Kriegsministerium, die darauf schließen ließen, daß der Major seinen Hals außerordentlich riskiert hatte bei jener Fahrt.

Es war ein verrückter Tag!

Nach den Automobilversuchen hatte der Major in seinem hackigen Telegrammstil noch das Gerippe einer Dienstanweisung für die Behandlung der elektrischen Automobile diktiert, denn die Vorliebe für Geschriebenes war groß in ihm, und darauf die Abteilungen der Sergeanten bei der Arbeit inspiziert, und den inneren Telegraphendienst geordnet.

Er sah Souder verwundert an, als er im Telegraphensaal nur zwei oder drei Tische mit wenigen Instrumenten vorfand.

»Aber das genügt doch nicht!« sagte er.

»Es sind nur die Prüfungsinstrumente,« erklärte der Sergeant.

»Aber wo wird denn gearbeitet?«

»Unten im Quartier, sir! Ich dachte mir, es würde am besten sein, den Leuten recht günstige Gelegenheit zum freiwilligen Telegraphieren zu geben, damit wir die Uebungsstunden möglichst sparen.«

»Oho!« sagte der Major. »Großartig!«

Eigentlich war es niederträchtig. Decken und Wände unten in den Mannschaftsquartieren waren übersät von Leitungsdrähten, und an der Wand bei jedem Bett standen kleine Tische oder waren Brettchen angeschraubt. Die Berufstelegraphisten unter den Rekruten waren dabei, für jeden Bettinhaber ein Privat-Telegraphen-Instrument zu installieren, und schienen ordentlich zu wetteifern in geschickter Leitungsführung, raffinierten Umschaltungen, und elegantem Wickeln des seidenumsponnenen Drahtes. Da und dort aber klapperten schon die Klopfer, und darin lag der Witz der Idee, denn es war eigentlich – Freizeit! Die Leute merkten den Trick Souders gar nicht, sondern waren ihm augenscheinlich auch noch sehr dankbar für das wunderschöne Telegraphenspiel. Unsere Rekruten hatten keine Ahnung, daß ihnen ihre Freizeit gestohlen wurde.

»Sie merken's gar nicht!« grinste Souder.

Er hatte außerordentlich schnell begriffen, wie man es machen mußte, um aus Männern Arbeit herauszuholen!

»Glänzend!« sagte der Major und – bürdete ihm schleunigst noch einen Teil der Arbeit in der photographischen Dunkelkammer auf!

Ein verrückter Tag.– –

Es war in den frühen Nachmittagsstunden, als fast gleichzeitig zwei Wagen angefahren kamen, in deren einem Mrs. Stevens saß, in deren anderem Sergeant Hastings Frau.

»Donnerwetter!« sagte der Major. »Da kommt ja meine Frau; das hätte ich beinahe vergessen. Und das ist Mrs. Hastings? Ich bitte mir aus, Hastings, daß von den anderen Sergeanten keiner heiratet, denn erstens wäre das an und für sich schon eine Dummheit und zweitens haben wir keinen Platz mehr, wenn die ladies auf dem Paradegrund kampieren wollen.« Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare. –

»Donnerwetter!«

Ein verrückter Tag! Nun hatten wir auch noch Frauen auf dem Halse!

Der Telegraph klickte, und in verblüffend kurzer Zeit kamen nicht etwa die Mannschaften, um die telegraphiert worden war, sondern sämtliche Sergeanten, um den Majors beim Umzug zu helfen. Das taten sie nicht etwa aus besonderer Liebenswürdigkeit, sondern sie platzten einfach beinahe vor Neugierde, die Frau des Majors zu sehen, und der Major wußte das recht gut. Lächelnd stand er da. –

»Die Sergeanten, Mary!«

»Ja, ich weiß. Dies ist Sergeant Souder, nicht wahr, und dies Mr. Ryan, und dies – –«

Die Stimme klang silbern hell und sie kam aus einem süßen schmalen Gesichtchen, und Seide rischeraschelte.

»Ich habe viel von Ihnen gehört!« sagte die silberne Stimme. »Ich bin so froh, daß Sie meinem Mann so viel geholfen haben. Sagen Sie doch, bitte, den Arbeitern dort beim Möbelwagen –«

Da sausten wir auch schon hinaus, daß wir beinahe die Treppenstufen hinuntergepurzelt wären, und stürzten auf den Möbelwagen los, der knarrend die Straße heraufgekarrt kam, und schrien die Arbeiter an, und packten Möbelstücke. Es ist ganz merkwürdig, was ein halbes Dutzend Worte einer silbern klingenden Stimme alles auszurichten vermögen. Wir schleppten Kisten und Kasten und Möbel in die Zimmer und halfen stellen und setzten den irischen Arbeitern leise aber nachdrücklich auseinander, was ihnen alles passieren würde, wenn sie ihre verehrlichen Beine nicht in rapideste Bewegung versetzten.

»So liebenswürdig ...« lächelte das Stimmchen.

Nun waren wir schon gar nicht mehr zu halten und rannten Hals über Kopf nach dem Materialschuppen, um Draht und Klingeln und Telephone herbeizuholen. Noch nie ist eine Wohnung so glänzend elektrisch ausgestattet worden, wie diejenige unserer jungen Majorin. Wir genierten uns zwar gegenseitig ein wenig über unseren Eifer, aber wir arbeiteten wie Besessene. Unten im Keller stellten wir die Batterien auf. In alle Zimmer wurden Klingeln gelegt, ein Telephon nach dem Kommandeursbüro eingerichtet, ein Nebentelephon vom Wohnzimmer nach der Küche, ein Klingelschaltapparat vom Schlafzimmer nach der Küche, so daß das silberne Stimmchen durch einen leisen Druck heißes Wasser bestellen konnte und Frühstück und was sonst ihm noch belieben mochte. Zehn Schaltklingeln richteten wir ein. Das Stimmchen durfte nur auf die Elfenbeintäfelchen in Schlafzimmer und Küche schreiben, was die Klingelzeichen bedeuten sollten.

»So liebenswürdig! Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten?«

Da hätten wir uns für das Stimmchen totschlagen lassen.

»Ich möchte gern telegraphieren lernen! Sie müssen mir später einen Uebungstelegraphen in mein Zimmer legen!«

Selbstverständlich errichteten wir das Instrument sofort und selbstverständlich hätte der Majorin nichts Gescheiteres einfallen können, um sich die unbegrenzte Verehrung ihrer Sergeanten zu sichern. Wir hätten uns nun zerreißen, rädern, vierteilen lassen für sie...

Und das Stimmchen ließ sich von Kuba erzählen und lud uns zu einer Tasse Tee ein und wir standen uns sehr gut mit ihr. Sie half später so manchem von uns aus der Klemme, als die Arbeit geregelter wurde und wir wieder Zeit zu Dummheiten fanden. Es war alles höchst irregulär damals!

Ein verrückter Tag!

Natürlich halfen wir nachher auch Mrs. Hastings beim Einzug, weil wir in guter Laune waren und die Frau des Kameraden ehren wollten, und wir mußten richtig noch einmal Tee trinken und legten noch einmal elektrische Leitungen und erzählten wiederum. Ich denke heute noch in dankbarer Erinnerung an die junge Sergeantenfrau, denn sie bewahrte mich später durch ein paar gescheite Worte davor, die kleine Irländerin zu heiraten, die drüben auf der elektrischen Bahnstation beim Arlingtonfriedhof Billette verkaufte – ich war ein kolossaler Esel damals... die Irländerin war übrigens reizend – Und dann ging's hinüber zu den Quartieren und die Rekruten wurden vorgestellt und wiederum kam das abgehackte Diktieren von kurzen Stichworten von Befehlen. Es war spät abends, als Sergeant Hastings und ich endlich zum erstenmal die Kantine von Fort Myer kennen lernten. Der alte Mc. Gafferty wartete schon.

*

Aber die nette kleine Kantine sollte die Leute mit den schwarzsilbernen Streifen und den bunten Flaggen am Aermel sehr selten sehen, denn der Himmel, der Major, die Verhältnisse, und unser eigenes Wollen sorgten alle zusammen dafür, daß die Zeit der neun Sergeanten gründlichst in Anspruch genommen war. Freilich sorgten wir unsererseits doch für ein gemütliches Glas Bier. Durch die Bierleitung. Wir hatten einfach im Telegraphenzimmer, in einem verschlossenen Schränkchen verborgen, ein geheimes Telephon aufgestellt, dessen Drähte nach der Kantine führten. Der Major wußte nichts davon. Er brauchte nicht alles zu wissen.

Wir kamen uns sehr schlau vor.

Der Herr Sergeant Souder aber schlug uns mit sechs Längen. Er war noch viel, viel schlauer als wir – – –

Eines Tages ging der Major durch das Quartier, von mir begleitet, und trat einen Augenblick in Souders Zimmer, um sich die Zeichnung eines neuen Umschalters anzusehen, den der Sergeant in Arbeit hatte. Er setzte sich an den Tisch, als plötzlich ein sonderbares, klopfendes, hölzern raschelndes Geräusch ertönte.

»R-r-sch ...« Der Major sah unwillig auf.

»R-rr–sch!« Lauter. Rasselnder. Ungeduldiger.

»Was haben Sie denn da?« fragte der Major, und Souder stotterte irgend etwas von Telegraphengeräuschen und Leitungabstellen. Dabei machte er aber ein so verlegenes Gesicht, daß ich neugierig nach der Ecke schielte, aus der das Geräusch zu kommen schien. Es kam mir auch so bekannt vor: es erinnerte mich lebhaft an das Klopfen des hölzernen Vibrators, den wir statt der lärmenden Klingel für unser Biertelephon ausgeklügelt hatten. Irgendwo mußte da ein Telephon stecken. In der Ecke dort stand ein Bücherbrett, ein einfaches Regal aus Leisten, auf einer hölzernen Kiste als Unterlage. Die Kiste hatte eine Türe und ein Schloß. Aha!

»R–rrtsch! R–rrrtsch!! R–rr–rrrrtsch!!!« Es war das reine Trommeln und es kam ganz entschieden aus der Kiste!

Major Stevens sprang auf.

»Was zum Teufel haben Sie denn da?« schrie er – der Major war ein sehr cholerischer Herr. Mit einem Satz war er bei der Kiste, riß die Türe auf, und hielt eines unserer schönsten neuen Tischtelephone in den Händen. Ein prachtvolles Instrument. Schallverstärkung. Platin-Resonanz. Verwundert – verdammt verwundert! – sah er Souder an, als plötzlich eine Stimme zu sprechen begann. Eine hellklingende, schrille, lachende Frauenstimme, die drei Meter weit weg vom Schallbecher zu verstehen war.

»Bist – du – da – mein – süßer – Frosch?« Frosch!

Frosch!! Ich hätte fromm die Hände falten mögen, den guten Göttern zu danken, die mich das miterleben ließen. Ich verspürte keine Spur von Mitleid mit Souder – keine Spur! Der Major kniff die Augen zusammen und mußte grinsen. Neben dem Grinsen aber stand in mindestens gleichem Maße heilloses Erstaunen auf seinem Gesicht geschrieben. Es war höchst interessant, ihn zu beobachten. Ich biß krampfhaft die Zähne zusammen, um nicht herauszuplatzen. Souder aber stand erstarrt da. Steif wie eine Telegraphenlanze.

»So antworte doch, Mäuschen! Wieder 'mal übler Laune? Wieder 'mal zu arbeiten? Packt euch der Major so viel auf?« Mäuschen!

Dieser Souder!

Wo zum Teufel war das andere Ende? Wer war das Mädelchen?

Der Major ließ sich in einen Stuhl fallen und krümmte sich vor Lachen. »S – Souder – ich – will nicht indiskret sein,« stöhnte er, »s – sagen Sie – der Dame – Sie hätten – Sie hätten Besuch oder – na. irgend was ...«

Und der arme Souder mußte (er schwitzte vor Entsetzen) in den Schallbecher sprechen, er würde später anrufen, und ließ dann das Instrument fallen, als sei es glühendheiß.

Major Stevens aber lachte wie toll.

»Menschenskind – 'n Privattelephon – Mädel am anderen Ende – verdammt schlau das mit dem Klopfer – Klingel macht zu viel Lärm, was?« – Teufel, da erntete Souder Lorbeeren, die ihm nicht gebührten! Der hölzerne Klopfer war unser Biertelephonpatent! – »Mann, seit wann sind in unserem Betrieb Telephonistinnen angestellt? – Sie – Sie – Sie süßer Frosch, Sie!«

Und wir lachten alle drei geschlagene fünf Minuten lang.

»Also, dieses Telephon mag ja riesig bequem sein, aber Sie müssen es abschaffen. Nun sagen Sie 'mal im Vertrauen, Carlé hier hält den Mund, wo geht denn das Dings hin? Ich möchte wirklich auch gern wissen, wo hier die netten Mädels sind!«

»In – ins Kavalleriefort,« stotterte Sergeant Souder.

»Was?«

»Ins Hospital!«

»A–ha–aa!« meinte der Major verständnisinnig. »Das haben Sie sich aber höllisch fein eingerichtet!«

In dem großen Kavalleriehospital drüben waren als Ueberbleibsel des Krieges noch viele Leichtkranke und ein Stab von Pflegerinnen. Wir kannten die lustigen Mädels alle. Hatten sie einmal getroffen auf dem Weg nach Washington, und es war ein fideles Diner in einem kleinen französischen Restaurant daraus geworden. Freilich, so schlau, wie dieser Souder – – hatte der in dunkler Nacht einen isolierten Leitungsdraht zum Hospital hinüber gelegt – geschlagene siebenhundert Meter – es mußte eine gräßliche Arbeit gewesen sein – in den Rasen hineingestochert, natürlich, mit dem Messer – na, Souder und ich waren beinahe Blutsfreunde, aber fast schien es mir ein zu großes Opfer der Freundschaft, diesmal den Mund halten zu müssen ...

»Unverständlich ist mir nur,« sagte der Major, »wie Sie bei all Ihrer Arbeit noch Zeit für dieses famose Privattelephon und so weiter übrig hatten!«

So spielten sich sogar unsere Allotria in der Welt der Signaltechnik ab, in der wir lebten ... Sie waren nicht gerade häufig, diese Allotria, aber dann und wann gab es doch etwas Lustiges bei all der Hetzarbeit.

An einem Winterabend saß ich im Büro des Signalforts. Ich hatte prachtvolle Photographien der neuen Ballonhülle aufgenommen heute, acht Stunden sauer im Büro gearbeitet, den Azetylenapparat ausprobiert, mit einem neuernannten Sergeanten Säbel gefochten, zum Nachteil des Kopfes dieses Sergeanten, und noch allerlei mehr. Doch mißvergnügt guckte ich in die glutlodernden Buchenscheite im Kamin und verfluchte den Major, der bis nach neun Uhr abends irgend einen Bericht diktiert hatte. Und um neun Uhr ging doch die letzte elektrische Bahn von der Arlington Höhe nach Washington! Dann ergriff ich den Taster, schaltete das Quartier ein, rief S. U. 2 an, den Sergeanten Souder, und telegraphierte:

» S. U. 2 – S. U. 2

»Jawohl!«

»Wollen wir uns das Auto nehmen, Souder, und ein bißchen nach Washington fahren?«

»Nein!« kam sachlich und klug die Antwort. »Der Hügel unten ist schneeverweht. Wir würden stecken bleiben und erwischt werden. Man muß eine gute Sache nicht übertreiben!«

»Richtig!«

Und mir ist, als hörte ich mein Spitzbubenlachen von damals, und als säße ich wieder in dem komischen Schreibmaschinensessel, mit dem schmalen Lehnenpolster, das einem wie eine Faust in den Rücken drückt – die Hand am Telegraphentaster – vergnügt vor mich hinkichernd über mein Schlausein ... Denn ich war es doch gewesen, der den glänzenden Gedanken ausgeheckt hatte, die Automobile des Signalkorps den höchst privaten Zwecken der neun Sergeanten dienstbar zu machen. Wenn nächtlicherweile Offiziere und Mannschaften den Schlaf der Müdigkeit schliefen, huschten wir leise zum Schuppen und sausten wenige Minuten darauf im höchsten Tempo, das die Akkumulatoren nur hergeben wollten, gen Washington. Manchmal spielten wir die großen Herren in den kleinen Restaurants und öfter jagten wir nur planlos übers Land in schierer Freude an jenem Dahinhasten, für das eine spätere Zeit das Wort vom Kilometerfressen geprägt hat, und nie vergesse ich die Nacht auf einer Landstraße irgendwo tief in Virginien, als wir vier Stunden lang totunglücklich über einer Panne arbeiteten, um endlich zu entdecken, daß der Maschine gar nichts weiter fehlte als die Kraft! Wir hatten die Akkumulatoren völlig ausgepumpt. Und in mir ist ein großes Lachen, wenn ich daran denke, wie wir verzweifelt im Laufschritt den schweren Karren vorwärtsschoben, um ein Städtchen zu erreichen, und wie wir endlich dem virginischen Spitzbuben von Nachtaufseher des Elektrizitätswerks seinen Strom mit Gold aufwiegen mußten und wie wir gerade Sekunden noch vor der Reveille heimkehrten. Ach, was waren das doch für schöne Zeiten, in denen man noch hart arbeiten konnte zwölf Stunden lang, und darauf frisch und lustig genug war, die anderen zwölf Stunden in Dummheiten totzuschlagen, um dann seelenvergnügt das Tagewerk von neuem zu beginnen ...

Auch jene Nacht, die mit dem Wunsch nach einer Automobilfahrt begann, sollte kein Ende finden. Ich sehe Souder vor mir, wie er vergnügt herangeschlichen kam, Bierflaschen fürsorglich unterm Arm, Karten in der Tasche, und weiß noch, wie wir behutsam pfiffen auf der Treppe, um den alten Hastings aus seinem ehelichen Schlafzimmer zu locken. Er kam. Auf leisen Sohlen. Im Nachthemd. Da lachten wir leise aber innig, und ein großes Pokern hub an. Die ganze Nacht hindurch. Es dauerte genau bis zur Reveille. Eine halbe Stunde später aber saß ich an der Schreibmaschine, frisch, hellhörig, spitzbübisch vergnügt, und nur meine Augen zwinkerten dann und wann ein bißchen, weil das grelle Licht des jungen Morgens ihnen nicht recht behagen wollte. Ich lächelte gerade im Erinnern an den wundervollen Bluff gegen drei Damen, der mir so um Mitternacht herum gelungen war – da schlug auf einmal die Laune um ...

Wie erbärmlich waren diese Vergnügungen! Wie klein und winzig das alles. Der verdammte Sergeantenrock! Er drückte – er tat weh – er schnürte ein. Da saß man nun an der Schreibmaschine und arbeitete die Befehle anderer Leute aus und war giftgrün neidisch im Grunde auf die Offiziersschulterstreifen dieser anderen Leute, wenn man sich's nur ehrlich eingestehen wollte. Unerhört – dieses Leben mit seinen Rekrutendummheiten, dem Pokern, dem einsamen Fort, dem Untergeordnetsein! Und zum zwanzigsten Male so ungefähr in zehn Wochen faßte ich den unabänderlichen Entschluß, eine Eingabe an den Signalchef der Armee zu richten, um meine Entlassung zu bitten, und sie durchzusetzen, und wenn ich bis zum Präsidenten gehen mußte. Diese wiederholten Entschlüsse waren immer ein prachtvolles Barometerzeichen dafür, ob es im Signalfort interessant herging oder nicht. Solange die Automobile neu waren und der Wirrwarr der Organisation groß – da war ich Signalsergeant mit Leib und Seele – als die Arbeitsleistung hübsch eingeteilt wurde und weniger anstrengend – da pfiff ich aufs Soldatenleben – dann kam wieder etwas Neues, und ich war abermals begeistert – –

Draußen fuhr das Automobil vor, das den Leutnant Burnell von Washington geholt hatte. (Der Hügel war also doch nicht schneeverweht!). Das war mir sehr gleichgültig – der Leutnant rutschte immer in Washington herum, zu irgendwelchen Versuchen zum Signalchef abkommandiert – aber ich fuhr entsetzt auf, als er ins Büro trat, anstatt in sein eigenes Quartier nebenan.

»Ach du lieber Gott ...«

Denn den Leutnant konnte ich wirklich nicht ausstehen, trotzdem er eigentlich viel liebenswürdiger war als der Major und nie grob hätte werden können wie dieser. Aber er schien mir solch ein langweiliger Geselle. Brutal, wie sehr junge Menschen in der Beurteilung der Menschen neben ihnen nun einmal sind, hielt ich seine Bedächtigkeit für Mangel an Geist, sein Schüchternsein für Trottelei. Er hatte Sommersprossen, die mir mißfielen, und eine Art, sein blondes Schnurrbärtchen zu streicheln, die ich nicht mochte. Dabei aber hatte er trotz aller Schüchternheit etwas Dozierendes, Professorales, und das konnte ich nun schon erst recht nicht leiden.

»Haben Sie viel zu tun, Sergeant?« fragte Leutnant Burnell liebenswürdig.

»No, Sir.«

»Wollen Sie dann so freundlich sein, mir beim Auspacken der Instrumente zu helfen, die ich im Wagen habe? Sie müssen sehr vorsichtig behandelt werden und ich möchte sie deshalb nicht Mannschaften anvertrauen. Es sind drahtlose Telegrapheninstrumente, die ich mit Souder und Ihnen ausprobieren möchte. Bitte, rufen Sie Sergeant Souder herbei.« Und der Leutnant lächelte ein wenig in seiner hilflosen Art. Ich aber war auf einmal wieder mit Wonne Sergeant des amerikanischen Signalkorps!

Draht–lose – Telegraphie!!

»Sofort beim Hauptquartier melden zu Experimenten mit drahtloser Telegraphie!« klickte das Instrument auf meinem Schreibtisch protzig zu Souder hinüber.

Der Sergeant kam gerannt wie aus der Pistole geschossen. Behutsam trugen wir die beiden Tische mit den messingglitzernden Instrumenten auf die weite Schneefläche des Paradegrunds hinaus, und einen anderen Tisch dann, auf dem die Akkumulatoren in langen Reihen aufgestellt wurden. Das Laden der Batterien war uns längst vertraut. Der Leutnant saß steif, bolzengerade, verlegen auf dem Schreibmaschinenstuhl, den ich ihm hinausgetragen hatte.

»Es handelt sich hier um Versuchsinstrumente.« dozierte er, »die mit einigen Abänderungen dem Marconi-Apparat nachgebaut sind. Das Prinzip der Uebertragung telegraphischen Stroms basiert, wie Sie aus meinem neulichen Vortrag wissen, auf dem Aussenden sehr starker elektrischer Entladungen, die in wissenschaftlich noch nicht ganz aufgeklärten Vorgängen sich blitzartig oder vielmehr schallwellenartig durch die Luft fortpflanzen und von nackten Bronzedrähten zum Teil aufgefangen werden können. Das eigentliche Registrieren des Stromes jedoch geschieht durch den Kohärer, ein mit Metallstaub gefülltes luftleeres Glasröhrchen, das sehr fein auch auf schwächste elektrische Einwirkungen reagiert. Unsere Aufgabe nun ist – «

»Oh du langweiliger Geselle! Du – du Professor, du!« dachte ich.

Ich hörte schon gar nicht mehr zu.

Aha – Taster wie bei einem gewöhnlichen Telegraphenapparat. Der Draht dort war die Erdleitung. Hm, die riesigen Messingkugeln sind Induktoren natürlich, und jene Drähte führen ihnen negative und positive Elektrizität von den Drähten dort zu. Dja, das müssen wir uns doch 'mal ganz genau ansehen. Dieser Draht also – aha! A–ha! Kindereinfach! Wenn ich auf den Telegraphentaster hier drücke und damit die Verbindung zwischen den beiden Drähten herstelle, so verbinde ich eigentlich die beiden großen Messingkugeln, aus denen nun ein ungeheurer Funke überspringt. Dieser Funke klettert am Draht empor und – na ja, geht in die Luft spazieren. Wie er das macht, mag der Teufel wissen! Die gescheitesten Leute haben es noch nicht herausgekriegt. Dann stößt er sich den Kopf an den Draht, der da drüben an der Empfangsstation in die Luft hinausragt, klettert daran hinunter und – – und somit – – gräßlich einfache Sache ...

Herrgott, wie wunderbar frech war ich damals!

»Vorsichtig!« befahl der Leutnant. »Das Senden ist bei diesem Versuchsapparat gefährlich. Sehen Sie mir genau zu. So setzen Sie sich hin! So wird die Hand an den Taster gelegt! Sie sehen, daß die Gummiplatte Hand und Arm von allen Metallteilchen isoliert. So! Vollkommen ruhig sitzen! Der Kopf darf nicht nach vorwärts gebeugt werden. Nun drücke ich auf den Taster und –«

Unwillkürlich prallten Souder und ich zurück.

Von Messingkugel zu Messingkugel schoß über eine Strecke von einem halben Meter wohl unter furchtbarem Dröhnen, Knattern, Sausen ein Blitz. Er war armsdick. Das jähe Weiß, Gelb, Rot seiner glühenden Farben schien einem ins Gehirn zu dringen. Glutrot war der sausende Funkenstrom dort, wo er den glitzernden Kugelmassen entsprang, wurde grellgelb dann, und zu leuchtendem Weiß in der Mitte. Um seine Ränder schienen Funkenstäubchen zu zittern. Und in dieser glutströmenden Masse von fürchterlicher Kraft war donnerndes Sausen, als folge Explosion auf Explosion, so rasch, daß das Ohr nur ein einziges, stetes, dröhnendes Schwingen unterschied. Meine Augen starrten wie gebannt auf den Blitzstrahl, und ich wurde ganz still. Wie feierliche Märchenstimmung kam es über mich, daß ich das Wunder miterleben durfte.

Der Leutnant ließ den Taster los und der Blitz verschwand. An den leuchtenden Messingkugeln waren zwei talergroße Stücke leicht gebräunt, wie verbrannt.

»Das ist die Kraft!« sagte er. »Haben Sie meine Manipulationen genau beobachtet, Souder?«

»Jawohl.«

»Sie begreifen, daß der Induktionsstrom gefährlich ist und jede Berührung von Metallteilen unbedingt vermieden werden muß?«

»Jawohl.« »Dann setzen Sie sich an den Apparat.«

*

»So, das ist richtig. Souder. Rühren Sie sich ja nicht. Ich werde nun den Empfangsapparat fünfzig Schritte entfernt aufstellen. Wenn Carlé Ihnen ein Flaggenzeichen gibt, dann telegraphieren Sie das Wort wonder

Das hieß – Wunder.

»Dann eine Minute Pause – dann wieder das Wort – und so weiter bis zum Flaggenzeichen! Die Instrumente sollten eigentlich in der Fünfzig-Schritt-Grenze betriebsfähig sein, aber es wird viel adjustiert werden müssen. Unsere Arbeit wird sich darauf beschränken, die Wiedergabe der Zeichen im Empfangsapparat genau aufzuzeichnen – wie sie auch sein mag. Also: Flaggenzeichen – Wunder – Pause – Wunder – Pause – nicht wahr? Kommen Sie, Sergeant!«

Wir trugen den Empfangstisch fünfzig Schritte weit weg.

Der blanke Antennendraht wurde einfach an einer in den Boden gestoßenen hölzernen Lanze befestigt, denn es war bei dieser kurzen Entfernung ganz gleichgültig, wie hoch er in die Luft ragte, wenn er sich nur über die Apparate selbst erhob. Von der Lanze führte der Draht auf den Tisch und wurde vom Kohärer unterbrochen. Dieser Zusammenhänger, Zusammenbringer, Verbinder war ein simples luftleeres Glasröhrchen, zu einem Viertel seines Inhalts mit winzigen Metallteilchen gefüllt, die ein Schlosser Feilspäne genannt hätte. In den winzigen Endöffnungen des Röhrchens war rechts der Luftdraht eingelötet, links der Instrumentendraht, der dann weiterführte zu dem verstärkenden Relais und dem Magneten des Morseklopfers, dem eigentlichen Empfänger. Der wieder war mit Ergänzungsbatterie, Erdleitung und selbsttätig aufzeichnendem Rollenapparat verbunden. Der Leutnant zeigte auf die verschiedenen Verbindungen, deutete die Drähte entlang und fragte:

»Verstehen Sie die Zusammenhänge?«

»Jawohl.«

»Dieses Röhrchen hier ist ein Wunderding,« sagte er langsam. Er schien mir mit einemmal gar nicht mehr langweilig ... »Man könnte es den elektrischen Sinn nennen. Oder das elektrische Auge. Oder das elektrische Gehirn. Sehen Sie, die Stromwelle, die der Luftdraht dort auffängt, hat in ihrem Wandern so viel Energie verloren, daß sie im Draht überhaupt kaum wahrgenommen werden kann durch den Strommesser, jedenfalls aber einen Morsemagneten nie in Bewegung setzen würde. Wir führen daher den Strom durch dieses Röhrchen mit Feilspänen. So schwach er auch sein mag, so spürt ihn das erste Metallteilchen am Röhrenende. Es erzittert, verspürt die Schwingungen, wird elektrisch. Es saugt den Strom in sich auf, bis es geladen ist in unerträglicher Spannung und wird ebenfalls elektrisch und auch überladen und lastet einem Nachbarstäubchen einen Teil der Bürde auf. Das wiederholt sich von Stäubchen zu Stäubchen, millionenmal in einem winzigen Bruchteil einer Sekunde, bis das letzte Stäubchen am anderen Ende seine Bürde aufgenommen und sie weitergegeben hat. Die Metallteilchen sind durch den Strom zu einer elektrisch leitenden Masse verbunden worden – bis das letzte Stäubchen seine Last abschüttelt an den Instrumentendraht und das Relais, das den schwachen Strom auffängt und ihn aus eigener Kraft verstärkt. Das war der erste Vorgang. In dem zweiten nun, der folgt, liegt das Wesen der drahtlosen Telegraphie: sobald die Schwingungen aufhören, muß es über die Metallstäubchen kommen wie Müdigkeit. Sie wollen nichts mehr wissen von einander, zerfallen – und unterbrechen damit die Leitung! Sie fügen sich zusammen, wenn sie Strom verspüren, zerfallen, wenn sie ihn nicht mehr verspüren. Aus diesem Zusammenfügen und Zerfallen werden die Punkte und Striche des elektrischen Alphabets ...«

Ich starrte auf das Wunderding mit den Stäubchen.

»Sie verstehen? Es ist ganz einfach, wenn man auch ja nicht viel darüber nachdenken darf, denn dann wird's unbegreiflich. Sehen Sie her: der Morsemagnet und das Relais haben ihre eigene Kraft aus unserer zweiten Batterie dort, nicht wahr? Sie sind aber eingeschaltet in den Luftdraht. Solange die Stäubchen nun zusammenhängen – cohaerere – Kohärer! – arbeitet unsere Kraft. Wenn sie zerfallen, ist unsere Kraft abgedreht. Strich – Punkt – Strich – Punkt ... Sie sind wie ein Zapfhahn: Hahn auf! Hahn zu! Die Wellen in der Luft sind nur stark genug, auf das bißchen Metallstaub einzuwirken – das übrige besorgt unser Empfangsinstrument selber. Aber der elektrische Strom in dem Röhrchen ist sehr eigensinnig. Manchmal will er, manchmal will er nicht. Es ist uns noch nie gelungen, ein ganzes Wort aufzufangen. Ja – – geben Sie das Zeichen!«

Grell und blendend zischte drüben der sausende Lichtbogen auf und deutlich unterschied ich es: Kurz, lang, lang ... kurz, kurz – lang, kurz ... W–u–n–der.

»Es ist nichts,« sagte der Leutnant leise. Er tippte mit einem Bleistift an das Röhrchen.

Pause.

Wieder dröhnte es: Kurz, lang, lang –

Und da rasselte der Klopfer eine Sekunde lang und auf dem Papierstreifen erschienen wirre Punkte, acht oder neun, in unregelmäßigen Abständen. Sie bedeuteten nichts.

»Laufen Sie zu Souder hinüber und sagen Sie ihm, er solle fortwährend langen Strich – Pause – langen Strich senden,« befahl der Leutnant.

Drüben knatterte es. Lang – Pause – lang. Und mit einem Male, als wir den Heimatstrom verstärkt und den Magneten auf größte Empfindlichkeit gestellt hatten, begann der Klopfer zu reden. Klick – Pause – Klick. Auf dem sich drehenden Papierstreifen erschienen in absoluter Regelmäßigkeit Striche. Fast gleich lange.

»Wir haben es!« flüsterte der Leutnant fast keuchend. »Carlé! Flagge hoch! – – Souder!!« brüllte er. »Telegraphieren Sie wonder

Atemlos beugte ich mich über das geheimnisvolle Glasröhrchen und – sah es wie ein Erzittern durch die Metallstäubchen gehen. Die gleichmäßige Lage von Metallteilchen schien an einer Stelle dünner zu werden, an einer anderen sich an der Glaswand zu erhöhen. Leise klickte der Klopfer:

»Kurz, lang, lang – kurz, kurz ... deutlich hörbar trotz des sausenden Gedröhnes im Gebeapparat drüben.

»Flagge hoch!«

Der Leutnant stand da und starrte auf den Papierstreifen. So klar und deutlich wie Schrift stand da in den Punkten und Strichen der telegraphischen Zeichen das Wort –

w–o–n–d–e–r.

»Meines Wissens ist das zum erstenmal, daß in Amerika die praktische Uebertragung eines Worts auf drahtlosem Wege gelungen ist,« sagte er.

Und dann streikte das Glasröhrchenwunder. Die Experimente dauerten fast ohne Unterbrechung zwei Tage lang, aber es gelang nicht ein einzigesmal, die Wiederholung auch nur eines einzigen Buchstabens zu erzielen. Irgend etwas arbeitete nicht im elektrischen Gehirn ...

So plötzlich wie er gekommen war, verschwand der Leutnant wieder in das Laboratorium in Washington, und ich habe nie wieder einen drahtlosen Apparat gesehen seitdem.


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