Erwin Rosen
Der Deutsche Lausbub in Amerika – Erster Teil
Erwin Rosen

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Der Lausbub findet die Lebenslinie.

Von neuem Stolz. – Der Lausbub will amerikanischer Journalist werden. – Auf der Redaktion. – Jüngster Reporter – Hallelujah! Das erste Interview. – Die Lebenslinie.

Ueber Nacht fast wurde der törichte Junge zum Mann. Vor allem: Er verdiente viel Geld! Zum erstenmal in diesen kindlich einfältigen Wanderjahren verfügte er über mehr Geld, als der Tag erforderte. Das gab Rückgrat und Selbstbewußtsein. Dann waren da die jungen Amerikanerinnen, in deren Gesellschaft er sich frei bewegen lernte (das Linkischsein Frauen gegenüber verflog merkwürdig rasch!) – da war Frank Reddington, dessen frischer froher Lebensoptimismus der Art des deutschen Jungen so verwandt war und doch wieder auf ganz neue Wege hinwies. Dieser amerikanische Bruder Leichtfuß ließ sich nicht blind, gedankenlos, ohnmächtig vorwärtstreiben, sondern dachte klar und scharf. Er hatte nicht nur eine ausgezeichnete Meinung von sich selbst, sondern wußte auch in seiner flotten, knappen amerikanischen Manier so aufzutreten, daß sein Selbstrespekt sichtbar war und auf andere Menschen wirkte. Rückgrat! Männerstolz!

So lernte der Lausbub. Zog mit den eleganten amerikanischen Anzügen, die ihm ein guter Schneider nach Franks Garderobe kopierte, auch ein wenig von Franks Wesen an. Machte nicht mehr die tiefen Verbeugungen vor allen Menschen! Plapperte nicht mehr jungenhaft alles heraus, was ihm gerade im Kopfe steckte ...

Als die Schülerinnen nach und nach wegblieben, weil der Reiz der Neuheit verblaßt war, da setzte ich es mir in den Kopf, um jeden Preis Journalist zu werden. Kurz entschlossen ging ich auf die Redaktion des San Franzisko Examiners. Melden ließ ich mich bei dem managing editor, dem stellvertretenden Chefredakteur, der an amerikanischen Zeitungen der eigentliche Chef des Redaktionsstabs ist. (Das wußte ich von St. Louis her.)

»Und was kann ich für Sie tun?«

»Ich will Journalist werden.«

»Halloh! Langsam – immer langsam ...«

»Ich nehme Ihre Zeit nur drei Minuten in Anspruch –«

» Go ahead

»Ich will Journalist werden. Vor allem will ich wissen, ob meine Kenntnisse für die Arbeit einer amerikanischen Zeitung genügen. Ich bin Deutscher. An der Westlichen Post war ich zwei Monate lang aushilfsweise angestellt –«

»Aha! An der Westlichen Post – weiß schon. Go ahead

»Ich bitte Sie, einen Versuch mit mir zu machen und schlage vor, zwei Monate lang umsonst für die Zeitung zu arbeiten.«

»Halloh – haben Sie denn Geld zum Leben?«

»Jawohl.«

»Woher?«

»Mit deutschem Sprachunterricht verdient.«

»So? Ich erinnere mich, einen Brief von der Redaktion der Westlichen Post erhalten zu haben, in dem Sie empfohlen wurden. Sie könnten arbeiten, sagt Doktor Pretorius. Können Sie mir etwas zeigen, das Sie geschrieben haben? In Englisch natürlich.«

Als ich von den eingesandten Manuskripten sprach, bat er telephonisch den city editor, den Stadtredakteur, sich zu ihm zu bemühen und die Manuskripte mitzubringen.

»Mr. Mc.Grady – Mr. Carlé. Mc.Grady. haben Sie die Sachen gelesen?«

»Können wir nicht gebrauchen,« brummte der Stadtredakteur.

»Lassen Sie einmal sehen, bitte.«

Der große Mann las meine Arbeiten sorgfältig durch, und ich zitterte innerlich – trotz meines nagelneuen Selbstbewußtseins.

»Nun,« sagte er endlich, »für uns ist das allerdings nichts. Zu sehr skizzenhaft. Wir knüpfen Beschreibungen nur an interessante Ereignisse an. Aber der Stil ist nicht übel, und das bißchen Fremdartige macht sich sogar ganz gut. Hier ist übrigens ein grober grammatikalischer Fehler. Mc.Grady, dieser junge Mann ist Deutscher und will amerikanischer Journalist werden. Er hat mir gesagt, er wolle wissen, ob er fürs Metier taugt und zwei Monate umsonst arbeiten. Was meinen Sie? Ist von der Westlichen Post, deutsche Zeitung in St. Louis, empfohlen.«

»Kann ich schwer etwas sagen,« meinte Mister Mc.Grady. »Die Fischerinselsache ist ganz nett. Zum Journalisten muß man geboren sein. Können's ja mal probieren. Im übrigen bin ich kurz an Reportern, seit Jameson entlassen werden mußte.«

» Allright. Mr. Carlé, ich stelle Sie beim Examiner mit einem festen Wochengehalt von fünf Dollars an. Für Ihre Arbeiten erhalten Sie Zeilengeld.«

»Gratuliere,« sagte Mc.Grady und lachte. »Ich werde Sie zwiebeln. Wir haben hier keine Zeit zum reden. Ich will Ihnen also nur kurz sagen, daß bei mir die Arbeit alles und der Mann gar nichts gilt. Arbeiten Sie.«

Der Chef des Redaktionsstabs nickte. »Bei uns gilt nur die Arbeit. Sie sind also jüngster Reporter. Mr. Mc.Grady wird Ihnen Ihre Aufgaben zuweisen. Noch einen Wink: Ich habe Sie deshalb engagiert, weil in Ihrem Zeugs da die Kleinigkeiten gut beobachtet sind. Sie haben zu beobachten. In Ausführung Ihrer jeweiligen Reporteraufgabe werden Sie alles tun, um alle nur erdenklichen Tatsachen zu erforschen und alles, Großes und Kleines, zu beobachten. Tatsachen brauche ich. Elegante Bemerkungen können wir uns selbst aus den Fingern saugen. Tatsachen! Beten Sie um Tatsachen! Wie Sie das machen, wird uns zeigen, ob es der Mühe wert ist, sich mit Ihnen zu plagen. Good morning

»Prompt um 5 Uhr nachmittags im Reporterzimmer!« befahl Mc.Grady. »Lassen Sie Ihren Frackanzug und Wäsche herschicken, damit Sie sich im Bedarfsfalle hier umkleiden können. Good morning! Geben Sie mir gute Arbeit, und ich bin Ihr guter Freund – good morning!«

So wurde ich jüngster Reporter der San Franziskoer Zeitung des Zeitungskönigs Hearst.

*

Wie besessen stürmte ich nach Hause und rannte – hopla, immer drei Stufen auf einmal – zu Franks Zimmer empor.

»Frank – Franky – –« schrie ich, noch halb in der Türe, »ich bin als Reporter beim Examiner angestellt! Glory hallelujah – Frank – wir müssen schnell ein Glas Bier trinken, sonst geh' ich aus dem Leim vor Vergnügen und –«

Da sah ich erst, daß auf dem einzigen wackeligen Stuhl des Zimmers ein beleibter älterer Herr saß, der mich lächelnd musterte. Frank saß auf dem Bett und grinste. Frank sah dem älteren Herrn sehr ähnlich – –

» Well, ist das noch so einer, Frank?« sagte der Herr.

» Exactly, sir. Richtige Sorte. Alter Junge, ich gratulier' dir hunderttausendmal zum Examiner. Hoh, hau' dich dran an die alte Zeitung! Vater, darf ich dir Mr. Carlé vorstellen – vom Examiner. Exbearbeiter von verdammt salzigen cods und nebenbei Professor der deutschen Sprache!« Mr. Reddington lachte schallend auf.

»Ihr Jungens seid mir fast ein wenig zu fix. Eine unverschämte Gesellschaft! Ist das bei Ihnen in Deutschland auch Sitte, daß der Vater zum Sohn kommt und nicht der Sohn zum Vater, heh? Na, ihr habt wenigstens Schneid. Nun kommt mit ins Hotel, ihr Taugenichtse, und laßt euch abfüttern!«

In einer Viertelstunde sahen wir drei im eleganten Lunchroom des Globe Hotel. Mich packte es wie unerträgliches Heimweh, als ich sah, wie stolz trotz aller oberflächlichen Kürze und anscheinender Gleichgültigkeit der alte Herr auf seinen Strick von Sohn war, und wie seine Augen blitzartig aufleuchteten, als Frank erklärte, im Dezember werde er sich bei seinem Vater in New York für Ordres melden. Bis zur Schlußprüfung aber wolle er selbst für seine Existenz sorgen. Der alte Herr murmelte zwar, das sei verdammter Blödsinn, aber man merkte ihm die Freude an, als Frank trocken erklärte, die Arbeit an der Universität von Kalifornien sei seine Privataffäre und er gedenke das durchzuhalten, was er begonnen.

»Aber ein gutes Werk könntest du tun, Gouverneur!«

»Heh? Schulden bezahlen?«

»Ach wo. Hab' keine. Nein – sieh' mal an, Carls hier ist allright und heute nagelneuer Reporter geworden –«

»Ja! Wird solch' ein Junge, bumps, einfach Reporter! Welche Rätsel Ihr einem alten Mann zum Lösen aufgebt!« – und du könntest nett sein, sir, und ihm etwas erzählen, das er für die Zeitung gebrauchen kann. Du weißt ja immer etwas.«

»Na ...«

»Bitte, pater!« Und wieder lachte der alte Herr. Eigentlich sei es noch vierundzwanzig Stunden zu früh, die Katze aus dem Sack zu lassen, aber ausnahmsweise und weil es der Zufall so wolle – –

Er diktierte. Knapp, scharf, wie ein General, der seine Schlachtdispositionen diktiert. Selbst meine Unerfahrenheit begriff, daß es sich hier um ganz Großes handelte. Die Illinois Central Eisenbahn (deren Aktien der Vater Franks kontrollierte) hatte eine unrentable und zum Teil noch gar nicht völlig gebaute Eisenbahnlinie in Missouri und Arkansas aufgekauft. Die Verbindungslinie zwischen Chicago, dieser Bahn, und dem tiefen Süden sollte sofort in Bau genommen werden. Dann kamen finanzielle Details. Und eine meisterhafte Darstellung, kurz, aber von vollendeter Klarheit, der Städte, die die Bahn berühren sollte, der Wirtschaftsgebiete, durch die sie führte, der Erschließungsmöglichkeiten. mit denen das Konsortium rechnete.

»Als Personalnotiz können Sie bringen, Cyrus F. Reddington sei auf einige Tage in San Franzisko, um seinen Sohn zu besuchen, der auf der Universität von Kalifornien studiert!«

Und er lächelte Frank zu.

Ich aber rannte auf die Redaktion des Examiner. »Um fünf Uhr sagte ich doch!« brummte Mc. Grady stirnrunzelnd.

»Ich habe ein Interview mit Cyrus F. Reddington aus New York.«

»Heh? Was?«

»Reddington. Präsident der Nationalbank –«

»Jedes Kind kennt ihn. Wie kommen Sie zu ihm? Wo ist er abgestiegen?«

»Im Globe. Ich bin mit seinem Sohn befreundet.«

»Kommen Sie mit.«

Er zerrte mich zum Chefredakteur, und eilte dann selbst nach dem Globe Hotel (wahrscheinlich, um meine Angaben zu verifizieren).

Mr. Lascelles aber, der Managing Editor, fuhr mit dem Rot- und Blaustift zwischen den Zeilen meines Manuskripts hin und her, unterstreichend, hervorhebend.

»Famos,« sagte er. »Ganz große Sache. Halten Sie sich diese Verbindung warm. Hat der alte Reddington die Nachricht auch anderen gegeben? Anderen Zeitungen? Der Börse?«

»Nein, nur mir.«

»Was?« schrie er. »Das ist großartig!«

Noch krassere Ueberschriften setzte er darüber und leitete die Sensation mit den Worten ein: »Spezialmeldung des Examiner.« Und unter die zwei Riesenspalten setzte er die Anfangsbuchstaben meines Namens: E. C.

»Sie haben sich die Sporen verdient,« lächelte er. »Wenn's auch ein Zufall war.«

Dann wurde ich auf einen Großfeueralarm geschickt. Ein großes Gebäude im Geschäftsviertel brannte nieder. Zufällig kam ich gerade dazu, als der Leiter der Feuerwehr den Heizer der Kesselanlage des Gebäudes verhörte, der umständlich schilderte, wie aus dem Keller mit einemmal Flammen geschlagen seien, und daß er schon vor einigen Tagen vor der Selbstentzündungsgefahr der neugekauften bituminösen Kohlensorte gewarnt habe. Das war wieder etwas sehr Hübsches, und wieder ein Glückszufall!

Mc. Grady aber nickte vergnügt ...

»Wir werden noch einen guten Examinermann aus Ihnen machen!«

*

Das war eine schlaflose Nacht. Ich starrte aus dem Fenster meines Zimmerchens hinaus auf die glitzernden Lichter in der Bai, und Traum jagte sich auf Traum. So wie man selten träumt. Nur nach großem Erleben. Wenn man dasteht und das hämmernde Blut in den Schläfen fühlt, und ein ungeheures Glücksgefühl aufsteigt über das erreichte Ziel: wenn man seinen Jubel hinausschreien möchte in die Welt ... Herrgott, so war ich nun Zeitungsmann! Schreien hätte ich mögen, jubelnd schreien. Zeitungsmann an einer der großen Zeitungen der Welt! Der Stolz regte sich: allein hast du den Weg zur Zeitung gefunden! Wie lächerlich kleine Dinge lagen die Erlebnisse dieser ersten drei Jahre in Amerika weit hinter mir – weit, unbeschreiblich weit. Und mit einemmal kam es über mich wie ruhige Klarheit, wie ein Gefühl felsenfester Sicherheit, durch nichts zu erschüttern:

Mein Leben – das Leben, das ich leben wollte – lag klar vor mir. Kein Suchen mehr. Kein Tasten. Kein Umherirren von Beruf zu Beruf. Die Zeitung und ich; ich und die Zeitung: das war die Lebenslinie. Wie es auch kommen mochte, festhalten an dem Einen: Du gehörst zur Feder, weil du zu ihr gehören willst, und mit der Arbeit, die jetzt beginnt, mußt du stehen oder fallen!

Der Lausbub hatte die Lebenslinie gefunden.

Ende des ersten Teils


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