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Wieder bewährte sich glänzend mein schönes Talent, die Sorgen der Zukunft dorthin zu verweisen, wohin sie von Rechts wegen gehörten – in die Zukunft! Flüchtig drängte sich mir zwar der Gedanke auf, daß es weit schöner und angenehmer gewesen wäre, hätte ich mehr Geld gehabt. Fünfzehn Dollars etwa besaß ich noch, als ich den Fahrschein bezahlt hatte.
»Kannst du es ändern?« fragte ich mich.
»Nein!«
»Nach San Franzisko willst du aber?«
»Ja!«
»Na. also.«
»Und was willst du in San Franzisko anfangen?« fragte ein inneres Stimmchen.
»Wie kann ich das jetzt schon wissen!« gab ein anderes inneres Stimmchen anscheinend logisch zur Antwort.
Somit war die Angelegenheit zur schönsten Selbstzufriedenheit erledigt. Friedlich schlief ich in den weichen Polstern die ganze Nacht hindurch und blinzelte am nächsten Morgen vergnügt in die weiten Kansasebenen hinaus. In Colorado nickte ich bekannten Stationen vergnügt zu. Billy und Joe und ich waren da auf der Fahrt nach Osten durchgesaust. Das Felsengebirge fand ich prachtvoll (vom Speisewagen aus) – über die Mormonen unterhielt ich mich während der Fahrt durch Utah ausgezeichnet mit einer jungen Dame, die sich sehr entrüstet über die umfassende Heiraterei des Mormonentums aussprach und dabei energisch flirtete – Nevada verschlief ich zum größten Teil. Dann fuhren wir stundenlang in Tunnels, den riesigen Schneehütten der Sierra Nevada, die viele Meilen lang den Schienenstrang überdecken, um ihn vor Schneewehen und Lawinen zu schützen. Und dann tauchte wie durch Zauberschlag ein sonnenglänzendes Frühlingsland aus dem Dunkel auf. Saftiges Grün überall. Wälder von Obstbäumen unter tiefblauem Himmel, übersät in unbeschreiblicher Pracht mit feinzarten Blüten, schimmernd von schneeigem Weiß zu silberigen und hellrosa Tönen, strahlend in warmem Sonnenschein. Kalifornien, das Märchenland des Goldes. Das Land der Sonne und der Schönheit.
Stunden von Märchenfahrt im Sonnenland. Dörfer, Städte. Und endlich das Brausen und der Lärm der Königin des Westens, ein Auftauchen von tiefblauen Meeresfluten, ein Dahinschwimmen auf riesigem Fährboot, das im Städtchen Oakland, dem kleinen Bruder der glänzenden Schwesterstadt drüben über der Bai, den ganzen Eisenbahnzug aufnimmt und über die Wasser hinüberträgt nach San Franzisko, eine gewaltige Bahnhofshalle – ein Gewühl von Menschen ...
*
Da lachte ich vergnügt vor mich hin, wie einer lacht, der seinen Willen durchgesetzt hat, und schritt in den Wirrwarr hinein. Noch interessierte mich das Leben und Treiben um mich her wenig. Denn Bruder Leichtfuß war praktisch geworden und gedachte sich, so wie er's in St. Louis getan hatte, vor allem die vier eigenen Wände zu sichern. Es fiel ihm gar nicht ein, nach Weg und Richtung zu fragen. Da wo der Lärm am größten war, wo die Geschäfte sich häuften, wo die Menschen sich am meisten drängten, da durfte man nur rechts oder links abbiegen und fand sicherlich in Nebengäßchen die Pappschilder mit der lakonischen Legende vom zu vermietenden Zimmer. Im geschäftigsten Teil der Stadt hausen ja immer die Junggesellen. So war es in St. Louis, so ist es überall auf der Welt, so war es auch hier. In einem Sträßchen, eingekeilt zwischen der Hafengegend und der glanzvollen Hauptstraße, der Market Street, fand ich bald ein Zimmer, klein, schäbig, aber mit prachtvollem Blick auf die Bai. Die sieben Dollars, die es im Monat kosten sollte, zahlte ich sofort im voraus und hörte geduldig zu, wie Madame Legrange, die Dame des Hauses, mir erzählte, San Franzisko sei eine Perle (so schön freilich nicht wie Paris), und sie sei eine Französin (» ah, la belle France, monsieur!«) und Mieter, die monatlich im voraus bezahlten, könnten auf ihre besonderen égards zählen, und sie sei auch einmal jung und schön gewesen. Das mußte aber schon lange her sein!
Und jetzt hinaus zur Königin des Westens! Vier Stufen auf einmal nehmend in Eile und Neugierde (es war Abend geworden über dem Auspacken und dem Baden) rannte ich die steile Treppe hinab und –
» Hopla – confound it!« sagte ich.
» Hopla – oh, the devil!« sagte er.
Gleichzeitig betrachteten wir verblüfft eine Blechkanne, die polternd die Treppe hinabrollte, in dem offenbaren Bestreben, auch die wenigen Tropfen Bier, die noch in ihr waren, im Rollen loszuwerden. Er saß unten auf einer Treppenstufe, ich oben. Zwischen uns breitete sich ein Miniatursee von Bier und Schaum. »Er« war ein eleganter junger Mensch mit einem prachtvoll energischen Gesicht.
» The devil!« sagte ich.
» Confound it!« sagte er.
»Entschuldigen Sie meine Ungeschicklichkeit,« bat ich.
»Aber es ist ja nicht der Rede wert,« versicherte er.
Endlich einigten wir uns dahin, zusammen frisches Bier zu holen an der Ecke und es zusammen auszutrinken – eine wahrhaft salomonische Lösung. »Er gefiel mir vom ersten Augenblick an mit seiner frischen flotten Art und seinem kinderlustigen Lachen. Während wir oben auf seinem Zimmerchen saßen, ich auf dem einzigen wackeligen Stuhl, er auf einem wunderschönen schweren Lederkoffer, wurden wir, im Handumdrehen fast, vergnügt und offenherzig wie alte Freunde.
»Der Koffer ist famos, heh?« lachte er, als er meine bewundernden Blicke sah. »Er tut mir leid!«
»Weshalb denn?«
»Weil ich ihn über kurz oder lang einmal aufessen werde!«
Da war unter schallendem Gelächter das Eis gebrochen. Mitten im Erzählen waren wir in einer Viertelstunde. Mein neuer Freund hieß Frank Reddington. Reddington Junior eigentlich ...
Wie er so dasaß, schlank, sehnig, Rasse in jeder Linie, die Hände um die Knie verschränkt, ein Lachen um die Mundwinkel, Lachen in den Augen, hätte sich jedes Mädel in ihn verliebt.
»Zug um Zug!« lächelte er. »Zuerst ich. Also die Sache ist so: Zuerst fing der Gouverneur ( governor oder auch pater nannte er seinen Vater) melodisch an zu brummen. Nach dem Empfang gewisser Rechnungen – sie waren allerdings sündhaft, wie ich zu des Gouverneurs Entschuldigung bemerken muß – stimmte er einen gellenden indianischen Kriegsgesang an und telegraphierte mir so unerhört grobe Telegramme, daß ich mich vor den Telegraphenboten genierte. Sie rochen direkt nach Schwefel. Endlich, als das Professorenkollegium der Universität Harvard mich aus dem Tempel hinausjagte (diese gelehrten Herren haben so wenig Humor), wurde der Gouverneur tobsüchtig. Well, ich wurde also 'rausgeschmissen und fuhr prompt ins liebe Vaterhaus nach New York. Die mater war todunglücklich –
»Du sollst sofort nach der Bank kommen. Ach, Franky dear, was bist du für ein schlimmer Junge!«
Das fing gut an. Mir war elend zumute, das kann ich Ihnen sagen. In der Bank (der Gouverneur ist Präsident der First National Bank von New York) machte der Kassier ein Gesicht, als sei ich eine verabscheuungswürdige Kreuzspinne, und führte mich ins Privatkontor.
»Nimm Platz,« sagte der Gouverneur. »Nach meinen Informationen aus Harvard hast du dich betragen wie ein Hanswurst! Well, sir, was hast du zu deinen Gunsten anzuführen?« Ich hm – hmte. Was soll man auch in solchen Fällen sagen!
»Nichts – nichts – gar nichts gearbeitet. Fußball gespielt, (Für den Betrag deiner Rechnungen der Sportfirma ernährt ein Arbeiter seine Familie!) Schulden gemacht links und rechts! Dumme Jungenstreiche! Was war das eigentlich mit dieser letzten Geschichte?«
Ja, diese letzte Geschichte!
Der Schlußkladderadatsch basierte auf einem Hundeschwanz, an den ein gewisser Franky dear eine geschickte Auswahl von Feuerwerkskörpern angebunden hatte. Nun frage ich Sie: Was konnte ich dafür, daß der dazugehörige Hund dem Professor der Physik gehörte und die wahnsinnige Idee hatte, zu seinem Herrn in die Physikklasse zu rennen – mitsamt Schwanz, Knallfröschen und Donnerschlägen! Dabei war das Hündchen nervös, begreiflicherweise, und rannte in dreieinhalb Sekunden für mehrere hundert Dollars physikalische Instrumente über den Haufen. Lange soll es nicht gedauert haben. Aber so lange es dauerte, war das Tempo dieser Vorstellung ungewöhnlich flott! Und dabei hatte ich doch rein erzieherische Absichten verfolgt, denn wenn Moppelinus sich heimtückisch in ein Studentenzimmer schleicht und einen nagelneuen Flanellanzug schändet, so muß Moppelinus bestraft werden! Well, der Gouverneur lachte nicht einmal. Ich sei der Schandfleck einer sonst ehrbaren Familie. Aus den einzelnen Posten von Faulheit, Leichtsinn und Frechheit ergebe sich als Gesamtbilanz ein hoffnungsloser Taugenichts. Ich solle mich gefälligst zum Teufel scheren, und zwar sofort, augenblicklich, ohne Zeitverlust. (Wahrscheinlich war irgend eine Lieblingsaktie des pater auf der Börse bös gezwickt geworden, denn er schien in einer Schandlaune.)
»Ich finde es entschieden langweilig, Vater eines Sohnes zu sein!« sagte er dann ganz gemütlich. »Dieses – dieses Zeug,« dabei deutete er auf einen Stapel Rechnungen, »werde ich regulieren. Im übrigen handelt es sich nicht um Geld, sondern um ein Prinzip. Du wirst arbeiten, sir. Mein Privatsekretär wird dir deine Instruktionen erteilen. Vorläufig wünsche ich dich nicht mehr zu sehen.«
Der Privatsekretär im Vorzimmer grinste und überreichte mir maschinengeschriebene Befehle. Sehr präzise. Sofort nach Chicago fahren und sich bei dem Präsidenten der Illinois Central Eisenbahn melden (in deren Aufsichtsrat der pater saß). Dort angestellt werden im Hauptbureau – mit acht Dollars Wochengehalt.
Da fuhr mir der Aerger in die Glieder: »Wissen Sie, was?« sagte ich. »Melden Sie dem Gouverneur, daß ich seinen Standpunkt für durchaus richtig hielt und zu arbeiten gedächte. Aber ohne seine verdammte Protektion! Mitteilungen über meinen Aufenthaltsort werde ich Ihnen von Zeit zu Zeit zugehen lassen, und Sie werden dem Gouverneur darüber berichten. Good morning, sir!«
Der Privatsekretär fiel beinahe in Ohnmacht.
Du dreifacher Narr! sagte ich mir, als ich auf der Straße stand. Aber nun hast du einmal A gesagt und mußt auch B sagen. Um eine lange Geschichte kurz zu machen – in sechs Tagen war ich in Frisco (die goldene Uhr und die Schmucksachen und die überflüssige Garderobe hatten ein nettes Sümmchen gebracht) und bezog die Universität von Kalifornien. Um jeden Preis fertig studieren, gerade weil der Gouverneur es anders wollte! Für das laufende Semester reichte das Geld. Well, und in den Ferien wurde ich Kellner – ein scheußliches Geschäft – und dann wohnte ich billig und schrieb Kolleghefte ab für Söhnchen, die überflüssiges Geld hatten, und gab Privatstunden im Boxen. Gearbeitet hab' ich wie ein Pferd, und Spaß hat es mir gemacht. Im nächsten Semester kommt das Schlußexamen, das ich zweifellos bestehen werde, und dann telegraphiere ich dem Gouverneur, er könne jetzt das Kalb schlachten lassen für den verlorenen Sohn. Jawohl – nach den ersten sechs Monaten hat mir Higgins, das ist der Privatsekretär, gedrahtet, ich sei ein Narr, und der Kassier sei angewiesen, meine Schecks zu honorieren. Ich hab' aber gedankt. Zuerst muß der Gouverneur den nötigen Respekt vor mir bekommen, damit wir eine gemütliche Verkehrsbasis haben!«
Da kam mir mein eigenes Erleben blaß und ärmlich vor –
Aber auch ich fing an zu erzählen, und Frank Reddington wollte sich ausschütten vor nimmerendendem Gelächter über die Familienähnlichkeit zwischen den Professoren seiner Harvard Universität und den Schulmeistern meiner Gymnasien. Sie ermangelten ja so gänzlich des Humors! Hüben wie drüben!! Als ich von Billy und den Tollheiten des Schienenstrangs berichtete, murmelte er ein über das andere Mal: » By Jove; das probier' ich auch noch!« – und über die Westliche Post riß er die Augen weit auf ...
» The devil! Das haben Sie aber dumm angestellt, my dear boy! Dort bleiben hätten Sie sollen! Hinhängen hätten Sie sich müssen an die gesegnete Zeitung wie ein hungriger Floh an ein fettes Hündlein!!« Bis spät in die Nacht hinein saßen wir zusammen. Und als wir uns nach einer letzten Zigarette trennten, sagte Frank:
»Sie und ich – ich und Sie ... wir passen zusammen wie Zwillinge. Was für ein närrischer Geselle der Zufall doch ist! Schwarze Schafe und verlorene Söhne alle beide – aber noch immer sehr lebendig. Hei – oh! Sie kein Geld und ich kein Geld! Und gestern haben die Ferien angefangen! That's a good thing! Wissen Sie was? – Fahren wir Tandem! Spannen wir uns zusammen ins Joch! Jagen wir gemeinschaftlich den verrückten runden Dingerchen nach, die man in diesem gesegneten Land Dollars nennt – wollen Sie?«
Ob ich wollte!!!
Frühmorgens riß jemand meine Zimmertür auf und eine Stimme schrie: »Auf in den Kampf, Torero! 'raus mit Ihnen, Bruder – der Gott der Arbeit pfeift den verlorenen Söhnen!«
Schläfrig rieb ich mir die Augen.
»Man kleide sich prestissimo an!« befahl Frank. »Im Examiner von heute morgen steht ein lakonisches Inserat: » Men wanted – Männer werden gesucht. Broad Street 21.« Männer sind mir, nicht wahr? Well, dann, hurry up – fix schnell ...«
Broad Street 21. erwies sich als elegantes Kontor (Johnson & Komp., Konserven, stand auf dem Firmenschild), vor dessen Türe in langen Reihen schäbige Gestalten standen. Frank grinste. »Gibt noch mehr Männer in San Franzisko, heh? Scheinen nicht die einzigen zu sein! Welch' ein Segen, daß wir elegant genug aussehen, um frech sein zu dürfen!« Wir schoben uns an den Wartenden vorbei und ließen uns beim Geschäftsführer melden.
»Und womit kann ich Ihnen dienen, gentlemen?« fragte der Manager.
»Was ist das für ein Inserat?« fragte Frank zurück.
»Oh – wir brauchen Leute für unsere Fabrik von Fischkonserven in der Bai.«
»Zu welchen Bedingungen?«
»Zwei Dollars im Tag und freie Verpflegung. Aber verzeihen Sie, ich begreife nicht recht –«
»Bodenlos einfach!« grinste Frank. »Wir brauchen Geld – Arbeit – und – wollen Sie uns nehmen?«
»Eh?« sagte der Manager und machte ein verblüfftes Gesicht.
»Annehmen – engagieren!«
»Die Arbeit ist aber schwer ...«
»Well, das macht nichts!«
Und unter lustigem Lachen und zweifelhaften Witzen wurden wir prompt angenommen.
»Ich tu' Ihnen gelegentlich auch einmal einen Gefallen! Thank you!« bedankte sich Frank.
Der Geschäftsführer lachte und lachte, und wir liefen schleunigst nach Hause, um alles einzurichten. Auf dem Weg kauften wir uns billige Arbeitskleider. In einer Stunde sollten wir uns wieder im Kontor einfinden, um auf einem Kutter nach der Arbeitsstätte zu fahren. Eine wundervolle Fahrt war es über die tiefblauen Wasser der Bai hin, zwischen den blühenden Städten, die wie ein Kranz von Blumen die Gestade umsäumten; an Kais mit gigantischen Ozeandampfern entlang zuerst, an Inselchen vorbei, zwischen Fischerflottillen hindurch. Und als die Königin des Westens in spinngewebigen, seinen Umrissen weit zurück im Westen lag, landeten wir mit den zwei Dutzend Menschen, die außer uns der Kutter trug, an der Landungsbrücke einer winzigen Felseninsel mit simplen Holzgebäuden. Das war das Inselchen der Fische. Und in einer halben Stunde standen Frank und ich nebeneinander hinter einem breiten Holztisch, lange, scharfe Messer in den Händen; zogen sonngedörrtem Kabeljau die Haut ab und schnitten das kernige, gelbweiße Fleisch in lange Streifen ...
Auf der Insel regierte als Alleinherrscher Seine Majestät Cod, der Kabeljau. In Dutzenden von ungeheuren Bottichen auf einer Balkenplattform zwischen Fabrikgebäude und Wohnhaus waren in grobem Salz Millionen von Fischen eingespeichert, die allmorgendlich von uns Männern in langschäftigen Stiefeln aus der Tiefe der Bottiche herausbefördert und zum Dörren in die Sonne gebreitet wurden. Reif, sun-cured, sonnengetrocknet, waren sie in zwei, drei Tagen. Dann wanderten sie zu uns in die Fabrik, wurden abgehäutet, entgrätet, zerschnitten und in hübsche kleine Holzschachteln gepackt; das Rückenfleisch als extra prime quality, das Seitenfleisch als Ware zweiter Güte: Stockfisch! So standen wir und zerlegten und schnitten von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends.
»Hab' ich es mir doch gleich gedacht, daß die Geschichte irgend einen Haken haben mußte,« sagte Frank ironisch lächelnd schon am ersten Tag. »Zwei Dollars im Tag werden nicht umsonst gezahlt. Und nun haben wir die Bescherung!«
Der Haken war da – die Bescherung ganz besonders unangenehm! Die Haut der cods und ihr Fleisch waren von scharfer Salzlauge so durchtränkt, daß bei dem Häuten und Zerlegen schon in den ersten Stunden uns Arbeitern die Hände wund wurden. Dann schnitt man sich natürlich in der Hetzarbeit, und auch die scharfen Gräten rissen Wunden. Selbst die peinlichste Vorsicht konnte das nicht vermeiden. In diese wunden Stellen drang ätzend und beißend die Salzlauge! Es war eine Art Martyrium; eine recht harmlose und ungefährliche Märtyrerschaft zwar, aber gerade schmerzhaft genug für meinen bescheidenen Geschmack.
» The dickens!« sagte Frank erstaunt am ersten Abend und rieb sich zärtlich die geschundenen Hände.
»Scheußlich!!« brummte ich und tat desgleichen.
Meine Hände waren schön rot wie ein gesottener Krebs und bluteten an zwanzig Stellen, besonders unter den Nägeln. Doch wir trösteten uns mit Vaseline und Philosophie und schwatzten stundenlang mit dem chinesischen Koch der Insel, der uns in seinem schauderhaften Pidgin-Englisch von der Chinesenstadt Frisco's vorschwärmte. Von den Spielhöllen, in denen die Kinder des himmlischen Reichs Tag und Nacht Fan-Fan spielten und sich gelegentlich dabei gegenseitig totstachen; von den »Sechs Gesellschaften«, den geheimen Vereinen, die unumschränkt in der Chinesenschaft herrschten und die Einfuhr und Rückbeförderung von Chinesen als Monopol betrieben. So mächtig waren sie, daß keine Dampfergesellschaft einen Kuli als Zwischendeckspassagier zur Rückreise annahm, wenn er nicht einen Erlaubnisschein der »Sechs Gesellschaften« vorweisen konnte, als Zeichen, daß er seinen Verpflichtungen dem Geheimbund gegenüber nachgekommen war. Wie Diktatoren herrschten die sechs Gesellschaften; schossen Geld vor, belobten, bestraften, errichteten Schulen für die chinesische Jugend, Tempel für die Erwachsenen. Sam Ling machte immer ein ängstliches Gesicht, wenn er von diesem Geheimbund sprach ...
Er war ein quecksilberiger kleiner Kerl, der famos kochte und die unglaublichsten Leistungen in seiner Bretterbude von Küche an der Felsenwand vollbrachte. Es ist mir heute noch ein Rätsel, wie er es fertig brachte, um sechs Uhr morgens für vierzig Mann (soviele waren wir) Pfannkuchen zum Frühstück zu liefern. Delikate, winzig kleine Pfannkuchen, kaum so groß wie eine Untertasse, die man bebutterte und bezuckerte, immer einen auf den andern klappend. Ein Dutzend mindestens aß ein jeder. Ein Dutzend mal vierzig – das waren fünfhundert Pfannkuchen, die der arme Sam Ling herzauberte – vor sechs Uhr morgens. Wie er es auch machte – sie waren da; frisch, heiß, knusprig. Die Verpflegung war vorzüglich und die Schlafräume hell und sauber. Wenn nur das Salz nicht gewesen wäre – das verdammte Salz!
Frank und ich waren fast immer zusammen und kümmerten uns wenig um die anderen Männer. Abends verbanden wir uns immer gegenseitig die wunden Hände. Dabei gewöhnten wir uns das sonderbare Vergnügen an, recht kräftig zuzupacken und einer dem andern ins Gesicht zu starren, ob sich nicht vielleicht doch ein Schmerzenszug entdecken ließ.
» Good God,« sagte Frank regelmäßig jeden Abend, wenn er seine Hände betrachtete. »Stockfisch! Cod! Unschuldiger Stockfisch! Man sollte es doch nicht glauben, daß solch' ein unschuldiger Stockfisch einen so schinden kann! Wenn der Gouverneur mich jetzt sehen würde, wäre er vielleicht zufrieden! Heh?«
Dann gingen wir zur Felsenspitze und starrten wortlos ins Meer hinaus, in das saphirblitzende Gewoge mit den braunen und braunroten Fischersegeln und den unförmigen Dampfern dazwischen. Wenn dann weit im Westen der Sonnenball niederging und es sich wie Rubinengefunkel in das Blau mischte, lachten wir uns nickend zu. Da drüben lag San Franzisko. Der schwache rote Schimmer am Horizont dort war ein Widerschein seiner nächtlichen Lichterpracht. Wie wollten wir herumstöbern in dem Lichtschein dort, wenn einmal die Zeit erfüllet war und – wie wollten wir unsere Hände pflegen!
Tag um Tag verging, und endlich war ein Monat vorbei. Eines Morgens fragte der Vorarbeiter im Arbeitssaal laut: »Wer will aufhören und nach San Franzisko zurück? Morgen kommt der Kutter.«
Merkwürdigerweise (mir wenigstens kam es merkwürdig vor) meldete sich niemand. Frank und ich sahen uns an – sahen uns wieder an – genierten uns gegenseitig, bis ich endlich den Anfang machte und rief:
»Ich!«
»Ich auch!« schrie Frank dazwischen und lächelte: »Und warum denn nicht! Wir sind ja hier (sämtlichen Göttern Homers sei dafür gedankt!) nicht angewachsen, noch mit den dreimal vermaledeiten cods verheiratet. Mann, ich bin froh! Hände – freut euch!«
Ein Sommermorgen war es, an dem wir das Felseninselchen zum letztenmal sahen und einander feierlich versprachen, wir würden, wie es auch kommen und wie es uns noch ergehen möge in diesem lustigen Leben, eines niemals, aber auch niemals tun: Stockfisch essen!
Während der Fahrt rechneten wir uns aus, daß wir beide zusammen wohl siebentausend Stockfische, zehn Pfund schwer das Stück ungefähr, abgehäutet, entgrätet und präpariert hatten. Mit unseren armen Händen! Zehn Stück in der Stunde etwa, und zehn Arbeitsstunden waren es im Tag, und zweiunddreißig Tage lang hatten wir gearbeitet. Siebentausend Stück!
»Weinen könnte man!« sagte Frank Reddington. »Weinen! Man kann ja nie wieder einem Kabeljau ins Gesicht schauen! Wer je im Leben mir gegenüber das Wort » cod« erwähnt, den boxe ich über den Haufen. So!!«
Und als wir uns umgekleidet und (vor allem) Handschuhe angezogen hatten, präsentierten wir uns im Kontor mit unseren Zahlungsanweisungen.
»Wie hat's Ihnen gefallen,« fragte der Manager und grinste.
»Famos,« meinte Frank sauersüß.
»Das freut mich sehr. Zeigen Sie mir doch einmal Ihre Hände!« Dabei betrachtete der Geschäftsführer augenzwinkernd unsere Handschuhe.
»Mann,« sagte Frank ernst, »spotten Sie nicht meines ehrwürdigen Alters.« (Das ganze Kontor lachte.) »Sonst gebe ich Ihnen meinen Fluch und erscheine Ihnen nach meinem Tode dreimal jede Nacht als Stockfisch!!« (Das ganze Kontor brüllte.)
Wir aber strichen ein jeder vierundsechzig Dollars ein und lachten auch.