Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Stolz nennen sich die Männer Kaliforniens zum Unterschied von den im Land der Sonne wohnenden, aber in anderen Staaten der Union geborenen Amerikanern the Native sons of California, die eingeborenen Söhne von Kalifornien. Stolz sind sie auf ihre Ahnen, die Goldgräber. Diese zähen, eisenharten Goldgräber von anno dazumal, die sich mit Mensch und Natur herumschlugen, bis nur der Starke überlebte, haben die Kraft ihrer Muskeln in Generationen hinein vererbt. Groß, schlank, sehnig sind die Männer des Kalifornien von heutzutage; stolz, üppig seine Frauen. Im scharfen Gegensatz zu den überschlanken Amerikanerinnen der Oststaaten. Noch etwas anderes aber vererbten die Goldgräberahnen: Lachender Uebermut steckt diesen schönen Menschen im Blut; der gleiche Lebensleichtsinn, dieselbe Genußsucht, das gleiche Eintrinkenwollen der Freude wie ihren Urgroßvätern. Den Männern des Soldes, die heute arm waren und morgen reich: heute sich ein Vermögen aus der Erde kratzten, um es morgen zu verspielen.
Die Königin des Westens war eine gar lebenslustige Dame. Reich wollten die eingeborenen Söhne von Kalifornien freilich auch werden, gerade so wie die Dollarjäger in Chicago oder St. Louis oder New York, aber keiner vergaß über der Hetzjagd des Dollars das Vergnügen. Die Marketstraße strahlte des Nachts in einem Flammenmeer von Licht. Rechts und links, Seite an Seite fast, schrien Theater, Varietés, französische Restaurants, elegante Bars: Amüsiert euch, Söhne Kaliforniens!
Eine lustige Welt. Tag für Tag und Abend für Abend durchstreiften Frank Reddington und ich die Stadt, eine Woche lang: denn wir waren es ja unseren Händen schuldig, wenigstens ein paar Tage hindurch die Nichtstuer zu spielen. Für was alles diese Hände als Ausrede herhalten mußten! Wenn wir einmal in einem französischen Restaurant speisen wollten, oder wenn eine Bar lockte oder ein Roulettetisch winkte, da mahnte lachend einer den andern:
»Es ist ja eigentlich schade um das sauer verdiente Geld – aber denken Sie nur an unsere Hände!«
Die Puritaner des Ostens hätten sich hier auf den Kopf gestellt vor Entsetzen! In den lustigen Varietés, in die wir gingen, gewissenhaft keines übersehend, setzten sich kichernde Soubretten zu den Gästen an die Tische und zauberten ihnen Vierteldollars für süße Manhattan Cocktails und Brandy Flipsaus den Taschen: in den eleganten Bars war stets eine Seitentüre, über der in goldenen Lettern stand: Nur für Klubmitglieder! Hinter dieser Tür wurde Poker gespielt, dort klappten Farokästchen und sausten Rouletten. Klubmitglied jedoch war ein jeder, der einen anständigen Anzug trug und so aussah, als ob er die nötigen Dollars zum Verspielen besitze! Die Aufschrift war eben weiter nichts als eine verbindliche, nette, gemütliche Formsache der Polizei gegenüber. Wir versuchten einige Male unser Glück an der Roulette, verloren eine Kleinigkeit und gewannen dann an einem Abend zusammen über siebzig Dollars! Merkwürdigerweise hörten wir auch zur richtigen Zeit auf! In Franks Zimmer tanzten wir einen wahren Indianertanz der Freude in jener Nacht und beschlossen feierlich, den größten Teil des Geldes in neuen Anzügen anzulegen und niemals mehr als drei Dollars auf dem Roulettetisch zu riskieren.
»Sonst verlieren wir die Geschichte wieder,« grinste Frank. »Ich finde übrigens, mein lieber Junge, daß wir für schwarze Schafe und verlorene Söhne verdammt vernünftig sind! Heh?«
Und des Tages streiften wir stundenlang in der Stadt umher. Rom hat den klassischen Namen der Stadt der sieben Hügel. Nun, ein Römer würde sich, wanderte er durch San Franzisko, nur in einem Gefühl der Beschämung und des hoffnungslosen Uebertrumpftseins der sieben Hügel seiner Vaterstadt erinnern! Lumpige sieben Hügel! In San Franzisko wimmelt es von Hügeln. Acht, neun – zwölf – oder gar noch mehr. Flach ist die eine Seite der ungeheuren Marketstraße, die die Stadt entzweischneidet, flach dem Hafen zu. Auf der anderen Seite aber streben Hügel empor bis weit hinaus zum Stillen Meer, zur Golden Gate; Hügel mit eleganten Wohnhäusern an holzgepflasterten Straßen, die auf und nieder gehen in scharfen Winkeln, bald steigend, bald fallend.
Und diese ewigen Hügel hinauf und hinab kletterte fortwährend ein Gewirr von Straßenbahnen. Es war ein sonderbares Gefühl, unten zu stehen und von hoch oben einen Straßenbahnzug rasselnd auf sich zukommen zu sehen. Cable Cars wurden sie genannt, Kabelwagen. In der Mitte zwischen ihren beiden Schienen lief eine dritte, gespaltene Schiene, unter der in einem hohlen Raum unmittelbar unter dem Straßenpflaster ein endloses Drahtseil dahinsurrte. Eine Art Riesenzange packte auf einen Handgriff des Führers hin durch den Spalt hindurch das Seil, das dann den Wagen mit sich weiterriß, während bei Haltestellen die Zange ausgelöst und eine starke Luftbremse in Tätigkeit gesetzt wurde. Wie in einer Wellenschaukel kam man sich an besonders schlimmen Stellen vor – vorwärtsgeworfen – rückwärts gestoßen – geschüttelt, gerüttelt ...
Weit hinaus gegen das Meer zu streckten sich die stillen Straßen des elegantesten San Franzisko, und weit draußen standen die Paläste der Eisenbahnkönige der Southern Pazific und Union Pazific Eisenbahnen, des Zuckerkönigs Spreckels, des deutschen Ingenieurs Sutro. Dann kam eine wüste einsame Sandstrecke, die nach Nordwesten zum Goldenen Tor, nach Südwesten zum Presidio führte. Eine komische kleine Eisenbahn rumpelte über den Sand dahin, zu einer der schönsten Parkschöpfungen der Welt. Ein Deutscher, der Ingenieur Sutro, hat das Wunderwerk geschaffen. Mitten aus der eintönigen Sandfläche heraus sprießen prachtvolle Baumgruppen und grünende Grasflächen, Blumenbeete und Palmen. Dann Felsengruppen, wieder Palmenhaine, und plötzlich, auftauchend wie eine Zauberwelt, die gewaltige Schönheit des Ozeans. Da eingedrängt in ein Felsentor schroffer Klippen, dort zwischen Himmel und Erde verfliehend in die Unendlichkeit. Golden Gate. Das goldene Tor, die Felsenpforte von der Welt des Westens zur Welt des Ostens.
Doch auch der dunklen Flecken gab es in der lustigen Sonnenstadt.
Düster, winkelig, schmutzig stieg unten im Osten, dicht beim Hafen, mitten aus der glänzenden Geschäftsstraße Kearney Street ein bizarres Häusergewirr auf zwei Hügelchen empor. Mit wenigen Schritten trat man aus dem Schein strahlender Bogenlampen und reicher Schaufenster in eine Welt dunkler Schatten – in die Chinesenstadt San Franziskos. Enge Gäßchen. Winzige Häuserchen. Geheimnisvolle dunkle Gänge. Ueber die Gassen spannten sich leuchtendrote Plakate mit chinesischen Inschriften, Laden lag an Laden, bezopfte kleine Männer mit gelben Gesichtern huschten hin und her. Mehr als das Auge jedoch staunte die Nase, denn wie eine dichte Wolke lagerte ein unbeschreiblicher Geruch über dem Viertel der Chinesen: fremdartig über alle Maßen: jetzt lockend, nun abstoßend. Bald duftete es süß und schwer wie von blühendem Jasmin, bald bedrückend wie schwerer Nebel, bald würzig wie Spezereien – fremde Menschen hatten die Gerüche ihres Landes mit sich getragen über den Ozean. In jedem Gäßchen standen Polizisten (später hat mich mein Freund der Polizeileutnant gar oft durch die Chinesenstadt geführt); denn in den kleinen Häuserchen tief unten in den Gängen, die unterirdisch Haus mit Haus verbanden, hausten Verbrecher und wohnte das Laster. Da waren Opiumhöhlen und chinesische Spielhöllen und Diebskneipen.
»Wär' ich einer der Führer der öffentlichen Meinung von San Franzisko,« sagte Frank, als wir eines Abends wieder die Chinesenstadt durchstöberten, »so würde ich so lange agitieren, bis das Rattennest weggefegt würde vom Erdboden!«
Der Gedanke war nicht eben neu. Kaum ein Tag verging, ohne daß in den Friscoer Zeitungen die »Chinesenstadtfrage« ventiliert wurde. Doch die Chinesen besaßen Geld und wußten gewichtige Dollars da anzulegen, wo sie in Form von einflußreichem politischem Schutz gute Zinsen trugen. So behauptete eben die Polizei, das Chinesenviertel sei ja die schönste Mäusefalle, in der sie Tag für Tag Verbrecher erwische, und die Stadtbehörden erklärten, ein Zusammenleben der Chinesen erleichtere ihre Ueberwachung. Im übrigen war die öffentliche Meinung von San Franzisko gar nicht empfindlich gegen groteske Zustände: Sie duldete ja die Straße der lebenden Schaufenster!
Oben auf dem Hügel der Chinesenstadt lag, halb versteckt in winkeligen Häusermassen, ein Gäßchen, aus dem des Nachts heller Lichtschein funkelte, und dem die Müßiggänger in Scharen zupilgerten. An seinem Eingang, links und rechts, standen Nacht für Nacht zwei Offiziere der Heilsarmee. Mit ernsten Gesichtern grüßten sie die Vorbeigehenden und deuteten schweigend auf ein Plakat, das sie zwischen sich ausgespannt hielten und mit Blendlaternen scharf beleuchteten. Auf dem weißen Fetzen Leinwand stand in roter Schrift geschrieben:
»Bruder, lieber Bruder! Sieh dir die Schande an! Hilf uns als Mann und als Amerikaner, mit deiner Meinung und mit deiner Stimme bei den Wahlen, die Schande zu besiegen! Hilf den Aermsten der Frauen, lieber Bruder!«
Innen im Gäßchen drängten sich die Menschen, in steter Vorwärtsbewegung gehalten durch ein halbes Dutzend von Polizisten, deren halblauter Ruf move on – move on ... nicht stehen bleiben! – die einzigen Laute waren, die aus der sonderbaren Stille hervorklangen, denn alle Welt starrte und starrte in die beleuchteten Fenster in den winzigen Häuserchen der beiden Seiten des Gäßchens. Was man da sah, schien bald grausame Tragik, bald übergroteske Lächerlichkeit.
Die Fenster waren Schaufenster mit lebendigen Waren. Drei Fenster gab es in jedem Häuschen, bis auf den Boden gehend, und in einem jeden saß auf erhöhtem Podium, lichtübergossen vom Schein einer Glühbirne, ein Weib. Gepudert, geschminkt, künstlich frisiert, angetan mit seidenem Kostüm; ein stereotypes, gemachtes Lächeln wie angefroren auf den Lippen ... Wie eine Puppe. Wie eine Wachsfigur fast. So lag Schaufenster an Schaufenster. Bald hätte man am liebsten laut hinausgelacht, denn der Gedanke dieser lebendigen Ware wirkte unsäglich grotesk; bald hätte man sich schämen müssen. Frauen aller Länder und aller Rassen hockten in der langen Schaufensterlinie; Amerikanerinnen, Französinnen. Mulattinnen. Eine winzige Chinesin dort – ein Mädel im japanischen Kimono hier. Und alle lächelten das gleiche gefrorene Lächeln und sahen starr vor sich hin auf die Straße. Darin lag Methode. Dahinter steckte ein guter Grund. Denn die guten Polizeiräte der guten Stadt von San Franzisko duldeten zwar diese Gasse der Groteske, erließen aber fürsorglich besondere Vorschriften. Sie gaben sozusagen den lebendigen Schaufenstern das Siegel behördlicher Approbation. Aber die Glühlämpchen in den Fenstern durften nur eine gewisse Kerzenstärke haben, auf daß kein Fenster mehr leuchte als das andere, und die Ware im Schaufenster durfte sich nicht rühren, niemandem zulächeln, keinem Mann zunicken, auf daß niemand verführt wurde. So wahrte die Friscopolizei das Dekorum. Spielte gravitätisch eine steife Statistenrolle in der Tragikomödie.
Wir beide. Frank und ich, gaben im gleichen Impuls den sonderbaren Wächtern der Heilsarmee am Gasseneingang ein Silberstück, als wir die Gasse verließen. Selbst lustiger junger Leichtsinn wurde nachdenklich gestimmt in der Gasse der lebenden Schaufenster.
» Bad taste,« sagte Frank achselzuckend. »Geschmacklos!«
Und das war ein sehr vernünftiges Urteil.
Zusammen studierten wir den Anzeigenteil des Exeminer, zwei Inserate im besonderen. Freund Frank schüttelte bedenklich sein weises Haupt. »Schlimmer als gesalzener cod kann der Bengel ja auch nicht sein?« murmelte er. »Ich probier' es. Schön ist es zwar nicht, aber der Sohn meines Vaters braucht Geld. Jawohl – ich probier' es!«
»Ich auch!« sagte ich, obwohl mir die Sache sehr verrückt vorkam.
So machten wir uns selbander auf den Weg: er zu dem Vater, der Privatstunden in Mathematik für seinen Sohn suchte, ich zu der Familie, die für »zwei Kinder im Alter von neun und elf Jahren gediegenen deutschen Sprachunterricht« ersehnte. Als wir uns eine Stunde später wieder trafen, konstatierten wir unter schallendem Gelächter, daß wir alle beide Respektspersonen geworden waren – Lehrer der Jugend!
Die Mama meiner Zöglinge – ihr Götter! – war eine elegante schlanke Amerikanerin, die das Engagieren eines deutschen Sprachlehrers als etwas furchtbar Nebensächliches behandelt hatte. »Der Doktor wünscht es.« gähnte sie, »daß meine Kinder deutsch lernen. Er selbst hat keine Zeit, sie zu unterrichten. Ich finde nicht, daß deutscher Unterricht sehr wichtig ist, aber der Doktor –«
Der Doktor, der dann in den Salon kam, war ihr Mann, ein Arzt, als Kind deutscher Eltern in San Franzisko geboren. Er sprach mit mir in einem durch englische Brocken entsetzlich verballhornten Deutsch und schien sehr zufrieden mit meiner Gymnasialbildung. Das sei ja vortrefflich. Er wünsche schon um seiner Eltern willen, daß seine Kinder Deutsch lernten, und dann gedenke er auch, später seinen Sohn in Deutschland erziehen zu lassen.
»Sagen wir eine Stunde daily, in die Tag,« so instruierte mich Doktor Sanders, »und sagen uir eine Honorar von eine Dollar. Den Plan vom Lernen uollen Sie machen as you think best – ui Sie halten es für die Beste – nur praktisch, damit sie bald etwas spreken können.«
Die Kinder, das elfjährige Mädel und der neunjährige Bub, waren sehr altklug und sehr ungeniert.
» We dont like German!« erklärten sie mir sofort.
»Deutsch gefällt uns gar nicht!« Das wunderte mich nicht, denn ich bekam bald heraus, daß ihr deutscher Sprachunterricht bis jetzt darin bestanden hatte, Worte nachzuschreiben, die der Papa ihnen vorschrieb. Da kam mir ein glücklicher Gedanke, auf dem Umweg über ein Glas Wasser, das auf dem Tisch stand –
»Kinder, mir wollen nur Deutsch sprechen! Also: Dies ist ein Glas Wasser ...« »Diß is' ain Glas Wass'r,« sprachen beide seelenvergnügt nach.
Damit war der Weg zu dem Interesse der Kinder gefunden. Im Englischen waren die Worte ja fast gleichlautend – this is a glass of water –, so gleichlautend, daß diesen amerikanischen Kindern auf einmal der Appetit zum Deutschsprechen kam. Es war ja so leicht! So klebte ich denn während der ganzen ersten Unterrichtsstunde verzweifelt an meinem Glas Wasser und variierte darauf los – in diesem Glas Wasser ist eine Rose – die Rose ist weiß – wir trinken Wasser – bis zu den letzten Möglichkeiten. Meine Kinder jubelten! Und da es wohl an die Tausend Worte gibt, die im Deutschen und Englischen fast gleich ausgesprochen werden, so war die »Methode« glücklich da. Eines Tages kam die Mama in die Stunde und hörte erstaunt zu, um gleich in der nächsten Unterrichtsstunde am andern Tag eine Freundin mitzubringen, die Oberlehrerin einer Mädchenschule.
»Ausgezeichnet, Professor!« sagte sie.
Ich lachte laut auf. »Aber ich bin doch kein Professor!«
»Das macht nichts, Professor. Wollen Sie uns Stunden geben?«
»Wem? Ihnen, Madame?«
»Hören Sie. Der große kalifornische Lehrerinnenverein will im Herbst eine Europareise machen und natürlich auch Deutschland besuchen. Mit Ihrer praktischen Art können wir schnell noch ein wenig Deutsch lernen. Ich arrangiere alles, Professor. Es darf aber nicht viel kosten!«
Und sie arrangierte!
Ich glaube, die Professoren des Gymnasiums von Burghausen wären in corpore aus der Haut gefahren vor entsetzt ungläubigem Staunen, hätten sie mich abends auf dem Katheder eines großen Schulzimmers der höheren Mädchenschule von San Franzisko stehen sehen können! Vor einer Hörerschar von über fünfzig reizenden jungen Lehrerinnen! Frechheit, steh' mir bei, dachte ich in verzweifeltem Galgenhumor und ließ eine pseudowissenschaftliche (ganz und gar aus den Fingern gesogene) Erklärung vom Stapel, in der ich mein Betriebskapital von gleichlautenden Worten den »gemeinsamen anglosächsischen Sprachschatz« nannte und sehr wichtig tat. Dann löste sich die Befangenheit. Aus der Unterrichtsstunde wurde ein lustiges Frage- und Antwortspiel –
»Uasser. Professor?«
..Nein. W – asser!«
Bis der Professor zu den Bänken hinabstieg und die schweren deutschen Worte seinen Schülerinnen vorsprach. Diese Schülerinnen waren ja reizend! Eine hübscher als die andere – eine lustiger als die andere. Typisch in ihrer Art als Amerikanerinnen. Freilich – der neugebackene Herr Professor sah in ihnen gar nichts Typisches, sondern nur die lustigen netten Frauen!
Aber schon in dieser Lustigkeit lag die ganze freie Art der Amerikanerin, die von Kindesbeinen an daran gewöhnt wird, mit dem andern Geschlecht in formloser Kameradschaftlichkeit zu verkehren und das Problem von den Wechselbeziehungen zwischen Mann und Frau nicht in jedes harmlose Gespräch hineinzutragen. Nicht als ob sie nicht ganz Frauen gewesen wären, diese jungen Amerikanerinnen, mit allen Größen und allen Kleinlichkeiten, allen Tugenden und Untugenden des Frauentums! Sie beherrschten das System der drahtlosen Telegraphie mit schönen Augen meisterhaft und flirteten schändlich mit dem Lausbub von Professor! Doch in dem Wesen dieser jungen Lehrerinnen, von denen die meisten keine zwanzig Jahre zählten, prägte sich etwas gewaltig Selbstbewußtes aus. Nicht das Selbstbewußtsein der selbständigen Frau, die ihr eigenes Geld verdient. Darüber lachten sie. Zuckten die Achseln und meinten, es sei grinding work – aufreibende Arbeit und sie wären viel lieber verheiratet. Nein, das Selbstbewußtsein des Weibes steckte in ihnen, das sich seiner Macht über den Mann wohl bewußt – stolz darauf ist – und die Ritterlichkeit des Mannes als einen selbstverständlichen Tribut gnädig in Empfang nimmt.
Die Frau Amerikas gibt, wenn es ihr gefällt, mit vergnügt zwinkernden Aeuglein einen Zipfel von weiblicher Liebenswürdigkeit her. Sie tanzt graziös auf dem Drahtseil der Liebelei, aber sie plumpst ganz gewiß nicht hinunter in ernsthafte Beschädigungen ihres Frauentums; denn sie, die man niemals sorgfältig behütet und in ängstlichem Familienschutz eingekapselt hat wie gebrechliche Ware, kennt die Welt und die Männer recht gut und weiß Gefahren aus dem Weg zu gehen, weil sie die Gefahren eben kennt. Ihre Weltkenntnis dient der Amerikanerin als Balanzierstange auf dem gefährlichen Drahtseil des Flirts, in dessen Beschreiten sie Meisterin ist. Sie schützt sich selbst. Welch' ein Unterschied zwischen dem amerikanischen jungen Mädchen und dem der alten Welt, hinter dem glucksend wie ängstliche Hennen fürsorgliche Mamas und ängstliche Tanten dreinrennen, damit das Schaf von Tochter oder Nichte dem reißenden Wolf von Mann nicht in die scharfen Zähne gerate – während das behütete Schäflein immer neugieriger wird auf diesen sagenhaften bösen Wolf.
Das amerikanische Mädel aber guckt sich das Untier an, lacht und zähmt es zu einem treugehorsamen Hündlein, das sich nicht mucksen darf und mit der Peitsche scharfen Spotts gezüchtigt wird, sollte es ungezogen werden. Den Tragödien und Komödien der Liebe ist ja auch die Amerikanerin Untertan wie alle Menschenkinder. Dann aber erlebt sie mit offenen Augen, wissend, einer starken Macht gehorchend ...
So hat sich der amerikanische Frauentyp herausgebildet, der sich in starker Eigenart von den Frauen anderer Länder, den Frauen Europas vor allem, unterscheidet. Die freie Frau, die über den Wall Jahrtausende alter Ueberlieferung hinübergeklettert ist und tut, was ihr gefällt. Sie genießt die gleichen Rechte und die gleiche Erziehung wie der Bub. Sie nimmt sich das Recht des Vergnügens wie der junge Mann, mit dem sie Seite an Seite studiert. Sie treibt Sport wie er. Sie nimmt sich das Recht, im Vaterhaus zu kommen und zu gehen, wie es ihr beliebt, und es fällt ihr nicht im Traum ein, die Mama um Erlaubnis zu bitten, ob sie mit Herrn X oder mit Herrn U ins Theater gehen darf. Sie ist emnzipert im besten Sinn – natürlich – Mensch.
Doch sonderbar. Die gleichen Menschen, die mit so gesundem praktischem Sinn das Problem psychischer wie physischer Mädchenerziehung lösen und als wundervolles Gut ihren Töchtern ein vernünftiges Menschentum und eine prachtvolle Unbefangenheit mit ins Leben geben, sündigen wieder gegen wahre Frauenwerte durch eine groteske Frauenüberschätzung, die tief in alle gesellschaftlichen, ja wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes hineinschneidet. Das gleiche Mädel, das so stolz auf ihr, man möchte fast sagen: geschlechtsloses Menschtum ist und en bon camrade mit ihren männlichen Freunden tollt, wird in unmerklichem Uebergang zur anspruchsvollen Königin, zur herrschenden Macht, je mehr das Weib sich in ihr regt. Das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern, das Sitte und Erziehung herstellen wollen, verschiebt sich unbeschreiblich weit zugunsten des Weibes. Sie heiratet. Ein guter Kamerad ist die amerikanische Gattin, klug, erfahren, vorzüglich dazu geeeignet, mit dem Mann seine Pläne, seine Arbeit zu besprechen; ihn zu beraten. Im scharfen Gegensatz zu dem Hausfrauentum, das die Frau in Küche und Haus, den Mann ins Erwerbsleben verweist. Die Amerikanerin würde entsetzt sein, wollte man ihr von Hausfrauenpflichten reden. Sie kocht miserabel und ist hilflos ohne Dienstboten. Sie treibt beispiellose Verschwendung im Haushalt. Sie fordert, daß der Mann ihr die Möglichkeit schaffe, alle ihre Wünsche zu befriedigen – und langsam entwickelt sich das typische Verhältnis zwischen amerikanischen Ehegatten:
Der Mann arbeitet Tag und Nacht, um die Dollars herbeizuschaffen! Die Frau amüsiert sich in Luxus und Verschwendung!
Gebärt sie ihrem Mann Kinder, so erfüllt sie damit nicht natürliche Weibesbestimmung, sondern ist eine arme Märtyrerin der Ehe und des Mannes; sie gibt dem Mann mit den Kindern ein Gnadengeschenk, das ihm die Pfleicht auferlegt, sich Genüsse zu versagen und rastlos Dollars zu jagen, um sie der Märtyrerin, der Königin, zu Füßen zu legen.
Weiberherrschaft. Weiberherrschaft, die einen eisernen Gürtel um das Land zieht und verantwortlich ist für lächerliche Uebertreibungen im Kampf gegen Alkohol und Tabak, für die Schließung aller Vergnügungsstätten an den Sonntagen, für ein sonderbares Muckertum, das gar nicht hineinpaßt in den freien natürlichen Charakter der amerikanischen Menschen. Weithin dehnt sich der Kreis der Weiberherrschaft. Literatur und Kunst muß sich dem Weiberwillen beugen, denn die Frau ist's ja, die allein für Kunst und Schönheit Zeit übrig hat, wärend der Mann die Dollars jagt für seine Königin und zu nichts sonst Zeit hat. Die Frauen sind es, unter deren Reich die New Yorker Oper blüht und Tenören Märchenhonorare bezahlt wie keine andere Oper der Welt. Die Frauen waren es aber auch, die entsetzt die Absetzung der »unsittlichen« Salome vom Spielplan forderten und durchsetzten – und die Frauen sind es, die das amerikanische Schauspiel zu der jämmerlichen Groteske von sentimentalem Melodrama machen, die es ist. Weil große Kunst, die das Leben wahr schildert, nicht hineinpaßt in das kleine Sittlichkeitshirn der Durchschnittsamerikanerin. Durch die Weiberherrschaft regiert der sentimentale Roman, in denen engelhafte Frauen dulden und leiden und endlich die weißgewaschene, frischgestärkte Tugend à la Amerika unwiderruflich siegen muß – die Weiberherrschaft hat den Künstler Gibson verhunzt, seine große Kunst auf die Knie gezwungen, ihn den weltbekannten amerikanischen Frauentyp schaffen lassen: Groß, schlankgliedrig, weiche, fallende Schultern, majestätisch nicht zum sagen, Gesichtszüge wie regierende Fürstinnen während ihrer Krönung ...
In die Gesetze hinein ist sie gedrungen. Eine amerikanische Frau darf einen Mann niederschießen: in neun Fällen aus zehn werden die Geschworenen sie freisprechen. Sie darf stehlen: die Geschworenen werden nur entsetzt sein, daß in ihrem glorreichen Land es möglich ist, daß eine Frau, Ihre Majestät die Frau, zum Stehlen getrieben werden kann. Sie darf Männer betrügen um noch so hohe Summen: die Geschworenen geben dem Mann die Schuld. So ergibt sich eines der wunderlichsten Zerrbilder der modernen Welt – ein kerngesundes Menschenkindlein von Mädchen, dessen Art und Erziehung man geruhig den Ländern der alten Welt zum Vorbild hinstellen kann und das als Weib in einer nationalen Epidemie von weiblichem Größenwahn unfehlbar verdorben wird. Ein Zerrbild ...
*
Der Herr Professor verdiente viel Geld mit seinen lustigen Lehrerinnen und fand das Leben wunderschön, wenn er mit jener Schülerin heute in den Golden Gate Park ging und mit dieser morgen unter gefährlichem Flirten in einem französischen Restaurant dinierte. Bis einmal Frank sagte:
»Die Geschichte wird nicht lange dauern, » amice!«
»Meinst du?«
»Aber das ist doch selbstverständlich. Eines schönen Tages werden sie des Spiels überdrüssig werden (ich kenne meine Leute) und dann – adieu, Professor. Armer Professor!«
Da wurde der Lausbub von Professor nachdenklich; hatte er ja selbst schon mehr als einmal empfunden, daß sein deutscher Unterricht schließlich nur eine Art lustiger Charlatanerie war und der Teufel los sein würde, wenn einmal die Grenze erreicht war, wo die Geschichte ohne grammatikalische Gründlichkeit versagen mußte!
Und eines Abends träumte ich von der Zeitung in St. Louis, und wie unbeschreibliche Sehnsucht kam es über mich: jene Sehnsucht, die den Menschen packt und schüttelt und sich hineinfrißt in sein innerstes Denken wie eine fixe Idee. Ich träumte und träumte.
Endlich kam, in dem prachtvollen Optimismus der Jugend, dem kein Ding unmöglich scheint, ein vermessener Entschluß. Der Lausbub setzte sich hin und schrieb tagelang, eilend, ändernd ...
»Famos ist's, Professor. Du kannst mehr Englisch als ich!« sagte Frank.
So gingen die beiden Manuskripte, über die Fischerinsel das eine, ein Hafenbild das andere, an den San Francisko Examiner ab. Gleichzeitig ein langer Brief an den lieben alten sächsischen Doktor mit der Bitte, ob nicht er oder einer der Herren der Redaktion mich an den San Francisko Examiner empfehlen könne. Der Professor fing an, lebensklug zu werden ...