Peter Rosegger
Das Sünderglöckel
Peter Rosegger

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Vom Frieden des Herzens.

Unsere nervös aufgeregte Zeit kennt stoische Ruhe nur von der Frau Hörensagen. Wenn doch einmal einer ist, der sie praktisch übt, dann gilt er für einen Sonderling, als solcher eigentlich jeder hervorragende Mensch bezeichnet werden darf. Für eine Zeit, deren Motto »Kampf ums Dasein« ist, paßt der Stoiker nicht; mit dem Allesgutseinlassen kommt man nicht bloß nicht weiter, man wird von den Nächsten an die Wand gedrückt, bis der letzte Blutstropfen herausgepreßt ist.

Und doch ist der Stoizismus, das »Lei lassen«, jener klassischen Philosophe ein großartiger Standpunkt, an dessen Brüstung jedes Unglück zerschellt, denn das Unglück ist ohnmächtig, wo es nicht anerkannt wird, wo es nicht imponieren kann. Der Stoiker läßt sich nicht imponieren, nicht vom Glück und nicht vom Unglück, und das ist seine Stärke, seine Unüberwindlichkeit.

Als Gegensatz zu dem Vorhergegangenen möchte ich den Stoizismus anführen als ein sehr wirksames Gegengewicht zu unseren modernen Dämonen. Ich für meine Person formuliere ihn mit dem Grundsatze: wolle, was geschieht, und es geschieht, was du willst.

Da lebte im alten Rom ein Sklave namens Epiktet, der war trotz seiner Sklavenketten freier als der Cäsar, er war so frei, als je ein großer Geist frei sein kann. Er war von der Schule der Stoiker, der immer Gelassenen, und die Grundgedanken seiner Weltanschauung, die uns neuerlich auch Hilty in seinem bedeutsamen Werk »Glück« ins Gedächtnis gerufen hat, will ich nach diesem hier andeuten, denn es ist gut, zu wissen, was Stoizismus ist und was man sich zu denken hat unter stoischer Ruhe, die uns den Frieden des Herzens geben kann.

Du sollst nur das tun wollen, was in deiner Macht steht, alles andere lasse dich nicht kümmern. In deiner Macht steht der Wille, das Wollen, wo eine Wahl vorhanden ist. Du hast vorerst zu prüfen, was in des Menschen Macht steht, und was nicht. Was du in dieser Macht tust oder versäumst, das ist wirkliches Glück oder Unglück, alles, was von außen, von Natur wegen, von Geschick wegen kommt, das soll dich gleichgültig lassen, denn du kannst nichts dazu und nichts davon tun. Verabscheust du das, was zu verhindern oder abzuwenden in deiner Macht steht, so wirst du das Verabscheute eben abwenden und glücklich sein können. Verabscheust du aber z. B. die Armut deines Berufs, die Krankheit, das Altern, den Tod, so wirst du verzweifeln, weil du das Verabscheute doch nicht abwenden kannst. Hüte dich also, etwas zu begehren, was nicht in deiner natürlichen oder sittlichen Macht steht. Je weniger du wünschest, je leichter erfüllen sich deine Wünsche. Bedenke bei allem, was du hast, seine Natur. Besitzest du einen Krug, so denke vorweg, daß Krüge zerbrechen können. Besitzest du Weib und Kind, so halte dir immer vor Augen, daß sie sterben können, dann wird der Verlust, als vorausgesehen, dich nicht in Verzweiflung stürzen. Wenn du willst, daß dein Besitz ewig dauere, daß dein Weib ewig lebe, daß deine Kinder fehlerlos seien, so bist du ein Narr. Trittst du in die Ehe, ohne zu bedenken, daß du Kummer und Sorge heiratest, so bist du ein Tor. – Lasse dir täglich alles denkbare Ungemach vor Augen stehen, und du wirst nicht hochmütig und nicht feige sein. – Trittst du eine Reise an, so denke im vorhinein: was kann mir auf dieser Reise zustoßen? Ich kann beraubt werden, mein Wagen kann abstürzen, ich kann erkranken und in der Fremde sterben. Unternimmst du die Reise trotzdem und es tritt das Unheil ein, so wirst du dir sagen: ich habe diese Möglichkeit ja freiwillig gewählt; kommt das Unheil nicht, so wirst du um so froher und dankbarer sein. – Nicht die Dinge selbst beunruhigen uns, sondern die Meinung, die wir darüber haben. Der Verlust an Gütern ist an sich nichts Schreckliches, denn wir sehen sehr viele Menschen ohne diese Güter glücklich sein. Aber unsere Meinung, daß der Verlust schrecklich sei, macht uns Sorge und Angst. – Sprich nie: ich habe eine Sache verloren, denn du hast sie nie besessen, sie war dir nur geliehen, und sie zurückgeben, heißt die Sorgen und Verantwortlichkeit ablegen, die das Lehen dir verursacht hat. – Denke nicht: wenn ich mein Vermögen sorglos behandele, so werde ich darben müssen; besser, es darbt der Leib, als es ist die Seele gedrückt. – Rufst du deinen Knecht, und er kommt nicht, so denke nicht gleich, der Mensch sei boshaft, sondern er werde deinen Ruf nicht gehört haben. Schickt es sich nicht für deinen Knecht, ungehorsam zu sein, so schickt es sich noch weniger für den Herrn, sich zu ärgern. Wenn der Knecht den Herrn ärgern kann, so ist dieser der Knecht und jener der Herr. – Bist du weise, so mache dir nichts daraus, für dumm gehalten zu werden. Bist du redlich, so kannst du Ehrenabschneidung leicht ertragen. Nicht, daß man dich auf die Wange schlägt, beunruhigt dich, sondern deine Vorstellung, daß es eine Schande sei. – Beim Gastmahl des Lebens strecke nicht vorweg die Hände aus nach deinem Lieblingsgericht, sondern warte bescheiden, bis es der Reihe nach an dich herankommt. Verzichtest du auf das Angebotene, dann bist du ein göttlicher Mensch. Verzichtenkönnen allein macht souverän. – Zeige mit den Leidenden Mitleid, behalte aber im Innern deine Fröhlichkeit, denn ein Leiden auf sich nehmen, ohne es einem anderen erleichtern zu können, ist töricht. – Bedenke, daß dieses Leben ein Drama ist, und daß du darin eine Rolle zu spielen hast. Stellst du einen König vor oder einen Bettler, gleichviel, Hauptsache ist, daß du deine Rolle gut spielst. Du willst doch nicht gerade Fürst oder Feldherr sein, sondern frei und in der Freiheit deine Sache gut machen. – Wohlgeschick, Mißgeschick, das seien deine rechte und linke Hand, gebrauche beide, dann wird werden, was werden mag. – Gebärde dich nie stolz; was du als das Beste erkannt hast, dabei bleibe, als ob dich Gott auf den Posten gestellt hätte. Beharrst du, so verlacht man dich vielleicht, gibst du den Leuten nach, so verlachen sie dich doppelt. Gibst du dich auf, um der Welt zu gefallen, so hast du dich verspielt. – Wirst du zurückgesetzt, so hast du den Vorteil, nicht dankbar sein zu müssen. Mit Annahme von Würden und Gütern verkauft man sich nur allzu häufig. Man verkauft sich um Genuß, Hoffnung und – Verzweiflung. – Stirbt ein Nachbar, so sagst du, das ist Menschenlos; warum sagst du nicht das gleiche, wenn dein Geliebter stirbt? – Das Unglück ist nicht da, um ihm auszuweichen, sondern um es gelassen zu besiegen.

Du hütest deinen Leib vor der Gewalt anderer; warum setzest du ihnen dein Gemüt schutzlos aus, indem du dich nach ihren Launen erfreuen oder betrüben läßt? Mache dich wetterfest gegen willkürliche Einflüsse Fremder. Wenn du nicht willst, kann dich niemand kränken; gekränkt bist du nur, wenn du dich für gekränkt hältst. Mit den Leuten kann nur der auskommen, dem sie gleichgültig geworden sind.

Du mußt dich von den Leuten möglichst absondern; was sie dir geben können, hat nicht den Wert dessen, was du ihnen opfern mußt: Freiheit und Unbeugsamkeit. Du sollst ein einheitlicher Mensch sein – ein guter oder ein schlechter.

Sei überzeugt, daß ein Gott ist, der die Welt gut und gerecht regiert, und daß du bestimmt bist, ihm zu gehorchen. Seine Anordnungen kann dein kleiner Verstand nicht fassen, und wenn er deine Person der Allheit opfert, so ergib dich, in der Allheit wirst du dich wieder finden. Gott läßt dich nicht aus der Hand, da kannst du ruhig sein. – Suche, soweit es in deiner Macht steht, einen tüchtigen, charakterfesten Menschen aus dir zu machen. Verweile nicht lange bei körperlichen Dingen, bei Essen, Trinken u. s. w. Habe nur Notwendiges um dich, nicht Luxus, so kannst du wenig verlieren, und der Zufall hat keine rechte Macht über dich. Was die Welt dir antun kann, sei dir zu nichtig, was sie dir geben kann, sei dir zu wenig – das ist der edle Stolz des Ewigkeitskindes.

Sprich nicht viel, nur das Notwendige, auch das mit wenigen Worten. Rede nicht viel von Tagesneuigkeiten, von Sport, von Essen und Trinken, von deinen Taten und überstandenen Gefahren, am wenigsten über Fehler anderer. Lenke in Gesellschaft das Gespräch stets auf wichtigere und höhere Dinge, gelingt dir das nicht, so schweige und entferne dich. – Lache nicht über alles und denke, daß Leute, die gern lächerliche Dinge erzählen und ständig Witze machen, von gemeiner Natur sind. – Wandelt dich sinnliche Lust an, so bedenke zwei Zeitpunkte: den Augenblick des Genusses und den der knapp darauf folgenden und länger andauernden Reue. – Wenn dir jemand Böses nachredet, so verteidige dich nicht, sondern sage: meine andern Fehler wußte er wohl nicht, sonst hätte er nicht bloß diese angeführt. Wer über dich Böses sagt, der tut's, weil er meint, er habe recht. Tut er dir unrecht, so ist der Nachteil ja auf seiner Seite, weil er im Irrtum ist.

Viel Theater und Kunstbesuch sollst du nicht treiben, derlei verflacht den Menschen. Wenn du schon auf das Leben keinen großen Wert legst, um wie weniger kannst du den Abklatsch des Lebens bewundern. – Was nach deiner Überzeugung recht ist, das scheue dich nicht, öffentlich zu tun, auch wenn die Menge darüber anders denkt, aber hüte dich, etwas aus Trotz gerade darum zu tun, weil es andere nicht wollen.

Sprich nicht viel von Grundsätzen, sondern handle nach solchen. Trinkst du nur Wasser, so sage nicht bei jedem Anlaß: ich trinke nur Wasser, denn sonst hebt der Fehler der Eitelkeit die Tugend der Enthaltsamkeit auf und die Leute lachen über dich. – Trinkt jemand viel Wein, so sage bloß, er trinkt viel Wein, und tadle nicht, weil du ja seine Gründe nicht kennst.

Der Weise erwartet Nutzen oder Schaden nur von sich selbst. Er tadelt niemand, lobt niemand, beklagt sich über niemand, und wenn andere ihm es tun, so bleibt er gleichgültig.

Das nun sind etliche Grundsätze des Stoikers, die den Weg bezeichnen, der zum Frieden des Herzens führt. Sie haben Ähnlichkeit mit der Lehre Christi, nur daß diese letztere noch reiner und vollkommener ist. Man wird schon gemerkt haben, daß dieser Lebensführung – die Liebe mangelt. Die Nächstenliebe verträgt sich schwer mit dem Stoizismus; tröstet man sich zwar über eigenes Mißgeschick, so tröstet man sich nicht über das Leid anderer, die nicht Stoiker sind. Aber trotzdem ist die Liebe wert des Leidens, das aus ihr entsteht, und hier hebt das Christentum an. – Nach dem Stoiker soll der Mensch alles, was aus sich zu machen ist, aus eigenem festen Willen, aus eigener Kraft machen. Das Christentum verlangt noch mehr, weiß aber, daß der Mensch das aus sich allein nicht kann, und verheißt dem Strebenden die Gnade Gottes, wenn er an sie glaubt. Dieses Glauben an die Gnade mag der Philosoph zehnmal Selbstsuggestion oder anders wie nennen – es bedeutet eine Kraft, die dem Ungläubigen in solcher Art nicht beschieden ist. Zum großen Teil aber gelingt es jedem, der das Verlangen hat, durch unsere angeführten Grundsätze dem Frieden des Herzens nahezukommen.

 


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