Peter Rosegger
Das Sünderglöckel
Peter Rosegger

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Krach.

Ich hatt' einen Kameraden. Zu diesem ging ich nun eines Tages, es war im Herbst 1872, und sprach, zur Tür hineinstolpernd: »Weißt du was Neues, Philipp? Heiraten werde ich!«

»Wa . . .? Was wirst du?«

»Heiraten!«

Der Philipp war auf dem Leder gelegen. Jetzt richtete er sich sacht auf in seiner ganzen Länge – er war ziemlich lang – und sprach: »Heiraten? Du? Ja, hast du denn ein Mädel?«

»Nein, eine Braut.«

»Na, hörst du, das interessiert mich,« sagte er. »Hat sie Geld?«

Denn er war einer von denen.

»Das weiß ich nicht.«

»So hast wohl du Geld, wenn du heiraten willst.«

»Aber natürlich.«

»Na, setz dich zu mir und erzähle!«

Er machte mir neben sich Platz auf dem Leder. Ich dachte, jetzt wird der alles wissen wollen: wann wir uns kennen gelernt; ob sie blond ist oder schwarz; und wie alt; und wie groß. Und ob ich denn keine Photographie von ihr mit hätte. Auf solche Fragen wäre ich wohl gerüstet gewesen. Er aber legte mir seinen Arm um den Nacken, lachte mir mit seinem breiten Gesicht in die Augen und sagte: »Aber Junge! Davon wußte ich ja kein Wort, daß du Geld hast. Wo hast du es denn?«

»In der Sparkasse.«

»Viel?«

»An zweitausend Gulden!«

Er tat einen lustigen Pfiff und rief: »Ah, da schau mal her! Und damit willst du jetzt heiraten?«

»Im nächsten Frühjahr.«

»Nun, nun! Einrichten könnt ihr euch schon mit zweitausend Gulden.« Dann klöpfelte er mit der Stiefelspitze auf der Diele und sagte: »Weißt, Freund, ich an deiner Stelle möchte meine Braut überraschen und ihr am Hochzeitstage statt zweitausend Gulden das dreifache vorlegen. Junge Weiber sind gar nicht böse, wenn der junge Mann Geld hat. Das dreifache, verstehst du? Und spielend, ohne daß du einen Finger weiter zu rühren brauchst.«

»Was meinst du?«

Philipp schob seine Hände in die Hosentaschen und lehnte sich aufs Sofa zurück.

»Junger Mann,« sagte er, »ich will dir was erzählen. Aber es ist ja ganz einfach. Ich habe gestern mein Landgut verkauft. Es ist schändlich, was so ein Landgut trägt. Nicht drei Prozent, sage ich dir. Schlug's noch leidlich los. Um fünfunddreißigtausend. Nicht gerade glänzend; macht aber nichts: um so vorteilhafter legt sich jetzt das Bargeld an. Ich komme soeben von der Bank. Siehst du?!«

Er zog aus seiner Brusttasche ein Paket Papiere – Wertpapiere.

»Nach ein paar Monaten können sie das doppelte, das drei- oder vierfache wert sein. Du, man hat keine Ahnung, was da heutzutage zu machen ist! Ich kenne zwar deine Braut noch nicht. Du bist ja so geizig mit ihr, stellst sie mir nicht vor, zeigst mir kein Bild von ihr, erzählst mir nicht einmal. Und doch liebe ich sie, weil sie die Künftige meines liebsten Freundes ist. Jetzt ist das Notwendigste, daß du zu Geld kommst.«

Er blickte auf seine Taschenuhr; es war eine goldene.

»Jetzt ist es zehn Uhr. Um zwölf Uhr wird die Sparkasse gesperrt.«

»Nein, um ein Uhr!«

Denn ich wußte das genau.

»Gut, also um ein Uhr. So hast du noch drei Stunden Zeit, deine zweitausend Gulden herauszunehmen. Tu mir – das heißt: dir, deiner Braut – den einzigen Gefallen und kaufe Wertpapiere. Siehst du, die da, die besten und sichersten, die es geben kann. Nicht einen Tag sollst du säumen; denn das Papier steigt ganz rapid. Jeder Tag, an dem du deinen Schmarrn in der Sparkasse noch länger liegen lassest, ist ein Verlust, ein Verbrechen an deiner künftigen Familie. Peter, ich habe dich immer lieb gehabt. Ich werde dich verlieren. Das weiß ich ja so, daß der Freund nichts mehr ist, sobald er die Seinige unter Dach hat. Aber ein bißchen zu Dank verpflichten möchte ich dich gern vorher und deinen Kindern sollst es einstmals sagen: Wenn Onkel Philipp nicht gewesen wäre! Dem Philipp habt ihr den Wohlstand zu verdanken. So geh doch jetzt! Die Bank ist bis drei Uhr offen. Bei Löwe & Stern, Ecke der Herrenstraße. Soll ich dir's aufschreiben? Soll ich dich dann an der Börse erwarten?«

Ich ging fort. Wie kommt mir heute der Philipp vor? Er ist doch sonst nüchtern und gewissenhaft. Sollte ihn auch das Gewinnfieber erfaßt haben? Man hört, daß es jetzt so arg grassiert. Nun, mir tut's nichts. Ansteckende Krankheiten fürchte ich nicht viel.

Zur Sparkasse ging ich natürlich nicht. Das Bissel, was drin liegt, soll liegen bleiben. Weiß ohnehin nicht, wie man dazu kommt, daß es fünf Prozent trägt, ohne daß man einen Finger zu rühren braucht. Irgendwo muß sich doch was rühren, daß es so wächst. Dachte nicht weiter dran und ging zur Braut.

Natürlich, die Liebesgeschichte soll ich euch jetzt ausmalen, meine Damen. Um Entschuldigung: diesmal nicht; heute bin ich ganz Geschäftsmann.

Als im nächsten Frühjahr der Hochzeitstag in die Nähe kam, als alles in der Stadt florierte, nobel lebte, während ich das neue Heim nur ganz einfach einrichten konnte, da fiel mir wohl manchmal ein: Wenn du dem Philipp gefolgt hättest! Die Papiere stehen schwindelnd hoch, ohne jede besondere Manipulation hätte sich das kleine Vermögen verzweifacht. Bei anderen hat es sich verfünffacht seit einem Jahre. Wenn man einigermaßen Mißtrauen hat, so kann man die Scheine doch rechtzeitig verkaufen. Es soll ja überhaupt keine Gefahr sein. Der politische Horizont ist völlig klar, alle Geschäfte glänzen um die Wette. Wenn man halt keinen Mut hat, bleibt man ein armer Teufel.

Die Vorbereitungen zur Hochzeit ließen weitere Skrupel nicht aufkommen. Am dreizehnten Mai endlich sollte die langersehnte Stunde schlagen, die uns einander gab.

Da war es vier Tage vorher, gegen Abend, daß mein alter Kamerad Philipp ganz verstört durch die Gasse lief, mich anstieß und, ohne »Pardon« zu sagen, davonhastete. Er hatte mich gar nicht erkannt. Auch andere hatten es heute besonders eilig, und an den Ecken standen Menschengruppen, die hastig miteinander sprachen und mit den Armen hin- und herfuhren.

War was geschehen?

»Es kann nur vorübergehend sein!« hörte ich sagen. »Es erholt sich wieder.«

»Nein, es erholt sich nicht. Das ist eine Katastrophe!«

Ein Börsensturz.

Und dann, am Vorabende der Hochzeit. Ich ging etwas spät von der Braut heim. Die Straßen waren menschenleer. Auf der Brücke sah ich im Dunkeln einen Mann, der sich ans Geländer lehnte und in die Tiefe blickte, wo das dumpfe Rauschen des Stromes war. Ich erkannte meinen Philipp. Ich beobachtete ihn; das Ding war nicht ganz geheuer. Als er mit dem einen Fuß aufs Geländer sprang, packte ich ihn am Arm: »Was ist?«

»Lassen Sie mich, wen geht's was an?« herrschte er; dann, als er mir beim Schein der nächsten Laterne ins Gesicht schaute: »Du?! Freund . . . du kommst mir jetzt ungelegen.«

»Aber zur rechten Zeit, wie ich glaube.«

»Laß mich fahren, Bettler gibt's noch genug.«

»Du hast verloren?«

»Alles.«

»Und darum willst du da hinab? Ja, Philipp, weshalb ladest denn du mich nicht ein, mit dir zu kommen?«

»Hast du auch verloren?« fragte er: sein Ton erstarrte fast. »Nein, du wirst doch nicht auch spekuliert haben?«

»Du hast mir's doch so angelegentlich geraten.«

»Du wirst . . .! Um Gotteswillen, du wirst doch nicht auf mich gehört haben?«

»Warum denn nicht? Du hast mir's ja so gut gemeint.«

Er forschte mir ins Gesicht: »So sieht einer aus, der sein Vermögen verloren hat?«

Und ich entgegnete: »Ja, sein ganzes kleines Vermögen, das er durch die Jahre mit Fleiß erworben, mit Fleiß erspart hat! Und wenn er nun zu dem lieben Mädchen gehen muß und sagen: Kind, mit unserer Heirat ist es nichts. Ich bin ganz und gar vermögenslos, ich bin mutlos, ich bin leichtsinnig gewesen, mein Leben ist verspielt! Und das deine auch. Dann fluchen, weinen, verzweifeln! Und das, Philipp, hast du auf dem Gewissen!«

Da er solches von mir hörte, wollte er mit Gewalt ausreißen und hinab. Ich zog ihn zurück, daß er mit dem Rücken auf die Brücke fiel. Dort blieb er liegen und hub zu schluchzen an.

»Du armer Mensch,« stöhnte er. »Also auch dich, auch euch hab' ich unglücklich gemacht!«

»Hättest unglücklich machen können, solltest du sagen. Wisse nur, daß ich deinen Rat nicht befolgt habe. Mein bißchen Geld liegt noch in der Sparkasse und ist wieder um hundert Gulden mehr geworden. Und du packe dich jetzt zusammen!«

Mit Mühe habe ich ihn in meine Wohnung gebracht. Dort tranken wir Bier und rauchten Zigaretten. Und dann sagte ich, auf den Strom anspielend: »Es geht uns ja eigentlich recht gut, wir sitzen beide im Trocknen.«

»Aber sage, Freund, was soll ich denn jetzt machen?« fragte er. »Denn hin ist alles, mein Geld und mein Landgut. Nur noch beim Käsehändler sind sie zu verwerten, diese Wertpapiere.«

»Haben sie nicht eine leere Rückseite? Die meisten, ja? Siehst du, am Ende ist's doch noch ein gutes Papier. Du warst einmal schriftstellerisch tätig, wie mich dünkt.«

»Laß die Torheit ruhen! Ich war den Verlegern immer zu idealistisch.«

»Aha, bis du auf die Wucherzinsen verfielest! Höre mal, Philipp: idealistisch sind die Herren immer nur, solange sie keine Erfahrung und kein Geld haben. Schreibe einen Roman: Wie ich arm wurde! Vielleicht wirst du damit wieder reich. Schreibe deine Erlebnisse, deine ganze Dummheit hinein. Auch meine Liebesgeschichte schenke ich dir dazu. Du kannst den Bräutigam auf der Börse spielen lassen und das Brautpaar unglücklich machen, wenn es dir Vergnügen macht, nur müssen sie später wieder glücklich werden und sich kriegen, natürlich. Im Roman kannst du meinetwegen auch ins Wasser gehen, wenn es unumgänglich notwendig ist; ich rette dich sehr gern mit dem größten Heldenmut und nach der Trauung kann mir der Bezirkshauptmann die Rettungsmedaille an den Rock heften. Das wirkt großartig und daraufhin kann der Verleger um tausend Exemplare mehr drucken lassen.«

»Nun bist du wohl fertig mit deinem Spott! Mit deinem schlechten Spott!« rief er zornig aus. »Mein Lieber, die Federfuchsereien will ich schon solchen überlassen, die zu sonst nichts zu brauchen sind, verstehst du? Ich will mein Brot redlich erwerben, mit Arbeit!«

Stand er groß da! Und ich klein. Doch war ich zufrieden, ihn soweit zu haben.

Am nächsten Tage, bei der Hochzeit, war er leidlich vergnügt. Und heute nach dreißig Jahren? Ob der Philipp mehr oder weniger Geld hat, darauf kommt's ihm nicht an. Seine Rede ist so: »Hätt's nicht gekracht, dazumal, so wäre ich ein Geldlump geworden.« Nun ist er ein arbeitsamer Mensch geworden.

Also eine moralische Geschichte für Kinder!

Na, na, man braucht ihm's nicht nachzumachen; wer lieber ein windiger Geldlump ist und beim ersten Malheur auf die Brücke läuft: ganz nach Belieben.

 


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