Peter Rosegger
Das Sünderglöckel
Peter Rosegger

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Milde siegt.

Ich schlenderte durch die Gasse und pfiff ein Liedel. Da schrillte plötzlich etwas hinter mir. Ich wandte mich um und sah einen Mann mit Laternenlicht herankommen, der ein Handglöcklein läutete. Einige Schritte hinter ihm ging der Priester im Chorrock mit dem Sakrament. Ein Krankengang. – Ich soll wohl ausweichen. Was soll ich denn noch? Sofort fiel mir die Geschichte jenes Spielmanns ein. – In einem großen Kurort war es gewesen. Der Spielmann trottete auf abendlicher Straße heiter dahin, trällerte und pfiff eine Melodie, die er nächstens aufspielen wollte. Da kam hinter ihm ein Mann mit weißem Kleiderüberwurf, der etwas an seiner Brust trug. Ein anderer läutete mit dem Glöcklein, wohl ein Zeichen für die Fußgeher, auszuweichen. Das tat der Spielmann auch, doch forderte ihn der Mann auf, den Hut zu ziehen. Das tat der Spielmann nicht, denn er war fremd in der Gegend und wußte nicht, was das zu bedeuten habe. Er ging weiter und pfiff seine Melodie. Der weiße Mann rief ihm zu, er sei ein ungebildeter Mensch, worauf der Spielmann auch was erwiderte. Kurze Zeit darauf wurde unser Spielmann von Landwächtern abgefangen und ins Gefängnis geführt. – Er war ein Protestant aus dem Norden und hatte, ohne es zu wissen, zwei Verbrechen begangen, das der Priesterbeleidigung und das eines Religionsfrevels.

Die Erinnerung an diese Geschichte trieb mir das Blut zu Kopf. Ich war kein Protestant aus dem Norden, sondern ein Katholik, aber das Hutabziehen wollte ich mir nicht befehlen lassen. Dazu kann in solchem Falle auf öffentlichem Platze auch der Katholik nicht gezwungen werden. Da sollten sich doch die Leute zusammentun und gemeinsam fragen, wer ihnen das gebieten kann. Da sollten sie doch zeigen, daß der Gläubige freiwillig seine Ehrenbezeugung macht, aber nicht gezwungen, daß eine erzwungene Zeremonie den Teufel wert ist, und daß man es nicht so weit kommen lassen darf, als bete man das Sakrament an, aus Furcht vor dem Eingesperrtwerden. Man betet es aus Herzensneigung an, oder gar nicht, ein anderer Grund wäre Gotteslästerung. – Ich blieb stehen und war entschlossen, weder den Hut zu ziehen, noch niederzuknien.

Der Priester kam näher. Ein Greis mit schneeweißem Haar. Die Hand, die das Ciborium am Busen barg, zitterte ein wenig. Leicht hob er das Haupt und warf mir mit milden Augen einen angstvollen, bittenden Blick zu. Das Glöcklein läutete an mir vorüber, der Priester wankte heran. Wenn's ein echtes Priesterherz ist, wie muß ihm zu Mute sein bei der Gefahr, daß sein Heiland in der nächsten Sekunde nach seiner Meinung könnte verunehrt werden. Nochmals wandte er sein flehendes Auge nach mir. – Ich zog den Hut vom Kopfe und ließ mich nieder aufs Knie.

Der Priester blieb stehen, sein Blick leuchtete wie in Verklärung, er hob das Allerheiligste und segnete mich.

In diesem Augenblick ist mir selig gewesen. Es ist mir gewesen, als ob ich ein gutes Werk getan und als ob ich eine Gnade empfangen hätte.

 


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