Felicitas Rose
Kerlchen als Anstandsdame
Felicitas Rose

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Brief von Kerlchen an Munke, Bümi und Luttewete!

Geliebte Walküren!

Dieses mein Rundsendschreiben trifft Euch, wie ich hoffe, bei guter Gesundheit an, ich schicke es an die Frau Baronin Munke von Russee zuerst, teils weil sie die Älteste ist und teils, weil sie zum hohen Adel gehört. Denn Kinder, ich bin eine ganz andere geworden, ich habe mich auf das blaue Blut meiner Mutter besonnen, bin nicht mehr das »Kerlchen« mit Kraftausdrücken und mangelhaften Manieren, ich bin jetzt nur »Anstandsdame«.

Donner und Hagel, hatten wir, Wera und ich, gestern einen Jux!!! Übrigens muß ich hier einschalten, daß jegliche Eifersuchtswallung von Euch der reinste Mumpitz ist – Werchen ist ja goldig, ich geb's zu, aber Ihr müßtet doch wahrhaftig Euer konservatives Kerlchen kennen, das seine Freundschaften nie wechselt wie sein – – na was denn nun gleich? »Ich hab es getragen sieben Jahr und trag' es nicht länger mehr!« Na also!

Munke, Bümi und Luttewete über alles! Kinder hört zu! Gestern meldete sich die Stiftsdame Aurelia, Baronin von Rhoda, hier an, und da sich Wera und ich bei der Nachricht gerade in den Ställen befanden, um diese gründlich zu revidieren, so könnt Ihr Euch denken, welcher Reinigung wir uns zu unterziehen hatten, um uns bei Dame Aurelia nicht in gar zu schlechten Geruch zu setzen.

Frau von Altenhof machte ein sorgenvolles Gesicht. Sie scheint mich sehr lieb zu haben und fürchtet sich vor den strengen Augen der Stiftsdame, die meine gänzliche Unfähigkeit, als »Anstandsdame« aufzutreten, wohl sofort weg haben und mich weg schicken würde. Und ich selbst! Eine namenlose Angst hatte mich erfaßt, daß ich abgesetzt werden könnte von meinem Posten.

Aber nun hättet Ihr Wera sehen müssen!

»Tanteli,« schmeichelte sie, »laß dir nur keine kalten Füße wachsen, das fingern wir schon –«

O, und es wurde gefingert!

Wera schleppte aus »Urahnens Kleiderschrank« ein schwarzseidenes Gewand hervor, das sie mir anzog, und in dem ich aussah, wie 'n Bild aus einem alten Rahmen geschnitten. Meinen lockigen Ruschelkopp bearbeitete sie mit Pomade so lange, bis sich wenigstens ein Scheitel ziehen ließ, den hielt sie mit einem schwarzen Bande fest, nachdem sie mir ein greuliches, aus dicken Maschen bestehendes Netz übergezogen hatte. Wera schrie vor Wonne auf, als sie mich besah. Über mich aber kamen Reuegedanken knüppeldick: »Werchen, es ist doch so 'ne dolle Verstellung!«

»Tugendbraten!« entgegnete sie mir verächtlich, »Wenn du wüßtest, wie hart und schrecklich die Stiftsdame ist, du verlörst kein Wort. Nicht fünf Minuten läßt sie dich hier, wenn du ihr mit deinen siebzehn Jahren und den Schelmenaugen entgegentrittst, – aber freilich, – wenn du mich nicht lieb hast – oder wenn du meinen Ernst Lügen strafen willst, der dich doch bereits geschildert hat – – – – – –

Diese beiden letzten Gründe schlugen durch, ich fügte mich.

Wera jubelte laut und gab mir einen Kuß. »Aber, aber, was machen wir mit den Augen?«

»Nee, nee, die laß man, da is nischt zu wollen!«

»Noch!« behauptete Wera, und dann zog sie mir mit schwarzer Tusche die Brauen über der Nasenwurzel zusammen und mit einem Male hatte ich ein ganz strenges Aussehen!

Nun hing sie mir noch an lila seidenem Bande eine Lorgnette um, weil der Klemmer von meiner ungeeigneten Nase wegrutschte, und mit diesem Rüstzeug steuerte ich nun auf Wera zu, um meine Probe zu halten.

Sie floh lachend über Tische und Stühle, ich setzte ihr gewandt nach, – es war ein Glück, daß die Türen so gut schlossen, denn so ein Radau war noch nie erlebt worden in Altenhof.

Gerade als ich »Koppheister« über die Seitenlehne des alten Sofas geschossen hatte und nun noch recht erhitzt und schnell atmend da saß, fuhr der Wagen der Stiftsdame vor, Wera unterzog mich nochmal einer gründlichen Musterung und verließ das Lokal, um die »Olsche« vorzubereiten. Und nun bekam ich Geschmack an der Sache, eine wahrhaft übermütige Stimmung beherrschte mich. Ich setzte mich in den Sessel, breitete meine Taffetseide gefällig um mich her, ließ meine Blicke noch über den Tisch schweifen, auf dem drei dickleibige alte Schwarten lagen, nämlich ein Roman von Henriette Paalzow und zwei Scharteken von Pestalozzi und Fröbel. Ich selbst nahm den »Guten Ton in allen Lebenslagen« zur Hand und harrte der Dinge, die da kommen sollten.

Eine tödlich langweilige halbe Stunde des Wartens verging, während welcher ich mir meine eingeramste Lex herunterrebbelte, endlich dauerte mir die Geschichte zu lange, ich lief zur Tür und öffnete sie sacht. Und da hörte ich auch schon langsame Schritte vom äußersten Ende des Flures und unterschied Weras und eine fremde Stimme.

»Nein, mein liebes Kind, – ich bleibe dabei, es war die höchste Zeit,« sagte gerade die Stiftsdame, »und wie ich aus allem, was Ihr mir mitteiltet, vernehme, habt Ihr eine außerordentlich gute Wahl getroffen.«

»Ach, liebe Tante,« seufzte Wera, und schon durch ihren wehleidigen Tonfall wurden meine Lachmuskeln aufs höchste angespannt, »ich fühle aber, wie mein Frohsinn mehr und mehr schwindet, es ist zu ernst, dieses Fräulein Felicitas Schlieden!«

»Immer besser, immer bresser«!« lautete die Antwort, »so können wir hoffen, daß mit der Zeit doch noch eine ruhige, ernste Gutsfrau aus dir wird, die meinen Neffen wahrhaft beglückt; er selbst ist auch sehr eingenommen von der ruhigen Würde des Fräulein Felicitas.«

Hier prustete ich los, da half kein Widerstreben, aber ich verdeckte den Heiterkeitsausbruch mit einem Hustenanfall und setzte mich mit »ruhiger Würde« in meinen Sessel.

Ein leises Klopfen.

»Hörrein!!!«

Fräulein Aurelia von Rhoda erschien in der offenen Tür und – Kinner, Lud' un Minschen! – mir fiel das Herz beinahe in die Schuhsohlen. Aber Wera verzog keine Miene, hatte die Hände gefaltet und machte ein ganz verdeubelt heimtückisches Gesicht, während ich aufsprang und einen tiefen Knicks hinsetzte.

»Ah mademoiselle la baronesse! Je suis charmé de vous voir!«

Sie streckte mir ihre Hand hin, die ich mit meinen Lippen berührte.

Dann überflog ihr scharfer Blick meine ganze Bude, aber da Wera und ich alle Hufeisen, Rappiere und Reitpeitschen daraus entfernt und dafür Nähkörbchen und Erbauungsbücher etabliert hatten, so wurde sie immer huldreicher und freundlicher.

»Es freut mich, daß es Ihnen hier nicht zu einsam ist,« begann sie ihre Unterhaltung, »ich höre, Sie waren früher auf einem großen und lebhaften Rittergute in Schleswig-Holstein, und auch das Hammerhaus von Fräulein von Dörrberg bot Ihnen gewiß mehr Abwechslung.« Ich nickte stumm, nicht um die Welt hätte ich antworten können.

Wera gab mir einen unauffälligen Rippenstoß.

»Ab – wechs – lung?« fragte sie zurück und dehnte jede Silbe endlos, wie sie sich überhaupt einer überaus langsamen, vornehmen Sprache befleißigte. »Fräulein Schlieden macht sich garnichts aus Abwechslung, Sie ist das nicht gewöhnt. Sie hat immer still für sich hingelebt, wie es ihrem inneren Empfinden und dem ihrer streng puritanisch veranlagten Cousinen entspricht.«

Hier bekam Wera einen Krampfanfall und stürzte so rasch aus der Tür, daß Fräulein von Rhota ihr mißbilligend nachblickte.

Sie seufzte.

»Da ist noch viel zu feilen,« sagte sie und deutete mit der Lorgnette auf die Tür, durch welche Wera verschwunden war. »Dieses übersprudelnde Temperament ist schwer zu zügeln, aber mit der Zeit werden Ihre unablässigen Ermahnungen schon von Erfolg gekrönt sein.«

Hier erschien Wera wieder, zog sich aber auch ebenso rasch wieder zurück, mein Anblick mußte von überwältigender Komik sein, denn ich hörte sie draußen stöhnen und ächzen.

»Die Erziehung liegt in den besten Händen,« erklärte die Stiftsdame verbindlich und dann blieb sie über eine halbe Stunde bei mir, schilderte mir sämtliche Krankheiten, die in ihrem Körper nisteten und zuletzt mußte ich noch ein streng sachgemäßes Urteil über einen »Pickel« abgeben, den sie für eine »Balggeschwulst« hielt.

Während dieser anregenden Unterhaltung war Wera ununterbrochen herein- und wieder hinausgelaufen, sie konnte durchaus ihre Fassung nicht bewahren. Ich wollte ihr schon zurufen: »Wera quängel und krätsch doch nich egal 'naus und 'rein«, aber ich besann mich noch beizeiten und flötete ihr zu: »Dieses unruhvolle Gebühren ist nicht fair, meine Liebe!«

Daraufhin blieb sie im Zimmer, hielt sich aber das Taschentuch vor das Gesicht, und es sah für einen unbefangenen Beobachter aus, als sei sie von irgend etwas schmerzlich bewegt.

Endlich erhob sich die Stiftsdame, und ich tat desgleichen.

»Ich fahre mit den besten Hoffnungen für die Zukunft wieder nach Hause,« sagte sie lieblich lächelnd, »und werde meinem Neffen erzählen, daß ich seiner Ansicht voll beistimme. Meine Nichte Wera aber wird sich bemühen, endlich ein korrektes Wesen anzunehmen und Ihren Ratschlägen nicht unzugänglich sein.«

Wieder seufzte ich schwer.

»O Baronesse, es gehört jetzt leider in den vornehmsten Familien zum guten Ton, mit burschikosen Schlagworten um sich zu werfen, und langsame, edelschöne Bewegungen durch brutale Zimmergymnastik zu ersetzen, ein demokratischer Hauch liegt über der ganzen Welt, ein Duft, den ich hasse, der an Bierstube und Stall gemahnt und die Sehnsucht nach Lavendel und Thymian in uns wachruft.«

Hier erfolgte wieder ein unartikuliertes Grunzen hinter Weras Taschentuch her, aber die Stiftsdame drückte mir warm die Hand. Dann gab sie mir noch ein untrügliches Mittel gegen Migräne, und ich empfahl nach kurzem Nachdenken für ihre Balggeschwulst Pinselungen mit Citronensaft und Massage, immer vom Pickel ausgehend nach dem Herzen zu.

»Vielen Dank!«

»Ohhh bitte!«

»Adieu!«

»Adieu!«

»Noch einmal verbindlichsten Dank!«

»Ohhh bitte!«

»Adieu!«

»Adieu!«

»Es war mir eine Freude!«

»Die Ehre liegt auf meiner Seite!«

»Vielen Dank!«

»Ohhh bitte!«

»Adieu!«

»Adieu!«

Dieses letzte Adieu mußte ich ihr bereits zubrüllen, denn sie war unter Danken und Knicksen schon am Ende des Flures angelangt, ich aber erwischte noch mit knapper Not den Türflügel zu meiner Stube, lief hinein, riegelte schleunigst ab, warf mich aufs Sofa und lachte – lachte – lachte, daß mir die Tränen über die Backen liefen.

Darauf fiel mir Wera um den Hals, wir sprachen noch einmal das köstliche Erlebnis durch und lachten wieder.

Dann warf ich meine Vermummung ab, während Wera sich nach den Vorderräumen begab, um möglichst viel von dem Urteil ihrer Tante zu erfahren.

Ich blieb bis zum Nachmittag in meinen Gemächern, was die Stiftsdame »äußerst taktvoll« nannte; auch als sie abreiste, winkte ich ihr nur vom Fenster zu, und da sie kurzsichtig ist, merkte sie nichts von meiner Verwandlung.

Frau von Altenhof machte ein ganz glückliches Gesicht, als sie zu mir kam.

»Kerlchen, Kerlchen, Sie sind ja ein Zauberer, was haben Sie nur angefangen, die strenge Dame ist ja begeistert von Ihnen!«

Aber nun flog alle Verstellung wie Spreu von mir ab, ich beichtete unsere ganzen Schandtaten, und Frau von Altenhof lächelte und strich mir liebreich übers Haar. »Aber gottlose Ware seid ihr doch,« meinte sie.

Und nun melde sich, wer eine Anstandsdame braucht, ich stehe zur Verfügung, sobald die Mission an meinem Zögling vollendet ist. Wera wird wohl das Weihnachtsfest in Groß-Rhoda verbringen, ich bleibe still bei Frau von Altenhof und Gisela.

Mein Schreiben ist ein streng vertrauliches an Euch, schleppt es also nicht in alle Windrichtungen, denn es könnte den Anschein erwecken, als fehle es mir am nötigen Ernst, während doch ganz und gar in ihrem Berufe aufgeht

Eure Anstandsdame.

*


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