Felicitas Rose
Kerlchen als Anstandsdame
Felicitas Rose

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Aus Kerlchens Tagebuch.

Altenhof, Dezember 18..

Altenhof ist doch so etwas wie ein verwunschenes Schloß, und ich glaube, wenn Wera nicht hier wäre, könnte man das Gruseln lernen, wie der Peter im Märchen. Gottlob, ich hause wenigstens nicht mehr in dem düsteren Prachtraume, der mir zuerst angewiesen war, ich bin in die hellen Regionen übergesiedelt, in die sogenannten »Rumpelkammern«, deren Fenster direkt nach dem Parke hinausgehen. Ich war ganz begeistert von der Aussicht durch eine Lichtung hindurch, weit, weit ins Land hinein, man sieht den dunklen Tannenwald, der Altenhof begrenzt und der entzückend im Rauhreif aussieht, wenn die Sonne darauf tanzt und Millionen Lichtchen hervorzaubert.

Wera hatte dasselbe Gefühl gehabt, wie ich, und sich der »kalten Pracht« entzogen, um in die »sonnige Einfachheit« zu flüchten, und so machte ich's ihr nach, erbat und erhielt die Erlaubnis der Baronin zum Umsiedeln und war bald fix und fertig eingerichtet, mit hellen schönen Gardinen und leuchtend gelben Vorhängen dahinter, die ein magisches Licht verbreiteten, in dessen Schein das Kerlchen ordentlich bildschön aussah, sobald man aber das volle Tageslicht hereinließ, war ich dasselbe Scheusälchen wie sonst. Und als nun ein großer, blumengeschmückter Teppich im Zimmer lag, als ein hübscher Schreibtisch in die Ecke gerückt war, – da hatte ich mir schon selbst Väterchens Bild von seinem früheren Platz geholt und es mit großer Anstrengung in mein neues Reich geschleppt. Der Diener Heinrich nahm mir die Mühe des Aufhängens ab und verschwand alsbald geräuschlos; er sah mir's wohl am Gesicht ab, daß ich gar so gern allein sein wollte.

»Gelt, mein Einziges, so ist's schöner?« rief ich dem Bilde zu, »du hast auch immer die Sonne lieb gehabt, Väterchen, und nun sieh bloß, wie sie hier hereinscheint, ist's nicht zum Entzücken? Aber nun sollst du auch dein Kerlchen sehen, wenn es mal »schön« aussieht.«

Rasch zog ich die Vorhänge zusammen, so daß das gelbliche Licht um mich herumflutete, und drehte mich wiegend nach allen Seiten.

Zuckte es nicht um Väterchens Mund? Lachte er nicht hell auf über sein närrisches Kerlchen? Rief er nicht: »I du Strick, du Windhund, du Erzgeneraldümmerchen!« Nein, diesmal sagte er hart und laut: »Kindskopf«, und da ich dieses Wort und diesen Ton nie von ihm gehört hatte, zog ich vor Schreck die Vorhänge wieder auseinander, und stand neben mir, vom hellen Tageslicht grell beleuchtet, eine wunderbare Gestalt, klein, verkrüppelt, mit hohem Buckel, großem Mund und großer Nase, einer klugen, hohen Stirn und ganz wunderschönen Augen.

War's eine Dame, war's ein Kind?

»Kindskopf«, rief es wieder, »und das will Anstandsdame spielen!«

Mein erschrockenes Gesicht schien sie zu amüsieren.

»Ja, ja, eitel sind wir nun mal alle, selbst ich.«

Sie zeigte auf die hochrote Schleife in ihrem schwarzen Haar, die so aufdringlich auf dem dünnen Zopfe saß.

»Warum soll solch ein junges, schönes, schlankes Geschöpf wie Sie nicht gefallen wollen, wenn ich mir sogar einbilde mit dem roten Dings da oben besser auszusehen. Gott, wie närrisch sind wir Frauensleute!«

Ich sah sie nur immer unverwandt an, und da lachte sie laut auf.

»Gefall' ich Ihnen denn gar so ausnehmend, daß Sie den Blick nicht von mir wenden können?«

Ich vermochte nichts zu antworten, und da zeigte sie mit dem Finger erst auf ihre Stirn, um mir den Grad ihrer Wertschätzung anzudeuten, und dann auf das Bild, mit dem ich so laute und eifrige Zwiesprache gehalten hatte.

»Wer ist das?«

»Mein Vater!«

»Wo ist er?«

»Im Himmel.«

Sie zog die Mundwinkel spöttisch hinunter, unglaublich häßlich und abstoßend sah sie in diesem Augenblicke aus.

»Kleines Schulmädchen, wie alt bist du?«

»Siebzehn Jahre.«

»Hm! – – Ihr Vater war ein hoher Offizier?«

»Ja.«

»Und jetzt sind Sie »Stütze«, Sie junges Kind?«

»Wir haben kein Geld.«

»Ahhh, das alte Lied!« Sie lachte schrill auf. »Lustig gelebt und selig gestorben! Was schert mich Weib, was schert mich Kind, laß sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind! Ich merk's schon, die Welt steht noch auf ihrem alten, faulen Fleck.«

Mir wurde unglaublich bang in ihrer Nähe, ich hatte überhaupt von dem Vorhandensein einer zweiten Dame im Herrenhause Altenhof keine Ahnung gehabt.

»Machen Sie nicht so ein Gesicht, wie ein Lämmlein, das der Wolf fressen will. Ich tu Ihnen nichts, ich freue mich nur immer wieder, wenn ich's bestätigt finde, daß an den Mannsleuten Hopfen und Malz verloren ist.« – Einen Bruder haben Sie natürlich auch?«

Ich nickte bestätigend.

»Einen älteren Bruder, nicht wahr, der um jeden Preis Offizier werden mußte, obgleich kein Vermögen da war, der jetzt im Grunde seines Herzens todunglücklich ist und das ihm täglich vor Augen stehende glänzende Elend auch täglich in Sekt ersäuft, um es aus der Welt zu schaffen.«

»Ich weiß gar nicht, warum Sie so reden,« rief ich zornig. »Sie kennen ja meinen Bruder gar nicht, und mein Väterchen erst recht nicht, er war der herrlichste Mensch, den es je auf der Erde gegeben hat!«

»Natürlich!« lachte sie spöttisch. »Er, der herrlichste von allen,« anders tun wir's nun einmal nicht. Zuerst vergöttern wir den Vater, dann den Bruder und dann den eigentlichen »Stern der Herrlichkeit«, bis die »nied're Magd« schließlich doch erkennt, wie Himmelhoch sie über ihren Götzen gestanden hat.«

Sie verstummte plötzlich, denn die Türe war leise aufgegangen, und Frau von Altenhof stand neben uns.

»Geh ins Bett, Gisela,« gebot sie rauh und wies mit der Hand hinaus; es war, als spräche sie zu einem unartigen Kinde, und die Verwachsene nahm Frau von Altenhofs Hand, küßte sie zärtlich und sagte folgsam:

»Ich gehe schon, Lisbet.«

Frau von Altenhof folgte ihr.

Ich lief natürlich sofort zu Wera, aufgeregt und zitternd und wißbegierig und erzählte ihr von dieser neuen Entdeckung. Ich hatte längst mit Wera Brüderschaft gemacht, das tun ja wohl alle siebzehnjährigen Leute, aber wir wollten, wenn die Stiftsdame käme, ganz auf fremdem »Sie-Fuß« stehen und hatten uns außerdem für diesen Tag einen Plan ausgeheckt, der an Tollheit nichts zu wünschen übrig ließ.

Als ich Wera von meinem Abenteuer erzählte, wurde sie ganz ernst.

»Siehst du, Kerlchen,« sagte sie, »da ist ein reicher Geist häßlich gestört. Gisela von Altenhof ist die Schwägerin von Tante Lisbet und war einst, oder ist vielleicht auch noch das gescheiteste Frauenzimmer hier weit in der Runde. Ein Mann hat ihr das Herz gebrochen, ein elender Schurke hat sie sitzen lassen, um 'ner anderen nachzulaufen. Seitdem ist Gisela so, wie sie jetzt ist, krank, verbittert, oft rasend vor Zorn, und in solchen Anfällen weiß sie kaum, was sie tut und spricht, dann wieder in ernster Arbeit versenkt wochenlang an ihr Zimmer gefesselt. Ihr Verlobter soll ein sehr begabter Generalstabsoffizier gewesen sein, und alle Pläne, die er ihr während der Brautzeit mitgeteilt und angeregt hatte, weil sie sich für alles interessierte, die arbeitet sie nun aus.

Sonderbar, – nicht wahr, Kerlchen? Wie groß und echt und dauernd doch Frauenliebe sein kann!«

Wera schmiegte sich eng an mich an, sie hatte Tränen in den Augen.

»Tante Gisela tut mir so furchtbar leid,« sagte sie leise. »Aber sehr schlimm ist es doch, daß sie hier im Schlosse keinem Manne mehr trauen, – auch Tante Lisbet tut es nicht, und mein Ernst leidet oft schmerzlich darunter. Siehst du, Kerlchen, das ist die ernste Seite unseres wonnigen, großen Glückes.

Tante Lisbet hat auch unsagbar Schweres durchgemacht und ist infolgedessen verbittert und scheu geworden, – fällt es dir nicht auf, daß hier außer Heinrich kein Mann im Hause ist? Mich wundert's nur, daß deine Verwandten dich überhaupt hergelassen haben, Schloß Altenhof ist förmlich verrufen, in Sandkrug und Rhoda glauben sie, die Altenhofer Damen wären beide übergeschnappt, aber so ist's nicht, es ist noch viel, viel trauriger. Und wenn Tante Lisbet ihre Herzkrämpfe bekommt, dann darf kein Arzt gerufen werden, denn der alte, gute Doktor Gieseke, der Kreisphysikus in Sandkrug, soll Schuld sein am Tode von Tante Lisbets einzigem Kinde.

»Wie schrecklich!« rief ich erschauernd.

»Ach, immer noch nicht das Schrecklichste! Was Tante Lisbet alles durchgemacht hat, das glaubst du gar nicht, Kerlchen. Von ihrem eigenen Vater ist sie an ihren Mann verkauft worden, und der Onkel Altenhof soll ja ein perfektes Scheusal gewesen sein. Na, überhaupt wir Altenhofer! Siehst du, Kerlchen, jede Familie hat ja wohl ihr sogenanntes Skelett im Hause, aber wir Altenhofer stecken voll Skeletter. Wie ich den ganzen Krempel zum ersten Male hörte, sagt ich mir: »Nie willst du einen Mann lieben« und drei Tage drauf verlobte ich mich mit Ernst von Rhoda, weil er behauptete, ich redete blühenden Unsinn und bedürfte einer männlichen Stütze. Himmel, wie freu' ich mich, wenn du ihn endlich kennen lernst! Nächstens muß er ja kommen, ich hab' ihm geschrieben, daß die »Anstandsdame« eingetroffen ist, o und ich freu' mich so auf sein Gesicht, wenn er sieht, wie sie eigentlich beschaffen ist.«

Wera sprang auf, tründelte mit mir im Zimmer umher, wie ein Kreisel, und ich war auch in diesem Augenblicke selbst überzeugt, daß ich in nichts einer »Anstandsdame« glich.

*

Heute keuchte der Landbriefträger ordentlich unter der Last der Briefe, die er mir brachte. Ich riß verwundert die Augen auf, und Wera überreichte mir rasch einen alten verstaubten Strauß aus gemachten Blumen, der in irgend einer Ecke moderte, obgleich sie ganz genau weiß, daß mein Geburtstag nicht ist.

Ein langes Schreiben von Fräulein von Dörrberg bestand in einem einzigen Angstruf, ob es mir gut ginge, sie mache sich bittere Vorwürfe, daß sie mich »unwissend« nach Altenhof gelassen habe, aber sie hätte es nicht übers Herz gebracht, in all dem Traurigen noch einmal herumzuwühlen.

Nun sei ihr eben vom Schlächter Krone ein Brief ins Haus gejagt worden, der sie nicht mehr schlafen lasse, er spräche das tollste Zeug vom Schlosse Altenhof und verlange nicht mehr und nicht weniger, als daß man »das Kerlchen« wieder forthole.

»Was soll ich tun, was soll ich tun,« jammert Fräulein von Dörrberg, »o Kerlchen, es wird hoffentlich so schlimm nicht sein, und wenn die beiden verbitterten Frauen Dir Herz und Sinn trüben wollen, glaub' ihnen nicht, Kerlchen, lach' sie aus und zieh sie hinüber auf Deine Seite, die Sonnenseite.«

Der zweite Brief war von Onkel Waldemar, kurz, bündig:

»Schlächter Krone hat geschrieben, (ich kenne den Mann zwar nicht, aber er spielt sich so etwas als Vormund von Dir auf), er schreibt, man solle dich sofort wegholen aus Altenhof, und macht mir die tollsten Vorwürfe. Ist 'was Wahres daran, so weißt Du, geliebter Kerl, daß unser Haus das Deine ist, und wir erwarten Dich sofort!!!«

Der dritte Brief war ein Klageruf meiner armen, kleinen, verängstigten Muusch.

»Schlächter Krone hat geschrieben, der gute, närrische alte Mitbürger und Freund aus Schwarzhausen. Seitdem hab' ich keine Ruhe mehr, – Kerlchen, es ist doch wohl besser, Du kommst so rasch als möglich her!«

No. 4: Doktor Franz Schirmer:

»Verehrtes Kerlchen! Von Schlachter Krone trifft eben Eilbrief ein. Man soll Sie sofort von Altenhof abholen. Nun, – mein Haus ist das Ihre, ebenso urteilen Ihre anderen Vettern. Herzlich willkommen!«

Nachschrift von Bümi.

Goldiges Kerlchen, ich bitte Dich um Gottes willen, »komm!« Ich soll Dich tausendmal grüßen von Munke und Luttewete, sie können die Zeit nicht erwarten, bis Du wieder in unsern Armen ruhst. (Unsere Männer erst recht nicht.)

Was gibt es für schreckliche Menschen in der Welt! Schlächter Krone hat uns furchtbare Angst gemacht.

Denke ja nicht, daß Du uns zur Last fällst, im Gegenteil, unser Weizen blüht, denn, Gott sei Lob und Dank, sie ist da, sie ist bei uns, sie ist in S. die Influenza nämlich.

Sie grassiert heftig, und mein Franz hat alle Hände voll zu tun.

Geniere Dich ja nicht etwa vor Herrn von Borby, und fürchte Dich nicht vor einer Begegnung mit ihm, er ist zwar leider noch gesund, aber die Influenza wird ihn schon noch unterkriegen, er sitzt schon recht knickebeinig in den grauen Tuchpolstern seines Wagens.

Auf baldiges Wiedersehn!
Deine treue Bümi.

*


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