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X
Der Aufruhr

Ende August

Wann unsere Aufregung glücklich verarbeitet war, sagte ich zu Robinet: »Genug davon! Was geschehen, ist geschehen. Nunmehr lasset uns zuschauen, was fürder zu tun ist.« Ich ließ ihn erzählen, was sich in der Stadt seit zwei oder drei Wochen, seit ich sie verlassen, zugetragen hatte – aber bündig und klar, ihn Umschweif; denn was sich gestrigen Tags zutrug, gehört schon zur alten Histori, und Wesens ist nur, zu wissen, woran wir sind. Ich vernahm denn, daß in Clamecy die Pest und die Furcht regierten; die Furcht noch mehr denn die Pest: denn diese schien schon anderorts ihr Glück zu suchen und überließ die Stadt den Straßenräubern, so, vom Geruch angelockt, von allen Seiten herbeiströmten, um ihr den Raub aus den Händen zu reißen. Sie waren Herren der Lage. Die ausgehungerten Flößer, so von dem Schreck der Seuche schier toll waren, ließen sie gewähren; taten wohl gar gleich ihnen. Was die Gesetze angeht, so waren sie ohn Kraft. Wer zum Hüter darob bestellt war, ging seine eigenen Felder hüten. Von unsern vier Schöffen war einer gestorben, zwei waren geflohen; und der Prokurator hatte das Hasenpanier ergriffen. Der Schloßverwalter, ein wackerer Mann, indes gichtbrüchig und einarmig, der geschwollene Füße und ein Spatzengehirn hatte, war schier in Stücke zerrissen worden. Da blieb also nur ein Schöffe, Racquin, als einziger den entfesselten Bestien genüber. Und aus Furcht, aus Schwäche, aus Schlauheit bedünkte ihn weislicher, ihnen zu willfahren, anstatt ihnen entgegenzutreten; und so ließ er brennen, was nicht zu retten war. Zur selbigen Zeit deichselt er's solcherart, ohn sich's einzugestehen (aber ich kenne ihn, ich hab's geahnt), daß seine ränkesüchtige Seele ihr Genüge fände, indem er auf den oder jenen, des Glück ihm ein Dorn im Auge war oder an dem er sich rächen wollte, die mordbrennerische Meute hetzte. Jetzo erklärte ich mir, warumb die Wahl auf mein Haus fiel! ...

Aber ich sagte:

»Und die andern, die Bürgersleut, was machen denn sie?«

»Sie machen ›Bäh!‹« sagte Binet. »Ei, das ist eine feine Hammelherde. Sie warten es zu Hause ab, bis man sie abschlachtet. Sie haben weder Hirten noch Hunde mehr.«

»Nun wohl, Binet, aber noch bin ich da! Laß uns ein wenig sehen, mein Bürschlein, ob ich noch beißen kann. »Wir wollen hingehen, mein Junge.«

»Meister; ein Alleiniger vermag nichts.«

»Man kann's alleweil versuchen.«

»Und wenn diese Kerle Euch fassen?«

»Ich habe nichts mehr zu verlieren, ich schere mich nimmer um sie. Kämme einmal einen Teufel, so er kein Haar mehr hat!«

Da fing er an herumzutanzen:

»Das wird putzlustig werden! Tralleri, trallera! Pech und Schwefel! Trari, trara! Immer voran, immer voran!«

Dabei schlug er auf seiner verbrannten Hand ein Rad auf dem Weg, so daß er bald der Länge nach hingefallen wäre. Ich setzte eine strenge Mien auf:

»Ei, du Aff«, sagte ich, »ist das eine Gelegenheit, mit deinem eigenen Schwanz um einen Baum zu tanzen? Steh auf! Laß uns ernstlich reden! Jetzt heißt's aufpassen!«

Mit glänzenden Augen hörte er mich an. »Dir wird das Lachen wohl vergehen. Also höre: Ich gehe auf der Stell alleinig nach Clamecy.«

»Und ich! Und ich?«

»Dich schick ich auf Botschaft nach Dornecy, Meister Nicol, unsern Schöffen, zu benachrichtigen; der ist ein fürsorglicher Mann mit trefflichem Herzen und noch trefflicheren Beinen; er liebt sich mehr als seine Mitbürger, mehr als sich selbsten aber sein Gut; dem sagst du, daß des morgigen Tages gewißlich sein Wein getrunken werde. Von dorten gehst du weiter bis nach Sardy, da wirst du Guillaume Courtignon, den Prokurator, in seinem Taubenschlag finden; dem sagst du, daß sein Haus in Clamecy ohn allen Zweifel noch diese selbige Nacht niedergebrannt, ausgeraubt und des weiteren mehr würde, dafern er nicht zurückkehre. Er wird zurückkehren. Mehr brauche ich dir nicht zu sagen. Du wirst alleinig wissen, was du reden mußt, und zum Flunkern tun dir keine Lektionen not.«

Der Kleine kratzte sich hinterm Ohr und sagte:

»Es ist nicht der Schwierigkeit wegen. Aber ich will Euch nicht verlassen.«

Ich erwiderte: »Hab ich dich gefragt, ob du willst oder nicht? Ich will es so. Du wirst gehorchen.« Er wollte widersprechen, ich aber sagte:

»Genug!«

Und da sich dieser kleine Kerl meines Schicksals halber sorgte, meinte ich: »Ich wehre dir mitnichten, zu laufen. Wenn du alles getan hast, da darfst du zu mir stoßen. Das beste Mittel, mir zu helfen, wird sein, mir Verstärkung heranzubringen.«

»In gestrecktem Galopp werde ich sie schwitzend und keuchend auf ihren Schmerbäuchen heranschleppen«, sagte er, »den Courtignon wie den Nicol. Und müßte ich ihnen einen Blechtopf an den Schwanz binden!« Er schoß gleichwie ein Pfeil davon. Plötzlich hielt er noch einmalen an:

»Meister, sagt mir zumindest, was Ihr tun wollt!« Mit bedeutsamer, geheimnisvoller Miene erwiderte ich:

»Das wirst du schon erfahren.« (Meiner Treu, ich wußte selbsten noch nichts davon.)

 

Gen acht Uhr abends langte ich in der Stadt an. Unter goldenen Wolken ging die rote Sonne unter. Die Nacht brach just herein. Welch schöne Sommernacht! Doch niemands war da, um ihrer zu genießen. Kein Landstreicher und kein Hüter am Markttor. Man konnte hinein gleichwie in ein Wirtshaus. In der breiten Straße nagte eine magere Katze an einem Stücklein Brot; sie sträubte das Fell, wann sie mich erblickte, und nahm dann Reißaus. Die Häuser hatten die Augen geschlossen und zeigten ein unbeweglich Gesicht. Nicht ein Laut. Ich sagte:

»Sie sind alle gestorben. Ich bin zu spät gekommen.«

Aber siehe, da merkte ich, daß man hinter den Fensterläden dem Lärm meiner hallenden Schritte nachspähte. Ich klopfte an, ich schrie:

»Macht auf!«

Niemands rührte sich. Ich ging an ein ander Haus. Ich klopfte wiederumb, mit dem Fuß und dem Stock. Niemands öffnete. Ich hörte im Innern ein frr, frr! gleichwie von Mäusen. Nunmehr hatte ich begriffen: sie verschanzen sich, die Jämmerlinge! Gott verdamm mich! Ich werde sie dennoch beim Wickel kriegen!«

Mit Faust und Hacken trommelte ich wider die Auslage des Buchhändlers und schrie:

»Heda, alter Bruder! Denis Saulsoy! Zum Donnerwetter! Ich zerschlage alles. Mach auf! Mach auf! Menschenskind! Ich bin's, Breugnon.«

Alsobald gleichwie durch Zauber (man hätte vermeinen können, eine Fee hätte mit ihrem Stab die Fensterkreuze berührt) öffneten sich die Laden insgesamt und ich sah die ganze Marktstraße entlang an den Fenstersimsen, aufgereiht gleichwie die Zwiebeln, erschreckte Gesichter, die mich in Augenschein nahmen. Sie schauten mich an, schauten und schauten ... Mir ahnte niemalen, daß ich also schön sei. Ich befühlte mich. Alsdann lösten sich plötzlich die verzerrten Züge. Sie schauten zufrieden drein. »Wie die wackeren Leute mich lieben!« dachte ich. Ohn zu bedenken, daß sie nur glücklich waren, dieweil meine Gegenwärtigkeit zu dieser Stunde und an diesem Ort sie ein weniges beruhigte.

Nunmehr entwickelte sich zwischen Breugnon und den Zwiebeln eine Unterhaltung. Allesamt redeten zu gleicher Zeit, und ich ganz alleinig stand ihnen allen Rede.

»Von wannen kommst du? Was tust du? Was hast du gesehen? Was willst du? Wie kamst du herein? Wo hat man dich durchgelassen?«

Ich sagte: »Holla, holla! Nicht so eilfertig! Ich merke mit Vergnügung, daß ihr noch im Besitz eurer Zungen seid, wenn euch auch das Herz in die Hosen gefallen ist! Aber zum Teufel! Was tut ihr da drin? Kommt herunter. Abendkühle tut gar wohl. Hat man euch etwan eure Hosen weggenommen, daß ihr in euren Zimmern bleiben müßt?«

Doch anstatt zu antworten, fragten sie:

»Breugnon, wen hast du beim Kommen in den Straßen getroffen?«

»Wen soll ich denn treffen, ihr Idioten?« sag ich. »Dieweil ihr allesamt in der Klappe seid?«

»Die Räuber.«

»Die Räuber?«

»Sie plündern und verbrennen alles.«

»Wo denn?«

»In Beyant.«

»Alsdann wollen wir sie festnehmen! Was habt ihr jetzo in eurem Hühnerstall zu suchen?«

»Wir hüten des Hauses.«

»Man hütet sein Haus am besten, so man die der andern verteidigt.«

»Das Wichtigste zuerst. Jeder verteidigt halt das seine.«

»Den Vers kenne ich: ›Ich liebe meine Nachbarn, aber ich schere mich nicht um sie.‹ ... Ihr Unglücksmenschen! Ihr arbeitet ja für die Räuber. Erstlich die andern, dann ihr Selbsten. Jedweder kommt an die Reih.«

»Herr Racquin hat gesagt, dafern Gefahr sei, wäre es das beste, sich ruhig zu verhalten, brennen zu lassen, was nicht zu retten sei, und zu harren, bis daß die Ordnung wiederhergestellt wäre.«

»Durch wen?«

»Durch Herrn von Nevers.«

»Bis dahin mag noch viel Wasser zu Tale laufen. Herr von Nevers hat mit seinen eigenen Gelegenheiten zu tun. Bevor er euer denkt, seid ihr allesamt verbrannt! Vorwärts, Kinder, kommt! Niemands hat Recht auf seine Haut, so er sie nicht verteidigt.«

»Die andern sind in der Übermacht und bewaffnet.«

»Vom Wolfe heißt es alleweil, er sei größer, als er ist.«

»Wir haben keine Anführer.«

»So führt euch Selbsten.«

So schwatzten sie förderst von einem zum andern Fenster gleich den Spatzen auf der Stange. Sie stritten untereinand, aber keiner rührete sich. Ich ward ungeduldig:

»Wollt ihr mich die ganze Nacht hier auf der Straße stehen, die Nase in die Luft recken und mich den Hals verdrehen lassen? Ich bin nicht gekommen, auf daß ich euch eine Serenade sänge, dieweil euer Zähnklappen das Zeichen zur Übergabe gibt. Was ich euch sagen will, läßt sich nicht singen und nicht über die Dächer schreien. Macht mir auf. Macht mir auf, oder, beim Himmel, ich lege Feuer an! Marsch, vorwärts! Kommt herunter, ihr Männer (dafern noch Männer da droben stecken); die Hennen genügen, um die Hühnerstiege zu hüten.«

Halb unter Gelächter, halb unter Flüchen öffnete sich zum ersten die eine, dann die andere Tür; eine fürsichtige Nase wagte sich zu zeigen; was dazu gehörte, folgte; und alsobald man einen Hammel außerhalb der Umzäunung sah, da kamen alle andern heraus.

Jedweder wollte der erste sein, mich zu begaffen.

»Und du bist wahrlich gesund?«

»Gesund wie ein Fisch im Wasser.«

»Und niemands hat dir was getan?«

»Niemands, ausgenommen eine Herde Gänse, die hinter mir herschnatterten.«

Da sie mich also wohlbehalten dieser doppelten Gefahr entronnen sahen, atmeten sie freier und wurden mir wohlgesinnter. Ich sagte:

»Seht mich ordentlich an. Ei, ja ich bin noch heil und vollkömmlich. Alle Stücklein sind noch beisammen. Nein, es fehlt nichts. Wollt ihr meine Brille? ... So. Aber nunmehr ist's genug! Morgen werdet ihr besser sehen. Die Zeit drängt; kommt, kommt, laßt die Possen. Wo können wir miteinand reden?«

Gangnot sagte: »In meiner Schmiede.«

In Gangnots Schmiede, darinnen es nach Horn roch, auf dem von Pferdehufen festgestampften Boden drängten wir uns im Dunkeln gleich einer Herde. Die Tür wurde geschlossen. Ein Lichtstumpf, den stellte man auf die Erde, ließ über die rauchschwarze Deckenwölbung unsere großen Schatten tanzen, so am Halse abbrachen. Alle schwiegen. Und mit einem Schlag sprachen alle gleichzeitig. Gangnot nahm seinen Hammer und ließ ihn auf den Amboß sausen. Der Schlag durchschnitt das Stimmengewirr; durch den Riß hindurch trat die Stille wieder herein. Ich nützte ihrer und sagte: »Sparen wir unsern Atem. Ich weiß schon um die Geschichte. Die Räuber sind bei uns. Wohlan! Werfen wir sie hinaus!«

Sie sagten:

»Sie sind zu stark. Die Flößer sind auf ihrer Seite.«

Ich erwiderte:

»Die Flößer haben Durst. Wann sie andere trinken sehen, dann mögen sie nicht zuschauen. Das versteh ich gar wohl. Man darf niemalen Gott versuchen – und einen Flößer noch weniger. So ihr das Rauben zulaßt, dürft ihr euch mitnichten wundern, daß auch der, so kein Dieb ist, die Diebsfrucht lieber in seine Tasche verschwinden sieht als in die des Nachbarn. Und überdies: Allerorts gibt es Gute und Böse. Machen wir's wie der Herr: ›Ab haedis scindere oves‹.«

»Aber wann Herr Racquin, der Schöffe, doch verbietet, uns zu rühren!« meineten sie. »Ihm gebührt's, bei Abwesenheit der andern, des Statthalters, des Prokurators, die Ordnung im Ort aufrechtzuerhalten.«

»Tut er's?«

»Er meint ...«

»Tut er's? Ja oder nein!«

»Das merkt man ja!«

»Also, dann wollen wir selbsten sie schaffen.«

»Herr Racquin versichert, so wir uns nicht rühreten, würden wir verschont bleiben. Die Räuberbande würde in den Vorstädten verschanzt bleiben.«

»Und woher will er das wissen?«

»Er hat einen Pakt mit ihnen schließen müssen, hat sie gezwungen, sich zu beschränken!«

»Aber dieser Pakt ist ein Verbrechen!«

»Er tat's, sagt er, um sie einzuschläfern, sagt er.«

»Sie einschläfern?! Oder gar euch?«

Gangnot schlug von neuem auf den Amboß. (Das war seine Art und Weis, so wie andre sich beim Reden auf die Schenkel schlagen.) Er sagte: »Er hat recht.«

Alle schauten beschämt, furchtsam und zornmütig drein. Denis Saulsoy sagte vor sich hin: »Wenn man alles sagen wollte, was man denkt, vermöchte man viel zu erzählen.«

»Und weshalb redest du nicht?« meinte ich. »Weshalb redet ihr allesamt nicht? Wir sind unter Brüdern. Was fürchtet ihr?«

»Die Wände haben Ohren.«

»Wie? So weit seid ihr schon? Gangnot, nimm deinen Hammer und stell dich quer vor die Tür, mein Junge! Dem ersten, der hinaus oder hinein will, schlägst du den Schädel ein! Mögen die Wände Ohren haben oder nicht, zu lauschen, ich stehe dafür, daß sie keine Zunge haben werden, um irgendein Ding zu hinterbringen. Denn wenn wir hier herausgehen, so wird's sein, um den Entschluß, so wir fassen, auf der Stelle auszuführen. Und nun redet! Wer stillschweigt, ist ein Verräter.«

Das gab einen schönen Höllenlärm. Aller Haß und alle eingedämmten Flüche brachen gleich Gewehrfeuer los. Die geballten Fäuste schüttelnd, schrien sie:

»Dieser Schurke, dieser Racquin, er hat uns in der Gewalt! Der Judas hat uns verkauft, uns und unsere Habe! Aber was sollen wir tun? Wir vermögen nichts. Er hat das Gesetz für sich. Er hat die Macht, er hat die Polizeigewalt.«

Ich fragte: »Wo steckt er?«

»Im Rathaus. Dort nistet er Tag und Nacht der größeren Sicherheit willen, umgeben von einer Garde von Taugenichtsen, die ihn bewachen, vielleicht mehr überwachen, als daß sie ihn bewachen.«

»Kurz und gut, er ist also ihr Gefangener? Trefflich! Dann gehen wir stehenden Fußes, ihn vorerst zu befreien. Gangnot, öffne das Tor!«

Sie schienen noch nicht ganz entschlossen.

»Was zögert ihr?«

Saulsoy meinte, sich den Kopf kratzend:

»Das ist eine gar große Sach. Vor Schlägen fürchtet man sich mitnichten. Aber Breugnon, so man's recht bedenkt, da haben wir keinerlei Recht vor uns. Dieser Mann ist das Gesetz. Gegen das Gesetz angehen, das heißt wahrlich sich mit einer schweren ...«

»Ver-ant-wort-lich-keit beladen«, vollendete ich. »Nun wohl, ich nehme sie auf mich. Sorge dich nicht. Wann ich sehe, Saulsoy, daß ein Schurke schurkisch handelt, da fange ich damit an, ihn niederzuschlagen; darnach frage ich ihn, wie er heißt; und dafern er Prokurator oder Papst ist, nun, dann ist's noch akkurat so! Freunde, so macht's gleicherweis. Wenn die Ordnung zur Unordnung geworden ist, muß die Unordnung wohl oder übel Ordnung schaffen und das Gesetz wiederherstellen.«

Gangnot sagte: »Ich gehe mit dir.« Den Hammer über der Schulter, mit seinen riesigen Händen (vier Finger an der Linken, der zerquetschte Zeigefinger fehlte), auf einem Auge schielend, mit dunkler Haut, mächtigem Körper und dick gleich einem Faß, sah er aus wie ein wandernder Turm. Und hinter ihm drängte man sich und folgte dem Schutzwall, so sein Rücken bildete. Jedweder lief in seinen Laden, um dort seine Büchse, sein Hackmesser oder seinen Dreschflegel zu holen. Und, meiner Treu, ich wollte nicht schwören, daß jedweder, der hineinging, in dieser Nacht auch wieder herauskam. Zweifelsohn, weil der arme Mann seine Bewaffnung nicht finden konnte. Denn, um die Wahrheit zu sagen, wann wir am großen Platz anlangten, waren wir gar spärlich gesäet. Aber die ausharren, sind die rechten.

Glücklicherweis stund das Tor zum Rathaus offen. Der Hirt war so überaus gewiß, daß seine Hammel sich bis zum letzten die Wolle würden scheren lassen, ohn zu mucksen, daß seine Hunde gleichwie er den Schlaf des Gerechten schliefen, nachdem sie trefflich gespeiset hatten. Unser Ansturm hatt also, ich gesteh's, gar nichts von einem Heldenstück. Wir brauchten nur, wie man so sagt, den Fuchs im Bau zu fangen. Wir holten ihn säuberlich heraus, nackt und bloß gleich einem abgezogenen Hasen. Er war ein dicker Kerl, der Racquin, mit rundem, rosigem Gesicht, Fleischpölsterlein auf der Stirn, über den Augen, mit süßlicher Mien, so weder Gutheit noch Dummheit aufwies. Das merkten wir in Bälde. Vom ersten Augenblick an wußte er zweifelsohn, was los war. Aber nur wie ein Blitz von Furcht und Wut zuckte es in seinen kleinen grauen Augen auf, die tief unter den wulstigen Lidern lagen. Alsogleich aber hatte er sich wiederumb in der Gewalt und fragte uns mit befehlshaberischer Stimme, mit welchem Recht wir in das Haus des Gesetzes wären eingedrungen. Ich antwortete ihm:

»Um dich aus dem Bett zu holen.«

Er wurde zornig. Saulsoy sagte ihm:

»Meister Racquin, es ist nimmer der Augenblick, zu drohen. Ihr seid hier der Angeklagte. Wir kommen, Rechenschaft von Euch zu fordern. Verteidigt Euch.«

Er ändert subito den Ton.

»Aber meine lieben Mitbürger«, sagte er, »ich kann mir keineswegs erklären, was ihr von mir wollt. Wer beklagt sich? Und worüber? Bin ich nicht bei Gefahr meines Lebens allhier geblieben, auf daß ich euch beschütze? Wann alle andern flohen, da mußte ich alleinig den Räubern und der Pest standhalten. Was wirft man mir vor? Bin ich Ursach des Elends, das ich zu heilen suche?«

Ich sagte:

»Es heißt: ›Ein schlauer Arzt macht eiternde Schnitte.‹ Also tust du, Racquin, du Arzt der Stadt. Du verstärkst den Aufruhr, und du nährst die Pest. Und darnach melkst du deine beiden Tiere. Du bist im Einverständnis mit den Räubern. Du legst Feuer an unsere Häuser. Die du bewachen sollst, lieferst du aus. Die du bestrafen sollst, führest du an. Aber sage uns, Verräter: Treibst du dies schändliche Handwerk aus Furcht oder aus Habsucht? Was für ein Schild soll man dir an den Hals hängen? ›Das ist der Mann, der seine Vaterstadt um dreißig Silberlinge verkaufte‹ ... Für dreißig Silberlinge? Mitnichten, das wäre gar dämisch! Die Preise sind aufgeschlagen seit Judas' Zeiten. Oder soll man schreiben: ›Das ist der Schöffe, der die Haut seiner Mitbürger versteigerte, um die seine zu retten?‹«

Er fuhr auf und sagte:

»Ich tat, was ich mußte, was meines Rechts war. Die Häuser, darinnen die Pest hauste, verbrenne ich. So will's das Gesetz.«

»Und du nimmst die Häuser derer für verpestet und zeichnest sie mit einem Kreuz, so nichts von dir wissen wollen! ›Wer seinen Hund ersäufen will ... ‹ Zweifelsohn läßt du auch nur, um die Pest zu bekämpfen, die verpesteten Häuser ausplündern?«

»Ich kann es nicht hindern. Und was tut's euch, so die Plünderer darnach wie die Ratten verrecken? So schlägt man zwei Fliegen auf einmalen. Das ist eine gute Aufräumung!«

»Er wird uns noch erzählen, daß er die Pest mit den Räubern und die Räuber mit der Pest vertreibt. Und am End bleibt er Sieger über der zerstörten Stadt. Hab ich's nicht schon gesagt? Wenn der Kranke tot ist und die Krankheit niedergeschlagen, da bleibt niemands übrig als der Arzt. Nun also, Meister Racquin, von heute ab werden wir uns deine Behandlung sparen, wir werden uns Selbsten behandeln; und dieweil jedwede Mühe ihres Lohnes wert ist, so geben wir dir ...«

»... dein Bett auf dem Friedhof«, vollendete Gangnot. Es war, als wäre ein Knochen in eine Meute geworfen. Heulend stürzten sie sich auf die Beute; und der eine schrie: »Wir wollen das Kind zu Bett bringen!«

Das Wild rettete sich zum Glück in den Alkoven; und an die Mauer gedrückt, betrachtete es verstört die beißlustigen Mäuler. Ich hielt die Hunde zurück:

»Kuscht euch! Laßt mich machen!«

Sie blieben zurück. Der Elende, nackt und rosig wie ein junges Ferkel, zitterte vor Furcht und vor Kälte. Ich hatte Mitleid. Ich sagte ihm: »Vorwärts, zieh deine Hosen an! Wir haben deinen Allerwertesten genug bewundert, teurer Freund.«

Sie lachten sich schier bucklig. Ich nutzte diese kurze Windstille, um ihnen Vernunft zu predigen. Unterdes kroch der Kerl zähneklappernd und mit bösem Blick in seine Haut, denn er fühlte, daß die Gefahr sich verzöge. Als er angezogen war, nunmehr sicher, daß man dieses Tags den Hasen noch nicht verspeisen würde, da wurde er von neuem mutig, beschimpfte uns, nannte uns Rebellen und drohte, uns wegen Beleidigung der Obrigkeit verurteilen zu lassen. Ich sagte zu ihm:

»Zur Obrigkeit gehörst du nimmer. Ich setzte dich ab.«

Nunmehr richtete sich sein Zorn gegen mich. Der Wunsch nach Rache war mächtiger denn die Klugheit. Er sagte, er kenne mich gar wohl. Ich sei es, des Ratschläge den Aufrührern die schwachen Köpfe verdreht hätten, sagte, daß er auf mich die ganze Schuld an diesem Überfall werfe und daß ich ein Schurke sei. In seiner Wut, die sich überstürzte, lud er mit scharfer, pfeifender Stimme schier eine Karre voll Schimpfworte auf meinem Buckel ab. Gangnot fragte: »Soll man ihn totschlagen?«

Ich sagte: »Es war ein guter Einfall von dir, Racquin, daß du mich zugrunde richtetest. Du weißt gar wohl, daß ich dich nicht hängen lassen kann, ohn Gefahr, den Verdacht auf mich zu laden, ich handelte aus Rache für das Niederbrennen meines Hauses. Und doch würde das Halsband aus gedrehtem Hanf deiner Schönheit gar trefflich anstehen. Aber dich damit zu schmücken, überlassen wir andern. Du verlierst beim Warten nichts. Die Hauptsach bleibt, daß man dich in Gewahrsam hält. Du bist nichts mehr. Wir reißen dir dein schönes Schöffenkleid herunter. Wir werden nunmehr selbst Steuer und Ruder führen.«

Er stotterte:

»Weißt du, was du aufs Spiel setzest, Breugnon?«

Ich antwortete:

»Ich weiß wohl: meinen Kopf. Und ich setze ihn aufs Spiel – in dem der Verlierer gewinnt. Wann ich's verliere, gewinnt die Stadt.«

Man führte ihn ins Gefängnis. Er fand dorten den Platz noch warm von einem alten Sergeanten, der drei Tage zuvor ward eingesperrt, weil er seinem Befehl den Gehorsam verweigern tat. Jetzo, nachdem der Anschlag ausgeführt worden war, sagten die Gerichtsdiener und der Rathauspförtner männiglich, wir hätten recht getan und daß sie allzeit gedacht hätten, Racquin sei ein Verräter. Wer nicht handelt, hat gut denken! ...

Bis dahin war unser Plan glatt gegangen, gleichwie ein eben Brett, über das der Hobel gleitet, ohn auf einen Ast zu stoßen. Derhalben wunderte ich mich, ich fragte: »Wo stecken denn wohl die Räuber?« – als man plötzlich »Feuer!« schrie.

Potzdonner! Sie plünderten anderswo.

Auf der Straße tat uns atemsohne ein Mann kund, daß die ganze Bande die Warenlager von Pierre Poulard in Bethlehem außerhalben des Tores von Turm Lourdeaux aufpacke, zerstöre, verbrenne und sich dann vollsöffe. Ich sagte zu den Gefährten:

»So sie Tanzmusik brauchen, da wollen wir ihnen aufspielen!«

Wir liefen nach der Mirandola. Von der Plattform des Sankt-Martinsturmes, die die niedere Stadt beherrscht, aus der ein Sabbatlärm in die Nacht heraufklang, heulten keuchend die Sturmglocken.

»Kameraden«, sagte ich, »wir werden in den Glutofen hinabsteigen müssen. Das wird uns warm machen. Sind wir bereit? Erstlich aber müssen wir einen Führer haben. Wer soll es sein? Willst du, Saulsoy?«

»Nein, nein, nein, nein!« wehrte er, dieweil er drei Schritte nach rückwärts tat. »Davon will ich nichts wissen. Es ist überaus genug, daß ich gezwungen bin, hier um Mitternacht mit diesem alten Schießgewehr herumzulaufen. Was man verlangt, was not tut, das will ich tun – nur nicht anführen. Da sei Gott vor! Ich habe niemalen nichts zu entscheiden vermocht.« ...

Ich fragte:

»Wohlan, wer will's?«

Aber keiner von ihnen rührte sich. Ich kenne es, das Gelichter! Reden, vorwärts gehen, das geht noch an. Aber heißt's eine Entscheidung treffen, da ist niemands mehr da. Das ist die Gewohnheit, als kleiner Bürgersmann dem Leben genüber Kniffe zu brauchen, allweil zu zögern, das Tuch, das man kaufen will, fünfzigmal herumzudrehen, zu feilschen und mit dem Zugreifen zu warten, bis die Gelegenheit vorüber oder das Tuch nicht mehr vorhanden ist. Die Gelegenheit ist da, ich strecke den Arm aus: »Wenn niemand sonst will, nun denn, dann will ich es.«

Sie sagten: »Recht so!«

»Aber eine Bedingung: man muß mir diese Nacht ohn Widerspruch gehorchen! Sonst sind wir verloren. Bis zum Morgen bin ich alleiniger Herr. Morgen möget ihr mich richten. Seid ihr einverstanden?«

Sie sagten einstimmig: »Wir sind einverstanden.«

Wir stiegen den Hügel hinab. Ich ging voran. Zu meiner Linken marschierte Gangnot, rechts hatte ich Bardet, dem Ausrufer der Stadt, mit seiner Trommel den Platz angewiesen. Am Eingange der Vorstadt, auf dem Barrièreplatz, begegneten wir einer überaus heiteren Menschenmenge, die ohn Böswilligkeit familienweise, Frauen, Burschen und Mädchen, dorten hingingen, allwo geplündert wurde. Man hätte vermeinen können, es ginge zu einem Fest. Etliche Hausfrauen hatten wie am Markttag ihren Korb mitgenommen. Man blieb stehen, um unsern Trupp vorübergehen zu sehen; die Reihen teilten sich höflich vor uns; sie begriffen nicht, um was es ging, und folgten im Herdentrieb unsern Schritten. Einer unter ihnen, der Perückenmacher Perruche, trug eine Papierlaterne. Er hielt sie mir unter die Nase, erkannte mich und sagte:

»Ach, Breugnon, alter Junge, da bist du ja wieder! Na, sieh einer! Da kommst ja just zur rechten Zeit! Wir werden miteinand anstoßen.«

»Alles zu seiner Zeit, Perruche«, antwortete ich; »wir werden morgen anstoßen.«

»Du wirst alt, mein Colas. Der Durst bindet sich an keinerlei Stund! Morgen wird der Wein ausgetrunken sein. Sie zapfen ihn schon. Wir müssen uns eilen! Oder sollte dir der Septembersaft etwan jetzo zuwider sein?«

Ich sagte: »Der gestohlene Wein, ja.«

»Gestohlen? Das ist er keineswegs«, meinte er, »sondern nur gerettet. Soll man denn, wann das Haus brennt, gar dämisch die guten Dinge umkommen lassen?«

Ich schob ihn beiseits: »Dieb!« und ging vorüber.

»Dieb!« wiederholten Gangnot, Bardet, Saulsoy und die andern. Sie gingen vorüber. Perruche blieb wie angewurzelt stehen; dann hörte ich ihn wütig schimpfen, und da ich mich umwandte, sah ich ihn hinter uns herlaufen und uns die Faust zeigen. Keiner von uns schien ihn zu hören noch zu sehen. Als er uns eingeholt hatte, schwieg er plötzlich still und marschierte mit uns.

Wann wir an der Uferböschung der Yonne anlangten, war ein Vorwärtskommen unmöglich. Dichtgedrängt stand die Menge. Ich ließ die Trommel schlagen. Die vordersten Reihen öffneten sich, ohn recht zu wissen, warumb. Wir drangen gleichwie ein Keil hinein, aber nun saßen wir fest. Da standen zwei Flößer, die wir wohl kannten, der Vater Joachim, mit dem Beinamen »der König von Kalabrien«, und Gadin, Gueurlu genannt. Sie sagten:

»Ei, ei, Meister Breugnon, was zum Teufel wollt Ihr hier mit Eurer Trommel tun und diesen angeschirrten Leuten, die ernsthaft gleichwie die Maulesel daherkommen? Wollt Ihr Euch einen Spaß machen, oder geht's in den Krieg?«

»Du ahnest nicht, wie wahr du sprichst, Kalabreser«, erwiderte ich, »denn wie du mich hier siehst, bin ich für heute nacht Hauptmann von Clamecy und just im Begriff, es gegen seine Feinde zu verteidigen.«

»Seine Feinde?« fragten sie, »bist du schier närrisch? Wer sind die denn?«

»Die da unten sengen und brennen.«

»Und was kann dir das ausmachen«, meinten sie, »jetzo, da dein Haus einmalen verbrannt ist? (Um das deine tut es einem leid; du weißt, man hat sich geirrt.) Aber das von Poullard, diesem Galgenstrick, der sich von unserer Arbeit mästet, diesem Halsabschneider, der sich mit der Wolle brüstet, so er uns vom Rücken geschoren, und uns, nachdem er uns schier nackt geschoren hat, von der Höhe seiner Tugend herab gar verachtet. Wer ihn bestiehlt, geht gewißlich geradeswegs ins Paradies ein. Das ist wie geweihtes Brot. Laß uns nur machen. Was kümmert's dich? Selbsten nicht plündern, das läßt sich hören! Aber dran hindern! ... Ist doch nichts nicht dabei zu verlieren und alles zu gewinnen!«

Ich sagte (denn es wäre mir schwer geworden, auf diese armen Burschen loszuschlagen, ohn zu versuchen, ihnen Vernunft beizubringen): »Alles ist zu verlieren, Kalabreser! Und unsere Ehre ist zu retten.«

»Unsere Ehre! Deine Ehre!« meinte Gueurlu. »Ist das was zum Trinken oder zum Fressen? Mag sein, man ist morgen tot. Was bleibt von uns? Es bleibt nichts nicht. Was wird man von uns denken? Man wird gar nichts denken. Die Ehre ist eine Prachtspeise für die Reichen, die großen Tiere, so man mit Grabschriften beisetzt. Was uns betrifft, so werden wir allesamt in einer gemeinsamen Grube liegen gleichwie die Heringe im Faß. Dann geh einmal hin und schau nach, wer nach Ehre oder nach Unrat riecht!«

Ohne Gueurlu zu antworten, sagte ich zu Joachim:

»Jeder allein ist nichts, das ist wohl wahr, mein König von Kalabrien; aber alle miteinand sind gar viel. Hundert Kleine machen einen Großen. Wenn die Reichen verschwunden sein werden, wenn die Lügen ihrer Gräber mit ihren Inschriften und den Namen ihrer Geschlechter zerstäubt sein werden, da wird man noch von den Flößern von Clamecy sprechen; sie werden in ihrer Geschichte der Adel mit den harten Händen und dem Kopf, der hart gleichwie ihre Fäuste ist, sein; und ich will nicht, daß man von ihnen sagt, sie seien Schurken.«

Gueurlu sagte:

»Ich pfeife darauf.«

Aber der König von Kalabrien spuckte aus und schrie:

»Wenn du darauf pfeifst, so bist du ein Schmutzfink. Er hat recht, der Breugnon. So ich wüßte, daß man solches von mir sagte, das würde mich auch kränken. Und bei Sankt Nikolaus: man wird es nicht sagen. Die Ehre ist nicht nur für die Reichen. Das werden wir ihnen schon zeigen. Ob Herr oder Junker, da ist nicht einer, der an uns heranreicht!«

Gueurlu meinte: »Soll man sich gar Zwang antun? Tun sie es etwan? Gibt es ärgere Blutsauger denn diese Fürsten, diese Herzöge, den Conde«, den Soissons? Und den unsern, den Nevers, und sie alle von Epernon, die, wann sie sich ihre Kinnbacken und den Wanst vollgeschlagen haben, sich noch mit Millionen bis zum Platzen vollstopfen, die Schweine, und, alsobald der König tot ist, seine Schätze ausrauben. Das ist ihre Ehre! Da wären wir wahrlich schön dämisch, es ihnen nicht gleichzutun.«

Der König von Kalabrien fluchte: »Es ist ein Schweinepack. Eines Tages wird unser Heinrich aus dem Grabe auferstehen, alsdann werden sie alles wieder ausspeien müssen, oder wir selbsten werden sie samt ihrer Goldfüllung braten. Wann die Großen es gleich den Schweinen treiben, potz Mord und Totschlag, dann sticht man sie ab; aber ihre Schweinerei wird man nicht nachäffen. Wir geben das Beispiel, wir. Im kleinen Finger eines Flößers steckt mehr Ehre denn im Herzen eines Edelmanns.«

»Also dann kommst du mit uns, mein König?«

»Ich komme. Und auch der da, der Gueurlu, wird kommen.«

»Nein, zum Teufel!«

»Du kommst, sage ich dir. Oder du kannst dir den Fluß von unten beschauen. Vorwärts, marsch. Und ihr, macht Platz, bei der heiligen Mutter Gottes, ihr Dummköpfe, ich will vorbei!«

Er trieb die Leute mit seinen Stößen zurück und kam durch. Und wir folgten in seinem Kielwasser gleichwie ein Fischlein hinter einem Großfisch. Die, denen man nunmehr begegnete, waren allzu betrunken, als daß man hätte daran denken können, mit ihnen zu diskurieren. Alles zu seiner Zeit: erstlich die Beweise mit dem Mund und dann mit den Fäusten. Man versuchte nur, sie, ohn ihnen Schaden zu tun, auf die Erde niederzusetzen; ein Säufer ist heilig!

Am End stund man vor der Tür des Warenlagers. Der Schwarm der Plünderer wimmelte im Haus Meister Pierre Poullards gleich Läusen im Schaffell. Die einen schafften Kisten und Ballen fort; die andern hatten sich gestohlene Gewänder übergezogen; etliche fröhliche Possenreißer warfen, um sich zu ergötzen, Schalen und Töpfe aus dem Fenster des ersten Stockwerks. Auf dem Hof wurden Fässer herangerollt. Ich sahe einen, der trank, den Mund ans Spundloch gedrückt, bis er umfiel und, von der roten Seiche bedeckt, alle viere von sich streckte. Der Wein bildete Pfützen, daran die Kinder leckten, und um besser sehen zu können, hatten sie einen Haufen Gerät in den Hof gestellt und in Brand gesteckt. Man hörte, wie unten in den Kellern Tonnen und Fäßlein mit Holzschlägern eingeschlagen wurden. Heulen, Schreien und Husten mischten sich durcheinander: unter der Erde grunzte das Haus, als läge in seinem Bauche eine Herde von Säuen, und schon schossen hie und da aus den Kellerluken Rauchzungen, so die Balken beleckten.

Wir drangen in den Hof. Man kümmerte sich nicht um uns. Jedweder war mit sich beschäftigt. Ich sagte: »Schlag die Trommel, Bardet!«

Bardet schlug auf seine Kiste. Er rief aus, welche Vollmachten mir die Stadt verliehen hätte! Und da ließ ich selbst meine Stimme ertönen und schrie den Räubern zu, sie sollten sich zum Teufel scheren. Beim Trommelwirbel hatten sie sich zusammengerottet gleich einem Mückenschwarm, wann man auf einen Kessel schlägt. Alsobald unser Lärm aufhörte, fingen sie wütig von neuem an zu summen, und jetzo stürzten sie sich pfeifend und heulend auf uns und bewarfen uns mit Steinen. Ich suchte den Eingang zum Keller zu erzwingen; aber sie ließen aus den Fenstern des Bodens Ziegelsteine und Balken auf uns niederprasseln. Wir drangen dennoch hinein und drängten die Halunken zurück. Gangnot wurden dabei noch zwei Finger seiner Hand abgerissen und dem König von Kalabrien das linke Auge ausgeschlagen. Was mich betrifft, so fand ich mich beim Zurückstoßen der Tür, die sich schloß, mit dem Daumen zwischen die Türangeln geklemmt, gleichwie ein Fuchs in der Falle. Himmel und Hölle! Schier wär ich gleichwie ein Weib in Ohnmacht gefallen und hätte den Inhalt meines Magens wiedergegeben. Zum Glück entdeckte ich ein geöffnet Faß (es war feinster Branntwein). Damit begoß ich mir den Bauch und badete meinen Daumen darein. Darnach, das schwöre ich euch bei allen Heiligen, hatt ich nimmer Lust, schönzutun. Sondern ich selbsten wurde nun wild. Der Kamm war mir geschwollen.

Wir kämpften jetzo auf den Treppenstufen. Es mußte ein End gemacht werden, denn diese albernen Teufel feuerten ihre Musketen uns grade ins Gesicht, und so nahe, daß der Bart Saulsoys Feuer fing. Gueurlu löschte ihn in seinen schwieligen Händen. Zum Glück sahen die besoffenen Kerle beim Zielen doppelt; ohn das wäre nicht einer von uns mit dem Leben davongekommen. Wir mußten die Stufen wieder emporsteigen und den Rückzug antreten. (Aber nunmehr, am Eingang aufgepflanzt, bemerkte ich, wie der Brand sich heimtückisch von beiden Flügeln zu dem untersten Raum, allwo sich der Weinkeller befand, schlich.) – Da ließ ich am Ausgang eine Schutzwehr aus Steinen und Schutt aufrichten, die uns bis zum Nabel reichte, und so den Durchgang versperrend, schichteten wir darauf unsere Spieße und Bootshaken, so daß sie wie der Borstenrücken eines zusammengerollten Stachelschweins aussah. Und ich schrie: »Aha, ihr Räuber! Ihr möget das Feuer! Nun wohl, dann fresset es!« Die meisten, betrunken im hintersten Keller, begriffen die Gefahr erst, als es zu spät war. Doch wann die hohen Flammen die Mauern bersten und die Balken unter ihrer Gewalt zusammenkrachen ließen, da stieg aus dem tiefsten Grunde des Erdbodens ein wahrer Höllenlärm empor. Und gleichwie ein reißender Strom drängten die Elenden, deren etliche in Flammen standen, nach oben, gleichwie moussierender Wein, der den Zapfen aus dem Loch springen läßt. Sie kamen, um sich an unserer Mauer die Köpfe einzurennen, und die, so sie vorwärts stießen, bildeten einen Pfropfen, der das Zurückweichen hinderte. Dahinter, tief unten in der Höhle, hörte man das Feuer und die zum Tode Verurteilten heulen. Und ihr könnt's mir glauben, daß uns bei dieser Musik nicht warm wurde. Es ist keine Vergnügung, mit anzuhören, wann Verwundete leiden und vor Schmerzen schreien, und wäre ich nur ein simpler Bürgersmann gewesen, der alltägliche Breugnon, da hätt ich gesagt: ›Wir wollen sie retten!‹

Aber wann man der Führer ist, da hat man nimmer das Recht, Herz noch Ohren zu besitzen. Man muß Auge und Geist sein, sehen und wollen und, ohn schwach zu werden, tun, was getan werden muß. Diese Banditen retten, hätte bedeutet, die Stadt zugrunde richten; denn wären sie herausgekommen, hätten sie gemerkt, daß sie stärker und zahlreicher waren als wir, die sie bewachten; und reif für den Galgen, wie sie waren, hätten sie sich nicht ohne weiteres fangen lassen. Die Wespen saßen im Nest: mochten sie darinnen bleiben.

Und nun sahe ich die beiden Flammenflügel über dem Mittelbau sich einen, sich zusammenschließen und krachend mit ihrem Gefieder aus Rauch um sich schlagen ...

Just in diesem Augenblick aber, siehe, da entdecke ich über den ersten Reihen derer, die einer an den andern gedrängt sich in dem Treppenhals zusammenpressen und sich allesamt nicht rühren können, es sei denn mit den Wimpern, den Augen und dem heulenden Mund, meinen alten Trinkgenossen Eloi, Gambi genannt, einen gutartigen, nur allzeit durstigen Taugenichts (guter Gott, wie mag er nur in dieses Wespennest geraten sein?). Ohn zu begreifen, lachte und weinte er stumpfsinnig vor sich hin. Er verdiente wohl sein Los, dieser Strauchdieb und Faulpelz! Aber desohngeachtet, wie soll man mit ansehen, daß er dorten bei lebendigem Leibe geröstet wird? ... Wir haben als Kinder zusammen gespielt und haben in der Sankt-Martinskirche miteinander den Leib des Herrn gegessen: gemeinsam haben wir die erste Kommunion empfangen ...

Ich schiebe die Spieße auseinander, ich überspringe die Schutzwehr, trete auf wütig um sich beißende Köpfe, und ober diesem rauchenden Wust menschlicher Leiber hinweg gelange ich zu meinem alten Gambi und packe ihn beim Kragen. – Ja, aber wie soll ich ihn, bei allen Göttern, diesem Schraubstock entreißen? dachte ich, dieweil ich ihn packte. Man müßte ihn zerhacken, um nur ein Stücklein von ihm zu kriegen ... Durch einen sonderlichen Glücksfall (man möchte schier vermeinen, daß es einen Gott für die Trunkenbolde gäbe, wann nicht allesamt seine Gunst gleichermaßen verdient hätten) stand mein Gambi just auf dem Rand einer Stufe, so nach hinten überkippte, des Augenblicks, als ihn die Empordrängenden solcherart mit ihren Schultern aufgehoben hatten, daß er nimmer die Erde berührte und in der Schwebe blieb, gleich einem Nußkern, den man zwischen den Fingern hält. Mit Hilfe meiner Hacke stieß ich rechts und links die Schultern, die ihm die Rippen einquetschten, zur Seite, und so gelang es mir, nicht sonder Mühe, den sauber herausgeschälten Nußkern aus dem Maule der Menge herauszuziehen. Es war hohe Zeit! Gleich einer Windhose stieg das Feuer, als wär's in einem Kamin, den Treppenschacht empor. Ich hörte im Grunde des Backofens die Leiber knistern; und gebückt, mit großen Sätzen, ohne nachzuschauen, in was meine Stiefel einsanken, stieg ich empor, Gambi an seinen fettigen Haaren hinter mir herschleifend. Wir gelangten aus dem Schlund, davon wir gar weit abrückten, und ließen die Flammen ihr Werk vollenden. Und dabei, um unserer Rührung Herr zu werden, traktierten wir mit Rippenstößen Gambi, diesen Kerl, der schier am Verrecken, zwei glasierte Teller und einen farbigen Napf, den er weiß Gott wo errafft hatte, ohne sie loszulassen, fest an sein Herz gepreßt hielt! ... Und Gambi, der Ernüchterte, warf plärrend seine Geschirre von sich, stellte sich vor aller Welt hin, um gleich einem Brunnen sein Wasser zu lassen, und schrie:

»Ich will nichts nicht behalten, was ich gestohlen habe!« ...

 

Bei Anbruch des Tages erschien der Prokurator, Meister Guillaume Courtignon, gefolgt von Robinet, der ihn im Triumph anschleppte. Dreißig Bewaffnete und ein Haufe Bauern begleiteten ihn. Noch andere kamen im Laufe des Tages, die der Magistrat uns sandte. Und überdies noch andere des folgenden Morgens, so der gute Herzog uns schickte. Sie befühlten die heiße Asche, stellten den Schaden fest, machten die Rechnung, fügten ihre Reise- und Aufhaltungskosten bei und verschwanden hienach ohne weiteres dahin, von wannen sie gekommen waren ...

Und die Moral von der Geschicht:
Hilf dir Selbsten, sonst hilft Gott dir nicht!


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