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Ein Wort an den Leser

Die Leser des »Johann Christof« sind auf dieses neue Buch sicherlich nicht gefaßt. Immerhin wird es sie nicht mehr überraschen als mich selbst.

Ich arbeitete an anderen Werken – einem Drama und einem Roman – über zeitgenössische Themen und in der etwas tragischen Atmosphäre des Johann Christof. Plötzlich mußte ich alle Aufzeichnungen, alle vorbereiteten Szenen liegenlassen – zugunsten dieses heiteren Werkes, an das ich noch am Tage vorher nicht gedacht hatte.

Es bedeutet eine Reaktion gegen den zehnjährigen Zwang in der Rüstung des Johann Christof, die, anfänglich nach meinem Maß geschnitten, mir schließlich zu eng wurde. Ich fühlte ein unwiderstehliches Bedürfnis nach gallischer Fröhlichkeit – ja sogar nach Übermut. Zu gleicher Zeit ließ mich ein Besuch des Heimatbodens, den ich seit meiner Jugend nicht wiedergesehen hatte, von neuem Fühlung nehmen mit meiner Niverner Burgundererde; sie weckte eine Vergangenheit in mir, die ich für immer entschlafen glaubte, erweckte alle die Colas Breugnons, die in meiner Haut stecken. Ich mußte für sie das Wort ergreifen. Diese verflixten Schwätzer haben zu ihren Lebzeiten noch nicht genug geredet! Sie machten es sich zunutze, daß einer ihrer Urenkel das glückliche Vorrecht besitzt, schreiben zu können (wie oft haben sie ihn darum beneidet!); und so nahmen sie mich zum Sekretär. Ich konnte mich noch so sehr wehren:

»Schließlich ist deine Zeit um, Großvater, laß mich jetzt zu Worte kommen. Einer nach dem anderen.«

Sie erwiderten:

»Junge, du wirst nach uns auch noch reden können. Zunächst hast du nichts Interessanteres zu erzählen. Da setz dich hin, höre zu und laß dir kein Wort entgehen ... Los, mein Söhnchen, tue es deinem Alten zuliebe. Später, wenn du dort angelangt sein wirst, wo wir sind, wirst du einsehen, ... das Unangenehmste am Tode, siehst du, ist das Stillschweigen ...«

Was tun? Ich habe mich fügen müssen, ich habe nach dem Diktat geschrieben.

Jetzt ist es vorüber, und ich bin wieder frei (wenigstens glaube ich es). Ich werde meine eigene Gedankenfolge wieder aufnehmen können – es sei denn, einem meiner alten Schwätzer fiele es bei, noch einmal aus dem Grabe aufzustehen, um mir seine Briefe an die Nachwelt zu diktieren.

Wage ich auch nicht, zu glauben, daß die Sippschaft meines Colas Breugnon die Leser ebenso wie den Verfasser ergötzen wird, so mögen sie wenigstens dieses Buch ganz als das hinnehmen, was es ist: ganz ehrlich, ganz in sich geschlossen, ohne Anspruch, die Welt umzuwandeln, noch sie zu deuten, ohne Politik, ohne Metaphysik – ein echt franzmännisch Buch, das über das Leben lacht, weil ihm das Leben gut erscheint und weil es ihm wohl ergeht. Kurz, wie die Jungfrau von Orleans sagt (ihr Name mußte unbedingt am Anfang einer gallischen Erzählung angerufen werden): »Freunde, nehmet es gutwillig auf.«

Romain Rolland


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