Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII
Die Pest

Anfang Juli

Man pfleget zu sagen: »Das Unglück macht sich zu Fuß davon, doch es kommt vierspännig angefahren.« Es hat sich als Postillon von Orleans vermaskeriert, uns zu besuchen. Die Woche zuvor, am Montag, wurde ein Pestfall in St. Fargeaux eingeschleppt. Böse Saat reift schnell. Ende der Woche waren es allweil zehn geworden. Alsdann eilte sie immer näher gen uns heran, und gestern kam die Pest schon in Coulanges-La-Vineuse aus. Das brachte gewaltige Aufregung. Die Tapferen insgesamt haben die Beine in die Hand genommen. Wir haben alles aufgepackt, Frauen, Kinder, Gänse, und haben sie weit fortgeschickt gen Montenoison. Indes, jedwedes Unglück ist zu etwas nütze. Nun wird nimmer also viel in meinem Hause geschwatzet und gegackert. Florimond ist gleichermaßen samt seinen Damen weggereiset; er gab vor, der Hasenfuß, er möge seine Martina also kurz vor der Entbindung nicht allein lassen. Von den großen Herren fanden etliche gleichermaßen gute Ausreden, um eine Spazierfahrt zu unternehmen. Sintemalen ihre Wagen angespannt waren, schien ihnen der Tag gerad recht, um nachzuschaun, wie es um ihre Ernte stünde. Wir andern, so wir zu Hause blieben, spielten die boshaften Spötter. Wir foppten die andern, so Vorsichtsmaßregeln gebrauchten. Die Herren Schöffen ließen an den Toren der Stadt, auf dem Wege nach Auxerre, Wächter aufstellen, die hatten strengen Befehl, alle Armen, zumal die Landbevölkerung von draußen, so da versuchen würde, hereinzukommen, schleunigst wegzujagen. Und die übrigen, Junker und Bürgersleute mit wohlgefüllten Geldbeuteln, mußten sich zum mindesten eine Untersuchung durch unsere drei Ärzte gefallen lassen: den Meister Etienne Loysau, Meister Martin Frotier und Meister Philbert des Veaux; die hatten sich, um den Angriffen der Seuche zu widerstehen, mit einer langen Nas voll Salben, mit einer Maske und einer Brille herausstaffiert. Wir haben unsern Spaß darob gehabt, und Meister Martin Frotier, der ist ein guter Kerl, vermochte auch nicht ernst dabei zu bleiben. Seine Nasenmaske herunterreißend, sagte er, er habe keine Lust, die Zielscheibe für unser Gespött abzugeben, und er glaube an solcherlei Hirngespinste mitnichten. Fürwahr, er glaubte nicht daran, aber er starb daran. Wohl ist nicht zu leugnen, daß Meister Etienne Loysau, der an seine Maske glaubte und gar damit zu Bette ging, gleichermaßen gestorben ist. Und dem Übel entronnen ist nur Meister Philbert des Veaux, der gab zwar seine Nasenmaske nicht auf, wohl aber seinen Posten ... aber ich überspringe den Hauptteil und ende meine Historie, ehe ich recht angefangen. Wohlan, beginnen wir zum andernmal, mein Sohn, und packen wir diesmal den Stier recht bei den Hörnern. Hältst du ihn? Nun denn, wir spielten den wahren Richard Löwenherz. Wir glaubten gar fest daran, die Pest werde uns nicht die Ehre ihres Besuches erweisen. Man sagte, sie hätt eine feine Nas, und der Geruch unserer Lohgerbereien (jedermann weiß, daß da nichts gesünder ist) störe sie. Als wir sie das letztemal im Lande hatten (das war Anno 1580, ich war damals vierzehn Jahre, also gerade so alt wie ein alter Ochse), hatte sie nur gerade die Nase durch unsere Tür gesteckt; und nachdem sie ein wenig herumgeschnüffelt, hatte sie sich aus dem Staube gemacht. Das war derzeit, als die Leute von Chatel-Censior (wir haben sie derweil genugsam oft darob verlacht) ihren Schutzpatron, den großen heiligen Potentius, dem sie zürnten, maßen er sie schlecht geschützt hatte, heraussetzten und versuchsweis einen anderen nahmen, dann noch einen anderen und wieder einen anderen. Siebenmal wechselten sie und erwählten nacheinander Savinianus, Pelagrinus, Philibertus und Hilarius. Und da sie letztlich schier nicht mehr wußten, welchem Heiligen sie sich geloben sollten, gelobten sie sich (die verteufelten Burschen) einer Heiligen, nahmen an Stelle des Potentius die Potentia.

Voll Lachens erinnerten wir uns dieser Geschichte, wir braven Burschen, Aufschneider und überlegenen Gesellen, die wir waren. Dieweil wir zeigen wollten, daß uns derlei Aberglauben ebensowenig kümmerte denn der der Ärzte und Stadtväter, gingen wir tapfer bis an das Chastelet-Tor und beredeten uns über den Graben hinweg mit jenen, so am andern Ufer gestrandet waren. Ja, aus Prahlerei fanden etliche von uns sogar Mittel und Wege, herauszuschlüpfen und in einem nahen Wirtshaus einen Schoppen mit denen zu trinken, so das Tor des Paradieses vor der Nase zugeworfen worden war, ja gar mit einem der Schutzengel, die es bewachen sollten (die nahmen ihr Amt keineswegs ernst). Ich tat gleichwie die andern. Sollte ich etwan sie sich selbst überlassen? Hätte ich's, bei meinem Barte, mitanzusehen vermocht, daß andere sich ohne mich verlustierten, amüsierten und sich an frischen Neuigkeiten und jungem Wein gütlich täten? Ich wäre vor Neid geplatzt. Dieweil ich obendrein einen alten Pächter, den ich gut kannte, nämlich den alten Grattepain aus Mailly-le-Château, draußen gewahrte, ging ich hinaus. Wir täten einander Bescheid. Das war ein rechter Spaßvogel, rund, rötig und vierschrötig, der glänzete in der Sonne vor Schweiß und Gesundheit gleich einer Speckschwarte. Er spielte noch mehr den Übermütigen denn ich selbst, spottete der Krankheit und meinete solche wäre eine Erfindung der Ärzte. Die, so daran glaubten, seien armselige Gesellen, und stürben sie, sei es nicht an der Krankheit, sondern an der Furcht.

Er sagte zu mir:

»Ich gebe dir diese meine Verordnung zum Geschenk:

Halte deine Füße warm,
halte immer leer den Darm,
mußt dem Gretel schier entsagen,
und kein Übel wird dich plagen.«

Wir verbrachten eine gute Stunde damit, einander in die Nase zu blasen ... Er hatte den Brauch, beim Sprechen ständig einem die Hand zu tätscheln und auf das Bein oder den Arm zu klopfen. Ich dachte mir derzeit nichts weiter dabei; wohl aber am kommenden Morgen.

 

Das erste Wort, so mein Lehrbub am kommenden Morgen zu mir sagte, war:

»Habt Ihr schon gehört, Meister, Vater Grattepain ist tot.«

Darob war mir's mitnichten stolz zumute, es lief mir kalt über den Rücken. Ich sagte mir: Nun kannst du deine Stiefel schmieren, armer alter Junge, deine Geschichte ist am Ende, nun wird es nimmer lange dauern. Ich geh an meinen Werktisch. Will keine Grillen fangen und beginn herumzubasteln. Aber ihr könnet mir glauben, der Kopf stund mir nicht darnach. Ich dachte bei mir: Du alter Ochse, das wird dich lehren, den Spottlustigen zu spielen.

Aber wir in Burgund sind nicht dergestalt, daß wir uns den Geist darob erhitzen, was wir vorgestrigen Tags hätten tun sollen. Wir leben dem Heut, Potz heiliger Martin, so soll's auch bleiben! Es gilt sich zu verteidigen, bis daher hat der Feind mich nicht am Kragen. Eine kleine Weile gedachte ich, bei der Bude von St. Cosmos (den Ärzten, ihr versteht mich wohl) Rat zu erbitten. Aber ich hütete mich weislich und tat nichts dergleichen. Ohngeachtet aller Sorge hatte ich genugsam Verstand von Hause mitgebracht, mir zu sagen: Die Ärzte, mein Sohn, wissen mitnichten mehr denn wir Selbsten. Sie leeren dir nur den Säckel, und obendrein stecken sie dich noch in ein Pestspital, allwo du nichts anderes vermagst als gänzlich zu verseuchen. Hüte dich wohl, ihnen das mindeste zu verraten. Oder bist du gar närrisch? Sterben, so es sein muß, werden wir leichtiglich ohne sie. Und bei Gott, also stehet es geschrieben: ohngeachtet aller Ärzte werden wir bis an unser selig Ende leben.

Jedoch, ich hatt gut mich beschwatzen und Bruder Lustig spielen. Ich merkete, in meinem Magen begann ein Rumoren. Ich befühlte mich hier, und ich befühlte mich da und da ... Potz Donnerwetter, diesmal ist sie es wahrlich ... Doch das Übelste war, allwie die Essenszeit ist kommen, saß ich vor einem schönen Gericht fetter roter Bohnen, in Wein gekocht, samt Speckscheiben, und fand mitnichten den Mut (noch heute kommen mir die Tränen, so ich daran denke), meine Kauwerkzeuge in Bewegung zu setzen. Voll Gram dachte ich:

Wahrlich, mit mir ist's aus. Die Eßlust ist gegangen, solches ist der Anfang vom Ende ...

Wohlan, so wollen wir wenigstens unsere Angelegenheiten in fürsorgliche Ordnung bringen. Dafern ich mich allhie zum Sterben hinlege, so werden die vermaledeiten Schöffen mein Haus verbrennen lassen, vorgebend, andere vermöchten (dummes Geschwätz!) sich dorten die Pest zu holen. Ein schier neues Haus! Gar verderbt oder gar dumm muß die Welt sein! Ehe solches geschehe, will ich lieber auf dem Misthaufen verrecken. Indes, ich werde sie fein nasführen ... Verlieren wir keine Zeit ...

Ich stehe auf, kleide mich in meinen ältesten Rock, ich nehme drei oder vier gute Bücher, etliche schöne Sprüche, die gallischen Erzählungen, die römischen Denksprüche, die goldenen Worte Catos, die »Serées« von Bouchet und den Neuen Plutarch von Gilles Corrozet. Ich stecke sie selbander, samt einer Kerze und einem gewichtigen Stück Brot, in die Tasche. Ich gebe dem Gesellen den Laufpaß, ich schließe meine Wohnung und begebe mich tapfer in meine kleine Weinberghütte, die liegt außerhalb der Stadt, hinter den letzten Häusern am Wege nach Beaumont. Der Unterschlupf dorten ist nicht groß. Ein windiges Häuslein. Eine Gerätkammer, da werden Werkzeuge aufbewahret, ein alter Strohsack und ein eingesessener Stuhl. Muß dieses verbrennet werden, da ist nicht groß Schaden.

War kaum ankommen, da begann ich mit dem Schnabel zu klappern gleichwie ein Rabe. Das Fieber brannte in mir, es stach in meiner Seiten, und ich fühlete den Magen sich um und um wenden, als hätt man ihn verdrehet ... Je nun, was tat ich, ihr lieben Leute? Was werde ich euch berichten? Welch heldische Taten! Mit welch herioschem Trutze zog ich wohl, dem Exempel der großen Herren in Rom zufolge, wider das feindliche Schicksal und das Bauchweh? Ihr guten Leute, ich war allein. Niemands sah mich. Vermeinet ihr wahrlich, da machete ich viel Aufhebens, den leeren Wänden einen römischen Regulus fürzuspielen? – Ich warf mich auf den Strohsack und begann überaus zu brüllen. Habt ihr nichts davon vernommen? Ich hatte eine gar starke Stimme. Sie hätte gewißlich können bis zum Baum von Sembert schallen. O Herr, jammerte ich. Ist es möglich, daß du einen so guten kleinen Kerl, der dir nie nichts getan hat, also quälest? ... Ach, mein Schädel! Ach, meine Weichen! Was ist es elend, in der Blüte seiner Jahre hinwegmüssen! Was Jammers! Ist dir wahrhaftig gar so viel daran gelegen, mich also früh abzurufen? ... O, o, mein Rücken! Gewißlich, es wäre mir ein Vergnügen – eine Ehre, wollt ich sagen –, dich zu besuchen. Maßen wir uns aber zweifelsohne früher oder später werden sehen, warum diese Eile? ... Ach, ach, meine Milz! ... Ich bin mitnichten pressiert, Herr. Bin nur ein armer Wurm. Dein Wille geschehe, dafern es nicht anders sein kann! Du siehst, ich bin demütiglich und sanftmütig, in mein Geschicke ergeben ... Verdammt, hebe dich schleunig von hinnen! Was fällt dem Kerle bei, mich also zu quälen!

Wann ich genugsam gebrüllt hatte, fühlte ich wohl die nämlichen Schmerzen, indes, meine zornmütige Kraft war dahin. Ich sagte mir: Du verlierest nur deine Zeit, entweder er hat keine Ohren, oder er tut so. Dafern es wahr ist, als man saget, daß du geschaffen bist nach seinem Bilde, wird er es gleichwohl nach seinem Kopfe machen, und du schreist dich schier umsonst heiser. Möglich, du hast nur noch ein oder zwei Stunden vor dir, und du Dummkopf schlagest sie also in den Wind! Freuen wir uns an dem, so uns noch bleibt, an unserm schönen alten Gerippe, das wir alsobälde verlassen müssen. (Ach, Freundlein, es ist gänzlich wider meinen Willen.) Man sterbet nur einmal. Da wollen wir wenigstens unsere Neugierde befriedigen. Betrachten wir, allwie es tut, wenn man diese alte Haut muß ausziehen. Dieweil ich ein Kind war, verstund niemand besser denn ich, aus Weidenzweigen schöne Flöten zu schneiden. Mit dem Schaft des Messers klopfte ich alsolange ob der Rinde, bis sie sich lösete. Ich halte dafür, Er, so von oben auf mich herabsiehet, ist im Begriff, sich in selbiger Weise mit der meinen zu verlustieren. Herz gefaßt! Wird sie sich lösen? Au! der Schlag war trefflich! ... Ist es wohl erhört, daß ein Mann in diesen Jahren sollte an solch läppischen Kindereien Gefallen finden! ... Ich sage dir, Breugnon, laß nicht locker, und dieweil die Rinde noch hält, laß uns beobachten und niederschreiben, was darunter fürgeht. Laß uns dies Behältnis genau prüfen; säubern wir unsere Gedanken, studieren, probieren, sondieren wir selbige schlechten Säfte, so sich in meinem Bauche regen, bewegen, einen Streit (gleich den Deutschen) vom Zaun brechen; genießen wir diese Koliken, betun und betasten wir zum andern Mal unsere Nieren und Eingeweide Hier erlauben wir uns, einige Zeilen zu überspringen. Der Erzähler erläßt uns keine Einzelheit in bezug auf den Zustand seiner Maschine, und das Interesse, das er ihr entgegenbringt, veranlaßt ihn, sich über Materien zu verbreiten, die nicht gerade süß duften. Außerdem ist zu bemerken, daß seine physiologischen Kenntnisse, auf die er sehr stolz ist, ein wenig zu wünschen übriglassen. (R. R.).

Also beobachtete ich mich. Von Zeit zu Zeit unterbrach ich meine Forschungen, um zu schreien. Die Nacht erschien mir schier ohne Ende. Ich zündete meine Kerze an und steckte sie in den Hals einer alten Flasche. (Die roch noch nach Johannisbeerschnaps, indes der Schnaps war nimmer darinnen: ein Gleichnis des, was ich am nächsten Morgen zweifelsohne würde sein. Mit dem Leibe war's vorbei, es blieb nichts denn die Seel.) Auf meinem Strohsack zusammengekrümmt, also versuchte ich das Lesen. An den heroischen Denksprüchen der Römer hatt ich mitnichten Gefallen. Zum Teufel mit diesen Prahlhänsen! »Nicht jeder ist für Rom geboren.« Ich hasse derlei dämischen Stolz. Ich will das Recht haben, recht von Herzen zu jammern, so mich die Kolik quält. Ja, und wann sie wiederum aufhört, will ich auch lachen, so ich kann. Und ich habe gelacht ... Ihr wollt mir nicht glauben? Aber fürwahr, wie ich noch schier elend, gleich einer Nuß im Scheffelmaß, mit den Zähnen klapperte, fand ich, das Buch der Schwänke von dem guten Bouchet aufs Geratewohl öffnend, eine so prächtige, knusperkrosse, gepfefferte, gesalzene Geschichte. – Ei, ihr guten Götter, welch ein schallend Gelächter hab ich da angestimmt! Wohl sagte ich mir:

Du bist wahrlich töricht, lache nicht! Du wirst dir einen Schaden antun ... Nun wohl, ich hörete mit Lachen auf, um zu schreien, mit Schreien, um wiederum zu lachen. Und ich schreie, ich lache ... Die Pest selber hat darob gelacht. O des kläglichen Bürschleins! Wie gar sehr hab ich geschrien, wie gar sehr gelachet!

Wann der Tag grauete, da war ich in einem Zustand, schier gut genug, eingescharret zu werden. Meine Beine wollten mich nimmer tragen. Auf den Knien schleppete ich mich an die einzige Luke, so auf die Straßen hinausgeht. Rief dem ersten Vorübergehenden zu mit einer Stimme gleichwie ein geborstener Topf. Um zu verstehen, braucht er nur zu sehen. Er sah mich, bekreuzete sich und floh. War noch keine Viertelstunde darnach, da ward mir die Ehre, daß zwei Wächter vor meiner Bude stunden, mir ward strenges Verbot, die Schwelle allhier zu überschreiten. Ach, du grundgütiger Gott, ich dachte keineswegs daran. Ich bat, man möge meinen alten Freund, Meister Paillard, den Notar, aus Dornecy holen, auf daß er meinen letzten Willen aufsetzte. Aber sie waren so voller Furcht, daß gar der Hauch meiner Worte sie ängstete, und ich glaub, meiner Treu, aus Angst vor der Pest verstopfeten sie sich die Ohren. Letztlich stahl sich ein tapfrer kleiner Findling, der Schafhirt (o braves Bürschlein), bis an mein Fenster; denn er war mir zugetan, sintemal ich einst, als ich ihn beim Kirschennaschen ertappte, gesagt hatt: Ei, du Tropf, dieweil du darüber bist, pflücke mir gleichweis davon. – Jetzo hörete er mich und rief:

»Ich gehe, Meister Breugnon!«

Was fürder geschah, vermöchte ich euch schwerlich zu erzählen. Ich weiß, daß ich etliche Stunden auf meinem Strohsack mich umherwälzend vor Fieber die Zunge aus dem Munde hangen ließ gleich einem Kalb. Alsdann Peitschenknallen, Schellengeläut auf der Landstraße, eine laute, bekannte Stimme ... Ich denke: Paillard ist kommen ... Ich versuche das Aufstehen ... Ach, Herr meines Lebens! Mir ward, als trüge ich Sankt Martin auf meinem Nacken und Sembert auf dem Buckel. Ich sag mir: Und ob gar die Felsen von Basseville dazu kämen, du mußt gleichwohl hingehen ... Ich wünschte dringlich, seht ihr, (ich hatte in der Nacht Zeit genug gehabt, alles nochmals genau zu überdenken) etliche Verfügungen und Testamentsklauseln eintragen zu lassen, die sollten mir verstatten, meine Martina und Glodie zu bevorteilen, ohne daß meine vier Buben vermöchten dawider Einspruch zu erheben. Ich ziehe meinen Kopf, der war schwerer denn Henriette, die große Glocke, empor bis zur Luke. Er fiel nach rechts, nach links, nach hinten und nach vorn. Auf der Landstraße erkenne ich zwei dicke Gestalten, die reißen mit entsetzensvoller Miene die Augen auf. Das waren Anton Paillard und der Pfarrer Chamaille. Sie waren gerennet, die braven Freunde, daß die Sohlen brannten, auf daß sie mich noch lebendigen Leibes anträfen. Es sei gesagt, nachdem sie meiner gewahr wurden, begann ihr Feuer zu schwelen. Zweifelsohne auf daß sie das Spektakel besser zu betrachten vermöchten, unternahmen sie selbander drei Schritte nach rückwärts, und auf daß mein Mut sich hebe, sagte der verteufelte Chamaille ein Mal ums andere: »Herr Gott, wie abscheulich du aussiehst! ... Ach, du armer Kerl, schändlich siehst du aus ... Gleich Braunbier mit Spucke.«

»Ich fordere euch nicht auf einzutreten. Euch scheinet gar warm zu sein.«

»Nein, nein, beileibe nicht, wir danken!« riefen sie alle beide.

»Es ist hier außen sehr annehmlich.«

Darob ward ihr Rückzug noch wahrnehmbarer, und sie dehnten ihn bis zu ihrem Wagen hin. Paillard wähnete den Anstand zu wahren, indem er sein kleines Pferdchen, das mitnichten davor konnte, an der Kandare riß. Und Chamaille, dem es Gewöhnung war, mit Versterbenden Unterhaltung zu pflegen, fragte mich:

»Wohlan, wie ist dir?«

»O je, mein Freund, der da krank ist, ist mitnichten gesund«, gab ich mit wackelndem Kopf zur Antwort.

»Wohl, wohl, also geht es. Du siehst, mein armer Colas, dieses hab ich dir allzeit gesagt. Gott ist der Allmächtige, wir sind nur Staub vor ihm. Heute rot, morgen tot. Heute noch auf stolzen Rossen, morgen durch die Brust geschossen. Du hast mir nicht wollen glauben und gedachtest immer nur an deine Lust. Du hast das Gute genossen, jetzund mußt du den Kelch bis zur Neige leeren. Geh, Breugnon, sei nicht trübselig. Just in dieser Stunde ist es geziemend, zu jubilieren. Der liebe Gott ruft dich zu sich. Solches ist eine hohe Ehre, mein Sohn. Indes tut not, ehe du ihn von Angesicht schaust, ein neu und fleckenlos Gewand zu nehmen. Je nun, komm, ich will dich waschen. Bereite deine Seele, o Sünder.«

Ich antwortete:

»Sogleich, sogleich, wir haben noch Zeit, Pfaffe.«

»Unseliger«, erwiderte er mir, »die Kutsche wartet mitnichten.«

»Das ficht mich nichts an«, sage ich, »ich werde zu Fuße gehen.

Er fuchtelt mit den Armen.

»Breugnon, mein Freund, mein Bruder. O, ich erkenne wohl, du hangest noch immer an den eitlen Gütern dieser Erde. Was hat's denn allhier so Annehmliches? Hier ist all Nichtigkeit, Eitelkeit, Mißgeschick, Trug, List und Tücke, finstere Verstrickung, Hinterhalt, Schmerzen, Aufgezehretwerden. Was soll uns dieses Leben?«

Ich erwidere ihm:

»Du zerreißest mir das Herz. Nimmermehr, Chamaille, vermag ich den Mut zu finden, dich hienieden zurückzulassen.«

»Wir sehen einander wieder«, sagte er.

»Was wollen wir nicht selbander gehn! ... Nun wohl, ich gehe voran. Gleich dem Wahlspruch des Herrn von Guise: ›Immer einer nach dem andern!‹ ... Folget mir nach, ihr Edlen.«

Sie machten nicht Miene, auf mich zu merken. Chamaille erhob eine feierliche Sprache:

»Die Zeit vergehet, Breugnon, und du vergehest mit ihr. Der Böse, der Widersacher, lauert dir auf. Möchtest du, daß das stinkende Aas deine beschmutzte Seele für seine Vorratskammer wegschnappe? Vorwärts, Colas, vorwärts, sprich dein Confiteor, mache dich bereit. Tu's also, ach tu's, mein Junge, tu's mir zuliebe, Gevatter!«

»Ich tu es«, sage ich. »Ich tue es gewißlich – um deinetwillen, meinetwillen und Seinetwillen. Da sei Gott vor, daß ich der ganzen Sippschaft nicht allen schuldigen Respekt erweise! Indes, mit Verlaub, zuvor will ich zwei Worte mit dem Herrn Notar bereden.«

»Das magst du alsdann tun.«

»Nein, mitnichten, erstlich Meister Paillard!«

»Was fällt dir bei, Breugnon, du wirst den Allewigen nicht hinter dem Tintenkleckser zurückstehen lassen!«

»Der Ewige kann warten oder zum Teufel gehen, dafern's ihm Spaß macht: ich werde ihn gewißlich wiederfinden; indes die Erde entschwindet mir. Die Höflichkeit erfordert, daß man seinen Besuch auch dorten mache, allwo man gut aufgenommen worden ist, ehe man dahin geht, wo man – vielleicht – wird aufgenommen werden.«

Er drängete, bat, drohte, schrie. Ich biß nicht an. Meister Anton Paillard zog sein Schreibzeug heraus und verfaßte, auf dem Brunnenrande sitzend, in einem Kreis von Neugierigen und Hunden, mein öffentliches Testament. Als solches erledigt war, verfügte ich schlecht und recht über meine Seele, gleichwie ich's mit meinem Geld getan hatte. Da alles beendet war (Chamaille fuhr mit seinen Ermahnungen fort), sagte ich mit ersterbender Stimme:

»Schöpf neuen Atem, Baptist. Was du da sagest, ist überaus schön, indes einem Mann am Rande des Grabes ist guter Rat teuer. Jetzo, da meine Seele schon bereit ist, in den Sattel zu steigen, möchte ich aufs allerwenigst noch einen Reisetrunk haben. Eine Flasche, edle Herren!«

Ach, die braven Burschen, wie gut haben sie alle beide, nicht minder gute Burgunder als gute Christen, meinen letzten Wunsch verstanden. Statt einer Flasche brachten sie gar drei: Chablis, Pouilly, Irancy. Vom Fenster meines Schiffes, so im Begriffe war, die Anker zu lichten, warf ich ein Seil hinab. Der Hirtenjunge hangete einen alten Weidenkorb daran, und mit letzter Kraft zog ich meine letzten Freunde zu mir empor. Von diesem Augenblick an fühlte ich, wenngleich die andern von dannen gezogen waren und ich auf meinen Strohsack zurückgesunken war, mich minder einsam. Aber ich will mitnichten versuchen, euch einen Bericht der nachfolgenden Stunden zu geben. Ich weiß nicht, wie es kömmt, daß ich nicht von ihnen Rechenschaft könnt geben. Acht oder zehn ihrer muß man mir aus meinen Taschen gestohlen haben. Ich weiß, daß ich in eine weitläufige Unterredung mit der Dreieinigkeit der Flaschengeister vertieft war. Indes meinem Bewußtsein ist entschwunden, worüber wir sprachen. Colas Breugnon ist mir abhanden gekommen: zum Teufel, wo mag er hingeraten sein?

Gegen Mitternacht sehe ich ihn wieder, wie er in seinem Garten mit beiden Arschbacken auf einem Beet dicker, saftiger, frischer Erdbeeren sitzt und den Himmel durch die Zweige eines kleinen Birnbaumes betrachtet. Wieviel Licht dort oben und wieviel Dunkel hier unten! Der Mond macht sich lustig über mich. Wenig Schritte vor mir liegt ein Haufen knorriger alter Weinreben gleich einem wimmelnden Schlangennest, die ziehen mir teuflische Gesichter ... Wer aber kann mir erklären, was ich allhier tue? ... Es dünket mich (in meinem erfindungsreichen Verstand mengen sich die Eindrücke), ich hätte mir gesagt:

Auf, auf, Christ! Ein römischer Kaiser, Colas, sterbet nicht, den Hintern auf seiner Matratze. Sursum corda! Die Flaschen sind leer. Consummatum est. Hier ist nichts mehr zu tun. Wohlan, lasset uns darumb heraußen die Kohlköpfe mit einer zierlichen Ansprache beehren.

Und gleichermaßen dünket mich, ich hätt Knoblauch pflücken wollen, sintemalen der ein fürtreffliches Mittel gegen die Pest geheißen wird, oder dieweil ich mich aus Mangel an Wein mit Knoblauch begnügen wollt. Das ist gewiß, kaum hatte ich mit dem Fuß und gleich darauf mit dem Sitzfleisch die fruchtbringende Erde berühret, so fühlete ich mich umfangen von der Bezauberung der Nacht. Der Himmel, gleichwie ein runder, dunkler, großer Nußbaum, breitete seine Kuppel über mir. An seinen Zweigen hingen zu tausend Früchte. Weich gewiegt, gleich blinkenden Äpfeln, reiften die Sterne in der laulichten Finsternis. Die Früchte meines Obstgartens erschienen mir wie Sterne. Alles neigte sich mir zu, mich zu betrachten. Ich fühlete von tausend Augen mich umspäht. Ein Kichern lief durch die Reihen der Erdbeerbeete. Im Baum ober mir sang eine kleine, rotgoldene Birne mit einem feinen, zuckersüßen Stimmlein:

»Wegerich,
verwurzle dich,
kleiner Wicht,
wie des Weines grüne Winde,
schlinge dich um meine Rinde,
schwinge dich hinauf geschwinde,
mit der Erde dich verbinde,
kleiner Wicht,
verwurzle dich!«

Und aus allen Zweigen des himmlischen und irdischen Gartens wiederholte ein Chor kleiner, flüsternder, zwitschernder und singender Stimmchen:

»Verwurzle dich,
verwurzle dich!«

Da wühlte ich die Arme tief in meine Erde und sagte: »Willst du mich? Ich bin bereit.«

Bis an die Ellbogen drang ich tief in meinen fetten, weichen, lieben Boden. Er gab nach gleichwie ein Busen, und ich wühlte mich mit den Knien und Händen hinein. Ich umschlang ihn mit den Armen, ich drückte mein Abbild von Kopf bis zu Fuß darinnen ab. Ich machte mein Bett darin und schmiegte mich hinein. Lang ausgestreckt, schaute ich mit offenem Munde zum Himmel und seinen Sternentrauben empor, als wartete ich darauf, daß eine von ihnen mir ins Maul tropfen sollte. Die Julinacht sang das hohe Lied der Liebe. Ein trunkenes Grillchen schrie wie besessen. Plötzlich ertönte die Stimme von Sankt Martin und schlug die zwölfte Stunde; oder waren's gar vierzehn oder sechzehn? (Zweifelsohne war es kein gemeinliches Geläute.) Und siehe, da begannen alle Sterne, die von oben und die aus meinem Garten, zu klingen. Gott, was für eine Musik! Mir schlug das Herz zum Zerspringen, und meine Ohren dröhneten gleich Fensterscheiben, wann's donnert. Und aus der Tiefe meiner Grube sehe ich einen Wurzel-Jesse-Baum, einen mit Trauben dunkel befiederten Rebstock, sich kerzengerade in die Höhe richten. Mich dünkt, er wachse aus meinem Bauche, und ich wachse mit ihm. Und singend gibt mir der ganze Obstgarten das Geleite. Ein Stern, an der obersten Spitze des Rebstockes aufgehängt, tanzt wie ein Rasender, und ich, den Kopf nach hinten gelehnet, daß ich ihn sehe, daß ich ihn fasse, klettere in die Höhe und schreie aus voller Kehle:

»Traube du, aus meinem Garten,
wirst du warten!
hurtig, Colas,
bist schon nah!
Halleluja!«

Mich bedünket, einen Teil der Nacht habe ich solchermaßen mit Klettern verbracht, dieweil ich, als man mir später sagte, stundenlang gesungen hab. Ich sang mancherlei, Profanes und Heiliges. Ein De profundis und ein Hochzeitskarmen. Weihnachtslieder und Lobgesänge. Einen Tusch, eine Polka, erbauliche Gesänge und andere, so derb und leichtfertig waren. Ich spielte die Leier und den Pfeifsack. Ich schlug die Trommel und blies die Trompete. Die herangelaufenen Nachbarn hielten sich den Bauch vor Lachen und sagten:

»Was Lärmens! Das ist Colas, der sich von hinnen machet. Er ist närrisch, gänzlich närrisch!« ...

Des andern Tags ließ ich, als man zu sagen pflegt, der Sonne den Vortritt. Ich überließ ihr das Recht, als erste aufzustehen. Es war Mittag, als ich erwachte. Ach, mit welcher Lust, Freundlein, gewahrte ich mich noch in der Tiefe meines Eigentums. Nicht zwar, daß das Lager war sonderlich weich gewesen oder mir mein Kreuz nicht verdammt wehgetan hätte. Aber wie wohl tut es, so man sich zu sagen vermag, man habe sein Kreuz noch. Wie, Breugnon, alter Freund, du bist noch nicht auf und davon? Lasse dich umarmen, mein Sohn. Laß mich diesen deinen Körper, deine tapfere kleine Schnauze befühlen. Bist du es wahrlich? Was bin ich des froh! So du von mir gegangen wärst, Colas, wahrlich, nimmer hätt ich mich darob zu trösten vermocht. Gegrüßet seist du und mein Garten! Meine Melonen lachen mich voll Lust an. Reifet nur, ihr Guten!

Indes, ich werde aus meinen Betrachtungen gerissen, denn zwei dämische Störenfriede rufen von der andern Seite der Mauer herüber:

»Breugnon, bist du tot?«

Wollet ihr glauben, daß diese Banditen mich vierzehn Tage lang in meinem Turm eingesperrt hielten, bis sie für gewiß erachteten, daß mir nichts Krankes anhafte. Die Wahrheit zu sagen, muß ich hinzufügen, sie ließen mich an nichts Mangel leiden, nicht an Manna noch auch an Bergwasser (ich meine des guten Noah), und sie gewöhneten sich gar dazu, abwechselnd unter mein Fenster zu kommen, und erzähleten mir die Zeitung des Tags.

Wann ich endlich wieder heraus konnte, sagte der Pfarrer Chamaille zu mir:

»Mein viellieber Freund, der große Sankt Rochus hat dich errettet. Du vermagst nichts minderes, denn zu ihm gehen und ihm danken. Tue es, ich bitte dich darumb.«

Ich widersetzete:

»Ich halte vielmehr davor, es war Sankt Irancy, Sankt Chablis oder Sankt Pouilly.«

»Nun wohl, Colas«, sagt er, »also wollen wir uns auch darein begeben. Teilen wir uns in die Geschichte. Geh du um meinetwillen zum heiligen Rochus. Ich werde um deinetwillen den Flaschenheiligen meinen Besuch verstatten.«

Als wir alsdann solche doppelte Pilgerfahrt selbander unternahmen (der getreue Paillard vervollständigte das Trio), sagte ich:

»Gestehet nur, Freunde, jenes Tages, als ich euch um den Reisetrunk bat, da hättet ihr minder gern mit mir angestoßen. Ihr schienet mitnichten geneigt, mit mir zu kommen.«

»Ich habe dich lieb«, sagte Paillard, »das schwöre ich dir. Indes, was willst du? Ich liebe auch mich selbst. Wie heißt es doch gar trefflich: Das Hemd ist mir näher als der Rock.«

»Mea culpa, mea culpa«, murmelte Chamaille und schlug seine Brust, als wollte er einen jungen Esel antreiben. »Ich bin ein Hasenfuß, solches ist nun einmal meine Anlage.«

»Was ist dir von den Lehren des Cato geblieben, Paillard? Und wozu, Pfaffe, war dir deine Religion nütze?«

»Ach, lieber Freund, es lebet sich so lieblich«, sagten sie beide mit einem großen Seufzer.

Da umarmten wir uns alle drei lachend und sagten: »Ein braver Mensch ist noch kein Held. Man muß ihn nehmen, wie er ist, Gott hat ihn geschaffen! Er hat's wohlgemacht.«


 << zurück weiter >>