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Mitte Februar
In Bälde wird mein Keller leer sein. Die Soldaten, so unser Herzog, Herr von Nevers, uns zur Verteidigung sandte, haben eben mein letztes Faß angezapft. Nun denn, verlieren wir keine Zeit und trinken wir mit ihnen! Mich zugrunde richten, gut, das will ich tun, indes auf lustbare Weise. So geschieht mir's nicht zum erstenmal! Gefallet es Gottes Güte, wird's auch nicht das letztemal gewesen sein.
Die braven Burschen! Nun, da ich ihnen kundtue, daß der Wein zur Neige geht, sind sie betrübter noch als ich. Ich kenne etliche unter meinen Nachbarn, die solcher Verlust gar leidvoll stimmet. Mir kann er nimmer etwas anhaben. Dazu bin ich allzu, abgebrüht. Zu oft in meinem Leben habe ich das Spektakel gesehen. Ich vermag nimmer, die Komödianten ernst zu nehmen. Gar unterschiedliche dieser Soldatenfratzen habe ich zu schauen bekommen, seit ich auf der Welt bin: Schweizer, Deutsche, Gaskogner, Lothringer, lauter Kriegsvolk, den Harnisch auf dem Buckel und die Waffe in der Faust. Diese Vielfresser, diese ausgehungerten Windhunde, die es niemalen müde werden, den schlichten Bürger auszuplündern. Wer hat je erkunden können, um welcher Ursach sie sich eigentlich schlagen? Heute für den König, morgen für die Liga. Einmalen sind's die Pfaffen, zu andern Malen die Hugenotten. Sie sind sich alle gleich. Der Beste von ihnen ist den Strick zum Hängen nicht wert. Was kümmert uns, ob dieser oder jener Räuber dem Hof mit Schelmenstreichen zusetze? Und wenn ich gar ihrer Anmaßlichkeit denke, mit der sie den lieben Gott in ihre Händel mengen! ... Potz Zickel! Lasset den lieben Gott nur ruhig machen, liebe Leute, er ist alt genug! So euch das Fell juckt, gerbt es euch selbander. Gott seid ihr nicht vonnöten. Der weiß sich schon zu helfen, sofern ich recht unterrichtet bin. So's ihm beliebt, wird er sich Selbsten kratzen, wann's ihn juckt.
Das ärgste ist, daß sie vermeinen, auch mich dazu zu drängen, ihn über den Löffel zu barbieren! Herrgott, ich ehre Euch und glaube ohn Rühmens, daß wir einander mehrer denn einmalen am Tage begegnen. Dafern nämlich das Sprichwort, das gute, gallische Sprichwort, wahr ist: ›Wer da trinket guten Wein, dem schaut Gott ins Herz hinein.‹ Niemalen aber fiele mir bei, gleich jenen Gleißnern zu sagen, daß ich Euch gut kenne, daß Ihr mein Vetter seid, daß Ihr mich zum Vertrauten all Eurer Angelegenheiten machet. Ihr werdet mir gerechtsamerweis zugeben, daß ich Euch in Frieden lasse, und alles, was ich verlange, ist, daß Ihr desgleichen tuet. Wir haben beide genugsam zu schaffen, um Ordnung in unserm Haus zu halten, Du in Deinem Weltall, ich in meinem kleinen Reich. Herrgott, Du hast mich frei geschaffen, ich lasse Dir dasselbige Recht. Aber sieh einer, da kommen diese Schelme und tun, als wenn ich für Dich das Wort führete, wollen gar, daß ich sage, wie Du genommen sein willst, und daß ich den, so Dich anders nimmt, für Deinen Feind wie für den meinigen erkläre. Für meinen Feind? ... Mitnichten! Ich hab nie keinen. Alle Menschen sind meine Freunde. Schlagen sie sich, so ist das ihre Sach. Ich, für mein Teil, bleib aus dem Spiel ... ja, wenn es geht! Denn solches ist gerade, was das Lumpenpack nicht will. Wann ich des einen Feind nicht bin, habe ich sie beide zu Feinden. Nun denn, in Gottes Namen! Maßen ich zwischen zwei feindlichen Lägern müßt immer der Geschlagene sein, schlagen wir halt Selbsten drein. Auch das ist mir lieb. Ehe wir Amboß sind, lasset uns lieber Amboß und dann Hammer sein.
Doch sage mir einer an, zu wes Nutzen all dies Gesindel auf der Erde herumläuft, diese Edelmarder, diese Politiker, diese großen Herren, die unser schönes Frankreich verheeren, die, indes sie seinen Ruhm verkünden, ihm gründlich die Taschen leeren. Die, nicht gesättigt, wenn sie an unserm Scherflein nagen, auch noch fremde Kornböden auffressen wollen, sintemalen sie Deutschland bedrohen, sich's nach Italien gelüsten lassen und ihre Nasen in den Harem des Großsultans stecken. Die halbe Erde möchten sie gar verschlucken, verstehen indes noch nicht einmal, Kohl darauf zu pflanzen! Aber nur ruhig Blut, Freundchen, werde nicht zornmütig. Alles ist gut also wie es ist ... bis wir es eines Tages besser machen werden (was so balde sein wird wie irgend möglich).
Auch das jämmerlichste Vieh ist zu etwas nutz.
Ich hab erzählen hören, daß der liebe Gott (aber ich spreche heute nur von Dir, Herr), als er eines Tages mit Petrus spazierenging, in der Vorstadt Beyant Populärer Name in Clamecy für die Vorstadt Bethlehem. auf der Schwelle ihres Hauses eine Frau sitzen sah, die müßig ihrer Langeweile nachhing. Die Zeit ward ihr so lang, daß unser Herrgott in seiner Herzensgüte sich die Tasche durchsuchte, eine Handvoll Flöh herauszog, sie ihr zuwarf und sagte: »Nimm, meine Tochter, verlustiere dich damit«; alsobald ermunterte sich die Frau und begann zu jagen. Und jedwedes Mal, wann sie solch ein Vieh erwischte, lachte sie vor Behagen. – Zweifelsohne ist solches die gleiche Art von Barmherzigkeit, als wann der Himmel uns zur Kurzweil diese zweibeinigen Bestien schenket, so an unserm Fell nagen. Wohlan denn, lasset uns fröhlich sein, juchhe! Ungeziefer ist, so scheinet, ein Zeichen von Gesundheit. Ungeziefer sind auch die, so uns beherrschen. Freuen wir uns, Brüder: denn folglichermaßen ist niemands gesünder denn wir ... und überdies, das sag ich euch (ins Ohr): Nur Geduld, wir überdauern das Arge.
Der Kälte, dem Frost, dem Geschmeiß aus den Feldlägern als dem vom Hofe, gehöret nur eine kurze Zeit; es wird vergehen. Die gute Erde aber bleibet, und wir gleicherweis, um ihren Schoß zu befruchten. Mit einem einzigen Wurf wird sie alles wieder gutmachen. Mittlerweil lasset uns den Rest aus meinem Fasse trinken. Man muß Platz schaffen für die kommenden Weinlesen.
Meine Tochter Martine sagt mir:
Du bist ein Prahlhans. Höret man dich, so sollte man vermeinen, du schafftest nur mit dem Maul, könntest nur gaffen, schwatzen, klatschen, wie ein Glockenschwengel in Bewegung sein, vor Durst ewig das Maul aufreißen und Maulaffen feilhalten; lebtest nur um Gastereien willen, versäuftest Haus und Herd _ – und gleichwohl vermagst du nicht einen Tag ohn Arbeit zu sein. Du möchtest, daß man dich für einen lockeren Zeisig, für leichtfertig, vertuend, liederlich erachte, für jemanden, so nicht weiß, was in seine Geldkasse einkommt, noch was wieder heraußengeht – und gleichwohl würdest du krank werden, so nicht alles in deinem Tage würd genauestens geschehen wie am Glockenspiel der Turmuhr. Du weißt auf den Pfennig, was du seit Ostern Jahrs zuvor ausgegeben, und niemand hat noch den gesehen, der dich übers Ohr gehauen hätt ... ach, du unschuldsvoller Engel, du Brausekopf, seh mir einer das schöne Lämmlein an. Von solchen Lämmern braucht's nur drei, damit ein Wolf erwürget sei»– Ich lache, ich antworte der Dame Plapperschnut nicht. Sie hat recht, das Kind! ... Indes, sie tut nicht recht, es auszusprechen; aber eine Frau verhehlet nur, was sie nicht weiß, und sie kennt mich, dieweil ich sie geschaffen! Wohlan, Colas Breugnon, gesteh es zu, mein Junge, magst du auch gar mannigfaltige Narreteien treiben, du wirst nie kein ganzer Narr werden. Ei freilich, gleichwie jeder andere, also hast auch du ein weniges von Narretei in deiner Tasche verborgen. Du lassest es herfürschauen, so es dir beliebet, aber du lassest es wieder verschwinden, wann du die Hände frei und den Kopf zum Arbeiten benötigest. Gleichwie alle Franzosen hast auch du den Sinn für Ordnung und Vernunft so fest in deinem Schädel verankert, daß du wohl einmalen zu deinem Ergötzen den Tollhans spielen kannst. Die Geprellten (die armen Teufel) sind dabei nur die Leute, so dir offenen Mundes zuschauen und die es gelüstet, es dir gleichzutun. Schöne Reden, rollende Verse, himmelstürmende Pläne sind gar ergötzliche Dinge: man begeistert sich, man fängt Feuer. Indes, wir verbrauchen solcherweis nur unser Kleinholz und bewahren die großen Klötze fein säuberlich geschichtet in unserm Holzschuppen. Meine Phantasia vergnüget sich, da sie meiner Vernunft, die ihr bequem zurückgelehnet zuschauet, ein Schaustück gibt. Alles dienet zu meiner eigenen Kurzweil. Das ganze Weltenall ist mein Theater, und ohne daß ich mich von meinem Sitz erhöbe, folge ich der Komödia, bedenke Matamora oder auch Francatippa mit Beifall, erfreue mich der Turniere und des königlichen Prunkes und rufe den Leuten da capo zu, so sich da droben die Hälse brechen. Alles zu meinem eigenen Ergötzen! Auf daß ich dieses noch vermehre, stelle ich mich, als spiele ich in dem Stücklein mit und sei guten Glaubens dabei. Aber ich hüte mich gar wohl; ich glaube nur genau so viel davon, als not tut, um meinen Spaß zu haben. Gleichweis vergnüge ich mich der Ammenmärchen von den lieben Feen ... aber nicht alleinig derer, die von Feen reden ... Da ist z. B. ein hoher Herr – dort droben in den himmlischen Gefilden – wir ehren ihn überaus, und wann er mit Kreuz und Banner vor sich her beim Klang seiner Gebete durch unsere Straßen wandelt, behängen wir die Mauern unserer Häuser mit weißen Tüchern. Aber unter uns ... hüte deine Zunge, Schwätzer! Das klingt nach Ketzerei ... Herr, ich will nichts nicht gesaget haben, ich mache Dir meine Reverenz.
Ende Februar
Nachdem der Esel die Wiese abgegrast hatte, sagte er, nunmehr habe er nicht nötig, sie zu hüten, und machte sich auf eine nachbarliche Wiese, sie abgrasen (hüten, wollt ich sagen). Herrn von Nevers' Besatzung ist heutigen Morgens abmarschiert. Es war eine Lust, sie zu betrachten, also dick und wohlgenährt, gleich Mäusen im Speck, sahen sie aus. Ich war stolz auf unsere Küche. Wir trenneten uns voneinander in herzinnigem Einvernehmen. Sie haben uns tausend gute und artige Wünsche ausgesprochen, auf daß unser Korn gedeihe, unsere Rinder fett werden und unsere Reben nicht erfrieren mögen.
»Arbeite nur tüchtig, Onkelchen«, sagte Fiacre Bolaire, der Sergeant, so bei mir einquartiert war (den Namen Onkel hat er mir gegeben, und ich habe ihn gar wohl verdient: denn der ist wahrlich mein Onkel, der mir den Wanst ordentlich vollstopfet), »laß dich der Mühe nicht verdrießen und beschneide deinen Wein; am Sankt-Martins-Tag kommen wir wieder, ihn zu trinken.«
Die braven Burschen! Sind immer bereit, einem ehrlichen Manne zu Hilfe zu kommen, so er bei Tische im Kampf mit seinem Trinkbecher lieget.
Seit sie fort sind, ward uns das Herz leichtlicher. Weislich öffnen nunmehr die Nachbarn ihre Versteckwinkel. Alle, so in den letzten Tagen Fastenmienen zur Schau getragen und vor Hungers gestöhnet hatten, gleichwie als rumore ein Wolf in ihrem Bauche, bringen jetzo, unter dem Stroh der Bodenkammer oder aus der Erde im Keller, noch etliches herfür, das zu des Lebens Notdurft gehöret. Da ist keiner so bettelarm, als daß er nicht bei gar schrecklichem Gejammer, daß ihm schier nichts, schier gar nichts bliebe, hätt Mittels gefunden, seinen fürtrefflichen Wein irgendwo zu verstecken. Ich selbsten – wie solches geschehen könnt, weiß ich mitnichten – (mein Gast Fiacre Bolaire war kaum abmarschiert, und ich hatte ihm bis zum End der Vorstadt Judäa das Geleit gegeben) – erinnerte mich plötzlich, dieweil ich mich vor den Kopf schlug, an ein kleines Faß Chablis, so aus Versehen, auf daß es warm bleiben möge, unter dem Pferdemist war vergessen worden. Ich war, wie man sich fürstellen kann, überaus betrübet deswegen. Indes, wann das Unglück ist geschehen, so ist's getan, und wohlgetan. Ich schickte mich ganz wohl darein; ach, Bolaire, mein armer Neffe, was ist dir da entgangen! Welch köstlicher Nektar, welche Blume! Aber du sollst mitnichten zu kurz kommen, nein, viellieber, lieber Freund, nein, nein, du kommst wahrlich nicht zu kurz: ich trinke es auf dein Wohl.
Von Haus zu Haus erstattet man sich nunmehr freundnachbarliche Besuche! Man weiset sich den glücklichen Fund, so man in seinem Keller gemacht hat; und gleichwie die Auguren blinzelt man unter Beglückwünschungen einander zu. Man erzählet von zugefügter Unbill und von den Damen. (Von den Damen und von der ihnen zugefügten Unbill.) Die, so den Nachbarn geschehen, ergötzet uns und tröstet über die eigene hinweg. Man erkundet sich bei Vincent Fluviant nach dem Ergehen seines Weibes. Ein absonderlicher Zufall will's, daß jedwedes Mal nach dem Durchmarsch von Truppen durch die Stadt diese tapfere Gallierin ihr Gurtband weitet. Man beglückwünschet den Vater, man bewundert die zeugende Kraft seiner Lenden, dieweil die gemeinigliche Wohlfahrt darniederliegt, und freundwillig, zum Pläsier, ohne tückische Gedanken, schlage ich dem Schelm, den Fortuna begünstigt, auf den dicken Wanst, indes ich sage, sein Haus sei das einzige, in dem der Bauch sich füllet, dieweil alle anderen geleeret werden. All dieses zum Spaß, wie billig und ganz unauffällig, den Dummen spielend und nur im Geflüster von einem zum andern. Aber Fluviant nimmt unsere Komplimente übel auf und saget, ich täte besser, auf mein Weib ein Auge zu haben. Hierauf erwidere ich, daß betreffs ihrer der glückliche Eigentümer auf beiden Ohren schlafen könne sonder Furcht, man könne ihm seinen Schatz rauben. Des waren alle einer Meinung.
Doch siehe da, die Karnevalstage sind kommen. So schlecht gerüstet man sein mag, jetzo heißt es, ihnen Ehre antun. Der gute Ruf der Stadt und unser eigener steht auf dem Spiele. Was würde man von Clamecy, berühmet wegen seiner Würste, sagen, wenn's uns zu Fastnacht an Würsten mangelte. Man hört's in den Backöfen brutzeln, ein lieblicher Duft von Fett durchdringet die Luft der Straßen. Springe, Krapfen, nur immer höher, springe für meine kleine Glodie!
Ein Rattaplan, Rattaplan der Trommel, ein Tirreli, Tirreli von Flöten, Lachen und Scherzen. Das sind die Herren aus Judäa Judäa ist der Spitzname, den man der Vorstadt Bethlehem gegeben hat, die die Flößer von Clamecy bewohnen. Rom ist die obere Stadt, so genannt nach der Treppe Alt-Rom, die vom Platz der St.-Martins-Kirche herabsteigt., die auf ihren Wagen daherfahren, Rom einen Besuch abzustatten. Voran marschieren die Musik und die Hellebardiere, die, immer die Nase voran, die Menge zerteilen; Rüsselnasenmasken siehet man da, Nasen gleich Lanzen so spitz, Nasen gleich Jagdhörnern, Nasen wie ein Blasrohr, stachlige Nasen und Nasen mit Knollen oder gar solche, die Vögel ob ihrer Spitze tragen. Sie puffen und knuffen in die Reihen der Gaffer, wühlen sich in die Röcke der kreischenden Mägde. Jetzo aber fliehet alles auseinander, sintemalen der König der Nasen kommt; der stößt gleich wie ein Bock und drehet seine Nase auf einer drehbaren Lafette, gleich einer Donnerbüchse, hin und wieder. Nunmehr folget der Wagen der Fastenzeit, der Herrscherin aller Fischesser. Breite, kreidige, fleischlose Gesichter siehet man da, bärbeißig in Mönchskutten steckend, unter der Kapuze vor Frost klappernd, und solche, so wie Fischköpfe herausstaffiert sind. Gar mannigfache Fische gibt es allda! Der hält in jedweder Faust einen Barsch oder einen kleinen Karpfen; jener andere schwinget auf einer Fischgabel einen Haufen Gründlinge, ein dritter stellt in der Hauptsache einen Hecht aus, aus dessen Maul ein Weißfisch heraushängt und der sich, mit einer Säge entbindend, den Bauch aufschlitzt, in dem's von Fischen wimmelt. Mir wird ganz schlecht davon. Andere reißen sich das Maul mit den Fingern noch größer auf, als es schon ist, und ersticken schier, indem sie sich Eier in die Gurgel stopfen, die fürder nicht hineinwollen.
Und rechts und links oben auf dem Wagen Fledermausmasken, Kapuzenträger, Fischer, die an einer Schnur die Gassenbuben angeln; die springen gleich Zicklein und recken die Mäuler in die Höh, auf daß sie flugs eine kandierte Birne oder Zuckerwerk erhaschen und krach, krach knacken. Und hintennach tanzet ein Teufelskerl, als Koch gemaskieret. Er schwingt einen Kochtopf und einen Kochlöffel und füttert mit einem schandbaren Fraß sechs barfüßige Höhlenbewohner, so im Gänsemarsch hinterdrein marschieren und ihre grinsenden Fratzen, geschmückt mit baumwollenen Mützen, durch die Sprossen einer Leiter stecken.
Doch da sind sie, die Triumphatoren, die Helden des Tages. Auf einem Thron von Schinken und Räucherzungen erscheinet die Königin der Würste mit einer Krone aus Zervelatwürsten, den Hals gezieret mit einem Rosenkranz aus aufgereihten Würstlein, damit sie liebäugelnd mit ihren dicken Wurstfingern spielt; sie ist geleitet von ihren Lakaien, den Weißwürsten, den Blutwürsten, den Clamecyer Kalbswürsten, die von ihrem Obersten, dem großen Wurstvertilger, zum Siege geführt werden. Mit Bratspießen und Spicknadeln bewaffnet, dick, fett und glänzend, gehen sie mit gewichtiger Miene einher. Gar gern schaue ich auch jene Würdenträger, dero Bauch ein Kochtopf oder dero Leib aus Pastetenteig ist und die, gleich den heiligen drei Königen, der eine einen Schweinskopf, der andere ein Gefäß dunkelroten Weines, der dritte einen Senftopf tragen. Beim Lärm der Blechmusik, der Zimbeln, Schaumlöffel und Bratpfannen erscheinet unter männiglichem Gelächter auf seinem Esel der Herzkönig, Freund Fluviant Vincenz; er ist der Auserkorene, ihn hat man erwählet. Rücklings sitzend, einen großen Turban auf dem Kopf, einen Becher in der Hand, lauscht er seiner Garde von Flößern, so als gehörnte Teufel, Hacken und Stangen über der Schulter, drauflosschwadronieren und in lautem, frankem Französisch schier unverhüllt seine Geschichte und seinen Ruhm künden. Als weiser Mann bezeiget er dabei keinerlei auffallenden Stolz, gleichmütig trinket er, gießt seinen Humpen Wein hinunter, doch wann er an einem Hause vorüberkommt, so von dem gleichen Glücke betroffen ward als er, erhebt er sein Glas und ruft: »Holla, Gevatter, auf dein Wohl!«
Letztlich, um den Festzug zu beschließen, erscheint der holde junge Frühling. Ein frisches, lachend und rosig Jüngferlein mit heiterer Stirn, blonden Haaren, hellgelbe Schlüsselblumen auf dem krausen Gelock, um ihre kleinen runden Brüstlein kreuzweiß geschlungen grüne Kätzchen, so man von den Haselnußstauden nahm. Einen vollen klingenden Geldbeutel im Gürtel und einen Korb in den Händen, schreitet sie singend einher, die hellen Augenwimpern emporgeschlagen, also daß ihre Augen von zartem Himmelsblau weit offen stehen. Den Mund gleichwie ein O über ihren messerfeinen Zähnlein geöffnet, singt sie mit einem kleinen dünnen Stimmlein von der Schwalbe, so bald wiederkehren wird. Neben ihr auf dem Wagen, den vier große weiße Ochsen ziehen, artige junge Kinder, recht im Stand und recht an ihrem Platz, schöne, kecke Geschöpfe mit geschmeidigen, anmutigen Körpern, und junge Mägdlein zur Wachstumszeit, die gleichwie junge Bäume nach allen Seiten aufgeschossen sind (jeder fehlt's noch an etlichem, gleichwohl aber war das übrige ein trefflich Fressen für den Wolf), gar liebreizende Jungfräulein! In Käfigen tragen sie Zugvögel, und aus dem Korb der Frühlingskönigin schöpfend, werfen sie unter die gaffenden Zuschauer Kuchen, Überraschungen, Knallbonbons, darinnen kann man Mützen, Papierkleider und Zuckerwerk entdecken, kann in ihnen die Zukunft lesen, Liebesverse oder wohl gar – Hörner finden.
Unten am Markt, beim Turm angelangt, da springen die Jüngferlein vom Wagen und tanzen auf dem Platz mit den Schreibern und den Kaufmannsgehilfen, mit Ladenrittern und fürnehmen Herren, dieweil Prinz Karneval, der Fastenwagen und der König der Gehörnten ihren Triumphzug vollenden. Allerorts verweilend, auf daß sie den Leuten die Wahrheit sagen oder um sie auf dem Grunde des Bechers zu suchen ...
A Wein! A Wein! A Wein!
Gibt's ein »Gott behüt'« ohn Wein?
Nein!
Die Burgunder sein nicht krank,
gehen niemal voneinand ohne Trank!
Indes, vom reichlichen Begießen wird die Zunge schwerflüssig, und die hitzige Närrischkeit sinket. Ich lasse Freund Vincenz und sein Geleit im Dunkel eines Weinkellers eine neue Rast nehmen. Der Tag ist zu prächtig, um im Zimmer eingesperrt zu verweilen. Laßt uns die frische Luft im freien Feld genießen!
Mein alter Freund, der Pfarrer Chamaille, so in seinem Eselsgefährt aus seinem Dorf gekommen ist, bei dem Herrn Erzbischof von St. Martin Zechgelage zu halten, ladet mich ein, ihn ein Stück Wegs heimwärts zu geleiten. Ich nehme meine Glodie mit. Wir klettern in den Rumpelkasten. Vorwärts, kleine Eselin! Sie ist so winzig, daß ich vorschlage, sie in den Wagen zu nehmen, meine Glodie und mich davor ... Der weiße Weg dehnet sich vor uns hin. Die müde Sonne schlummert. Sie wärmt sich an ihrem Feuer mehr, als sie uns erwärmet. Auch der Esel schläft ein und bleibt stehen, um nachzudenken. Der Pfarrer mit seiner großen Brummbaßstimme ruft ihn unwirsch an: »Madelon!«
Der Esel fährt zusammen, zieht ein Bein nach dem andern hoch, geht im Zickzack zwischen zwei Wagenspuren, bleibt abermalen stehen und überläßt sich, ohn unserer Vorwurf zu achten, seinen Betrachtungen.
»Ei du verfluchtes Vieh!« schmält ihn Chamaille, sein Herr, und traktiert ihn mit Hieben. »Wie wollte ich dir meinen Knüppel auf dem Rücken zerbrechen, trügest du nicht das Zeichen des Kreuzes darob!«
Um uns auszuruhen, machen wir im ersten Wirtshaus bei der Wegbiegung eine Rast. Von dorten steiget der Weg nach dem weißen Dörflein Armes hinab; das spiegelt sein artiges Frätzlein in klarem Gewässer. Auf einem nachbarlichen Feld vollführen etliche Dirnen einen Rundtanz um einen großen Nußbaum, der sich gar mächtig ausbreitet und seine schwarzen Arme und sein prächtiges, entlaubtes Gezweig gen den weißgrauen Himmel emporrecket. Tanzen wir mit! ... Sie haben der Gevatterin Elster ihre Fastnachtskrapfen gebracht.
»Schau, Glodie, schau die Schwätzerin, die Elster da oben, ganz da oben, mit ihrem weißen Vorhemdlein, auf dem Rand ihres Nestes, wie sie sich herabwärtsbeuget, um zu sehen, was da geschieht. Die Neugierige! Auf daß ihren kleinen, runden Augen und ihrer geschwätzigen Zunge nur ja nichts entgehet, hat sie ihr Haus schier ohne Türen und Fenster, allen Winden offen, ganz hoch oben in den Zweigen gebaut. Sie ist erstarrt, durchnäßt, indes, was tut das? Sie kann alles sehen. Sie ist schlechter Laune. Sie scheint zu sagen: Was tue ich mit euren Gaben, nehmt sie von hinnen, ihr Dorfbewohner. Vermeinet ihr, wann ich Lust auf eure Krapfen hätt, ich vermöchte nicht, sie mir bei euch zu holen? An dem, so man mir bringet, finde ich mitnichten Wohlgefallen. Nur das, was ich stehle, macht mir Eßlust.«
»Ja, Großvater, was gibt man ihr diese Krapfen mitsamt den schönen Bändern, warum dem Dieblein auch noch zu seinem Namenstag Glück wünschen?«
»Dieweil es im Leben klüger ist, siehst du, mit den Bösen in gutem Vernehmen zu stehen denn in schlechtem.«
»Ei, Colas Breugnon, du lehrest sie gar schöne Dinge«, schilt der Pfarrer Chamaille.
»Ich sage ihr nicht, daß solches gut sei; ich sage ihr, alle machten es solcherweis. Und du, Pfarrer, als erster. Ja, rolle die Augen. Hast du mit einer von deinen Betschwestern zu tun, die alles sehen, alles wissen, ihre Nas in alles stecken, dero Mund gleichwie ein voller Sack mit Bosheiten ist, so wirst du mitnichten behaupten wollen, daß du ihnen, um sie zum Schweigen zu bringen, mit Fastnachtskrapfen nicht das Maul stopfen würdest.«
»Ach du gütiger Gott, wann es damit getan wär!« ruft der Pfarrer.
»Ich habe Frau Elster verleumdet, sie ist mehrer wert denn ein Weib. Ihre Zunge ist zumindest hie und da zu etlichem gut.«
»Wozu denn, Großvater?«
»Kommt der Wolf, so schreit sie.«
Und siehe da, just bei diesen Worten beginnet die Elster zu schreien, sie tobet, fluchet, schlägt mit den Flügeln, flattert umher, bedenket Gott weiß wen, Gott weiß was im Tal von Armes mit Schmähreden. Vom Waldrande antworten ihre gefiederten Gefährten, der lustige Brachvogel und Colas, der Rabe, in dem gleichen scharfen und gereizten Ton. Die Leute lachen, die Leute rufen: »Der Wolf!« Niemand glaubt daran. Gleichwohl geht man nachsehen (glauben ist gut, aber sehen ist besser). Und was sieht man? ... Potz Wetter noch mal! Einen Haufen Bewaffnete, so den Hügel erklettern. Wir erkennen sie wohl. Das sind jene Schelme, die Truppen aus Vezelay, die, sintemalen sie unsere Stadt ohne Besatzung wissen, vermeinen, sie vermöchten den Vogel (aber nicht den, so wir just beredeten) im Neste zu fangen. Ich bitt euch zu glauben, wir verweileten nicht bei ihrer Betrachtung. Jedweder ruft: »Rette sich, wer kann!« Man stößt sich, schlägt sich; man reißt aus also schnell als nur möglich, auf die Straße, über die Felder hinweg; der auf dem Bauche rutschend, ein anderer auf der Kehrseite seiner geschätzten persona. Wir springen in unsern Eselswagen. Madelon, als wann sie verstünde, um was es gehe, schießt gleichwie ein Pfeil davon. Der Pfarrer Chamaille in seiner Erregung peitscht aus Leibeskräften auf sie drein, hat jede Erinnerung an die Fürsicht verloren, die man einem solchen mit dem Kreuz gezeichneten Eselsrücken schuldet. Wir rollen durch eine Flut von Menschen, die überaus durcheinanderschreien; und mit Staub und Ruhm bedecket, ziehen wir als die ersten in Clamecy ein, die übrigen Flüchtlinge uns auf den Fersen. Und noch immer im Galopp, dieweil der Wagen hin und wider springt, MadeIon vor dem peitschenden Pfarrer den Boden schier nimmer berührt, durchqueren wir das Dorf Beyant und schreien: »Der Feind kommt!«
Die Leute, so uns vorüberkommen sahen, lacheten vorerst. Aber sie brauchten nicht lange, um zu begreifen. Im Nu ward es gleichwie in einem Ameisenhaufen, darein man mit einem Stock sticht. Jedweder rührete sich, lief heraus, herein und wieder heraus. Die Männer bewaffneten sich, die Weiber packten alles zusammen, und die Sachen häuften sich in Kiepen und Karren. Die ganze Bevölkerung der Vorstadt wollte sich nimmer auf ihre Hausgötter verlassen und strömte in die Stadt, in den Schutz der Mauern zurück; die Flößer ohn ihre Kostüme, ohn ihre Masken abzulegen, mit Hörnern, Klauen, den Bauch vollgeschlagen, der als Gargantua Gargantua: Riese in einem Roman von Rabelais., jener als Beelzebub, liefen mit Hacken und Spießen bewaffnet zu den Schanzen. Also eilends, daß, als die Vorhut des Herrn von Vezelay vor den Mauern anlangte, die Brücken hochgezogen waren und auf der andern Seite des Grabens nur noch ein paar arme Teufel zurückblieben, so nichts nicht zu verlieren hatten und sich darumb nicht weiter beeilet hatten, in Sicherheit zu kommen, außerdem der Herzkönig, unser Freund Fluviant, von seinem Gefolge vergessen, der dick und rund wie Noah und bis an den Hals vollgesoffen auf seinem Esel schnarchte, des Schwanz er in der Hand hielt.
Solchermaßen erkennet man, was für Vorteile man hat, so man gute Franzosen als Feind sich genüber findet. Die andern Tölpel, Deutsche, Schweizer oder Engländer, so ihr Begriffsvermögen an der Leine hinter sich dreinziehen und zu Weihnachten verstehen, was man ihnen zu Allerheiligen erzählt, hätten gemeinet, man treibe seinen Spaß mit ihnen; und ich hätt für die Haut des armen Fluviant keinen Pfifferling gegeben. Indes, unter unsern Landsleuten versteht man sich mit halben Worten. Woher man auch kommt, aus Lothringen oder aus der Touraine, und was immer sie sind, Leute aus der Champagne oder aus der Bretagne, Gänse aus Beauce, Esel aus Beaune oder Hasen aus Vezelay – ob sie sich verprügeln und einander totschlagen, ein guter Witz bleibt für jedweden frisch-fröhlichen Franzosen allzeit ein guter Witz«.
Beim Anblick unseres Silen lachte das feindliche Lager männiglich über das ganze Gesicht; alles an ihnen, Mund und Nase, Kehle und Kinn, Herz und Bauch lachten mit. Und, beim heiligen Rigobert, wann wir sie also lachen sahen, dröhnete auch bei uns ein Gelächter los, all unsere Schanzen entlang. Alsdann tauschten wir über die Gräben hinweg gutlaunige Grobheiten nach Art des Ajax und des Trojaners Hektor aus. Aber unsere waren bei weitem die saftigeren. Ich möchte sie wohl niederschreiben, aber ich habe nimmer Zeit. Doch nur Geduld! Ich werde sie dermalen noch niederschreiben in einer Sammlung – seit zwölf Jahren arbeite ich daran – der besten Witze, Schnurren, Unflätigkeiten und Possen (es war wahrlich schade, wann sie verlorengingen), die ich im Laufe meiner Pilgerfahrt durch dieses Jammertal gehört, gesagt oder gelesen habe. So ich nur daran denke, wackelt mir der Bauch, also daß ich beim Schreiben hab einen großen Tintenklecks gemacht.
Als wir genugsam geschrien hatten, hieß es nunmehr handeln (handeln nach ausgiebigem Reden ruht aus). Weder ihnen noch uns lag sonderlich an dem. Ihnen war der Streich mißlungen; wir waren in Sicherheit: sie hatten nicht die mindeste Lust, unsere Mauern zu erklimmen. Man lief dabei allzusehr Gefahr, sich alle Knochen zu zerbrechen. Indes es sollte da, koste es, was es wolle, etwas getan werden, also verbrannte man etliches Pulver, vollführte einiges Gefarze, na wie wär's, willst du was? Da hast du's! Es tat niemand Schaden, ausgenommen den Spatzen. Mit dem Rücken gegen die Mauer, friedsam am Fuß unserer Brustwehr sitzend, harreten wir, bis daß der Pflaumenregen vorüber war, feuerten sodann unser Teil, doch ohn groß Zielens (man muß die Gefahr nicht allzusehr aufsuchen). Erst wann man ihre Gefangenen brüllen hörte, wagte man Umschau zu halten. Es war gut ein Dutzend Männer und Frauen aus Beyant, männiglich der Reihe nach gen die Mauer gestellt, doch nicht mit dem Gesicht, sondern mit der Kehrseite; denen versetzte man eine ordentliche Tracht Prügel. Sie schrien, gleich wenn sie am Spieße steckten, wiewohl es nicht so arg war. Um uns zu rächen, marschierten wir in guter Deckung unsern Mittelwall entlang und ließen auf der Spitze unserer Piken Schinken, Zervelat- und Weißwürste über die Mauern hinabbaumeln. Da vernahmen wir das wutvolle und begehrliche Geschrei der Belagerer. Solches war uns ein wahrer Labetrunk. Und um nur ja nichts davon zu verlieren (wann du einen guten Spaß hast, dann koste ihn bis zum letztlichen Tropfen aus), setzten wir, als der Abend kommen war, auf den Böschungen unter dem klaren Himmel, hinter der Mauer als spanische Wand, Tische, bedeckt mit Lebensmitteln und Flaschen, nieder. Wir schmauseten unter großem Getös, sangen, stießen an und ließen die Fastnacht leben. Die andern wollten vor Wut schier aus der Haut fahren. Also verging der Tag gar annehmlich ohn allzuviel Unheil; abgesehen davon, daß einem der Unsern, dem dicken Aff, dem Pourflant, der in seinem Rausch, um sie zu hänseln, durchaus wollt mit dem Glas in der Hand auf der Mauer spazierengehen, durch die Muskete Kopf und Glas zu Brei zermalmt wurden. Wir unsererseits schossen dafür einen oder zwei der ihren an, aber derhalben ward weder unser Gemüt erhitzet noch unser Durst gekühlet. Kein Fest, das weiß man ja, ohn ein paar Scherben.
Chamaille wartete den Anbruch der Nacht ab, um die Stadt zu verlassen und nach Hause zurückzukehren. Wir hatten gut reden und ihm sagen:
»Du riskierst allzuviel dabei, warte lieber, bis die Geschichte ihr End hat, der liebe Gott wird sich deiner Beichtkinder gewißlich annehmen.«
Er antwortete:
»Mein Platz ist unter meinen Schafen. Ich bin der Arm Gottes, und wann ich fehle, ist der Herrgott ein Einarmiger. Solches darf mitnichten geschehen, solange ich da bin, das schwöre ich.«
»Ich glaub's, ich glaub's«, sagte ich. »Du hast es bewiesen, derzeit als die Hugenotten deinen Kirchturm belagerten und du ihren Hauptmann Papiphage mit einem großen Haustein niederschlugst.« »Er war baß erstaunt darob, der Ungläubige«, sagte er, »und ich war es gleichermaßen. Ich bin ein guter Kerl und sehe ungern Blut fließen. Es ist schauderhaft. Aber weiß der Teufel, was über einen kommt, wenn man sich unter lauter Tollhäuslern befindet. Man wird zum Wolf.«
Ich sagte:
»Wohl, wohl, man braucht nur in der großen Masse zu stecken, um seinen gesunden Menschenverstand zu verlieren. Hundert Weise machen einen zum Narren und hundert Schafe zum Wolf ... Aber sag mir an, Pfarrer, da wir just davon sprechen, wie vereinst du diese zwiefache Moralitas – die vom einzelnen Menschen, so sich mit seinem Gewissen freundwillig auseinandersetzet und für sich und die andern den Frieden will, und jene andere Lehre der Menschenmassen, der Staaten, so aus Krieg und Verbrechen eine Tugend machen? Welche stammt von Gott?«
»Eine schöne Frage, zum Teufel! ... Alle beide, alles kommt von Gott.«
»Dann weiß er nicht, was er will. Indes mich bedünket viel eher, er weiß es wohl, aber vermag nichts dagegen. Hat er nur mit dem einzelnen Menschen zu tun, so ist es leichtlich, da wird's ihm schon gelingen, sich Gehorsam zu erzwingen. Aber wenn der Mensch in Massen auftritt, gibt Gott klein bei. Nun ja, was kann ein einzelner wider alle! Alsdann ist der Mensch der Erde, seiner Mutter, ausgeliefert, und die haucht ihm ihren irdisch-fleischlichen Geist ein ... Erinnerst du dich noch der Mär, so man sich erzählt, von den Menschen, die an manchen Tagen zu Wölfen werden und darnach wieder menschliche Gestalt annehmen? Unsere alten Mären wissen mehr davon als dein Brevier, Herr Pfarrer. Im Staat nimmt jeder Mensch seine Wolfsgestalt wieder an. Und die Staaten, die Könige und Minister, haben gut sich als Schäfer verkleiden und sich – o die Schalksnarren! – Vettern des großen Schäfers, des deinen, des guten Hirten, nennen. Sie sind dennoch insgesamt Luchse und Stiere, sind nur Rachen und Bauch, so nichts nicht völlig zu füllen vermag. Und warumb? Um den ungeheuren Hunger der Erde zu stillen.«
»Du redest irre, du Heide«, sagte Chamaille, »die Wölfe kommen von Gott, wie alles übrige. Er hat alles zu unserm Besten geschaffen. Weißt du nicht, daß es Jesus war, der, wie man sagt, den Wolf erschuf, um den Kohl, so im Garten der heiligen Jungfrau Maria wuchs, gegen Ziegen und Böcke zu schützen? Er tat recht. Beugen wir unsern Willen vor ihm. Wir beklagen uns allweil über die Starken, aber, lieber Freund, wann die Schwachen Könige würden, wäre es noch viel ärger. Daraus folget: Alles ist gut, Wölfe und Schafe. Den Schafen tun die Hunde not, auf daß sie bewacht werden, und die Wölfe brauchen die Schafe, sintemalen man wohl essen muß ... und damit gehe ich, lieber Colas, meinen Kohl hüten.« Er raffte seine Soutane, ergriff seinen Stock und ging in die mondlose Nacht hinein, nachdem er mir mit beweglichen Worten Madelon anvertraut hatte.
Die folgenden Tage waren minder kurzweilig. Wir hatten aus Völlerei, Prahlerei und Törichtheit den ersten Abend, ohne jede Berechnung, damisch verschwendet. So waren unsere Vorräte mehr denn angegriffen. Nunmehr hieß es, den Leibgurt enger schnallen. Man tat es, indes man prahlte noch immer. Als die Würste vertilgt waren, fabrizierte man neue aus Därmen, so mit Kleie gefüllt waren, aus Stricken, so man in Teer tauchte, um sie auf der Spitze unserer Wurfspieße umherzutragen, auf daß man den Feind narre. Aber ach, er wurde der Tücke gewahr. Eine Kugel schnitt die eine Wurst mitten durch, und wer lachte nun am meisten darob? Gewißlich nicht wir. Ja, als diese Elenden sahen, wie wir von der Mauer herab im Flusse fischten, kamen sie, uns völlig zugrunde zu richten, auf den Einfall, oberhalb und unterhalb der Schleusen große Netze aufzustellen, um den Braten abzufangen. Vergebens vermahnte unser Erzbischof sie als schlechte Christen; sie sollten uns die Fasten halten lassen. In Ermangelung der mageren Speise blieb uns nichts anderes übrig, als von unserm eigenen Fett zu zehren. Wir hätten zweifelsohne Herrn von Nevers um Hilfe angehen können, indes wir hatten, um die Wahrheit zu sagen, es nicht überaus eilig damit, seine Truppen wiederum zu beherbergigen. Es kam uns minder teuer, den Feind vor den Toren zu haben, als die Freunde innerhalb ihrer. Solange man vermochte, ohne sie fertig zu werden, schwieg man; das war besser so. Und der Feind seinerseits war verständig genug, mitnichten nach ihnen zu verlangen. Man zog es vor, sich ohne einen Dritten, zu zweien zu verständigen. Man eröffnete also sonder Eile die Verhandlungen. Und mittlerweil führte man in beiden Lägern ein mäßiges, ordentliches Leben, ging früh zu Bett, stand spät auf, spielte den ganzen Tag mit Kegeln und Korken, gähnte aus Langweile noch mehr denn aus Hunger und schlief so viel und so trefflich, daß man ohngeachtet allen Fastens dicker wurde.
Man bewegte sich so wenig wie möglich, aber es war ein schwer Stück, die Kinder gleichermaßen ruhig zu halten. Diese allzeit umherlaufenden, schreienden, lachenden Schlingel voll Bewegung hörten nicht auf, sich in Gefahr zu begeben, dieweil sie auf die Mauern kletterten, den Belagerern die Zunge bleckten, sie mit Steinwürfen traktierten. Sie hatten eine Artillerie aus kleinen Spritzen von Holunder, Schleudern aus gespaltenen Stöcken und Bindfaden ... Piff, Paff – da hast du was – das saß! ... und unsere Äffchen schrien schier vor Lachen. Voller Wut schworen die so Gesteinigten, ihnen den Garaus zu machen. Man rief uns zu, der erste, so die Nasenspitze über die Mauer recke, sollt erschossen werden. Wir sagten zu, auf sie aufzupassen; indes wir hatten gut unsern Buben eins auswischen, sie bei den Ohren nehmen und sie mit erschrecklicher Stimme bedrohen, immer schlüpften sie uns durch die Finger – und das ärgste war (ich zittere noch, wann ich daran denke), daß ich eines schönen Abends einen Schrei vernehme: das war Glodie (ei, wer hätte das gedacht!). Dieses stille Wasser, diese kleine Scheinheilige, ach, die Schelmin, der süße Schatz ... sie war's, die just von dem Abhang in den Graben gepurzelt war. Guter Gott! Ich hätt sie ordentlich verwichsen sollen! Mit einem Sprung war ich auf der Mauer, und darüber gebeugt sahen wir männiglich hinab. Wann der Feind uns zur Zielscheibe hätt gewollt, er hätte leichtes Spiel gehabt. Aber gleich uns betrachtete auch er meinen Liebling auf dem Grunde des Grabens, der (gelobt sei die heilige Jungfrau) sanft und weich wie ein Kätzlein hinabgerollt war und, ohn sich weiter zu erschrecken, auf dem blumenbesäten Grase saß, den Kopf zu den Köpfen hob, so sich von beiden Seiten zu ihr niederbeugten, ihnen zulächelte und ein Sträußlein pflückte. Auch ihr lachten alle zu, Herr von Ragny, der feindliche Kommandant, verbot, daß man dem Kinde irgendein Leids antue, und er warf ihm – der wackere Mann – gar Zuckerwerk zu. Indes, dieweil man noch mit Glodie beschäftigt war, hatte Martine (bei den Frauen gibt's allweil neue Überraschungen), um ihr Schäflein zu retten, ohn zu überlegen, sich, laufend, gleitend, kugelnd, gleicherweis den Abhang hinabpurzeln lassen; den Rock bis über den Kopf hochgeschlagen, zeigte sie allen Belagerern tapfer ihre östliche und westliche Hälfte des Globus, die vier Hauptpunkte des Firmaments samt dem strahlenden Himmelsstern. Ihr Erfolg war durchschlagend. Sie aber, ohne jedwede Scheu, nahm ihre Glodie, küßte sie und klapste sie, auf daß sie fürder dergleichen nicht tue. Jedoch ein Soldat, von all den Reizen verzücket, hörete nicht auf Herrn von Ragny, sprang in den Graben und stürzte in vollem Laufe auf sie zu. Sonder Furcht wartete sie. Wir warfen ihr von unserm Wall aus einen Besen zu. Sie packte ihn, ging tapfer auf den Feind los, und klitsch, klatsch, pitsch, patsch gab sie's ihm. Der Liebhaber bekam's mit der Angst – Tod und Teufel – er machte sich flugs aus dem Staub. Hurra, Sieg, Sieg! Die Heldin samt dem Kinde wand man unter dem Gelächter der beiden Läger wieder heroben. Ich selbsten zog stolz gleichwie ein Pfau den Strick, an dessen Ende mein tapferes Weiblein emporkam, indes sie dem Feinde von fern zeigte den Abendstern.
Noch eine Woche lang (alle Gelegenheiten zum Schwatzen sind willkommen) ließ man die Verhandlungen weitergehen.
Letzlich brachte uns die falsche Zeitung vom Anrücken des Herrn von Nevers ins Einvernehmen, und die Verständigung vollzog sich, summa summarum, recht wohlfeil. Wir versprachen den Vezelayern den Zehnten unserer nächsten Weinernte. Man hat gut versprechen, was man nicht hat, was man erst haben wird ... kann sein, man wird nie nichts haben; und bis derzeit wird jedenfalls gar viel Wassers zu Tale laufen und viel Wein durch unsere Kehle. Auf beiden Seiten waten wir also wohl zufrieden miteinander und mit uns selbst noch mehr. Indes kaum waren wir dem Wolkenbruch entgangen, kamen wir aufs neue in den Regen. Just in der Nacht, die auf den Vertragsschluß folgte, erschien ein Zeichen am Himmel. An die zehn Uhr kam es hinter dem Bergrücken von Sembert, allwo es versteckt war, herfür, glitt gleich einer Schlange bis an die Sternenwiese heran und dehnte sich gegen St. Pierre au Mont hin. Es sah aus wie ein Degen, des Spitze eine Fackel darstellte, von der Rauchzungen ausgingen. Und den Griff hielt eine Hand, deren fünf Finger in brüllenden Köpfen endeten. Am Ringfinger vermochte man eine Frau zu unterscheiden, der flatterten die Haare im Winde. Und die Breite am Schwertgriff war just eine Spanne, an der Spitze sieben oder acht Linien. In der Mitte aufs Haar drei Linien und zwei Zoll, und die Farbe war wie Blut, blauviolett und geschwollen wie eine Seitenwunde. Unsere Köpfe waren insgesamt mit offenem Munde gen Himmel erhoben. Man hörte die Zähne klappern, und beide Läger fragten sich, wer von beiden wohl mit der Voraussage gemeint sei. Und wir waren männiglich der Meinung, es gelte den andern. Desohngeachtet überlief uns eine Gänsehaut. – Mich ausgenommen, ich blieb ohn Fürchtens. Es sei gesagt, daß ich nichts gesehen hatt, ich war um neun Uhr zu Bett gegangen. Also hatt ich getan dem Rate des Kalenders zufolge. Der bezeichnete dies Datum als wohl geeignet, um Medizin zu nehmen. Und allwo immer ich just sein mag, ich beiße in den sauren Apfel ohn Widerredens; denn der Kalender ist für mich gleich wie das Evangelium. Aber dieweil man mir alles erzählte, so ist es, als hätt ich's alles gesehen, also schrieb ich's auch nieder.
Wann der Friede war unterzeichnet, da hielten Freund und Feind ein Festmahl. Und sintemalen mittlerweil die Mittfasten kommen war und das Fasten unterbrochen wurde, tat man sich überaus gütlich. Aus den benachbarten Dörfern erschienen, unsere Befreiung zu feiern, sowohl Eßwaren als Esser die Hülle und Fülle. Das war ein schöner Tag. Längs der Wälle waren die Tische gedeckt. Da trug man drei junge Wildschweine auf, so im ganzen gebraten und mit einer würzigen Farce aus Frischlingsklein und Reiherlebern gefüllt waren. Duftende Schinken, mit Wacholderzweigen am Feuer geräuchert; Hasen- und Schweinepasteten, mit Knoblauch und Lorbeerblatt gewürzt; Weißwürste und Kutteln, Hechte und Schnepfen; Kaldaunen; schwarzen Hasenpfeffer, der einen, noch eh man daran rührte, durch den Duft berauschte, und Kalbsköpfe, die auf der Zunge zerschmolzen; und feurige Büsche gepfefferter Krebse, die einem die Kehle verbrannten, und darnach, um sie wieder zu beruhigen, Salate in Essig mit kleinen Zwiebeln und herrliche Humpen voll unsern Gewächsen aus Chapotte, Mandre und Vaupillaux; und als Nachtisch frische, kernige Dickmilch, die sich zwischen Zunge und Gaumen zerdrückte, und Biskuits, mit denen man ein volles Glas auf einmalen auswischen konnte, gleichwie mit einem Schwamm.
Keiner von uns wich von der Stelle, solang noch etwas Eßbares übrig war. Gelobt sei Gott, der uns das Vermögen gegeben hat, in so kleinem Raum wie unserm Magensack den Inhalt so mannigfacher Flaschen und Schüsseln einzustopfen. Fürnehmlich schön war der Ritterkampf zwischen dem Eremiten Kurzohr von St. Martin aus Vezelay (den die Vezelayer den großen Entdecker nennen, maßen er, wie man sagt, als erster bemerkt hat, daß ein Esel nicht schreien kann, so er den Schwanz nicht hochhält) und dem unsrigen (ich sage nicht Esel), also unserm Hennequin, der behauptet, er müsse dereinst einmal ein Hecht oder ein Karpfen gewesen sein, solch einen Widerwillen habe er vor dem Wasser; zweifelsohne hat er in seinem dermaligen Leben allzuviel davon getrunken. – Kurzum, wann wir Vezelayer und Clamecyer von Tische aufstunden, hatten wir viel größere Achtung voreinander denn zu Beginn des Mahls: beim Essen lernt man, was ein Mann wert ist. Wer zu schätzen weiß, was gut schmeckt, den hab ich gern, der ist ein guter Burgunder.
Letztlich, auf daß wir noch herzlicher vereinet würden – wir befaßten uns just mit der Verdauung unseres Mahles – erschienen die Verstärkungen, die Herr von Nevers zu unserem Schutze sandte. Wir lachten gar sehr; und unsere beiden Läger ersuchten sie überaus höflich, sich wieder davonzumachen. Sie wagten keinen Widerspruch und entfernten sich schier verdutzt, gleich Hunden, die von Schafen bewachet werden. Dann umarmten wir einander und sagten:
»Gar dumm waren wir, uns zum Vorteil unserer Hüter zu schlagen. So wir keine Feinde hätten, würden sie, weiß der Teufel, Feinde erfinden, uns verteidigen zu können. Ergebensten Dank! Gott schütze uns vor unsern Beschützern! Wir werden uns gewißlich allein schützen. Ja, hätten wir armen Schafe uns nur wider die Wölfe zu verteidigen, wir wollten sie uns wohl vom Halse halten! Wer aber hütet uns vor dem Hirten?«