Julius Rodenberg
Ein Herbst in Wales
Julius Rodenberg

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Von Capel-Curig nach Llangollen.

Der landschaftliche Charakter von Nordwales ist, wie man aus den Schilderungen ersehn haben wird, bei aller Großartigkeit der Conturen Anmuth, Lieblichkeit und Fülle. Nur auf eine kurze Strecke, da wo sich um den Snowdon in mächtigeren Hebungen und Senkungen Berg um Berg, Fels um Fels gipfelt, tritt an die Stelle dieser sanfteren Reize das Wilde, Schauerliche und die nackte Dürre. Keine Waldwiesen mehr, aber stundenlange Berghaiden; dunkle Seen, schäumende Waßerfälle, baumlose Bergkuppen und moosumwachsene Felskegel bilden die Physiognomie dieser Gegend. So recht auf der Höhe dieser ewig stürmischen, nebligen und sonnenlosen Snowdonia liegt Capel-Curig. Das Wirthshaus, etwa 10 Minuten vom Dorf entfernt, befindet sich sogleich am Ende des Paßes von Llanberis. Einstöckig, aber langgestreckt, mit doppelten Fenstern liegt es hinter einer Reihe von düstren Tannen. Der Garten hinter dem Hause zieht sich über Felsen zu kleinen Seen in die Tiefe hinunter.

Nach der Nacht, die in dem nichts weniger als comfortablen Farmhause nicht sehr angenehm vergieng, 284 athmete ich am andren Morgen die frische Luft mit neuem Behagen. Zu meinem und aller Andren großen Erstaunen schien auch die Sonne. »Es ist heute Mittwoch«, sagte der Wirth von Capel-Curig-Inn, »und da pflegt die Sonne auch hier zuweilen zu scheinen, um uns – an ihrem Schöpfungstage – zu zeigen, daß sie noch da sei.«

Die Felsen, die sich breit und in weiten Ringen um Capel-Curig schließen, blitzten gar freudig in dem selten gewährten Scheine. Nach dem gemeinschaftlichen Frühstück begaben sich meine Reisegefährten an die kleinen Seen hinunter, um zu fischen. Ich habe sie und vorher schon Manchen ihrer Landsleute um diese Seelenstille beneidet, mit der sie dastehn können, die Angelruthe in der Hand, die Schnur über dem glatten Waßerspiegel leitend – ruhevoll, »kühl bis ans Herz hinan« – um als Preis stunden- ja tagelangen Wartens einen Gründling zu fangen, der nicht viel größer ist, als der Wurm, an dem er sich festgebißen. Das Angeln ist für den Gentleman ein solches Capitalvergnügen, daß er's selbst auf Reisen nicht entbehren kann und jedes rechtschaffne Guide-book muß ein Verzeichnis der Fliegen und Würmer enthalten, mit welchen in den einzelnen Monaten und je nach der Verschiedenheit des Wetters und der Tageszeit am Besten gefischt wird.

Während sich meine Begleiter so der süßen Lust des Angelns ergaben, promenirte ich auf der Gartenterrasse. Die Waßer unter mir, am Rande von dunklen Bäumen beschattet, trugen den Glanz der 285 Morgensonne; auf der andren Seite stiegen die Felszacken auf, und durch eine Baumlichtung des Waldes, der um die Seen lag, schaute aus Morgengewölk der dreizackige Snowdon, der König dieser Gebirge. Hier hatte ich nun die unerwartete Freude, die drei Birminghamer noch einmal zu sehn; freilich nicht in Person – sondern nur im Fremdenbuch. Aber eine dunkle Ahnung stieg in meiner Seele auf. Denn unter ihren drei Namen stand folgende Dichtung:

So weit ich auch gewesen bin
In diesen Regionen:
So möcht' ich in Capel-Curigs-Inn
Am Allerliebsten doch wohnen!

Hatten sie auf dem schwarzen Stein von Arddu geschlafen? Wer unter ihnen war verrückt – wer ein Dichter geworden? Ist der Grocer das Opfer gewesen, oder der Clerk? Ich weiß es nicht, und hab' es nie erfahren; denn nicht auf alle Fragen gibt das Schicksal eine Antwort!

Noch eine andre, höchst unerwartete Freude sollte mir werden. Unter den Inschriften, die an der weißen Kalkwand einer mit wildem Wein umsponnenen Grotte kreuz und quer durcheinanderliefen, traf plötzlich mein Auge auch auf die wolbekannten Zeilen:

Heil dem Manne, der den grünen Hain
Des Vaterlandes sich zur Heimath auserwählet! –

Es stand kein Name unter den Versen. Aber ein 286 Deutscher mußte sie in der Sehnsucht seines Herzens hierhergeschrieben haben. »Der grüne Hain des Vaterlands«, in den er dieses Lied wol einst hineingejauchzt hatte, hat es ihm bis unter die Wurzeln des Snowdon nachgesungen!

Indessen kehrten die beiden Gentlemen vom Angeln zurück. Sie waren seelenvergnügt; der Eine hätte beinahe eine Forelle gefangen und dem Andern war die Schnur abgebißen worden. Wir machten uns nun auf den Weg, um den Llyn Ogwen zu besuchen. Die Sonne war wieder weg; die ganze Welt schien grau und dabei war es recht kalt. Wir waren noch gar nicht lange gewandert, als »Baum und Strauch und Busch verschwand«, und nur ungeheure Felsblöcke lagen auf der kahlen Haide. Kühe suchten hier ihr kärglich Futter; sie liefen in ganzen Heerden frei herum. Hier und da, zwischen den Felsen, erschien eine Lehmhütte. Wir waren im Nant Frankon, dem s. g. Bieberthal. Eingeschloßen ward es von steilen Felsgebirgen, die nackt waren, ohne andre Bekleidung als grüngrauen Mooses. Sonst war da keine Spur von Vegetation zu sehn. Auf der Spitze des höchsten von diesen Felsen, Y tri Vaen genannt, stehen drei gigantische Steine, die wir für drei Menschen hielten, die da oben standen und ins Ferne hinaussähen. Wir glaubten, sie bewegten sich; sie hätten ein Fernrohr, das sie hierhin und dorthin richteten; aber es war Täuschung. Kein Mensch war zu sehn und zu hören in dieser grauen Einöde. Bieberthal heißt dieses Thal aus früher Zeit, wo es ganz voll 287 von Biebern gewesen sein soll. Heutzutage sieht man hier einen Bieber, d. h. einen Bieberhut höchstens nur noch auf den Köpfen der Bäuerinnen. Diese Bemerkung gehört Mrs. Sinclair. Uns ist weder ein Bieber noch eine Bäuerin begegnet. Wir waren ganz allein. – Endlich, nach stundenlanger Wanderung durch die Felshaide kamen wir an den Llyn Ogwen. Von nackten Gebirgsmaßen umschloßen lag er da, wie ein todter See; so düster, so tief, so geheimnisvoll – kein Vogel flog über seinen schwarzen Waßern dahin, kein Baum, kein Strauch schmückte seinen Rand. Alles war kahl, steinern, unheimlich und ward es durch den feuchten Nebel und den heftigen Wind noch mehr. Da, wo das Gebirg sich öffnet, steht ein Zollhaus. Aber kein Mensch war vor der Thür und die Fenster waren verschloßen. Hier stiegen die Felsen, wetterdurchfurcht und sturmzerrißen zu gewaltig kühnen und hohen Spitzen empor. Durch alle Spalten rieselte das Waßer über ungeheuren Steinblöcken hinweg in die Tiefe; und das Rauschen des Sees vereinte sich mit dem Wogensturz der Waßerfälle und dem unausgesetzten Heulen des Windes, der hier aus allen Felslöchern pfiff. Der See war an dieser Stelle sehr unruhig; überall sprang er über unterirdischem Gestein empor und ein weißer Schaum in vielen Streifen über der dunklen Waßerfläche bezeichnete diese Felsgürtel, die nur obenhin mit Waßer bedeckt waren. Die Waßerfülle dieser Gegend ist erstaunlich. So weit man sehn konnte, lief über das Grau und Grün aller Felsen der weiße Streifen eines Waßerfalls. Alle diese Fluthen 288 sammeln sich an einem Punkte; von der andern Seite bricht der See durch, und so stürzt es mit wilder Heftigkeit gegeneinander und über schwarzes, ewig feuchtes Gestein in eine Schwindel erregende Tiefe. Nichts als weißer Gischt war sichtbar und Schaumflocken flogen darüber hin. Dickes Haidekraut und zitternde Vogelbeersträuche nickten und beugten sich am Rande. Das sind die berühmten Benglog-Fälle. – Meine Gefährten hielten sich am liebsten an das Ufer des Sees. Ihr Guide-book sagte vom Llyn Ogwen: »Die Landschaft ringsum ist entzückend und das Gewäßer ist reich an vortrefflichen Forellen von einem solchen Wolgeschmack, daß in dieser Hinsicht kein andrer See in Caernarvonshire sich mit ihm meßen kann.« Sie setzten sich an den See mit den wolschmeckenden Forellen, indessen ich in die Felsen stieg. Lange sah ich kein lebendes Wesen, nur dann und wann ein Schaaf, das hier herumkletterte. Endlich erblickte ich in einem Bergkeßel unter mir eine Hütte, die ganz verlaßen dalag. Ein Mädchen mit breitem, niedergekrämptem Hut trat aus der Thüre, den Berg hinan und breitete weiße Tücher zum Trocknen über die Dornen. Das Weiß bildete einen stechenden Contrast in dieser Umgebung, wo Alles, Alles grau war. – So schritt ich dahin, über Steine, um die das Waßer rieselte.

Es pfeift der Sturm, es rollt der See
Bedeckt mit Schaum und Wogenschnee;
Und jach hinein mit dumpfem Schall
Vom Berge stürzt der Waßerfall. 289
Hoch um der Felsen Stirn von Stein
Huscht Nebel hin mit grauem Schein.
Wild rauscht, bewegt vom scharfen Hauch,
Das Binsenkraut, der Haidestrauch.

Der Wandrer schweift von Hang zu Hang –
Das Rauschen wird ihm zu Gesang.
Der Wogen Sehnsuchtsmelodie'n
Durch seine Seele düster ziehn.
Es weht von Fern, es weht von Nah
Wie Harfenklang aus Cambria.
Dazu aus ferner Höhen Flor
Schwebt es heran wie Bardenchor;
Und seine Lieder trägt der Sturm
Von Fels zu Fels, von Thurm zu Thurm.

Erst nach der Ferne zu lichtete sich der schwermüthige Anblick. Da öffnete sich eine mildere, grüne Landschaft, mit Moor und Wiese, durch welche das beruhigte Waßer dem Meere zuströmte, das weit, weit am Horizonte wie ein blauer Strich erschien, aus dem sich die Uferberge von Anglesey zackig erhoben. Ach, da schien wol die Sonne! da wehte eine mildere Luft! – Aber wir kehrten nach Capel-Curig zurück. Hier gieng es wieder lustig her. In den kleinen Seen saßen auf Steinen zeichnende Männer und Frauen, am Rande standen lange, dünne Jungen mit rothgestreiften Hosen und Röcken und grünen, hohen Mützen und angelten. Da dieser Anblick uns Allen jedoch nicht viel Neues bot, so zogen wir bald weiter. Gleich hinter Capel-Curig schien die Welt auf einmal wieder ganz anders zu werden. Die Wälder kamen wieder, und die Sonne auch. Sie leuchtete uns mit ihren 290 letzten Strahlen. Denn es gieng auf den Abend. Auch sahen wir ab und an wieder Menschen. Zuerst auf einer einsamen Wiese eine schöne, dunkle, wilde Waliserin. Sie stand ins Kraut gebückt. Als ich über die Planken setzte, um mit ihr zu sprechen, sprang sie davon, wie ein gejagtes Füllen. Ich konnte sie nicht zum Stehen bringen. Weiterhin lagerte am Rande eines Berges eine große Damengesellschaft, mit langen Schleiern und gelben Lederhandschuhen. Wir zogen ihnen mit Gesang vorbei. Wahrscheinlich hielten sie's für walisischen Volksgesang, denn sie holten alle ihre Notizbücher heraus und schrieben mit sichtbarem Eifer. Was wir sangen war in der That aber ein deutsches Studentenlied. Auch der Stockengländer sang dießmal mit; wir hatten ihm eine Longfellow'sche Übersetzung von unsrem Liede gegeben.

What comes there from the hill?
What comes there from the hill?
What comes there from the leathery hill?
           Sa! Sa!
           Leathery hill!
What comes there from the hill!

Das Waßer des Llugwy floß uns immer zur Seite, bald zur rechten, bald zur linken; er gieng ununterbrochen über Felsen dahin und begleitete uns den ganzen Weg mit Brausen und Waßerfällen. Es war ein gar herrliches Wandern durch die Abendkühle – über uns die rauschenden Baumkronen, unter uns die rauschenden Waßer. So gelangten wir an den Rhaiadr y Wennol, den Schwalbenfall. Wir mußten durch 291 einen hohen Buchenwald über rasenbewachsene Höhen niedersteigen. Am Eingange des Gehölzes empfieng uns eine sehr anständig gekleidete Frau mit Hut und Sonnenschirm von grüner Seide. Sie machte eine Verbeugung; wir erwiderten dieselbe. Sie wies, mit dem Anstand einer Dame vom Hause, die ihren Gästen die Honneurs macht, auf einen Pfad, der niederführte. Wir dankten. Sie machte wieder eine Verbeugung, wir desgleichen und giengen. »Was will dieses Weib? Ist dieses Weib verrückt?« riefen die beiden Engländer und sahen sich noch einmal um. – Der Waßerfall erschien in aller Pracht der untergehenden Sonne; gegen die Benglog-Fälle glaubten wir uns hier in einen Park versetzt, da man nicht von kahlen, unheimlichen Felsen, sondern von einer, trotz einer gewissen Wildheit unendlich reizenden und mannigfaltigen Scenerie umgeben ist. Der Gegensatz des stürzenden, vom Abendroth durchleuchteten Waßers mit den dunklen Massen, die sich unten im Becken gesammelt hatten, war dem Auge eine angenehme Überraschung. Oben im Wäldchen erwartete uns die Dame mit dem Hut und dem Sonnenschirm von grüner Seide.

»Sir, you will remember me!« sagte sie. »Vergeßt mich nicht, mein Herr!«

»Nein,« sagte ich, »ich will Euch nicht vergeßen. Ich will Euch in meinem Gedächtnis behalten.«

Aber so war das nicht gemeint. Die Dame wollte Geld haben.

»Wofür denn?« fragte ich. »Der Mensch will doch wißen, wofür?«

292 »Dafür, daß Ihr den Waßerfall gesehn habt, Sir!« erwiderte sie.

»Wer hat Euch denn den Waßerfall in Pacht gegeben?«

»Der liebe Gott, der ihn gemacht, hat ihn mir in Pacht gegeben,« versetzte sie mit aller Gemüthsruhe. Es half Nichts; wir mußten ihr Geld geben.

»Das verrückte Weib!« schrie der eine Engländer. »Die unverschämte Creatur!« der andre.

Ich fand weder das Eine, noch das Andre. Haben die Könige des Mittelalters die Forsten eingehegt und die Ströme mit ihrem Banne belegt, warum soll ein armes walisisches Weib nicht auch einmal auf den Einfall kommen, sich eine Naturschönheit ihres Vaterlandes zollbar zu machen? Es ist freilich gut, daß es solcher Schlagbäume für den freien Blick noch nicht mehrere gibt; ich hatte viele Mühe, die aufgebrachten Engländer zur Ruhe zu sprechen.

Als ein Dämmerbild voll Frische und Waldkühle trat uns bald das Dörflein Betwys y Coed, das Brückendorf, entgegen. Es heißt so wegen einer Brücke, der s. g. Pont y Pair oder Kesselbrücke, die hier über den Conway führt. Der Brückenbogen von Pont y Pair, mit wildem Gewächs ganz behangen, umspannte mir eins der lieblichsten Bilder, die ich jemals gesehn. Über den Felsen, rings um mich, donnerten die Waßer; in einem Moosfelsen gelagert, und vom Waßer umstrudelt, sah ich drei jugendliche Frauengestalten – die Nixen dieses Stromes! Im Waßerspiegel glänzte das Gold der Abendröthe. Am Ufer 293 durch Tannenstämme, die bis oben hinauf röthlich beleuchtet waren, glühte ein Feuer und überstrahlte das dämmergrüne Gebüsch. Eine reizende Waliserin saß auf der Gartenmauer hinter den Bäumen; Kinder in weißen Gewändern umspielten sie. Und zur andern Seite, aus einer Schmiede stieg blauer Dampf empor, glühende Funken flogen und knisterten darin und fielen zuletzt wie ein Goldregen über das dunkle Waßer nieder. Und alles Das auf einem grünen Waldhintergrunde und in duftiger Dämmrung. Es gieng mir wie ein glänzender Traum vorüber. – Wir nahmen uns einen Car und fuhren unter dem Sternenhimmel dahin. Nach zwei Stunden waren wir in Pentre Foelas, wo wir die letzte Nacht gemeinsam verbrachten. Am andern Morgen zogen die Engländer weiter ins Gebirge; mein Herz sehnte sich nach dem Meere zurück.

Mein Weg war eine Zeit lang flach und öde. Die Ruhe that mir wol, ich athmete sie mit der Kühle des Morgens still und glücklich ein. Dann kam ich an den letzten Waßerfall, dessen Rauschen wie Lebewol des Hochlandes klang. Ich lehnte mich auf die graue Mauer, die oben längs der Landstraße lief, und sah in eine dunkle Laubtiefe, von feuchtem Nebel weiß durchdampft, von den Strahlen der durchbrechenden Sonne licht besprengt. Der Waßerfall, von den Baumkronen fast ganz bedeckt, schien wie ein Silbersprudel hindurch. Das Laub flüsterte leise; durch den Brückenbogen sah man grüne Wiesenflächen und unter den Tannen eines Hügels einige 294 Häuschen mit weißen Mauern – Alles still in sanfter Morgensonne.

Dann kam ich nach Corwen, einem kleinen Städtchen, ganz unter überhängenden Felsen erbaut. Hier hat die Natur noch einmal ins Gigantische geschaffen; die letzten Felsenwälle des Hochlands thürmen sich hier gegen die sanfteren Niederungen. Auf dem Kirchhof steht ein Steinkreuz in einem runden Stein; Beides hat ein Riese hierhergeschleudert, wie mir der Führer sagte. Der Ort sei danach genannt; Corwen, eigentlich Corvaen heiße ein Kreuz auf einem Stein. Der Fels, deßen ganze Wucht über den Kirchhof hereinragt, wird »Owen Glyndwr's Stuhl« genannt. In der Kirchmauer wird noch ein geheimes, seit Jahrhunderten verschloßnes Thürlein gezeigt, durch welches der kühne Rebell oftmals in die Kirche trat, wenn's ihn zu beten trieb. Von hier ab beginnt der classische Boden der letzten Revolte, das Thal des Dee, des schwarzen Waßers, das unter dicken, dunklen Bäumen dahin fließt bis nach Llangollen und sich bei Chester ins Meer ergießt. Gleich hinter Corwen, zur linken Hand steht ein Hügel, oben ganz flach und mit Föhren bewachsen. Er heißt Glyndwr's Hügel. Sein Schloß hat hier gestanden. Das ganze Thal ist voll seines Angedenkens. Wie die Natur hier die letzten Granitmaßen des Hochlandes aufgestellt hat, so weiht auch die Geschichte diesen Boden mit den letzten und wehmütigsten Erinnerungen walisischer Vorzeit. Weicher, immer melodischer wurden die Berge, je näher wir Llangollen kamen, während unten in der Tiefe 295 der Fluß unter Baumschatten wogte, breit, zwischen Wiesen und hellen Landhäusern.

Aus dem Felsenpass der Snowdonia tritt man bei Llangollen in das lieblichste Idyll. Das üppig bewaldete Pengwern- und Berwyn-Gebirge in weichem Schwung von Kuppe zu Kuppe steigend, umschließt das Thal, das wol mit Recht »das süßeste der Thäler«, »das glückliche Thal« genannt wird. Hier ladet Alles zum Frieden, zu genießender Ruhe ein; es ist eine Harmonie in diesem Gedichte der Natur, die sich dem Betrachtenden sanft mittheilt. Es ist eine Landschaft für den Maler, nicht für den Dichter. Sie befriedigt, sie wiegt ein. Sie steht als ein Ideal des Wirklichen vor dem Auge; die Seele wird zu keinem Wunsche angeregt. Ich glaube, man könnte hier ein ganzes Leben so hinleben, leidenschaftslos, ohne Wunsch, ohne Sehnsucht – traumbefangen, immer träumen! – Es ist eine frauenhafte Weichheit in dieser Schöpfung – und wie ist es sonderbar, daß es auch nur Frauen sind, an deren Namen und Andenken sich die Traditionen von Llangollen knüpfen! Schon in früher Zeit war es die unvergleichliche Schönheit der hochgebornen Myfanwy Fechan, der Fürstentochter aus dem Hause Tudor Trevor, welche die Leidenschaft und den Gesang des berühmten Barden Howel ap Cinion Llyglin erweckte; in späteren Tagen war ein schlichteres, aber nicht weniger berühmtes Mädchen aus dem Volke der Stolz Llangollens, und noch heute lebt das Lied von der »süßen Jenny Jones« im Munde derer, die im Feld bei der Arbeit oder des Abends durch die Straßen 296 singen. Die letzten und eigenthümlichsten Frauengestalten aber, deren Andenken in diesem Thale geehrt wird, sind die berühmten »Ladies von Llangollen,« in den Jahren, da sie noch lebten, vielbesucht, vielbeschrieben, vielbesungen. Aber es sind keine empfindsamen Geschichten voll Mondschein und Liebe in einer Hütte, noch die Abenteuer von Edelfräulein und tapfern Rittern, deren Heldinnen sie sind: es ist die Poesie einer reinen, uneigennützigen, ich möchte fast sagen heiligen Freundschaft, die das Leben der Ladies von Llangollen verklärt hat. Es waren vornehme Damen aus Irland, Lady Eleanor Butler und Miss Ponsonby, die sich ums Jahr 1778 hier ansiedelten. Sie erschienen hier wie die Feen – jung, schön, seltsam – Niemand wußte, woher sie und warum sie gekommen waren. Lady Butler und Miss Ponsonby waren als unzertrennliche Freundinnen aufgewachsen, und da Beide – aus Furcht durch Heirath geschieden zu werden – jeden Antrag zurückwiesen, so hielt die Familie Butler – die zu dem altberühmten Hause Ormond gehörte – für gut, die Mädchen zu trennen. Aber sie fanden Mittel und Wege zur Flucht, und obwol bei diesem ersten Versuch wieder eingeholt, gelang der zweite um so beßer. In Männertracht – von der sie bis an das Ende ihrer Tage den Hut und eine Art Reitkleid beibehielten – entkamen sie nach Wales. So gelangten sie auch nach Llangollen. Und da sie an einem duftreichen Maiabend bei Mondlicht durch diese friedseligen Gefilde schweiften, da erblickten sie auf einem sanften Hügel eine Hütte, die sie mächtig anzog. 297 Hier beschloßen sie zu bleiben; sie kauften den Grund, sie bauten eine Villa dahin und lebten darin unzertrennlich mit einander, bis der Tod sie trennte. Die »Jungfraun vom Thal« – anfangs mit zweideutigen Blicken angesehn – denn hinter ungewöhnlichen Erscheinungen sucht die Welt gern ein ungewöhnliches Motiv und immer lieber das schlimmste – erwarben sich bald die Achtung, die Bewunderung der Thalbewohner. Als Schutzengel der Armuth traten sie in die niederen Hütten; und ihre Villa ward ein Tempel gar eigener Art. Mit dem Cultus der Freundschaft verband sich eine thätige Liebe für die Kunst, die Wißenschaft und eine Neigung, Seltsamkeiten zu sammeln. Die Schränke füllten sich mit kostbaren Büchern, die Wände schmückten sich mit Gemälden und Stichen, auf den Tischen lagen Antiquitäten wolgeordnet nebeneinander. Könige schmückten die Brust dieser Einsiedlerinnen mit Großkreuz und Cordon; berühmte Männer baten es sich als eine Ehre aus, in Plâs Newydd (so hieß ihre Villa) zugelaßen zu werden. Auch Pückler-Muskau beschreibt einen solchen Besuch in dem ersten Bande seiner »Briefe eines Verstorbenen«. Bei diesem ruhigen Dasein – das keine Leidenschaft berührt, kein Schmerz gestört, dem das Geschick seine bittren – freilich auch seine schönsten und köstlichsten Gaben vorenthalten hatte – erreichten sie beide ein sehr hohes Alter. Der Tod, der sie 1829 – wo Lady Butler starb – trennte, vereinte sie schon im Jahre 1831 wieder, wo er Miss Ponsonby zu ihrer Freundin im Himmel rief. »Sie überlebte ihre geliebte 298 Gefährtin Lady Eleanor Butler, mit welcher sie in diesem Thale mehr als ein halbes Jahrhundert ununterbrochener Freundschaft gelebt hatte, nicht lange. – Und sie kommen nicht wieder in ihr Haus, und ihr Ort kennet sie nicht mehr.« Hiob, Cap. 7. V. 10. – Das ist die Inschrift ihres Grabsteins. Die Freundinnen ruhen neben einander auf dem Kirchhof von Llangollen. – »Friede schwebt über ihrer Stätte und« – so mögte man mit Göthe ausrufen – »welch' ein freundlicher Augenblick wird es sein, wenn sie dereinst wieder zusammen erwachen!«

Mit Verehrung erhält und zeigt man noch immer ihre zierliche, ja vornehme, aber in einem seltsam altfränkischen Styl erbaute Villa Plâs Newydd; und ich habe in Llangollen kein Ladenfenster und keine Wirthshauswand gesehn, an welcher nicht ein Bild gehängt hätte, zwei ehrwürdige Matronen mit ernsten, milden Gesichtern darstellend – mit der Unterschrift: »Die Ladies von Llangollen.«

Zu dem Dämmerlicht all' dieser Erinnerungen paßten mir die Ruinen der Valle Crucis Abbey, die ich, so lang ich in Llangollen blieb, täglich zu besuchen kam. Sie liegt in einer Wiesenniedrung, am Fuße des Hügels, dessen Spitze das alte Schloß Dinas Bran krönt. Portal und Fensterbogen – Alles in reinstem Gothisch – sind wunderbar gut erhalten. Aber da das Gebäude hinter diesen Mauern lange, lange schon in Schutt gesunken ist, so sieht man, anstatt in die düstre Pracht eines gothischen Domes in das heitre Grün hoher, luftbewegter Bäume und in 299 den blauen sonnigen Himmel, der hindurch scheint. Unter einem der Fenster liest man: »Er ruhe in Frieden. Amen. †. Abt Adam errichtete dieses Gebäude in Frieden.« Den Boden bedecken keine Platten, sondern Moos und Rasen, aus welchen nur noch die hochgemauerten Sockel längst gebrochener Säulen emporragen. Unter dem Gras kann man auch noch die Grabsteine herausfinden. Auf einem derselben las ich: »Hier ruht Gwircus' Tochter Owain, deren Seele Gott begnaden möge. Amen. Im Jahre des Herrn 1290.« – Die Fenster des Chores stehn noch hoch und schön da, von außen umwuchert sie die dichteste Fülle des Efeus. Im rechten Seitenschiff – man kann nemlich die einzelnen Theile der Kirche aus ihren Bruchstücken entziffern – sieht man noch die Kreuzbögen mit gar zierlichen Rosetten. Kein Beter kommt mehr in diese Kirche. Aber uralte Bäume im Efeukleide neigen ihre Häupter vor jedem Winde dessen, dem dieses Haus erbaut war und der es zerstört hat. Hinter den Mauern liegt ein freundliches Gärtchen mit Teich und Waßerfall unter Erlengebüsch; in einem weißen Häuschen, ganz mit Immergrün bekleidet, lebt Miss Lloyd ein stilles, beschauliches Leben. Sie führt die Fremden durch die Ruinen der Abtei. Ich habe mich gern mit ihr unterhalten und viel von ihr gelernt. Denn sie kannte die Sprache, die Poesie und Geschichte ihres Landes ganz genau. Valle Crucis Abbey (Abtei vom Kreuzthal), errichtet um 1200 und zerstört 1535, in der Zeit wo die Sitze des Katholicismus vor dem Feuereifer der Reformation zusammenstürzten, heißt so 300 nach einem rohen Grabkreuz »der Pfeiler Eliseg's«, welches auf einem alten Hügel in einer nicht fernen Haide Llwyn-y-Groes dem Andenken Eliseg's, dessen Sohn Brochwel Ysgythrog in den Grenzkriegen gegen die Sachsen 607 bei Chester fiel, von seinem Urenkel Cyngen ab Cadell errichtet worden ist. Dieser Pfeiler Eliseg's ist, wie man annimmt, das älteste Steinkreuz mit eingehauener Inschrift in ganz Britannien.

Von hier aus stieg ich zu den Ruinen von Dinas Bran empor. Es war heiße Mittagszeit; auf den Wiesen stand der schwere Sonnenduft und die Wälder starrten wie von purem Golde. Kein Lüftchen rührte sich; ich hörte jeden Tropfen im Bache, der am Fuße der Hügelkuppe hinfließt. Dann ward mein Weg schattenlos; und so klomm ich mühsam empor. Die Spitze diese Berges, der sich einsam aus dem Thale erhebt, beherrscht die ganze Weite. Man ist wie auf einer Insel. Ich legte mich auf die Mauern der alten Veste; ein Efeugebüsch gab mir etwas Schatten. Ich ruhte auf der Stätte, die durch das Andenken an die schöne Mynfanwy Fechan geweiht ist. Dinas Bran war das Schloß ihres Vaters.

Mit diesem vollen Klang der Romantik schied ich von Llangollen. Ich mußte immer an unsren Urvater Adam denken, wie er aus dem Paradiese schied. Auch fehlte mir's nicht an weiteren Vergleichspunkten. Die heiße Sonne von Dinas Bran hatte ein Herbstgewitter zusammengezogen; und da ich kaum, auf dem Dache einer Stage-Coach, aus Llangollen hinausgerollt war, so brach der Sturm und das Wetter los und Blitz 301 und Donner fuhren aus dem Paradiese hinter mir her.

Es war schon späte Dämmerung, als ich von Aber aus den wolbekannten Weg zwischen den Hecken zur Farm Wern emporstieg. Da ich ihn zum erstenmal gekommen war, mit frischer warmer Wanderlust, da lag der Wald und das Meer ruhig und im Mondenscheine. An diesem Abend wehte schon das welke Laub von den Bäumen herunter und dunkles Abendroth stand über dem Meere in schwerem Nebel und Gewölk. Und ich selber gieng, zwischen dem, was gewesen war, und dem, was kommen mußte, mit schwerem Herzen meines Weges.

Horch – der Herbstwind streicht durch das Meer –
Nebel und Wolken ziehn vor ihm her –
Rauschen die Wellen wol auf und nieder
Heben sich schäumend und sinken wieder;
Fern noch ein Funken Abendroth,
Fern an der Klippe noch schwankt ein Boot –
O, wie dämmern, wie locken die Weiten –
Könnt' ich die Flügel – o, könnt' ich sie breiten!

Ruft die Mutter das irrende Kind?
Rufst du mich heimwerts, brausender Wind?
Nebel schon wallen in herbstlicher Schwere,
Und ich wandle noch immer am Meere.
Rufst du mich weiter wogendes Spiel? . . .
Träume der Sehnsucht haben kein Ziel!
O, bei der Dämmrung webender Helle
Könnt' ich so schwanken von Welle zu Welle. 302

 


 


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