Julius Rodenberg
Ein Herbst in Wales
Julius Rodenberg

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Der Schulmeister von Llanfairfechan.

Nachdem ich mich in oben geschilderter Weise in der Farm und ihrer nächsten Umgebung freundlich eingebürgert hatte, dachte ich nun daran, meinen Gesichtskreiß nach Neigung zu erweitern. Die Großmutter, welche, bei gutmüthiger Redseligkeit, oft mehr sprach, als ich sogleich verstand, hatte mir doch schon vielfältig gute Winke gegeben, die wenigstens meine Aufmerksamkeit zu weiterem Forschen anregten. Unter Anderm hatte sie nun auch Viel zum Lobe eines Mannes gesagt, der als Schulmeister in einem benachbarten Dorfe ansäßig war. Er sollte ein freundliches Betragen mit großer Gelehrsamkeit verbinden, sollte ein Poet sein, ja sogar in jüngeren Jahren von der Cymregyddion, einer Gesellschaft zur Beförderung walisischer Dichtkunst, mit einem ihrer Preise gekrönt worden sein. – Diesen Mann beschloß ich aufzusuchen, und machte mich sogleich am nächsten Sonnabendnachmittag auf den Weg nach seinem Dorfe. Zuerst eine gute Strecke an den Kornfeldern herauf, bis zu einem Hohlwege, der zwischen hohen Brombeerstauden zu einigen vereinzelten Gehöften und dann zu dem 58 Dorfe führte. Mir vorauf schritt singend eine Frauengestalt, die – sobald ich nur die Umriße zu erkennen vermochte – Jugend und Anmuth verrieth. Ich näherte mich, um den Gesang beßer zu hören, und ward nun auch von der lieblichen Melodie, sowie von der frischen Natürlichkeit, mit der das Mädchen sang, ganz entzückt. Da das Liedchen zu Ende und ich in der Nähe der Sängerin angekommen war, grüßte ich, worauf sich sogleich ein bleiches Mädchengesicht umwandte, welches durch ein schwarzes Filzhütchen mit verwitterter Feder drauf gar romantisch gedeckt ward. Mit ihren dunkelbraunen Augen maß sie mich in meiner ganzen Länge, wobei sie sich sehr ernsthaft verhielt, obwol ich bemerken konnte, daß ihr das heiter Neckische und Schelmische reizend anstehen müße. Sie erwiderte meine Begrüßung und gieng weiter; ich neben ihr.

»In welchem Tone war das Lied, welches Du da eben gesungen hast?« fragte ich meine Begleiterin.

»Im Tone Codiad yr Hedydd« erwiederte sie ganz vornehm. Um diesen Namen meinem Gedächtnis einzuprägen, wiederholte ich ihn mir. Allein, meine Weise, ihn nachzusprechen, mochte ihr so komisch vorkommen, daß sie laut zu lachen anfieng. Darauf stellte sie sich vor mir dahin, sprach die Worte noch einmal langsam aus, wobei sie – um jeden Buchstaben genau anzudeuten, den Mund so lieblich verzog, daß ich ausrief: »Könnte ich dir diesen Namen von den Lippen küßen!« –»Pah!« lachte sie, und eilte einen Hügel hinan, über welchen der Fußpfad sich abzweigte, und bald 59 stand sie auf der Höhe, das bleiche Gesichtchen frisch geröthet und die Feder am Hut von der raschen Bewegung noch schwankend.

»Kannst Du mir nicht sagen, ehe wir scheiden«, rief ich von Unten herauf, »wo ich den Weg zum Schulhaus von Llanfairfechan finde?« –

»Kommt nur mit mir,« rief sie nieder, ich werde Euch so weit führen, bis Ihr's nicht mehr verfehlen könnt!«

Ich stieg ihr nach und hatte nun von der Anhöhe herab den freundlichsten Anblick vor mir. Das Dorf, mit seinen dunklen Schieferdächern und ehrwürdigen Bäumen von dem Gold der Abendsonne beleuchtet, zog sich von der duftigblauen Wand des Penmaenmawr mit Gärten und Obstfeldern bis ans Meer, welches all den Glanz des röthlichen Himmels bunt widerspiegelte. – Dann stiegen wir selbander abwärts bis ans Dorf. Aus einem Hohlweg, der schon ganz mit blauem Schatten erfüllt war, kam ein Heuwagen heran, mit drei Pferden, die ganz gelaßen anzogen.

»Grüß Dich Gott, Griffith!« rief meine muntere Führerin, da das ländliche Gespann herankam. Ein Bursch, der lustig und träumerisch auf dem Handpferd hieng, richtete sich empor. Bei vollkommner männlicher Schönheit hatte dieser kräftige Gesell etwas Finstres und Gespanntes in Blick und Haltung. Bei dem Gruße des Mädchens verlor sich dieß in einem freundlich aufgeregten Gesichte. –

»Gwenni, Du bist's? – Schönen Dank! – Wie geht's zu Haus, Gwenni?«

60 »Gut, – Alles wolauf!« sagte diese, die indes schon an dem Burschen vorüber war.

»Gwenni, komm doch einmal!« rief ihr Griffith nach.

Gwenni kehrte sich kurz um. »Hab' keine Zeit heute,« gab sie zurück, »keine Zeit!«

Griffith sah ihr mit seinem finstren Blicke nach, und nachdem er auch mich aus der Entfernung mit einem verächtlichen gemeßen hatte, gab er seinen Pferden die Peitsche, und war bald hinter dem Hügel verschwunden. –

Auf unsrem Wege durchs Dorf mußte ich mich aufs Neue über die große Reinlichkeit freuen, welche selbst in den schlechtesten Hütten herrschte. Ueberall die steinerne Flur, die hellen Fenster, die Küche und der Schrank mit dem blauen Porzellan. Hier hatten sogar die meisten Häuser hinter den schon früher beschriebenen Steinmauern ein kleines, sorgsam gepflegtes Blumengärtchen. – Endlich hatten wir hinter dem Dorfe den Platz erreicht, wo Gwenni von mir scheiden wollte. Auf einem Hügel, der die See beherrschte, zeigte sie mir das Kirchlein, das unter dunklen Bäumen einfach und ehrwürdig dastand. »Auf der andern Seite, dicht unter dem Hügel, liegt das Schulhaus«, sagte sie, indem sie mir die Hand zum Abschied hinreichte.

»Vielen Dank, meine schöne Gwenni, und lebe wol!« erwiderte ich.

»Gleichfalls, mein schöner Herr . . . . Ja, wie soll ich sagen? . . . . einerlei, mein Herr Unbekannt!« – und ehe ich noch Zeit gehabt hatte, ihr meinen Namen, 61 den sie freilich doch nicht hätte sogleich aussprechen können, zu nennen, sah ich ihr Federhütchen schon hinter den Hecken und rasch war sie mir ganz entschwunden. Ich setzte meinen Weg allein fort und hatte dann auch die Schule bald erreicht, welche ich auf einer weiten Fläche, an einem Bache, der von dem Hügel rauschend niederstürzte, stattlich aus Stein gebaut, erblickte.

Auch hier beschatteten alte hohe Bäume das Portal, und ein großer Gemüsegarten, durch eine steinerne Mauer gegen den Weg abgeschloßen, dehnte sich davor. Eine Frau, die in dem Kraut gearbeitet hatte, kam mir sogleich entgegen und sagte mir, da ich nach dem Schulmeister fragte, ihr Mann sei in ein Haus der Nachbarschaft gegangen, sie könne ihn aber rufen, wenn ich ein Weilchen verziehen wolle. Darauf führte sie mich in das Schulzimmer. Es war eine geräumige sehr hochgewölbte Halle auf Holzsäulen, mit großen Glasfenstern; gesunder, luftiger, als ich je eine Dorfschule in Deutschland gesehen habe. An den Wänden hiengen Karten, Tabellen, Notentafeln, und auf dem Pulte des Lehrers – mit Schnupftaback reichlich bestreut – lagen viele große und kleine Bücher, die Bibel in der heimathlichen Sprache, Gesangbücher mit englischem und walisischem Texte und mitten dazwischen unser Freund aus Jugendzeiten – der Rohrstock! – Über ein Weilchen trat der Schulmeister herein, ein Mann, tief in den Dreißigen, von mittlerer Statur, mit einem Gesichte, dem sein Beruf Geduld, und sein Herz Gutmüthigkeit aufgeprägt hatten. Nach 62 den ersten Begrüßungen theilt' ich ihm mit, daß ich ein Deutscher und nach Wales gekommen sei, um das Land und seine Bewohner in Sitte und Sage kennen zu lernen, und daß ich zu solchem Unternehmen gern den Beistand eines Mannes erbitten möchte, der mir als erfahren und freundlich gleich sehr gerühmt worden. Worauf mich der Schulmeister mit herzlichem Händedruck doppelt willkommen hieß. Einmal, weil ich als Gast und das andremal weil ich in solcher Absicht angekommen sei. Was er – der in diesen Bergen geboren, erzogen und nun durch seinen Beruf auf Ewig gefesselt sei – mir zur Erreichung meines löblichen Zweckes leisten könne, das wolle er mit aller Freudigkeit vollbringen; ja, er sei stolz darauf, daß aus so entferntem Lande ein junger Mann herangereist komme, um sein Volk kennen zu lernen, welches jetzt Nichts mehr sei, als ein Schatten dessen, was es einst gewesen. Wir traten darauf in den Garten, welcher als eine schattige Terrasse den Blick aufs abendrothdurchglühte Meer gewährte, und so vergiengen mehrere Stunden. Die Sonne war in dunkelblauem Gewölk versunken, das – sobald ihm der Glanz des Tages fehlte, – sich finster über den ganzen Himmel hinaus verbreitete. Beim Abschiede sagte mir der Schulmeister, daß er morgen eine kleine Geschäftsreise nach Conway und Llandudno zu machen habe, die ihn leicht bis Montag Abend aufhalten könne – ob ich nicht geneigt sei, ihn dorthin zu begleiten? Mir war Nichts erwünschter, als die Gelegenheit, in solcher Begleitung das alte berühmte 63 Conway zu sehn, und ich versprach mit lebhafter Freude, ihn am andern Morgen – da der Weg vorüberführte – aus seinem Hause abzuholen.

Ich gieng, und da ich an meine liebe Eisenbahnbrücke am Meeresstrand kam, so trat ich hinunter, um das finstre Meer toben und stürzen zu hören. In diesen Gebirgsgegenden wechselt das Wetter erstaunlich rasch; nach jenem goldigen Herbstnachmittag hatte sich nun ein Sturm aufgemacht, der das Meer in seinen Tiefen aufwühlte und die dicken Wolken gegen die Felsen warf, daß sie in Regen herabströmten. Ich verweilte, und kam, dem Regen und Sturm entgegenschreitend, spät, aber dießmal ohne Unfall, da dämmrige Mondenhelle mir den Weg zeigte, nach Haus. Auf der Farm waren Alle schon zu Bett; nur Sarah saß noch am Küchenfeuer. Ich machte mir Vorwürfe, daß sie meinetwegen so lange habe wachen und warten müssen. »O nein, nicht blos Euretwegen« sagte Sarah, »ich würde doch noch nicht zu Bett gegangen sein.« Ich wünschte ihr gute Nacht und ging treppauf. Aber kaum, daß ich in meinem Kämmerlein angelangt war, so hörte ich unten erst die Küchenthüre und dann die des Hauses leis gehen. Neugierig gemacht, trat ich ans Fenster und sah nun, bei dem Licht des Mondes, das durch die Wolken zu meinem Vortheil gedämpft war, Sarah über den Hof und zu einem Schuppen gehen, aus dessen halboffner Pforte sogleich eine Gestalt hervorkroch, die – wie sie sich in die Höhe hob – kein Andrer, als – Owen zu sein schien. Fürwahr, dacht' ich, sie ist nicht blos meinetwegen 64 so lange aufsitzen geblieben! Ich hoffte, Zeuge einer walisischen Schäferscene bei Sturm und Regen sein zu können; allein, ich hatte mich getäuscht, die Phillis meiner Farm hatte sichs bequemer ausgedacht. Sie schritt wieder über den Hof zurück, ihr treuer Schäfer hinter her, dann ins Haus und in die Küche. Wie aber wuchs mein Erstaunen, als ich statt Seufzer, Schwüre und Küsse nur ein Geräusch vernahm, welches darauf deutete, daß sich Owen die Stiefel und Sarah die Schuh auszog. Und richtig – in Strümpfen stiegen sie die Treppe hinan – an meinem Gemache vorbei und gegenüber in Sarah's Kämmerlein! »Nein!« rief ich aus – »das geht doch über die Gemüthlichkeit! das geht über den Anstand! das ist unerhört! – Dieses Mädchen von kaum achtzehn Jahren, mit den kindlichen Augen, dem zurückhaltenden Betragen, der Schüchternheit in Sprache und Gebärde . . . Kelten – Kelten . . . ich hätte mir's gleich denken können, daß die nicht von der Art lassen können. Aber was geht's mich an? Vielleicht leben wir hier in einem Paradiese, in welchem die Schlange noch nicht gesprochen hat!« – Ich schlief ein, und da ich am andren Morgen erwachte, schien mir die Sonne schon in die Augen. Denn nach dem gestrigen Unwetter zur Nacht hatte sich der Himmel wieder aufgeheitert, und man hörte wieder nur das Rauschen des Kornfeldes und der See. Aus dem Gärtchen nickten die vollen Mohnblumen, in denen die Regentropfen noch wie Diamanten sprühten, an mein Stubenfenster heran und hinter den feuchten Hecken im Grunde 65 sprang die See noch ganz erregt. Aber der Himmel war blau und der Morgen so klar, daß ich gegenüber auf Anglesea die Felsen der Küste, die weißen Häuserwände, die Kirchthürme, Wald und Flur deutlicher unterscheiden konnte, als je zuvor. – Zu guter Stunde brach ich auf, und nahm von der Familie, die mich bis vor's Haus begleitete, herzlichsten Abschied. Nur Sarah konnte nicht begreifen, warum ich, ganz gegen meine sonstige Gewohnheit, so kurz gegen sie sei. Sie stand noch lange auf den Stufen und sah mir verwundert nach; dann gieng sie nachdenklich ins Haus zurück. –

Der Schulmeister stand, als ich herankam, schon an der Planke seines Gartens; er trat heraus und wir wanderten sogleich weiter. Ich konnte an Nichts recht Antheil nehmen, bis ich ihm die seltsame Geschichte von gestern Abend mitgetheilt hatte. »Ja,« schloß ich: immer noch ein wenig aufgebracht, »Cäsar muß doch wol Recht gehabt haben, wenn er in seinen Commentarien behauptet, daß dieß Völkchen ohne Unterschied des Geschlechts zusammenlebe.«

Der Schulmeister hatte mir lächelnd zugehört, dann begann er: »Ihr thut dem armen Paare Unrecht, lieber Herr! Was Ihr da gestern beobachtet habt, könnt Ihr in allen walisischen Farmen sehn, wo sich eine Tochter befindet, die von dem Sohn einer andern Farm geliebt wird. Es ist bei uns die natürliche Folge eines ernsthaft gemeinten Liebesverhältnisses. – Ich habe bis heut Nichts von Sarah's und Owen's Absicht gehört, allein nun weiß ich sicher, daß sie sich 66 bald heirathen werden. Denn dieser nächtliche Besuch ist ein Heirathsantrag, und wenn er angenommen wird, so wird auch die Heirath nicht lang mehr auf sich warten lassen. – Es ist das in ganz Wales gebräuchlich Carw-ar-y-gwely, das s. g. Freiwerben auf dem Bette, wobei das Mädchen mit ihrem Geliebten plaudernd bis zur Morgenzeit auf ihrem Bette sitzt. Aber glaubt nicht, daß etwas Unziemliches dabei vorfiele; das Mädchen – welche nicht daran denkt, daß etwas Unpaßendes an einer Sitte sei, welche ihre Mutter und Großmutter vor ihr geübt hat – würde vor dem Liebhaber, der diese Gelegenheit misbraucht, entsetzt zurückfliehen – ja, er würde sich glücklich schätzen müßen, wenn er ohne blutige Nase davon käme. In wenigen Tagen würde die Nachricht seiner Unverschämtheit das Ohr jedes Mädchens in der Nachbarschaft erreichen, seine Genoßen würden ihn mit Abscheu meiden und sein Ruf, sein Glück, ja seine ganze Zukunft wäre auf eine bedenkliche Weise beschädigt. – Und nun, mein Herr,« schloß der Schulmeister, »wie denken Sie nun über Sarah?« –

»Sarah ist entschuldigt« sagte ich, »aber was die Sitte anbelangt, so möchte ich sie doch nicht in Gegenden empfehlen, wo die Leute heißeres Blut und weniger Pflichtgefühl haben, als die Waliser zu besitzen scheinen!« – 67

 


 


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