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Caernarvon ist die Hauptstadt des Shires, in welchem ich mich seit meiner Ankunft in Wales aufgehalten hatte; »Stolz von Nordwales« nennt das Volk diese Stadt, die höchst malerisch an der Menaistrait liegt, da wo sie sich wieder ins Meer öffnet. Ein liebliches Thal, das der Seiont durchströmt, umgibt sie auf der Landseite, und die dunkelblauen Caernarvonshiregebirge, die sich in einer mannichfaltig geschwungenen Linie von 36 engl. Meilen von dem Bardsey Island nach dem Penmaenmawr erstrecken und in deren Mitte als ein rechter Grundpfeiler der Snowdon steht, schließen sie gegen die Ferne ab. Hier ist man so recht mitten im nordwalisischen Hochland und die Waliser schauen mit heiligem Stolz auf die Hauptstadt desselben; ihr Boden trägt die Denkmale ferner, unvergeßlicher Tage. Noch stehn vom Römercastell Segontium – in welchem Constantin der Große eine Zeitlang residiert und Constantius, sein Vater begraben sein soll, einige bemoste Steine; noch ragen die Thürme der Zwingburg, in denen Eduard I. seine Herrschaft begründete, in denen der erste Prinz 263 von Wales geboren wurde. Und neben den Trümmern, die als Denksteine einer schicksalreichen Vergangenheit mit Ehrfurcht betrachtet werden, hat sich eine freundliche Stadt ausgebreitet, welcher von der einen Seite das ruhige Meer und von der andren die blühende Landschaft allen Segen gewährt.
Mein erster Gang, da ich spät am Nachmittage anlangte, war auf die Terrasse, die noch innerhalb der alten Ringmauern der Stadt, über der Menaistrait liegt. Hier ist die Lieblingspromenade der Stadtbewohner, man sieht auf die Stadt, das Meer und das scharfeckige Schloß in seinen mächtigen Dimensionen; hinter sich hat man freundliche Sommerwohnungen, dicht umbuscht, auf grüner Gartenhöhe. Darüber erhebt sich der sog. Twthill oder Wachthügel, ein Fels, auf welchem man ganz frei im Winde steht. Auf der einen Seite offnes Meer, auf der andren die kantigen, blauen Gebirgslinien, die Snowdonkette in all' ihrer wilden Pracht und Schönheit, und unter sich die Stadt, über deren Dächer der Abendrauch, von letzter Sonne durchleuchtet, dahinwehte und das Schloß in das Grün seines Hügels gelehnt. – Ich mußte, da ich diesem Schloße nahte, an die Worte denken, mit denen Duncan das Schloß Macbeth's begrüßt:
Dieß Schloß steht lieblich da! die Luft
So munter und so mild, empfiehlt es selbst
Den heitren Sinnen.
– – – Dieser Sommergast, 264
Die Schwalbe, die an Tempeln nistet, zeigt
Durch ihren gern gesehnen Bau, daß Athem
Des Himmels hier einladend weht.
Denn das Schloß von Caernarvon ist – obwol Ruine – noch so wol erhalten, daß es gegen Conway-Castle fast modern aussieht; die Mauern sind kahler, nicht so mit Efeu umsponnen, Alles ist weiter und breiter. In den Höfen auf saftigen Rasenplätzen weiden Lämmer, ein Pfau breitet stolz in der Abendsonne seine Federn – über die Flächen weht der Schatten der großen englischen Fahne vom Adlerthurm und in den Mauerscharten hängt das Nest des »Sommergastes, der Schwalbe, die an Tempeln nistet.« Man fühlt sich freilich nicht gleich so angeheimelt, wie vordem in Conway; dagegen wird man bei längerem Verweilen immer mehr angezogen. Die alten Zeiten treten unmittelbarer und frischer aus diesen wetterfesten Mauern, diesen immer noch schön geschweiften Portalen, diesen hohen, kräftigen Steinfenstern an den Einsamen heran, der in diesen Ruinen schweift. Der berühmteste von den dreizehn Thürmen des Schloßes ist der Adlerthurm; also genannt, wie die Sage berichtet, nach einem Römischen im Castell von Segontium gefundenen Adler, welcher einst die Zinnen geschmückt haben soll. In diesem Thurme werden auch noch die nackten Steinwände des Zimmers gezeigt, in welchem die Königin Eleonore dem ersten Prinzen von Wales das Leben gab. Dieser Thurm, die Bewundrung vieler Jahrhunderte, ist noch vollkommen gut erhalten. Alles ist noch fest, 265 sogar die ausgetretenen Stufen, die zu den Zinnen führen; und der Blick in den dunklen Thurmhof kühlt das Herz. Oben auf den Zinnen hat man durch jede Scharte eine andre und stets freundliche Aussicht, hier die stillen Höfe, den Hügel mit der Waldwiese, die Stadt mit ihren schmalen Gaßen und alterthümlichen Häusern, dort die Bergzacken und unter ihnen den Snowdon in der Ferne, dort die Insel Anglesea mit ihren lieblichen Höhen, ihren Triften, ihren Gehöften, und – weit ausgebreitet – ein glänzender Spiegel der untergehenden Sonne – das Meer und im Hafen die Schiffe, die den walisischen Schiefer – die heutigen »Königinnen und Fürstinnen« von Wales! – nach Liverpool, Dublin, Belfast und London, ja nach Hamburg und Amerika führen.
Spät am Abend, als ich die alten, dunklen, traut-heimlichen Straßen der Stadt durchwandelte, durch Nichts gestört als zuweilen durch den Gruß walisischer Mädchen und Burschen, kam ich noch einmal an das Schloß. An die Mauer gelehnt, funkelten mir durch die hohen Fensterwölbungen die Sterne, aus einem Hause gegenüber schallte Harfenspiel und Gesang durch die Stille der Nacht. Es war wieder das »Ar hyd y Nos« – die lieblich klagende Weise, die sich meinem Herzen so tief eingeprägt, daß sie jede Welle der See, jedes Geflüster des Laubes mir zu singen schien.
Am andren Morgen, als der Wind so wehte, daß die Bäume vor den Fenstern des Upbridge-Arms Hotel wallten, als die See duftig war und die grünen Berge in der kühlen Herbstsonne funkelten, gieng ich 266 bergan, die Ufer des Afon Seiont hinauf, um die Ruinen des alten Segontium zu suchen. Über den Boden der Römerveste dehnt sich heutzutage die Meierei Taddenellen aus. Ich irrte lange durch die grünen Wiesen, in denen die Mägde und Knechte beim Heumachen waren, durch die feuchten Niederungen, bis ich die Anhöhe fand. Auf zwei Seiten sind die Mauern fast noch ganz erhalten. Sie mögen wol zwölf Fuß hoch und sechs Fuß dick sein. Wo die Bekleidung entfernt ist, kann man alle Eigenthümlichkeiten der römischen Art zu bauen noch erkennen. An einer Ecke ist ein Steinhaufen, der ehedem einen runden Thurm gebildet haben soll, und an den andren drei Ecken sieht man noch die Grundmauern ähnlicher Thürme. Wenige Fuß unter der Oberfläche sind vielfach Trümmer irdener Geschirre, Aschenkrüge, goldne, silberne und kupferne Münzen gefunden worden. Die Überreste des hier begrabenen Constantius sollen, wie Matthäus von Westminster erzählt, von Eduard I. gefunden und in der Kirche des heil. Publicius zu Llanbeblig beigesetzt worden sein. – Auf den Steinhaufen dieses Hügels habe ich lange geseßen. Denn wie schön und wie wehmüthig läßt es sich nicht an einem kühlen, ruhevollen Herbstmorgen auf den Trümmern einer römischen Festung träumen! Und indem ich so saß, flatterte mir auf einmal – ich wußte nicht woher – eine große, glänzend schwarze Feder vor die Füße. Ich sah empor – der wilde Vogel, dem sie angehört haben mußte, schwebte unendlich weit über mir in der blauen Luft. Ich nahm die Feder, als ein Geschenk 267 der Oberen, vom Boden auf und beschloß mit ihr niederzuschreiben, wenn ich erst wieder in Deutschland sei, was ich im grünen Wales Alles so glücklich erlebt hatte. Leider ist dieser schöne Vorsatz nicht zur Ausführung gekommen – denn schon in London habe ich die Feder von Segontium verloren; und so trage ich denn freilich selbst die Schuld, wenn diesem Werkchen der luftige Schwung und die ungetrübte Helle fehlen, welche der Himmel von Wales selbst ihm zugedacht zu haben schien!
Ich wollte mit der Stage-Coach weiter nach Llanberis und war gegen Mittag reisefertig. Man konnte den vorsündfluthlichen Kasten schon von Weitem heranrumpeln hören. In seinem Innern war er Kopf an Kopf besetzt, oben auf dem Verdeck lagen Kisten und Kasten, Säcke und Beutel, und rings um die Kanten herum hiengen – mit den Beinen über den Wagenfenstern schlotternd – die Außenseitpassagiere. Indem ich mich mit mehr Muth als Behagen anschickte, eine ähnliche Position zu gewinnen, ward ich auf einmal mit einem dreistimmigen: »Guten Morgen, Sir!« begrüßt. Leser, denk Dir, wenn Du kannst, mein Entzücken – das Kleeblatt von Birmingham war oben auf der Stage-Coach! Er, das Haupt und die Seele der Vergnügungsreise, der Meßerfabrikant war wie ein Keil zwischen zwei Kerle geklemmt, die einen furchtbar schlechten Tabak rauchten. Mit beiden Händen hielt er sich krampfhaft an den Geländerstangen fest, während er die Absätze seiner Stiefel – zum großen Verdruß einer jungen Dame, die sich sehr auf die Aussicht 268 gefreut hatte! – in das offne Wagenfenster stemmte. Der Materialist hatte sich zwischen einem Mantelsack und einer Holzkiste ein bescheidnes Plätzchen gesucht, wo er wenigstens ungestört seufzen konnte, und der Clerk war auf dem breiten Kutschersitz mein Nachbar. Der Meßerfabrikant öffnete seinen Mund nur, um zu fluchen und zu behaupten, unser Sitz wäre weit comfortabler, als der seine. Den Comfort unsres Sitzes zu beurtheilen will ich dem Leser überlaßen, nachdem ich ihm gesagt habe, daß er so breit war, daß unsre Beine immer im rechten Winkel mit unsrem Oberkörper in die Luft ragten; und so glatt, daß wir jedesmal, wenn die Pferde stärker anzogen, eine Neigung verspürten, hinunterzurutschen. Dabei galoppierten die Pferde bergauf und bergab, über Steinhaufen und durch Sümpfe dahin – die Kasten auf dem Verdeck flogen, alle Passagierbeine ringsum – außer den unsren – schlotterten, der Messerfabrikant fluchte, der Materialist seufzte und der Clerk und ich kämpften gegen das Schicksal und das glatte Polster. Ein Passagier, welcher weder innen noch außen mehr Platz finden konnte, mußte nebenher traben; aber immer, wenn es Galopp bergunter gieng, dann stellte er sich auf den Wagentritt. Ich habe diesen Passagier im Stillen sehr beneidet!
In dem ersten Kirchdorf, das wir erreichten, war grade die Schule aus, als unser Wagen vorüberfuhr. Sofort setzte sich die ganze Schuljugend, Bibel und Schreibtafel noch unter dem Arm, in Bewegung, um uns bettelnd zu verfolgen. Bergab, bergan liefen sie 269 unabläßig dem Wagen nach, einige sogar ihm vorauf; vor der Thür eines ganz anständigen Hauses saßen die Kinder desselben. Kaum erblickten sie den Haufen, als auch sie sich anschloßen und nun alle zusammen wie die Mücken uns umschwärmten mit dem monotonen Gesumm: »hae-p'ni! hae-p'ni!« Das Betteln scheint hier eine wahre Kinderkrankheit oder ein Kinderspiel zu sein. Die Hälfte bettelt rein zum Vergnügen. Der Meßerfabrikant aber nahm die Sache nicht so harmlos. Er schimpfte auf die Stager-Coach, auf die Polizei und die Fruchtbarkeit der walisischen Weiber. »Das ist allein der Grund der ganzen Bettelei!« rief er aus. »Wenn nicht in jedem Haus so viele Kinder wären, so brauchten sie auch nicht zu betteln. Ist das erlaubt für ein so kleines Dorf, solch ein Regiment Kinder auf die Welt zu setzen?«
»Aber, mein Herr, was wollen Sie?« entgegnete der Eine von denen, die den schlechten Tabak rauchten und in einem Englisch, das von derselben Beschaffenheit war, als sein Tabak, »ich bin doch auch ein Waliser und muß am besten wißen, was bei uns erlaubt ist!« Das Gespräch nahm in der angedrohten Richtung eine Wendung, von der, dem Anschein nach, die Dame, die sich so sehr auf die Aussicht gefreut hatte, noch weniger erbaut war, als von den Nagelschuhen des Birminghamer. Denn in demselben Augenblicke, wo der Wagen über einen Stein flog, schnappte plötzlich auch das Wagenfenster zu – die Beine des Biedermanns flogen in die Luft und seine Nachbarn hatten Mühe ihn wieder ins Gleichgewicht zu bringen. 270 Der Unglückselige! »Wenn diese Fahrt noch eine Stunde dauert,« jammerte er, »so werd' ich nach Llanberis als eine Leiche kommen!« Das Schicksal ersparte ihm und uns diese Unannehmlichkeit. Denn schon öffnete sich das Thal von Llanberis.
Der Aspect war wunderbar schön. Graue Felsen umschloßen uns zu beiden Seiten und senkten sich zu dem Llynbadarn, dem ersten See in diesen waßerreichen Hochlanden, der dunkelblau und ohne Regung da lag. Hoch zur Rechten gipfelten sich die Gebirge und das glänzende Haupt des Snowdon erschien in wolkenloser Höhe und Reinheit. Die Felsen schillerten von Grau nach allen Farben hinüber, so wie sie die Sonne mit Licht oder Schatten bedeckte; nur spärlich grünte an den ungeheuern Steinen das Moos und die Heide. – Wo nun endlich das Dorf Llanberis beginnt, da schließen sich Tannen und Buchen lieblich zusammen und reizender als das Victoria-Hotel auf seinem Hügel unter Garten und Wald, ernst überragt von den Trümmern des Dolbadarn-Schloßes, hab' ich nie eins liegen sehn. Dazu das eigenthümliche Leben, halb poetisch – halb humoristisch – schöne Engländerinnen mit wehendem Schleier aus jeder Gebirgsschlucht auf muthigen Ponies hervorsprengend,– Gentlemen, junge und alte, die mit ihren Bergstöcken, die Filzcylinder zerdrückt, die engen Hosen zerfetzt, die Hände zerrißen, vom Snowdon herabkommen; die Führer und die Laufjungen, die Esel und die Pferdchen, Alles durcheinander mit Lachen, Schimpfen, Brüllen und Wiehern – dazwischen das ewige Quinquelieren des 271 Harfners, der auf der Flur des Hotels zwischen den Kleiderbrettern saß, und hoch über diesem bunten Treiben das Flattern der englischen Fahne, die ihren Schatten über die hellgrüne Rasenfläche und die Tannenwipfel am Fuße des Berges dahinwarf: das ist die Staffage des Victoria-Hotels von Llanberis!
Die drei Edlen aus Birmingham saßen schon am Tische, ehe ich mich noch einmal in Hof und Garten umgesehn hatte; sie gaben sich mit Beaf und Ale reichlich Revanche für alle Unbill, die sie auf der Stage-Coach erfahren. Als ich eintrat, hielten sie bei Käse und Sellery.
»Werden Sie den Snowdon mit uns besteigen?« fragte der Meßerfabrikant, als ich eintrat.
»Nein,« erwiderte ich, »ich werde den Snowdon nicht besteigen.«
Alle drei legten bei dieser höchst unerwarteten Antwort das Meßer vor Erstaunen nieder; aber nur einen Augenblick – im nächsten ergriffen sie's, zu meinem Troste, wieder.
»Närrische Leute, diese Deutschen!« sagte der Meßerfabrikant. »Närrische Leute!«
»Keinen Sinn für die Natur!« fügte der Clerk hinzu.
»Und kein Fünkchen Poesie!« schloß der Materialist. Es war das erste Wort von ihm, das ich an diesem Tage und das letzte, das ich überhaupt von ihm hörte. Denn nach Verlauf einer Viertelstunde saßen die drei Gentlemen schon auf drei Eseln, zwei Jungen mit lautem: »Hi! hi! hi!« und gewaltigen Ruthen hinterher – und nach einer halben Stunde entschwanden sie meinem Blick für immer.
272 Ich aber beschloß hier Station zu machen und richtete mich mit aller Behaglichkeit in einem Zimmer ein, welches mir über dunkle Tannen hinaus den Blick zu den blauen Seen und dem Snowdon gewährte.
Mein täglicher Gang war zu den Seen, unter welchen mir der Llynberis der liebste blieb. In seinen Uferfelsen unter einem grünen Strauch verträumte ich gern die Stunden der Mittagssonne. Über dem See in der Felsenschlucht war ein Steinbruch, der Rabenfels genannt. Da rollten und donnerten nun die Steine aus der Höhe herunter – man konnte wegen der Ferne keine Arbeiter unterscheiden und da man nur das Schieben und Herabstürzen der Steine ohne den Grund desselben sah, das rastlose Bewegen und Schaffen und Poltern und das Alles in der blendenden Mittagssonne auf dem grauen, farblosen Grunde und darüber die grünen Heidflächen und die ziehenden Wolkenschatten: so konnte man denken, da drüben sei eine Geisterstadt, in welcher das heimliche Leben erwache! Weiter unten ward es viel ruhiger und zauberhaft dunkler; der See war ganz stahlblau und wogte nur, wenn der Wind darüber hinfuhr.
Farrenkraut und Rosmarein
Flüstern um das Felsgestein.
Über mir, durch Tannenwipfel,
Glänzt des Snowdon's scharfer Gipfel,
Seine Spitzen glühn und starrn –
Über kahle Bergesmatten
Ziehn der Wolken breite Schatten –
Ferne ragt Schloß Dolbadarn. 273
Und in dieses Thales Runde
Liegt der See so blau und klar;
Und auf seinem tiefen Grunde
Rauscht und weht es wunderbar.
Tauch empor, du schöne Fee,
Die da wohnt in diesem See!
Und bei deiner Wogen Rauschen
Will ich schau'n und will ich lauschen,
Dir zu Füßen will ich knie'n.
Auf dem Felsen laß dich nieder,
Lehr mich deine dunklen Lieder,
Deiner Tiefe Melodie'n.
Laß die Wellen lauter schlagen,
Voller laß die Winde wehn, –
Laß mich Dich im Herzen tragen
Königin der blauen Seen!
. . . . Alles ruhig – Alles sacht . . . .
Snowdon glüht in Mittagspracht –
Wellen plätschern am Gestade,
Keine Elfe kommt zum Bade – – –
Nur der Wellen dumpfer Chor
Und der Bergwind nur, der schrille,
Stört die märchenhafte Stille. –
Leise wogt der Nebelflor
Um die Tannen; – in die düstern
Schluchten fällt der Sonnenschein,
Und um meinen Felsen flüstern
Farrenkraut und Rosmarein.
In der Abendsonne saß ich gern auf dem grünen Rasenhügel vor dem Hotel. Vor mir die goldne Landschaft mit dem Wehn des Windes und der Frische des Waßers, die Tannen, die Seen, die Berge. Um diese Stunde ließ ich mir den Harfner von der Flur des 274 Hauses kommen; er setzte sich unter den wilden Rosenstrauch, daß die Rosen ihm um Haupt und Harfe schwankten, und ich lag im thaufrischen Rasen. In seinen wild-herzlichen, träumerischen, neckischen Melodieen, die zwar nicht immer in ganz richtiger Harmoniefolge dahinrauschten, aber doch stets anregend blieben, rollte zuweilen der dumpfe Donner aus den entfernten Bergwerken. Schöne Britinnen suchten Bänke in der Nähe und horchten. Meine Gedanken aber zogen mit den Wolken gen Abend . . .
Die Melodieen, welche der Harfner am meisten spielte, waren das lieblich-frische Codiad yr Hedydd, welches ich einst zuerst hatte von Gwenni singen hören und das wehmüthige Ar hyd y Nos, welches den Walisern der liebste Ton zu sein schien, und während er spielte, sang ich im Geist und Maß der Melodien folgende Lieder still vor mich hin.
Die Lerche.
(Im Tone: Codiad yr Hedydd.)
Bricht das Eis und schmilzt der Schnee,
Kommt die Lerche über See.
Grünt der Wald und blüht die Kluft,
Schwingt sie auf sich in die Luft.
Singt im Steigen über'm grünen Thal:
Theures Land, im Frühlingssonnenstrahl,
Grüß dich, grüß dich tausendmal!
Wogt im Feld die hohe Saat,
Und der heiße Sommer naht.
Mittagsduft den Wald umwebt, –
Doch die Lerche fröhlich schwebt. 275
Singt im Steigen über'm schwülen Thal:
Theures Land, die Sonne färbt dich fahl –
Segne Gott dich tausendmal!
Reift die Gerste, gilbt das Korn,
Ruft im Wald das Jägerhorn;
Weht vom Meer der Wind so rauh:
Lerche fliegt durch's klare Blau.
Singt im Steigen über'm öden Thal:
Theures Land, nun bist du wieder kahl –
Lebe wol, vieltausendmal! –
Ach, in der Nacht.
(Im Tone: Ar hyd y Nos.)
Stürme sausen, Wogen rauschen –
Ach, in der Nacht!
Hier am Strande will ich lauschen –
Ach, in der Nacht!
Wogen, Wogen auf und nieder, –
Sturmwind, deine dunklen Lieder
Wecken alle Leiden wieder –
Ach, in der Nacht!
Soll ich immer dein gedenken –
Ach, in der Nacht!
Schluchzend muß das Haupt ich senken –
Ach, in der Nacht!
Hast mit Liebe mich gefangen,
Hast bethört mich mit Verlangen,
Hast bethört mich, bist gegangen –
Ach, in der Nacht!
Weh – nun pocht mir's unter'm Herzen,
Ach, in der Nacht! 276
Pocht mir eine Welt von Schmerzen –
Ach, in der Nacht!
Keine Reue hilft, kein Denken –
Soll ich mich ins Meer versenken?
Soll ich dir das Dasein schenken . . . .
Ach, in der Nacht!
So giengen, mit Harfenspiel und Mittagssonnenduft die Tage von Llanberis dahin. Der einzig trübe Fleck in dieser Reihe heller Erinnerungen ist meine Snowdonfahrt. Es war, als hätte mich der Himmel dafür, daß ich den Biederleuten von Birmingham eine so schlechte Meinung von dem Natursinn der deutschen Nation gegeben habe, mit dem dicksten Nebel, dem ausgesuchtesten Regen und dem unerbittlichsten Winde bestrafen wollen. – Es war einer jener Morgen, wo die Sonne verheißungsvoll durch das Frühgewölk scheint, als ich mit einem gewaltigen Alpenstock bewaffnet in Begleitung eines Führers mich auf den Weg machte. Ueber nackte Felsenstufen stiegen wir empor; und bald befanden wir uns in einem Nebel, wie man sich ihn an einem Londoner Novembertag nicht dicker wünschen kann.
»Seid nur guten Muthes,« sagte der Führer. »Der Nebel fällt!« In der That, er fiel; in 10 Minuten war ich so naß, als käm ich aus dem Bade. Der Nebel fiel; aber er gieng doch nicht fort. Er schien aus einem Vorrath zu fallen, der für acht Tage ausreichend war. Der Führer sann auf Unterhaltung. Er erzählte mir Dinge, die ich schon in meinem Guide-book hundertmal gelesen hatte; früher wäre hier 277 ein dicker Wald mit vielem Hochwild gewesen; auch Wölfe seien hier gewesen. Es war allerdings gut, daß sie nicht mehr hier waren. Der Adler hätte auf diesen Klippen gern gehorstet. »Nun will ich Euch noch den schwarzen Stein zeigen, von welchem es heißt, daß – wer eine Nacht auf demselben schläft – entweder als Dichter oder als Wahnsinniger aufwacht.« Dabei verirrte sich der Führer und erst nach dreiviertelstündigem Waten durchs hohe Farrenkraut, dessen gelbe, regenschwere Blätter niederhiengen und über die abschüßigen Moosfelsen gelangten wir an den berühmten schwarzen Stein, von dem mir der Führer jenes Märchen erzählte, welches unter den Mabinogion mitgetheilt worden ist. Mich schauderte; aber ich will ehrlich sein – nicht vor der wilden Märchenromantik, sondern vor Kälte und Näße. Es war so trübe und so finster auf diesen Bergen; und meine Seele ward es auch. Der Wind sauste durch die Höhlen und Löcher, und wenn er den Nebel einmal zerriß, so sahen wir unter uns und über uns Felsspitzen, die von Näße dampften. Mir war, als wandelten wir unter dem Meere und sollten über diesen Basaltblöcken, diesen Porphyrfelsen zur Oberfläche an das Licht des Tages emporklimmen. Wie in die Polypengewächse der Tiefe verstrickte sich der Fuß oftmals in das Alpenmoos und die Haide, die zwischen den Steinen mächtig wucherten – und endlich, nach langem mühvollen Klettern standen wir auf dem höchsten Plateau des Snowdon, welches Gwrydd, der Kranz, genannt wird. »Hier muß,« ruft das entzückte, grüne Guide-book aus, »jede 278 fühlende Seele einen Schauer wonnigen Entzückens empfinden« . . – Meine fühlende Seele empfand auch einen Schauer; aber er war nicht von der vorgeschriebenen Art. »Denn wer könnte ungerührt bleiben, beim Anblick dieser Hügel. dieser Felsen, dieser Thäler, dieser Steine, dieser Seen?« . . . Leider fand ich alle diese Herrlichkeiten nur in meinem grünen Guide-book; die ganze übrige Welt war in Finsternis und Regen begraben, – der einzige Lichtpunkt in dieser aus naßen Kleidern, aus Mühe und gar keiner Aussicht zusammengesetzten Erinnerung war das Kaminfeuer im Wirthshäuschen von Gwrydd. Da dies Alles war, so war es gewis nicht viel. Aber der Trost, den der lateinische Dichter in solchen Lagen zugesteht, ward mir; ich fand die ganze Stube voll »socios malorum« männlichen und weiblichen Geschlechts, die dasselbe Schicksal mit mir duldeten, dabei aber mehr fluchten und schimpften, als ich für anständig hielt. Ich mußte dabei immer, sechs Jahre zurück, an meine Ferienreise auf den Brocken denken. Vor lauter Regen und Sturm verirrte sich der Führer und wir waren endlich seelenfroh, eine Viehhütte zu finden, in der wir uns vor dem Unwetter verbergen konnten. Damals, ein Novize in der Kunst zu reisen, ertrug ich mein Schicksal nicht so gleichmüthig. »Allein, allein«, rief ich aus, »in einer Wüstenei von Bergen, Kälte, Nebel und Sturm! Ich möchte mein »Reisehandbuch«, das mich durch trügerische Vorspiegelungen hier heraus gelockt hat, in den Ofen werfen – wär's auch nur um die Kienspähne in Glut zu bringen, die so traurig darin 279 glimmen, daß mir die Zähne klappern; ich möchte – Leser, verzeihe dem Studenten im ersten Semester diese Anwandlung! – meinen Führer prügeln; ich bin in einer Verfassung, daß ich die ganze Welt für ein Glas Grog verkaufen würde!« Gegen jene Brocken-Misère befand ich mich auf dem Snowdon doch noch erträglich. Ich hatte wenigstens einen warmen Kamin, ein Glas Grog und so viel Humor, als ein Mensch haben kann, der sich 3571 Fuß hoch über dem Meere in einem Nebel befindet, um den er im Flachland nicht 10 Schritt gegangen sein würde!
Die Heimkehr war viel erbaulicher. Das Glöckchengeläut von Hunderten von Schafen, die hier in ewiger Freiheit weidend um die Felsen klettern, klang durch die trostlose Einöde. Hier und da bellte ein Hund dazwischen. Aber ich eilte bergab.
Als ich im Victoria-Hotel anlangte, war es Mittag geworden. Während wir uns im Himmel hatten durchregnen laßen, war es auf Erden ganz erträglich zugegangen. Die Sonne kämpfte gegen die Wolken und am Nachmittage trat sie siegreich in das klare Herbstblau der Luft. Nur auf den Hörnern des Snowdon saß der Nebel noch wie eine Tarnkappe fest.
An diesem Tage gedachte ich weiter zu reisen. Zum Abschied bestieg ich noch einmal den Thurm von Dolbadarn, der einsam auf der Höhe zwischen beiden Seen steht. Es ist der einzige Rest des berühmten Schloßes, das noch vor der englischen Invasion, in grauen Jahrhunderten, erbaut ward, um den 280 Mittelpunkt des walisischen Hochlandes zu schützen. Noch zu Ende des 13. Jahrhunderts ward Dolbadarn-Schloß als eines der festesten in Nordwales erachtet. Nun ist es gebrochen und vom Wind, der hier über's Gebirge schärfer streift, nackt gefegt. Lose Steine und hohes Unkraut füllen den Hof des Thurmes und seine Mauern zerbröckeln an der Erde, Staub mit Staub vermischend. Und doch ist es Wunder genug, daß dieser Thurm trotz der Wuth seiner einstigen Feinde und dem noch immer nagenden Zahne der Zeit sich so fest in seinen Trümmern gehalten hat. In diesem Thurme hat einst auch »der milde, der tapfre, der löwenherzige Owen, der Stolz, das Entzücken, der Abgott seiner Landsleute« dreiundzwanzig Jahre geschmachtet als Gefangener seines Bruders Llewellyn, des letzten Fürsten von Wales, der ihn der Untreue gegen ihn beschuldigte.
Es war tiefe Nachmittagsstille. Die blauen Seen schillerten im Sonnenglanze, gegenüber der Rabenfels lag schon im Schatten. In den Mauern des Thurmes kletterten Dorfkinder in bloßen Füßchen mit flatternden Hemdchen und großen, dunklen Augen, wie Kobolde, herum. Auf einmal hörte ich unter mir ein Lied summen, welches mir wie ein Ton aus andren Welten klang. War es denn wirklich das? . . . Nein, nein – es konnte nicht sein – und doch! »Ein lust'ger Musikante – marschierte einst am Nil . . . o tempora! o mores!« Das Lied der deutschen Studenten hier in Dolbadarn-Castle, an den Seen von Llanberis . . . . Ich ward seltsam ergriffen, und als es zum Schluß 281 kam, da stimmte ich von oben ein: »Gelobet seist du jederzeit, Frau Musika!« Sogleich erhoben sich unten zwei junge Männer, die unter einem Felsvorsprung im Grase gelegen hatten und Einer von ihnen rief mir ein burschikoses »Guten Morgen!« herauf. Obgleich ich dem Accent anhörte, daß ich zu voreilig gehofft hatte, Landsleute zu finden, so war mir doch der Zufall sehr angenehm, der mir einen jungen Mann zuführte, welcher – wie er mir sagte – in München gewesen war, um Liebig zu hören, und dann auch einen Sommer in Heidelberg sehr glücklich verlebt hatte. Der Andre war ein Stockengländer und verstand keine Sylbe Deutsch. Wir gesellten uns freundlich zu einander und da es sich bald ergab, daß wir eine Strecke Weges gemeinschaftlich machen könnten, so beschloßen wir in der Abenddämmerung abzureisen.
Die Sonne war schon niedergegangen, als wir in den Paß von Llanberis einfuhren. Der Wind wehte scharf aus den Felslöchern; und ich saß in meinen Plaid gewickelt, todtmüde, da. Die Snowdon-Romantik steckte mir noch in allen Gliedern. Bald schlief ich ein, bald fuhr ich auf, wenn unsre Karre über einen Stein flog; Alles gieng wie ein Traum an mir vorüber: die Felsmaßen, die immer dunkler und riesiger aufstiegen, die Steinblöcke am Wege, die sich von den überhängenden Klippen losgerißen haben mußten, die nackten Abgründe, die sich tief zu beiden Seiten des schmalen Pfades aufthaten. Der zarte Nachtduft huschte heran, aber ehe er mir die Felshäupter verschleiert hatte, blitzte über einem derselben auf einmal, 282 wie eine Flamme, die grünlich-goldne Venus auf und rasch hatte sich der ganze Himmel mit Sternen geschmückt. In diesem Sternenzwielicht dämmerte es aus einem der Felsen wie eine Geisterburg mit Zinnen, Thürmen, Wall und Graben. Es war Blendwerk der Sinne; was ich gesehn hatte, war ein Cromlech, eins von jenen Druidendenkmalen – man weiß nicht recht, ob Altar oder Begräbnisstätte, vielleicht Beides zugleich – große, rauhe Steinplatten, welche auf vier Felspilastern ruhen. Nebel tauchten auf, – sie beugten sich, sie fielen nieder, sie schloßen sich ringförmig um den Cromlech zusammen – als wären es die Geister der Druiden beim nächtlichen Opferdienst.
Als wir am späten Abend im Wirthshaus von Capel-Curig anlangten, waren so viele Fremde da, daß sie auf Stühlen und Sofas herumliegen mußten. Uns Dreie führte man zu einem ziemlich entfernten Farmhause, wo wir in ungeheuren Betten die erwünschte Ruhe fanden. 283