Joachim Ringelnatz
Als Mariner im Krieg
Joachim Ringelnatz

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7

Warnemünde

Wir fuhren unserer vier vergnügt los. In Rostock hatten wir die Dreistigkeit, uns selber einen Tag Urlaub zu genehmigen. Auf dem hübschen Marktplatz mit den alten Giebeln und den bunten Obstbuden war ein geschmackvolles Nageldenkmal errichtet. Nun spielte gerade eine Militärkapelle, und aus dem lustwandelnden Publikum wurden Blumenspenden dort niedergelegt. Das Rathaus war anläßlich einer Feier der Jungmannschaften freundlich geschmückt. Kurz, ich hatte die besten Eindrücke in Rostock. Zwei von Lehmann aufgegabelte Konfektionösen brachten uns vier Maate an den falschen Zug. Später, im richtigen Zug vielen lustigen Unsinn treibend, machten wir die Bekanntschaft zweier Damen, Geschwister Reemi, die aus Mexiko geflüchtet waren, nun bei ihrer Mutter in Warnemünde wohnten, und die ich einmal zu besuchen versprach, um ein angefangenes Gespräch über Porfirio Diaz zu vollenden.

Wir sollten uns bei Oberleutnant Däver in Warnemünde melden. Es dauerte aber lange, bis wir im Dunkeln die Halbflottille West fanden. Die ersten Boote, die wir entdeckten, hießen zu meinem Erstaunen »Bergedorf«, »Farmsen«, »Wohldorf« und »Brema«. Die waren also von Libau abkommandiert. Ich stieg sofort auf »Farmsen« und in die Kajüte hinunter, wo mir Leutnant Kaiser erfreut die Hand schüttelte. Er schilderte mir noch einmal das Unglück des Leutnants Wilkens, bei dem noch andere Leute, so auch der anscheinend daran schuldige Minenmaat von der »Elsaß«, umgekommen waren. Und später hatte sich in Windau ein ganz ähnliches Unglück zugetragen.

Auf den Vorpostenbooten in Warnemünde herrschte dasselbe Durcheinander, das ich in Libau auf der Flottille beobachtet hatte. Niemand wußte, was stattfinden sollte. Ich schlief auf »Farmsen« in der heißen Kabine eines beurlaubten Maschinistenmaaten und freute mich über die vielen Fliegen, weil ich hoffte, sie würden mich morgen rechtzeitig wecken. Denn ich hatte als Zugführer ein schlechtes Gewissen wegen unserer Fahrtunterbrechung in Rostock. Als ich mich aber dann beim Stab bei Leutnant Däver meldete, rief dieser: »Was, Sie sind schon da? Wir sind noch lange nicht soweit. Kommen Sie mal am Nachmittag wieder. Da wollen wir theoretischen Unterricht machen.«

So bezogen wir Privatquartiere. Für Engel und mich hatte man ein blitzsauberes Zimmer bei einer Frau Detloff in der John-Brinkmann-Str. 3 gemietet. Engel war ein gutmütiger, etwas kleinlicher und geiziger und äußerlich ein großer, starker, täppischer Mensch, im Zivilberuf Metzger.

Am Nachmittag hielt ich vor der versammelten Division mit großem Selbstgefühl einen mehrstündigen Vortrag über Minensuchwesen. Lehmann, Culessa und Engel staunten mit offenen Mäulern über meine Redegewandtheit.

Wir wurden mittags an Bord verpflegt. Abends kochte uns Frau Detloff Kaffee. Wir brachten ihr von Bord die Bohnen und auch das Petroleum für die Lampe mit. Auch mit Bordseife erfreuten wir sie gelegentlich.

Zwei losgerissene deutsche Minen wurden angeschwemmt. Culessa bekam und vollzog den Auftrag, sie zu entschärfen. – Ein Wasserflugzeug warf versehentlich eine Bombe über der Mole nieder. Die Fensterscheiben der nächstgelegenen Gebäude wurden zertrümmert. – Boot III von uns hatte ein englisches U-Boot vernichtet. Englische U-Boote in der Ostsee, das war jetzt der große aktuelle Schrecken. Andererseits wurde die Möglichkeit eines baldigen Friedensschlusses diskutiert.

Unsere Boote liefen zu Übungszwecken aus. Wir Minenleute mußten das Suchgerät praktisch vorführen und die Besatzungen anlernen. Das ging alles in Ordnung, zumal bei diesen Booten auf meine seinerzeitige Anregung hin niedrige Heckbauten vorgesehen waren.

Engel verließ außerdienstlich nur selten die Wohnung. Er war zu geizig, um ins Wirtshaus zu gehen. Er saß stundenlang in der Küche und schwatzte kindisches Zeug mit Frau Detloff und deren Tochter. Diese verliebte sich ein wenig in den stattlichen Burschen, obgleich sie über dessen Fehler und Schwächen mit mir und auch vor ihm selber oft witzelte. Engel ging frühzeitig zu Bett und stand spät auf. Wenn ich schon früh erwachte, sah ich nur die Hälfte seines feuerroten Kugelkopfes aus den schneeigen Betten ragen. Ich wusch täglich ein Paar Strümpfe und Taschentücher, denn es schien, als ob wir viel länger als vorgesehen in Warnemünde bleiben würden. Das beglückte mich sehr. Unsere Vorgesetzten dort waren äußerst angenehme und rücksichtsvolle Offiziere.

Culessa war verlogen, Lehmann war ordinär, Engel beschränkt. Ich war der eigentliche und fehlerlose Engel. Ich verkehrte außerdienstlich nur wenig mit den drei andern. Ich hatte mich bald mit jenen mexikanischen Schwestern und deren Mutter angefreundet. Geschwister Reemi, Geigenkünstlerinnen. Sie hatten früher auch in München Konzerte gegeben, und ich besann mich nachträglich, sie dort einmal gehört zu haben. Die Mutter war eine ältere, sehr gescheite Dame.

Man traf sich mehrmals am Tage in dem sauberen kleinen Warnemünde, wo alle Häuser freundliche Veranden hatten und wo man wie im Schaufenster lebte. Ich kaufte mit Reemis Spinat ein. Ich hörte mit ihnen im Café Bechlin gute Musik. Dort verkehrten viele Offiziere, unter anderen ein komischer, grauhaariger alter Hauptmann, namens Brunnemann, ein berüchtigter Schwerenöter, der alle Damen kannte und im Café ihnen eine steife, gebrechliche Verbeugung machte. Am Tage aber ritt er mit gezogenem Säbel und mit Musik vor einem Häuflein Soldaten durch die Straßen, und wenn man vor ihm stramm machte, so winkte er mit einer merkwürdigen, gravitätischen Zweifingerbewegung ab. Abends saß ich mit Reemis am Strand. Auf dem Wasser lagen Fischerboote und eine verlassene Dreimastbark, die ich schon einmal nach Verwendbarem durchsucht hatte.

Bulgarien machte mobil. In Rußland stand das Spiel auf Revolution oder Null ouvert aus freier Hand. Im Volksblatt las ich, daß der Kaiser bestimmt hätte, daß den beurlaubten Mannschaften die Löhnung unverkürzt weiter zu zahlen sei. Mir hatte man sie noch abgezogen.

In Warnemünde ließ sichs gut leben. Wir vier Cuxhavener hatten tagelang nichts zu tun, weil die Vorpostenboote entweder in See oder in der Werft waren.

Der Simplizissimus lehnte meine Novelle ab mit Rücksicht auf die Zensur. Sie wäre zu grausig.

An der Westfront sollte es schlimm für uns stehen. Die große Offensive der Engländer und Franzosen hatte eingesetzt.

Ich saß sonntags am Strand im sechsten Strandkorb, das heißt aus fünf anderen Strandkörben hatten mich die rechtmäßigen Mieter verjagt. Der Himmel war grau wie Zigarrenasche, und das Meer darunter sah aus wie ein angelaufener Spiegel. Ich dachte verärgert über die Ablehnung meiner Novelle nach und über die Einrichtung Zensur. Ich konnte mich nicht entschließen, die Geschichte zu ändern oder zu kürzen, denn ich hatte sie ohne Tendenz geschrieben. Ich trieb keine Politik. Oder wenn, dann die patriotischste. Denn ich wollte doch immer unter die kühnsten Kämpfer gegen Deutschlands Feinde gestellt werden. Und wenn ich mich gerade in solchem Bewußtsein bemühte, die Wahrheit zu sagen, dann schien mir solches nur heilsam. Und in dem Gegenteil, im Entstellen oder Verschweigen glaubte ich etwas äußerst Gefährliches zu erblicken. Dann wurden meine Gedanken abgelenkt. Kinder bauten Mondkrater im Sand. Ein märchenhaft schönes Mädchen tauchte zwischen den Körben auf. Und von der Mole löste sich die Fähre ab, die täglich große Viehtransporte aus Dänemark holte. Dann quälte ich mich mit einer neuen Novellenidee ab, die mir aber zu groß schien, um sie in dem Rahmen einer Zeitschrift unterzubringen. Es war so, als ob ich eine Hose in einen viel zu kleinen Karton packen wollte. Später sprach ich mit Mucky Reemi darüber. Die meinte bei dieser Gelegenheit: »Du bist doch ein Dichter. Warum gibst du uns nie einmal eins von deinen Büchern zu lesen?«

Ich kaufte eine gruselige Fünfgroschenbroschüre, entfernte das Titelblatt und lieh dieses Büchlein, als eine Arbeit von mir, der Mucky. Nachdem sie es gelesen, besprach sie es eingehend mit mir, es müßte wohl eine Jugendarbeit von mir sein. Ihre Tadel formte sie sehr liebenswürdig.

Eines Morgens saß ich mit Engel beim Kaffee, den Detloffs uns immer so appetitlich und mit viel Liebe servierten, und Engel vertraute mir gerade an, daß er sich in die dicke Blonde von der Molkerei verliebt hätte. Da ward die Tür aufgerissen, Oberleutnant Däver trat aufgeregt herein, entschuldigte sich kurz und unterzog dann unser Zimmer – Betten und Schränke – einer eingehenden Untersuchung. Auch zu den zwei anderen Maaten begab er sich in gleicher Absicht. Lehmann war etwas peinlich überrascht, denn er hatte gerade ein Mädchen im Bett. Alle Schiffe wurden durchsucht. Eine peinliche Angelegenheit. Es bildete sich das Gerücht, in Rostock wären militärische Geheimpapiere entwendet.

Ich hatte inzwischen viele Bekanntschaften gemacht und wurde bald als lustiger und allerwärts herumbummelnder Lebematrose sehr populär. Sogar die Kinder auf der Straße begrüßten mich als Onkel. Besonders gern gab ich mich mit einem idiotischen Kind in unserem Hause ab. Es machte Sprünge wie ein Kalb und hatte sonderbare, für mich wunderbare Handbewegungen. Von jeher liebte ich derartige, geistesgestörte Kinder und konnte ihnen stundenlang zuhören. Im Ötztal in Tirol kannte ich ein Dorf, wo jedes zweite Kind idiotisch war, und diese Kinder dort hatten pompöse Namen wie »Germania« oder »Tudesca«.

Meine wertvollste Bekanntschaft aber war die mit der dickwadigen Badefrau vom Damenbad. Ich hatte mich gelegentlich angeboten, ihr beim Zerkleinern von Brennholz behilflich zu sein, und nun hackte ich und sägte auf Teufel komm raus, und hatte immer Zutritt zum Damenbad. Zwar war das Wetter schon kalt, so daß sich nur noch wenige Damen ins Wasser wagten, aber schon deren Anblick kostete mich manche Beil- und Sägewunde. Leider wurde die Anstalt bald geschlossen, wie der Lesesaal und das Fünfpfennighäuschen.

Abends saß ich mit Reemis im Strandkorb. Sie erzählten von ihrer Heimatstadt Guadalajara, und ich schilderte meine Schiffsjungenstreiche in Westindien und Britisch-Honduras. Zwischendurch belauschten wir die Gespräche der benachbarten Strandkörbe.

In einem Korbe erzählte ein Neuangekommener, Belgrad wäre in deutsch-österreichischen Händen, Bulgarien hätte Serbien angegriffen und in Bremen wäre augenblicklich Fliegeralarm. Schutzleute liefen klingelnd durch Bremer Straßen, und es würde aus Fenstern geschossen.

Das Café Bechlin ward stiller. Man sah dort fast nur noch Offiziere, den Oberleutnant, Grafen Montgelas, von dem ich anständige, schneidige Geschichten wußte, und natürlich Hauptmann Brunnemann. Dem war gerade ein Malheur passiert, Schokolade auf die Uniform gegossen. Er lag ausgestreckt im Korbstuhl, und während zwei Kellner seine Pantalons mit Salz und Warmwasser massierten, blinzelte er charmant puderfarbigen Damen zu.

Ein englisches U-Boot hatte eins von unseren Torpedobooten beschossen. Dieses hatte mit einer Wasserbombe geantwortet. Nun sollte unsere Vorpostenflottille eine gewisse Stelle im Sund absuchen, wo das angeblich beschädigte U-Boot liegen mußte. Es wurde dann auch gefunden und der Fund von einem Taucher bestätigt. Bei günstigem Wetter sollte es demnächst gehoben werden.

Aber es spukten noch mehr englische U-Boote in der Ostsee und versenkten in der folgenden Zeit mehrere deutsche Dampfer. Die deutsche Fähre nach Dänemark fuhr deshalb nicht mehr aus, nur die dänische verkehrte weiter. In unseren Kreisen tadelte man bitter die deutsche Marineführung, weil sie die großen Kampfschiffe und Hochseetorpedoboote untätig in Kiel liegen ließ und die Säuberung der Ostsee von englischen U-Booten unseren geringwertigen und schutzlosen Fischdampfern überließ.

Ein Torpedomatrose hatte sich aus nichtbekannten Gründen die Pulsader durchschnitten. Mir fiel die dicke Blutspur auf, die vom Kirchplatz bis zur John-Brinckmann-Straße führte. Ferner hatte ein anderer Mariner nachts auf der Straße ein Mädchen überfallen, ausgezogen und beraubt.

Wir vier Maate aus Cuxhaven schwelgten in Faulheit. Einmal mußten wir, ich weiß nicht, warum, eine Erklärung unterschreiben, ob bzw. wieviel Schulden wir hätten. Engel merkte nicht, daß sich das nur auf unsere Warnemünder Zeit bezog, und notierte da, wo wir anderen »Nein« hinschrieben, »fünfunddreißigtausend Mark Hypothekenschulden«, was den Feldwebel sehr verblüffte.

 

Ich war mittags bei Mutter Reemi eingeladen. Die Töchter spielten herrlich auf ihren kostbaren Meistergeigen Mozartsche Duette und das Air von Schubert und »Der Tod und das Mädchen«. Als ich heimkam, stand Engel bereit zum entscheidenden Sturm auf die Molkerei. Er hatte Glacéhandschuhe über seine gewaltigen Pratzen gepreßt und für zwanzig Pfennig Schokolade gekauft, die ihm aber im Regen ganz aufgeweicht war. Er ertrug aber meinen und Detloffs Spott mit rührender Geduld.

Auch Culessa hatte eine Liebschaft, eine Köchin auf der dänischen Fähre. Sie wäre ihm beinahe wegtorpediert, als ein englisches U-Boot einen Stettiner Dampfer versenkte. Die Fähre brachte übrigens einen deutschen Offizier mit, der aus englischer Gefangenschaft entflohen war. Erst kurz vor der Landung hatte er Uniform angelegt, und an der Mole wurde er von Warnemünder Militär mit Musik empfangen. Aber auch in diesem Falle wußten die Mannschaften nicht, worum es sich handelte. Wußten wir nicht, daß dieser Offizier der große und – was darum nicht wundert – bescheidene Held zur See, Kapitän Lauterbach war.

Ich ging zum Flugplatz und holte mir vom Oberleutnant von Winterfeld die Erlaubnis, einmal mitfliegen zu dürfen. Indem ich hastig ein schon startendes Wasserflugzeug erkletterte, trat ich aus Unkenntnis ein Loch in dessen Flügel, was freilich kein bedeutendes Unglück war.

Culessa und Lehmann wurden abkommandiert. Sie kamen nach Kiel auf die »Deutschland«. Ich trauerte ihnen nicht nach. Aber ich trauerte, weil die Maate vom Jahrgang 04 befördert werden sollten. Ich war sogar vom Jahrgang 03, aber mich hatte man offenbar übersehen, und ich wußte nicht, wie ich das aufdecken sollte. Ich wußte überhaupt nicht mehr, welchem Kommando ich unterstellt war.

Detloffs waren und blieben reizend zu uns. Sie stellten uns immer etwas Besonderes ins Zimmer, ein Blümchen oder ein Pflaumenmus. Vater Detloff war Gärtner.

Das Land färbte sich gelb. Dazwischen standen grüne Fichten oder leuchteten rote Beeren. Die Sandwege durch das niedrige Gehölz ähnelten denen bei Riga. Nebel und Regen wechselten sich ab. Das Brausen von Propellern in der Luft scheuchte Krähenschwärme auf. Die ersten Schneeflocken fielen.

Als ich bei Dunkelheit durch das Gehölz ging, hörte ich plötzlich Hilferufe. »Hilfe! Wächter! Wächter!« Hineilend sah ich in einer Lichtung einen Obermaaten im Handgemenge mit einem Arbeiter. Unweit davon stand ein Mädchen. Der Arbeiter schrie: »Lassen Sie meine Tochter in Ruh!« und zu dem Mädchen: »Du gehst nach Hause!« Ich trennte die Ringenden und fragte das Mädchen: »Ist das wirklich Ihr Vater?«

»Ja«, sagte sie, »hauen Sie ihm doch in die Augen!«

»Was? Ich soll Ihren Vater schlagen?«

»Ja, hauen Sie ihn tüchtig, er ist mein Pflegevater.« – – –

Das Café Bechlin mied ich nun völlig, nachdem man dort den Matrosen Borak ausgewiesen hatte, nur weil er nicht Offizier war und nicht, wie ich zum Beispiel, durch größere Zechen oder gute Begleitung imponierte. Diesen Borak lernte ich dann in einem anderen Café kennen. Er war mir sympathisch durch seine Intelligenz und durch seine Zuneigung zu mir, die beinahe an Verehrung grenzte. Er hatte auf einem Torpedoboot die Jagd auf das englische U-Boot A.E.13 mitgemacht. Dieses U-Boot flüchtete sich damals auf dänisches Hoheitsgebiet. »Der englische Kommandant«, erzählte Borak, »stand mit verschränkten Armen an Deck und sah stolz verachtend zu uns Verfolgern herüber. Wir fragten per Funkspruch in Swinemünde an, was wir tun sollten. Die Antwort lautete: U-Boot auf jeden Fall unschädlich machen. So schossen wir A.E.13 in den Grund. Fünfzehn Engländer kamen dabei um. Dann flohen wir, weil dänische Kriegsschiffe auftauchten. Später kam aus Schweden die Nachricht, der englische Kapitän hätte absichtlich sein Schiff geopfert, um die Aufmerksamkeit von neun anderen U-Booten abzulenken, die inzwischen den Sund passierten.« Borak erzählte mir, daß er früher in Hamburg Vertreter einer großen Autogesellschaft gewesen wäre. Er interessierte sich sehr für meine Schriftstellerei und ließ sich eins meiner Bücher vom Verlag senden und in feinstes Leder binden.

Am Sonntag erwachten Engel und ich von einer himmlischen Musik. Vor unserer Tür. Es klang, als ob ein ganzes Orchester draußen spielte. Aber es waren nur die Geschwister Reemi, die mir ein Geigenständchen brachten, zum Abschied, denn sie siedelten am andern Tag nach Rostock über, während ihre alte Mutter zur Klärung ihrer finanziellen Interessen nach Mexiko fuhr, wo derzeit Revolution herrschte. Ich besuchte mit Reemis einen kleinen zoologischen Garten, der aber unter den augenblicklichen Verhältnissen ein dürftiges und bedauerliches Bild bot. Man zeigte vorwiegend Haustiere, denen es immerhin noch am besten gehen mochte, da sie an die Hartherzigkeit der Menschen gewöhnt waren. Aber kläglich sahen die wilden, nun ganz abgemagerten Tiere aus. Die Adler steckten in Käfigen, wo sie kaum ihre Schwingen ausbreiten konnten. Als wir vor den Wölfen standen, klang gerade der Gesang marschierender Soldaten zu uns herüber. Da stimmten plötzlich die Wölfe mit unheimlich klagendem Geheul ein. – Reemis waren für das Orchester an das Rostocker Stadttheater engagiert. Ich besuchte sie bald. Und wohnte der Generalprobe von Rheingold bei. Der Pförtner wollte mir den Zutritt zum Theater verwehren, aber ich lief an ihm vorbei und schloß mich in der Fürstenloge ein. Sein wütendes Pochen an der Tür ignorierte ich. Die Schauspieler spielten in ihren militärischen Uniformen. Ein Feldgrauer auf dem Grunde des Rheines – ich mußte an den Kreuzer »Undine« denken, über dessen Versenkung ich gerade zuvor gelesen hatte.

Am nächsten Sonntag sah ich mir auch die Premiere des Stückes an. Diesmal saß das großherzogliche Paar in der Fürstenloge; da donnerte gewiß kein Portier an die Tür.

Man übertrug Engel und mir die Wache im Zollgebäude, Arrestwache. Die Arrestanten dort schliefen in kleinen, und bei strengem Arrest in dunklen Zellen auf Holzpritschen. Ich befragte alle nach ihren Vergehen. Einer hatte den Grafen v. d. Recke beleidigt und deswegen noch Festungshaft zu erwarten. Ein Maat, der wegen Betrunkenheit eingeliefert war, schien überhaupt nicht mehr nüchtern werden zu wollen. Er glaubte mir nicht, daß er eingesperrt sei und wollte durchaus nach Hause gehen. Erst als ich den Posten blank ziehen ließ, vermochte ich ihn einzuschüchtern. Zwei andere Matrosen büßten dort, weil sie mit dem Öl, das für die feinere Maschinerie der Torpedos bestimmt war, sich Kartoffeln gebraten hatten. Dann brachte man einen siebzehnjährigen verweinten Freiwilligen. Er hatte zusammen mit einem älteren Matrosen auf dem Torpedoboot V 158 die Messekasse beraubt. Sie verjubelten das Geld mit dem Vorsatz, sich hinterher zu erschießen, was dann aber nur der ältere tat. Engel erschmeichelte sich den Auftrag, diesen Arrestanten am nächsten Tag ins Untersuchungsgefängnis nach Kiel zu transportieren. Ich freute mich, Engel zwei Tage loszuwerden. Er ging mir schon lange auf die Nerven. Bei dem armen Molkereimädchen und deren Eltern hatte er sich als Heiratskandidat warm eingenistet. Sie ahnten nicht, daß er schon verheiratet war.

Ferner brachte man einen Obermatrosen vom Prisenkommando, der zu sieben Tagen strengen Arrestes und Degradation verurteilt war, weil er den Zivilkapitän eines neutralen Schiffes angepöbelt hatte. Aber sowohl Engel wie ich benahmen uns allzu gutmütig auf diesen Wachen. Wir steckten den Arrestanten Bier, Zigaretten und Speck zu, ja, ich ließ sogar einmal Mädchen in ihre Zellen. Einer, der entlassen wurde, konnte sich gar nicht trennen und sah ganz betrübt aus.

Man übertrug uns auch die Wache »Villa Thea«. Außerdem wurden wir auf Torpedobooten an den Wasserbomben beschäftigt. Dazwischen fuhren wir von Zeit zu Zeit wieder mit unseren Vorpostenbooten aus. Bei Ahrenshoop war der Levantedampfer »Kypros« gestrandet. Den sollten wir wieder flottmachen. Als wir aber hinkamen, hatte ein Bergungsdampfer ihn bereits im Schlepp.

Oberleutnant Däver empfahl den Minenmaaten und Deckoffizieren, nach einem Einbrecher zu fahnden, der seit Juli in Warnemünde sein Unwesen trieb und mehrfach Leute, die ihn bei Einbrüchen überraschten, überrannt hatte. Alle diese Leute beschrieben ihn als einen schlanken jüngeren Mann, der ein gewisses nervöses Augenzwinkern an sich hätte. Nur war er bald als Matrose, bald in Deckoffiziersuniform und einmal auch als Zivilist aufgetreten. Besonders auf Schmucksachen und Damenartikel wie Strümpfe, Korsetts usw. hatte er es abgesehen.

Schnee und Kälte setzten ein. Die »Warnow« war zugefroren. Engel benahm sich mir gegenüber undankbar und unkameradschaftlich. Ich teilte alles mit ihm und hatte auch ein ernstes Zerwürfnis mit seiner Frau wieder eingerenkt. Wenn er Speck gesandt erhielt, so verschwieg er es und aß den Speck dann heimlich im Klosett.

Eine Anzahl eiserner Kreuze und mecklenburgischer Medaillen wurden verteilt. Auch wurden täglich neue Beförderungen verlesen. Von meiner war nie die Rede. Ich bekam nur einen Schnupfen und litt seit einiger Zeit an unerklärlichen Schwindelanfällen. Mißgestimmt legte ich mich zu Bett und mußte für neun Mark Sterbegeläute anhören, das heißt: Das Geläute kostete die Hinterbliebenen, wie mir Frau Detloff erzählte, neun Mark. Dann verfiel ich – was mir so selten geschah – in einen schönen Traum. Die Schwestern Reemi traten in weißen Kleidern zu mir und fragten, wen von ihnen ich heiraten möchte. Ich sagte Mucky. Da küßte mich Tula und ward auf einmal zu einem schönen Engel, der seine Flügel ausbreitete und unter den Klängen einer zauberhaften Musik, mir gütig Abschied winkend, entfloh. – Da erwachte ich und sah wirklich einen Engel, aber es war der verfluchte knallrote, unmanierliche Metzgermeister Maat Engel. Der riß die Fenster auf, weil draußen ausrückende Landsturmleute mit klingendem Spiele vorbeimarschierten.

Unsere Truppen in Holstein erhielten auffällige Verstärkungen. – Auf »Prinz Adalbert« sollten fünfzehn Mann während der Katastrophe in Arrestzellen gesteckt haben. – Die Kriegsgewinnsteuer kam im Reichstag zur Besprechung. – Uns ward immer wieder verlesen, daß es verboten sei, Tagebuch zu führen. Ich war daher noch ängstlicher darauf bedacht, meine Bücher zu verbergen und sie bei jeder passenden Gelegenheit heimzuschicken. Außerdem bediente ich mich noch häufiger meiner Geheimschrift.

Mein Stammlokal war das Café Meyer geworden. Dort traf ich mich täglich mit Maaten anderer Divisionen und Zivilisten. Sie nannten mich allgemein nur noch den Wasserbombenmaat, und ich wurde bald ihr Hauptspaßmacher. Meyers waren wohlerzogene und freundliche Leute, und der schönen Frau Meyer durfte ich den Hof machen. Ich lernte dort den Feldwebel Hans Brinckmann kennen, einen Großneffen des Dichters.

Es wurde eisigkalt. Ich fror, denn ich lief noch immer im Hemd mit entblößter Brust herum, weil sich mein Überzieher noch in Kiel bei einem Flickschneider befand, dessen Namen und Adresse ich vergessen hatte. Dann gab es plötzlich Gewitter, und dann rüttelten wieder wilde Stürme an unsere Fenster in der John-Brinckmann-Straße. Im Hofe hatte Frau Lange aus dem Hinterhaus ihre unermeßlich weite Flanellhose zum Trocknen aufgehängt. Ich machte mir mit Engel das Vergnügen, diese Hose allnächtlich mit Wasser zu begießen.

Ich lud Engel zum Frühstück ein, und weil es auf meine Kosten ging, aß der Kerl fünf Neunaugen und zwei Portionen saure Scholle. Plötzlich lauschte er, und seine Augen strahlten verständnisvoll. Man hörte die fernen Schmerzenstöne eines im Geschlachtetwerden begriffenen Schweines.

Ich wurde täglich deprimierter, und nur, wenn ich – mit Urlaubschein oder heimlich – nach Rostock fuhr, fand ich bei Reemis vorübergehenden Trost. Einmal traf ich dort mit einer jungen aber baßstimmigen und Zigarren rauchenden Dame namens Heidweiler zusammen. Die erzählte Interessantes über Lauterbachs Flucht. Reemis erzogen mich auch in gewissen Dingen und redeten mir zu, meine vernachlässigten Zähne zu pflegen und eine drei Zähne breite Lücke durch künstliche Zähne zu ersetzen. Ich grübelte lange und sehr betrübt über dieses peinliche Thema nach, ehe ich nachfolgendes Rundschreiben an gewisse Freunde und Bekannte erließ:

»Bitte teilt mir eure ehrliche und ausführliche Meinung über folgende Fragen mit:

  1. Sind falsche Zähne mit Kautschukplatten etwas Unappetitliches beim Kuß? beim Essen? oder auch schon beim Anblick?
  2. Sind falsche Zähne sympathischer als keine oder wenig oder schlechte Zähne?
  3. Kann man harte Brotrinden mit falschen Zähnen beißen?
  4. Kann man mit falschen Zähnen laut schreien oder singen, zum Beispiel: ›Lache, Bajazzo‹?
  5. Kann man pfeifen?
  6. Kommt es vor, daß ein künstliches Gebiß beim Essen, Sprechen usw. plötzlich herausfällt?
  7. Spricht man mit falschen Zähnen besser als mit wenig echten?
  8. Gibt es Schauspieler, die ein künstliches Gebiß tragen? –«

Ehe noch die ersten Antworten auf diese Rundfrage eintrafen, die von den meisten als Witz aufgefaßt wurde, hatte ich mir auf langen bürokratischen Wegen in der Universitätsklinik drei neue Zähne angeschafft. Und nun lief ich durch die Straßen, und die Passanten hielten mich vielleicht für verrückt, weil ich in allen Tonarten vor mich hindeklamierte. Und Reemis zogen mich auf, weil ich anfangs während des Sprechens plötzlich »zwitscherte«.

Es waren neue Fischdampfer eingetroffen, deren Mannschaften sich alsbald in den Straßen sehr übel bemerkbar machten. Sie rissen auf dem Kirchplatz die aufgestapelten Weihnachtsbäume auseinander und zogen grölend damit an Bord. Die Nachtwächter versteckten sich vor ihnen. Die vielen Bestrafungen nützten wenig. Man hätte dem Frohsinnsdrang dieser Bordleute ein vernünftiges Ventil geben sollen.

Das deutsche Schiff »Bremen« war in der Ostsee versenkt worden. Nur siebenundfünfzig Mann sollten gerettet sein. Graf v. d. Recke hatte am Kattegatt einen englischen Attaché auf einem dänischen Passagierdampfer abgefangen. – Trotz gewisser Gegenmaßregeln wurde der Lebensmittelwucher immer schlimmer betrieben. In Berlin waren Weiber vor das kaiserliche Palais gezogen und hatten gerufen: »Gebt uns unsere Männer heraus!« Bis die Polizei sie mit blanker Waffe vertrieb. – Ein Freund schrieb an Engel, daß seine Kompanie 80 km vor Paris stände.

Es trafen Berge von Weihnachtsgeschenken ein. Ich wurde reich bedacht.

Am Heiligen Abend lagen vierundzwanzig Vorpostenbote mit 800 Mann Besatzung im Hafen. Die offizielle Weihnachtsfeier fand statt. Die Leute knabberten bedrückt oder schläfrig an ihren Pfefferkuchen, nörgelten oder lauschten stumpf dem Geigensolo und dann einem Vortrag mit Lichtbildern. Es gab Punsch und Freibier auf Marken. Engel schmunzelte. Aber ich nahm es übel, daß man für uns beide keine Plätze reserviert hatte, weder bei den Deckoffizieren noch beim Büropersonal, noch an den Tischen der Mannschaften und Unteroffiziere. Außerdem war ich verstimmt, weil ich kein Geld besaß. Daher verließ ich den Saal sehr bald. Und da trafen abends plötzlich telegraphisch hundert Mark von Albert Langen ein. Dr. Geheeb schrieb hinterher:

»München, 23. Dezember 15. Sehr verehrter Herr Hester, das ist eine wunderbare besoffene Geschichte! Furchtbar lang, aber so gut, daß wir sie doch bringen werden. Vielleicht gestatten Sie uns einige kleine Kürzungen. – Aber nur, wenn es aus Raumgründen sein muß. Das Honorar geht telegraphisch an Sie. Frohe Weihnachten wünscht Ihnen mit besten Grüßen Ihr Dr. R. Geheeb.«

Von meinem Onkel, dem internierten Kapitän Engelhart, erhielt ich einen Kartengruß aus Soerabaja.

Die überraschende telegraphische Geldsendung beglückte mich sehr, denn nun konnte ich noch geschwind Geschenke für Detloffs und andere Freunde besorgen. Und Oberleutnant Däver bewilligte mir zehn Tage Heimaturlaub. Ich badete meine Seligkeit in einem Rausch, wobei ich eine Fensterscheibe mit dem Kopf einschlug. Detloffs, über meine kleinen Gaben bis zu Tränen gerührt, bügelten, nähten, bürsteten und verproviantierten mich für die Reise. Ich lief noch in einen Barbierladen, um mir Spitz- und Schnurrbart abnehmen zu lassen. Eine Frau kratzte mir in unkundiger Weise den Spitzbart weg. Als sie danach ein Drittel meines Schnurrbartes ausgestückelt hatte, ließ sie plötzlich das Messer sinken und erklärte stockend, Schnurrbärte abzunehmen verstünde sie nicht. Wütend griff ich nun selbst zum Messer, mit dem Erfolg, daß ich mir sofort eine tiefe Schnittwunde beibrachte. Aber es war schon spät, und ich mußte stark blutend und mit zwei Drittel Schnurrbart in den Zug steigen.

Die Kupees waren von Urlaubern überfüllt. All diese schimpften oder stichelten laut oder leise über die unverhältnismäßig hohen Offiziersgehälter und über andere Ungerechtigkeiten bei Heer und Marine. Ich fand einen Platz im Speisewagen, einem Amerikaner gegenüber. Und ich schluckte Aspirin und trank schwarzen Kaffee mit Zitronensaft auf das Wohl meiner fernen Lieben. Weil mein Gegenüber kein Wort Deutsch verstand, half ich ihm als Dolmetscher vor dem Kellner. Der Amerikaner vertraute mir, er habe den deutschen Kaiser wegen einer Torpedoerfindung sprechen wollen, sei aber nicht vorgelassen worden. Die übrigen Fahrgäste warfen mir scheele Blicke zu, weil ich Englisch sprach.

Zehn Tage Urlaub, in Leipzig, Berlin, Merseburg, Schleußig, Halle a. d. Saale, Eisenach, Waltershausen in Thüringen und in der Eisenbahn verbracht, verflogen wie eine Stunde Verhätscheltwerden. Dann gab es bei Detloffs und im Café Meyer ein herzliches Wiedersehen mit mancherlei Neuigkeiten, wechselseitig ausgepackt. Von der deutschen zur dänischen Küste sollte eine U-Boots-Netzsperre zum Schutze der Fähre gelegt werden. – Ein Matrose vom »Seeadler« hatte einen Kameraden erstochen. – Landsoldaten hatten den Gastwirt Salzmann mit dem Seitengewehr verwundet. – Ein von Privatfirmen gestifteter Preis für Vernichtung englischer U-Boote sollte jetzt an die Mannschaft und Offiziere jenes Bootes verteilt werden, das C.A.13 versenkt hatte. – Ein Matrose hatte sich im Strom ertränkt. – Oberleutnant Däver feierte Hochzeit. – Montenegro bat um Separatfrieden. – Die Sozialdemokraten brachten im Reichstage die Willkürherrschaft der Zensur zur Sprache.

Ich mußte nun wieder an verschiedenen Stellen Wache schieben, meistens Arrestwache.

Vom Arrestlokal aus hörte ich die Festrede des Halbflottillenchefs zu Kaisers Geburtstag an. »– – Noch niemals ist ein Herrscher seelisch so eng mit seinem Volke verwachsen gewesen. –« Aber das Hurra klang dann sehr lau. Meine Arrestanten wurden anläßlich des Geburtstages aus kaiserlicher Gnade entlassen. So konnten die Zellen einmal gründlich gereinigt werden. Häufig fuhr ich heimlich nach Rostock, was immer schwieriger wurde, da die Bahnsperre schärfer bewacht wurde. Ich mußte schließlich, um die Posten zu umgehen, auf der Rückfahrt jedesmal an einer gewissen Kurve kurz vor Warnemünde vom fahrenden Schnellzug abspringen. Eine gefährliche Sache, die aber immer glückte. In Rostock besuchte ich Reemis und sah die Oper Carmen und sprach einen Mann, der beim Untergang des Kreuzers »Friedrich Carl« gerettet wurde. Das Schiff war von einem unserer eigenen U-Boote versenkt worden. Auch erfuhr ich den Untergang von »King Edward VII.«.

Weil immer wieder von neuen Einbrüchen in Warnemünde die Rede war und weil ich den größten Teil der Privatleute und Militärs dieses Ortes zu kennen glaubte, begann ich einmal ganz für mich zu recherchieren. Wer war der mysteriöse Einbrecher? Nein, ich fragte mich: Wer war es bestimmt nicht? – Die Kinder – die Frauen – die von Statur kleinen Menschen – alle diejenigen, die nur vorübergehend, also nicht seit Juli in Warnemünde waren. Wer war anzunehmenderweise nicht der Verbrecher? Die Offiziere – viele mir persönlich bekannte redliche, gutbürgerliche, harmlose oder unintelligente Leute. So zog ich immer engere Kreise und zuletzt fand ich den Gesuchten. Ich will vorsichtshalber sagen: Ich war fest davon überzeugt, ihn gefunden zu haben. Es war jener Matrose Borak, der mich so verehrte, und der mein Novellenbuch in feinstes Leder binden ließ. Ich erinnerte mich nun, daß ich ihn einmal in seiner Privatwohnung besucht hatte, die ihm als Offiziersburschen bewilligt war. Damals fielen mir die vielen geschmackvollen Luxusgegenstände auf, die er besaß. Auch hatte er mich damals in seine Zukunftspläne eingeweiht. Er wollte nach dem Kriege im großen Stile eine Kaninchenzucht in Australien beginnen und belegte seine Ausführungen mit logischen und sachkundigen Erwägungen und Zahlen. Ferner hatte er mir die Kopie vom Grundriß einer interessanten Mine gezeigt. Diesen Konstruktionsplan hatte er bei seinem Leutnant entdeckt und heimlich durchgepaust. Damals war mir die Sache nicht weiter ernst vorgekommen. Aber nun zurückdenkend, reimte sich mir das geniale hochstaplerische Wesen dieses Borak mit seinen äußerlichen Kennzeichen, seiner Größe, seinem nervösen Augenzwinkern zweifellos verdächtig zusammen. Er war inzwischen syphiliskrank in ein Lazarett eingeliefert. Ich sah von einer Anzeige ab. Vielleicht weil ich fürchtete, daß meine an sich ganz harmlosen und meinerseits ahnungslosen Beziehungen zu ihm zur Sprache kämen.

In dem mustergültig modernen und sauberen Schulhause, das unserer Wohnung gegenüberlag, wurde ein Soldatenheim aufgemacht; ich sah mir das an. Den Soldaten war freie Lese- und Schreibgelegenheit gegeben. Bücher und Zeitschriften nach zensierten kleinen Ansichten ausgewählt und Tinte, Feder und Papier. Wer von den Soldaten nicht ganz auf den Kopf gefallen war, konnte sich das besser selbst beschaffen. Die etwa zehn Leute, die bei der Eröffnung dort auf den Bänken hockten, sahen wie bedrückte, gepreßte Almosenempfänger aus, und zwischen ihnen stolzierten liebenswürdig jene leitenden ehrenamtlichen Damen der Gesellschaft umher und schwelgten in vermeintlicher Wohltätigkeit.

Ich hatte großen Verdruß. Mein Verleger schrieb mir bezüglich des Manuskriptes zu dem Kriegsmarine-Novellenbuch, daß die Zensur des Admiralstabes nicht nur die beiden stärksten Geschichten ganz, sondern auch aus dem übrigen Text so viel Stellen gestrichen, obendrein sogar Worte »verbessert« hätte, daß das Buch um 35 Seiten Umfang verlöre und ich deshalb doch noch etwas Neues hinzuschreiben möchte. Mit dem Gift und der Galle im Herzen schien mir das aber unmöglich.

Es hieß, unsere große Offensive an der Westfront würde beginnen, wenn der für unsere Giftgase günstige Wind einsetzte. Ich schrieb in mein Tagebuch: »Wäre dieser Krieg doch endlich ex! Käme es meinetwegen so, daß wir eine große Schlappe erlitten, wenn wir dadurch nur einen einigermaßen annehmbaren Frieden erhielten.«

Das Arrestlokal war wieder gefüllt. Engel und ich mußten viel Wache gehen und wurden im übrigen mit der Verteilung und Behandlung der Wasser- und Nebelbomben beschäftigt.

Das Prisenkommando hatte manche Erfolge im Handelskrieg zu verzeichnen. Aber wenn ich die Leute morgens weckte, waren sie noch todmüde und apathisch.

Ich erhielt Befehl, einen gemütskranken Signalgast in eine Nervenheilanstalt nach Kiel zu transportieren. Da dehnte ich denn meine Reise reichlich aus. Erst ließ ich mich in Lübeck verwöhnen. Als ich dort das Atelier einer Schneiderin Maria Timm betrat, um mir ein neues Minenabzeichen auf den Ärmel nähen zu lassen, nahm Fräulein Timm keine Bezahlung an, und sie und ihre Hilfsdamen traktierten mich mit Zigaretten und sonstigen Gefälligkeiten.

In meine Warnemünder Wohnung zurückgekehrt, fand ich dort eine Flasche edlen Weines vor, die mir Mucky hingestellt hatte. Ich beschloß sofort, mir eine festliche Stunde zu bereiten, die ein Gedicht gebären sollte. Ich räumte also das Zimmer sorgfältig auf, zog meine besten Uniformstücke an, holte mir feine Zigaretten und Detloffs vornehmstes Weinglas. So setzte ich mich vors Schreibzeug. Kaum hatte ich den ersten Schluck feierlich geschlürft, so polterte Engel ins Zimmer, plazierte sich neben mich und machte sich daran, ein Fußbad im Waschbecken zu nehmen. Ich teilte den kostbaren Wein mit ihm in verhaltenem Grimm und mit komischer Eile. Dann ging ich allein in einen Liederabend der Lotte Lehmann aus Hamburg.

Nachdem wir noch einmal mit sämtlichen Booten ausgelaufen waren und das Minensuchen wie im Examen dem Divisionschef vorgeführt hatten, brachte Engel die Kunde nach Hause, daß er und ich am nächsten Morgen endgültig nach Cuxhaven zurückreisen sollten. Das traf mich wie ein Schlag. Aber als Engel hinzufügte, er hätte heute schon einmal geweint, und als Detloffs, die gerade geschlachtet hatten, uns dann mit Wellfleisch und Herzlichkeit und heißen Würstchen und heißen Tränen trösteten, schickte ich mich in diese nur allzu berechtigte Abkommandierung.

An dreißig Maate versammelten sich im Café Meyer, um meinen Abschied zu feiern. Obermaat Proetel und der frohe Bernkasteler Stefan Heinz hielten erbauliche Reden, Frau Meyer kredenzte Krabbensalat und Herr Meyer spendierte Whisky. Ich schlug ein Auszählspiel vor, nach dem der Verlierer sich in eine Torte setzen mußte, und dieses bittere (Geschmack-) Los traf dann mich selber.

Zum letzten Male weckte uns Fräulein Detloff. Engel war verzweifelt. Unsere Wirtsleute schluchzten. Irgend jemand hatte Glasstücke vor unsere Tür gestreut, daß wir in Glücksscherben treten möchten.

Der Übergang in das strenge und militärische Cuxhavener Leben ward uns durch einen Hamburger Tag versüßt. Die Mädchen in Sankt Pauli bewarfen mich mit Schneebällen. Dann wollte ich mir ein Brot kaufen, bekam aber keins. Ich wollte Butter kaufen. »Butter ist ein Fremdwort«, sagten die Verkäufer. Es gab auch kein Fett, nicht einmal Margarine. Aber von den Bekannten, die ich aufsuchte, hatte jeder etwas Leckeres aufzutischen, was »hintenrum besorgt« war.

Als ich wieder mit Engel zusammentraf, war dieser heiser wie eine Dampfpfeife. Wir ließen beide die Köpfe hängen. Er seufzte im Zuge einmal über das andere, und ich summte trübsinnig das österreichische Reiterlied vor mich hin, in das ich gerade sentimental verliebt war.

Nun schlief ich wieder in der großen Wetternkaserne auf einem Strohsack und hatte wieder Gesuche im Gange und machte den Büroschreibern Bestechungsgeschenke, weil verlautete, es würde ein Sonderkommando für die Türkei zusammengestellt.

Wir bekamen weder Butter noch Milch noch Schnaps. Der Dienst war langweilig. Appell mit langem Stehen im Schnee – Drückebergereien – Meldungen und Beschwerden – Sonntags zwangsweiser Kirchgang. – Dazwischen einmal Kleiderausgabe, die sofort einen schwunghaften heimlichen Handel mit Kleidungsstücken und Schuhwerk bewirkte.

Der Hilfskreuzer »Wolf«, frisch ausgerüstet, war auf Schlick gelaufen, was eine Kesselexplosion zur Folge hatte. Es hieß, an Bord habe bei der Ausfahrt große Betrunkenheit geherrscht.

Im Kasino wurde rege dem Schachspiel gefrönt. Nachts in den Stuben vorm Einschlafen witzelten wir noch lange. Wenn einer einen Wind ließ, sagte der Witz: »Dem ist die Haut zu kurz. Wenn er die Augen schließt, öffnet sich sein Arschloch.«

Der Schreiber Zuckmantel bot mir einen Posten bei einem Sonderkommando an, für das nur Englisch sprechende Leute gebraucht würden. Ich lehnte aber ab, weil es sich um bürokratische Tätigkeit handelte.

Ein Matrose aus meiner Kaserne erschoß sich, weil man seine Bitte um Heimaturlaub spöttisch abgeschlagen hatte. Der Oberfeuermeister hielt uns eine verbohrte Ansprache über diesen Fall. – Ein Soldat dürfe nicht solche Schwäche zeigen. – »Die Wurzel des Übels wurzelt darin, daß der Tote sich auf unerklärliche und unredliche Weise eine scharfe Patrone verschafft hat. –« Ich verkehrte neuerdings im Gasthaus »Zur Sonne«, wo ein Stammtisch von Frankfurtern Apfelwein eingeführt hatte, der mir zum Dichten besonders günstig schien. – Engel wußte sich mit Hilfe eines undatierten Zeugnisses eines Landrates schon wieder vierzehn Tage Urlaub zu verschaffen.

Ein Mann simulierte Wahnsinn und lehnte sich vor versammelter Mannschaft gegen seine Vorgesetzten auf. Er kam auf Festung.

Die »Möwe« war glücklich durchgekommen und eingelaufen. Sie brachte zweihundert Gefangene und eine Million in Goldbarren mit.

Unsere Stuben wurden nunmehr einen Tag um den andern geheizt, weil es an Kohlen mangelte. Ein allgemeiner Husten bellte.

Ich wurde zum Minendepot bestellt. Es handelte sich um ein Sonderkommando. Oberleutnant Heinrichs prüfte und verhörte mich wie etwa fünfzig andere Leute. »Sind Sie im Räum- und Suchgerät unterrichtet?«

»Jawohl. Ich war sogar Instrukteur für Minensuchwesen.«

»Haben Sie einen Sprengkursus durchgemacht?«

»Jawohl.«

»Einen Minenvormannskursus?«

»Jawohl.«

»Haben Sie schon Minen geworfen?«

»Jawohl.«

»Gefischt?«

»Jawohl.«

»Entschärft?«

»Jawohl.«

»Gut!« – Ich wurde vom Oberarzt auf Bordfähigkeit untersucht. Dann kleidete man mich und die andern Ausgewählten feldmarschmäßig und feldgrau ein. Rucksack, Kochzeug, Feldflasche, Leibbinde, Verbandzeug, Mantel, grauer Wachstuchbezug für die Mütze, Gamaschen usw. Schneider und Schuster änderten und fluchten.

Es hieß, wir würden nach Rußland kommen. Wir waren alle sehr aufgeregt.


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