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In einer ärmlichen Dachstube zu Boston saß eines Tages der geschickte Mechaniker Elias Howe und starrte brütend auf einen Haufen zerschnittener Tuchstreifen, die er bald in seine Hand nahm, als wenn er sie in Gedanken zusammenfügen wollte, bald wieder mit einem schweren Seufzer zur Seite schob, als wäre er von der Nutzlosigkeit aller seiner Bemühungen endlich überzeugt.
Verwundert kopfschüttelnd sah seine Frau dem seltsamen Treiben zu, das seit Wochen und Monaten sich wiederholte und worüber Elias alle seine sonstigen Arbeiten vernachlässigte, so daß das ganze Hauswesen darüber verfiel und die Noth immer größer wurde.
»Ich möchte nur wissen,« sagte das bekümmerte Weib, »welch ein böser Geist in Dich gefahren ist, Elias? Statt wie es einem ordentlichen Mann zukommt, Brod für seine 224 hungernde Familie zu schaffen, sitzest Du den langen lieben Tag müssig da und denkst über Narrheiten nach, die Dich nur zum Gespött der Welt machen müssen. Unser Nachbar, der Schneider, hält Dich schon für halbverrückt, und so oft Du in seine Werkstatt kommst, lachen die Gesellen, wenn Du ihnen mit vorgestrecktem Halse zusiehst, wie sie eine Naht zu Stande bringen, als ob das Gott weiß was für ein Wunderwerk wäre.«
»Mögen sie über mich lachen,« versetzte Elias Howe mit gerötheten Wangen. »Es wird wohl bald die Zeit kommen, wo sie sich wundern und staunen sollen, wenn ich in einer Stunde so viel und mehr von ihrer Arbeit verrichte, als vier fleißige Gesellen, wenn sie den ganzen Tag vom frühen Morgen bis zur späten Nacht nähen.«
»Barmherziger Himmel!« schrie die erschrockene Frau. »Ich glaube jetzt selbst, daß Du übergeschnappt bist. Du willst doch nicht etwa gar ein Schneider werden?«
»Im Gegentheil,« lächelte Elias über die Angst des Weibes; »ich will die Schneider ganz entbehrlich machen, oder vielmehr ihnen ihre Arbeit abnehmen, daß sie nicht mehr Stunden lang mit gekreuzten Beinen und krummem Rücken zu nähen brauchen, bis ihnen die Arme steif werden.« 225
»Das wird ja immer toller mit Dir! Mann! Ich bitte Dich, nimm doch Vernunft an und mache Dich und mich nicht mit Deinen thörichten Hirngespinnsten unglücklich.«
»Wo denkst Du hin? Ich will Euch Alle, Dich und unsere Kinder durch meine Erfindung glücklich machen. Wenn es mir erst gelingt, meine Idee, die hier in meinem Kopf so klar vor mir steht, daß ich sie greifen könnte, praktisch auszuführen, so bin ich in drei Jahren der reichste Mann in Boston, ein Millionär.«
»Und unterdeß können wir Alle verhungern,« erwiederte die Frau mit Bitterkeit. »Du siehst mir gerade wie ein Millionär aus. Trotz Deines Alters bist Du so kindisch und läppisch, daß Dir kein Mensch etwas Vernünftiges zutraut. Wie kämest Du zu einer solchen Erfindung, zu der man einen ganz andern Geist besitzen muß, wie Du ihn hast?«
»Das will ich Dir sagen,« entgegnete Elias ruhig. »Wie Du weißt, war mein Lehrer der alte Davis, zwar ein wunderlicher Kauz, aber der erste Mechaniker in Boston. Zu dem kam einmal, als wir in der Werkstätte grade an einem großen Fernrohr arbeiteten, ein Freund, ebenfalls ein Optikus, und verlangte seinen Rath bei der Anfertigung 226 einer Maschine zum Stricken der Fischernetze. Der Meister schüttelte den Kopf dazu und sagte: Wozu quält Ihr Euch mit dem dummen Zeug, baut lieber eine Nähmaschine und Ihr werdet in kurzer Zeit ein gemachter Mann. Seitdem ließ es mir keine Ruhe und ich mag wollen oder nicht, immer muß ich über die Worte des alten Davis nachdenken, im Wachen und im Traume höre ich die Rede: »Baut eine Nähmaschine und Ihr seid in kurzer Zeit ein gemachter Mann.«
»Und Du glaubst, daß Dir gelingen wird, was so ein tüchtiger Meister nicht zu unternehmen wagte?«
»Spotte nur immerzu. Auch über unsern Landsmann Fulton hat die Welt gelacht, als er sich vermaß, ein Schiff zu bauen, das sich ohne Ruder und Segel durch die bloße Kraft des Dampfes fortbewegen und mit der Schnelligkeit des Windes das Meer durcheilen sollte. Die gelehrte Commission erklärte seine Erfindung für eine Narrheit und Napoleon, dem er sie in Boulogne anbot, hielt ihn für einen noch größeren Narren, wie Du mich; und jetzt fahren Tausende von Dampfschiffen über den Ocean und Fultons Name ist unsterblich.«
Von der Nutzlosigkeit ihrer Gegenrede überzeugt, 227 schwieg Frau Howe, während Elias bald wieder in sein früheres Nachdenken verfiel. Von Zeit zu Zeit nahm er eine seltsam geformte Nadel zur Hand, welche an beiden Enden zugespitzt das Oehr in der Mitte hatte. Mit Hülfe dieses Instruments hoffte er noch immer das ihm vorschwebende Problem zu lösen, obgleich bis jetzt alle seine Versuche gescheitert waren, so daß ihm immer klarer wurde, daß er einen falschen Weg eingeschlagen habe.
Es geht aber den großen Erfindern wie den Liebenden; je größere Schwierigkeiten sich ihnen in den Weg stellen, je mächtiger die Hindernisse, desto höher wächst ihr Eifer, die verzehrende Leidenschaftlichkeit, die fieberhafte Ungeduld und Spannung, mit der sie unverrückt ihr Ziel verfolgen, bis sie es erreichen oder darüber untergehen.
In ähnlicher Lage befand sich jetzt Elias Howe, der arme Mechaniker; er träumte mit offenen Augen von seiner Maschine; er sah sie stets in seiner Phantasie; er hörte das Schnurren ihrer Räder; er beobachtete ihre staunenswerthe Wirkung, die jedoch vorläufig leider nur in der Einbildung bestand; während er im Geiste eine Million erwarb, war er in der Wirklichkeit ein elender Bettler. Ueber sein fortwährendes Sinnen und Trachten 228 vernachlässigte er die ihm aufgetragene Arbeit, versäumte er die Pflichten gegen seine arme Familie. Die Kunden blieben aus, seine Ersparnisse schwanden, sein Verdienst wurde immer geringer. Die wenigen Groschen, die er hier und da noch erwarb, gab er für allerlei Materialien und Handwerkszeug dahin, das er für seine Erfindung nothwendig hielt. Für sie dünkte ihm kein Opfer zu groß, keine Entbehrung zu schwer; er war bereit Mangel, Noth und Armuth ihretwegen zu dulden.
Zu der Sorge um die tägliche Existenz gesellte sich noch in manchen Augenblicken der finstere Zweifel an seiner Fähigkeit. Zuweilen überfiel ihn unwillkürlich der furchtbare Gedanke, daß vielleicht alle seine Anstrengungen, Mühen und Arbeiten vergeblich wären, daß eine Chimäre ihn getäuscht, ein Irrlicht ihn betrogen, daß er nie sein Ziel erreichen, seine Aufgabe lösen werde, daß mit Recht die Welt seiner spotten, seine Frau und Kinder den gewissenlosen Vater verdammen müßten.
Dem Wahnsinn nahe, sprang er auf; die Luft in der ärmlichen Dachstube wurde ihm zu eng und er stürzte hinaus auf die Straße, ohne von der bekümmerten Frau Abschied zu nehmen, deren traurig vorwurfsvolle Blicke er nicht zu 229 ertragen vermochte. Er wollte keinem Menschen, am wenigsten einem Bekannten begegnen, weshalb er die abgelegensten Straßen einschlug, wo beim dürftigen Lampenlicht arme Handwerker, besonders zahlreiche Weberfamilien das kümmerliche Brod im Schweiße ihres Angesichts verdienten.
Das klappernde Geräusch der Webstühle weckte ihn aus seinen finsteren Gedanken: mit Theilnahme sah er durch das Fenster eines unansehnlichen Hauses den emsigen Bewohnern zu, die mit schneller, sicherer Hand das hölzerne Schiffchen hinüber und herüber schießen ließen. Wie er so in der Dunkelheit dastand und mit gespannter Aufmerksamkeit das Treiben betrachtete, schoß ihm ein Gedanke plötzlich durch den Kopf. Nur ausschließlich mit seiner Erfindung beschäftigt, ward es plötzlich hell vor seinen Augen. Ließ sich nicht eine Nadel mit dem Webschiffchen verbinden und eben so schnell und sicher durch eben eine solche Vorrichtung regieren? Je länger er darüber nachsann, desto mehr leuchtete ihm die Sache ein, desto näher glaubte er der Lösung seines Problems zu kommen.
»Es wird, es muß gelingen,« sagte er im Stillen. »Nur auf diesem Prinzipe läßt sich eine Nähmaschine 230 herstellen.« Freudig aufgeregt und mehr als je von der Richtigkeit seiner Idee überzeugt, eilte er nach Hause, um sogleich an das Werk zu gehen. Unterwegs kaufte er für den letzten Dollar in einer Handlung Draht, Eisen und andere Waaren ein, die er zu seinem ihm vorschwebenden Modell nöthig hatte. Rastlos arbeitete er bei Tag und Nacht daran, bis endlich im Jahre 1844 die Maschine fertig wurde. Mit zitternder Hand setzte er die Räder in Bewegung, näherte er die zugeschnittenen Tuchstreifen der Nadel, der er eine leichte Krümmung gegeben hatte.
Sie bewegte sich, der Faden bildete die gewünschten Schlingen, die sich fest und fester zogen; die gelungenste Naht lag vor seinen Augen, die Nähmaschine, obgleich noch unvollkommen, that mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit und Sicherheit ihre Schuldigkeit. Der Traum seines Lebens war zur Wahrheit geworden, die große Erfindung, der er die schwersten Opfer gebracht, war gemacht.
Elias stieß einen Schrei der Ueberraschung aus und rief seine Frau.
»Da sieh!« sagte er mit leuchtenden Blicken. »Kannst Du noch zweifeln, Ungläubige?«
Auch sie staunte das Wunderwerk mit weit geöffneten 231 Augen an, obgleich sie von der Tragweite desselben noch immer keine Ahnung zu haben schien. Beide saßen zum ersten Mal seit langer Zeit wieder vergnügt beisammen bis nach Mitternacht, indem sie Pläne für die Zukunft machten, die sie sich mit den hellsten und glänzendsten Farben ausmalten.
Bald aber stellten sich die alten Sorgen nun noch im erhöhten Maße ein. Mit der bloßen Erfindung war es nicht gethan; man mußte sie erst nutzbar machen, ausbeuten, verbreiten und dazu gehörte vor Allem Geld und wieder Geld; was der arme Elias Howe leider nicht besaß. Die kostspieligen Versuche hatten den letzten Groschen verschlungen und er wußte wirklich nicht, wovon er am nächsten Tage mit seiner Familie leben sollte.
In dieser äußersten Noth wandte er sich an einen alten Schulfreund, den Holz- und Kohlenhändler George Fischer, mit dem er schon oft von seinem Vorhaben gesprochen hatte. Dieser hatte vor Kurzem eine kleine Erbschaft gemacht und war außerdem der einzige Mensch, der zu den Fähigkeiten des träumerischen Howe einiges Vertrauen hatte, da er ihn von der Schule her für einen anstelligen Kopf hielt. Der ehrliche Fischer erklärte sich auch 232 bereit, nicht nur das nöthige Geld vorzustrecken, sondern einstweilen auch den Freund mit dessen Familie in seinem Hause wohnen zu lassen und zu beköstigen, bis auf bessere Zeiten.
In einem Monat vollendete Howe seine erste praktische Nähmaschine, mit der er sogleich zwei Anzüge, einen für sich und einen für seinen Freund anfertigte. Vor Allem kam es ihm aber darauf an, seine Erfindung bekannt zu machen. Zu diesem Zweck wandte er sich zunächst an den ersten Schneidermeister in Boston mit der Bitte, seine Nähmaschine zu prüfen und wenn er sie bewährt gefunden, ihm ein öffentliches Zeugniß über ihre Leistungen auszustellen. Der reiche Kleidermacher lachte ihn aus und drehte ihm verächtlich den Rücken, ohne sich nur auf einen Versuch einzulassen. Nicht besser erging es ihm bei einem Zweiten, der zwar die Maschine aufmerksam betrachtete und auch die gefertigte Naht für höchst gelungen erklärte, aber doch den Kopf schüttelte und von der ganzen Sache nichts wissen wollte.
»Wo denkt Ihr hin?« sagte der pfiffige Meister. »Ich soll eine Erfindung empfehlen, die mir das Brod vor der Nase wegnimmt. Da müßte ich ja ein noch größerer 233 Dummkopf sein als Ihr selbst, der mir so was zumuthet. Wenn Eure Maschine wirklich das hält, was sie verspricht, dann sind alle Schneider verlorene Leute und müssen betteln gehen.«
»Gerade umgekehrt! Meine Maschine wird sie in den Stand setzen, in derselben Zeit die sechsfache Arbeit zu übernehmen, ihre Arbeitskraft in einem kaum glaublichen Grade erhöhen und folglich ihre Einnahmen vermehren, ihren Wohlstand steigern. Das scheint mir doch klar wie der Tag.«
»Das muß ich besser wissen. Alle diese Neuerungen taugen nichts und nehmen nur den Leuten das Brod. Wer es gut mit dem Handwerk meint, der darf seine Hand nicht zu dem Ruin desselben bieten. Folgt meinem Rath und zerschlagt das Teufelswerk oder werft es in's Wasser, damit es weiter keinen Schaden anrichtet. Wenn meine Gesellen erst dahinter kommen, dann kann es Euch schlecht ergehen. Die verstehen in solchen Dingen keinen Spaß und ehe Ihr Euch umseht, könnt Ihr in Ungelegenheiten kommen. Das Wenigste, was Euch geschehen kann, ist, daß sie Euch federn und theeren.«
Traurig verließ Elias den weisen Schneider, bei dessen übrigen Collegen er keine bessere Aufnahme fand. Der eine zuckte verächtlich mit den Achseln, der Andere runzelte 234 finster seine Stirne, dieser wurde grob und wies dem Zudringlichen die Thür, jener griff sogar nach der Elle und dem Bügeleisen, um dem frechen Neuerer einen Denkzettel zu geben, Alle aber weigerten sich ohne Ausnahme, dem armen Erfinder das gewünschte und so überaus nothwendige Zeugniß auszustellen.
Nun ging Howe in seiner Verzweiflung zu dem Besitzer eines großen Confectionsgeschäfts und erbat sich von ihm die Erlaubniß, seine neue Nähmaschine in dem Geschäft desselben aufstellen zu dürfen; zugleich kündigte er einen Wettkampf an, bei dem fünf der geschicktesten und flinksten Arbeiterinnen mit seiner Maschine in die Schranken treten sollten. An Neugierigen fehlte es nicht, die dem seltsamen Kampf beiwohnten, aus dem Howe's Erfindung glänzend als Siegerin hervorging, indem sie fünfmal schneller nähte, als ihre weiblichen Concurrenten.
Trotzdem wollte kein Mensch eine Nähmaschine kaufen, woran wohl der hohe Preis von dreihundert Dollars und noch mehr die Furcht vor den Schneidergesellen die Schuld trug, da diese gegen die neue Erfindung und Alle, die sich für dieselbe interessirten, die gefährlichsten Drohungen ausstießen. 235
Howe ließ sich jedoch nicht einschüchtern; er suchte ein Patent für seine verbesserte Maschine nach und erhielt es auch, aber kein reicher Kapitalist wollte sich entschließen, ihm das Patent, wie er doch gehofft hatte, abzukaufen, oder sich mit ihm zu verbinden. Durch diese Mißerfolge enttäuscht, zog sich endlich auch der gutmüthige Fischer zurück, nachdem er gegen 5000 Dollars aufgeopfert hatte, von denen er auch nicht einen Heller wiederzusehen glaubte. Dem armen Elias blieb nichts übrig, als mit gebrochenem Herzen zu seinem Vater zurückzukehren, der in der Nähe von Boston eine Sägemühle besaß.
Eingedenk des alten Spruches, daß der Prophet nichts in seinem Vaterlande gelte, gelangte er endlich zu dem Entschlusse, sich mit seiner Erfindung nach England zu wenden. Da er sich nicht von seiner Familie so leicht trennen konnte, so reiste an seiner Stelle ein jüngerer Bruder nach London, wo auch ein wohlhabender Fabrikant Namens William Thomas, der in Cheapside in einer großen Koffer-, Regenschirm- und Schuhmanufactur gegen zweitausend Arbeiter beschäftigte, sich bereit finden ließ, einen Versuch zu wagen. Für zweihundert und fünfzig Pfund Sterling kaufte der Engländer eine Maschine, womit 236 er zugleich das Recht erwarb, so viel Maschinen, als zu seinem Geschäftsbetrieb ihm nöthig schienen, aufzustellen und außerdem ein Patent auf Howe's Erfindung für ganz England zu nehmen, wogegen er jedoch gehalten war, von jeder in England fabrizirten oder eingeführten Maschine drei Pfund Sterling oder 21 Thaler an Howe abzugeben. Nie wohl hat sich eine so kleine Capitalsanlage besser verzinst, da Thomas im Laufe der Zeit für diese 250 Pfund mehr als zwei Millionen Thaler bezog.
Da einige Verbesserungen an den Maschinen ihm nöthig schienen, so ließ der Fabrikant Howe nach England kommen, indem er ihm großmüthig außer den baaren Auslagen ein wöchentliches Gehalt von drei Pfund Sterling aussetzte. In seiner Verlegenheit, da die zweihundert und fünfzig Pfund längst schon wieder aufgezehrt waren, blieb ihm nichts übrig, als dieses jämmerliche Anerbieten anzunehmen. Bald jedoch schlug Thomas den übermüthigen und verletzenden Ton des reichen Fabrikanten gegen den armen Arbeiter an, wogegen Howe trotz seiner Gutmüthigkeit und Geduld sich widersetzte, so daß schon nach wenigen Wochen sich das unerträgliche Verhältniß löste. Um die Kosten der Ueberfahrt nach Amerika als 237 Zwischendeck-Passagier zu bestreiten, sah sich der unglückliche Elias genöthigt, sein Patent und die einzige Maschine, die er noch besaß, in London zu versetzen. Mit drei Schillingen in der Tasche landete er 1849 im Hafen von New-York, ärmer und elender als er vor seiner großen Erfindung gewesen war. Wollte er nicht verhungern, so blieb ihm nur übrig, als gemeiner Arbeiter in eine Maschinenbauanstalt zu treten.
Während Howe's Aufenthalt in England war jedoch in der Heimath eine merkwürdige Veränderung eingetreten; verschiedene geschickte Mechaniker in Amerika bauten jetzt Nähmaschinen und stellten dieselben aus. Ein schlauer Spekulant, der früher Schauspieler und Theaterdirektor einer herumziehenden Truppe war, Isaak Merit Singer, erfaßte den Grundgedanken Howe's mit großer Energie und brachte an der bereits vorhandenen Maschine einige wesentliche Verbesserungen an, die allgemeinen Beifall fanden. Bekannt mit allen Künsten der Reklame, von denen der arme Elias keine Ahnung hatte, wußte er die öffentliche Meinung in Bewegung zu setzen.
Singer fand auch einen reichen Capitalisten, der ihm die nöthigen Mittel vorschoß. Jetzt hallten alle Zeitungen, die bisher geschwiegen hatten, von dem öffentlichen Lobe 238 der neuen Erfindung wieder; in hunderttausend Exemplaren einer eigens zu diesem Zweck gedruckten Brochüre wurden die Vortheile der Nähmaschine angepriesen, zahlreiche Agenten zogen von Stadt zu Stadt bis zum fernsten Westen als Apostel und Verkündiger des großen Wunderwerkes. Durch solche Mittel, die nirgends so unentbehrlich als in Amerika sind, wo selbst das Gute ohne Humbug nicht so leicht sich Bahn bricht, wurde Singer ein reicher Mann, obgleich er auch anfänglich mehr als einmal dem Bankerott nahe stand; trotzdem ging sein Geschäft so gut, daß er mit der Zeit ein tägliches Einkommen von 1000 Dollars genoß. Er bewohnte einen prächtigen Palast auf dem Broadway, der schönsten Straße in New-York, und fuhr in der elegantesten Equipage, während der arme Elias noch immer zu Fuß ging und ein jämmerliches Dasein führte.
An einem Feierabende, als Howe in seiner Maschinenbauanstalt nichts mehr zu thun hatte und zu seiner Erholung durch die Straßen der Stadt irrte, gerieth er durch Zufall in die Nähe des großen Etablissements von Singer und Compagnie. Das Gedränge der Leute vor dem riesigen Schaufenster, hinter dem die Nähmaschinen aufgestellt waren und zum Ergötzen des Publikums unter den Händen schöner 239 Mädchen bei glänzender Gasbeleuchtung arbeiteten, weckte ihn aus seiner Zerstreutheit und erregte seine Aufmerksamkeit.
»Was gibt es denn da zu sehen?« fragte er neugierig einen neben ihm stehenden Mann.
»Die neue Nähmaschine,« erwiederte dieser begeistert, »ist wirklich das merkwürdigste Ding, was ich in meinem Leben erblickt habe. Wie das arbeitet. Im Augenblick ist eine Naht fertig und dabei so fest, daß eher das dickste Tuch als die Naht reißt. Dieser Singer ist ein Teufelskerl.«
»Wie sagt Ihr?« fragte Elias verwundert.
»Ja, der schlaue Isaak Merit Singer hat das Wunderwerk erdacht.«
»Ihr irrt Euch, lieber Herr! Das ist nicht wahr.«
»Nun, wenn Ihr's besser wißt,« entgegnete der Andere gereizt, »so braucht Ihr nicht zu fragen. Ganz New-York wird mir bestätigen, daß Herr Singer die neue Nähmaschine erfunden hat.«
»Dann spricht ganz New-York nur eine Lüge,« versetzte Elias mit mühsamer Fassung.
»Am Ende,« höhnte der Mann, »wollt Ihr uns weiß machen, daß Ihr die Nähmaschine erdacht habt.«
»Das ist auch richtig,« entgegnete Howe ernst. »Dieser 240 Singer ist ein Fälscher, der sich widerrechtlich meiner Erfindung bemächtigt hat.«
»Und Ihr scheint mir ein schlechter Spaßvogel zu sein. Wenn Ihr aber glaubt, mit mir Euch einen Witz erlauben zu dürfen, so seid Ihr an den unrechten Mann gekommen. Habt Ihr mich verstanden?«
»Es fällt mir gar nicht ein, Spaß mit Euch zu treiben. Gott weiß, daß ich nur die lautere Wahrheit rede.«
»Dann seid Ihr, wie ich fürchte, nicht richtig in Eurem Kopf. Ihr seht mir grade wie ein Mann aus, der solche Wunder schaffen kann. Ha, ha, ha!«
Der ungläubige Mann stieß ein lautes Gelächter aus und alle Umstehenden, die das Gespräch mit angehört, stimmten ein und spotteten über den unglücklichen Elias, der allgemein für verrückt gehalten wurde. Mit gebrochenem Herzen floh er den Pöbelhaufen, der hinter ihm drein lachte und höhnte. In tiefster Verzweiflung schlug er den Weg nach seiner Wohnung ein, empört über die erlittene Schmach und noch mehr über die Frechheit, womit ein Fremder seine Erfindung ihm gestohlen und ausgebeutet hatte. Das wollte, das durfte er nicht dulden, aber was konnte er thun? Um einen Prozeß gegen Singer anzustrengen, 241 brauchte er Geld, viel Geld und er besaß keinen überflüssigen Pfennig. Selbst die nöthigen Beweise fehlten ihm, da sein Patent und die einzige Nähmaschine, die für ihn Zeugniß ablegen konnten, noch immer in London versetzt waren. Während er so brütend und in Gedanken versunken weiter ging, folgte ihm ungesehen ein ältlicher würdiger Herr, der dem Streite vor dem Schaufenster des Singer'schen Etablissements mitbeigewohnt und ihn seitdem nicht aus den Augen gelassen hatte. Eben als Howe die Thüre seines Hauses erreichte, trat sein Begleiter auf ihn zu und redete ihn an.
»Irre ich nicht,« sagte er, »so seid Ihr Elias Howe.«
»Der bin ich. Was wünschen Sie von mir?«
»Ich möchte gern ein Paar Worte im Vertrauen mit Euch sprechen. Ich heiße Bliß, bin ein vermögender Mann und will Euch zu Eurem Rechte verhelfen, da mich Euer Schicksal dauert.«
Diese Worte klangen wie eine Botschaft des Himmels in den Ohren des armen Elias; er lud Mr. Bliß ein, ihm in seine ärmliche Wohnung zu folgen. Dieser erzählte, daß er auf einer Reise nach Boston vor Jahren dem Wettkampf der Nähmaschine mit den fünf Arbeiterinnen 242 zugesehen und sogleich Howe wiedererkannt habe, bestärkt durch dessen Reden, die vom Pöbel verspottet wurden.
»Und nun,« fügte er hinzu, »bin ich bereit, Euer Compagnon zu werden, wenn Ihr damit einverstanden seid. Ich will Euch die nöthigen Gelder vorschießen, um den Prozeß gegen Singer zu führen. Wieviel werdet Ihr wohl brauchen?«
»Zunächst hundert Dollars, um das in London versetzte Patent einzulösen.«
»Die sollt Ihr auf der Stelle haben.«
»Dann müssen Sie den guten Fischer entschädigen, der 5000 Dollars verloren hat.«
»Ich werde ihm seinen Antheil abkaufen und noch obendrein Euch eine Summe zum anständigen Leben aussetzen, so lange der Prozeß dauert.«
Howe glaubte zu träumen; noch vor wenigen Augenblicken der Verzweiflung nahe, öffneten sich jetzt mit einem Schlage für ihn die glänzendsten Aussichten. Mit Freuden schlug er in die dargebotene Hand und schloß noch an demselben Abend einen bindenden Contrakt mit seinem neuen Freund.
Bliß, der ein ausgezeichneter Geschäftsmann war, 243 sparte weder Geld noch Mühe; er engagirte den besten Advokaten und führte gegen Singer den langwierigen Prozeß, der das größte Aufsehen erregte und ganz New-York beschäftigte. Der schlaue Gegner wendete alle ihm zu Gebote stehenden Mittel an, um eine günstige Entscheidung zu erlangen. Er glaubte schon seine Sache gewonnen zu haben, als er noch im letzten Augenblick einen Mann Namens Hunt ausfindig machte, der bereits im Jahre 1832 eine Nähmaschine erfunden haben wollte.
Endlich erschien der wichtige Tag, wo das Gericht sein Urtheil fällte. Der Zeuge Hunt, von dessen Aussage die Entscheidung allein abhing, war vorgeladen und ermahnt, die Wahrheit zu sagen. Auf Befragen bekundete er, daß er allerdings eine ähnliche Maschine gebaut habe.
Todtenstille herrschte in der Menge, die den interessanten Verhandlungen beiwohnte. Howe schien verloren und Singer triumphirte. Der Richter erhob sich und fragte den Zeugen, ob er mit seiner Maschine auch wirklich genäht habe.
»Das kann ich nicht behaupten,« antwortete Hunt. »Trotz aller Mühe, die ich mir gab, konnte ich keine Nath zu Stande bringen.«
Howe hatte gesiegt und das Gericht sprach ihm 244 öffentlich die Ehre der Erfindung zu, indem es die Rechtsgiltigkeit seines Patents anerkannte, so daß alle Fabrikanten von Nähmaschinen verpflichtet waren, ihm eine entsprechende Abgabe zu entrichten, und jede nach Amerika eingeführte Maschine ihm außerdem fünf Dollars zahlen mußte.
In wenigen Jahren wurde er ein reicher Mann und sein Name weit und breit berühmt. Die Befürchtungen, daß durch seine Erfindung viele fleißige Arbeiter ihr Brod verlieren würden, bestätigte sich nicht. Die Nähmaschine erwies sich im Gegentheil als eine Wohlthäterin und Ernährerin zahlreicher Familien, als eine wahre Haus- und Menschenfreundin, wie jede Erfindung, welche den Menschen von der Last der mechanischen Arbeit befreit. Durch ihre Schnelligkeit und Sicherheit erspart sie dem Handwerker viel Zeit, die nach dem englischen Sprüchwort Geld ist. Zugleich liefert sie weit billigere Kleidungsstücke, so daß ihre Thätigkeit dem Volke zu Gute kommt.
Elias Howe aber genoß nach schweren Kämpfen den Triumph, der sein Talent, seinen Fleiß und seine Ausdauer reichlich belohnte und ihn für alle ausgestandenen Leiden hinlänglich entschädigte.