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I.
Es war im Jahre 1766, als die schöne und bereits berühmte Malerin Angelika Kaufmann einer Einladung nach London folgte, wo ihr Atelier bald der Sammelplatz der vornehmen Welt wurde. Trotzdem sie erst neunzehn Jahre alt war, hatte sie Alles erreicht, was ihr Herz nur wünschen konnte – Ruhm und Ehre, Vermögen und Unabhängigkeit, die Gunst der Großen und die Freundschaft der edelsten Männer und Frauen, die sich um die geniale Künstlerin drängten.
Sie war ein Kind des schönen Bregenzer Waldes, die Tochter eines vielbeschäftigten Malers, der abwechselnd in der Schweiz und in Oberitalien mit seiner Familie lebte. In solcher Umgebung, bei dem Anblick der 184 erhabenen Natur entwickelte sich frühzeitig der ihr angeborene Schönheitssinn, während sie in den Alpen weilte oder an den südlichen Ufern der Seen wandelte und die mit den herrlichsten Kunstwerken erfüllten Villen besuchte, wo zwischen Lorbeer und Myrten weiße Marmorbilder stumm sie grüßten.
In einem Alter von zwölf Jahren malte sie bereits unter Anleitung ihres Vaters in Pastell mit solcher Geschicklichkeit, daß ihre Bilder die größte Bewunderung erregten. Zugleich zeigte das reizende Kind eine seltene musikalische Begabung, eine so schöne Stimme, daß ihre Familie schwankte, ob die kleine Angelika Sängerin oder Malerin werden sollte.
Erst in Mailand, wohin sie mit ihren Eltern ging, entschied sich ihr Beruf. Die Werke des berühmten Leonardo da Vinci, die großartigen Schöpfungen der lombardischen Schule, die sie in der »Brera« in ihrer ganzen Vollendung sah, erschlossen ihr eine neue Welt und erfüllten sie mit schwärmerischer Begeisterung.
Die unterdeß heranwachsende Jungfrau fand hier durch ihre Schönheit und ihr Talent die höchste Anerkennung. Die vornehmsten Kreise, die ersten Gesellschaften öffneten 185 sich der jungen, liebenswürdigen Künstlerin. Sie wurde das Schooskind der großen Welt, auf Händen getragen und angebetet, ohne daß sie ihre unter solchen Verhältnissen doppelt bewunderungswürdige Bescheidenheit und zarte Weiblichkeit einbüßte.
Nur der Tod ihrer geliebten Mutter warf einen trüben Schatten auf das Glück der damals sechzehnjährigen Angelika. In Folge dieses Verlustes verließ sie mit ihrem Vater die lombardische Hauptstadt, um nach ihrer Heimath im Bregenzer Wald zurückzukehren, wo sie sich eben so sehr die Liebe ihrer schlichten Verwandten und Landsleute zu erwerben wußte. Gemeinschaftlich mit ihrem Vater schmückte sie die Kirche ihres Geburtsortes mit den Köpfen der zwölf Apostel in Freskomalerei, die sonst Frauenhänden fremd zu sein pflegt.
Zahlreiche Bestellungen und Anerbietungen, welche ihr ein reichliches Einkommen und die erwünschte Unabhängigkeit sicherten, riefen sie jedoch nach Italien zurück, wo sie längere Zeit in Florenz verweilte und fleißig in den Galerieen die großen Meister der Vergangenheit studirte. Ihre Sehnsucht aber zog sie nach Rom, zu den unsterblichen Schätzen der alten Kunst. 186
Hier wurde sie mit dem großen Winkelmann bekannt, der die achtzehnjährige Künstlerin mit seiner Freundschaft beehrte. Zu den Füßen des berühmten Lehrers, der die versunkene Schönheit der antiken Welt gleichsam durch seinen Geist aus dem Grabe auferweckt und die fast untergegangene, im Steifrock des Rokoko erstickte Kunst von ihren Verirrungen befreit hatte, ging ihr ein neues Leben auf, während sie seinen Offenbarungen und Anweisungen mit andächtiger Bewunderung lauschte.
Durch ihn zur Priesterin der wahren Schönheit geweiht, arbeitete Angelika rastlos an der Wiedergeburt der verfallenen Kunst, wurde sie die Schöpferin einer edleren Richtung, die sich von den Geschmacklosigkeiten des 18. Jahrhunderts fern hielt und zu der Einfachheit der Natur, zu den Idealen der Antike zurückkehrte.
So stand Angelika auf der Höhe ihres Ruhms, als sie jene ehrenvolle Einladung nach London annahm, die alle ihre Erwartungen übertraf. Die stolze englische Aristokratie bereitete der jungen reizenden Künstlerin den schmeichelhaftesten Empfang; selbst die königliche Familie ließ es ihr nicht an Auszeichnungen fehlen. Alles, was nur Anspruch auf Rang, Vermögen und Geist hatte, 187 Staatsmänner, Minister, Diplomaten, Parlamentsmitglieder, berühmte Schriftsteller, Gelehrte und Künstler huldigten der berühmten Angelika und waren von ihr entzückt. Mit Recht durfte sie ihrem Vater, der ihr erst später nach London folgte, von sich melden: »Noch nie ist ein Maler in London mit gleicher Verehrung aufgenommen worden.«
Es konnte nicht fehlen, daß sie nicht nur Bewunderung, sondern auch Liebe weckte. Zu den eifrigsten Anbetern der reizenden Angelika zählte vor Allen der hoch angesehene Hofmaler und Präsident der königlichen Akademie Joshua Reynolds, einer der größten Künstler seiner Zeit.
Freundlich und unbefangen kam sie dem verehrten Collegen entgegen, der sich durch ihre naive Zuvorkommenheit täuschen und von seiner bekannten Eitelkeit blenden ließ, so daß er sich trotz seines vorgerückten Alters ernstlich um ihre Hand bewarb.
Das Geständniß seiner Neigung, die sie nicht zu erwiedern vermochte, überraschte und betrübte die fein fühlende Künstlerin um so mehr, da sie die größte Achtung für das Talent des bedeutenden Mannes hatte und den eitlen, leicht reizbaren Präsidenten durch ihre Weigerung zu verletzen fürchtete. 188
»Zürnen Sie nicht,« sagte sie traurig, »aber ich bin Ihnen die Wahrheit schuldig. Ich habe mein Herz geprüft, reiflich nachgedacht; ich achte, ich verehre Sie, aber Ihr Weib kann ich niemals werden.«
»Angelika!« rief er leidenschaftlich, »bedenken Sie, daß ich Sie anbete und vergöttere, daß ich Ihnen ein Loos bieten kann, um das Sie eine Fürstin beneiden darf.«
»Das Alles weiß ich,« entgegnete sie sanft, »und ich bin überzeugt, daß Sie das beste und schönste Weib der Welt verdienen.«
»Und Sie weisen dennoch meine Hand zurück?«
»Weil ich eine zu hohe Meinung von Ihnen habe, um Sie zu täuschen, weil ich mir nicht die Kraft zutraue, Sie wahrhaft glücklich zu machen, weil mein Herz –«
»Bereits einem andern Manne gehört,« unterbrach er sie heftig.
»Nein, nein!« versetzte sie unschuldig. »Ich schwöre Ihnen, daß ich bis jetzt weder geliebt habe noch liebe. Ich weise Ihr für mich so ehrenvolles Anerbieten nur zurück, weil ich zwar die innigste Freundschaft für Sie empfinde, aber nicht jenes himmlische Feuer, jene ewige Gluth, jene 189 göttliche Leidenschaft fühle, die das Herz zum Herzen weist und die Geister unzertrennlich bindet.«
»Auf eine solche Liebe habe ich allerdings keinen Anspruch,« versetzte der Präsident mit bitterem Lächeln. »Nicht wahr, das wollten Sie sagen.«
»O,« bat Angelika mit gefalteten Händen, »lassen Sie uns nicht im Zorne scheiden. Wenn ich auch nicht Ihre Gemahlin werden kann, so werde ich doch stets Ihre Freundin bleiben und nie vergessen, was ich Ihnen schuldig bin.«
Mit bezaubernder Freundlichkeit reichte sie ihm die feine weiße Hand zur Versöhnung; aber der eitle und rachgierige Künstler konnte nicht so leicht die ihm zugefügte Kränkung vergessen, obgleich er seine wahre Gesinnung mit bewunderungswürdiger Selbstbeherrschung zu verbergen wußte.
II.
Wenige Wochen nach diesem Ereigniß befand sich Angelika in einer großen Gesellschaft bei Lady Vervort, mit der sie auf das Innigste befreundet war. Während sie mit harmloser Fröhlichkeit sich dem Vergnügen überließ und an dem Arme eines ihr bekannten Herrn in der damals 190 beliebten Française zierlich durch den Saal schwebte, erblickte sie an einem Pfeiler der Thüre einen fremden Kavalier, der sie mit seinen glänzenden Augen rastlos zu verfolgen schien.
Es lag eine bezaubernde Macht in diesen Blicken, so daß sie eine ihr selbst unerklärliche Unruhe empfand. Unwillkürlich flößte ihr der Fremde ein ungewöhnliches Interesse ein, da er in der That eine auffallende Erscheinung war.
Die hohe schlanke Gestalt, das edle Gesicht, von langen blonden Locken wie von einer goldenen Strahlenkrone umgeben, erinnerten sie unwillkürlich an den Apollo von Belvedere, dessen Götterbild sie in Rom in Gesellschaft des ihr so theuren Winkelmann so oft bewundert hatte.
Als Künstlerin mußte sie sich gestehen, selten oder nie einen Mann von solch vollendeter Schönheit gesehen zu haben, während seine ausgesuchte Toilette, der geschmackvolle, reich gestickte Rock von blauem Sammt, das kostbare Spitzentuch, von einem strahlenden Solitair zusammengehalten, vor Allem aber seine stolze vornehme Haltung einen hohen Rang verrieth.
Ihre Neugierde wurde noch erhöht, als in diesem 191 Augenblick der Präsident der Akademie den schönen Unbekannten mit einer tiefen Verneigung begrüßte. Wie sie bemerken konnte, war die Unterhaltung der beiden Herren sehr lebhaft und eine innere Stimme sagte ihr, daß sie selbst der Gegenstand dieses eifrigen Gespräches war. Unaufhörlich verfolgten sie dabei die Blicke des Fremden mit magnetisch fesselnder Gewalt, wogegen ein eigenthümliches Lächeln um die gekniffenen Lippen des von ihr verschmähten Hofmalers spielte.
Als der Tanz zu Ende war, näherte sich ihr die liebenswürdige Wirthin, Lady Vervort, mit gewohnter Freundlichkeit, indem sie Angelika mit sich fortzog.
»Wissen Sie auch,« sagte die hochgestellte Frau, »daß Sie im Fluge eine Eroberung gemacht haben, auf die Sie mit Recht stolz sein dürfen, meine theure Angelika?«
»Ich habe keine Ahnung,« versetzte die erröthende Künstlerin.
»Kleine Heuchlerin!« scherzte die heitere Lady. »Sicher müssen Sie doch den schönsten Mann in meiner Gesellschaft bemerkt haben, für den sämmtliche Damen schwärmen.«
»Ich erinnere mich nicht.«
»Eigentlich sollte ich Ihnen zur Strafe wegen Ihres 192 hartnäckigen Leugnens nicht verrathen, was mir eben Sir Reynolds im Vertrauen mitgetheilt hat, daß Graf Horn für Sie schwärmt, daß er keinen andern Wunsch hat, als Ihnen vorgestellt zu werden.«
»Ich kenne den Grafen nicht und habe noch nie die Ehre gehabt, ihn in Gesellschaft zu sehen.«
»Das ist wohl möglich, da er erst seit einigen Tagen in London verweilt. Trotzdem ist er bereits der erklärte Abgott der feinen Welt, die sich ebenso sehr für seine wirklich ungewöhnliche Schönheit, wie für sein tragisches Schicksal interessirt. Denken Sie nur, der arme Graf, der aus einer der edelsten Familien Schwedens stammt und ein unermeßliches Vermögen besitzen soll, muß jetzt als Flüchtling umherirren, ein unglücklicher Verbannter.«
»Was war denn sein Verbrechen?« fragte Angelika voll inniger Theilnahme.
»Der Graf ist in eine Verschwörung gegen den schwedischen Reichsrath verwickelt gewesen, die, wie Sie wohl gehört haben werden, ein so trauriges Ende nahm. Er selbst ist nur durch ein Wunder dem Tod durch Henkershand entronnen. Mit Hilfe seiner Freunde entfloh er in der Nacht aus seinem Kerker und bestieg ein Boot, das 193 ihn glücklich, wenn auch unter kaum glaublichen Gefahren, nach Frankreich brachte. Die Geschichte seiner Flucht ist der interessanteste Roman, und der Held desselben verdient wegen seiner Kühnheit und seiner Männlichkeit die höchste Bewunderung.«
Die Schilderung, welche Lady Vervort von der romantischen Flucht des Grafen und von seinem bewiesenen Heldenmuth entwarf, war ganz dazu angethan, die lebhafte Phantasie der genialen Künstlerin zu bestechen und ihr das größte Interesse für den unglücklichen Kavalier einzuflößen, als sich derselbe im Laufe des Abends ihr durch die liebenswürdige Wirthin vorstellen ließ.
Mit bewunderungswürdiger Lebhaftigkeit sprach er von seiner abenteuerlichen Flucht, von seiner wunderbaren Rettung, die sie abwechselnd mit Furcht und Freude erfüllte. Dann erzählte er von seinem Vaterland, von Stockholm, dem nordischen Neapel, von den Gletschern und riesigen Wasserfällen Norwegens, die er in glücklicheren Tagen besucht hatte. Eine milde Trauer, eine ergreifende Wehmuth verschönte sein edles Gesicht, als er dabei der fernen Freunde, der theuren Eltern und besonders seiner geliebten Mutter gedachte. Eine Thräne der Sympathie schimmerte in 194 Angelika's blauen Augen und das tiefste Mitleid ergriff ihr nur zu leicht gerührtes Herz.
»Verzeihen Sie,« sagte er mit zitternder Stimme, »wenn ich mich von meinen Erinnerungen hinreißen ließ und Sie mit meiner Melancholie angesteckt habe – aber Ihr Anblick zauberte mir unwillkürlich die theuren Bilder meiner Heimath vor die Seele.«
»Mein Anblick?« fragte sie verwundert und geschmeichelt.
»Ich besitze eine jüngere Schwester, die Ihnen, mein Fräulein, täuschend ähnlich sieht. Dieselbe ätherische Gestalt, dieselben süßen, schwärmerischen Augen, dasselbe holde Lächeln um die Lippen. Als ich Sie zum ersten Mal erblickte, wie Sie gleich einer Göttin an mir vorüberschwebten, da fühlte ich mich unwillkürlich zu Ihnen hingezogen, und meine Blicke folgten Ihnen, selbst auf die Gefahr, Sie zu erzürnen.«
»Warum sollte ich Ihnen deshalb zürnen?« erwiederte Angelika freundlich. »Es kann mir nur angenehm sein, wenn ich Ihrer Schwester, die Sie gewiß zärtlich lieben, ähnlich sehe.«
»Wenn Sie mich glücklich machen wollen, so gewähren Sie mir eine Bitte.«
»Von Herzen gern, wenn ihre Erfüllung in meiner Macht steht.« 195
»Gestatten Sie mir, daß ich Sie von Zeit zu Zeit besuchen darf. Bei dem Anblick Ihrer Züge, die mich an die theure Schwester mahnen, in Ihrer Nähe werde ich vergessen, daß ich nur ein armer Flüchtling, ein unglücklicher Verbannter bin. Ich werde meine Leiden leichter tragen und in Ihnen meine Heimath, Alles, was mir lieb und werth, was mich einst beglückt hat, wieder finden.«
Obgleich Angelika von Jugend auf mit der großen Welt verkehrte, so hatte sie sich dennoch eine in der That unter diesen Verhältnissen seltene Naivetät und Harmlosigkeit zu bewahren gewußt, so daß sie auch nicht den geringsten Zweifel in die Worte des Grafen setzte. Nur zu gerne ertheilte sie ihm die gewünschte Erlaubniß, und als er sie um den nächsten Tanz darauf ersuchte, nahm sie keinen Anstand, ihm mit bezauberndem Lächeln ihre Hand zu reichen.
Noch nie hatte ihr der Tanz ein so großes Vergnügen gemacht, als in diesem Augenblick, wo sie an der Seite des schönen Mannes durch den Saal zu den Klängen einer ausgezeichneten Musik schwebte. Ihre Wangen färbten sich mit einer lieblichen Röthe, ihre schönen Augen glänzten vor Freude, und ihr Herz pochte vor nie gekannter Lust, 196 obgleich sie sich einer ihr selbst räthselhaften Bangigkeit nicht zu erwehren vermochte.
Das reizende Paar erregte die allgemeine Bewunderung, und ein murmelnder Beifall begrüßte die beiden schönen Gestalten, die für einander geschaffen schienen. Angelika war trotz ihrer Berühmtheit noch immer Weib genug, um sich an ihrem Triumph zu freuen, den sie mit dem Grafen theilte, was ihr keineswegs verborgen blieb.
Nur ein trüber Schatten fiel auf ihr neues Glück, als sie in einer Ecke des Saales den verletzten Präsidenten bemerkte um dessen Lippen ein boshaftes Lächeln zu zucken schien, während er mit finsteren Blicken das holde Paar beobachtete.
III.
Seit jenem Abend war Graf Horn ein häufiger Gast in dem Hause der schönen Angelika, die durchaus keinen Anstand nahm, seine Besuche zu empfangen, da der schwedische Kavalier ihr von der befreundeten Lady Vervort förmlich vorgestellt worden war und sich ausschließlich nur in der besten und vornehmsten Gesellschaft bewegte. Mit der Arglosigkeit und dem vollen Vertrauen einer echten Künstlerin überließ sich Angelika unbewußt ihrer Neigung 197 für den Grafen, dessen Persönlichkeit und romantische Schicksale den tiefsten Eindruck auf sie gemacht. Die unermüdliche Aufmerksamkeit, womit er sie umgab, schmeichelten ihrer weiblichen Eitelkeit, während sein hoher Rang und seine gesellschaftliche Stellung ihr imponiren mußten. Je näher sie ihn kennen lernte, desto mehr Gefallen fand Angelika an seinem Umgange und seiner Unterhaltung, die sich weniger durch Geist und tiefes Wissen als durch eine bestechende Liebenswürdigkeit und weltmännische Freiheit auszeichnete.
Trotz der glänzenden Aufnahme in den besten Kreisen fühlte sie sich noch immer fremd und verlassen in London, weshalb sie sich nur um so mehr zu dem Grafen hingezogen fühlte, der sich in derselben Lage wie sie befand. Selbst die Ankunft ihres Vaters änderte nichts an ihrem Verhältnisse, da auch dieser sich durch die Liebenswürdigkeit des vornehmen Kavaliers blenden ließ, abgesehen davon, daß er gewohnt war, seiner Tochter die größte Freiheit zu gestatten.
So wuchs die Liebe in ihrem Herzen, ohne daß sie selbst von der Gewalt der sie erfüllenden Leidenschaft eine Ahnung hatte. Nur wenn die Stunde nahte, wo sie den 198 Grafen erwarten durfte, wenn sie seinen Schritt zu hören glaubte, pochte ihr Herz lauter als sonst in dem jungfräulichen Busen, erfaßte sie eine wunderbare Mischung von Schmerz und Wonne, von Seligkeit und Angst, wovon sie sich selbst keine Rechenschaft zu geben wußte.
Bisher hatte der Graf trotz des vertraulichen Verkehrs eine zarte Zurückhaltung in seinem Benehmen beobachtet und mit ihr von seiner Liebe nicht gesprochen, da er Angelika durch ein vorzeitiges Wort zu verletzen und zurückzuschrecken fürchtete. Erst als er ihres Herzens vollkommen sicher zu sein glaubte, wollte er sie mit dem Geständnisse seiner glühenden Neigung überraschen.
Angelika saß allein in ihrem Atelier vor der Staffelei und malte ihr neuestes Bild: eine »Psyche«, die mit ihren goldenen Haaren die Thränen des klagenden »Amor« trocknet; jenes reizende Motiv, welches später den berühmten Bildhauer Canova zu einem seiner schönsten Basreliefs begeisterte.
In Gedanken versunken, ruhte sie von ihrer Arbeit aus, als sie plötzlich ein tiefer Seufzer aus ihren Träumen weckte. Erschrocken wendete sie sich um; sie erblickte den Grafen Horn, der unbemerkt unterdeß in das Atelier 199 getreten war. Die flammende Röthe ihrer Wangen und ihre sichtbare Verlegenheit verriethen dem Herzenskundigen, daß sie an ihn gedacht.
»Wie finden Sie mein Bild?« fragte sie, ihm die Hand reichend, die er an seine Lippen drückte.
»Entzückend, wunderbar!« versetzte er mit einem melancholischen Lächeln.
»Und das sagen Sie mit einem Gesicht, das Ihre Worte Lügen straft?«
»Weil mich Ihr schönes Gemälde traurig stimmt, weil ich den glücklichen Amor beneiden muß, der eine holde Psyche gefunden hat, die Mitleid mit seinen Qualen hat und seine Thränen trocknet, während ich vergebens schmachte und verzweifeln muß.«
»Sie sind undankbar gegen Ihre Freunde und noch mehr gegen die Vorsehung, welche Sie aus so großen Gefahren gerettet hat.«
»Um mich nur um so sicherer zu verderben.«
»Um des Himmels willen!« rief Angelika erbleichend. »Was ist geschehen? Werden Sie von Neuem verfolgt und fühlen Sie sich nicht mehr in London sicher?«
Mehr als Worte es vermochten, verkündigten ihm ihre 200 vom Schreck erstarrten Mienen, ihre ängstlichen Blicke, daß sie ihn liebte. Der bloße Gedanke, daß ihm eine Gefahr drohe, raubte ihr die Besinnung und ließ sie jede Rücksicht vergessen. Länger konnte der Graf nicht an seinem Siege zweifeln, den er geschickt zu benutzen wußte, indem er die bestürzte Angelika mit seinen Armen umschlang und sie mit feurigen Küssen bedeckte.
»Ich fürchte nicht den Tod, da ich weiß, daß Du mich liebst. Mit Dir vereint, trotze ich dem grausamen Schicksal. Willst Du mein Schutzgeist, die holde Psyche sein, die meine Thränen trocknet und Mitleid mit meinen Schmerzen hat?«
Berauscht von seinen leidenschaftlichen Worten, verführt von ihrer eigenen Neigung, tauschte sie Liebe um Liebe, duldete sie, daß er sie an sein Herz drückte, empfing sie und gab sie den Schwur ewiger Treue. Selbst sein strenges Gebot, ihr Verhältniß vor aller Welt und auch vor ihrem eigenen Vater geheim zu halten, vermochte nicht, sie aus ihrer süßen Täuschung zu reißen und ihr Glück zu trüben, so sehr sie auch als gute Tochter den Wunsch hatte, den Letzteren damit bekannt zu machen.
»Noch ist nicht der Augenblick gekommen,« tröstete 201 sie der Graf, »wo ich Dich öffentlich als meine Gemahlin anerkennen darf. Nach den mir zugegangenen Nachrichten habe ich die besten Aussichten, daß der Reichsrath das gegen mich erlassene Urtheil auf die Verwendung meiner Freunde, auf die Bitten meiner Familie und besonders auf den Wunsch des mir gnädigen Königs zurücknehmen und mir die Rückkehr in mein geliebtes Vaterland gestatten will. Um so mehr sehe ich mich gezwungen, Alles zu vermeiden, was diese günstige Wendung stören oder auch nur verzögern könnte.«
»Und Sie fürchten, daß die Veröffentlichung unserer Verbindung Ihnen schaden würde?« fragte Angelika besorgt und fast empfindlich.
»Leider gibt es Verhältnisse und Vorurtheile, die ich schonen muß aus Pietät für meine Eltern, aus Klugheitsgründen, um nicht den mir günstig gesinnten König zu erzürnen und meinen Gegnern neue Waffen gegen mich in die Hände zu geben.«
»Lieber will ich,« versetzte die hochherzige Künstlerin, »auf Ihre Hand verzichten, als Ihrem Glücke hinderlich sein.«
»Und ich,« rief jetzt plötzlich der Graf mit der pathetischen Ueberschwenglichkeit jener Zeit, »kann und werde 202 niemals ein solches Opfer annehmen, auch wenn ich damit mir eine Königskrone erkaufen würde! Was kümmert mich Rang und Stand, wenn ich sie nicht mit meiner Angelika theilen darf? – Ich trotze dem Zorn des Fürsten und verachte das Vorurtheil meiner stolzen Eltern.« –
Zwischen den Liebenden entspann sich ein edler Wettstreit, wobei Eines dem Andern an Großmuth nicht nachstehen wollte. Vergebens bat und beschwor Angelika den Grafen, sie ihrem Schicksal zu überlassen und mehr an seine als an ihre Zukunft zu denken, indem sie sich mit der Gewißheit seiner Liebe begnügte.
»Nein, nein!« versetzte er immer zärtlicher und dringender. »Niemals werde ich auf Ihre Hand verzichten, da ich ohne Sie nicht länger leben kann. Wenn Sie mir vertrauen, wenn Sie den Muth besitzen, einen ungewohnten Schritt zu thun, so wird es mir nicht schwer fallen, alle uns entgegenstehenden Hindernisse zu besiegen.«
»Können Sie zweifeln, daß ich Ihnen vertraue?«
»O! dann ist Alles gut, dann will auch ich keinen Augenblick verlieren, um unser Glück für immer zu sichern. Wenn Sie mir das strengste Stillschweigen selbst Ihrem 203 Vater gegenüber versprechen und mir folgen wollen, so sollen Sie – schon morgen meine Gattin sein!«
»Morgen!« rief Angelika freudig erschrocken. »Ich kann es nicht fassen und noch weniger zugeben, daß Sie sich meinetwegen neuen Gefahren aussetzen.«
»Sie dürfen deshalb ganz unbesorgt sein,« erwiederte der Graf mit süß verlockender Stimme. »Ich bin entschlossen, mich mit Ihnen heimlich trauen zu lassen. Ein mir ergebener Priester wird am Altar unsern Bund segnen und uns unlösbar verbinden, wenn Sie damit einverstanden sind.«
Eine innere Stimme schien Angelika zu warnen, so daß sie anfänglich den Vorschlag des Grafen zagend zurückwies. Aber seine unwiderstehliche Beredtsamkeit, die wiederholten Versicherungen seiner Treue, seine glühenden Liebesschwüre, seine verführerischen Schmeicheleien und Bitten besiegten ihren Widerstand und beschwichtigten ihre gerechten Bedenken, bis sie, halb durch seine Gründe überzeugt, halb von ihrer Neigung hingerissen, ihre Einwilligung zu dem verhängnißvollen Schritte gab, der in jener Zeit keineswegs so ungewöhnlich war und viel milder beurtheilt wurde als in der Gegenwart. 204
IV.
An einem dunklen Herbstabend verließ Angelika heimlich ihre Wohnung. Die schlanke Gestalt war in einen Mantel von braunem Wollenstoff gehüllt und das liebliche Gesicht mit Kaputze und Schleier bedeckt, so daß sie Niemand so leicht erkennen konnte. Trotzdem pochte ihr Herz vor Bangigkeit und drohte ihre Brust zu sprengen, als sie an der Thüre des geliebten, nichts ahnenden Vaters mit leisem Tritt vorüberschlich.
Von Furcht und Liebe getrieben, erreichte sie die nächste Straßenecke, wo sie der Graf nach getroffener Abrede nicht minder sehnsuchtsvoll in seinem Wagen erwartete. Ein leiser Schauer erfaßte sie, als er sie in seine Arme schloß, und reichlich flossen ihre Thränen über die bleichen Wangen. Sie konnte nicht mehr zurück – selbst wenn sie gewollt hätte.
Durch ein Gewirr ihr völlig unbekannter Straßen fuhr sie an seiner Seite, bis sie endlich vor dem Portal einer unansehnlichen Kapelle hielt. An dem schwach erleuchteten Altar empfing sie der durch Geld gewonnene Priester mit dem Kirchendiener und den beiden ihr unbekannten Zeugen.
Ein eisiger Hauch wehte sie aus den grauen, feuchten 205 Mauern des Gewölbes an, und dunkle, gespenstische Schatten schwebten um die zerbröckelten Säulen und auf dem zerfallenen Chor. Unheimlich flackerte die rothe Gluth der brennenden Kerzen durch das Dunkel, deren schwankendes Licht dem schönen Gesicht des Grafen einen dämonischen Glanz verlieh.
Zitternd folgte Angelika im weißen Kleide, das sie verborgen unter ihrem Mantel trug, den heimlich mitgebrachten Myrtenkranz auf dem gesenkten Haupt, dem Geliebten zu dem Altar, auf dessen Stufen sie in brünstigem Gebete lag, bei dem geringsten Geräusch erschrocken auffahrend . . .
Die Ceremonie begann, aber der heiligen Handlung fehlte jegliche Weihe, die Angelika jetzt schmerzlich vermißte. Mit tonloser Stimme sprach der alte, stumpfsinnige Geistliche die hergebrachten Worte, und hastig wechselten die Verlobten ihre goldenen Ringe. Kein Glückwunsch von befreundeten Lippen schallte ihnen freudig und bewegt entgegen; der Segen der Eltern fehlte der heimlichen Verbindung.
Auf den Arm des Grafen gestützt, verließ Angelika die kleine Kirche, von düsteren Ahnungen, von schmerzlichen 206 Besorgnissen erfüllt. Erst als sie in's Freie trat, athmete sie wieder auf, und bald gelang es dem Grafen, durch seine liebevollen Worte die Aufgeregte zu beruhigen und ihre Befürchtungen zu zerstreuen.
Auch in den nächsten Wochen nach ihrer heimlichen Verbindung wurde das Glück der Liebenden in keiner Weise getrübt. Weder ihr Vater noch ihre Freunde schienen das vertrauliche Verhältniß zu ahnen, ebenso wenig wie der Graf ihr die geringste Veranlassung gab, an seiner Liebe zu zweifeln. Er überhäufte sie mit den zartesten Aufmerksamkeiten, und selbst der Zwang, den sich Beide der Welt gegenüber auferlegen mußten, trug nur dazu bei, ihr Glück zu erhöhen.
Nur zuweilen glaubte Angelika an ihrem Gatten eine leichte Zerstreutheit, eine mit seinem sonstigen Charakter unvereinbare Unsicherheit und Befangenheit zu bemerken. Sie war indeß geneigt, diese Veränderung, die ihr keineswegs entging, der Sorge um seine Zukunft und der Sehnsucht nach der Heimath und seinen Angehörigen zuzuschreiben.
Da aber seine Verstimmung mit der Zeit eher zu- als abzunehmen schien, hielt sie es für ihre Pflicht, ihn nach der Ursache seines Kummers zu fragen. Anfänglich weigerte 207 sich der Graf, ihr den Grund mitzutheilen; als sie aber mit zärtlichen Bitten in ihn drang, ihr nichts zu verbergen, gestand er ihr zögernd, daß das unerklärliche Ausbleiben der Briefe und erwarteten Geldsendungen aus Schweden ihn beunruhigte, und daß er dadurch in Verlegenheit wegen dringender Zahlungen gekommen sei.
»Und das konntest Du mir verschweigen!« fragte Angelika halb zürnend, halb lächelnd. »Weißt Du auch, daß ich ernstlich böse bin, weil Du so wenig Vertrauen zu mir hast? – Alles, was ich besitze, gehört auch Dir, und ich werde Dir nicht eher verzeihen, bevor Du nicht mir die Summe nennst, die Du nöthig hast.«
Nur mit Widerstreben schien der Graf das großmüthige Anerbieten der sorglosen Künstlerin anzunehmen, und erst als sie wirklich böse wurde, entschloß er sich, einige Hundert Pfund zur Befriedigung seiner Gläubiger aus ihren Händen zu empfangen, da es sie glücklich machte, dem Geliebten einen solchen Dienst zu leisten.
Auch als die vermißten Briefe noch immer nicht ankommen wollten und sich der Graf deshalb genöthigt sah, von Neuem seine Zuflucht zu ihr zu nehmen, freute sich Angelika, ihm helfen zu können, da sie durch ihre Arbeiten 208 sich ein bedeutendes Vermögen erworben hatte, mit dem sie nach Belieben schalten durfte, ohne ihrem Vater Rechenschaft geben zu müssen.
Selbst als sie zu bemerken glaubte, daß ihr Gatte zur Verschwendung neigte und besonders durch hohes Spiel bedeutende Summen verlor, war sie noch immer bereit, diese noblen Passionen mit den Gewohnheiten seines Standes und mit den Neigungen der vornehmen Kreise, in denen er sich vorzugsweise bewegte, liebevoll zu entschuldigen.
Aber noch manche andere, kleinere und größere Schwächen des Grafen drängten sich ihr allmählich im Laufe der Zeit und im vertraulichen Verkehr auf, ohne daß durch diese Entdeckungen ihre Liebe und ihr Vertrauen zu ihm erschüttert wurden. Vor Allem mußte ihr auf die Dauer bei genauerer Bekanntschaft der Mangel an tieferen geistigen Interessen und seine nur oberflächliche Bildung auffallen, die er jedoch als Weltmann äußerst geschickt zu verbergen wußte.
Weit mehr noch als alle diese in jeder Ehe wohl mehr oder minder vorkommenden Enttäuschungen beunruhigte sie jetzt die Furcht vor einer vorzeitigen Entdeckung ihrer heimlichen Verbindung. Trotz aller Vorsicht der Betheiligten 209 konnten die häufigen Besuche des Grafen und ihr vertraulicher Verkehr mit ihm nicht ganz verborgen bleiben. Verschiedene Gerüchte wurden in der Gesellschaft laut und gelangten selbst zu den Ohren ihres besorgten Vaters, obgleich derselbe ihnen keinen Glauben schenken wollte.
Bald fehlte es auch nicht an anonymen Warnungen, an Briefen von unbekannter Hand, worin der Graf geradezu als ein gefährlicher und zweideutiger Abenteurer bezeichnet wurde. Angelika war zu stolz, zu edel, um solche Verleumdungen zu beachten, zu zartfühlend, um ihren Gatten deshalb zur Rede zu stellen. Ihrer reinen Seele blieb jeder gemeine Verdacht fern, und je mehr sich die Angriffe gegen den Grafen häuften, desto fester klammerte sie sich an ihre Liebe, wie dies meist bei edlen Gemüthern der Fall ist.
Sie schwieg, aber ihre bleichen Wangen, ihre oft von heimlich geweinten Thränen gerötheten Augen verriethen ihr stilles Leid und erfüllten ihre Verwandten und Freunde mit Kummer und Besorgniß wegen ihrer angegriffenen Gesundheit. Die von ihrem Vater befragten Aerzte waren geneigt, ihren Zustand der übermäßigen Arbeit zuzuschreiben, und ordneten ihr Schonung und Zerstreuung an, vor Allem 210 aber den Genuß der freien Luft und den Aufenthalt auf dem Lande.
Da ihr Vater häufig durch seine Geschäfte verhindert wurde, so begleitete sie auf diesen Spaziergängen und Ausflügen in der Umgebung Londons, ein ergebener Freund, der Architekturenmaler Antonio Zucchi, dessen würdiger Charakter und gediegene Bildung ihr das größte Vertrauen einflößten. In seiner Gesellschaft und im anregenden Gespräch mit ihm vergaß Angelika ihren Schmerz, schöpfte sie frischen Lebensmuth, wenn er mit ihr von Italien, von den erhabensten Schöpfungen und Denkmälern der Kunst sprach, mit ihr gleichsam aus der rauhen Wirklichkeit in das Reich der idealen Schönheit flüchtend.
Als sie eines Tages an der Seite des treuen Freundes in den damals neuen Anlagen des bekannten Hyde-Park wandelte und sich an den Schöpfungen der englischen Gartenkunst erfreute, durch welche erst später die französische Unnatur verdrängt wurde, fiel ihr eine ärmlich gekleidete Frau auf, die ihr schon längere Zeit in einiger Entfernung zu folgen schien, gerade als ob sie ein Anliegen hätte.
Das bleiche, verkümmerte Gesicht dieses Weibes, das noch die Spuren früherer Schönheit verrieth, und der 211 vernachlässigte Anzug ließen Angelika vermuthen, daß sie es mit einer Armen zu thun habe, welche sich vielleicht schämte, sie um eine Gabe anzusprechen, da jene vielleicht bessere Tage gesehen haben mochte und noch nicht zu betteln gewohnt war.
Um so mehr zum Mitleid geneigt, wandte sie sich um, indem sie ihre Börse zog und der vermeintlichen Bettlerin ein ansehnliches Geldstück mit ausgestreckter Hand entgegenreichte. Statt ihr zu danken, stieß die seltsame Frau Angelika's Arm mit heiserem, höhnischem Gelächter zurück, während ihre eingesunkenen Augen in wildem Hasse funkelten.
»Warum weist Ihr mein Geschenk zurück?« fragte die verwunderte Künstlerin.
»Behalten Sie nur Ihr Geld!« schrie die unbekannte Frau mit drohender Miene. »Oder wollen Sie mir damit meinen Mann und Ihre Schande bezahlen?«
»Was soll das heißen?« fragte Angelika's Begleiter. »Ich glaube, daß das Weib betrunken oder wahnsinnig ist.«
»Kommen Sie,« flüsterte Angelika, von unaussprechlicher Angst erfüllt, indem sie den Arm des Freundes krampfhaft umklammerte, um ihn fortzuziehen.
»Bleib, bleib, mein schüchternes Täubchen!« lachte die räthselhafte Fremde. »Ich lasse Dich nicht fort, 212 bis Du mir meinen Gatten wiedergegeben hast!«
Zugleich stürzte sie mit der Wuth einer grimmigen Tigerin auf Angelika los, ehe sie der Freund daran hindern konnte, und hielt dieselbe wie mit ehernen Krallen fest, so daß sich die Bestürzte nicht zu rühren wagte.
»Nicht von der Stelle!« gebot das schreckliche Weib mit drohender Stimme. »Ich bin nicht wahnsinnig, wenn ich mich auch selbst wundere, daß ich es nicht geworden bin. An meinem Unglück trägst Du allein die Schuld!«
»Was hab' ich Euch gethan? Ich kenne Euch nicht und hab' Euch nie zuvor gesehen.«
»Aber um so besser kennst Du den sogenannten Grafen Horn!« rief die Fremde mit höllischem Hohnlachen.
»Was geht Euch mein Umgang mit dem Grafen an?« versetzte Angelika betroffen. »Ich glaube, daß ich keinem Menschen und am wenigsten Euch deshalb Rechenschaft schuldig bin.«
»Meinst Du wirklich?« spottete die vermeintliche Bettlerin. »Du irrst Dich, und ich habe ein älteres und besseres Recht auf ihn als Du. Ich bin sein rechtmäßig 213 ihm angetrautes Weib; der Elende hat mich verlassen und Dich hintergangen.«
Mit einem lauten Schrei sank die betrogene Künstlerin in die Arme des treuen Begleiters, der sie nur mit der größten Mühe bis zu dem nächsten Wagen brachte, gefolgt von jener gespenstigen Frau, welche sich gleich einer Furie an ihre Fersen heftete.
V.
Lange Jahre waren seit diesem tragischen Ereignisse in dem Leben der berühmten Künstlerin verflossen. Ihre geheime Verbindung hatte nicht länger verborgen bleiben können. Wie die Untersuchung gegen den angeblichen Grafen Horn ergab, war Angelika das Opfer eines gemeinen Betrügers, eines gewöhnlichen Bedienten geworden, der mit bewunderungswürdiger Geschicklichkeit die Rolle des Grafen Horn, eines vornehmen Kavaliers in der Gesellschaft spielte, nachdem es ihm gelungen war, sich des Nachlasses, aller Papiere und Briefschaften seines auf Reisen gestorbenen Herrn zu bemächtigen.
Unterstützt von seinem gefälligen Aeußeren, mit den nöthigen Dokumenten versehen, war es ihm nicht schwer gefallen, sich in London, wo ihn Niemand kannte, überall 214 einzuführen und selbst Zutritt zu den höchsten aristokratischen Kreisen zu erlangen. Allgemein war der Glaube verbreitet, daß der von Angelika verschmähte Hofmaler Joshua Reynolds um den Betrug gewußt und den frechen Abenteurer dazu veranlaßt habe, sich um die Hand der schönen Malerin zu bewerben.
Auf ihren Antrag wurde ihre Ehe aufgelöst und für nichtig erklärt, aber aus Großmuth verzichtete sie auf die Bestrafung des Betrügers, der nach englischem Recht wegen erwiesener Bigamie dem schimpflichen Tode durch die Hand des Henkers verfallen war.
»Ich will nicht,« sagte Angelika, »die Ursache seines Todes sein. Mein Herz kennt weder Haß noch Rache. Wir wollen die Strafe des Elenden dem Himmel überlassen. Nur seinen Namen will ich nicht mehr hören . . .«
Sie selbst ließ ihm eine bedeutende Summe zukommen und sorgte dafür, daß er nicht weiter verfolgt wurde, nachdem er London heimlich verlassen hatte.
Obgleich ihr Schicksal die allgemeinste Theilnahme fand, die sonst so sittenstrenge englische Gesellschaft ihre Achtung für sie nicht aufgab, und der Künstlerin die höchste Anerkennung durch ihre bald darauf erfolgende Ernennung 215 zum Mitglied der königlichen Akademie gezollt wurde, gab sie doch ihren Aufenthalt in London auf. In Begleitung ihres Vaters und des treuen Zucchi, der sie nicht verlassen wollte, kehrte sie nach Rom zurück.
Auch hier wurde ihr Atelier wieder von den angesehensten und vornehmsten Kunstfreunden, selbst von gekrönten Häuptern besucht, während ihr Haus den Mittelpunkt eines geistig bedeutenden Kreises bildete und Alles vereinte, was Rom an ausgezeichneten Männern und hervorragenden Fremden besaß. Kaiser Joseph II., Katharina von Rußland beehrten sie mit ihren Aufträgen. Klopstock und der Idyllendichter Gessner waren stolz auf ihre Freundschaft und standen mit ihr in vertraulichem Briefwechsel.
So gestaltete sich ihr Leben immer reicher und schöner, selbst der Tod des bejahrten Vaters konnte nur vorübergehend ihr Glück trüben, da sie an dem treuen Zucchi den hingebendsten Freund und den uneigennützigsten Beschützer fand. Mit jedem Tage wurde ihr der würdige Mann theurer, und als er ihr seine seit langen Jahren im Stillen genährte und von ihr geahnte Liebe gestand, reichte sie ihm willig die Hand zu einem Bunde, der sie für alle Täuschungen 216 und die bitteren Erfahrungen ihrer ersten Liebe vollkommen entschädigte.
Sie achtete ihren Gatten und bewahrte ihm die reinste Treue, obgleich es der noch immer schönen und interessanten Frau auch im Laufe ihres ferneren Lebens nicht an neuen Versuchungen fehlte. Eines Tages erschien in ihrer Wohnung ein Mann, dessen bloßer Name ihr Herz höher schlagen ließ.
Tief bewegt eilte sie dem sehnsuchtsvoll erwarteten und ihr im Voraus angekündigten Gast entgegen. Ihre Erwartungen, so hoch sie auch gespannt waren, wurden nicht getäuscht. Ein Halbgott, der die Würde des olympischen Zeus mit der strahlenden Anmuth eines Apollo vereinte, trat der freudig überraschten Künstlerin entgegen.
Es war der damals im kräftigsten Mannesalter stehende – Goethe.
Auch er hatte einen schmerzlichen Kampf durchgekämpft und suchte jetzt in Rom Genesung und Heilung der zurückgebliebenen Wunden. Wenige Augenblicke genügten den verwandten Geistern, um sich zu erkennen und für immer zu befreunden.
Es waren schöne unvergeßliche Stunden, wo Beide 217 Hand in Hand durch die Ruinen Rom's, in den erhabenen Denkmälern des Alterthums in tief anregenden Gesprächen wanderten, bald die herrlichen antiken Marmorbilder, die Meisterwerke der griechischen Kunst, bald die farbenglühenden Schöpfungen eines Rafael und Michel Angelo bewundernd, bald die mächtigen Trümmer des Colosseums anstaunend.
Aber der höchste Genuß wurde ihr erst zu Theil, als eines Abends der Dichter in Angelika's Wohnung kam und ihr das von ihr heiß ersehnte Weihgeschenk brachte. In seinen Händen hielt er eine Rolle mit der Inschrift: »Iphigenie«.
»Ich komme,« begann er fast feierlich, »um mein gegebenes Versprechen zu lösen.«
»Endlich, endlich!« rief sie mit leuchtenden Blicken. »Sie konnten mir keine größere Freude bereiten!«
Da es indeß dunkel geworden war, zündete die Dienerin des Hauses die silberne Lampe an.
Es fand sich eine kleine, auserwählte Gesellschaft ein. Angelika selbst, der würdige Zucchi, einige hochgebildete Männer und anmuthige Frauen, eine stille Gemeinde, welche die Verehrung des Genius hier vereinte. 218
Tiefes erwartungsvolles Schweigen herrschte in dem Gemach, dessen Wände mit den schönsten Kunstwerken, antiken Statuen und kostbaren Gemälden geschmückt waren. Durch die hohen Fenster blickten der dunkelblaue Himmel Italiens, die silberne Sichel des Mondes und die goldenen Sterne in wunderbarer Pracht.
Man glaubte in einem Tempel zu sein und einem weihevollen Gottesdienst beizuwohnen, als der Dichter die vor ihm liegenden Blätter entfaltete und daraus seine neueste, herrlichste Schöpfung mit wohltönender Stimme vorlas. Gleich einem mächtigen Zauber riß er die Seelen seiner Hörer hin, ergriff er ihre Herzen mit unwiderstehlicher Gewalt.
Keiner der Anwesenden aber war so tief erschüttert durch das Schicksal Iphigeniens, durch die Klagen der gottgeweihten Priesterin, als Angelika. Das schöne Haupt auf ihren Arm gestützt, saß sie sinnend da, in schmerzliche Gedanken versunken.
War es doch, als ob der Dichter ihr eigenes Loos verkündigte, ihr innerstes Leben heraufbeschwor! Die längst vernarbten Wunden brachen wieder auf, und die fast vergessenen Erinnerungen bestürmten ihren Geist. Je weiter 219 aber der Dichter las, je tiefer sie sich in sein unsterbliches Werk versenkte, desto milder wurde ihr Schmerz, desto mehr fühlte sie sich erhoben.
Jetzt erst glaubte sie das Räthsel ihres Daseins zu verstehen, die wunderbaren Fügungen der Vorsehung zu begreifen. Sie fühlte sich versöhnt mit dem unbegreiflichen Walten des Geschicks, das ihr jene so schwere Prüfung einst auferlegt, und indem sie ihre eigene Schuld erkannte, ihre selbstsüchtigen Wünsche einer höheren Macht unterordnete, senkte sich auf ihre Seele jene heilige Verklärung, jene stille Resignation nieder, die nur den Auserwählten zu Theil wird . . .
Als der Dichter seine Vorlesung schloß, war auch dieser letzte Kampf in dem Herzen der Künstlerin und der Frau beendet. Fortan gehörte sie nur noch allein der Kunst und der treuesten Pflichterfüllung für ihren Gatten. Ruhig sah sie Goethe scheiden, der ihr bis an sein Lebensende ein inniges Interesse bewahrte, während Angelika dem Genius das reinste Andenken, eine heilige, von jedem irdischen Wunsch befreite Liebe weihte. –
Am 5. November 1807 schied die berühmte Künstlerin aus dem Leben; ein unübersehbarer Leichenzug folgte ihrem 220 mit Blumen und Lorbeerkränzen bedeckten Sarg; ihre Büste wurde im Pantheon aufgestellt. Goethe aber urtheilte von ihr: »Sie hat ein unglaubliches und als Weib wirklich ungeheures Talent. Man muß sehen, was sie macht, nicht das, was sie zurückläßt. Wie vieler Künstler Arbeit halten Stich, wenn man rechnen will, was fehlt?«
Ihr unvergängliches Verdienst bleibt aber, daß sie unter den Ersten genannt werden muß, die zu dem Ideal antiker Schönheit zurückkehrten. Eine solche Einsicht muß ihr aber um so höher angerechnet werden in einer Zeit, wo die geschmacklose Unnatur, der barbarische Zopf und das gezierte, verschnörkelte Rokoko noch immer vorherrschte.
Darum gebührt ihr neben den Erweckern der wiedergeborenen Kunst, neben einem Winkelmann und Lessing, eine bleibende Stelle in der Kunstgeschichte. Angelika Kaufmann war mehr als eine blos talentvolle Malerin, sie war eine Priesterin des Schönen – eine gottbegeisterte Seherin und Prophetin der Zukunft!