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Machtfragen

In der Proklamation, die Bonaparte nach der Einnahme Mantuas, des letzten österreichischen Stützpunktes in Italien, an seine Soldaten erließ, wird das bisherige Ergebnis dieses Feldzuges folgendermaßen zusammengefaßt: »Ihr habt in vierzehn Schlachten und in siebzig Gefechten den Sieg davongetragen. Ihr habt mehr denn 100 000 Gefangene gemacht, habt dem Feinde 500 Feldkanonen und 2000 schwere Geschütze ... abgenommen.

Die dem eroberten Lande auferlegten Kontributionen haben die Armee während des ganzen Feldzuges ernährt, unterhalten und besoldet, überdies habt ihr dem Finanzminister ... 30 Millionen übersandt.

Ihr habt das Museum in Paris um mehr denn dreihundert Kunstwerke bereichert ... Ihr habt die schönsten Landstriche Europas für die Republik gewonnen; die lombardische und die zisalpinische Republik danken euch ihre Freiheit ...«

Auf die Aufzählung dieser Tatsachen folgt dann ein Wort, in dem zum ersten Male »Napoleon hinter Bonaparte zum Vorschein kam«: nämlich der Hinweis darauf, daß die französischen Fahnen nun zum ersten Male an den Küsten des Adriatischen Meeres flatterten, nur »24 Schiffahrtsstunden von dem alten Mazedonien entfernt«. Dieses Wort hatte Bonaparte vor allem zu seiner eigenen Seele gesprochen, in der Alexander und Cäsar als lebendige Mahner wohnten, nun er mit dieser Proklamation den Entschluß ankündigte, den Krieg nach Österreich hineinzutragen und dem besiegten Feinde im eigenen Lande den Frieden aufzuzwingen.

Mit einer Schnelle, die den Anfängen dieses Feldzuges glich, war dieser Entschluß zur Ausführung gebracht. In wenig mehr als einem Monate standen die französischen Truppen in der östlichen Steiermark, nur noch ein paar Tagesmärsche mehr von Wien entfernt. Und kaum waren die Kapitulation der Österreicher und der Präliminarvertrag von Leoben erzwungen, als Bonaparte sich auch schon wieder auf den Weg machte, nach Italien zurückzukehren, nach Mailand, das nun fast schon wie seine Hauptstadt war. Das feurige und heftige Bewußtsein von Macht, das seit dem Abende von Lodi in ihm gewesen war, hatte sich gewandelt und ihn mitverwandelt. Das Erreichte wuchs mit jedem Tage mehr über Militärisches hinaus. Sollte es aber für ihn vollen Sinn haben, dann mußte er sich nun an all den möglichen Aufgaben bewähren, die solcher Erfolg zeugen konnte. Keiner hätte sie ihm zeigen können; diese Aufgaben entstanden und bestanden lediglich aus ihm selber zusammen mit den Fragen, in die er sich hineinzubringen wissen würde. Ein wildes rastloses Forschen und Denken ging in ihm um, – und die ihm jetzt begegneten, bemerkten, daß er noch verschlossener geworden war und daß er eine neue Art von Gemessenheit in Gehaben und Ausdruck hatte: oft standen jetzt schon die senkrechten Falten in seiner jungen Stirn, aus den dicht aneinandergerückten Brauen aufsteigend; und viele, die unvermutet von dem stahlblauen Blicke getroffen wurden, verloren alle Sicherheit oder erschraken. Er ging mit verschränkten Armen auf den Poststationen auf und nieder, während die Pferde gewechselt wurden, vermied alles Gespräch – schon »solitario come il carnefice« (einsam wie der Henker), wie Raffael von Michelangelo gesagt haben soll.

In diesen zwei Monaten bis zur Wiederkehr nach Mailand hatte Bonaparte außer ein paar kurzen Billetten mit sachlichen Mitteilungen nicht mehr an Josephine geschrieben. Er hatte seinen Krieg organisiert und zu Ende geführt. Jetzt trieb die unstillbare Weltgier die hunderttausend Tatsachen, aus denen die Dinge des Staates und der Herrschaft sich zusammensetzen, in sein Hirn zur Sichtung und warf die daraus ausgelesenen in sein Blut zu neuer Wirklichkeitsdichtung. Josephine war mitten in seinem Leben in einer wie ausgeweint ruhigen Liebe geborgen, aber sie ging nicht mehr mit ein in die Poeme seines Blutes. Sie war da, sollte da bleiben, sollte das prächtigste Teil von allem Eroberten und Erreichten haben, aber die Wege dazu wurden nun sein eigen Teil, von dem ihr mitzuteilen keine Sehnsucht mehr in ihm drängte.

Tag um Tag hatten die Kuriere die Nachrichten von diesem vorwärtsstürzenden Marsche und endlich von der Niederwerfung der kaiserlichen Heeresmacht nach Mailand gebracht. Und Josephine, von Fest zu Fest eilend und »geschmückt und stets von Menschen umgeben wie eine Dirne«, wie nach jener angedeuteten Anekdote Michelangelo Raffael erwidert haben soll, hatte zuallererst alle Nachrichten von den Kriegshandlungen und dem Waffenstillstande erhalten. Nicht selten kam auch Charles, wohlinformiert wie alle Spekulanten, die letzten Neuigkeiten bringend und noch neuere erwartend. Aber sie hatte jetzt nur noch höchst selten einen der doch stets so lästig schwerleserlich gewesenen Briefe Bonapartes zu zeigen. Und da begann sie in all ihrem Naschen von der Liebesdroge jene schicksalsvolle Wunderlichkeit, mit der sie vermessentlich abermals einen Teufel an die Wand malte, an der schon der der Schwangerschaftslüge verhängnisvoll geblieben war.

Josephine begann mit einemmal zu entdecken, daß sie eifersüchtig auf den Gatten sei. Sie beklagte sich bei Berthier, schrieb Barras, erzählte, nicht eben wählerisch in der Person ihrer Zuhörer, daß Bonaparte eine andere Frau liebe und sein Herz von ihr abgewendet habe. Zwar ließ sie sich vorerst noch gern und leicht beschwichtigen; aber es erfüllte sie mit angenehmer tränenseliger Erregung, sich solchen noch halb spielerischen Eifersuchtsausbrüchen hinzugeben, die sich besonders wiederholten, wenn eine Siegesnachricht oder neue außergewöhnliche, Bonaparte zugedachte Huldigungen ihr seine nun schon über allen Zweifel hinausgewachsene Machtstellung zu Bewußtsein brachten. Daß sie im innersten Herzen wußte, wie unbegründet all das sei, half ihr wenig. Denn diese Eifersucht war eine Umschreibung, eine Übersetzung in geläufige Frauenzimmersprache, von etwas, das sie auf diese Art nicht wahrhaben und was sie aus einem unzugänglichen inneren Vorgang zu einem anklagbaren äußeren machen wollte. Sie fühlte untrüglich, daß ihre Macht über Bonaparte, die ihr bisher das Beste in dieser Ehe gewesen war, daß ihre ungeheure Macht, die ihr seine Liebe gegeben hatte, im Schwinden sei. Und diesem Ungreifbaren gegenüber, das sie verdroß, erbitterte und auch bekümmerte, klagte sie ihn dessen an, was sie selber, freilich ohne es vor sich mit irgendeinem Namen zu nennen, als das Natürlichste von der Welt beging: des Ehebruches.

Das währte vorerst, bis Bonaparte wieder in Mailand war und sie beim besten Willen keine Handhabe mehr finden konnte, in diesen Anschuldigungen fortzufahren, in denen sie einige unleugbare Veränderungen an ihm auf den ihr angemessensten Nenner gebracht hatte.

Aber wie so oft, wenn Josephine ihr eigenwilliges Schalten mit Wirklichkeiten geübt hatte, wenn sie sich wider Vernunft und Gedächtnis Wünsche, Gefühle oder Ängste zu Tatsachen umgeredet hatte, wurde ihr etwas davon zu innerer Wirklichkeit, hakte sich ein und blieb. Sie hatte sich nun ihre leichtfertige Deutung dafür zurechtgemacht, daß etwas mit Bonaparte vorgehe. Und da in der Tat etwas mit ihm vorging, das all die leibliche Gemeinschaft mit ihm ihr nicht verständlicher machte, da er ihr auf Fragen und Bestürmen keine annehmbare Antwort mehr gab, verfiel sie dem Unerklärlichen gegenüber immer wieder und immer wirklicher in die Eifersucht. In ihr wehrte sich alles Gefühl, wie wenig es auch mit Liebe zu tun haben mochte, gegen Zustandsänderung und Machtverminderung, gegen den Einbruch der Zeit in Bereiche, die unwandelbar geschienen hatten. Sie wütete und tobte, ließ ihre maßlosesten Launen gewähren, empörte sich in Trotz und kindischem Beleidigtsein gegen das Unfaßbare – und dachte doch vorerst noch mit keinem Gedanken daran, etwa selber kleine Opfer zu bringen und sich irgendeine ihrer Genäschigkeiten zu versagen, auf die sie ebensoviel Recht zu haben fühlte als auf Bonapartes Liebe und Beständigkeit.

Was mit Josephinens Gatten in diesen Sommermonaten des Jahres 1797 vorging, hatte mit ihr selber kaum noch etwas zu tun. »Bonaparte wächst in seinen Erfolg hinein«, sagt ein Zeitgenosse über diese Monate. Er wuchs mit unheimlicher Schnelle. Er bedurfte solcher Beweise für seine Macht nicht mehr wie dessen, daß ein Emissär der Bourbonen mit unerhörten Anerbietungen zu ihm kam und ihn für die royalistische Sache gewinnen wollte. Er hatte in diesem einen Kriege nicht nur das eingeborene Feldherrngenie bewähren und die Menschen als Kriegswerkzeuge benutzen gelernt, – er war der Führer geworden. Welt und Menschen wandelten sich ihm durchaus, – und diese Wandlung in eine ungeheuerliche Heimlichkeit war es, der Josephine ihre kindlich frauenzimmerliche Deutung unterlegte. Bonapartes Gefühl für die Menschen hatte schon immer etwas Unheimliches, Nachtmahrhaftes gehabt. Es drängte ihn zu den anderen wie einen aus einem Zwischenreiche, einen von denen, deren schattige Gesichter sich nachts an die erleuchteten Fenster pressen, hinter denen das süße Spiel des Lebens um seiner selbst willen gespielt wird. Dann war er eingebrochen in das Haus des Lebens und hatte für eine Weile mitzuspielen versucht, hatte herznährendes Erdreich in der Liebe finden wollen, ein Du zu diesem ungeheuerlichen Ich, die eine Frau, die für alle Frauen da wäre, wie die Familie schon für alles erhoffte Bündnis mit Menschen da war. Aber kaum hatte er Aufnahme gefunden unter den Menschen, als er sich auch schon über sie zu erheben begann. Und nun er erst das Emporsteigen gelernt hatte, war er wieder außerhalb und warf aus dem blutgierigen Schattenreiche der Zwecke und Ideen zuweilen einen wilden und gramvollen Blick auf das Menschentreiben, lernte ihm linkisch einen Schein von Mittun ab und griff dabei mit gierigen Händen nach diesem ganzen Lebenshause. Derweil lebte er mit Josephine, saß mit ihr am Tische, teilte ihr Bett, redete über ihre Kleider, über die Leute rundum, über Eugène und Hortense, sprach Meinungen aus, die vielleicht der oder jener auch hätte sagen können, die aber dennoch mit keinem zu einem Einklange kamen. Die eingeborenen Notwendigkeiten und Gesetze der leidenschaftlichen starren korsischen Enge wirkten in alldem weiter in ihm, und sie erfüllten alle seine Berührung mit der Täglichkeit der Menschen mit dem, was nun immer befremdlicher an ihm sichtbar wurde, je einfacher und menschlicher er sich geben wollte: mit dieser dämonischen Bürgerlichkeit, die sein Leben mit den Menschen kennzeichnet.

Während in diesem Sommer Josephine an ihren alten Freund Barras mehrere Briefe schrieb, in denen sie sich beklagte, daß der Gatte ihr so viel Grund zur Eifersucht gebe, hatte Bonaparte mit allergrößter Heimlichkeit einen Briefwechsel ganz anderer Art mit Barras begonnen. Stärker als je zuvor und gewitzter hatten die Royalisten ihre Vorbereitungen zu einem Umsturze begonnen. Und Barras fühlte, daß wieder ein Staatsstreich nötig sei, wenn er sich an der Macht behaupten wollte. Er hatte den braven geraden Hoche als militärischen Helfer in sein Spiel bringen wollen, den einzigen unter den Generälen, der noch als Rivale Bonapartes mitzählte. Doch dieser hatte sich nicht ganz als der rechte Mann erwiesen, – und bald darauf war er ganz plötzlich gestorben, vergiftet, wie es hieß. Dann waren Barras und Bonaparte, der bei alledem noch viele andere Fäden in der Hand behielt, nochmals einig geworden. Das Ergebnis war der Staatsstreich vom XVIII. Fructidor, der zwei der Direktoren, unter ihnen den integren »Vorbereiter der Siege«, Carnot, aus dem Direktorium verjagte, die Macht Barras' gewaltig stärkte und das sich zusammenziehende Netz der Monarchisten zerriß. Bonapartes glorreicher Name und die Rückendeckung durch seine Armee hatten das Gelingen dieses Staatsstreiches verbürgt. Und Bonaparte zögerte nicht, das Direktorium fühlen zu lassen, daß er sich der veränderten Lage bewußt sei. Entgegen den erhaltenen Instruktionen führte er beschleunigt die Friedensverhandlungen und schloß völlig selbständig am 17. Oktober den folgenreichen Frieden von Campo-Formio. Es war der erste Frieden seit sechs Jahren, und der Jubel über ihn erfüllte Frankreich so sehr, daß die Direktoren nicht umhin konnten, in die Begeisterung einzustimmen.

Bonapartes Aufgabe in Italien war erfüllt. Er war als Bevollmächtigter zu dem nach Rastatt einberufenen Kongresse delegiert worden und wollte von dort nach Paris zurückkehren. Er hatte gehofft, auf diesem Heimwege, der ein Triumphzug werden mußte, Josephine an seiner Seite zu haben. Doch sie besann sich plötzlich, daß sie in den fast eineinhalb Jahren Aufenthalts in Italien von dem schönen Lande viel zu wenig gesehen habe und daß sie vor allem noch nicht in Rom gewesen sei. Eine Reise nach Rom war also der Vorwand, mit dem sie sich der Heimkehr mit Bonaparte entzog. Und die Hoffnung, daß die Trennung ihr die schwindende Macht über den Gatten wiedergeben werde, würzte ihr das Vergnügen an der Freiheit.

Josephine ging nicht nach Rom, sondern nach Venedig und erlebte in dieser Stadt, die Bonaparte den Österreichern geschenkt hatte, die alterfahrene Kunst venezianischen Festefeierns. Dann machte sie sich langsam, langsam auf den Weg nach Frankreich. Es ist nicht mit Sicherheit festzustellen, ob Hippolyte Charles diese ganze lange Reise, während welcher die Rasttage die Reisetage um ein Vielfaches überwogen, mit ihr gewesen oder ob er ihr erst später entgegengekommen sei und mit dazu beigetragen habe, daß das letzte Stück der Reise das langwierigste geworden ist.

Bonaparte war von Rastatt, wo er in achtspänniger Kutsche, von einer österreichischen Ehreneskadron umgeben, feierlich eingezogen war, am 5. Dezember nach Paris zurückgekehrt. Ehrungen hatten ihn empfangen, wie sie Paris seit den Tagen, da der Einzug der jungen Dauphine Marie-Antoinette gefeiert worden war, nicht mehr gesehen hatte. Er vermißte Josephine sehr; in Triumph und Ehren sollte der Mann die Gattin an der Seite haben. Er wohnte im Hause Josephinens in der Rue de Chantereine, die ihm zur Huldigung in diesen Tagen zur Rue de la Victoire wurde. Nun war es sein Haus: er hatte es gleich nach seiner Rückkehr gekauft. Und es war in dem antikisierenden Geschmacke, der sich jetzt immer mehr durchsetzte, ausgestaltet worden. Bonaparte wartete auf Josephine, die spätestens eine Woche nach ihm hätte in Paris sein müssen. Empfänge und Bälle wurden ihm gegeben, die Akademie nahm ihn als Mitglied auf, im Theater grüßte ihn jubelnder Applaus, wenn er einen Augenblick aus dem Logenhintergrunde hervortrat. All das hätte Josephine mitgehört. Sie kam nicht. Er wartete auf ihre Rückkehr, wie er in Italien auf ihr Kommen gewartet hatte.

Der Name Bonaparte, den Josephine erst so sorglich geheimgehalten hatte, lief nun ihrer Fahrt voraus, und so hatte sie unterwegs schon einen reichlichen Vorgeschmack der Festlichkeiten, die ihr in Paris zugedacht waren. In Lyon wurde ihr ein Kranz von Rosen für sie selber und ein Lorbeerzweig, den sie dem Gatten überbringen sollte, überreicht, und abends gab es ihr zu Ehren eine Festbeleuchtung der ganzen Stadt. Paris wartete, wartete. Der Ball, den Talleyrand im Ministerium für Auswärtiges zur Feier ihrer Ankunft vorbereitete, mußte mehrmals verschoben werden, und schließlich betrugen die Kosten dieses immer von neuem vorbereiteten Empfanges ein Mehrfaches dessen, was dafür ausgesetzt worden war. Und als Josephine endlich angekommen war und auf diesem größten seit Bestand der Republik gegebenen Balle am Arme Bonapartes erschien, war sie so unbeherrscht voll schlechter Laune, daß alsbald die boshaftesten Kommentare durch den Saal schwirrten. Josephine wieder in Paris und übellaunig inmitten solch eines Festes? Hatte Bonaparte sie die drei Wochen Verspätung so sehr fühlen lassen? Oder hatten die Raunenden recht, die ihre Verdrossenheit der Abwesenheit von Charles zuschrieben? Oder war es einfach, daß sie sich nach der Reise unfrisch und nicht hübsch genug für solche Gelegenheit fühlte und ihr Kostüm mit der Goldhaube als allzu improvisiert empfand?

Ein klein wenig von der Übellaunigkeit hielt noch für eine Weile in ihr vor. In das so lange ersehnte Wiedersehen mit Paris mischte sich allerlei, was sie nicht bedacht hatte. Vor allem gleich das Gefühl von Fremdheit in all dem neuen strengen Dekor des Hauses, dann das Gewahrwerden dessen, daß ja nun Bonaparte hier wirklich mitwohnte und daß die Geselligkeit, auf die sie sich so gefreut hatte, jetzt seiner Billigung bedurfte und damit schnell mehr und mehr zu der seinen wurde. Voll meuterischer Gedanken ging Josephine durch die so verwandelten Räume, die ehedem ihre gewesen waren. Und wenn jetzt Gäste kamen, genoß sie diese ihr aufgenötigte Gastlichkeit nur mit halbem Gefühle, wenngleich unter diesen Gästen jetzt nicht wenige Männer waren, die sie vordem nur allzu gern in ihr Haus gezogen hätte. Etwas in ihr war dagegen, – und mochten diese Tischgespräche und Konversationen im Salon noch soviel Geist und Anmut, Freiheit und Weltklugheit beleben, sie selber war geneigt, Pedanterie und Wichtigtuerei aus all diesen Reden herauszuhören, die freilich sämtlich immer an Bonaparte gerichtet schienen, auch wenn sie ihr galten. Sie hatte wahrhaftig Männergesellschaft gern, und unter anderen Umständen hätte sie allen diesen Größen wie Chénier, Bernardin de Saint-Pierre, Méhul, David und Talma nur zu gerne zugehört. Aber wie ihr Freund Barras sich hier nun so ganz anders gab, meinte sie, daß auch alle die anderen Männer – nicht nur die soldatischen Untergebenen – in der Atmosphäre Bonapartes ihre Natürlichkeit verlören. Und sie sehnte sich nach den Mählern und Festen mit Térézia zurück, die sie jetzt nur noch recht selten sehen konnte, mit dem so anderen Barras von früher, nach champagnerermunterten bedenkenlosen Reden, nach hemmungslosen Frauenzimmergesprächen, in denen sich Kleider und Liebe, Klatsch und Geschäftchen zu einem begeisternden Knäuel verwickelten. Bonapartes »Heimlichtuerei« setzte sie nun bewußt ihre eigne entgegen, ihr neues eifriges Schuldenmachen, ihren Charles und ihre jammernden Herzensergüsse an alle, die mit Bonaparte nicht in Berührung kamen. Sie hatte eine große Kassette voll von Schmuck, recht verschiedenartig an Wert und Schönheit. Die schleppte sie zuweilen im Hause umher, wenn sie einmal allein war, kramte gierig darin, behängte sich ein wenig und spielte dabei mit allerlei bunten Gedankenbildchen, die sich ihr meist vor das Nachdenken schoben. Ihre Eifersucht war wieder etwas abgeebbt. Sie dachte eifrig an sich selber und kunterbunt durcheinander an Freiheit, an Macht über Bonaparte und mancherlei sonst, das sie in dem ersten Stückchen Reife des Jahres nach dem Gefängnisse noch nicht zueinander gedacht hätte. Absonderlichste Wirrnis war in ihr: sie hatte nun eine Position wie kaum eine andere Frau in Frankreich, freute sich ihrer jeden Tag ein wenig, war entschlossen, sich in ihr zu halten, und war doch zugleich voll Auflehnung dagegen. Das Stück Halt und Sicherheit, das sie ersehnt hatte, bekam ihr nicht recht; das ihr gewährleistete bedeutende Jahrgeld beunruhigte sie, verleitete sie, Wünsche aufzuspüren, die sie gar nicht hatte und deren Erfüllung sie dann im Augenblick vergessen hatte. Unrast war in ihr, Übertriebenheit, gegenstandsloses Klagen, Verdrossenheit und Gier. Sie wünschte Bonaparte fort. Und wenn er sich in das Zimmerchen zurückzog, in dem er viele Abende lange Stunden, oft bis zum Morgengrauen, mit dem Zirkel vor Landkarten sitzend und Notizen machend verbrachte, war sie immer ein wenig beleidigt. Es verlangte sie nach Freiheit, nach einer lustigen Zeit mit dem amüsanten kleinen Hippolyte Charles und mit Leuten, die sie sich aussuchen könnte. Sie naschte auch an solch einer Zeit, während Bonaparte eine Inspektionsreise nach den atlantischen Küsten unternahm, um die Verwirklichkeitsmöglichkeiten eines noch von Korsika her in ihm gärenden Wunsches zu prüfen: des Wunschtraumes, England, den Feind, hinter den Bollwerken des Meeres heimzusuchen. Als er von der augenblicklichen Undurchführbarkeit solchen Angriffes überzeugt zurückkehrte, hatte dieser Traum, England ins Leben zu treffen, schon eine andere, noch phantastischer erscheinende Formung in ihm erhalten, an der nun die Präzisionsmaschinen seines Wirklichkeitssinnes ihre Arbeit begannen. Wie die großen Dichter keinen von ihrer Jugend erfaßten Stoff mehr aus ihrem Leben fortlassen, ehe er volle Gestalt erhalten hat, so hatte Bonaparte seinen Alexandertraum vom Orient nun in die Sprache seiner ichlichen Weltpolitik übersetzt und daraus dichtend den Plan errechnet, England als See- und Kolonialmacht durch die Eroberung jenes Landes zu erschüttern, wohin auch Cäsar gezogen war, der hier der Sage nach noch den Leichnam Alexanders gesehen hätte.

Diesmal blieb Josephine über die Absichten des Gatten nicht lange im Zweifel. Denn der nun zum Oberkommandierenden der Orientarmee gewordene Bonaparte fügte zu den eifrigst betriebenen militärischen Vorbereitungen solche von ganz anderer Art, deren Hauptschauplatz sein eigenes Haus war. Namhafte Männer aus fast allen Bereichen der Wissenschaften und eine Anzahl von Künstlern waren jetzt neben Bonapartes Adjutanten und etlichen Generälen die meistgesehenen Gäste des Hauses, und alle Gespräche handelten von Ägypten.

Als dann der Ägyptenzug beschlossen war, erschien es Bonaparte zuerst selbstverständlich, daß Josephine ihn begleiten würde. Nun hatte ihm das Direktorium ja keine Vorschriften mehr zu machen. Überdies unternahm er diesen Zug zweifellos mit einem aus seinem früheren Orienttraum stammenden inneren Vorbehalt, dem er später Ausdruck gegeben hat: dieses Frankreichs unfroh, in dem noch immer Männer von Schlage Barras' herrschten, war Bonaparte bereit, im Falle eines großen kriegerischen Erfolges Sieg und Gewinn zum Bau eigener Macht zu nutzen. So sollte Josephine mit ihm sein.

Josephine hatte ihn fortgewünscht, – nun er sich aber für lange fortzugehen anschickte, war sie in all dem Gefühlsdurcheinander, in das sie seit ihrer Rückkehr nach Paris geraten war, auch mit seinem Fortgehen wieder nicht ganz zufrieden. Was ihr Mitkommen anlangte, hatte sie allerdings von allem Anfang an ganz und gar keine Lust, schon wieder Frankreich zu verlassen. Sie hatte aber schon gelernt, daß sie im Diskutieren mit Bonaparte wenig Aussichten hatte; und da hier das Weinen auch nicht sehr erfolgversprechend erschien, hatte sie ja gesagt und entschlossen nein gedacht: das war die Vorstufe zu ihrer nachmaligen Methode, auf jede unvermutete Frage oder jeden unerwarteten Vorschlag grundsätzlich mit Nein zu antworten, um Zeit zu gewinnen. Die Umstände waren ihr günstig. Sie fühlte sich ein wenig leidend und sah müder aus, als sie war, da sie mit ihrem Sohne Eugène in Begleitung Bonapartes in Toulon ankam. Als dann gar noch Meldungen eintrafen, daß die englische Flotte in der Nähe kreuze und die Ausfahrt des Expeditionsgeschwaders zu verhindern suchen würde, entschied Bonaparte, daß Josephine vorerst in Frankreich bleiben, eine Badekur gebrauchen und ihm in etwa zwei Monaten nachfolgen solle. Sie blieb noch so lange in Toulon, bis die Nachricht kam, daß Bonaparte und Eugène, der ihn als Adjutant begleitete, unversehrt durch die gefährliche Zone gelangt seien. Dann machte sie sich auf den Weg nach dem Bade Plombières. Und als Bonaparte sich gleich zu Anfang der Fahrt besann, wie es mit Josephinens Nachfolgen bisher ergangen war, und ihr sofortiges Nachkommen verlangte, war sie schon unterwegs und der Brief erreichte sie mit solcher Verspätung, daß sie schon keine Bedenken mehr hatte, dem Rufe nicht mehr Folge zu leisten. Bonaparte war schon zu weit fort.


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