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Kurz nach der Schlacht bei Lodi hatte Bonaparte die Nachricht von Josephinens angeblicher Schwangerschaft empfangen. Er antwortete darauf: »Es ist also wahr, daß Du schwanger bist! Murat schreibt es mir, aber er sagt mir auch, daß Dich das krank mache und er es nicht für klug halte, daß Du eine so lange Reise unternehmest. Ich werde also weiter des Glückes beraubt sein, Dich in meine Arme zu schließen. Ich werde also noch mehrere Monate fern von allem sein, was ich liebe! Ist es möglich, daß ich nicht das Glück hätte, Dich mit Deinem kleinen Bauche zu sehen! Das muß Dich doch so interessant machen. Du schreibst mir, daß Du recht verändert bist. Dein Brief ist kurz und traurig, und die Schrift ist zittrig. Was hast Du, meine anbetungswürdige Freundin? Was kann Dich beunruhigen? Oh, bleib nicht auf dem Lande, sei in der Stadt, suche Dich zu unterhalten und glaube mir, daß es keine wirklicheren Qualen für meine Seele gibt, als denken zu müssen, daß Du leidend und bekümmert bist. Ich glaubte, eifersüchtig zu sein, aber ich schwöre Dir, daß es nicht der Fall ist. Ich glaube, daß ich Dir lieber selber einen Liebhaber gäbe, als Dich melancholisch zu wissen ... Die Dinge hier gehen gut; aber mein Herz ist voll einer Unruhe, die sich nicht beschreiben läßt. Du bist fern von mir krank! Sei froh und gib gut acht auf Dich, auf Dich, die mein Herz höher schätzt als das Universum ...«
Dann nach dem umjubelten Einzuge in Mailand, wie kein junger Mensch seit Alexanders Tagen einen triumphaleren erlebt hat, schrieb Bonaparte: »Mailand, 29. Floreal (18. April). Ich weiß nicht, warum ich seit heute morgen zufriedener bin. Ich habe ein Vorgefühl, daß Du hierher unterwegs bist, und dieser Gedanke überfüllt mich mit Freude. Selbstverständlich mußt Du durch Piemont reisen, der Weg ist viel besser und kürzer. Du wirst nach Mailand kommen und sehr zufrieden sein, da es hier sehr schön ist ... Ich brenne vor Begierde zu sehen, wie Du Kinder trägst. Das muß Dir ein majestätisches und achtunggebietendes Aussehen geben, das Dir nach meiner Meinung sehr spaßig anstehen muß. Vor allem sei nicht krank; nein, meine gute Freundin, Du wirst hierherkommen, es wird Dir sehr gut gehen; Du wirst ein kleines Kind haben, hübsch wie seine Mutter, es wird Dich lieben wie sein Vater, und wenn Du sehr alt sein wirst, hundert Jahre, wird es Dein Trost und Dein Glück sein ...«
In diesen Tagen erhielt Bonaparte das Schreiben Carnots, daß nunmehr der Reise Josephinens nichts mehr im Wege stehe. Da Josephine diese Mitteilung entsprechend früher empfing, hätte sie beinahe gleichzeitig mit Carnots Brief in Mailand sein können. Aber eben seit der Eroberung Mailands erschien es Josephine vollends unmöglich, Paris zu lassen, dieses Paris voll Siegesjubels, diese große freudige Stadt, die nun so erfüllt von dem Namen Bonaparte war, ihrem Namen, und die ihr einen Beinamen gegeben hatte, der den nun schon verblassenden der Tallien hell überstrahlte: Notre-Dame-de-la-Victoire, unsere liebe Frau vom Siege, und die auch noch vorhatte, die Rue Chantereine in Rue de la Victoire umzutaufen! In diesem Festestrubel heilte das bißchen Übelbefinden, das der winzige Wahrheitskern in dem Märchen von der Schwangerschaft gewesen war, alsbald aus – und Josephine ging und fuhr durch Paris, zeigte sich, wo es nur irgend möglich war, hatte Kleider, die sieghaft schön und kostspielig wie große Siege waren, und konnte sich nicht sattrinken an all den Huldigungen. Derweil mußte die Schwangerschaft noch für eine Weile als Ausrede vorhalten – wenn sich dann nichts anderes fände, würde sie wohl doch reisen müssen. Sie quälte sich nicht weiter mit Nachdenken ab und blieb in Paris.
Und Bonaparte schrieb Brief nach Brief: »Wieder so viele Tage ohne ein Wort von Josephine!« In die Ausbrüche von Zürnen und Klagen klingt echte herzenstraurige Bitterkeit hinein. Aber immer noch sucht die große Zärtlichkeit für alles Unerklärliche einen Strohhalm der Erklärung, stammelt Liebe weiter ihre Sehnsucht, ihre Sorge um die Geliebte. Man hatte Bonaparte in Mailand ein großes Fest gegeben; fünf- oder sechshundert hübscher und eleganter Frauen hatten sich bemüht, ihm zu gefallen. Aber keine hatte Josephine geglichen, und traurig und verstört hatte er nach einer halben Stunde das Fest verlassen. Er stürzt von Gefecht zu Gefecht, ist kaum einen Tag an einem Ort, erobert, verhandelt, ganz auf sich gestellt, mit den Vertretern geschlagener und bedrohter Mächte, er, der Sechsundzwanzigjährige, schließt Verträge mit dem Papst, dem Königreich Neapel. Und der Bote, dem er den nächsten Brief an Josephine mitgibt, ist der größte unter den Mailändischen Grandseigneurs, der Herzog von Serbelloni. In diesem Briefe steht: »Josephine, wo wird dieser Brief Dir übergeben werden? Wenn es in Paris ist, dann ist mein Unglück Gewißheit geworden: Du liebst mich nicht mehr. Und mir bleibt nur noch übrig, zu sterben ... O Du, meine Tränen fließen. Keine Ruhe und keine Hoffnung mehr. Ich beuge mich vor dem Willen und dem unerschütterlichen Gesetze des Schicksals. Ich werde mit Ruhm überhäuft, um mein Unglück nur noch mit mehr Bitterkeit zu fühlen. Ich werde mich an alles gewöhnen bei diesem Stand der Dinge, nur daran kann ich mich nicht gewöhnen, Dich nicht mehr zu achten ... Es ist nicht möglich! Meine Josephine ist unterwegs, sie liebt mich wenigstens ein bißchen; so viel versprochene Liebe kann nicht in zwei Monaten zu nichts geworden sein! Ich hasse Paris, die Frauen und die Liebe ... dieser Zustand ist abscheulich ... und Dein Benehmen ... Aber soll ich Dich anklagen? Nein. Dein Benehmen ist das Deines Schicksals ...«
Und dann im nächsten Briefe: »Josephine, Du solltest am fünften (Prairial) von Paris abgereist sein, Du solltest am elften abgereist sein, Du warst am zwölften noch nicht abgereist ... Mein Herz stand der Freude offen, nun ist es von Schmerz erfüllt. Post nach Post kommt, ohne mir Briefe von Dir zu bringen. Und wenn Du mir schreibst, sprechen die paar Worte und der Stil doch nie von einem tiefen Gefühl ... Du hast niemals geliebt ... Ich habe meine Operationen beschleunigt, weil Du nach meiner Berechnung am 13. in Mailand sein mußtest, und Du bist noch in Paris ... Mein Unglück ist, daß ich Dich zu wenig gekannt habe, das Deine, daß Du mich wie die Männer eingeschätzt hast, die Dich umgeben. Mein Herz fühlt niemals etwas Mittelmäßiges. Es hatte sich die Liebe versagt; Du hast ihm eine grenzenlose Leidenschaft eingegeben, eine Trunkenheit, die es herabsetzt ... Warum hast Du mich auf ein Gefühl hoffen lassen, das Du nicht empfandest!!! Aber Vorwürfe sind meiner nicht würdig. Ich habe niemals ans Glück geglaubt. Jeden Tag umschwebt mich der Tod ... ist das Leben der Mühe wert, so viel Wesens davon zu machen? Leb wohl, Josephine, bleib nur in Paris, schreib mir nicht mehr, nur respektiere mindestens meine Zufluchtsstätte. Tausend Dolche zerreißen mir das Herz; stoße sie nicht noch tiefer hinein. Leb wohl, mein Glück, mein Leben, mein Alles, was es für mich auf Erden gab.«
Und dann drei Tage später: »Seit dem 18., meine liebe Josephine, hoffte und glaubte ich Dich in Mailand. Dahin eilte ich vom Schlachtfelde von Borghetto weg, um Dich zu suchen, und ich fand Dich nicht. Ein paar Tage später erfuhr ich durch die Post, daß Du gar nicht abgereist seist, doch sie brachte mir keine Briefe von Dir ... Der Tessin war über seine Ufer getreten, da begab ich mich nach Tortona, um Dich dort zu erwarten; Tag um Tag habe ich Dich vergeblich erwartet ...« Und dann folgten auf schmerzlichste Liebesklage und verzweiflungsvolle Anschuldigungen wieder besorgteste innigste Zärtlichkeit, die Angst, Josephinen wehgetan zu haben, und die Beschwörung, sie möge sich schonen und pflegen, wenn sie krank sei. In gleichem Tone spricht der wie die anderen viele Seiten lange Brief des nächsten Tages, mit dem gleichzeitig einer an den älteren Bruder, Joseph Bonaparte, abging: ein Aufschrei eines gequälten Herzens, voll unerträglicher Ahnungen, voll von Bangnis um Josephinens Gesundheit, um ein Wort der Beruhigung und des Trostes flehend: »Du kennst mein Herz, Du weißt, wie glühend es ist. Du weißt, daß ich niemals geliebt habe, daß Josephine die erste Frau ist, die ich anbete. Ihre Krankheit stürzt mich in Verzweiflung. Alle verlassen mich. Niemand schreibt mir. Ich bin allein meinen Befürchtungen und meinem Unglücke überlassen. Auch Du schreibst mir nicht. Wenn es ihr gut geht, wenn sie die Reise machen kann, ersehne ich glühend, daß sie kommen möge. Ich muß sie sehen, sie an mein Herz pressen. Ich liebe sie bis zur Raserei, und ich kann nicht mehr länger fern von ihr bleiben. Wenn sie mich nicht mehr liebte, hätte ich nichts mehr auf der Erde zu tun. O mein guter Freund, ich empfehle mich Dir. Sorge, daß mein Kurier keine sechs Stunden in Paris bleibe und zurückkomme, um mir das Leben wiederzugeben.«
Wie leidenschaftlich, sehnsüchtig, schwermütig oder verzweifelt die vorhergehenden Briefe auch gewesen sein mögen, keiner von ihnen legt auf eine so entschiedene Weise Zeugnis ab von Grad und Art der Liebe Bonapartes, wie der am 8. Messidor (26. Juni) aus dem Generalquartier in Pistoja abgesandte. Ehe dieser geschrieben wurde, hatte Bonaparte aus Paris bereits mehrere ausführliche Nachrichten über Josephine erhalten, darunter auch die, daß ihr nunmehr vom Direktorium dringlich nahegelegt worden sei, von der längst erteilten Reiseerlaubnis doch endlich Gebrauch zu machen. Nach diesen Mitteilungen blieb Bonaparte keine Möglichkeit mehr, Zweifel darüber zu hegen, was die wahren Gründe für Josephinens Zögern gewesen seien und wie es sich mit ihrer Krankheit und Schwangerschaft in Wirklichkeit verhalte. Und der Sechsundzwanzigjährige, der jähzornig und unbändig wie ein junger Wilder ist, der von allen umjubelte und umschmeichelte »Alexander und Achill«, der Jüngling, der nun Gewißheit hat, daß die Frau, der seine erste Liebe gehört, ihn all die Zeit belogen und die Vergnügungen von Paris ihm vorgezogen habe, schreibt den folgenden Brief: »Seit einem Monate habe ich von meiner guten Freundin nur zwei Billette von je drei Zeilen erhalten. Hat sie so viel zu tun? Ihrem guten Freund zu schreiben ist also kein Bedürfnis für sie, noch auch an ihn zu denken? ... Zu leben, ohne an Josephine zu denken, hieße Tod und Nicht-Vorhandensein. Dein Bild verschönt meine Gedanken und erheitert das unheimliche und schwarze Gemälde der Schwermut und des Schmerzes ... Vielleicht wird ein Tag kommen, da ich Dich wiedersehen werde, denn ich zweifle nicht daran, daß Du immer noch in Paris bist. Nun, an diesem Tage werde ich Dir meine Taschen voll von den Briefen zeigen, die ich nicht an Dich abgeschickt habe, weil sie zu dumm waren – ja, das ist das Wort. Gütiger Gott! Sag mir, Du, die Du es so wohl verstehst, andere mit Liebe zu Dir zu erfüllen, ohne selbst zu lieben, weißt Du nicht, wie man Liebe heilt? Ich würde viel für dieses Heilmittel geben. Du solltest am 5. Prairial abreisen, und töricht, wie ich war, habe ich Dich am 13. erwartet. Als ob eine hübsche Frau ihre Gewohnheiten lassen könnte, ihre Freunde, ihre Madame Tallien, ein Diner bei Barras und die Aufführung eines neuen Stückes und Fortuné, jawohl, Fortuné! Du liebst alles mehr als Deinen Gatten. Du hast für ihn gerade nur ein bißchen Achtung und ein Teil von diesem Wohlwollen, von dem Dein Herz überfließt. Jeden Tag wiederhole ich mir Dein Unrecht, Deine Fehler und geißle mich damit, um Dich nicht mehr zu lieben – aber ach, ich liebe Dich nur noch mehr. Endlich, mein unvergleichliches kleines Mütterchen, will ich Dir mein Geheimnis sagen: mach Dich nur über mich lustig, bleib in Paris, habe Liebhaber, von denen die ganze Welt wissen möge, schreib niemals und, – ich werde Dich darum nur noch zehnmal mehr lieben. Wenn das nicht Wahnsinn, Fieber, Delirium ist! Und ich werde davon nicht genesen (o doch, Herrgott, ich werde genesen!). Nur komm mir nicht damit, daß Du krank bist, versuch nicht, Dich zu rechtfertigen. Gütiger Gott! Dir ist verziehen, ich liebe Dich bis zur Tollheit, und niemals wird mein armes Herz aufhören, Dir seine Liebe zu geben. Wenn Du mich nicht liebtest, wäre mein Geschick recht närrisch. Du hast mir nicht geschrieben, Du warst krank, Du bist nicht gekommen. Das Direktorium hat es nach Deiner Krankheit nicht gewollt, und dann wieder hat sich das kleine Kind so stark in Dir bewegt, daß es Dir wehgetan hat ... Aber nun hast Du Lyon hinter Dir, Du wirst am 10. in Turin sein, am 12. in Mailand, wo Du mich erwarten wirst. Du wirst in Italien sein, und ich werde noch immer fern von Dir sein! Leb wohl, meine Geliebte, einen Kuß auf Deinen Mund, einen auf Dein Herz ...
Wir haben Frieden mit Rom geschlossen, das uns Geld gibt. Morgen sind wir in Livorno, und sobald ich kann, bin ich in Deinen Armen, zu Deinen Füßen, an Deinem Busen.«
Aber selbst jetzt noch, da Bonaparte die Pariser Machthaber aufgeboten hatte, ihm die Frau, die seine Liebesrufe nicht hatte hören wollen, zu senden, muß der Sehnsüchtige sich weiter in dem immer schwereren Warten üben, weit über den Tag hinaus, den er nun endlich als seinen großen Festtag festgesetzt glaubte. Es vergingen weitere dreizehn Tage nach diesem 12. Messidor, an dem Josephine hätte in Mailand sein müssen, ehe der fiebernd erwartete Kurier mit der Nachricht von ihrer Ankunft kam. Dann jagte Bonaparte aus dem Hauptquartier nach Mailand und hatte drei Tage mit Josephine. Er hatte alles, alles vergeben und nichts vergessen. Zürnen und Kümmernisse wohnten mit in seiner Liebe und gaben ihr eine neue Gier nach dieser Frau, die so zärtlich, so hingebungsvoll wie eine Liebende war und hinter deren verspielter Anmut dieses Unfaßbare aus all den Wartemonaten blieb, dieses gefährlich Lockende, das nach aller wildesten Umarmung immer wieder da war, sich aller Besitzergreifung entzog. Das war noch immer ein tiefer, verführerischester Reiz für den jungen Menschen, denn er war von der Art der Gefährlichkeit all eines Wollens und Tuns.
Auf dem Reisepasse, den das Direktorium Josephinen für ihre unausweichlich gewordene Italienreise ausgestellt hatte, figuriert unter den angeführten Begleitpersonen zuletzt der Name Hippolyte Charles, dem zu näherer Bezeichnung hinzugesetzt ist: zugeteilt der Generaladjutantur der Italienarmee. Wie dieser Charles, der ein hübscher, durch keinerlei Verdienste ausgezeichneter Husarenoffizier war, unter die Reisebegleitung der Gattin des Armeekommandanten kam, ist lediglich durch aus späteren Tatsachen gezogene Schlüsse zu mutmaßen. Daß dieser junge Mensch in der goldverschnürt prangenden Uniform, von dem vorwiegend erwähnt wird, er sei von mittelgroßer, höchst beweglicher Gestalt gewesen und habe durch eine hemmungslose Neigung zu Kalauern und Clownerien aller Art vielen Frauen zu gefallen gewußt, sich eben in dieser Reisegesellschaft befand, die eine jungvermählte Frau zu ihrem Gatten brachte, steht wohl am besten gleich am Anfang dieses Kapitels.
Hippolyte Charles, irgendein junger Offizier, ist also genannt worden, der mit Josephine nach Italien kam, mit der Gattin des jungen Heerführers, zu dieser jungen Armee der »Chartreuse de Parme«, in der die Generäle und die Leutnants meist kaum ein paar Jahre im Alter verschieden waren. Jugend umgab Josephine sogleich, wahrhaft junge, heldisch »wilde und fromme« Jugend, die der Sieg die Ideen vergessen machte, um die gesiegt wurde, und in der noch alles Pathos der Lebensfrühe war, das den Tod mithatte im Glücke und ihn mit der Lebenstrunkenheit dessen lobpreist, der morgen wieder das Spiel beginnen wird, das ihn vielleicht abermals zurückschicken kann in diesen hohen Daseinsrausch oder aber zerfetzt in ein Massengrab wirft. Von allen klüglichen Künsten und Zaubern letzter Jugend geschmückt, spätnachmittägig süß von wissender Lockung, kam Josephine in dieses südliche Sommerland voll jungen Siegs. In dem Palazzo Serbelloni mit seinen großen schattigen Räumen und den edlen mit weisem Maß verteilten Gerätschaften war ihr von Bonaparte nach seinem Herzen das Zuhause bereitet worden: groß, fürstlich, ohne heimeligen Zierat noch kleines Beiwerk zur Behaglichkeit. Feierliche Empfänge, pompöse Huldigungen, antikisch gesetzte Feurigkeit umgab sie alsbald wie dieser Palazzo. Alles war ein bißchen zu groß, es war viel zuviel Corneille in Gehaben und Wort und allzuwenig von dem Théâtre Feydeau, das ihre Freude in Paris gewesen war. Und wenn man von den Italienern absah: auch all diese französischen jungen Leute waren eigentlich keine »netten« jungen Leute. Diese Offiziere von zwanzig bis fünfundzwanzig, die ihr huldigen kamen, hatten bereits etwas von der Übertriebenheit Bonapartes, ihr Lachen machte keine Freude, sie waren täppisch und dann plötzlich pompös. Sie sprachen zu einer hübschen Frau wie zu einer Göttin (wahrscheinlich kannten sie sonst nur das völlige Gegenteil). Josephine liebte wahrhaftig das Gefeiertwerden, die Geselligkeit, Konzerte und hübsche Mähler mit vielen Menschen. Aber hier schien ihr alsbald alles um eine Note zu laut, zu aufgeregt. Es war wirklich wie in den Briefen Bonapartes, deren sie, nun er wieder mit seinem Kriege so viel zu tun hatte, beinahe täglich einen und manchmal zwei am Tage bekam. Es fehlte ihr, was sie selbst als neuerworben so hoch hielt, die »mittlere Linie«, das Nichtganzernstnehmen, die Vergnüglichkeit im Genusse, die Spielfreudigkeit im Gespräche, ein klein wenig humoriger Frechheit oder selbstgenießerischer Sentimentalität in all dem Aufwand an Gefühl und Kraft. Was hatten diese hübschen Jungen nur alle? Sie waren doch Franzosen, und nicht wenige von ihnen hatten trotz Revolution und Krieg daheim Manieren gelernt! Alle waren sie nun kleine Bonapartes, für den doch immerhin angeführt werden konnte, daß er in all seiner Feldherrnglorie für Frankreich doch kein Franzose war. Das Lachen verging einem, die hübschen Wortspiele wurden einem im Munde ledern, wenn man diese Mischung von Feierlichkeit und Grobheit, dieses augenlos begeisterte Anstarren, dieses einem Standbild statt einem selber geltende Beräuchern unaufhörlich um sich hatte, wenn man beim Tanz statt eines netten kleinen Wortes eine Tirade über Bonaparte bei Lodi, oder wie diese Orte alle hießen, zu hören bekam.
Und dazu wieder all diese Briefe, denen man sich jetzt nicht mehr so entziehen konnte wie in Paris! Josephine empfand inmitten des unablässigen Gefeiertwerdens immer mehr Heimweh nach Paris, nach der Geselligkeit von ihrer Art, den Halbtönen, der skeptischen Vergnüglichkeit, den unpedantischen Gesprächen über die von Selbstironie schmackhaft gemachten Interessen der Männer und nach dem vielfacettierten empfindsam witzigen Frauenspiel mit der Liebe, sie hatte heftige Sehnsucht nach dem Wichtignehmen der Seifenblasen und dem Verlegen der unausweichlichen Bedeutsamkeiten in die Nebensätze. Mit Bonaparte ließ sie sich gehen, nicht ganz, aber doch recht bequemlich, denn er fand alles entzückend an ihr; sie redete auf ihre Art. Verstand er auch Humor und Nuance nicht, so sah er auf ihre Augen, ihren Mund und nahm jedes Wort als ein Geschenk. Aber für eine Menge der anderen Leute mußte sie sich zu ihrem eigenen Dolmetscher ausbilden, durch lauter Filter hindurch reden, Sachen sagen wie ein Sprachlehrer – es war zum Verzweifeln. Dieses Stückchen von Josephine selber wahrhaftig nicht tragisch genommener Verzweiflung war es, was dem zu Anfang dieses Kapitels genannten niedlichen Witzbold von Husarenleutnant, dem keine Todvertrautheit aus Schlachten die Komiker-Attitüde störte, die Sonderstellung unter all seinen vom Heroismus gezeichneten Kameraden gab. Hippolyte Charles sprach das Pariserisch der Muscadins, der jungen Herren nach der letzten Mode, mit der höchsten Perfektion. Er lispelte die Zischlaute, wie es die Eleganz eben erforderte, er konnte keinen Satz aussprechen, ohne eine Übertreibung oder Einschränkung als Gewürz dazuzutun. Er grimassierte, ging auf den Händen, sprang über zwei Stühle, tanzte wie kein anderer, hatte den frauenhaften Mund voll weißester Zähne und war ebenso witzig wie gewitzt, wußte zu jeder Macht und Tat ihre Torheiten und Lächerlichkeiten, zu jedem Erfolg die sorglich verwischten Schleichwege, zu jedem neuen Vermögen die Bedenkenlosigkeit und Schiebertricks, die es erschaffen hatten; kurzum, Hippolyte Charles war ein rechtes, in allen blutigen und schmutzigen Wassern der Revolution gewaschenes Zeitkind, ganz und gar von der unheroischen Art, die die Ideen verachtet, das Sichselberbewahren zur heiligen Aufgabe erhebt und rings um dieses einzige Heiligtum des Ichs den undurchdringlichen, lustig blühenden Unkrautgarten zeitgemäßer Pflänzchen treiben läßt. Dieser Bursche, der von früh auf mit allem Frauenzimmerlichen (von dem er ein gutes Stück selber in sich trug) schlimm vertraut war, war nun mehr und mehr um Josephine. Ihre reife Anmut, ihre bewußte Eleganz und der Duft »der nachmittägigen Rose« zogen ihn ebenso an wie ihre Stellung, die Macht war und davon zu vergeben hatte. Und Josephine unterhielt sich herrlich über ihn, seine modischen Harlekinaden, seine witzige Schlechtigkeit. Er war ein Stück von dem, was heute Gigolo genannt wird: jung genug, um noch auf ein klein bißchen Sentimentalität der Sinne zu wirken, und dabei so durchaus durchtrieben und voll kleiner Gefährlichkeiten, daß er der desillusionierten, pathosmüden Frau von vierunddreißig Jahren ein höchst vergnüglicher Partner war. Und in der Zeit, in der Bonaparte seine vielen zärtlichen, heftigen und demütig dankbaren Liebesbriefe aus allen Feldlagern an die Gattin schrieb, hatte Josephine den so unkriegerischen Husaren in ihrer Nähe, wo immer es angehen mochte – und sie dachte über diese Angängigkeit immer weitherziger. Damit hatte sie wieder etwas von der altvertrauten Droge, die der vielen Festesfreudigkeit rundum neuen Reiz gab; sie hatte ihr Stück Paris dazu und war beinahe zufrieden, zumal Bonaparte ja recht selten kam oder nach ihr rief. In dieser Zeit schrieb sie an die Tante in Fontainebleau: »... Ich habe den liebenswürdigsten Gatten, den man finden kann. Mir bleibt nicht die Zeit, mir irgend etwas zu wünschen. Mein Wille ist der seine. Er ist den ganzen Tag in Bewunderung vor mir versunken, als ob ich eine Gottheit wäre. Es ist wirklich unmöglich, ein besserer Gatte zu sein ...«
Seit in den ersten Wochen ihres Aufenthaltes in Italien Josephine diesem Kriege, dem sie all die neuen Ehren dankte, leiblich ein wenig zu nahe gekommen war – Bonaparte hatte sie gerufen, und auf dem Rückwege wäre sie beinahe von einer feindlichen Kolonne abgeschnitten worden, und ihr Wagen war aus dem belagerten Mantua beschossen und jemand aus der Begleitmannschaft verwundet worden –, seit diesem fassungslosen Entsetzen Josephinens vor den gesehenen Verwundeten und all der sonst nicht bedachten Wirklichkeit des Krieges hatte Bonaparte darauf verzichtet, Josephine wieder den Fährnissen solch einer Fahrt in eigentliches Kriegsgebiet auszusetzen. Er begnügte sich, sie in seinem Armeebereich zu wissen, sie vielleicht sehr bald zu sehen, ihr seine Briefe schneller zukommen lassen zu können und zuweilen auch Antworten von ihr zu bekommen. Freilich wurden die auch wieder spärlich, sonderlich seitdem leichte Herbstluft über der Lombardei war und Josephine gewahr wurde, wie viele ihr zu Ehren festlich werdende hübsche Orte es in dem Lande gab. Dann beginnt das Klagen und Fragen wieder: »... Du schreibst mir gar nicht; Du liebst Deinen Gatten nicht; Du weißt, was für ein Vergnügen Deine Briefe ihm machen, und Du schreibst ihm keine sechs aufs Geratewohl hingeworfenen Zeilen. Was tun Sie denn den ganzen Tag, Madame? Was für eine wichtige Angelegenheit nimmt Ihnen die Zeit, Ihrem doch recht guten Geliebten zu schreiben? Was für eine Neigung erstickt und beseitigt die Liebe, die zärtliche und beständige Liebe, die Sie ihm versprochen haben? Wer mag dieser merveilleux, dieser neue Liebhaber sein, der all Ihre Augenblicke in Anspruch nimmt, der Tyrann Ihrer Tage ist und Sie verhindert, sich mit Ihrem Gatten zu beschäftigen? Josephine, geben Sie acht, in einer schönen Nacht fliegen Ihre Türen auf, und ich bin da!«
Immer wieder muß Bonaparte die ersehnte Begegnung mit Josephine hinausschieben; jeder Tag in dieser Phase des Feldzugs kann Überraschungen bringen, plötzliche einzig von ihm zu treffende Entscheidungen erfordern. Am 24. November endlich schreibt er: »Ich hoffe, meine süße Freundin, bald in Deinen Armen zu sein! Ich liebe Dich bis zur Raserei ... Alles geht gut. Wurmser ist gestern vor Mantua geschlagen worden. Nichts fehlt Deinem Gatten zum Glücke als Josephinens Liebe.« Am Tag nach diesem Billett hält es ihn nicht mehr bei der Armee; so rasch er kann, eilt er nach Mailand und betritt mit knabenhaft klopfendem Herzen den Palazzo Serbelloni. Er findet Josephine nicht in ihren Zimmern, rast durch das Haus, brüllt, tobt und erfährt endlich, daß Josephine in Genua sei. Da schreibt er ihr: »Mailand, 7. Frimaire, Jahr V (27. November) drei Uhr nachmittags.
Ich komme in Mailand an; ich stürze in Deine Wohnung, ich habe alles verlassen, um Dich zu sehen, Dich in meine Arme zu pressen ... Du bist nicht da; Du läufst von Stadt zu Stadt den Festen nach; Du entfernst Dich von mir, wenn ich ankomme; Du scherst Dich nicht um Deinen teuren Napoleon. Eine Laune hat Dich ihn lieben lassen, die Unbeständigkeit macht ihn Dir wieder gleichgültig.
Ich bin an Gefahren gewöhnt und weiß das Heilmittel für die Widerwärtigkeiten und Übel des Lebens. Das Unglück jedoch, das ich empfinde, ist unausrechenbar: ich hatte das Recht nicht, damit zu rechnen.
Ich bleibe hier noch bis zum 9. Frimaire. Laß Dich nicht stören, lauf nur den Vergnügungen nach; das Glück ist nur für Dich da. Die ganze Welt ist nur zu glücklich, Dir gefallen zu können, und einzig Dein Gatte ist recht, recht unglücklich.« Und nach zwei Tagen und Nächten rasenden Wartens schrieb Bonaparte dann diesen vielleicht erschütterndsten seiner Briefe: »Ich empfange den Kurier, den Berthier aus Genua geschickt hat. Du hast nicht die Zeit gehabt, mir zu schreiben. Das begreife ich leicht. Du bist von Vergnügungen und Spiel umgeben und tätest unrecht, wenn Du mir das geringste Opfer brächtest.
Berthier war so gut, mir den Brief zu zeigen, welchen Du ihm geschrieben hast. Es ist nicht meine Absicht, daß Du Dich in Deinen Plänen und den für Dich veranstalteten Vergnügungen stören lässest; das lohnt nicht die Mühe für mich, und Glück oder Unglück eines Mannes, den Du nicht liebst, haben kein Anrecht auf Dein Interesse.
Was mich angeht: Dich allein zu lieben, Dich glücklich zu machen, nichts zu tun, das Dir zuwider wäre, das ist mein Geschick und der Zweck meines Lebens.
Sei glücklich, mach Dir über nichts Vorwürfe, interessiere Dich nicht für die Glückseligkeit eines Mannes, der einzig aus Deinem Leben lebt und nur Deine Vergnügungen und Dein Glück genießt. Ich habe unrecht, wenn ich von Dir eine Liebe gleich der meinen fordere: warum wollen, daß Spitzen ebensoviel wiegen sollen als das Gold ... Es ist mein Unrecht, wenn die Natur mich nicht mit den Anziehungskräften begabt hat, die Dich fesseln können; aber was ich von Josephine verdiene, sind Rücksichten und Achtung, denn ich liebe sie bis zur Raserei und einzig. Leb wohl, anbetungswerte Frau, leb wohl meine Josephine. Möge das Schicksal alle Kümmernisse und Qualen in mein Herz zusammendrängen, aber möge es meiner Josephine glückerfüllte und gute Tage geben ...«
Etwas in diesen Briefen, die sie doch genauer gelesen haben mochte als die früheren, und die Vorstellungen Berthiers, der Bonaparte recht gut kannte, begannen Josephinens schöne Sicherheit ein wenig zu trüben. Ohne Eile kehrte sie nach Mailand zurück. Sie war voll vermessentlichen Vertrauens in ihre Macht über den Gatten, und sie trieb das bißchen schlechtes Gewissen, das sich hatte in ihr einnisten wollen, mit der Zuversicht aus, daß ihre bloße Gegenwart genügen würde, den Verliebten diesen kleinen Zwischenfall vergessen zu machen. Und es schien, als ob sie recht behielte. Ein Stillstand in den Kriegshandlungen gestattete Bonaparte einen längeren Aufenthalt in Mailand; und diese Wochen des Zusammenseins verliefen so ungetrübt, daß Josephine selber die kleine Mißlichkeit alsbald aus dem Gedächtnisse verlor, zumal ja die Anwesenheit des Generals in der Stadt Anlaß zu so vielen Festlichkeiten bot, daß Josephine vollauf beschäftigt war. Aber Bonaparte vergaß nichts, nichts. Worüber Verstand und Gefühl hinwegzukommen schienen, das bewahrte ein untrügliches, sozusagen physisches Gedächtnis auf. Und das legte mit Tun und Verhalten Zeugnis vom Weiterleben alles dessen ab, was dieser Natur widerfahren war. Bonaparte liebte Josephine weiter, sein Körper verlangte nach ihr, und noch drängte die einzige Zärtlichkeit, die inmitten dieses ungeheuerlichen Aufwands an Lebenskräften aller Art noch blühen wollte, zu der Gattin. Aber etwas war versehrt; etwas kaum Benennbares, die Verzauberung, das Glaubenwollen gegen alle Vernunft, der junge Traum. Schon war Josephine mehr und mehr die Gattin denn die Geliebte, und der alte Klan-Instinkt, der Beständigkeit der Ehe als Selbstbewahrung forderte, war stärker und stärker mit in Bonapartes Liebe. Noch gab es viele, viele Briefe, herzliche, zärtliche, vertrauliche – aber etwas ist nicht mehr in ihnen, was vordem dagewesen war: das Dichterhafte, Besessene, die Gegenwart eines ganzen Daseins in der Liebe.
Gegen Mitte Januar 1797 verließ Bonaparte Mailand wieder. Die Österreicher rührten sich von neuem; der entscheidende Schlag gegen die päpstlichen Staaten war zu führen, es gab zu tun, mehr zu tun als je vorher. Das Jahr zuvor, am Abend nach der Schlacht bei Lodi, hatte Bonaparte zum erstenmal an unwiderleglichen Tatsachen große Traumverwirklichung errechnen können: »An diesem Tage erblickte ich mich zum ersten Male nicht mehr nur als einen einfachen General, sondern als einen Mann, der berufen ist, auf das Geschick des Volkes Einfluß zu nehmen. Ich sah mich in der Geschichte«, hatte er hernach in St. Helena gesagt. In diesem Wissen voll der Forderung nach höchster und weitester Bewährung begann er dieses Jahr 1797 mit einem Auftakte ohnegleichen, der Schlacht bei Rivoli. Der danach geschriebene Brief (den Hortense in ihrer Sammlung als ersten wiedergibt und sehr bezeichnenderweise um ein halbes Jahr falsch datiert) sei hier als ein Ausklang dieser Zeit voll von Briefen noch angeführt: »Roverbello, 26. Nivôse Jahr V (15. Januar 1797).
Ich habe den Feind geschlagen. Kilmaine wird Dir eine Abschrift des Schlachtberichtes schicken. Ich bin tot vor Müdigkeit. Ich bitte Dich, gleich aufzubrechen und Dich nach Verona zu begeben. Ich brauche Dich, denn ich glaube, daß ich im Begriff bin, recht krank zu werden. Ich gebe Dir tausend Küsse. Ich bin im Bett.«
Aber einen Tag später schlägt er, der tiefen Erschöpfung und einem heftigen Erkältungsfieber trotzend, eine neue Schlacht, welche die Übergabe von Mantua erzwingt, und eilt nach Bologna, um dort mit Josephine zusammenzutreffen. Nach zwei Tagen bricht er wieder auf, ist wieder unaufhörlich unterwegs, reißt die päpstlichen Marken an sich und erzwingt endlich den Friedenschluß von Tolentino mit dem Papste. Josephine ist in Bologna geblieben, und eine Erkältung mit ein wenig Fieber zu ernster Krankheit aufbauschend, sicherte sie sich davor, in unerwünschtem Augenblick wieder von Bonaparte gerufen zu werden. So machte sie ihn genugsam besorgt um ihre Gesundheit, um ihn wieder ein klein wenig ihre Macht fühlen lassen zu können. Während Bonaparte der Gattin den besten Arzt Oberitaliens schickte, war Hippolyte Charles schon wieder als der Helfer gegen die eigentliche Krankheit Josephinens, das Heimweh nach Paris, an ihrer Seite. Charles hatte sich's ja von allem Anfang an mit dem Dienste aufs bequemlichste eingerichtet. Dank Josephinen hatte er alsbald die Art von Beziehungen gehabt, an denen ihm weit mehr lag als am Kriegsruhme: die zu den Administratoren des Krieges und alsbald auch zu den großen Lieferanten. Anscheinend hatte er es aber doch zu gierig getrieben, denn mit einemmal war ihm der Prozeß gemacht worden, und er hatte es nur der vielen Fürsprache zu verdanken gehabt, daß er einfach weggejagt und nicht kurzerhand erschossen wurde wie etliche seinesgleichen. Seither hatte er Zeit im Überflusse; er war, wo Josephine ihn hinrief, und sein Anteil an diesem Kriege bestand vorerst darin, die Kapitänsuniform des Husarenregiments weiterzutragen, in dessen Listen er nicht mehr geführt wurde, und im Warten darauf, daß aus so vielen gewinnreichen Siegen ein herzerfreuliches Stück Gewinn auch für ihn abfallen würde. Indessen spielte er Josephinen mit gerissener Lustigkeit Paris vor, und er spielte es so gut, daß, wenn er sich unsichtbar machen mußte, weil Bonaparte in Sicht war, das Heimweh nach der Stadt Josephine auf eine unerträgliche Weise überkam.
Nach dem Frieden mit dem Papst kam Bonaparte nach Bologna. Die Atmosphäre ungeheurer Entschlüsse war um ihn, das Ausgären von tausend äußeren Wirklichkeiten in die innere großen Planens erfüllte ihn. Er schien alles zu merken und war zugleich unmenschlich abwesend. Man konnte kaum mehr atmen, es war so ungemütlich, daß einem der letzte Rest von Lustigkeit wegdorrte. Und bei alledem war er zärtlich und liebegierig wie nur je. Josephine schrieb an ihre Tochter Hortense: »Es geht mir gut, meine liebe Hortense. Seit sechs Tagen habe ich kein Fieber mehr. Ich war in Bologna ein bißchen krank. Übrigens langweile ich mich in Italien. Trotz all der Feste, die mir zu Ehren gegeben werden, und des schmeichelhaften Empfangs von Seiten der Bewohner dieses schönen Landes kann ich mich nicht daran gewöhnen, so lange von meinen lieben Kindern getrennt zu sein: ich habe das Bedürfnis, sie an mein Herz zu drücken. Ich habe indessen alle Ursache zur Hoffnung, daß dieser Augenblick nicht sehr ferne ist, und das trägt viel zu meiner Wiederherstellung von der durchgemachten Unpäßlichkeit bei.«
Doch dieses so plötzlich in Mutterliebe verkleidete Heimweh nach Paris ließ sich wieder beschwichtigen, und Josephine blieb noch lange in Italien, schließlich sogar länger, als sie gemußt hätte. Charles war weiter um sie, und ein paar recht ernsthafte Augenzeugen behaupten, daß es neben diesem Liebhaber, von dem die ganze Italienarmee außer ihrem Befehlshaber wußte, noch mehrere andere gegeben habe, die Bonaparte, ohne zu ahnen, daß es sich um anderes als um leidenschaftliche Bewunderer Josephinens handeln könne, schleunigst aus der Nähe der Gattin entfernt hätte. So hat Josephine diesen Frühling 1797 sicherlich nicht auf eine beklagenswerte Weise, nicht freudlos noch vereinsamt verbracht, wie das leicht aus nun anhebenden und immer häufiger werdenden Äußerungen geschlossen werden könnte. Da aber diese höchst wunderlichen Äußerungen und das, woher sie kamen, ein recht unerwartetes und sehr schicksalsvolles Thema in dieser Lebensgeschichte bilden, müssen sie in ihrem Zusammenhang, sofern man diese Unverhältnismäßigkeiten von Ursache und Wirkungen so nennen kann, dargestellt werden.