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Der Tag stand warm und in voller Pracht und frisch wie ein gut ausgeschlafener Bursch auf, der, kaum daß er sich etwas geräkelt hat, aufspringt und sich die Augen reibend und Gebete vor sich hinmurmelnd, mit flüchtigem Gähnen an die Arbeit geht.
Die Sonne erhob sich klar; rot und gewaltig kam sie den Himmel heraufgerollt wie auf ein unermeßliches Feld, über das zerstreut in bläulichen Nebeldünsten unzählige Herden weißer Wolken lagen.
Und der Wind trieb sich schon umher wie ein Hausherr, der beim Morgengrauen all seine Leute weckt; er wühlte in den schläfrigen Getreidefeldern, blies die Nebel an, daß sie nach allen Richtungen zerstoben, rüttelte an den herabhängenden Ästen, polterte plötzlich irgendwo am Kreuzweg, schlich dann vorsichtig nach den noch schlafbefangenen Gärten und griff in das Gewirr der Äste, daß von den Kirschbäumen der letzte Blütenschnee niederregnete und wie Tränen auf das Wasser des Weihers sank.
Die Erde erwachte, die Vögel fingen an in den Nestern zu zwitschern, Bäume begannen zu raunen, als sagten sie ihre Morgengebete vor sich her, die Blüten öffneten sich und erhoben ihre schweren, feuchten und schlaftrunkenen Wimpern zur Sonne; glitzernder Tau fiel in perlenden Tropfen nieder.
Ein langes und wohliges Erzittern ging durch alles erwachende Leben; von irgendwo wie aus dem Grund jeglicher Kreatur stieg ein Ruf auf und flog wie ein erster Strahl des Lebendigen in die Welt hinaus. So ist es, wenn die Menschenseele im festen Schlummer ein Alb drückt, so daß sie sich wehrt, ängstet, erstirbt und plötzlich die Augen aufreißt, um die sonnige Helle in sich aufzunehmen und mit einem Schrei der Glückseligkeit den Tag grüßt, froh, daß sie noch unter den Lebenden ist und nicht mehr daran denkt, daß es ein neuer Tag der Mühseligkeiten und des Leids ist, ein Tag, wie es gestern einer war, wie es morgen und in alle Zukunft einer sein wird ...
So erwachte auch Lipce und erhob sich erfrischt aus dem Schlaf; manch zerzauster Kopf sah in die Welt hinaus und ließ die schlaftrunkenen Augen prüfend in den Morgen hinausgehen; hier und da wusch man sich schon vor den Häusern, halb angekleidete Frauen liefen zum Weiher hinüber, um Wasser zu holen, und manch einer hackte schon Holz; man rollte die Wagen auf die Straße vors Haus, der Rauch quoll hier und da aus den Schornsteinen, und es war schon zu hören, wie hin und wieder ein Langschläfer aus dem Schlaf geschrien wurde.
Es war noch früh, im Osten hatte die Sonne sich kaum ein paar Mann hoch erhoben und ließ von seitwärts durch die dämmerigen Obstgärten ihre roten Strahlen sprühen, man regte sich aber schon überall eifrig.
Der Wind hatte sich irgendwo hingetan, und alles schien sich an der lieblichen Stille und an der duftenden Morgenfrische zu laben; das Morgenlicht ließ das Wasser aufglitzern, und der Tau tropfte von den Dächern in dünnen Rinnsalen; die Schwalben blitzten durch die helle Luft, Störche flogen von ihren Nestern auf, Nahrung zu suchen, Hähne krähten auf den Zäunen, freudig mit den Flügeln schlagend, und die Gänse führten mit Geschrei und Geschnatter ihre Jungen nach dem Weiher, der im roten Morgenlicht lag. In den Ställen brüllte das Vieh, und überall fast vor den Haustüren wurden die Kühe eine nach der anderen gemolken; manch einer trieb auch schon sein ganzes lebendes Inventar auf die Dorfstraße hinaus, das dann schaukelnden Schritts oder bedächtig vor sich hintrollend und hin und wieder aufbrüllend hinauszog. Hier und da blieb eins stehen und scheuerte sich an einem Zaun oder Baumstamm; Schafe drängten sich mit hochgereckten Köpfen, inmitten des Weges in einer Staubwolke aufblökend, dicht zusammen. Das ganze Vieh wurde auf den freien Platz vor der Kirche zusammengetrieben, wo ein paar ältere Jungen zu Pferde unter Peitschengeknall und lautem Fluchen die auseinanderstrebende Herde zusammentrieben und auf die Verspäteten einschrien.
Und als der ganze Haufen sich in Bewegung gesetzt hatte, den Pappelweg einnehmend und den gemeinsamen Weideplätzen, die erst dicht am Wald lagen, zustrebend, hob sich eine von der Sonne rot beschienene Staubwolke über ihnen auf, so daß man nur nach dem Blöken der Schafe und nach dem Hundegebell den Weg bezeichnen konnte, den sie eingeschlagen hatten.
Aber auch dann wurde es nicht viel stiller, denn das Dorf begann sich zum Jahrmarkt vorzubereiten. Es mochte etwa eine Woche nach der Rückkehr der Männer aus dem Gefängnis sein. Alles in Lipce kehrte schon langsam zum Alten zurück, wie nach einem bösen Gewitter, das eine Unmenge Schaden angerichtet hat und nach dem man erst allmählich, wenn auch wehklagend, sobald der erste Schreck überwunden ist, zur Arbeit greift.
Natürlich ging es noch nicht, wie es gehen sollte, obgleich die Männer schon das Regiment in ihre festen Fäuste genommen hatten; sie waren noch immer etwas faul mit dem Frühaufstehen und räkelten sich ziemlich lange unter den Federbetten; manch einer sah noch oft in die Schenke ein unter dem Vorwand, Neues über die Gerichtssache zu erfahren; der eine oder der andere vertrödelte seine Zeit, einen halben Tag im Dorf herumschlendernd und sich mit den Gevattern in lange Auseinandersetzungen einlassend, und andere wiederum versuchten hauptsächlich nur erst die dringendsten Arbeiten zu erledigen, denn es war nicht leicht, nach einem so langen Nichtstun wieder stramm an die Arbeit zu gehen/aber von Tag zu Tag kam eine Änderung zum Besseren, mit jedem Tag wurde die Schenke und die Dorfstraße leerer, und die eiserne Notwendigkeit spannte sie immer fester ins Joch der schweren, drückenden Mühsal.
Da es sich gerade traf, daß heute Jahrmarkt in Tymow war, so gingen nur wenige an die Arbeit, denn man bereitete sich allgemein vor, dort hinzufahren.
Die knappe Vorerntezeit war in diesem Jahr schon eher gekommen und machte sich so schwer bemerkbar, daß man allgemein darüber zu jammern anfing; so war es denn auch verständlich, daß ein jeder eifrig hervorsuchte, was er noch entbehren könnte, und wem es nicht darum zu tun war, der ging, um sich mit den Nachbarn zu bereden, etwas von der Welt zu sehen oder um auch nur sein Gläschen zu trinken.
Wo hätte sich denn das Volk sonst aufmuntern sollen, wenn nicht auf dem Jahrmarkt oder auf der Kirmes, denn jeder hatte doch seine Sorgen, wollte sich sein Herz erleichtern, neuen Mut holen und Neuigkeiten erfahren.
Nachdem also das Vieh auf die Weide getrieben worden war, fingen sie an, sich bereit zu machen, die Wagen herzurichten, oder auch, wenn einer gerade den Weg zu Fuß machen wollte, sich allmählich zum Gehen anzuschicken.
Die Ärmeren machten sich zuerst auf den Weg; die Philipka trieb weinend sechs ältere Gänse vor sich hin, die sie von den kaum herangewachsenen Jungen getrennt hatte; ihr Mann war nach der Rückkehr krank geworden, und man hatte nichts mehr in den Topf zu tun.
Einer der Kätner zog eine Färse an den Hörnern aus dem Stall, die gerade jetzt zum Frühjahr hitzig geworden war; da aber die Armut lange Beine und scharfe Krallen hat, führte Gschela mit dem schiefen Maul, obgleich er auf acht Morgen saß, eine Milchkuh am Strohseil davon, und sein Nachbar, der Jusek Wachnik, trieb ein Mutterschwein und etliche Ferkel nach der Stadt.
So halfen sich die armen Schlucker so gut es ging, denn manch einer war schon so in die Enge getrieben worden, daß er selbst seinen letzten Klepper herausholte, wie es der Gulbas gemacht hatte. Die Balcerekbäuerin hatte ihn wegen der fünfzehn Rubel, die er bei ihr vor einiger Zeit auf eine Kuh geliehen hatte, verklagt und drohte mit der Pfändung, so daß der Arme unter Weinen, Wehklagen und Fluchen der ganzen Familie seinen Braunen bestieg und sich davonmachte, ihn loszuschlagen.
Die Wagen rollten bedächtig einer nach dem anderen davon, denn auch die Hofbauern brachten, was ein jeder Entbehrliches hatte, nach der Stadt; der Schulze quälte schon lange wegen der Steuern und drohte mit Strafen; auch die Bäuerinnen gingen, ihr Teil zu verkaufen; so hörte man denn aus manchem Wagen Hühner gackern, und es zischte hin und wieder unter einer Beiderwandschürze ein ansehnlicher Gänserich hervor; es gingen auch etliche zu Fuß, trugen in den Tüchern Eier eingeknotet, führten Butter mit, die sie den Kindern heimlich vom Munde abgespart hatten, und selbst Festtagsröcke oder entbehrliches Leinen schleppte man auf dem Rücken in großen Bündeln zum Verkauf.
Die Not zwang sie, und zur Ernte, zum Neuen war es ja noch ziemlich weit.
Sie hatten es alle so eilig, daß selbst die Messe heute etwas früher abgehalten werden mußte. Die paar Frauen, die vor dem Altar knieten, waren aber nicht imstande, dem Priester zu folgen, denn kaum hatten sie das Offertorium zu Ende gebetet, da löschte schon Ambrosius die Lichter aus und klirrte mit dem Schlüsselbund.
Therese, die Soldatenfrau, die mit irgendeiner Angelegenheit zum Pfarrer gekommen war, erschien gerade, als er schon zum Frühstück ging. Sie traute sich nicht, ihn anzuhalten, so blieb sie denn am Zaun stehen und lauerte, bis daß er sich auf der Veranda zeigen würde. Ehe sie sich jedoch entschließen konnte, näherzutreten, saß er schon im Wagen und gab den Befehl, im Trab nach Tymow zu fahren.
Sie seufzte wehmütig und sah ihm lange nach, wie er in der Richtung des Pappelwegs davonfuhr; in einer grauen Wolke hing der Staub über der Landstraße und begann auf die umliegenden Felder zu sinken; das Wagengeroll der Davonfahrenden klang immer ferner, und nur das grelle Rot der Frauenkleider blitzte hin und wieder zwischen den Baumstämmen der Straße, wo man die Leute im Gänseschritt hinausziehen sah.
Bald darauf wurde es in Lipce ganz still, die Mühle hörte auf zu rattern, die Schmiede stand verschlossen da, die Wege waren gänzlich leer geworden, denn von denen, die zurückgeblieben waren, hatte jeder entweder im Hause oder im Garten hinter dem Haus etwas zu tun.
Therese kehrte recht besorgt nach Haus.
Sie wohnte hinter der Kirche neben Mathias in einer Hütte, die aus einer Stube mit einer halben Diele bestand, denn die andere Hälfte hatte der Bruder bei der Teilung auf seinen Grund und Boden versetzt, und die durchsägten Wände mit dem halben Dach, die an einen rußigen Kamin angeklebt zu sein schienen, sahen aus wie quer durchsägte Rippen.
Nastuscha, die auf der Schwelle ihres Hauses stand, das nur durch einen schmalen Garten von Thereses Haus getrennt war, hatte diese erblickt.
»Na, wie ist es denn? Was hat er dir da aus dem Brief herausgelesen?« rief sie ihr entgegeneilend zu.
Therese erzählte, am Zaunüberstieg lehnend, wie es ihr ergangen war.
»Vielleicht würde der Organist es lesen können? ... Er muß wohl Geschriebenes verstehen können.«
»Natürlich, das kann er, aber wie soll man denn da mit leeren Händen?«
»Nimm ein paar Eier mit.«
»Die Mutter hat ja alle nach der Stadt genommen, nur Enteneier sind nachgeblieben.«
»Mach' dir keine Sorgen darüber: er wird auch Enteneier nehmen.«
»Ich würd' schon gehen, aber ich hab' solche Angst! Wenn ich doch wissen könnte, was da wohl geschrieben steht!« Sie holte aus dem Mieder den Brief ihres Mannes hervor, den ihr der Schulze am Vorabend vom Amt gebracht hatte. »Was kann da wohl drin sein?«
Nastuscha nahm das abgegriffene Papier in die Hand, und am Zaun niederhockend breitete sie es auf ihren Knien aus; sie versuchte abermals mit größter Anstrengung, es zu entziffern. Therese setzte sich dicht zu ihr und sah, mit aufgestütztem Kinn dahockend, ängstlich auf die hingekritzelten Striche, aus denen Nastuscha nur hervorlautieren konnte, daß da ein »Gelobt sei Jesus Christus« ganz zu Anfang stand.
»Mehr krieg' ich nicht heraus, das nützt nichts; Mathias, der würde es gewiß können.«
»Nein, nein!« Sie wurde furchtbar rot und fing an mit leiser Stimme zu bitten: »Sag' nichts vom Brief, Nastuscha, sag' ihm ja nichts ...«
»Aus jedem Buch wollt' ich lesen, wenn es gedruckt wär'; die Buchstaben kenn' ich doch gut und weiß, wie sie alle heißen, aber hier kann ich nichts zusammenkriegen: lauter Gekritzel, so ein krauses Zeug, gerade als ob er eine in Pech getunkte Fliege übers Papier hätt' laufen lassen.«
»Wirst doch nichts sagen, Nastuscha, was?«
»Ich hab' es dir doch schon gestern abend gesagt, daß eure Sache mich nichts angeht. Kommt Deiner vom Militär zurück, da wird doch alles ans Tageslicht kommen!« sagte sie, sich erhebend.
Therese würgte, um ihr Schluchzen zu unterdrücken; sie konnte kein Wort hervorbringen.
Nastuscha ging scheinbar ärgerlich weg, unterwegs die Hühner lockend, und Therese machte sich, nachdem sie fünf Enteneier in ein Bündel getan hatte, auf den Weg zum Organisten.
Es mußte ihr aber dieser Gang nicht leicht fallen, denn sie blieb immer wieder stehen, als wollte sie sich in den dunkelsten Schatten verkriechen; dabei starrte sie immer wieder scheu auf die unerklärlichen Zeichen des Briefes.
»Vielleicht lassen sie ihn wirklich schon los?«
Eine Angst preßte ihr die Kehle zu, die Füße wollten sie kaum tragen, und das Herz pochte wild in ihrer Brust, daß sie sich an die Baumstämme stützen mußte und mit verweinten Augen verstört rings um sich sah, als spähte sie nach einer Rettung.
»Vielleicht schreibt er auch nur wegen Geld!«
Sie ging immer langsamer, der Brief ihres Mannes bedrückte ihre Seele und brannte sie wie Feuer, so daß sie ihn immer wieder hinter dem Mieder hervorzog und ihn schließlich in einen Zipfel ihres Tuches band.
Bei dem Organisten war kein Mensch zu Hause, die Türen nach den leeren Stuben standen offen, und nur in einer, in der das Fenster mit einem Unterrock verhangen war, schnarchte jemand laut unter einem Federbett hervor. Schüchtern schlich sie wieder zum Flur hinaus und sah sich im Hof um; nur eine Magd saß da vor der Küchentür, mit einem Stoßbutterfaß zwischen den Knien, butterte und hielt sich die lästigen Fliegen mit einem Zweig vom Leibe.
»Wo ist denn die Frau?«
»Im Garten, ihr werdet sie hier gleich hören ...«
Therese blieb bei dem Mädchen stehen, den Brief in den Händen zerknitternd und das Kopftuch tiefer noch ins Gesicht zerrend, denn die Sonne kam über die Wirtschaftsgebäude hervor.
Vom Hof hinter dem Pfarrhaus, der nur durch einen Zaun von ihnen getrennt war, erklangen die lauten Stimmen des Hausgeflügels; Enten planschten in den Pfützen und junge Truthennen lockten sich mit klagenden Stimmen irgendwo am Zaun; mit gespreizten Flügeln gingen die Truthähne gurgelnd auf ein paar Ferkel los, die sich mitten im Schmutz breit gemacht hatten; vom Scheunendach flogen Tauben auf, beschrieben einen Kreis in der Luft und ließen sich wie eine schneeweiße Wolke immer wieder auf die roten Dächer des Pfarrhauses nieder. Eine feuchte, aber erquickende Wärme kam von den Feldern, und erblühte Obstgärten mit ihren Apfelbäumen, die ganz rosig angehaucht schimmerten, hoben sich aus dem Grün wie flockige Wolken empor, auf denen das Morgenrot liegt. Bienen flogen leise summend an ihre Arbeit, ein Schmetterling flirrte auf, um wie ein Blütenblatt niederzuschweben, oder ein Spatzenschwarm ließ sich laut lärmend von den Bäumen auf einen Zaun fallen.
Therese traten plötzlich die Tränen in die Augen und rollten unaufhaltsam über die Wangen.
»Ist der Organist zu Hause?« fragte sie, das Gesicht abwendend.
»Wo sollte er denn sonst sein. Hochwürden sind weggefahren, da macht er es sich bequem, wie'n Masteber.«
»Hochwürden sind gewiß zum Jahrmarkt hin?«
»Jawohl, einen Bullen will er kaufen.«
»Als ob er nicht schon genug Hab und Gut hätte?«
»Wer genug hat, der möchte noch mehr,« brummte die Magd.
Therese schwieg, es wurde ihr mit einem Male ganz kläglich zumute bei dem Gedanken, daß es Leute gäbe, die im Überfluß bis hoch an die Gurgel säßen, während sie sich kaum durchfüttern konnte und oft selbst Hunger leiden mußte.
»Die Frau kommen,« rief die Magd und fing an, eifrig den Kolben im Butterfaß zu rühren, so daß die Sahne hoch aufspritzte.
»Das ist dein Streich, du Faulenzer! ... Du hast mir die Pferde absichtlich in den Klee getrieben!« ließ sich vom Obstgarten die zankende Stimme der Organistin vernehmen. »Du hattest nur keine Lust, bis aufs Brachland weiden zu gehen. Jesus, daß man sich auch auf keinen verlassen kann! An die zwei Ruten Klee sind ganz kahlgeweidet! Wart' du nur, ich geh' es gleich sagen, der Onkel wird dir schon die Suppe heiß machen, du Tagedieb, du wirst es dir schon merken.«
»Ich hab' sie aufs Brachland getrieben; selbst hab' ich sie gefesselt und mit einer Leine an dem Pflock festgebunden!«
»Willst du mir auch noch was vorlügen? Der Onkel wird dich vornehmen, na, warte! ...«
»Ich hab' sie nicht hineingetrieben, ich sag' es ja der Tante.«
»Wer denn sonst? Der Priester vielleicht?« schrie sie höhnisch.
»Die Tante hat es erraten: das war der Priester, der da seine Pferde hat grasen lassen.« Er erhob seine Stimme.
»Bist du toll geworden? ... Halt' deine Schnauze; das fehlte noch, daß sich hier so was herumspricht!«
»Nein, ich schweige nicht und sag' es ihm gerade ins Gesicht, denn ich hab' es selbst gesehen. Die Tante schreit mich an, und der Pfarrer hat es doch getan. Ich bin ganz in der Frühe hingegangen, die Pferde von der Weide zu holen; der Braune lag und die Stute weidete daneben; sie waren da, wo ich sie für die Nacht gelassen habe. Die haben genug Spuren hinterlassen, man kann es ja nachprüfen, sie sind gewiß noch warm. Ich hab' die Pferde losgekoppelt, bin auf den Braunen gestiegen, und da seh' ich plötzlich, daß in unserem Klee fremde Pferde weiden. Es fing erst an, Tag zu werden; ich machte, daß ich über die Trift an den Pfarrgarten kam, um ihnen den Weg abzuschneiden; ich komm' da auf den Pfad, der von Klemb aus ins Feld führt, und da steht der Pfarrer mit dem Brevier, sieht sich ringsum und treibt die Pferde immer tiefer mit der Peitsche in den Klee, so daß sie ...«
»Schweig still! Hat man je so was gehört, daß selbst der Propst ... Ich hab' es schon seit langem gesagt, daß dieses Heu vom vergangenen Jahr ... Sei still, da steht jemand ...«
Sie kam eiligst dahergefegt, und gerade hörte man auch den Organisten unter seinem Federbett hervor nach Michael schreien.
Therese gab ihr das Bündel mit den Eiern, und ihre Knie umfassend, bat sie schüchtern, man möchte ihr den Brief ihres Mannes vorlesen.
Die Organistin befahl ihr zu warten.
Erst in ein paar guten Paternostern rief man sie in die Stube. Der Organist saß ganz verschlafen und nur in Hemd und Unterhosen da, schlürfte seinen Kaffee und begann ihr den Brief vorzulesen. Sie horchte, vor Schreck erstarrt, denn ihr Mann gab ihr Nachricht, daß er zur Erntezeit wiederkommen würde; zugleich mit Jakob Jartschik aus Wola und Gschela Boryna sollten sie zurückkehren. Der Brief war herzlich, der Mann sorgte sich um sie, fragte sie, wie es im Hause stände, ließ die Bekannten grüßen und war schon ganz voll Wiedersehensfreude; und zum Schluß schrieb noch der Gschela Boryna einiges hinzu und bat, man möchte den Vater benachrichtigen; der Arme wußte noch nicht, was mit dem Alten geschehen war.
Therese trafen diese herzlichen, guten Worte wie Peitschenhiebe und drückten sie nieder. Sie rang mit sich, damit man nur nichts erkennen sollte, sie mühte sich, die schreckliche Nachricht ruhig hinzunehmen; aber die verräterischen Tränen stürzten von selbst über ihre heißen Wangen.
»Wie sie sich über die Rückkehr ihres Mannes freut,« murmelte die Organistin höhnisch.
Der Therese rannen die Tränen noch reichlicher übers Gesicht. Die Arme mußte zuletzt weglaufen, um nicht loszuschreien, und verkroch sich in einem Heckenweg.
»Was fang' ich bloß jetzt an, was fang' ich bloß an? Was nur!« klagte sie in ihrem hilflosen Jammer.
»Gewiß, der Mann kehrt zurück und wird dann alles hören.« Die Angst riß sie wie im Wirbel mit sich fort. Der Jaschek war großmütig, aber, wie alle Ploschkas, nachträgerisch: ein Unrecht läßt er einem nicht durch; er wird ihn noch erschlagen! Jesus, hilf, Jesus! Sie dachte nicht an sich. Vor sich hinheulend und ganz im Inneren zerrissen kam sie bei den Borynas an. Anna war nicht da: sie war schon ganz früh in die Stadt gefahren; Jagna hatte bei ihrer Mutter was zu tun, so daß sie nur mehr Gusche und Fine traf: sie breiteten nasse Leinwand im Garten aus.
Therese erzählte von Gschela und wollte eiligst davongehen, aber die Alte zog sie beiseite und flüsterte ihr eigentümlich gütig zu:
»Therese, geh' doch in dich, besinn' dich, die bösen Zungen wirst du nicht still kriegen. ... Der Jaschek kommt wieder, und zu hören kriegt er es so wie so. Überleg' es dir doch/ die Liebschaft hat der Mensch für einen Monat und den Mann fürs ganze Leben! Ich rat' dir gut.«
»Was ihr da nicht redet? Was?« stotterte sie, als verstände sie nicht.
»Spiel' nicht die Dumme, alle wissen über euch Bescheid; schick' den Mathias fort solange es noch Zeit ist, dann wird es Jaschek nicht glauben, der sehnt sich nach dir, da wirst du ihm leicht einreden, was du nur willst. Daß der Mathias dein Federbett nicht missen mag, kann schon recht sein, aber er ist doch nicht festgewachsen, jag' du ihn fort, solange es noch Zeit ist. Hab' keine Angst, der Jaschek ist doch auch kein Abfall. ... Und das Lieben ist so schnell gewesen wie das Gestern, du hältst es nicht auf, wenn du selbst dabei kaputt gingest; die Liebe, das ist doch alles nur wie das Fett auf der Sonntagssuppe; wenn du es jeden Tag essen sollst, kriegst du es auch bald satt und stößt auf davon. Das Lieben ist Weinen/und die Heirat ein Grab, sagen die Leute. Vielleicht ist es auch wahr, nur daß dieses Grab mit dem Mann und den Kindern zugleich noch besser ist wie die Freiheit auf eigene Faust. Heul' nicht und rette dich solange noch Zeit ist. Wenn dich Deiner wegen diesem Lieben zuschanden schlägt und zum Hause hinausjagt, wo sollst du denn da hin? In die Welt, ins Verderben, zum Gelächter der Menschen werden? Der Klughans hat einen Tausch gemacht! Hale/und was hat er da nach Haus gebracht? Wenn du vom Wagen herunterfällst, da kannst du dann schön mit heraushängender Zunge hinter dem Sperrbaum rennen! Gegen den Wind geht dir der Atem bald aus und die Kräfte auch, da bleibst du denn ehe du dich verstehst ganz zurück! Dumm bist du, jedes Mannsbild hat Hosen an, ob er Mathias oder Kuba heißt, jeder schwört, solang er was will. Überleg' dir das und nimm es dir zu Herzen, was ich da sage, deine Muhme bin ich doch und will nur das beste ...«
Aber Therese hörte schon nicht mehr hin, sie lief feldein und warf sich irgendwo in den Roggen, um dort ihren Tränen und ihrem Leid freien Lauf zu lassen.
Vergeblich versuchte sie über Gusches Worte nachzudenken; denn immer wieder ergriff sie ein solches Leid um Mathias, daß sie aufheulend mit dem Kopf gegen die Schollen schlug, wie ein verwundetes Tier.
Erst ein nahes Geschrei ließ sie aufspringen.
Es schien, als ob vor dem Hause des Schulzen sich Leute zankten.
Das war auch so: die Schulzin und die Kosiol traktierten einander mit den gröbsten Schimpfworten.
Sie standen sich gegenüber nur durch die Zäune und durch die Dorfstraße getrennt, in Hemden und Beiderwandröcken und hatten vor Wut kaum Atem mehr; sie fluchten was sie nur konnten und drohten einander mit den Fäusten.
Der Schulze war dabei, seine Pferde vor einen Korbwagen zu spannen und redete hin und wieder ein Wort mit einem Bauer aus Modlica, der auf der Hausgalerie saß, die Weiber gegeneinander aufhetzte und vor Vergnügen mit den Füßen auftrampelte.
Das Geschrei war schon von weitem hörbar, so daß die Menschen wie zu einem Schauspiel von allen Enden herbeigelaufen kamen; es stand schon ein ganzer Menschenhaufen aus der Dorfstraße, und um die Hausecken schoben sich neugierige Köpfe hervor.
Sie zankten auch wirklich, daß es rein nicht mehr zum Ansehen war. Die Schulzin, eine sonst stille und friedfertige Frau, war ganz wild geworden, sie tobte immer heftiger, und die Kosiol wurde mit Absicht immer ruhiger, ließ ihr aber dennoch nichts durchgehen und stach mit höhnischen Worten wie mit Nadelstichen ganz langsam auf sie ein.
»Schreie nur, Frau Schulzin, schrei du nur, die Hunde können es nicht besser,« rief sie.
»Ist denn das das erste oder das zweite Mal! Keine Woche vergeht, daß mir nicht etwas aus dem Haus wegkommt! Mal eine von den eierlegenden Glucken, mal Kücken, mal Enten oder selbst noch eine ausgewachsene Gans; ich red' schon gar nicht von dem Schaden im Haus und Gemüsegarten! Daß du an meinem Unrecht verreckst! Unter dem Zaun sollst du krepieren!«
»Reiß nur den Schnabel auf, du Krähe, schreie nur, das wird dir gut bekommen, Frau Schulzin.«
»Und heute,« wandte sich die Schulzin an Therese, die gerade über die Dorfstraße gegangen kam, »da hab' ich gerade fünf Stücke Leinwand zur Bleiche hinausgetragen. Ich komm' da nach dem Frühstück zurück, um sie zu besprengen. Eins fehlt! Überall hab' ich gesucht. Wie in den Boden versunken! Ich hab' sie doch mit Steinen beschwert, und Wind war auch nicht da! Ganz dünnes, feines Leinen war es, man kriegt kein besseres, wenn man es kaufen will, und weg ist es!«
»Wenn dir dein Schweinefett die Glotzen blind macht, dann kannst du es freilich nicht sehen! ...«
»Weil du es mir gestohlen hast!« schrie die andere zurück.
»Ich hab' es dir gestohlen? Wiederhole es noch einmal, sage es nur!«
»Du Diebin, vor der ganzen Welt will ich es bezeugen. Du wirst es schon gestehen, wenn sie dich in Fesseln ins Kriminal bringen.«
»Eine Diebin schimpft sie mich! Ihr habt es alle gehört, Leute! Ich will dich schon verklagen, so wahr Gott im Himmel ist, alle haben es gehört. Ich hab' es dir gestohlen, hast du Zeugen, du alter Sack? ...«
Die Schulzin griff nach einem Pflock und stürzte auf die Straße, wild hinter der anderen dreinjagend, wie ein wütend gewordener Köter; dabei keifte sie auf sie ein:
»Ich werd' dir schon mit dem Stock was bestätigen! Ich werd' dir was bezeugen! Wenn ich dir erst ...«
»Komm heran, Frau Schulzin! Rühr' mich nur an, du Schweinegevatterin! Rühr' mich an, du hündische Mißgeburt!« gröhlte die andere, ihr entgegenkommend.
Sie stieß ihren Mann beiseite, der sie zurückhalten wollte; und mit auseinandergespreizten Beinen, die Arme in die Hüften gestemmt, begann sie höhnend zu rufen:
»Schlag' mich nur, schlag' mich, da wirst du nicht lange auf das Kriminal zu warten haben, Frau Schulzin! ...«
»Halt' du deine Schnauze, daß ich dich nicht erst einmal ins Loch sperre!« rief der Schulze dazwischen.
»Sperr' dir tolle Hunde ein, dazu bist du da; nimm besser dein Weibsbild an die Leine, damit sie sich nicht an den Leuten vergreift!« wetterte die Kosiol los, außerstande, sich noch länger im Zügel halten zu können.
»Ein Beamter redet zu dir, merk' dir das, Weib!« rief er drohend zurück.
»Ich hab' es/da, dein Amt, verstehst du! Drohen wird mir der noch, sieh mal an; selbst hast du gewiß das Leinen genommen, wohl für deine Geliebte zum Hemd. Das Gemeindegeld ist dir alle geworden, weil du es versoffen hast, du Saufjan! Hab' keine Angst, man weiß, wie du es treibst. Man wird dich schon einstecken, Herr Beamter, man sperrt dich noch ein!«
Das war aber schon zu viel für die Schulzen, so daß sie wie zwei wütende Wölfe auf die Kosiol losstürzten; die Schulzin schlug ihr als erste mit dem Stock ins Gesicht, und wild aufkreischend krallte sie sich in ihr Haar fest; der Schulze aber begann sie mit den Fäusten zu bearbeiten und schlug zu, wo er gerade traf.
Bartek Kosiol sprang in einem Nu seiner Frau zu Hilfe.
Sie verknäuelten sich ineinander wie sich beißende Hunde, man konnte gar nicht unterscheiden, wessen Fäuste es waren, die da drauflos trommelten wie Dreschflegel, wessen Kopf gegen den Boden anschlug, und wer da schrie. Sie fielen gegen einen Zaun, taumelten dann wieder auf die Straße, wie Garben, die ein Sturmwind vor sich hinwirbelt, und schließlich kamen sie einer über den anderen zu Fall.
Eine Staubwolke wirbelte auf, mit Geschrei und Fluchen wälzten sie sich auf der Dorfstraße herum, schlugen immer wilder aufeinander ein und schrien laut.
Manchmal sprang einer aus dem wilden Handgemenge heraus, manchmal erhoben sie sich alle zugleich und packten, was zu finden war, um damit aufeinander einzuschlagen, oder sie rissen sich an den Haaren und versuchten einander bei den Rockklappen festzuhalten.
Ihr Geschrei gellte durchs ganze Dorf; selbst die Hühner gackerten erschrocken in den Obstgärten auf, und etliche Hunde stimmten ein Geheul an; die Weiber aber lamentierten, sich ratlos um sie drängend, bis schließlich einige Männer, die herbeigerannt kamen, die Kämpfenden auseinanderbrachten.
Was da noch an Flüchen, Geschrei und Drohungen zum besten gegeben wurde, läßt sich nicht sagen. Die Nachbarn machten, daß sie eiligst davonkamen, damit man sie nicht als Zeugen angäbe; aber sie erzählten überall unter dem Siegel der Verschwiegenheit, wie furchtbar die Schulzen die Kosiols verprügelt hätten.
Es waren kaum ein paar Paternoster vergangen, als der Schulze mit einem angeschwollenen Maul, und seine Frau, die ein zerkratztes und vielfach blaugeschlagenes Gesicht hatte, als erste davonfuhren, um eine Klage einzureichen. Eine Stunde später machten sich die Kosiols ebenfalls auf den Weg.
Der alte Ploschka hatte sich bereit erklärt, sie umsonst nach der Stadt zu fahren, nur um dem Schulzen in aller Freundschaft etwas einzubrocken.
Sie fuhren, um Klage zu führen, also in dem Zustand, wie sie sich von der Prügelei erhoben hatten; sie hatten sich nicht einmal etwas in Ordnung gebracht.
Absichtlich fuhren sie im Schritt durchs Dorf, um das ihnen geschehene Unrecht jedermann mitteilen zu können und jedem, der es nur sehen wollte, ihre Verletzungen zu zeigen.
Kosiol hatte eine klaffende Wunde am Kopf, das Blut floß über sein Gesicht und seinen Hals bis auf die Brust, die man durch das zerfetzte Hemd sehen konnte. Er hatte wohl schon wenig Schmerzen, jeden Augenblick aber griff er sich an die Seiten und schrie erbärmlich.
»Oh Gott, ich halt' es schon nicht länger aus! Alle Rippen hat er mir eingedrückt! Leute, helft, ich sterbe gleich! ...«
Und seine Magdusch stimmte klagend bei.
»Mit der Runge hat er ihn geprügelt! Still da, du Ärmster! Wie einen Hund hat er dich mißhandelt; aber es gibt noch Gerechtigkeit und eine Strafe für Totschläger, das ist sicher! Still da, armer Kerl! Er wird dir schon gut dafür zahlen müssen. Zu Tode schlagen wollte er ihn, die Leute haben es ja gesehen; kaum haben sie ihn retten können, das werden sie ehrlich vor Gericht bezeugen müssen!« Sie schrie so laut, immer wieder dazwischen aufheulend, und sah so zugerichtet aus, daß man sie kaum wiedererkennen konnte. Ihr Kopf war entblößt, man konnte sehen, daß das Haar ihr stellenweise mit der Haut ausgerissen war; die Ohren waren blutig gerissen und die Augen blutig unterlaufen, das ganze Gesicht aber so zerkratzt, als wäre ihr einer mit der Egge über die Backen gefahren; und obgleich man wußte, was für ein Pflänzlein sie war, bedauerte man sie doch vielfach ganz aufrichtig.
»So die Leute zu schlagen, nee!«
»Eine Schande und Gotteslästerung, die fahren ja nicht tot und nicht lebendig.«
»Fein zugerichtet, das muß man ihm lassen! Auch der Schlachter hätte es nicht besser gemacht ... Aber dem Herrn Schulzen ist ja alles erlaubt; ist er vielleicht kein Beamter, keine Personage?« fügte höhnisch Ploschka bei, sich ans Volk wendend.
Man war ganz bestürzt, und obgleich die Kosiols schon lange weg waren, konnte sich das Dorf noch immer nicht beruhigen.
Therese, die während der Prügelei sich aus Angst irgendwo verkrochen hatte, kam jetzt erst heraus, als die beiden Parteien schon fort waren.
Sie machte sich gleich auf den Weg nach der Hütte der Kosiols, da der Bartek Kosiol ihr Onkel mütterlicherseits war. Keine Menschenseele war im Haus, nur draußen an der Wand saßen die drei aus Warschau mitgebrachten Kinder.
Sie drängten sich aneinander und kauten gierig an einigen halb gar gekochten Kartoffeln, sich dabei mit Gekreisch gegen einige Ferkel wehrend. Sie waren so elend, abgemagert und mit Schmutz bedeckt, daß Therese ganz mitleidig zumute wurde. Sie trug sie in den Flur, und nachdem sie die Tür verschlossen hatte, lief sie hin, die Neuigkeit zu verbreiten.
Bei den Täubichs war nur die Nastuscha da.
Mathias war gleich noch vor dem Frühstück nach Stacho, dem Schwiegersohn von Bylica, hingegangen. Er untersuchte gerade mit ihm zusammen die Trümmer des eingestürzten Hauses, ob man nicht daraus wieder ein neues aufbauen könnte. Bylica ging hinter den beiden drein und tat hin und wieder seine Meinung hinzu.
Der Herr Jacek saß wie immer vor der Haustür, rauchte eine Zigarette und pfiff auf die Tauben, die um die Süßkirschbäume kreisten.
Die Sonne erhob sich schon zur Mittagshöhe und wärmte gehörig.
Die erhitzte Luft flimmerte über dem Land wie aufzuckendes Wasser, die Kornfelder und die Gärten standen da, als starrten sie in die Sonne, und nur hin und wieder fiel von einem der Süßkirschbäume Bylicas Blütenschnee zu Boden. Die Blütenblätter kamen wie weiße Schmetterlinge dahergeflattert und sanken sanft ins Gras.
Es war schon nahe an Mittag, als Mathias endlich mit seiner Besichtigung fertig war; und indem er hier und da mit dem Beil gegen die Balken klopfte, sagte er entschieden:
»Ganz morsch sind sie, nichts als Moder, daraus kann man kein Haus bauen, das nützt nichts ...«
»Ich würde noch neues hinzukaufen, vielleicht könnte man dann ...« murmelte Stacho mit kläglicher Stimme.
»Kauft gleich ein ganzes Haus dazu, aus diesem Mist da holt einer nicht einen einzigen Balken heraus.«
»Um Gottes willen!«
»Die Mauerschwellen würden aber doch noch halten, nur neue Pfosten müßte man geben ... Die Wände könnte man auch stützen und mit Klammern zusammenziehen ... das ist doch ...« stotterte der alte Bylica hervor.
»Wenn ihr ein solcher Kenner seid, dann baut es euch selbst, ich kann euch nicht aus Moder etwas machen,« gab Mathias ärgerlich zurück, seinen Spenzer überziehend.
Veronka, mit einem Kind im Arm, kam heran und begann zu jammern.
»Was fangen wir jetzt an, was sollen wir bloß tun?«
»An die zweitausend Silberlinge müßte man für ein neues haben,« seufzte Stacho besorgt auf.
»Hale, das gibt höchstens eine Stube und einen Flur.«
»Etwas Holz könnte man doch aus unserem Wald kriegen ... versteht sich, wenn es nur ein kleines bißchen wär' ... und den Rest kauf' ich zu ... versteht sich ... da würde es reichen ... beim Amt müßte man vorstellig werden ...«
»Werden sie es denn jetzt geben, wo doch der Wald im Prozeß ist? ... Man hat ja selbst das Sammeln von Dürrholz verboten. Wartet mit dem Haus, bis der Prozeß vorüber ist,« riet Mathias.
»Warte mal einer so lange, wo sollen wir denn für den Winter bleiben?« brach Veronka los und fing an, kläglich zu weinen.
Die anderen schwiegen. Mathias sammelte seine Zimmergeräte, Stacho kratzte sich den Kopf und Bylica schneuzte sich hinter der Hausecke; man hörte nur Veronkas Schluchzen.
Plötzlich erhob sich der Herr Jacek und sagte laut:
»Weint nicht, Veronka, das Holz wird sich schon finden.«
Sie blieben mit aufgesperrten Mäulern stehen, bis Mathias als erster aus seiner Verwunderung zu sich kam und zu lachen anfing.
»Der Kluge verspricht, und der Dumme freut sich dazu! Hat selbst nicht, den Kopf wo zu bergen, und wird hier den Menschen Häuser verschenken!« sagte er scharf, ihn scheel anblickend; aber der Herr Jacek sagte nichts mehr und setzte sich wieder vor die Schwelle, brannte eine neue Zigarette an, zupfte an seinem Bärtchen und sah in den Himmel.
»Wartet nur noch, über kurzem wird er euch eine ganze Meierei versprechen,« lachte Mathias wieder auf, und, die Schultern zuckend, ging er davon.
Er wandte sich gleich links auf den Feldweg, der zwischen den Scheunen führte.
Wenig Leute arbeiten in den Gemüsegärten; nur hier und da sah man einen roten Frauenrock, und hin und wieder war einer an der Bedachung beschäftigt oder bastelte an einer offenstehenden Scheunentür.
Mathias hatte es nicht eilig, er blieb hier und da stehen, sich mit den Männern über die Prügelei der Schulzen besprechend, grinste den Mädchen zu, redete manch eine lustig an und brachte bei den Weibern ein paar so derbe Witze an, daß ein Gelächter hinter den Hecken erscholl und manch eine aufseufzend ihn mit den Blicken verfolgte.
Gewiß, wohlgeraten war er und kräftig wie ein Eichbaum, er sah entschieden aus wie der erste von allen Burschen im Dorf, der Stärkste war er auch nach Antek Boryna, und ein Tänzer, der sich reichlich mit Stacho Ploschka messen konnte, dabei ein ganz heller Kopf. Da er außerdem zu jeder Arbeit taugte, denn einen Wagen konnte er ebensogut zurechtzimmern wie einen Schornstein ausmauern oder ein Haus bauen, und er spielte auch noch obendrein auf der Flöte, hätte auch manche Mutter, obgleich sein Besitz an Grund und Boden nicht der Rede wert war und das Geld sich bei ihm nicht halten wollte, denn er war für andere zu freigebig, mit ihm gern selbst ein ganzes Kalb vertrunken, um ihn sich als Schwiegersohn zu ködern, und manches Mädchen erlaubte ihm allerhand Vertraulichkeiten, darauf hoffend, daß er um so rascher das Aufgebot machen würde.
Aber alle diese Bemühungen waren vergeblich; er trank den Müttern zu, liebäugelte mit den Töchtern und drehte sich wie ein Beißker, wenn es ans Heiraten gehen sollte.
»Es ist nicht leicht, zu wählen, jede ist gut, und noch bessere wachsen heran, ich wart' noch ein bißchen,« pflegte er den Brautwerberinnen zu sagen, die ihm verschiedene Heiraten antrugen.
Im Winter hatte er sich mit Therese eingelassen und lebte mit ihr fast vor den Augen des ganzen Dorfes, ohne auf die Empörung und auf das Gerede zu achten.
»Kommt der Jaschek zurück, dann geb' ich sie ihm wieder; er wird mich auch noch mit Schnaps traktieren, daß ich ihm das Frauenzimmer gehütet habe,« lachte er, wenn er unter seinen Freunden war, aber bald nach der Rückkehr aus dem Gefängnis hatte er sie satt bekommen und hielt sich immer mehr von ihr zurück.
Auch jetzt, da es zum Mittagessen ging, wählte er den längeren Weg, um unterwegs mit den Mädchen zu schäkern und diese oder jene, wenn es glücken sollte, im Vorübergehen zu kneifen.
Ganz plötzlich stieß er auf Jagna, die im Garten ihrer Mutter Unkraut jätete.
»He, Jaguscha!« rief er freudig aus.
Jagna richtete sich auf und blieb wie eine schlanke Malve mitten auf dem Beet stehen.
»Daß du mich endlich auch siehst? Guck' nur, wie der es eilig hat, schon eine Woche sitzt er im Dorf, und jetzt mit einem Male kommt es ihm bei ...«
»Du bist ja noch viel schöner geworden!« flüsterte er bewundernd.
Sie hatte die Röcke bis zu den Knien aufgerafft, unter dem roten Kopftuch, das sie unter das Kinn gebunden hatte, blauten große, liebliche Augen, die weißen Zähne blitzten unter kirschroten Lippen hervor, und das ganze Gesicht war wie ein schöner, rot angehauchter Apfel anzusehen, wie geschaffen zum Küssen. Sie stemmte sich trotzig in die Hüften und traf ihn mit ihrem funkelnden Blick, daß ihm ein angenehmer Schauer über den Rücken lief. Er sah sich rings um und kam etwas näher heran.
»Seit einer Woche such' ich dich und spähe nach dir aus und immer vergeblich.«
»Lüge dem Hund was vor, der wird dir's vielleicht glauben. Jeden Abend bleckt er die Zähne in den Heckenwegen, jeden Abend schmeichelt er einer anderen was vor und wird mir da noch was einreden wollen.«
»So begrüßt du mich, Jagusch? Wie? ... So? ...«
»Wie soll ich denn anders? Soll ich deine Knie umfassen und dir danken, daß du dich meiner erinnert hast?«
»Ich weiß noch, wie du mich einst empfingst.«
»Was einst war, das ist nicht jetzt;« sie drehte sich weg, ihr Gesicht verbergend; er aber schob sich plötzlich heran und langte nach ihr mit gierigen Armen.
Sie riß sich zornig los.
»Laß das, die Therese kratzt mir sonst noch die Augen deinetwegen aus!«
»Jagusch!« hauchte er kläglich.
»Geh' zu deiner Soldatenfrau mit deinen Amouren ... dien' dir da deinen Lohn ab, bis der andere heimkommt. Sie hat dich im Kriminal ausgefüttert, hat sich deinetwegen in Unkosten gestürzt, da kannst du es jetzt abarbeiten!« peitschte sie auf ihn mit bösen Worten ein, so daß Mathias verblüfft schwieg.
Ein Schamgefühl überkam ihn, er wurde rot wie eine Runkelrübe, duckte sich und lief einfach weg.
Jagna aber, obgleich sie ihm gesagt hatte, was sie gerade fühlte und was sie schon eine ganze Woche lang mit sich herumtrug, fing schon an, ihre Worte zu bereuen: sie hatte nicht gedacht, daß er sich gleich erzürnen und weglaufen würde.
»So ein Dummer ... ich hab' ihm das doch nur so ... ich hab' mich doch geärgert! ...« dachte sie, verdrießlich hinter ihm dreinschauend.
»Und gleich sich erzürnen! ... Mathias, du! ...«
Aber er hörte es nicht mehr und rannte durch den Obstgarten, als hätte man die Hunde auf ihn gehetzt.
»Böses Aas, so eine Wespe!« murmelte er, auf sein Haus zustrebend. Wut und Bewunderung wechselten ab in seinem Herzen. Wie war das nur möglich. Sie war doch stets so sanft wie ein Kindchen gewesen, konnte nicht einmal richtig den Mund auftun, und nun hat sie ihn doch wie einen Hund traktiert. Die Scham überkam ihn, er sah sich behutsam um, ob nicht jemand den Auftritt gehört hatte.
»Die Therese wird die Dumme ihm noch vorhalten ... was geht ihn diese Soldatenliese an? ... Das hat er doch nur so zum Spaß mit ihr angefangen, mehr war nicht dabei! ... Und wie ihn die Jagna mit den Augen angeblickt hat! Wie hatte sie sich forsch in die Hüften gestemmt! Es wurde einem ganz wohl in ihrer Nähe! ... Jesus, selbst eine Maulschelle von der zu kriegen, ist keine Schande, wenn man nur an den Honig herankommt ...« Die Erregung ging ihm durch alle Glieder, er ging immer langsamer.
»Sie hat sich erzürnt, daß ich mich um sie nicht gekümmert habe ... Is schon meine Schuld ... und dann noch wegen der Therese ...« Er verzog den Mund, als hätte er Essig gekostet. Er hatte wahrlich genug von dieser Heulliese, ihr Geflenn hatte er satt. Einen Treueid hatte er ihr doch nicht geschworen, daß er an ihr hängen bleiben sollte wie ein Kuhschwanz! Sie hat ja ihr Mannsbild! Und der Priester könnte ihn noch von der Kanzel vornehmen. Mit einer solchen da wird der Mensch ganz schlapp. Der Teufel noch mal mit diesen Weibern! wütete er in sich.
Das Mittagessen kochte noch; er fuhr die Nastuscha an, daß sie so getrödelt hatte, und sah bei der Therese ein. Sie melkte gerade ihre Kuh im Garten und wandte ihm ihre seltsam traurigen, kaum erst trockenen Augen zu.
»Warum hast du geheult?«
Sie entschuldigte sich leise, ihm mit einem zärtlichen Blick ins Gesicht sehend.
»Seh' doch lieber auf die Euter, du spritzt ja die Milch über deinen ganzen Rock!«
Er war heute hart und ganz ohne Erbarmen, so daß sie sich den Kopf zerbrach, was ihm wohl zugestoßen sein mochte. Sie verhielt sich ganz still, denn bei jedem Wort, das sie sagte, brach er in Wut aus und rollte mit den Augen.
Er tat, als suchte er irgend etwas vor dem Haus, sah in den Garten hinein und beobachtete sie heimlich, sich im stillen immer mehr wundernd.
»Wo hab' ich bloß meine Augen gehabt? Ist das ein mageres, spilleriges Ding ... Nicht Flaum noch Fleisch! Der schiere Knochen. Die reine Zigeunertrine – Keine Kraft und kein Saft im Leibe, rein nichts ...«
Alles was recht ist, nur die Augen, die waren schön, vielleicht wohl ebenso schön wie die von Jaguscha; groß waren sie, himmelblau, und die schwarzen Augenbrauen, die machten es; doch jedesmal, wenn sie ihn ansah, wandte er den Kopf weg und fluchte leise in sich hinein.
»Glotzt da wie ein Kalb, das den Schwanz hebt!«
Ihr Anstarren machte ihn ungeduldig und reizte ihn immer mehr.
»Nu gerade nicht, fällt mir nicht ein, glotz' du auf den Hundestert! Mich kriegst du doch nicht.«
Während des gemeinsamen Mittagessens sagte er nicht ein einziges Wort zu ihr, sah sie nicht einmal an; und an der Nastuscha fand er heute immerzu etwas zu tadeln.
»Ein Hund würde nicht an so eine Grütze herangehen: wie geräuchert ist sie! ...«
»Nicht doch, nur ein bißchen angebrannt ist sie, und schon bleibt sie dir an den Zähnen hängen.«
»Du hast nicht dawider zu reden! Mit Fliegen hast du sie angerührt, da sind mehr davon drin als Grieben.«
»Die Fliegen genieren ihn schon! So ein Wählerischer! Du wirst dich damit nicht vergiften!«
Beim Kohl klagte er über ranzigen Talg.
»Rühr' ihn lieber gleich mit Wagenschmiere an, dann schmeckt er auch nicht schlechter.«
»Leck' mal an der Wagenachse, dann wirst du sehen, ich bin da nicht drin erfahren!« antwortete sie trotzig.
So hatte er an jedem was auszusetzen und zankte in einem fort; gleich nach dem Mittagessen aber wandte er sich, als er ihre Kuh bemerkte, die sich gegen die Hausecke rieb, gegen Therese, die die ganze Zeit kein Wort gesagt hatte.
»Der Mist sitzt auf ihr wie eine Kruste, kannst du sie nicht abreiben, ha?«
»Naß ist es im Stall, da wird sie leicht schmutzig!«
»Naß! Im Wald gibt's genug Nadelstreu; du wartest nur, daß dir ihn einer zusammenharken und ins Haus bringen soll. Sie wird sich die Flanken wundliegen, anfaulen tut sie noch in dem Dreck! So viele Weiber in einem Haus und Ordnung nicht für einen Heller!« schrie er; aber Therese wich ihm demütig aus ohne ein Wort der Verteidigung und mit den Augen um Mitleid bettelnd.
Sie war ja doch immer eine stille, fügsame Frau gewesen und fleißig, wie eine Ameise; lieb war es ihr selbst, daß er sie in seiner Gewalt hatte und hart regierte. Er aber wütete gerade deshalb noch mehr. Es ärgerten ihn ihre liebenden, ängstlichen Augen, es ärgerte ihn ihr stiller Gang, ihr demütiges Gesicht, und das, daß sie immerzu um ihn herum war. Er hatte schon Lust, sie anzuschreien, daß sie ihm aus den Augen ginge.
»Daß euch die Kränke ... hundsverdammte Wirtschaft!« brach er plötzlich los und, die Zimmermannsgeräte sammelnd, ohne selbst seine Mittagsruhe abzuhalten, ging er zu Klemb, wo er eine Arbeit am Haus hatte.
Sie saßen da noch bei den Schüsseln vor dem Haus.
Er setzte sich auf die Mauerbank und zündete eine Zigarette an.
Die Klembs redeten über die Rückkehr Gschela Borynas aus dem Militär.
»Kehrt er denn schon heim?« fragte er ruhig.
»Wißt ihr das nicht? Der kommt doch zusammen mit Thereses Jaschek und mit dem Jartschak aus Wola.«
»Sie versprechen zur Ernte zurück zu sein. Die Therese ist heute mit einem Brief nach dem Organisten gelaufen, er sollte ihn ihr vorlesen. Er hat es mir doch selbst erzählt.«
»Ist das 'ne Neuigkeit! Der Jaschek kommt wieder!« rief er ganz unwillkürlich.
Sie verstummten alle, sahen sich nur untereinander an, und die Frauen wurden ganz rot vor unterdrücktem Lachen. Er merkte nichts und sagte ruhig, wie über die Nachricht zufrieden:
»Gut, daß er wiederkehrt; vielleicht hören sie auf, über Therese zu klatschen.«
Die Löffel hielten über der Schüssel an, so hatten sie sich verwundert; und, dreist um sich blickend, fügte er noch hinzu:
»Ihr wißt ja, daß man sie nicht schont. Sie geht mich ja nichts an, obgleich es eine entfernte Verwandtschaft von Vaters Seite ist; aber wenn es so auf mich ankäme, dann würde ich die Klatschmäuler schon stopfen, daß sie daran denken sollten! Und die Weiber, die sind die schlimmsten füreinander: der Reinsten hängen sie noch was an und werden sie noch mit Dreck bewerfen.«
»Gewiß, das ist so, gewiß!« bejahten sie, in die Schüssel starrend.
»Seid ihr schon bei Boryna gewesen?« fing er wieder etwas unruhig an.
»Ich will und will hin, aber jeden Tag kommt was dazwischen.«
»Der leidet für uns alle, und niemand denkt an ihn.«
»Hast du denn bei ihm eingesehen?«
»Hale, wenn ich allein hingehe, dann werden sie sagen, daß ich hinter der Jagna her bin.«
»Sieh mal an, wie behutsam, wie 'ne Dirn', wenn sie was gehabt hat,« brummte die alte Agathe, die mit ihrer Schüssel zwischen den Knien am Zaun saß.
»Weil ich dieses ewige Geträtsch schon ganz satt habe.«
»Auch der Wolf wird zahm, wenn ihm die Zähne hohl werden,« lachte Klemb.
»Oder wenn er sich ein Lager sucht,« fügte Mathias hinzu.
»Hoho, da wird man wohl nicht lange zu warten haben, daß du zu einer mit Schnaps schickst,« scherzte einer der Klembburschen.
»Gerade überleg' ich mir in einem fort, welcher ich zutrinken soll.«
»Wähle rasch, Mathias, und bitt' mich zur Brautjungfer,« piepste Kascha, die älteste von den Klembmädchen.
»Was soll man da tun: leicht ist es nicht, und alle sind piknobel, eine wie die andere die beste. Magduscha ist die Reichste, aber schon ohne Zähne, und Triefaugen hat sie auch schon; Ulischja ist wie eine Blume, nur daß sie eine dickere Hüfte hat, und nur eine Tonne Sauerkraut als Mitgift in die Ehe bringt; die Franka ... da kriegt man gleich den Zuwachs mit; Maruschka ist zu freigebig für die Burschen, und die Evka, obgleich sie ganze hundert Silberlinge in Kupfer als Mitgift kriegt, ist ein Faulenzer, liegt den ganzen Tag unterm Federbett. Und alle möchten sie fett essen, Süßes trinken und nichts tun. Das reine Gold sind solche Mädchen; und andere wieder haben zu kurze Federbetten für mich.«
Sie lachten los, daß die Tauben vom Dach aufflogen.
»Ich sag' die pure Wahrheit. Selbst hab' ich es ausprobiert, die reichen mir nur bis halb über die Waden, wie soll ich da im Winter schlafen? Wohl in Schaftstiefeln, was? ...«
Die Klembbäuerin wies ihn zurecht, daß er dummes Zeug in Anwesenheit der Mädchen rede.
»Das sag' ich doch nur so zum Spaß, denn man sagt ja, daß ein ehrlicher Spaß keinen Schaden tut, selbst unter dem Federbett.«
Die Mädchen plusterten sich auf wie Truthennen.
»Hale, wie wählerisch! ... Wird sich hier über alle lustig machen! Wenn du in Lipce nicht genug hast, dann such' dir welche in anderen Dörfern!« geiferten sie.
»Genug gibt es davon in Lipce, gerade genug: es ist doch leichter, eine reife Jungfer zu kriegen, als einen ganzen Silberling. Für einen Silbergroschen verkaufen sie sie heute und noch mit Vaters Handgeld dazu. Wenn sich nur Käufer findet! Davon gibt's ja so viele, daß das Dorf von all dem Jungferngekreisch nur so widerhallt; alle sind sie bereit, und jeden Sonnabend waschen sie sich schon von Morgengrauen an, flechten Bänder ins Haar und jagen hinter den Hühnern her in den Gärten und tragen sie dem Juden hin, um Süßen für die Brautbitter parat zu haben, und schon von Mittag an spähen sie um die Hausecken, ob nicht von irgendwoher Brautbitter kommen. Ich sah schon welche, die mit ihren Schürzen selbst vom Dach winkten und schrien: ›Zu mir her, Mathiuschka, zu mir her!‹ Und die Mütter riefen wiederum: ›Zuerst zu der Kascha, liebster Mathiuschka, zu der Kascha! Einen Käs' und eine Mandel Eier leg' ich noch zur Mitgift zu! Zur Kascha!‹«
Er wußte das alles so spaßig zu erzählen, daß die Burschen sich vor Lachen krümmten; aber Klembs Mädchen erhoben ein solches Geschrei wider ihn, daß der Alte sie anherrschen mußte.
»Still da! Die kreischen wie die Elstern vor dem Regen.«
Sie beruhigten sich nicht gleich; um also diesem Geneck ein Ende zu machen, fragte der alte Klemb:
»Warst du dabei, Mathias, wie die Schulzen sich prügelten?«
»Nein, man erzählte mir aber, daß die Kosiols ordentlich was abgekriegt haben.«
»Besser kann man gar nicht. Das ist 'ne Schande, wie die ausgesehen haben! Der Schulze hat sich da was geleistet, na!...«
»Das Brot der Gemeinde bläht ihn so auf, da springt er so mit den Leuten um.«
»Hauptsächlich aber, daß er vor keinem Angst hat. Wer wird sich ihm da widersetzen wollen? Ein anderer würde für eine solche Geschichte ordentlich blechen müssen, dem aber wird kein Haar gekrümmt. Mit den Beamten ist er gut Freund, da kann er im Kreisamt alles tun, was er nur will...«
»Weil sie hier Schöpse sind, einen solchen hier regieren zu lassen! Er springt mit den Leuten um und erhebt sich über alle; man wundert sich, daß sie ihm nicht obendrein noch die Füße küssen!«
»Wir haben ihn doch selbst über uns erhoben, so müssen wir ihn auch respektieren.«
»Wer ihn in den Sattel gesetzt hat, der kann ihn wieder aus dem Sattel heben.«
»Schrei' doch nicht so, Mathias, sonst kommt es noch herum.«
»Wenn sie es ihm sagen, dann wird er es schon wissen. Er soll mir nur kommen!«
»Wer soll ihm denn beikommen? Matheus ist krank, jeder überlegt es sich, ob er als Erster gegen ihn angeht; man kann kaum mit den eigenen Sorgen fertig werden,« murmelte der Alte, sich von der Bank erhebend.
Auch die anderen standen zugleich auf.
Die einen legten sich hin, Mittagsruhe zu halten, etliche traten auf die Dorfstraße, die Mädchen wandten sich nach dem Weiher, das Geschirr zu waschen, sich etwas abzukühlen und miteinander zu kichern. Mathias machte sich gleich daran, die Stützen für das Haus zurechtzuhauen, der Klemb aber zündete seine Pfeife an und setzte sich vor die Türschwelle.
»Wird einer sich nur um die anderen sorgen, dann wird es ihm die Not schon selbst besorgen!« brummte er in den Bart, mit Genuß seine Pfeife paffend.
Die Sonne hing fast über dem Haus, der Nachmittag wurde heiß, es wehte warm von den Feldern. Die Obstgärten standen still da, zwischen den Bäumen flimmerte das Sonnengold, der Blütenschnee sank lautlos ins Gras, die Bienen summten um die Apfelbäume, der Weiher gleißte zwischen den Baumästen und selbst die Vögel schwiegen. Eine wohlige Mittagsschläfrigkeit rieselte über die Welt nieder.
Der alte Klemb ging gemächlich, seine Schlaftrunkenheit niederkämpfend, nach der Kartoffelgrube.
Dann blieb er stehen, sog ein paarmal kräftig an der erloschenen Pfeife und spie mehrmals hintereinander aus, mit einer Kopfbewegung sein Haar zurückwerfend, das ihm in einigen Strähnen übers Gesicht gefallen war.
»Hast du nachgesehen?« fragte ihn die Frau, zum Flur hinaussehend.
»Versteht sich... wenn man nur einmal täglich kochen würde, könnten die Kartoffeln bis zur neuen Ernte reichen.«
»Hale, einmal täglich! Junges und gesundes Volk muß ordentlich was zu essen haben.«
»Wir kommen nicht aus. Die vielen Menschen. Zehn Mäuler und die Bäuche wie Scheffel. Man muß was ausdenken.«
»An die Färse denkst du, wie? Ich will es dir aber sagen, daß ich sie nicht zum Verkauf gebe. Mach' was du willst, aber das Vieh geb' ich nicht her. Merke dir das.«
Er winkte mit beiden Händen ab, als wollte er sich gegen eine lästige Wespe wehren; und als sie fortgegangen war, machte er sich wieder daran, die Pfeife anzuzünden.
»Ei der Daus noch mal, so'n Weib... Wenn's nötig ist, da ist doch auch die Färse kein Altar!«
Die Sonne brannte gerade in die Augen, und die Schatten waren noch ganz kurz; so kehrte er ihr den Rücken und paffte immer bedächtiger und in immer größeren Abständen. Er hatte den Gurt gelockert, denn die Kartoffeln fingen an, ihn zu drücken; die Sonne wärmte, die Tauben gurrten auf dem Strohdach, und das leise Flüstern der Blätter machte ihn so matt, daß er, gegen die Wand gelehnt, leicht zu nicken anfing, eine sogenannte Judenfuhre machend.
»Thomas! Thomas!«
Er öffnete die Augen. Agathe saß neben ihm, ihn ängstlich beäugend.
»Eine schwere Vorerntezeit habt ihr,« redete sie leise vor sich hin. »Wenn ihr nur wolltet, ein paar Groschen hab' ich, ich könnte euch aushelfen. Ich hab' sie nur für mein Begräbnis zusammengespart, aber da ihr gerade so in Not seid, würd' ich sie euch gern borgen. Schade um die Färse. Sie ist voriges Jahr, als ich da war, zur Welt gekommen, ist von einer gutmilchenden Sorte. Vielleicht erlaubt der Herr Jesus, daß ich es erlebe, da gebt ihr mir das Geld von der neuen Ernte wieder zurück. Von einer Verwandten was anzunehmen ist selbst für einen Hofbauer keine Schande, nehmt nur,« sie schob ihm an die drei Rubel in lauter Silberlingen hin.
»Steck das ein! Ich helf' mit schon.«
»Nehmt doch, einen halben Rubel kann ich noch zulegen, nehmt nur,« bat sie mit ganz leiser Stimme.
»Gott bezahl's euch. Sieh, ihr seid doch mal wirklich eine Gute.«
»Dann nehmt doch ganze dreißig Silberlinge, daß es eine runde Zahl ist,« sie knotete das Geld aus dem Tuch aus, Zehner auf Zehner zulegend. Nehmt da,« bat sie, die Tränen zurückhaltend: ihre Seele war ganz zerrissen, ihr war zumute, als müßte sie sich jeden Heller aus den Eingeweiden holen.
Das Geld gleißte seltsam verlockend in der Sonne. Klemb blinzelte wohlgefällig mit den Augen und scharrte in den Münzen herum, sie waren neu und ganz sauber. Er seufzte schwer auf, mit dem Verlangen ringend, sie an sich zu nehmen, bis er sich zuletzt wegwandte und murmelte:
»Steckt es gut wieder weg, sonst sieht es einer noch und stiehlt es euch weg.«
Sie versuchte es noch einmal, es ihm mit leiser Stimme aufzudrängen, aber nur so; als er darauf aber nichts mehr entgegnete, begann sie eifrig ihre Schätze einzuwickeln und wegzustecken.
»Warum bleibt ihr denn nicht bei uns?« fragte er nach einer Weile.
»Wie soll ich da, keine Arbeit kann ich mehr tun, selbst hinter den Gänsen kann ich nicht mehr dreinlaufen. Soll ich mich denn da umsonst füttern lassen, wie ...? Krank bin ich ja, von Tag zu Tag wart' ich immerzu das Ende ab. Gewißlich wäre es mir auch lieber bei der Verwandtschaft zu sterben ... wenn es selbst in der Kammer sein sollte, wo die Färse steht ... Wie sollt' ich euch aber eine solche Schererei und Sorge machen! Ganze vierzig Silberlinge habe ich fürs Begräbnis ... damit auch dabei eine Messe ist ... wie bei einem Hofbauer ... wie wär das? ... Und das Federbett würd' ich zulegen ... Habt keine Angst, ich sterb' euch ganz leise weg, ihr werdet es kaum merken ... und lange wird es auch nicht dauern ...« stotterte sie schüchtern und wartete klopfenden Herzens, daß er sie aufnehmen und ihr sagen würde: »Bleibt hier!«
Aber er entgegnete nichts, als hatte er ihr Flehen nicht begriffen, reckte sich nur, gähnte und versuchte heimlich, sich nach der kleinen Scheune davonzuschleichen, um sich ein wenig ins Stroh zu legen.
»Solch ein Hofbauer ... versteht sich ... wie sollte er auch ... Ein Bettelweib bin ich nur ...« schluchzte sie und wimmerte ganz laut auf, ihm mit ihren blaßgeweinten Augen nachgehend.
Sie schleppte sich, des öfteren aufhustend und immer wieder am Weiher niedersitzend, mühselig davon. Wie alltäglich war sie wieder unterwegs, im Dorf herumzuspähen, wo sie hofbäuerlich, ohne Betrug, hätte sterben können.
Langsam wanderte sie durchs Dorf auf der Suche nach solchen gerechten Leuten. Sie irrte an den Hecken entlang wie ein blasses Spinnweb, das fliegt, ohne zu wissen, wo es sich festhalten soll.
Und das Volk machte sich lustig über sie und riet der Armen zum Spaß, daß sie bei den Verwandten bleiben müßte; und auch den Klembs sagte man, unter dem Vorwand, daß es aus Freundschaft sei, Ähnliches:
»Eine Verwandte ist es immerhin, das Geld für die Beerdigung hat sie, lange wird sie euch doch nicht mehr im Hause sitzenbleiben ... Wo soll sie sich denn sonst hintun?«
Das alles kam der Klembbäuerin in den Sinn, als ihr Mann ihr das mit Agathe Vorgefallene erzählte. Sie hatten sich schon schlafen gelegt, und als das Schnarchen der Kinder nur mehr in der Stube hörbar war, begann sie auf ihn leise einzureden.
»Platz wird sich schon finden ... im Hausflur kann sie liegen bleiben ... die Gänse treibt man nach der Scheune ... viel Essen braucht sie nicht mehr ... lange wird sie es auch nicht mehr machen ... Geld für die Beerdigung hat sie ... und die Leute werden sich dann auch nicht mehr darüber aufhalten ... und das Federbett wird man auch nicht abzugeben brauchen ... versteht sich, das findet man doch nicht alle Tage auf der Straße,« setzte sie ihm gefühlvoll auseinander.
Klemb aber schnarchte los als Antwort darauf. Und erst am nächsten Morgen sagte er:
»Wenn die Agathe ganz ohne Heller wäre, würd' ich sie aufnehmen, das müßte man denn doch ... Gottes Fügung ... Aber so werden sie noch sagen, daß wir sie wegen der paar Groschen behalten. Sie schnauzen auch so schon genug, daß sie um unsertwillen auf den Bettel gegangen ist ... das geht nicht.«
Die Klembbäuerin, die in allem ihrem Mann gehorchte, seufzte nur noch auf beim Gedanken an das Federbett und ging, die Mädchen zur Eile anzutreiben.
Man sollte heute Kohl pflanzen.
Der Tag wurde wie der gestrige, herrlich und sonnig, ein wahrer Maitag. Ein mutwilliges Lüftchen war aufgekommen und tollte über die Felder dahin, so daß das Getreide auf den Ackerbeeten wogte wie schaukelndes Wasser. Die Obstgärten rauschten und ließen den Blütenschnee dicht fallen, und die vollen schweren Blütendolden der Fliederbüsche und Traubenkirschen breiteten ihre Düfte aus. Die Luft war frisch und mit Erdenduft und Blumengerüchen geschwängert. Von den Weideplätzen am Walde trug der Wind Gesänge herüber, und aus der Schmiede klang das Aufdröhnen der Hammerschläge durchs Dorf. Vom frühen Morgen an waren alle Wege voll Stimmengewirr und Menschen. Die Frauen zogen auf die Kohlfelder, in Körben und auf Sieben Kohlsetzlinge tragend und laut von dem gestrigen Jahrmarkt und von dem Vorfall mit dem Schulzen redend.
Und bald, ehe noch der Tau abgetrocknet war, sah man überall auf den schwarzen Kohlfeldern, die nur mit wassergefüllten glitzernden Furchen voneinander getrennt waren, rote Frauenkleider aufschimmern.
Auch die Klemb war mit den Töchtern im Feld, während Klemb und Mathias mit den Burschen daran gingen, das Haus mit Stützen zu versehen.
Doch als die Sonne zu brennen anfing, überließ der Alte die Arbeit seinen Söhnen, und nachdem er den Balcerek herbeigerufen hatte, machte er sich mit ihm auf den Weg, Boryna zu besuchen.
»Schönes Wetter, Gevatter,« sagte Klemb, nach der ihm angebotenen Prise langend.
»Das ist es schon. Wenn nur die Hitze nicht zu lange anhält.«
»Das Sommergetreide ist verspätet, da könnte es leicht mehr als nötig kriegen. Vielleicht laßt es aber der Herr Jesus nicht zu. Und wie war es auf dem Jahrmarkt? Habt ihr was über das Pferd erfahren?«
»Ih ... dem Serschanten habe ich drei Rubel gegeben, da hat er mir versprochen, achtzugeben.«
»Daß man doch keinen Schutz hat! ... Man lebt in einem fort in Angst, rein wie ein Hase, und niemand hilft einem.«
»Und der Schulze ist die reine Strohpuppe,« murmelte Balcerek vorsichtig.
»Man muß an einen neuen denken,« warf Klemb hin.
Balcerek sah ihn schnell an, doch der Alte fügte noch hitzig hinzu:
»Es kommt nur Schande über das ganze Dorf durch ihn. Habt ihr von dem Gestrigen schon gehört?«
»Ih ... eine Prügelei kann jedem passieren, das ist eine alltägliche Sache ... Was anderes aber überleg' ich mir, daß wir für sein Amtieren nicht noch was zuzuzahlen brauchen.«
»Selbst disponiert er doch nicht, der Kassierer und der Schreiber passen ja auf, und auch das Amt.«
»Grad wie die Hunde, die das Fleisch zu bewachen haben! Die passen auf, und schließlich muß der Bauer bezahlen, weil sie es nicht behütet haben.«
»Jawohl, das ist nicht anders! Wißt ihr denn was darüber?«
Balcerek spuckte nur aus und machte mit der Hand eine unbestimmte Bewegung; er wollte nicht reden, brummig war er von Natur aus und durch die Frau eingeschüchtert; so hütete er denn um so mehr seine Zunge.
Sie waren außerdem schon vor dem Borynahof angelangt.
Fine schabte auf der Galerie Kartoffeln.
»Geht nur hinein,« meinte sie, »der Vater liegt dort allein. Anna ist auf dem Kohlfeld, und Jagna arbeitet bei der Mutter.«
In der Stube war sonst niemand zugegen, durch das offene Fenster sahen Fliederblütendolden herein, und die Sonne siebte ihr Gold durch das dichte Laub.
Boryna saß im Bett. Er war ganz abgezehrt, ein weißer Bart starrte borstig um das gelbe Gesicht; sein Kopf war verbunden, und die bläulichen Lippen bewegten sich rastlos.
»Sie gaben Gott zum Gruß, er antwortete aber nicht und rührte sich nicht einmal.«
»Tut ihr uns denn nicht erkennen?« ließ sich der Klemb vernehmen, Borynas Hand ergreifend.
Jener schien aber nur auf das Zwitschern der Schwalben zu lauschen, die unter dem Strohdach ihre Nester bauten, und auf das Rauschen der Zweige, die gegen die Wand klopften und hin und wieder ins Fenster sahen. Es war als wüßte er nichts mehr von dem, was um ihn geschah.
»Matheus!« ließ sich der Klemb vernehmen, ihn abermals etwas am Arm zerrend.
Der Kranke zuckte zusammen, in seinen Augen begann etwas zu zittern, und er starrte lange auf die beiden.
»Hört ihr denn nicht? Ich bin es, Klemb, und das ist Balcerek, euer Gevatter; erkennt ihr ihn denn?«
Sie warteten und sahen ihm in die Augen.
»Her zu mir, Männer! Hierher! Schlagt die Hundesöhne! Schlag los!« schrie er plötzlich mit gewaltiger Stimme, erhob die Hände, als wollte er sich verteidigen und fiel auf den Rücken zurück.
Auf den Lärm kam Fine hereingerannt und begann ihm den Kopf mit nassen Tüchern zu belegen, doch er lag schon ganz still. In seinen weit geöffneten Augen gleißte eine tödliche Angst.
Bald gingen sie davon, sehr besorgt und ganz mitgenommen.
»Ein Kadaver liegt da nur noch, kein lebendiger Mensch,« sagte Klemb, sich nach dem Borynahof umsehend.
Fine schabte wieder die Kartoffeln auf der Galerie, die Kinder spielten in der Nähe der Hauswand, und im Obstgarten stolzierte Witeks Storch umher; ein leichter Windhauch schob maigrüne Zweige vor das offenstehende Fenster.
Sie gingen eine Zeitlang, vom Grauen erfaßt, schweigend nebeneinander dahin, als wären sie aus einer Grabkammer herausgetreten.
»Jeder muß mal dahin kommen, jeder,« flüsterte Klemb wehmütig.
»Jawohl ... Gottes Wille ... was soll man tun, dagegen kann keiner an ... Hale, der hätte aber noch eine Weile leben können, wenn nicht dieser Wald ...«
»Gewiß. Aus ist es mit ihm, und die anderen werden davon den Profit haben,« seufzte er.
»Einmal muß ja die Ziege sterben ... der hat sein Lebtag sauer genug gearbeitet! ...«
»Und für uns kommt vielleicht bald die Zeit, ihm nachzufolgen.«
Sie sahen hart vor sich hin in die Welt, in die wogenden Felder, auf die Wälder, die wie auf der Handfläche dalagen, auf die grünenden Äcker, in den hellen, warmen Frühlingstag hinaus, und ihre Seelen erstarrten vor dem unabänderlichen Willen Gottes.
»Das wird der Mensch nicht ändern, was ihm bestimmt ist.«
Und damit gingen sie auseinander.
Auch die anderen kamen noch an diesem und während der nächsten Tage, den kranken Boryna zu besuchen; aber er erkannte niemand, so daß sie es schließlich aufgaben.
»Der hat genug an den Gebeten um einen leichten Tod, der braucht uns nicht mehr,« sagte der Priester.
Und da jeder genug eigene Sorgen und eigene Not hatte, so war es nicht verwunderlich, daß sie ihn bald alle vergaßen; wenn einer aber dazu kam, ihn zu erwähnen, so sprach er schon wie von einem Toten.
Es ist wahr, der Arme lag auch in einer solchen Verlassenheit, als wäre er ins Grab gelegt worden, und das Gras wüchse schon über seinem Totenhügel.
Wer sollte sich mit ihm befassen?
Es kam vor, daß er ganze Tage lang ohne einen Tropfen Wasser dalag; und er wäre vielleicht vor Hunger gestorben, wenn nicht das gute Herz Witeks, der alles, was er nur kriegen konnte, dem Bauer hintrug; und selbst den Kühen molk er oft im geheimen etwas Milch ab und labte ihn damit. Der Kranke erfüllte sein Herz mit einer seltsam bedrängenden Sorge; und einmal nahm er sogar den Mut, den Knecht zu fragen:
»Pjetrek, ist das wahr, daß, wenn einer ohne Beichte stirbt, dann muß er in die Hölle kommen?«
»Das ist so, der Priester sagt es ja immer in der Kirche.«
»Dann wird auch der Hofbauer in die Hölle kommen?«
»Er ist grad so ein Mensch, wie alle anderen.«
»Hale, ein solcher Hofbauer soll wie die anderen Menschen sein! Hale!«
»Du bist dumm wie ein Kohlstrunk,« ereiferte sich der Pjetrek und setzte es ihm lang und breit auseinander; aber Witek konnte ihm nicht glauben: er wußte für sich genug und ganz was anderes.
So gingen die Tage auf dem Borynahof vorüber.
Im Dorf aber brodelte es hin und her wie in einem Kochtopf.
Die Prügelei des Schulzen hatte es bewirkt; die beiden Parteien suchten Zeugen und trachteten jede für sich, das Volk auf ihre Seite zu bekommen.
Obgleich es nur eine Gerichtssache mit den Kosiols war, verschlief der Schulze nichts und traf alle nur erdenklichen Vorkehrungen. Er hatte auch gleich von Anfang an das Übergewicht, denn mehr als die Hälfte hatte sich für ihn erklärt. Man kannte ihn wie einen bösen Groschen, aber er war doch der Schulze, konnte manchem was helfen, oder auch einen ordentlich aufs heiße Pech setzen; so hatte er durch Überredung, Schmeicheleien und Schnaps sich Zeugen zurechttraktiert, wie er sie gerade brauchen konnte.
Der Kosiol lag schwer krank danieder, selbst den Priester hatten sie zu ihm holen müssen; man sprach allerlei von seiner Krankheit, im geheimen einander anvertrauend, daß er sich nur anstellte, damit der Schulze noch tiefer in die Tasche langen müßte; Gott weiß, wie es da eigentlich war. Man wußte nur, daß die Kosiol allein ganze Tage lang fluchend und wehklagend von Haus zu Haus rannte. Sie erzählte, daß sie schon das Mastschwein mit den Ferkeln für die Kur ihres Mannes hätte verkaufen müssen, rannte fast jeden Tag absichtlich vor das Haus des Schulzen und schrie dort gottserbärmlich, daß der Bartek schon im Sterben liege, rief all die gerecht denkenden Leute heran, für sie zu zeugen und ihr zu helfen.
Nur das ärmere Volk und die weichherzigeren Frauen stellten sich auf ihre Seite, und selbst einer von den kleineren Hofbauern, der Kobus, der ein unruhiger und zänkischer Mensch war. Der Rest wollte nicht einmal darüber etwas hören und leugnete ihr geradeweg in die Augen, irgend etwas davon gesehen zu haben; und mancher riet noch obendrein, sie sollten nicht mit dem Schulzen anfangen, denn gewinnen würden sie doch nicht.
Daraus kamen wieder neue Geschichten, denn der Kobus hatte eine zügellose Zunge, ließ leicht die Faust mitspielen, und die Weiber waren auch nicht wählerisch in ihren Worten.
So folgten denn nur Geschrei und Zorn daraus, denn wie sollten sie gegen die Hofbauern und den Schulzen aufkommen?
Selbst der Jude lachte sie aus und wollte ihnen nichts mehr auf Borg geben.
Es war kaum eine Woche vorüber, und sie hatten alle schon genug von den winselnden Klagen, die man nicht einmal mehr hören mochte.
Da kam ihnen plötzlich ein neuer Beistand, und wieder wurde das ganze Dorf aufgewühlt.
Der Ploschka hatte sich mit dem Müller zusammengetan und stellte sich offenkundig auf die Seite der Kosiols.
Natürlich war es den beiden um diese gerade so viel zu tun, wie um den vorjährigen Schnee; sie hatten aber ihre eigenen Pläne dabei und taten das ihrer Vorteile wegen.
Ploschka war ein sehr ehrgeiziger und verschlossener Mann und bildete sich was auf seinen Verstand und seinen Reichtum ein; und der Müller, man wußte es ja, der Geizkragen und Leuteschinder hätte sich für Geld selbst hängen lassen.
Es entspann sich zwischen den beiden Parteien ein stiller und unerbittlicher Kampf; in Anwesenheit der Menschen, ins Gesicht taten sie natürlich freundschaftlich, begrüßten sich wie früher und geleiteten einander untergefaßt nach der Schenke.
Die Klügeren merkten sofort, daß es dieser Kompagnie nicht um die Gerechtigkeit zu tun war und um das den Kosiols geschehene Unrecht, sondern um etwas anderes, vielleicht selbst um die Schulzenschaft.
»Da hat sich schon mancher daran gemästet, laß auch die anderen was abkriegen!« meinten die Alten, die Köpfe bedächtig wiegend.
So ging die Zeit dahin, und die Verworrenheit im Dorf wurde immer größer.
Bis eines Tages die Nachricht durchs Dorf die Runde machte: vor der Schenke hielten die Deutschen.
»Die wollen sich gewiß auf der Meierei festsetzen,« riet einer.
»Laß sie mit Gott fahren! ... was geht es uns an?« beschwichtigte ein anderer.
Aber eine beunruhigende, ängstliche Neugierde hatte von allen Besitz ergriffen. Sie schrien sich die Neuigkeit von Obstgarten zu Obstgarten herüber, blieben in den Heckenwegen stehen, um darüber zu reden, und andere machten, daß sie schleunigst nach der Schenke kamen, um etwas darüber auszukundschaften.
Es war wirklich so: fünf große Korbwagen standen vor der Zufahrt zur Schenke, alle hatten sie eiserne Achsen, waren gelb und blau gemalt, mit Plantüchern überdacht, unter denen Frauen saßen und allerhand Hausgerät hervorguckte; in der Schenke vor der Tonbank hatten sich wohl an die zehn deutsche Kolonisten niedergelassen und tranken.
Mächtige Kerle waren es, breit gewachsen und bärtig, hatten dunkelblaue Knieröcke an, trugen silberne Ketten auf den wohlgenährten Bäuchen, und die feisten Backen glänzten ihnen von der guten Pflege. Sie schnatterten irgend etwas mit dem Juden herum.
Die Bauern stellten sich im Haufen dazu, schrien laut nach Schnaps, beobachteten sie und versuchten eifrig, etwas herauszubekommen; es war aber schwer, auch nur das kleinste Wörtchen herauszuhorchen. Mathias aber, der auch auf Jüdisch konnte, parlierte mit einmal los, so daß der Schankwirt sich verwundert umdrehte.
Die Deutschen blitzten sich nur mit den Augen an, sagten aber nichts, und als später noch Gschela, der Bruder des Schulzen, ihnen irgendein deutsches Wort hinwarf, drehten sie den Bauern ihre Hintern zu und grunzten etwas Unverständliches untereinander.
»Man sollte ihnen ein paar über die ekligen Schnauzen langen,« sagte Mathias ganz aufgebracht.
»Mit dem Stock müßte man ihnen die Rippen nachzählen, da würden sie gleich reden.«
Und der Adam Klemb murmelte hitzig:
»Ich stoß dem da gleich einen in den Wanst, schmeißt er mich um, dann schlagt zu.«
Sie hielten ihn zurück, denn die Deutschen, die gerade ein Fäßchen Bier genommen hatten, verließen, als hatten sie die Drohung geahnt, rasch die Schenke.
»He, Pluderhosen! Pluderer! Pluderer: Ein Schimpfname, ausschließlich als Benennung der Deutschen. Das Wort ist scheinbar von »Pluderhose« abgeleitet. Die ersten deutschen Kolonisten mußten eine dementsprechende Tracht mit Pluderhosen getragen haben, die zu der Wortbildung Veranlassung gegeben hat. Nicht so rasch, sonst rutscht euch noch was ab!«
»Die Schweinewänste!« schrien die Jungen ihnen nach.
Gleich nach ihrer Abfahrt gestand der Jude ein, daß die Deutschen schon die Waldmeierei so gut wie gekauft hätten, daß sie hinführen, die Kolonie abzumessen, und daß fünfzehn Familien sich dort festsetzen würden.
»Wir können uns hier auf unseren paar Morgen herumdrücken, und die wollen sich hier auf ganzen Hufen breit machen.«
»Überbiete sie doch, laß nicht zu! Setz' mal deinen Verstand in Bewegung, wenn du so ein Kluger bist ...« schrie Stacho Ploschka dem Gschela zu.
»Hundsverdammt, nu auch das noch!« fluchte Mathias los, mit der Faust auf die Tonbank schlagend. Wenn die sich auf der Waldmeierei festsetzen, dann wird es schwer sein, hier in Lipce auszuhalten,« redete er auf sie ein, denn er war viel in der Welt herumgekommen und kannte die Deutschen gut.
Sie glaubten es ihm nicht, dennoch war das ganze Dorf recht besorgt; sie fingen an zu überlegen und nachzusinnen, was wohl Schlechtes von einer solchen Nachbarschaft für Lipce kommen könnte.
Jeden Tag meldeten die Viehhüter und vorüberziehenden Wanderer, daß am Wald die Felder abgemessen würden, daß man Steine einfuhr und einen Brunnen grub.
So daß manch einer aus Neugierde hinter die Mühle nach Wola zu ging, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen, daß man die Wahrheit berichtet hatte.
Wie aber die Angelegenheit sich wirklich verhielt, war nicht möglich, zu erfahren.
Sie suchten den Schmied auszuhorchen, denn er hatte sich schon mit den Deutschen beschnüffelt und beschlug ihnen die Pferde; aber er redete sich mit nichtssagenden Worten heraus.
Erst Gschela, der Bruder des Schulzen, der sich aufgemacht hatte, um etwas darüber auszukundschaften, berichtete ihnen die Wahrheit.
Es verhielt sich folgendermaßen: der Gutsherr war einem Deutschen fünfzehntausend Rubel schuldig. Abgeben konnte er sie ihm nicht, und dieser wollte in Zahlung die Waldmeierei nehmen und das noch dazu Fehlende in bar zuzahlen. Der Gutsherr schien einverstanden zu sein, sah sich aber gleichzeitig auch nach anderen Käufern um, da der Deutsche nur sechzig Rubel für einen Morgen geben wollte. So zog der Gutsherr denn die Sache hin, solange es ging.
»Aber eingehen muß er darauf! Die Juden sitzen ihm schon tagein tagaus im Herrenhaus und jeder will sein Geld haben. Der Heger hat mir gesagt, daß man die Kühe schon wegen der Steuern gepfändet hat. Woher soll er es denn nehmen? Das ganze Getreide ist schon auf dem Halm verkauft! Den Wald darf er doch auch nicht fällen, solange wir prozessieren. Er wird sich nicht anders helfen können und muß verkaufen für das erste beste, das sie ihm bieten,« behauptete Gschela.
»Und das so ein feiner Boden, hundert Rubel für einen Morgen wäre nicht zu viel.«
»Na, dann kauft doch, er verkauft es euch mit Kußhand.«
»Hale, das Geld ist teuer, wenn man keins hat!«
»Die Deutschen da werden sich mästen, und du, Bauer, schluck' du mal gefälligst deine Spucke herunter!«
So beredeten sie sich wehmütig seufzend. Es war ihnen ganz bänglich zumute geworden. Natürlich tat es ihnen um den Grund und Boden leid, denn er lag gerade nebenan und war ein ertragreiches Stück Land. Jedem wären ein paar Morgen gut zu paß gekommen, wo sie es doch schon auf dem Eigenen so eng wie in einem Ameisenhaufen hatten, sie konnten sich schon kaum von Ernte zu Ernte ernähren. Solch ein Stück vom besten Boden, das hätte gerade für die Kinder gepaßt. Sie hätten ein neues Dorf aufbauen können, hätten dabei auch noch gutes Wiesenland gekriegt, und Wasser wäre gleich in der Nähe dagewesen ... Aber was soll man da machen! Die Deutschen sitzen schon drin, werden sich immerzu ausbreiten, während die Menschen hier in der Enge verrecken müssen.
»Wo soll man mit dem ganzen Nachwuchs hin?« seufzten die Alten auf, den jungen Leuten nachblickend, wenn sie sich an den Abenden auf der Dorfstraße tummelten; es gab genug davon, die Häuser konnten sie kaum fassen! Wovon sollte man aber den Grund und Boden bezahlen, wenn es einem kaum zum nackten Leben reichte?
Sie sorgten sich schwer und gingen selbst zum Pfarrer, um Rat zu holen. Er konnte ihnen aber nicht helfen: aus dem Leeren kann keiner was einschenken.
»Wer keinen Heller hat, der darf nicht einmal die Nase darüber halten. Dem Armen weht der Wind immer ins Gesicht! ...«
Aber auch das Klagen und Jammern nützte nichts.
Und, wie um das Maß voll zu machen, wurde die Dürre immer größer. Der Monat Mai neigte sich dem Ende zu, und die Sonne brannte schon wie im Juli. Die Tage wurden still und drückend heiß, die Sonne erhob sich gleich am frühen Morgen in voller Glut am wolkenlosen Himmel und sengte so, daß auf den höher gelegenen Stellen und im Sand das Sommerkorn schon ganz gelblich und matt aussah, das Gras auf den Brachäckern gänzlich verbrannt wurde, die Bäche zu trocknen anfingen und die Kartoffeln, die zuerst ganz kräftig hochgeschossen waren, kaum den Boden mit ihren mageren Stauden beschatteten. Nur das Winterkorn hatte nicht viel gelitten, es hatte sich schön herausgemacht, schon die Ähren angesetzt und wuchs noch immerzu mächtig in die Höhe, so daß es aussah, als ob die Häuser allmählich dahinter versanken und, ganz zur Erde geduckt, nunmehr noch ihre Dächer aus dem Ährenwald emporragen ließen.
Die Nächte waren schwül und so warm, daß man schon hier und da in den Obstgärten schlief, weil man es nicht mehr in den Stuben aushalten konnte.
Durch das heiße Wetter und durch die Sorgen und Verdrießlichkeiten, durch Ploschkas Aufstacheleien gegen den Schulzen und durch die viel schwerere Vorerntezeit wie sonst, kam eine seltsame Unruhe und Friedlosigkeit über Lipce.
Die Leute gingen verstört umher, nur darauf lauernd, wie sie einen mit einem scharfen Wort verwunden oder ihm sonst was antun könnten. Jeder war bereit, sich dem anderen in den Weg zu stellen, so daß das Dorf die reine Hölle wurde. Tag für Tag, sobald nur der Morgen graute, hallte das Dorf vor Zank wider, denn jeden Tag kam was Neues auf: einmal hatten sich die Kobus geprügelt, so daß erst der Pfarrer Frieden stiften mußte und es an ernsten Ermahnungen nicht fehlen ließ; dann waren die Balcerekbäuerin und der Gulbas wegen eines Ferkels, das in den Mohrrüben gewühlt hatte, einander in die Schöpfe geraten; die Ploschkabäuerin hatte sich mit der Schultheißin arg wegen einer Vertauschung von Gösseln erzürnt; man zankte sich wegen der Kinder, wegen der nachbarlichen Schädigungen oder um das erste beste, was da kam, um nur einem was anzuhacken, sich anzuknurren, anzuschreien oder einander zu beschimpfen. Die Zänkereien, Prügeleien und Gerichtssachen mehrten sich wie eine ansteckende Seuche.
Selbst Ambrosius machte sich schon darüber bei einigen aus der Umgegend lustig.
»Eine gute Vorerntezeit hat mir dieses Jahr der Herr Jesus beschert. Neue Leichen hat man nicht, niemand wird geboren, niemand verheiratet sich, und doch traktiert man mich jeden Tag mit Schnaps, ehrt mich und bittet, daß ich zeugen soll. Wenn sie sich noch ein paar Jahre so zanken würden, dann könnte man schier ins Saufen geraten.«
Gewiß, es stand nicht gut um Lipce.
Am schlimmsten war es aber wohl im Hause der Dominikbäuerin.
Schymek war mit den anderen zurückgekehrt, Jendschych war wieder gesund geworden, und Not hatten sie keineswegs auszustehen wie die anderen; da hatte es doch wie sonst sein müssen. Das war es aber nicht, denn die Burschen wollten nicht mehr der Mutter parieren. Sie widersetzten sich trotzig, zankten sich Aug' um Auge, ließen es sich nicht gefallen, daß sie sie schlug und rührten keine Frauenarbeiten an, wie sie es früher getan hatten.
»Mietet euch eine Magd oder tut es selber,« sagten sie hart.
Die Patsches hatte eiserne Fäuste und eine unnachgiebige Seele/wie sollte es auch anders sein! So viele Jahre hatte sie allein regiert, so viele Jahre hatte niemand gewagt, sich ihr zu widersetzen und etwas dawider zu sagen. Und wer tat es jetzt? Wer wagte es, ihr entgegenzutreten?/Die eigenen Kinder!
»Barmherziger Jesus!« rief sie in Groll und Wut, bei jeder Gelegenheit zum Stock greifend, um ihren Söhnen beizukommen. Sie wollte sie zum Gehorsam zwingen. Doch jene gaben nicht nach, sie verbissen sich gerade wie die Mutter und ließen es darauf ankommen. So entstand fast Tag für Tag ein solches Geschrei und Gejage ums Haus herum und in den Stuben, daß sogar die Nachbarn zusammenliefen, sie zu beschwichtigen.
Selbst der Pfarrer, den die Dominikbäuerin aufgestachelt hatte, ließ die Burschen zu sich kommen und ermahnte sie zum Frieden und Gehorsam. Sie hörten ihm geduldig zu, küßten seine Hand, umfaßten demütig seine Knie, wie sich das schickte, änderten sich aber nicht.
»Wir sind keine Kinder und wissen was wir zu tun haben. Laß die Mutter zuerst nachgeben!« entschuldigten sie sich vor den Leuten. »Das ganze Dorf hat über uns gelacht ...«
Die Dominikbäuerin war ganz gelb vor Ärger und Kummer geworden, denn sie ließen sich nicht herumkriegen, und obendrein, anstatt in der Kirche und bei den Gevatterinnen zu sitzen, mußte sie jetzt die Wirtschaft selbst besorgen. In einem fort holte sie sich die Jagna zur Aushilfe. Doch auch die Tochter ersparte ihr keine Sorge und Schande.
Die Patsches hielt zum Schulzen und sollte selbst gegen die Kosiols zeugen, denn sie war bei der Prügelei zugegen gewesen und hatte den Schulzen und seine Frau verbunden. Der Schulze sah auch an den Abenden öfters bei ihr ein, um sich dem Anschein nach mit ihr zu beraten, hauptsächlich aber, um die Jaguscha herauszulocken und sich mit ihr in den Hintergärten herumzutreiben.
Im Dorf bleibt nichts verborgen, man weiß gut, aus welchem Schornstein es raucht und warum; so ward auch der Anstoß, den man an dieser sündigen Liebschaft nahm, immer größer, und gut gesinnte Leute warnten die Alte vor den Folgen.
Konnte sie denn aber das verhindern, wo es doch so war, als täte ihr Jagna trotz all ihrer flehentlichen Bitten alles zum Verdruß. Sie zog die schwerste Sünde und das ärgste Gerede der Menschen dem Aufenthalt im verhaßten Borynahof vor. Das Böse hatte sie erfaßt und trieb sie an. Da war schon niemand mehr da, der imstande gewesen wäre, sie zurückzuhalten.
Der Anna kam das ganz gelegen, und oft sprach sie darüber vor den Leuten.
»Laß sie sich amüsieren, bis man dem Schulzen verbietet, das Gemeindegeld zu vertun. Nichts ist ihm zuviel für sie, er schleppt ihr aus der Stadt zusammen, was er nur kriegen kann; am liebsten würde er sie noch in Gold einfassen. Mögen sie genießen und auf das Ende sehen. Was geht mich das an!«
Natürlich, hatte sie nicht genug Sorgen, die an ihr fraßen? Sie knauserte nicht mit dem Geld für den Rechtsbeistand, und doch wußte man noch nicht, wann Anteks Sache zur Verhandlung kommen sollte, und welche Strafe er zu erwarten hätte. Und der Ärmste verzehrte sich im Gefängnis und wartete sehnsüchtig auf Gottes Erbarmen. Zu Hause aber geriet allmählich alles aus den Fugen. Konnte sie denn alles überwachen? Der Knecht wurde immer frecher, scheinbar stachelte ihn der Schmied auf; und manches Mal, wenn sie zur Stadt war, trieb er sich den ganzen Tag im Dorf herum. Sie drohte, daß sie mit ihm schon abrechnen würde, wenn nur erst Antek zurück wäre.
»Zurück kommen! Dazu ist es noch nicht gekommen, daß man Totschläger freiläßt!« schrie er ihr frech zurück.
Sie wurde ganz starr vor Zorn, man hätte nur so drauflosschlagen mögen auf dieses böse Maul; aber konnte sie da mit ihm fertig werden? Er hätte sie auch noch so sehr anpöbeln können, wer würde da für sie eintreten wollen, wer würde ihr behilflich sein? Man mußte alles ertragen und alles für eine geeignete Zeit in sich verschließen, sonst hätte er fortlaufen können, und alles würde dann auf ihre Schultern kommen; sie konnte doch schon sowieso die Arbeit kaum leisten. Immer mehr fiel sie gesundheitlich ab, selbst das Eisen frißt ja der Rost und auch der Stein halt nicht länger als eine gewisse Zeit aus, und was sollte sie, eine schwache Frau, da tun!
Eines Tages gegen Ende Mai war der Pfarrer mit dem Organisten zur Kirchweih gefahren, und Ambrosius hatte so viel mit den Deutschen, die oft nach der Schenke kamen, getrunken, daß keiner da war, der zum Ave läuten oder die Kirchentür hätte öffnen können.
Man versammelte sich also, um den Abendgottesdienst auf dem Friedhof abzuhalten; es stand dort neben dem Toreingang ein kleines Kapellchen mit der Statue der Muttergottes. Im Mai schmückten sie die Mädchen mit bunten Papierbändern und einer vergoldeten Krone und überstreuten sie mit Feldblumen. Man bewahrte die Kapelle so gut es möglich war, vor gänzlichem Verfall, denn sie war uralt; die Mauern waren zerborsten, bröckelten hier und da ab, so daß selbst die Vögel da nicht mehr nisteten; nur hin und wieder suchte dort ein Hirte bei schlechtem Wetter Schutz. Die Friedhofsbäume, uralte Linden und schlanke Birken und etliche gebeugte Kreuze schützten sie etwas gegen die Winterstürme.
Viel Volk war zusammengekommen, und, so gut es in der Eile gehen wollte, schmückten sie das Kapellchen mit frischem Grün und mit Blumen; einer hatte den Fußboden rein gefegt, einer gelben Sand ausgestreut; und nachdem Lichter und brennende Lämpchen in den Erdboden zu Füßen der Statue gesteckt worden waren, knieten sie alle andächtig nieder.
Vorneweg an der Schwelle, die mit Tulpen und rosa Dornblüten überstreut war, kniete der Schmied und stimmte ein Lied an.
Es war gut nach Sonnenuntergang und dämmerte schon; der Himmel im Westen brannte noch ganz in goldenes Licht getaucht und von einem blassen Grün überflossen; es war völlige Stille ringsumher; die herabhängenden Strähnen der Birken schienen zu Boden niederfließen zu wollen, die Getreidefelder standen mit gebeugten Halmen da, als lauschten sie andächtig dem leisen Zirpen der Grillen und dem Geplätscher des nahen Bächleins.
Die letzten Herden zogen heim nach den Ställen; vom Dorf, von den Feldern und von den unsichtbaren Feldrainen stieg hin und wieder das frohe Singen der heimkehrenden Hirten und langgezogenes Viehgebrüll auf. Das Volk aber sang, das helle Antlitz der Muttergottes anstarrend, die segnend ihre Hände über die ganze Welt ausbreitete.
»Gute Nacht, duftende Lilienblüte!
Gute Nacht!
Der Duft der jungen Birken wehte vom Friedhof her, und die Nachtigallen fingen auch schon an, ihre Kehlen zu prüfen und eine trillernde Melodie anzustimmen, bis sie die Stimmen plötzlich anschwellen ließen; golden schäumende Bäche, perlende Triller ergossen sich, lockendes Schnalzen und zärtliche süße Klagen wurden vernehmbar; und ganz in der Nähe, aus dem Korn, setzte mit einem Male die Geige des Herrn Jacek ein, die Gesänge ganz zart und leise, aber mit so durchdringender Stimme begleitend, daß es war, als klängen die rostgoldenen Roggenähren gegeneinander an, als sänge der goldene Himmel oder die durchglühte Erde das Maienlied.
Bis sie zuletzt alle miteinander sangen/das Volk, die Vögel in den Büschen und die Geige; und wenn sie auf einen Augenblick nachließen, wenn die Nachtigallen so aufschluchzten, daß es fast still wurde und die Geigensaiten Atem zu schöpfen schienen, erhob ein unzähliger Chor von Fröschen seine quarrenden Stimmen und sang in einem einstimmigen Gequäk und langgedehnten Unken.
Und so ging es abwechselnd weiter.
Lange zog sich diese Andacht hin, so daß der Schmied schließlich den Gesang zu beschleunigen begann, seine Stimme hob sich mächtig von den anderen ab, er sah sich oft um und rief dabei nach hinten:
»Flinker, Leute! ...« denn manch einer blieb in der Melodie zurück.
Und einmal sogar herrschte er den kleinen Mathies von Klemb an:
»Gröhl' nicht, du Dämlack, du bist hier nicht hinter der Viehherde!«
Es kam mehr Einigkeit in die Stimmen, die sich nun gemeinsam erhoben und wie Taubenschwärme langsam kreisend in den dunkelnden Himmel hineinschwebten.
»Gute Nacht, duftende Lilienblüte!
Gute Nacht!
Unbefleckte Maria, voll Güte!
Gute Nacht!«
Die Dunkelheit würde dichter, und eine warme und stille Nacht umhüllte die Welt, während am Himmel wie silbern zerfließender Tau die Sterne auftauchten, als sie auseinanderzugehen begannen.
Die Mädchen faßten sich unter und sangen im Gehen.
Anna kehrte, mit dem Kindchen im Arm, ganz allein und in Gedanken versunken nach Hause, als der Schmied sie plötzlich einholte und neben ihr herschritt.
Sie sprach nicht; erst vor dem Haus, da sie sah, daß er nicht von ihr ließ, sagte sie:
»Wollt ihr eintreten, Michael?«
»Ich setz' mich etwas auf die Galerie und sag' euch was,« flüsterte er auf sie ein.
Sie erschauerte, denn sie ahnte schon ein neues Unheil.
»Ihr seid wohl bei Antek gewesen?« fing er als erster an.
»Ich war da, aber sie haben mich nicht hineingelassen.«
»Das hab' ich gerade befürchtet.«
»Sprecht, was wollt ihr denn!« Es durchlief sie kalt.
»Was soll ich da wollen? ... Ich weiß nur, was ich aus dem Serschanten heraushorchen konnte.«
»Was denn?« Sie lehnte sich gegen eine Holzsäule und preßte das Kind fester an die Brust.
»Er sagte, daß sie Antek nicht vor der Verhandlung freilassen würden.«
»Warum denn?« Kaum konnte sie die Worte herausbringen, denn ein Beben war in ihr. »Doch aber ... der Advokat hat gesagt, sie würden ihn vielleicht freilassen.«
»Hale, daß er ihnen auf und davonläuft! So ganz ohne Handhabe lassen sie ihn nicht! Ich bin heute ganz als Freund zu euch gekommen. Was da zwischen uns gewesen ist, das ist gewesen; ihr werdet es noch einmal sehen, daß ich recht hatte ... Ihr habt mir nicht geglaubt ... gut ... Aber jetzt hört, was ich euch sagen werde ... und ich sag' euch die Wahrheit, wie dem Priester auf der Beichte ... Mit Antek steht es schlecht! Die werden ihn schwer bestrafen, zehn Jahre kriegt er vielleicht ... Hört ihr es?«
»Ich hör' schon, aber glauben tu' ich nicht viel davon,« beruhigte sie sich plötzlich.
»Manch einer glaubt nicht, bis er es selbst probiert hat. Ich hab' euch die reine Wahrheit gesagt.«
»Das tut ihr immer,« lachte sie verächtlich.
Er fuhr auf und versuchte sie eifrig zu überzeugen, daß er jetzt einfach aus Freundschaft gekommen wäre, nur um was zu helfen. Sie hörte zu, aber ihre Augen irrten durch den Torweg, und ein paarmal erhob sie sich ungeduldig: die noch nicht gemolkenen Kühe brüllten im Stall, die Gänse waren für die Nacht nicht eingetrieben, und ein Füllen jagte sich mit Waupa um die Wette im Heckenweg umher, die beiden Burschen aber hörte man in der Scheune räsonieren. Natürlich glaubte sie ihm kein Wort. Laß ihn sich ausreden, vielleicht zeigt es sich, weswegen er gekommen ist,« dachte sie, auf ihrer Hut bleibend.
»Was soll man da helfen? Was nur?« Sie redete, um nur etwas zu sagen.
»Einen Rat würde ich schon finden,« sagte er noch leiser.
Sie wandte ihm den Rücken.
»Man müßte eine Kaution stellen, dann lassen sie ihn noch vor der Verhandlung frei, da wird er sich schon helfen können, wenn es selbst bis nach Amerika wäre ... greifen werden sie ihn schon nicht können.«
»Jesus Maria! Nach Amerika!« schrie sie unwillkürlich auf.
»Seid nur still, ich sprech' hier wie unter dem heiligen Eid, so hat es der Gutsherr geraten: Mag er fliehen, hat er gesagt, wenigstens zehn Jahre kriegt er ... ganz zunicht wird er werden ... Gestern erst hat er es mir gesagt.«
»Aus dem Dorf heraus ... vom eigenen Boden ... von den Kindern ... Jesus!« Das nur hatte sie begriffen.
»Gebt nur eine Kaution, und den Rest wird schon Antek bestimmen, tut es nur ...«
»Woher soll ich es denn nehmen? ... Mein Gott, so weit fort ... von allem ...«
»Fünfhundert Rubel wollen sie! Ihr habt doch das vom Vater ... nehmt es für die Kaution ... wir können uns dann später miteinander abfinden ... nur daß man was hilft ...«
Sie sprang auf.
»Wie ein Hund bellt ihr nur ein und dasselbe, immerzu!« Sie wollte weggehen.
»Ihr springt da wie eine Dumme,« brauste er auf. »Ich habe es doch nur so gesagt. Hale, wird hier die Vornehme spielen, wegen jedem Wort, und der Mann wird im Gefängnis verfaulen. Ich werd' es ihm sagen, wie ihr euch Mühe macht, ihm zu helfen.«
Sie setzte sich wieder, ohne zu wissen, was sie noch denken sollte.
Er erzählte ihr ausführlich über Amerika, über Bekannte, die dort hingegangen waren; Briefe schrieben sie von dort und hatten selbst Geld für die Ihrigen geschickt. Wie gut es dort wäre, wie jeder seinen Willen hätte, welche Reichtümer sie dort erwarteten. Antek könnte gleich fliehen; er kennt einen Juden, der schon manchen ausgeführt hat, denn es waren doch gewiß nicht wenige, die da fortliefen. Anna hätte dann später nachkommen können, damit man es nicht merken sollte. Kommt Gschela vom Militär zurück, dann könnte er es vom Erbteil abbezahlen, und wenn nicht, dann würde sich auch anderweitig leicht ein Käufer finden. Fragt den Priester, ihr werdet sehen, daß er euch meine Worte bestätigen wird. Ihr werdet es sehen, daß ich es aufrichtig meine, nicht für meinen Vorteil. ... Nur laßt vor keinem was fallen, daß die Schandarmen nichts merken, sonst werden sie ihn auch nicht für Tausende freilassen und werden ihn noch in Ketten legen,« schloß er mit Nachdruck.
»Woher nur das Geld zum Auslösen nehmen? So viel!« stöhnte sie auf.
»Ich kenne einen in Modlica, der würde für gute Prozente was geben ... ich kenne auch andere noch ... Geld würde sich schon finden ... das ist mein Verstand schon ... ich werde euch helfen.«
Und lange noch unterwies und beredete er sie.
»Bedenkt, man muß rasch was beschließen.«
Er ging leise davon, so daß sie gar nicht merkte, wie er sich in die Nacht verloren hatte.
Es war schon spät, im Haus schliefen sie schon; nur Witek saß noch auf der Mauerbank, als müßte er die Bäuerin bewachen; im Dorf war schon alles zur Ruhe gegangen, selbst die Hunde bellten nicht; man hörte nur das Wasser gurgeln, und die Nachtigallen sangen in den Gärten. Der Mond war aufgegangen und schob sich wie eine silberne Sichel durch die furchtbaren, dunklen Weiten. Weiße, niedrig kriechende Nebel bedeckten die Wiesen, und über den Roggenfeldern hing eine fahle Wolke des Blütenstaubes; zwischen den Bäumen gleißte der Weiher wie eine Eisfläche. Es summte einem in den Ohren von dieser Stille und von dem Schlagen der Nachtigallen.
Anna saß noch immer auf derselben Stelle wie angenagelt.
»Jesus, aus dem Dorf fliehen, weg vom eigenen Grund und Boden, von allem hier,« dachte und überlegte sie immer nur das eine.
Ein Grauen hatte sie erfaßt, von Minute zu Minute sich steigernd und das Herz in einem furchtbaren Weh und Entsetzen zusammenfressend.
Waupa fing an, auf dem Hof zu heulen, die Nachtigallen verstummten, es kam ein Wind auf, die Schatten fingen an zu wanken, und ein aufstöhnendes Rauschen durchlief die Gärten.
»Der hat Jakobs Seele gesehen!« flüsterte Witek, sich ängstlich bekreuzigend.
»Ein Dummkopf bist du!« wies sie ihn zurecht und trieb ihn an, schlafen zu gehen.
»Als ob er nur einmal käme; immer kommt er, zu den Pferden geht er, schüttet ihnen Hafer zu ... als ob es nur einmal wäre!«
Sie hörte nicht mehr hin, wieder war Stille über die Welt gesunken, die Nachtigallen fingen abermals an ihre Lieder zu singen, und sie saß wie versteinert da und wiederholte nur hin und wieder qualvoll und ängstlich:
»In die weite Welt fliehen! Für immer! Barmherziger Jesus! Für immer! ...«