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Initial Es war im Morgengrauen zur Frühlingszeit.

Der Apriltag stand träge von seinem Lager aus Dunkelheit und Nebel auf, wie ein Knecht, der erschöpft schlafen gegangen ist und ohne sich ganz ausgeruht zu haben bei Tagesanbruch wieder aufspringen und zum Pflug greifen muß.

Es tagte schon.

Aber reglos lag noch die Stille über allem, nur der Tau, der an den wie in undurchdringlicher Trübe schlafenden Bäumen hing, tropfte dicht hernieder.

Der Himmel über der schwarzen Erde, die stumm und noch ganz im Dunkel verloren dalag, hing hoch oben wie ein ganz von Feuchtigkeit durchtränktes bläuliches Tuch und wurde allmählich heller.

Die Nebel hatten sich wie schäumige, frischgemolkene Milch über die Wiesen und tiefgelegenen Felder ergossen. Von irgendwo aus den noch verhüllten Dörfern fingen die Hähne an wie im Wetteifer zu krähen.

Die letzten Sterne erstarben wie Augen, die voll Schlaftrunkenheit sind.

Im Osten aber begann die Morgenröte aufzuglühen wie Feuersglut unter erkalteter Asche.

Die Nebel wogten jäh auf, blähten sich und drängten in einem trägen Schwall wie die Wasser der Frühlingsschmelze gegen die schwarzen Äcker an, und sie wehten wie Weihrauchdunst in blauen Gespinsten himmelwärts.

Der Tag gebar sich und rang schon mit der erblassenden Nacht, die sich über die Erde nur noch wie ein dicker durchnäßter Schafpelz legte.

Der Himmel ließ, sich immer dichter über die Erde herabsenkend, langsam eine Helle fluten, so daß schon hier und dort die nebelumsponnnenen Schöpfe der Bäume ins Licht tauchten, und anderswo, auf den Anhöhen, entstiegen graue taudurchtränkte Felder aus der Nacht, Teiche blinkten mit ihren angelaufenen Spiegelflächen, und die Bäche zogen sich wie lange betaute Gespinste durch die dünner werdenden Nebel der Morgendämmerung dahin.

Es tagte immer mehr; die Morgenröte fing nach allen Seiten an, durch das tote Blau hindurchzusickern, so daß es über den Himmel zu leuchten begann wie von unsichtbaren Feuerbränden; es wurde so schön hell, daß die Wälder schon ringsherum wie ein dunkler Reifen hervorwuchsen und der lange Weg mit der Doppelreihe der Pappelbäume sich immer klarer ins Licht hinausschob; dicht beieinander stiegen sie hügelwärts wie ermattet im schweren Emporklimmen.

Die Dörfer, die noch wie ertrunken in dem erdennahen Dämmer schienen, wurden hier und da gegen das Morgenrot sichtbar wie schwarze Steine, die aus schaumbedecktem Wasser aufragen, und manch ein Baum, der näher stand, glitzerte schon silbrig im Taugefunkel und Morgenglanz.

Die Sonne war noch nicht da, man fühlte nur, daß sie jeden Augenblick sich aus der Glut herausschälen würde, um über der Welt aufzugehen, die noch bis zuletzt sich auszuschlafen schien, träge die umnebelten Augen öffnete, sich langsam ernüchterte, aber immer noch zu bequem war, sich aus dem süßen, erquickenden Morgenschlummer aufzurütteln, denn eine noch größere Stille senkte sich herab, in den Ohren konnte man sein Blut summen hören. Es war als hätte die Erde ihren Atem angehalten / nur leise wie die Atemzüge eines Kindes kam vom Wald ein Lüftlein herübergezogen und schüttelte die Tauperlen von den Bäumen.

Bis aus diesem blassen Zwielicht des Morgengrauens, aus diesen noch schlafbefangenen, dämmerigen Feldern, auf denen es noch war wie in der Kirche, die andachtsstumm und versunken daliegt, bevor der Priester das heilige Sakrament dem Volke zeigt, plötzlich ein Lerchensingen emporschoß ...

Es riß sich irgendwo vom Ackerland los, flog auf und begann zu klingen wie eine Betglocke aus purem Silber; es hob sich wie ein Frühlingsreis in den blassen Morgenhimmel, stieg himmelwärts, wurde lauter, so daß es in dieser heiligen Stille des Tagesanbruchs weit hinaus in die Welt erklang.

Es fingen nun auch die anderen Lerchen an emporzusteigen, mit den Flügeln zu schlagen, himmelwärts zu schweben und eifrig singend der fühlenden Kreatur den Morgen zu verkünden.

Danach ließen die Kiebitze ihren klagenden Ruf vom Moor herüber ertönen.

Die Störche begannen recht vernehmbar irgendwo in den noch undeutlich sichtbaren Siedelungen zu klappern.

Die Sonne war schon ganz nahe.

Und schließlich erschien sie auch hinter den fernen Wäldern, schob sich aus einem Abgrund empor, als höben unsichtbare Gotteshände einen erglühenden Hostienteller über dem schlafbefangenen Erdenland und segneten die Welt mit dem Segen des Lichts, die Lebenden und die Toten, alles was geboren wird und in Todesschauern erbebt; es war als begönne die heilige Messe des Tages – alles fiel jäh in den Staub vor dieser Majestät und verstummte, die unwürdigen Augen senkend.

Und der Tag war gekommen wie ein grenzenloses Meer seligen Lichtes.

Die Nebel stiegen wie Weihrauch von den Wiesen zum durchgoldeten Himmel auf, und die Vögel und jegliches Geschöpf stimmten den großen Lärm des Singens wie ein herzliches Dankgebet an.

Die Sonne wuchs immer höher, sie erhob sich über schwarze Forste, über zahllose Dörfer, immer höher und nahm groß, glühend und Wärme spendend, wie das heilige Auge der göttlichen Gnade, die Welt in ihre machtvolle und süße Gewalt.

Gerade um diese Zeit erschien auf der sandigen Anhöhe am Wald an den Lupinenschobern des Gutshofs, die unweit der breiten und ausgefahrenen Landstraße standen, die alte Agathe, die weitläufige Verwandte der Klembs.

Sie kehrte vom Bettel heim, vom Jesuserwerb, auf den sie noch zur Zeit der Kartoffelernte hinausgewandert war, sie zog jetzt wie das liebe Vogelvolk, das stets zur Lenzzeit in seine Nester kehrt, zum Heimatdorfe hin.

Eine arme, schwache Alte war sie, ausgemergelt und kaum noch atmend; sie schien wie eine schiefe, morsche Weide am Straßenrand, in der kaum noch Leben glimmt und die im Sandboden verdorren muß; sie kam natürlich ganz in Lumpen gehüllt, mit einem Bettelstock in der Hand und mit Rosenkränzen für die vielen Gebete behangen, ihres Weges gegangen und schleppte Bettelsäcke auf dem Rücken.

Sie kroch gerade bei Sonnenaufgang hinter den Schobern hervor, trippelte emsig vorwärts und hob ihr ausgetrocknetes Antlitz, das fahl wie die vorjährigen Brachfelder war, sonnenwärts; ihre grauen, geröteten Augen blitzten freudig.

Warum denn auch nicht! ... nach einem langen und schweren Winter kehrte sie in ihr Heimatdorf zurück, sie setzte selbst zum Laufen an, daß ihr die Bettelsäcke an den Seiten hochsprangen und die Rosenkränze aufklirrten; da es ihr aber den Atem benahm und die böse Kurzatmigkeit immer wieder ihre schmerzende Brust ankam, so mußte sie öfters anhalten und den Schritt verlangsamen; zuletzt schleppte sie sich nur noch mit Mühe vorwärts, aber ihre begierigen Augen irrten durch die Welt; sie lächelte den grauen Feldern zu, die von einem wie grünlich angelaufenen Dunst verhüllt waren, dem Dorf, das allmählich aus den Nebelfluten emporstieg, den noch kahlen Bäumen, die die Wege bewachten, oder einsam auf den Feldern Wachtposten standen / der ganzen Welt sandte sie ihr Lächeln entgegen!

Die Sonne hatte sich schon ein paar Mann hoch erhoben, so daß man sogar die weitesten Ränder der Felder sehen konnte, alles glitzerte im rosigen Tau: die schwarzen Äcker gleißten im Sonnenstrahl, das Wasser in den Gräben spielte im Licht, Lerchenstimmen schmetterten in der kühlen Morgenluft, und hier und da glimmten noch an den Steinhaufen die letzten Schneeflecke, gelbe Kätzchen zitterten an manchem Baum wie Schnüre aus Bernstein, an den geschützten Stellen aber und um die angewärmten Tümpel drängten sich zwischen rostigen vorjährigen Blättern goldige Halme junger Gräser ans Licht; hier und da sahen die gelben Augen der Butterblumen hervor. Nun fing auch das Morgenlüftlein an, leicht die frischen, feuchten Düfte der sich träge sonnenden Felder zusammenzuraffen und auseinanderzustreuen, und überall schien die Welt so lenzlich, frei und hell, obgleich auch noch etwas grau, und alles atmete eine solche Wohligkeit, daß sich in Agathe die Seele losreißen wollte, um wie ein freudetrunkener Vogel, der mit einem hellen Ruf in die Welt hinausschreit, vorauszufliegen.

»Mein Jesus! liebes Jesuskindelein!« konnte sie kaum hin und wieder vor sich hinstöhnen; sie setzte sich ab und zu nieder, und es war ihr, als müsse sie die ganze Welt in ihr vor Freude bebendes, übervolles Herz nehmen.

Hei! der Lenz war es doch, der über die endlos weiten Felder hergezogen kam. Lerchenlieder kündeten ihn der Welt an, die heilige Sonne und der liebkosende Wind, warm und süß wie Mutterküsse, waren seine Vorboten / die noch verhaltenen Atemzüge der Äcker, die sehnsüchtig der Pflüge und der Saaten harrten, die Freudelaute, die von überall herflogen, und die warme erfrischende Luft, die wie geschwellt war mit allem, was bald Laub, Blüte und volle Ähre werden sollte.

Hei! die Lenzzeit kam doch daher wie eine hohe Herrin im Sommerkleide, mit einem jungen Mäulchen wie Morgenrot, mit hellen Zöpfen blauer Bäche, sie kam von der Sonne her, zog an jenen Apriltagen über die Erde, ließ aus den ausgebreiteten heiligen Händen Lerchen fliegen, daß sie Freude verkündeten, und ihr nach zogen mit freudigem Ruf die Kranichzüge, und Schnüre von Wildgänsen schwebten am blassen Himmel vorüber, und über den Wiesen wiegten sich die Störche, und um die Hütten schwebten die zwitschernden Schwalben/die ganze geflügelte Welt zog mit Gesang daher, und wo nur ihr Sonnenkleid die Erde berührte, da hoben sich zitternde Gräser empor, klebrige Knospen quollen auf, schossen grüne Triebe hervor und raunten scheue Blättlein sich etwas zu, und das neue, üppige, mächtige Leben stand auf. Die Frühlingsfee aber zog schon durch die ganze Welt von Osten nach Westen wie eine allmächtige Abgesandte göttlicher Gnade, die rings um sich Wohltaten spendet...

Hei! der Lenz umfaßte schon die zur Erde niedergebückten schiefen Hütten, sah mit mitleidigen Augen unter die Strohdächer, weckte das müde, umnachtete Ackerland der Menschenherzen zu neuem Leben auf, daß sie sich aus ihrer Nacht und ihren Kümmernissen erhoben in einem neuen Glauben an ein besseres Los, an reichere Ernten und an jene ersehnte Stunde des Glücks ...

Die ganze Welt hallte vor Leben wider, wie eine tote Glocke, in der ein neuer Klöppel schwingt, ein Klöppel aus Sonnengold, so daß sie hoch her erklingt, läutet, freudvoll tönt, die Ermatteten weckt und solche Dinge, solche Geschehnisse offenbart, solche Wunder und Mächte kündet, daß die Herzen frohen Widerklang geben, daß die Tränen von selbst aus den Augen fließen, daß die Menschenseele aufersteht voll unsterblicher Macht, und vor Freude niederkniend, das Erdenrund umfaßt, die ganze Welt, jede aufquellende Scholle, jeden Baum, jeden Stein und jede Wolke und alles, was sie nur sehen und fühlen kann ...

So empfand es auch Agathe, langsam vor sich hinhumpelnd und mit lechzenden Augen ihre liebe, heilige Heimaterde verschlingend; sie ging wie trunken daher.

Erst als die Betglocke auf der Dorfkirche von Lipce aufjauchzte, wie ein zur Andacht rufendes Vöglein, kam die Alte plötzlich zu sich und fiel auf die Knie.

»... und daß du durch deine heilige Vermittelung bewirkt hast, daß ich heimgekehrt bin ...

... daß du, Herr, deine Gnade der armen Waise zuteil hast werden lassen ...«

Konnte sie denn da beten, wenn ihr die Tränen wie niederrieselnder Regen das Herz überfluteten und über das abgezehrte Gesicht flossen, so daß sie nur irgendwas vor sich hinmurmelte und dermaßen zitterte, daß daran nicht zu denken war, weder den Rosenkranz noch jene Worte des Gebets zu erhaschen, die wie heiße Tropfen über ihre Seele rannen? Also riß sie sich denn mit Macht empor und ging, aufmerksam die Felder beäugend und laut hin und wieder ein Wort des Gebetes hersagend, das ihr plötzlich eingefallen war, ihres Weges weiter.

Da es aber schon fast heller Tag war und die Nebel ganz gefallen waren, so tauchte plötzlich Lipce so nahe wie auf der Handfläche vor ihr auf: es lag etwas talabwärts an dem großen Weiher, der wie ein Spiegel unter seiner lichten Hülle blaute, ringsherum um das Wasser saßen die weiten niedrigen Höfe, die wie recht von sich eingenommene Gevatterinnen sich in den noch fahlen Obstgärten niederhockten. Hier und da hob sich Rauch aus den Schornsteinen der Strohdächer, hier und da blitzten die Fensterscheiben in der Sonne, oder die frisch gekalkten Wände schimmerten durch die schwärzlichen Gärten.

Sie konnte jedes Haus für sich sehen. Versteht sich, am Rande des Dorfes stand die Mühle, deren gurgelndes Geratter immer lebhafter zu ihr drang, und sie ging geradeswegs draufzu, und gegenüber, fast am anderen Ende, hob noch immer die Kirche ihre hohen, weißen Mauern zwischen großen Bäumen und blinkte mit den Fenstern und dem goldenen Kreuz auf der Turmkugel, und daneben sah man die schwärzlichen Dachziegel des Pfarrhofes. Und weit in der Runde, so weit man nur sehen konnte, bildeten die Wälder einen bläulichen Kranz, breiteten sich endlose Felder aus, lagen ferne Dörfer, die wie Raupen an der Erde hafteten und sich in Gärten versteckten, lagen sich schlängelnde Wege ausgestreckt, erhoben sich Steinhaufen, zogen sich Reihen vorgebeugter Bäume, sandige hier und da mit Wacholder bewachsene Hügel und das schmale Gespinst des Flusses, der gleißend dahinfloß und zwischen den Höfen in den Weiher mündete.

Noch näher aber, rings um das Dorf herum in einem großen Kreis lagen die zu Lipce gehörenden Äcker in Streifen geschnitten wie ausgebreitete Ballen von Sackleinwand bis an die Hügel hin; sie waren ein jedes für sich in Parzellen abgeteilt. Felder schlängelten sich und breiteten sich neben Feldern aus, von krummen Rainen voneinander getrennt, auf denen vielfach breitästige Birnbäume wuchsen, mit Dornsträuchen überwucherte Steinhaufen sich aufrichteten, und schmutzgraue Brachfelder schnitten scharf ins goldige Licht hinein; dann wieder sah man wie grüne Fächer die Saatenfelder, schwärzliche Kartoffeläcker noch vom vorigen Jahr her oder auch schon diesjähriges Ackerland. Aus den Niederungen schimmerten weißlich die Gewässer und zogen sich wie geschmolzener Glast dahin; hinter der Mühle lagen die gelben Wiesen, auf denen hin und wieder klappernd Störche wateten; die Kohlfelder lagen noch so tief unter Wasser, daß nur die Rücken der durchweichten Beete hier und da aufgliederten wie rote auftauchende Fischleiber; weißbäuchige Kibitze umkreisten sie, und auf den Kreuzwegen hielten die heiligen Kreuze und andere Gottesbilder Wacht. Über diesem ganzen Umkreis, der, wo das Dorf sich ausbreitete, etwas tiefer eingesunken lag, hing die glutentbrannte, goldgleißende Sonne und klangen Lerchengesänge. Hin und wieder drangen schon zu ihr die sehnsüchtigen Stimmen des Viehs von den Stallungen her, das gackernde Geschrei der Gänse und weit vernehmbare Menschenstimmen. Plötzlich hauchte auch ein Wind mit seinem lieblichen warmen Atem darüber hinweg, all diese Stimmen sammelnd, und manchmal war es, als wäre die Erde ganz regungslos und versonnen, wie in der heiligen Stunde der Empfängnis.

Auf den Feldern jedoch waren wenige bei der Arbeit zu sehen, höchstens, daß nur gleich hinterm Dorf ein paar Weiber, die den Dung auseinanderstreuten, hier und da herumstocherten; ein scharfer in der Nase kribbelnder Geruch kam von dort in einer schweren Welle.

»Verschlafen haben sie sich, die Faulpelze, oder was, ein solcher Tag, ist doch grad wie ausgesucht, und aufs Feld kommt keiner heraus ... schier betteln tut die Erde um den Pflug!« brummte sie entrüstet vor sich her.

Und um den Ackerbeeten noch näher zu sein, kroch sie von der Landstraße auf den Fußpfad hinunter, der jenseits des Landstraßengrabens lief, wo schon die Tausendschönchen ihre rotbewimperten Äuglein der Sonne öffneten und das Gras dichter grünte.

Wahrhaftig, es war so leer auf den Feldern, daß es wundernahm! Sie wußte es doch noch gut, wie es in anderen Jahren um diese Zeit auf den Ackerbeeten rot von Frauenröcken war, und wie die Welt vor Singen und Mädchengejauchze widerhallte, sie wußte doch, daß es bei einem solchen schönen Wetter schon hohe Zeit für das Ausfahren des Düngers, für das Pflügen und für die Aussaat war; und heute, was war das? Der einzige Mann, den sie irgendwo inmitten der Felder gewahrte, säte etwas, schritt gebückt einher und kehrte um, im Halbkreis den Samen werfend.

»Müssen wohl Erbsen sein, die er da sät, da es so früh ist ... ... Sieh da! der Dominikwittib ihre Burschen, scheint mir, denn akkurat dort müssen ihre Felder kommen ... Daß es euch der barmherzige Herr gedeihen läßt und gute Ernte gibt, ihr Lieben!« flüsterte sie herzlich nach ihnen hin.

Der Feldweg war uneben, schwer gangbar, mit frischen Maulwurfshügeln und mit Steinen bedeckt und stellenweise ganz durchweicht, aber sie achtete nicht darauf, mit Wohlgefallen und Rührung jedes Ackerbeet und jede Feldparzelle für sich betrachtend.

»Dem Pfarrer sein Roggen, fein üppig macht er sich! ... Das ist wahr, als ich in die Welt hinaus wanderte, hatte der Knecht den Acker dafür gepflügt, und Hochwürden haben doch noch hier irgendwo gesessen, ich weiß es noch gut ...«

Und wieder humpelte sie weiter, schwer aufseufzend und mit tränenden Augen alles beschauernd.

»Sieh mal an, dem Ploschka sein Roggen ... muß wohl später gesät sein, oder hat er vielleicht zu viel Nässe gekriegt?«

Sie bückte sich mit Mühe und berührte mit den alten, zittrigen Fingern die feuchten Halme, um sie liebevoll wie Kindeshaar zu streicheln.

»Boryna sein Weizen, deftiges Stück! Jawohl! ... Ist doch auch der erste Hofbauer von Lipce ... aber etwas gelblich ist die Saat, sie muß Frost gekriegt haben, oder sonst schon was ... einen schweren Winter hat er durchmachen müssen ...« sann sie und betrachtete an den abgeplatteten Ackerbeeten, an den in den Boden eingedrückten und schlammbedeckten Halmen der Wintersaat die Spuren der Schneeschmelze.

»Haben nicht wenig Not leiden müssen, die Armen hier!« Sie seufzte auf, die Augen mit der Handfläche beschattend, denn ihr entgegen kamen ein paar Burschen vom Dorf her gegangen.

»Wenn das nicht dem Organisten sein Michael ist mit einem von den Organistenjungen. Das geht zur Osterzählung nach Wola, da sie doch solche Körbe schleppen ... Versteht sich, niemand anders.«

Sie bot Gott zum Gruß, als sie näher kamen, sehr zufrieden, mit ihnen einiges reden zu können; aber die Burschen brummten nur einen Gruß zurück und gingen rasch vorüber, in ein eifriges Gespräch miteinander vertieft.

»Von so klein an kenn' ich sie schon, und sie haben mich nicht wiedergekannt!« Es kam sie ein Verdruß an. »Du mein Gott! wie sollten sie sich auch an so ein Bettelweib erinnern! Aber der Michael ist fein groß geworden, gewiß spielt er schon die Orgel für Hochwürden ...«

Sie sann und starrte wieder auf die Landstraße, denn es kam vom Dorfe her ein Jude, der ein ansehnliches Kalb vor sich herschob.

»Von wem ist das gekauft?« fragte sie.

»Der Klemb ihrs!« antwortete der Jude, sich gegen das rotweiße Bullenkalb anstemmend, das störrisch war, sich hin und her drehte und kläglich aufblökte.

»Das ist ganz gewiß von der Bunten ... jawohl ... die ist doch noch vor der Ernte bull'sch geworden ... vielleicht auch von der Grauen ... 'n feines Bullenkalb ...«

Sie sah sich nach ihm mit hofbäuerlichem Wohlwollen um, aber es war nichts mehr von den beiden auf der Landstraße zu sehen: das Kalb hatte sich losgerissen, sprang ins Feld und raste mit erhobenem Schwanz querfeldein, dem Dorf zustrebend, und der Jude im wehenden Kaftan versuchte ihm den Weg abzuschneiden.

»Den Stert kannst du ihm küssen und schön bitten, dann kehrt es dir um ...« murmelte sie sehr zufrieden.

»Auch auf den Klembschen Feldern nicht eine Seele!« bemerkte sie dabei; aber es war schon keine Zeit zu Überlegungen: das Dorf war so nahe, daß sie den Rauch riechen konnte und in den Gärten die lüftenden Federbetten erblickte; so umfaßte sie also mit den Augen das ganze Dorf noch einmal und tiefste dankbare Freude erfüllte darob ihr Herz, daß der Herr Jesus ihr das vergönnt hatte, diesen Frühling noch zu erleben, daß sie nun zu den Ihren, zu den Verwandten wiederkehren konnte.

Und sie hätte doch unter Fremden wegsterben können, denn schwer krank war sie ja gewesen, aber der Herr Jesus hat sie doch heimwärts geführt.

Damit allein hatte sie doch ihre Seele den langen Winter hindurch vertröstet, damit allein sich zu jeder Zeit neue Kräfte gesammelt, sich damit gegen die Fröste, das Elend und den Tod gewehrt ...

Sie setzte sich an den Büschen nieder, um sich etwas zurechtzumachen, bevor sie das Dorf betrat; aber hatte sie denn die Kräfte dazu, wo sie doch die Freude so mitgenommen hatte, daß jede Faser in ihr bebte und das Herz ihr so zappelte wie ein Vogel, den man erwürgt?

»Es gibt doch gute und mitleidige Menschen, die gibt es noch ...« flüsterte sie, sorgfältig die Bettelsäcke befühlend. Gewiß, sie hatte sich so viel zusammengespart, daß es wohl für ein gutes Begräbnis reichen würde. Seit langen Jahren sann sie doch nur noch darüber und war mit ganzer Seele dabei, damit der Herr Jesus geschehen ließe, wenn die Zeit des Sterbens über sie kommen sollte, daß alles im heimatlichen Dorf, im Bauernhof, auf einem mit Federbetten bedeckten Bett unter einer Reihe von Heiligenbildern vor sich gehen könnte, so wie alle Hofbäuerinnen zu sterben gewohnt waren. Ihr ganzes Leben lang sammelte sie für diesen letzten heiligen Augenblick.

Sie hatte doch schon bei den Klembs auf dem Boden einen Koffer stehen und darin ein ordentliches Federbett, Kissen und Laken und neue Inlets, alles sauber und ungebraucht, um nichts schmutzig zu machen und alles fertig zu haben, und weil auch sonst kein Platz war, wo man die Bettwäsche hintun sollte. Hatte sie denn irgendwo sonst ihre eigene Stube oder ihr eigenes Bett? Mit einer Ecke mußte sie für gewöhnlich fürlieb nehmen, auf einem Strohlager im Stall, oder wie es gerade kam, sich eine Schlafgelegenheit suchen, wo ihr gute Leute erlaubten, den müden Kopf niederzulegen. Sie drängte sich ja auch nie vor unter die Mächtigen und Reichen und klagte nicht über ihr Los, denn sie wußte gut, daß jede Einrichtung in der Welt Gottes Wille wär', der sündige Mensch kann da nichts dran ändern.

So träumte sie nur im stillen und ganz für sich, Gott wegen dieses Hochmuts um Verzeihung bittend, daß sie ein hofbäuerliches Begräbnis haben möchte – darum nur war es ihr in ihren ängstlichen Gebeten zu tun ...

Kein Wunder also, daß sie nun, da sie mit dem letzten Rest ihrer Kräfte und in der Vorahnung des Todes, der wohl nicht lange auf sich warten lassen würde, sich ins Dorf hergeschleppt hatte, nachzurechnen begann, ob sie denn auch nichts vergessen hätte.

Aber nein, sie hatte alles, was nötig war/eine Totenkerze brachte sie mit, sie hatte sie sich erbettelt, als sie einmal einen armen Teufel von Toten bewachen mußte, auch eine Flasche mit geweihtem Wasser war da, und einen neuen Weihwedel hatte sie gekauft, sowie das geweihte Tschenstochauer Muttergottesbildchen, das sie in der Stunde des Sterbens in den Händen halten sollte und die vierzig/ fünfzig Silberlinge für die Beisetzung ... und vielleicht würde es selbst für eine Messe am Sarg reichen mit Licht und Besprengung der Leiche, und sollte es nur in der Vorhalle der Kirche sein! Natürlich wagte sie nicht daran zu denken, daß sie der Priester nach dem Kirchhof hinausbegleiten würde.

Wie sollte das denn möglich sein! ... Nicht jeder Hofbauer kommt zu solcher Ehre und solchem Glück, und außerdem, all ihr Geld hätte für das allein nicht einmal gereicht!

Sie seufzte wehmutsvoll auf, sich wieder erhebend.

Seltsam schwach war es ihr zumute geworden, es stach sie in der Brust, der Husten quälte sie, daß sie sich kaum fortbewegen konnte und immerzu stehenblieb.

»Wenn man mindestens bis zur Heuernte aushalten könnte, oder zum Anfang der großen Ernte,« träumte sie sehnsüchtig vor sich hin und klammerte sich mit ängstlichen Blicken an die nächsten Dorfhäuser.

»Und dann leg' ich mich schon hin und sterbe weg, lieber Herr Jesus, jawohl ....« schien sie sich ängstlich zu entschuldigen wegen dieser sündigen Hoffnung.

Aber es überfiel sie jetzt eine neue Sorge: wer nimmt sie ins Haus für diese Zeit des Sterbens?

»Ich werd' mir schon gute, mitfühlende Menschen aussuchen und verspreche ihnen vielleicht etwas bar Geld, dann werden sie leichter einverstanden sein ... Versteht sich! wer sollte sich da um eine Fremde sorgen und sich sein eigen Haus zuwider machen.«

Daß dieses bei den Klembs, bei der Verwandtschaft, geschehen könnte, daran wagte sie nicht einmal zu denken.

»So viele Kinder, im Haus ist es eng, und auch das Geflügel kriecht jetzt aus den Eiern und braucht Platz, das wäre auch keine Ehre für solche Hofbauern, daß unter ihrem Dach verwandtschaftliches Bettelvolk sterben sollte ...«

Sie sann ohne Groll darüber nach, den Weg betretend, der nach dem etwas erhöhten Damm führte. Dieser war errichtet worden, um das Übertreten des Weihers auf die umliegenden Wiesen und Kohlfelder zu verhüten.

Die Mühle stand neben dem Damm, war aber so tief gelegen, daß die mit Mehlstaub bedeckten Dächer nur etwas über den Weg hinausragten, sie bebte und arbeitete mit dumpfem Lärm.

Und links leuchtete der Weiher, die Sonne schleppte ihr goldenes Haar über die das Himmelsblau spiegelnde Wasserfläche; an den Ufern, die mit gebeugten Erlen bewachsen waren, schnatterten die im Wasser herumplätschernden Gänse und auf den noch etwas schlammigen Wegen trieben sich die Kinder in Haufen herum und schrien vergnügt umher.

Lipce lag zu beiden Seiten des Weihers, wie seit jeher, wie immer wohl vom Anfang der Welt an, ganz in schattigen Obstgärten versteckt und zwischen Heckenwegen.

Agathe schleppte sich mühevoll vorwärts, überflog alles hurtig mit den Augen und sah doch jede Kleinigkeit. Im Müllerhaus, das etwas vom Wege ab lag und einem Gutshause ähnlich war, wehten durch die geöffneten Fenster weiße Gardinen, und die Müllerin selbst saß auf der Schwelle inmitten einer piependen Schar gelber Gössel, die aussahen, als wären sie aus schönstem gelben Wachs gemacht.

Agathe gab Gott zum Gruß und ging leise vorüber, froh, daß sie die Hunde, die sich vor dem Hause herumrekelten, nicht gewittert hatten.

Sie überschritt die Brücke, unter der das Wasser lärmend vorüberfloß, um auf die Mühlenräder zu stürzen; die Wege trennten sich hier und gingen auseinander, wie Arme, die den Weiher umfingen.

Sie schwankte einen Augenblick, aber der Wunsch, alles zu sehen, überwog, so schlug sie sich nach links, den etwas weiteren Weg wählend.

Die Schmiede, die gleich als erstes Haus am Rande stand, war verschlossen und stumm, ein vorderes Wagenteil und etliche rostige Pflüge lagen an den rußigen Wänden herum, aber vom Schmied war keine Spur zu sehen, nur die Schmiedin in Rock und Hemd grub im Garten an der Dorfstraße die Gemüsebeete um.

Agathe blieb jetzt vor jedem Hause stehen, lehnte gegen die niedrigen Steinmauern und sah neugierig in die Einfahrten, in die Heckenwege, in die offenstehenden Flure und Fenster. Die Hunde kläfften sie hier und da an, aber nachdem sie sie berochen hatten und die Landsmännin scheinbar erkannten, kehrten sie um, sich auf die Mauerbänke in den Sonnenschein zu legen.

Und sie ging nun auch ganz langsam Schritt für Schritt, kaum atmend vor Ermattung und mehr noch vor herzlicher Freude.

Sie schob sich so leise vorwärts wie das Lüftlein, das hin und wieder über den Weiher strich und in den rötlichen Erlenkätzchen wühlte, sie war grau und unscheinbar wie die Zäune, wie die schon teilweise abtrocknende Erde, oder auch wie der magere Schatten, der von den kahlen Bäumen auf den Boden fiel und den so gut wie niemand sah.

Und sie freute sich aus ganzem Herzen, daß sie alles so fand, wie sie es im Herbst zurückgelassen hatte.

Sie mußten jetzt Frühstück kochen, denn es qualmte aus den Schornsteinen, und verschiedentlich kamen ihr auch durch die offenen Fenster die Düfte gekochter Kartoffeln entgegen.

Obgleich die Kinder hier und da schrien und auch die ihre Gössel bewachenden Gänse hin und wieder ein ängstliches Gegacker erhoben, war es seltsam still und leer im Dorf.

Die Sonne hatte schon die Hälfte des Weges bis Mittag zurückgelegt, überschüttete die Erde mit lichtem Gold und fing schon an, sich im Teich zu spiegeln, aber niemand hatte es eilig, ins Feld hinauszukommen, kein Wagengeroll klang zwischen den Heckenwegen, es knarrten nirgends wie sonst im Frühjahr die Pflüge, die man aufs Ackerland brachte.

»Zum Jahrmarkt müssen sie gefahren sein, oder was?« dachte sie, immer aufmerksamer Haus um Haus beäugend.

Die Scheunen des Schulzen leuchteten mit ihrem frischen, gelben Holz aus dem blätterlosen Obstgarten, und das Haus von Gulbas, das daneben stand, hatte ein abgerissenes Strohdach, so daß man die Dachlatten wie nacktes Gerippe sehen konnte.

»Die Winde haben es weggerissen, und der Faulpelz hat sich nicht bequemt, es wieder heil zu machen!« brummte sie.

Nebenan saßen die Pritscheks in einer alten, verbogenen Hütte, in der ein paar zerbrochene Fensterscheiben mit Strohwischen zugestopft waren.

Und da war dem Schultheiß sein Hof mit der Giebelseite nach der Straße zu, dem alten Brauch gemäß.

Gleich daneben das Haus der Ploschkas, das sie auf beiden Seiten bewohnten.

Dann der Hof der Balcereks, sie hätte ihn Gott weiß wo erkannt, denn das Haus fiel auf, da die Mädchen die grauen Wände mit Kalk betupft und die Fensterrahmen blau gestrichen hatten.

Und dort wiederum, in einem großen, alten Obstgarten, machten sich die Borynas breit, die ersten und reichsten Hofbauern von Lipce. Die Sonne spiegelte lustig in den sauberen Fensterscheiben, und die Wände leuchteten wie neu geweißt, die Zufahrt war weit, die Wirtschaftsgebäude, die in einer Reihe standen, gerade und so fein, daß manch einer nicht ein solches Wohnhaus hatte, die Zäune heil, und alles in einer solchen Ordnung, wie es selbst in der Holländerkolonie nicht besser sein konnte.

Und weiter hinten stand das Haus der Täubichs.

Und andere noch, die sie alle wie ein Gebet der Reihe nach auswendig herzählen konnte. Doch überall war es gleich still und leer, man sah nur in den Gärten das rote Bettzeug leuchten, das mit allerhand Kleidungsstücken zusammen gelüftet wurde; kaum daß man hier und da nur mit Rock und Hemd bekleidete Frauen zu sehen bekam, die mit dem Umgraben der Beete beschäftigt waren.

In den geschützten Gartenecken ließ schon der Saatkohl grüne Zöpfe aus den angefaulten Köpfen schießen, an den Wänden drängten sich die blassen Triebe der Lilien aus dem grauen Boden hervor, die junge Kohlsaat ging unter dem Schutz des Belags aus Dornenzweigen auf; die Bäume waren über und über mit angeschwellten klebrigen Knospen bedeckt, und überall an den Zäunen wucherten die Brennnesseln und allerhand anderes Unkraut, auch die Stachelbeersträuche waren mit einem hellen jungen Grün überhaucht.

Es war der wahrhaftige Lenz selber, der geradeswegs vom Himmel niederrieselte und in jedem feuchten Erdenklumpen pulste, und doch schien es seltsam leer und still in Lipce.

»Und nirgendwo ein Mannsbild zu sehen. Es mußte wohl schon so sein, daß sie alle zu Gericht waren oder daß man sie zu einer Versammlung berufen hatte,« versuchte sie sich zu erklären, durch die sperrangelweit geöffnete Tür in die Kirche tretend.

Es war schon nach der Messe, Hochwürden nahm im Beichtstuhl die Beichte ab, an die zwanzig Leute aus ferner gelegenen Dörfern saßen still und in sich gekehrt hinten in den Bänken, so daß nur hin und wieder schwere Seufzer oder lauter gesprochene Worte eines Gebetes in der Kirche vernehmbar wurden.

Von der ewigen Lampe, die an einer Schnur vor dem Hauptaltar hing, zogen sich bläuliche Dunststreifen zu den hohen Fenstern hin, durch die die Sonne hereinfiel; hinter den Fensterscheiben schirpten die Spatzen, hin und wieder flatterte einer durch das Kirchenschiff mit einem Strohhalm im Schnabel, und manchmal flog mit Gezwitscher eine Schwalbe durch die Haupttür herein, kreiste irrend in der von den kühlen Mauern umfangenen Stille und floh eilig wieder in das helle Licht hinaus.

Agathe sprach nur ein kurzes Gebet, so eilig hatte sie es, zu den Klembs zu kommen; gleich vor der Kirche aber begegnete ihr fast Nase an Nase die Gusche.

»Agathe!« rief sie mit großem Staunen.

»Ich leb' noch, Bäuerin, jawohl!« sie wollte ihr die Hand küssen.

»Und man sagte schon, daß ihr die Beine irgendwo in den warmen Ländern von euch gestreckt habt. – Aber es hat bei euch das leichte Jesusbrot nicht angeschlagen, seh ich, ihr guckt mir etwas zu sehr nach Pfarrers Kuhstall hin« ... redete sie spöttisch und betrachtete sie genau.

»Ihr sagt die Wahrheit, Bäuerin ... Kaum habe ich schon hier meine Knochen hergeschleppt ... hier will ich auch langsam eingehen, und lange wird's schon nicht halten.«

»Ihr lauft wohl zu den Klembs?

Die werden euch gern aufnehmen, nicht schlecht gefüllte Bettelsäcke schleppt ihr mit euch, etwas Geld wird wohl auch noch eingeknotet sein, da werden sie euch, versteht sich, gern zu der Verwandtschaft zulassen.«

»Wenn sie nur gesund sind! Wißt ihr es nicht?« Dieses ständige Gespött verdroß sie.

»Die sind gesund ... nur der Tomek, da er etwas herumgekränkelt hat, kuriert sich jetzt im Kriminal.«

»Klemb! Thomas! Redet nicht so was, denn mir ist gar nicht zum Lachen.«

»Ich hab's gesagt und will euch noch zugeben, daß er nicht allein sitzt, sondern in guter Gesellschaft, denn mit dem ganzen Dorf ... Auch die Morgen helfen einem nicht, wenn das Gericht die Tür zuklemmt und einem die Fenster bedrahtet.«

»Jesus Maria, heiliger Joseph!« stöhnte die andere auf, wie zu einer Salzsäule vor Staunen erstarrt.

»Lauft mal rasch zu Tomeks Frau, da werdet ihr euch mit Neuigkeiten füttern können, die süßer sind als Honig. Hi hi! Die Kerle feiern, daß es eine Lust ist!« lachte sie höhnisch auf, und ihre bösen Augen schossen Haßblicke.

Agathe schleppte sich wie betäubt davon, ohne doch dem Gehörten so recht Glauben schenken zu können, sie begegnete ein paar bekannten Frauen, die sie mit einem guten Wort begrüßten und von diesem und jenem zu reden anfingen; aber sie schien ihre Worte gar nicht recht zu hören, eine zehrende Angst durchbebte sie, so daß sie schon absichtlich ihren Gang verlangsamte, um nur die Bestätigung dieser bösen Neuigkeit zu verhüten. Lange saß sie am Staket des Pfarrhofes, gedankenlos auf das Pfarrhaus starrend. Auf der Veranda stand der Storch auf einem Bein, als müsse er über die Hunde wachen, die auf den gelben Kieswegen des Gartens herumtollten, und Ambrosius legte mit einer Magd zusammen Grassoden rund um ein Blumenbeet, das sich schon wie eine rostige Eisenbürste von den jungen Trieben verschiedener Blumen rötete.

Erst als sie wieder etwas zu Kräften gekommen war, schlich sie gebückt in den Heckenweg des Klembschen Hofes, der gleich nebenan in einer Reihe mit dem Pfarrhof stand.

Natürlich kam sie nur bebend weiter, hielt sich an den Zäunen fest und überflog mit verängsteten Augen den Garten mit dem Haus im Hintergrund, aber nur die Kühe hörte man laut an den Fenstern aus ihren Zubern schlürfen, die beiden Flurtüren standen offen, so daß sie das Mutterschwein mit den Ferkeln in einer Pfütze des Hofes liegen sah und die Hühner erblickte, die da eifrig im Mist scharrten.

Nachdem sie einen bereits leeren Zuber vom Boden aufgehoben hatte, denn es war einem doch besser zumute, einzutreten, wenn man irgend etwas in der Hand hielt, schob sie sich in die dämmerige Stube hinein.

»Gelobt sei Jesus Christus!« konnte sie kaum hervorstoßen.

»In Ewigkeit! Wer ist denn da?« ließ sich eine wehleidige Stimme aus der Kammer vernehmen.

»Das bin ich doch, die Agathe!« Jesus, wie hatte es sie unter der Brust gepackt.

»Agathe! Na, sieh' einer nur! Agathe!« redete die Klembbäuerin, rasch auf der Schwelle mit einer vollen Schürze piepsender Gössel erscheinend, die Alten liefen zischend und gackernd hinter ihr her. »Na, Gott sei Dank! Die Leute haben erzählt, daß ihr schon um Weihnacht herum gestorben wäret, man wußte nur nicht, wo, so daß der Meine sich schon nach dem Amt aufmachen wollte, um es auszukundschaften. Setzt euch doch ... gewißlich seid ihr müde. Die Gössel kriechen jetzt gerade aus den Eiern ...«

»Eine feine Brut und so viele!«

»Ja, es wird bald ein Schock sein, fünf fehlen dazu. Kommt vors Haus, man muß ihnen zu fressen geben und aufpassen, daß die Alten sie nicht niedertrampeln.«

Sie holte sie sorgsam aus der Schürze hervor, so daß über kurzem der Boden wie von dottergelben Kugeln zu wimmeln anfing; die Alten begannen inzwischen freudig zu schnattern und mit bedächtig wiegenden Schnäbeln ihren Bewegungen zu folgen.

Die Klembbäuerin trug auf einem Brett gehacktes Ei mit Brennesseln und Grütze heraus und hockte zu ihnen nieder, eifrig achtgebend, denn die Alten stießen auf das Kleinzeug ein, traten es nieder und stahlen das Fressen, wo sie nur konnten, dabei einen grellen Lärm vollführend.

»Die werden alle einen grauen Sattel haben,« bemerkte Agathe, sich auf die Mauerbank niedersetzend.

»Versteht sich, sind doch eine feine Rasse. Die Organistin hat mir die Eier umgetauscht, drei von meinen habe ich ihr für eins geben müssen ... Gut, daß ihr schon gekommen seid ... Arbeit ist so viel da, daß man schon rein nicht weiß, wo man zuerst ansetzen soll.«

»Gleich will ich mich an die Arbeit machen, gleich ... nur daß ich mich erst etwas ausruh ... krank bin ich gewesen, ganz außer Kräften gekommen ... wenn ich mich aber etwas verpuste ... dann gleich ...«

Und sie wollte schon aufstehen, wollte gehen ... um irgendeine Arbeit in Angriff zu nehmen, aber die Arme torkelte nur gegen die Wand und fiel stöhnend auf ihren Sitz zurück.

»Ich seh schon, ihr seid ganz 'runter, arbeiten ist jetzt schon nichts für euch, nee!« sagte die Klemb etwas leiser, Agathes blau angelaufenes und aufgedunsenes Gesicht und ihre seltsam gekrümmte Gestalt betrachtend.

Sie wurde durch diese Besichtigung besorgt und erschrocken, daß man nicht nur keinen Beistand haben würde, sondern selbst noch neue Sorgen zu erwarten hätte.

Agathe schien das vorausgeahnt zu haben, denn sie ließ sich ängstlich und wie entschuldigend vernehmen:

»Seid nicht bange, ich werde euch keinen Platz wegnehmen, oder mich an die Schüssel drängen, nee, nur etwas verpuste ich mich und gehe dann ... ich wollte nur noch euch alle sehen ... nach allem fragen ... aber ich geh dann ...« Die Tränen kamen ihr mit Gewalt in die Augen.

»Ich jag' euch doch nicht weg, ihr könnt bleiben, und wenn es dann euer Wille sein wird, zu gehen, könnt ihr euch wieder aufmachen ...«

»Und wo sind denn die Jungen? Gewiß im Feld mit Tomek?« fragte sie schließlich.

»Wißt ihr denn gar nichts? Die sind doch alle im Kriminal.«

Agathe flocht nur die Hände ineinander im stummen Schmerz.

»Dieses Wort hat mir auch schon die Gusche gesagt, nur habe ich es nicht glauben können.«

»Die reinste Wahrheit hat sie euch gesagt, so ist es, jawohl!«

Sie reckte sich gerade bei dieser Erinnerung, und über das abgezehrte Gesicht rollten schwere Tränen.

Agathe sah sie wie ein Heiligenbild an, ohne zu wagen, auch nur eine Frage zu tun.

»Mein Jesus! Rein das jüngste Gericht hatten wir hier im Dorf, so hat man sie uns denn alle weggenommen und nach der Stadt gebracht, als hätte die letzte Stunde geschlagen, ich sag es euch, ein Wunder, daß ich noch lebe und diesen hellen Tag besehe! Das werden schon morgen ganze drei Wochen sein, und mir scheint es, als ob es erst gestern passiert wäre. Im Haus ist nur der Mathies, ihr wißt doch, und die Mädchen zurückgeblieben, die jetzt den Dünger ins Feld gefahren haben, na, und ich unglückliche Waise!

Wollt ihr denn da weg! Aaszeug ... die eigenen Kinder trampeln sie nieder, wie die Schweine!« schrie sie plötzlich auf die Gänse ein. »Pilusch, pilu/pilu/pilu!«

Sie lockte die Gössel, denn sie waren im ganzen Haufen mit den Muttergänsen in den Heckenweg gelaufen.

»Laßt sie man spielen. Krähen sind nirgends zu sehen, ich werd' schon gut aufpassen.«

»Rühren könnt ihr euch kaum, was wollt ihr da hinter den Gösseln herlaufen! ...«

»Die Krankheit hat schon etwas von mir abgelassen, kaum daß ich hier diese Schwelle betreten habe.«

»Dann paßt auf ... ich werde euch etwas Essen zurechtmachen ... und vielleicht soll man euch Milch aufkochen?«

»Gott bezahl's euch, Bäuerin, aber es ist ja heute Sonnabend im großen Fasten, da paßt es sich nicht, was mit Milch zu essen ... gebt mir irgendeinen Topf kochend Wasser, Brot habe ich, das kann ich dann hineinbrocken und werde ein feines Essen haben.«

Bald brachte auch die Klembbäuerin etwas gesalzenes, heißes Wasser in einer Schüssel, in die die Alte dann das Brot hineinbrockte und, auf den Löffel blasend den Brei, langsam aß, und die Klembbäuerin hockte auf der Hausschwelle nieder, und mit den Augen die Gössel bewachend, die an den Zäunen sich Nahrung herauszupften, erzählte sie weiter.

»Wegen dem Wald ist es gegangen. Der Gutsherr hat ihn heimlich den Juden verkauft. Man fing gleich an, ihn zu schlagen! Es war ein solches Unrecht und von nirgend her Gerechtigkeit, was sollten sie da anfangen? Zu wem mit der Klage gehen? Und obendrein hat er sich gegen das ganze Volk so verbiestert, daß er nicht einen Kätner aus dem Dorf zur Arbeit gerufen hat. Sie haben sich also alle verabredet, und das ganze Dorf ist hingegangen, sein Eigentum zu verteidigen, alles was an Volk nur da war. Man sagte, daß sie alle nicht bestrafen könnten, wenn es dazu kommen sollte, aber an so etwas hat doch niemand gedacht, wie denn auch? Wofür sollten sie wohl auch strafen? Sie haben doch nur für ihr Eigenes eingestanden. Sind nach dem Schlag gegangen, haben die Holzschläger verprügelt, da sie nicht gutwillig gehen wollten, haben die Herrenhofleute verprügelt und alle aus dem Wald gejagt ... Sie haben ihren Willen gehabt, und das der Gerechtigkeit nach, denn solange der Wald nicht verteilt ist, wie es einem jeden zukommt, hat niemand ein Recht was anzurühren. Aber viele von den Unseren sind dabei zuschanden gekommen, den alten Boryna haben sie mit gespaltenem Kopfe heimgebracht: der Förster hat ihn da so zugerichtet; und den wieder hat Boryna sein Antek für den Vater totgeschlagen.«

»Jesus! Totgeschlagen, ganz zu Tode?«

»Ganz zu Tode, und der Alte liegt bis auf den heutigen Tag danieder, ohne daß er wieder zur Besinnung kommen kann, versteht sich, der hat am meisten gelitten; aber auch die anderen nicht wenig. Der Dominikwittib ihr Schymek hatte einen ausgerenkten Fuß, Mathias Täubich haben sie so verhauen, daß sie ihn herfahren mußten; den Stacho Ploschka haben sie den Kopf eingeschlagen, und auch manch anderer hat genug abbekommen, so daß es schwer ist, alles zu behalten, wer und was. Niemand hat sich aber darüber sehr gesorgt oder deswegen viel Lärm gemacht, denn sie hatten ihren Willen durchgesetzt, sie sind auch fein fröhlich mit Gesang heimgekommen, wie nach einem rechten Krieg, die ganze Nacht haben sie vor Freude in der Schenke getrunken, und denen, die am schlimmsten was abbekommen hatten, trugen sie den Schnaps ins Haus.

Und am dritten Tag, grad ein Sonntag war es, der Schnee fiel ganz naß, und es war gleich vom frühen Morgen an ein solches Hundewetter, daß man nicht mal die Nase aus dem Haus stecken mochte. Wir machten uns gerade fertig, zur Kirche zu gehen, als die Gulbasjungen im Dorf herumzuschreien anfingen: ›Die Gendarmen kommen!‹

In einem Paternoster kamen ihrer dreißig angefahren und mit ihnen die Beamten und ein ganzes Gericht, sie hatten sich auf dem Pfarrhof einquartiert. Das kann ich gar nicht sagen, was da nicht alles vor sich gegangen ist, als sie anfingen zu richten, auszufragen, auszuschreiben und das Volk einen nach dem andern unter Bewachung zu nehmen ... Niemand widersetzte sich, jeder war seiner Sache sicher, und alle gaben sie es zu, wie in der heiligen Beichte und sagten die reine Wahrheit. Erst gegen Abend waren sie damit fertig und wollten zuerst das ganze Dorf mit allen Frauen mitschleppen, aber es fing ein solches Geschrei und Kindergeweine an, daß die Männer sich schon nach den Knütteln umsahen. Hochwürden mußte wohl etwas dem Sergeanten vorgestellt haben, daß sie von uns abgelassen haben, selbst Kosiol Seine, die allen mächtig drohte, haben sie nicht genommen, nur die Männer, die haben sie alle ins Kriminal geschleppt, und Boryna seinen Antek ließ man mit Tauen binden!«

»Jesus, mit Tauen ließen sie ihn binden!«

»Das haben sie getan, aber er hat alle zerrissen wie morsches Garn, so daß sie alle Angst gekriegt haben, denn er sah aus, als wäre ihn der Wahnsinn angekommen, oder als hatte ihm der Böse was eingeblasen, und er hat sich vor sie hingestellt und hat ihnen geradeaus ins Gesicht gesagt:

»Schmiedet mich fest in Ketten und paßt auf, sonst werde ich euch noch allesamt umbringen und mir selbst was antun ...«

So hatte er sich verbiestert, daß sie ihm den Vater erschlagen hatten, hat selbst die Hände fürs Eisen hingehalten und sich die Füße noch binden lassen, und so haben sie ihn denn mitgenommen ...«

»Barmherziger Jesus! Maria!« stöhnte Agathe.

»Ich seh es noch und werd' es bis zu meinem Tode nicht vergessen, wie man sie weggeschleppt hat.

Sie haben Meinen mit den Jungen genommen ... haben die Ploschkas genommen ...

Haben die Pritscheks genommen ...

Haben die Täubichs genommen ...

Haben die Wachniks genommen ...

Haben die Balcereks genommen ...

Haben die Sochas genommen ...

... und noch so viele andere, daß sie mehr wie fünfzig Mann ins Kriminal getrieben haben ...

Der Menschenverstand reicht nicht dazu, alles zu sagen, was hier vor sich gegangen ist ... welche blutigen Tränen man hier geweint hat ... und dieses Geschrei und dieser Jammer ... und all das fürchterliche Gefluche.

Und da ist der Frühling gekommen, der Schnee ist rasch abgeflossen, der Acker abgetrocknet, die Erde fleht nur so, daß man sie bestellt, es ist zum Pflügen hohe Zeit, es ist Zeit zum Säen, alle Arbeiten warten schon, und es gibt keinen, der hier was helfen kann!

Nur der Schulze ist übriggeblieben, der Schmied und die paar Alten, die sich kaum rühren können, und von den Burschen nur Jaschek der Verkehrte, der dummliche!

Und da ist noch die Zeit bald da, daß die Frauen niederkommen, ein paar liegen schon, die Kühe kalben auch schon, überall kommt was zur Welt, an die Männer muß man auch denken und ihnen was zu essen heranfahren oder auch bar Geld und das reine Hemd; und so viel andere Arbeit ist noch da, daß man schon gar nicht weiß, was man zuerst anfassen soll, allein wird man doch nicht fertig, und Lohnarbeiter aus anderen Dörfern kann man auch nicht kriegen, denn jeder muß doch erst sein Eigenes machen ...«

»Lassen sie sie denn bald frei?«

»Das weiß der liebe Gott, wann! Der Pfarrer ist nach dem Amt hingewesen, der Schulze ist hingewesen, sie sagen, daß man sie freiläßt, wenn die Untersuchung zu Ende ist, da doch das Gericht erst später sein soll, aber schon drei Wochen sind vergangen, und noch keiner ist heimgekehrt. Rochus ist auch Donnerstag hingewesen, um sich zu erkundigen.«

»Lebt denn der Boryna noch?«

»Er lebt, nur daß er kaum noch Atem in sich hat, und zur Besinnung kommt er auch nicht; wie ein Holzklotz liegt er da ... Die Anna hat Doktoren hergeholt und verschiedene andere, die sich darauf auskennen, helfen tut da aber nichts ...«

»Das ist schon so, werden da Doktoren helfen, wenn einer auf den Tod krank ist!«

Sie verstummten erschöpft. Die Klembbäuerin sah durch den Obstgarten auf den nach der Stadt führenden Pappelweg, der sich fern hinzog, und weinte leise vor sich hin, immer wieder an der Nase herumputzend ...

Und später, während sie geschäftig an der Zubereitung des Mittagessens herumhantierte, erzählte sie bedächtig alles, was im Laufe des Winters im Dorf geschehen war und wovon Agathe nicht das mindeste wußte.

Bis die Alte die Hände auseinanderbreitete und sich ganz duckte vor Staunen und Entsetzen, denn diese Neuigkeiten fielen auf sie nieder wie Steine und erfüllten ihre Seele mit solchem Kummer und Schmerz, daß sie leise zu schluchzen begann.

»Mein Gott, da draußen habe ich in einem fort an Lipce gedacht, aber daß solche Sachen da passieren könnten, ist mir nicht einmal in den Kopf gekommen ... da hab' ich selbst solange ich lebe von nichts Ähnlichem gehört! Das Böse hat sich hier ganz festgesetzt, oder was?«

»Versteht sich, es kommt schon darauf hinaus.«

»Und vielleicht ist das alles Gottes Strafe für Menschenbosheit und für die Sünden!«

»Gewiß ist es nichts anderes. Der Herr Jesus straft für solche Todessünden, wie diese zwischen Antek und seiner Stiefmutter. Und neue Sünden sind da auch noch im Gange und geschehen vor aller Augen.«

Agathe fürchtete schon noch weiter zu fragen, sie erhob nur die zitternde Hand und fing an, sich rasch zu bekreuzigen und inbrünstig ein Gebet zu murmeln.

»Ein solches Unglück ist über das Volk gekommen, und der Boryna liegt auch wie tot da, und man sagt,« sie dämpfte die Stimme und sah sich ängstlich um, »daß die Jaguscha sich schon mit dem Schulzen ordentlich eingelassen hat ... Da es keinen Antek mehr gibt, keinen Mathias und auch keine anderen Burschen, so ist auch der erste beste gut genug, wenn es nur ein deftiges Mannsbild ist ... Oh diese Welt, diese Welt! ...« stöhnte sie auf, die Hände vor Grauen ringend.

Die Alte sagte schon gar nichts mehr, sie fühlte sich plötzlich ermattet und so durch diese Neuigkeiten ergriffen, daß sie sich nach dem Kuhstall hinschleppte, um dort auszuruhen.

Erst gerade bei Sonnenuntergang sah man sie sich ins Dorf zu Bekannten begeben, sie kehrte erst zurück, als man bei den Klembs schon an den Abendschüsseln saß.

Ein Löffel wartete auf sie und auch ein Platz, versteht sich, nicht der erste, aber immerhin auch nicht der letzte, denn neben der Bäuerin selbst, aber sie aß kaum was, wie ein verwöhntes Kindlein, dem nichts recht ist, sie redete nur immerzu mit leiser Stimme über die Welt und jene Orte, wo man Sündenablaß bekommen kann, die sie alle besucht hatte, so daß man sich mächtig darüber wunderte.

Als aber die Nacht sich gesenkt hatte, so daß auch die auf den Fensterscheiben schillernden Abendscheine erloschen und das Dorf ganz stumm wurde, brannte man in der Stube das Licht an und begann, sich zum Schlafengehen zu bereiten; da trug Agathe die Bettelsäcke ans Licht und holte langsam allerlei Verschiedenes, das sie mitgebracht hatte, daraus hervor.

Man schloß um sie einen dichten Kreis, den Atem anhaltend, und sah mit gierigen Augen zu.

Sie aber gab zuerst jedem ein geweihtes heiliges Bildchen, dann den Mädchen so prachtvolle Perlenschnüre, daß sie nur so in allen Farben spielten; ein Lärm entstand darob in der Stube, so drängte sich das Weibsvolk um die Wette zum Spiegel, um zu probieren, sich an ihrem Anblick zu ergötzen und wie aufgeplusterte Puten die Hälse zu blähen; dann fanden sich auch für die Klembburschen Taschenmesser mit einer wirklichen Kastrierklinge dran, und ein ganzes Päckchen Knaster für Klemb, und zum Schluß nahm sie auch eine breite, gewellte und mit bunten Fäden eingefaßte Halskrause für die Hofbäuerin heraus, so daß diese einfach aus großem Vergnügen darüber die Hände zusammenschlug ...

Man freute sich allerseits nicht wenig, besah immer wieder diese Herrlichkeiten und ergötzte die Augen an den Geschenken. Agathe aber erzählte ihnen sehr befriedigt und mit Behagen, wieviel jedes gekostet hatte und wo es gekauft war.

Bis lange in die Nacht saßen sie noch, über die Abwesenden sich besprechend.

»Die Angst packt einen geradezu bei der Gurgel, so still ist es im Dorf!« bemerkte schließlich Agathe, als alle verstummten und dumpfes, totes Schweigen sie überfiel. »Wie war es in anderen Jahren um diese Frühlingszeit, da war doch das ganze Dorf voll Geschrei und Lachen! Mich dünkt es hier schon rein wie ein offenes Grab, nur daß da noch jemand einen Stein draufzuwälzen brauchte und dann Kreuze darüber ... da wäre denn schon kaum einer da, der das Gebet darüber hersagen könnte oder die Messe stiften ...« bejahte die Klembbäuerin trübsinnig.

»Das ist so! Wenn ihr erlaubt, Bäuerin, dann möchte ich schon auf den Boden gehen, die Knochen tun mir weh von dem weiten Weg, und auch die Augen fallen schon zu.«

»Legt euch schlafen, wo es euch gefällt, an Platz fehlt es ja nicht.«

Die Alte sammelte gleich die Säcke und fing an, vom Flur aus die Bodenleiter hinaufzuklettern, als die Klembbäuerin durch die offene Tür hinter ihr drein zu sprechen begann:

»Hale! fast hätte ich es vergessen, euch zu sagen, daß wir euer Federbett aus der Lade genommen haben ... Marzicha hatte zu Fastnacht die Pocken gehabt ... es war eine solche Kälte, und zum Zudecken gab's da nichts ... da haben wir es von euch geborgt ... Es ist schon ausgelüftet und kann selbst morgen nach oben kommen, wenn ihr wollt.«

»Das Federbett ... euer Wille ... versteht sich, wenn es nötig war ... versteht sich ...«

Etwas schnürte ihr die Kehle zu, so daß sie mitten im Reden stecken blieb; sie schleppte sich tastend bis an die Truhe heran, hockte nieder und begann, nachdem sie den Deckel hochgehoben hatte, eifrig mit zitternden Händen darin zu kramen und ihre Totenaussteuer zu befühlen ...

Wirklich ... das Federbett war nicht da ... und ein ganz neues hatte sie zurückgelassen ... in einem ganz sauberen Bezug ... nicht ein einziges Mal war es gebraucht ... sie hatte es sich doch von den auf den Gänseweiden herumliegenden Federn zusammengelesen ... um es für jene letzte Stunde des Todes bereit zu haben.

Und genommen haben sie es ihr ... genommen ...

Ein klägliches Weinen ergriff sie, das Herz wollte ihr schier springen.

Und lange sprach sie ihr Gebet, die Worte reichlich mit bitteren Tränen netzend; lange weinte sie schmerzlich und beklagte sich vor dem lieben Herrn Jesus über das ihr geschehene Unrecht ...

Es mußte schon spät in der Nacht sein, denn die Hähne fingen an, Mitternacht auszukrähen, vielleicht krähten sie auch zum Witterungswechsel.


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