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Auf die seltsame Neuigkeit hin, die ihr am nächsten Morgen Bylica brachte, wollte sich Anna vom Bett erheben, aber die Gusche griff noch zur rechten Zeit zu und drückte sie in die Kissen zurück. »Rührt euch nicht, es brennt ja doch nirgendwo!« »Weil der Vater so was sagt, daß es mir ganz wirr im Kopf geworden ist; wascht euch den Schädel mit geweihtem Wasser ab, Vater, dann wird euch die Narrheit loslassen.«
»Nee, Hanusch, ich hab' doch meinen Verstand, das hab' ich, und die Wahrheit hab' ich gesagt, daß der Herr Jacek seit gestern bei mir wohnt ... jawohl ...« brummte Bylica, sich zum Niesen krümmend, nachdem er eine tüchtige Prise zu sich genommen hatte.
»Der scheint schon ganz dumm geworden zu sein! Seht mal zu, ob sie nicht zurückkommen, sie werden mir das Kind noch ganz aushungern.«
»Von der Kirche sieht man noch niemanden kommen!« erklärte Gusche, nach einer Weile wieder daran gehend, das Zimmer weiter auszuräumen und es mit Sand zu bestreuen.
Der Alte nieste hartnäckig einmal übers andere; so daß er aus die Bank niedersitzen mußte.
»Ihr trompetet wie in der Stadt auf dem Markplatz!«
»Weil er stark ist, der Tabak des Herrn Jacek, ein ganzes Paket hat er mir gegeben ... ein ganzes ...«
Es war noch früh am Morgen, durchs Fenster sah die helle, warme Sonne, die Bäume im Garten schaukelten im Wind und durch die offene Tür schoben sich vom Flur aus ein paar Gänsehälse hindurch, rote zischende Schnäbel wurden sichtbar, und eine ganze schlammbeschmutzte Gänseherde mit ihren piepsenden Gösseln versuchte in die Stube einzudringen. Plötzlich knurrte ein Hund irgendwo auf, die Gänse erhoben ein Geschrei, und die Glucken, die auf den Eiern saßen, fingen an ängstlich aufzugackern und von den Nestern aufzuflattern.
»Treibt sie doch in den Obstgarten, da finden sie vielleicht schon etwas Gras, wo sie sich dran 'ranmachen können.«
»Ich jag' sie schon hinaus, Hanusch, und paß auf, wegen der Krähen ...«
Es wurde wieder still in der Stube, nur das Rauschen der Bäume drang von draußen herein, und die Welten schaukelten leise an der schwarzen Balkendecke.
»Was machen denn da die Jungen?« fragte Anna nach einem längeren Schweigen.
»Der Pjetrek pflügt das Kartoffelfeld am Hügel, und Witek ist mit der Egge auf den Flachsbeeten in der Schweinskuhle.«
»Ist es denn da nicht zu feucht?«
»Das schon, die Stiefel bleiben einem noch ganz stecken, aber wenn es mal geeggt wird, trocknet es rascher ab.«
»Ehe sich die Erde zum Säen anwärmt, werd' ich vielleicht schon aufstehen können ...«
»Denkt jetzt an euch, die Arbeit wird euch schon niemand wegstehlen!«
»Sind denn die Kühe schon gemolken?«
»Ich hab' es selbst getan, denn die Jagna hat die Gelten vor dem Kuhstall hingestellt und ist irgendwo weggegangen.«
»In einem fort treibt sie sich im Dorf herum wie ein Hund, man hat weder Hilfe noch Nutzen von ihr. Hale, sagt doch der Kobus, daß ich ihr ein paar Beete zum Kohlpflanzen geben werde und laß den Pjetrek da Dünger hinausfahren und umpflügen, aber vier Tage Lohnarbeit muß ich für jedes Beet haben! Beim Einlegen der Kartoffeln könnte sie die Hälfte abarbeiten und den Rest zur Erntezeit.«
»Die Kosiol möchte auch ein Beet für Flachs haben.«
»Die wird viel dafür leisten, gerad' was der Hund sich zusammenwinselt. Mag sie anderswo suchen, sie hat voriges Jahr genug gegen Vater im ganzen Dorf gebellt, daß er sie übervorteilt hat.«
»Wie ihr meint, euer Grund und Boden, da ist es auch euer Wille! Philipka ist gestern während eurer Niederkunft dagewesen, wegen der Kartoffeln.«
»Wollte sie was für Geld?«
»Abarbeiten wollte sie es; bei denen da ist kein roter Heller zu finden, sie hungern sich nur so eben durch.«
»Einen halben polnischen Scheffel zum Essen kann sie sich gleich nehmen, und wird sie noch mehr brauchen, da muß sie warten bis die Kartoffeln eingelegt sind, man weiß ja nicht, wieviel übrigbleibt. Wenn Fine kommt, dann kann sie die Kartoffeln abmessen, obschon die Philipka keine gute Arbeiterin ist, na! ... die tut nur so, als ob sie arbeitete ...«
»Wovon soll sie denn die Kräfte haben? Die ißt und schläft nicht ihr Teil und jedes Jahr eine Geburt.«
»Das ist eine Not, du lieber Jesus, die Ernte ist noch so weit und die Vorerntenot schon vor der Türe.«
»Vor der Türe! Die sitzt schon in den Häusern und schnürt die Bäuche zusammen, daß man kaum atmen kann.«
»Habt ihr schon die Sau herausgelassen?«
»Sie hat sich an die Wand gelegt, die Ferkel sind aber fein, schön rund wie Semmeln.«
Bylica erschien in der Tür und fing an, irgendwas zu reden:
»Die Gänse sind unten bei den Stachelbeeren geblieben ... Da ist sich gestern der Herr Jacek am Feiertag zu mir gekommen und hat gesagt: ›Ich ziehe zu dir, Bylica, als Mieter, und bezahl' es dir gut‹ ... Ich dachte: der hält den Bauer für einen Dummen wie das so bei den seinen Herren Mode ist; da hab' ich ihm gesagt: ›Geld brauch' ich, und freie Zimmer hab' ich auch!‹ Da hat er gelacht und mir ein Paket Petersburger Tabak gegeben, hat sich das Haus angesehen und hat gesagt: ›Könnt ihr hier wohnen, so werd' ich auch damit fertig, und das Haus werden wir uns langsam ausbessern, daß es uns für ein Herrenhaus reicht!‹«
»Sieh mal einer, so'n Edelmann, dem Gutsherrn sein Bruder!« wunderte sich die Alte.
»Er hat sich ein Lager neben dem meinen zurechtgemacht und sitzt jetzt da. Als ich wegging, hat er eine Zigarette geraucht und die Spatzen mit Korn herangelockt.«
»Und was soll er denn da essen?«
»Die Töpfe hat er mitgebracht und kocht immerzu Tee, den trinkt er denn ...«
»Umsonst macht er das nicht, da muß was dabei sein, daß solch ein Herr ...«
»Das ist dabei, daß er ganz dumm geworden ist! Jeder Mensch müht sich immerzu und sorgt, daß er es besser hat; und so ein Herr möchte es schlechter haben? Den Verstand hat er verloren, das ist nichts anderes,« redete Anna, den Kopf hochhebend, denn auf dem Heckenweg ertönten Menschenstimmen.
Man kehrte schon mit dem Täufling aus der Kirche zurück. Voraus trug Fine unter der Obhut der Dominikbäuerin das Kind in einem Steckkissen, das mit einem Tuch zugedeckt war, hinter ihnen kamen der Schulze mit der Ploschkabäuerin, die man beide zu Paten geladen hatte, und zum Schluß stelzte Ambrosius hintennach, außerstande, mit ihnen gleichen Schritt zu halten.
Doch bevor sie über die Schwelle traten, nahm die Dominikbäuerin das Kind an sich und ging damit, nachdem sie sich bekreuzigt hatte, einem alten Brauch gemäß um das Haus herum, an den Ecken blieb sie stehen, an jeder eigens die Worte hersagend:
»Im Osten/hier weht es ...
Im Norden/hier kühlt es ...
Im Westen/hier dunkelt es ...
Im Süden/hier stürmt es ...
Und überall habe acht, Menschenseele, vor dem Bösen
und vertraue auf Gott.«
»Will fromm sein und ist solch eine Zauberin, diese Dominikwittib!« lachte der Schulze.
»Das Gebet hilft, aber auch das Besprechen schadet nichts, das weiß man ja!« flüsterte die Ploschkabäuerin.
Sie traten geräuschvoll in die Stube. Die Dominikbäuerin wickelte das Kind aus und reichte es splitternackt der Mutter hin, es war krebsrot.
»Einen wahren Christen, dem auf der heiligen Taufe der Name Rochus gegeben worden ist, bringen wir euch hier, Mutter. Möge er euch zur Freude gedeihen!«
»Und laß ihn ein Dutzend von Rochussen zeugen! Ein tüchtiger Kerl: geschrien hat er, daß man ihn gar nicht bei der Taufe zu zwicken brauchte, und das Salz hat er nur so ausgespuckt, daß man lachen mußte ...«
»Weil er aus einer Familie kommt, die sich nicht gegen den Schnaps verschworen hat,« ließ sich Ambrosius vernehmen.
Der Junge greinte und strampelte mit den Beinchen auf dem Federbett, die Dominikbäuerin benetzte ihm mit Schnaps die Augen, die Lippen und die Stirn und gab ihn dann erst Anna an die Brust. Er saugte sich mächtig fest und wurde ganz still.
Anna dankte den Gevattern herzlich, küßte sich mit ihnen und entschuldigte sich, daß die Tauffeier nicht so sei, wie sie für einen Boryna sein müßte.
»Im nächsten Jahre, wenn ihr einen vierten zur Welt bringt, wollen wir das nachholen!« scherzte der Schulze, sich den Schnurrbart glättend, denn das Schnapsglas war schon bis zu ihm gelangt.
»Eine Taufe ohne Vater, das ist wie eine Sünde ohne Vergebung,« ließ sich Ambrosius unbedacht vernehmen.
Darauf fing Anna an zu weinen, so daß die Frauen ihr zutrinken und sie tröstend umarmen mußten, und nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, fing sie an, die Anwesenden einzuladen, sich ans Essen zu halten; aus der Schüssel duftete ihnen schon Rührei mit Wurst entgegen.
Gusche bewirtete die Taufgesellschaft, denn Fine sang das Kind in den Schlaf, sie schaukelte es in einer großen Mulde, denn an der alten Wiege fehlten die Kufen.
Lange hörte man die Löffel schaben, und keiner sagte ein Wort.
Da aber eine Menge Kinder in den Flur gekommen waren und immer wieder ihre Köpfe in die Stube steckten, so warf ihnen der Schulze eine Handvoll Karamelbonbons hin; mit Geschrei, sich untereinander prügelnd, trollten sie sich bald vors Haus.
»Selbst Ambrosius hat die Zunge im Mund vergessen!« fing die Gusche an.
»Weil er's sich durch den Kopf gehen läßt, daß man für den Jungen eine Wirtschaft und eine Dirn bereithalten muß.«
»Die Wirtschaft, das ist dem Vater seine Sorge, und die Dirn / den Gevattern ihre!«
»An diesem Gezücht wird schon kein Mangel sein! Man wird sie ihm schon von selbst anbieten und noch obendrein was zuzahlen.«
»Der Schulzin wird, wie mir scheint, die Zeit lang ohne ein Kleines; ich hab' heut gesehen, wie sie die Kleidchen, die von den armen Würmern nachgeblieben sind, gelüftet hat!«
»Und der Herr Schulze verspricht, wie ich höre, zum Herbst wieder 'ne Taufe herzurichten!«
»Hat ein solches Amt und vergißt doch nicht, was nötig ist!«
»Es ist auch wirklich traurig, im Haus ohne Kindergeschrei!« sagte er ernst.
»Das ist wahr, man hat mit ihnen seine liebe Not, aber sie sind mit der Zeit auch eine Hilfe und ein Trost.«
»Schöne Leckerbissen! Auch bei Gold hast du Verlust, wenn du es zu teuer kaufen mußt!« brummte die Gusche.
»Gewiß gibt es auch schlechte, die von den Eltern nicht viel halten und hartherzig sind, doch wie die Wurzel, so die Staude, man erntet, was man gesät hat!« seufzte die Dominikbäuerin auf.
Die Gusche wurde wütend, da sie fühlte, daß die Dominikbäuerin auf sie anspielte.
»Ihr könnt leicht über die anderen lachen, da ihr so gute Jungen habt, die auch ihr Teil spinnen und melken und Töpfe auswaschen, wie die geschicktesten Mädchen.«
»Weil sie in Ehrlichkeit erzogen sind und in Gehorsam.«
»Das ist wahr, sie halten selbst die Mäuler hin, wenn sie was drauf kriegen sollen! Wie abgeguckt und abgemalt, ganz der Vater! Gewiß, wie die Wurzel, so die Staude, da habt ihr die Wahrheit gesagt, denn ich weiß es ja noch, wie ihr es in euren jüngeren Tagen mit den Burschen gehalten habt, so wundert es mich denn auch nicht, daß Jaguscha ganz nach euch geraten ist, sie ist in allem ganz wie ihr: wenn ein Stecken was wollte und hätte eine Mannsmütze auf ... dann würde sie's ihm nicht verwehren aus Güte,« zischte sie ihr dicht am Ohr, so daß diese ganz blaß wurde und den Kopf immer tiefer beugte.
Jagna ging gerade über den Flur, Anna rief sie und bewirtete sie mit Schnaps: sie trank aus, und ohne auf irgend jemand zu sehen, ging sie auf ihre Seite.
Der Schulze wurde mürrisch, denn er wartete vergeblich darauf, daß sie wiederkommen würde.
Das Gespräch wollte nicht in Gang kommen, er horchte und ließ heimlich seine Augen hinter ihr drein gehen, als sie plötzlich wieder im Hof auftauchte.
Auch die Frauen hatten keine Lust zum Reden: die beiden Alten bohrten sich mit ihren wütenden Blicken an, und die Ploschkabäuerin redete leise mit Anna herum. Nur Ambrosius ließ die Flasche nicht locker, und obgleich niemand zuhörte, redete er allerhand vor sich hin und schwindelte die unmöglichsten Dinge vor.
Plötzlich erhob sich der Schulze und tat, als ob er hinters Haus wollte, aber er schlich sich durch den Garten auf den Hof. Jaguscha saß an der Schwelle des Kuhstalles und gab dem scheckigen Kalb vom Finger zu trinken.
Er sah sich ängstlich um und stopfte ihr eine Tüte Karamelbonbons hinters Mieder.
»Hier hast du was, Jagusch, komm, wenn es dunkelt, zum Juden in den Alkoven, da gibt es was Besseres.«
Und ohne auf die Antwort zu warten, kehrte er eilig in die Stube zurück.
»Ho, ho! ein schönes Bullenkalb habt ihr da, das werdet ihr gut verkaufen,« redete er, seinen Kapotrock aufknöpfend.
»Der ist zur Zucht, denn er ist aus einer herrschaftlichen Rasse.«
»Da werdet ihr sicheren Profit haben, denn dem Müller sein Bulle ist nichts mehr wert. Der Antek wird sich über einen solchen Zuwachs freuen.«
»Mein Jesus! Wann wird der ihn zu sehen bekommen?«
»Das wird nicht lange mehr dauern, das sag' ich euch, ihr könnt's glauben.«
»Auf die anderen wartet man ja schon von Tag zu Tag.«
»Ich sag's ja, daß sie bald kommen werden, etwas weiß man doch von wegen dem Amt ...«
»Das Schlimmste aber ist, daß die Felder nicht warten wollen.«
»Wenn man da nicht zur rechten Zeit die Aussaat besorgt, wie soll einer dann noch ruhig an den Herbst denken!«
Es rollte ein Wagen vorüber. Fine sah hinaus und sagte:
»Der Pfarrer sind mit dem Rochus vorbeigefahren!«
»Der Pfarrer wollte Meßwein kaufen,« erklärte Ambrosius.
»Daß er sich da den Rochus zum Schmecken mitgenommen hat und nicht die Dominikbäuerin!« höhnte Gusche.
Ehe die Dominikbäuerin eine passende Antwort geben konnte, trat der Schmied ein, und der Schulze wandte sich ihm zu mit dem Glas.
»Du hast dich verspätet, Michael, hol' uns jetzt mal ein!«
»Bald werd' ich euch einholen, Gevatter, denn man rennt schon hierher, um euch mitzunehmen ...«
Kaum hatte er das gesagt, als der Schultheiß atemlos hereinkam.
»Kommt schnell, Peter, der Schreiber und die Schendarmen warten schon auf euch.«
»Hundsverdammt, nicht ein Paternoster lang Ruhe hat man! Hale, was soll man da tun, das Amt geht vor ...«
»Schickt sie bald fort und kommt wieder.«
»Werd' ich da noch Zeit über haben. Erst die Untersuchung wegen dem Brand der Gutsmeierei und dann noch der Einbruch bei euch.«
Er lief mit dem Schultheiß hinaus, Anna aber sagte, mit ihren Blicken den Schmied durchbohrend:
»Wenn sie hierherkommen, um alles aufzuschreiben, da könnt ihr ihnen sagen, wie es war, Michael.«
Der Schmied zupfte an seinem Schnurrbart und starrte den Säugling an, tuend, als wollte er ihn ansehen.
»Was kann ich ihnen da sagen? ... Gerade so viel, wie die Fine.«
»Ich werde doch nicht die Dirn zu den Beamten hinausschicken, das paßt sich doch nicht; und sagt nur, daß, soweit bekannt, nichts aus der Kammer weggekommen ist. Ob nicht was anderes verloren gegangen ist, das ... weiß nur der liebe Herrgott ... und ...« Sie strich über das Federbett und hüstelte, um ihm ihr höhnisches Gesicht nicht zu zeigen. Er aber machte nur eine unwillige Bewegung und ging hinaus.
»Ein Schwindelmeier, dieses Biest!« lächelte sie leicht.
»Kurz genug war sie schon, die Tauffeier, nun ist sie auch noch ganz zuschanden gegangen!« klagte Ambrosius, nach der Mütze langend.
»Fine, schneide ihm mal ein Stück Wurst ab, dann kann er sich die Feier zu Hause verlängern.«
»Bin ich denn eine Gans, daß ich trockene Wurst stopfen soll?«
»Gießt euch nur zur Unterlage noch Schnaps ein.«
»Die Klugen sagen: meß die Grütze, ehe du sie in den Topf schüttest, sieh die Finger bei der Arbeit nicht an und zähle die Gläser bei der Bewirtung nicht ...«
»Wo die Teufel läuten, da ist der Saufaus Ministrant!«
So redeten sie miteinander hin und her und sparten nicht an Schnaps; es waren aber nicht einmal zwei Paternoster vorüber, als der Schultheiß von Haus zu Haus zu rennen begann, rufend, daß sie zum Schulzen nach dem Schreiber und den Gendarmen kommen möchten.
Das hatte die Ploschkabäuerin so erbost, daß sie die Arme in die Hüften stemmte und das Mundwerk gegen ihn losließ:
»Ich hab' sie irgendwo stecken ... dem Schulzen seine Befehle! Ist denn das unsere Angelegenheit? Haben wir sie hergebeten, die Schendarmen? Meint er, daß wir die Zeit für sie übrig haben? Wir sind keine Hunde, daß wir auf jeden Pfiff angerannt kommen! Wollen sie was, laß sie sich selbst herbemühen und fragen! Der Weg ist ganz derselbe! Wir gehen nicht hin!« schrie sie, sich dem Häuflein erschrockener Frauen auf der Dorfstraße zugesellend, die sich am Weiher versammelt hatten.
»An die Arbeit, Gevatterinnen, ins Feld; wer was von den Hofbäuerinnen will, der weiß, wo er sie zu suchen hat. Hale, sie sollen es nicht erleben, daß wir bei dem ersten besten Befehle alles liegen lassen und hinrennen, um an den Türen herumzustehen, wie die Hunde, diese Dudelsäcke!« schrie sie, ganz erzürnt.
Sie war nach den Borynas die erste Hofbäuerin im Dorf, so taten sie denn, was sie sagte und rannten auseinander, wie aufgescheuchte Hennen; da die meisten aber sowieso schon im Feld arbeiteten, wurde es ganz leer im Dorf; nur die Kinder spielten hier und da am Weiher, und alte Mütterchen wärmten sich in der Sonne.
Natürlich war der Schreiber ganz giftig darob und schimpfte den Schultheiß ordentlich aus; aber ob er nun wollte oder nicht, er mußte ins Feld hinaus. Lange trieben sie sich da herum, von Ackerbeet zu Ackerbeet stapfend, und fragten die Leute aus, ob nicht jemand was über den Brand der Waldmeierei zu sagen hätte. Natürlich erzählten sie ihm gerade so viel, wie er selbst schon wußte, denn wer wäre da den Gendarmen damit gekommen, was jeder für sich behielt?
Die Beamten hatten auf diese Weise die Zeit bis Mittag vertrödeln müssen, waren über Stock und Stein gerannt, hatten sich über und über mit Dreck besudelt, denn die Äcker waren noch teilweise ganz aufgeweicht, und alles war noch dazu umsonst gewesen.
Sie waren darüber so erzürnt, daß der Sergeant, als sie bei Borynas angekommen waren, um den Einbruch zu protokollieren, von vornherein heftig zu fluchen begann; und als er auf der Galerie auf den alten Bylica stieß, sprang er auf ihn mit geballten Fäusten zu und herrschte ihn an: »Du, Hundeschnauze, warum paßt du nicht auf, daß dir die Diebe nicht ins Haus kommen, was!« Und es dauerte nicht lange, da war er schon mit seinen groben Beschimpfungen bis zu seiner Mutter Mit seinen Beschimpfungen bis zur Mutter angelangt. Beliebtes russisches Schimpfwort. angelangt.
»Paß du meinetwegen auf, denn dazu bist du ja da, ich bin nicht dein Knecht, hast du verstanden!« entgegnete der Alte bissig, aufs tiefste empört.
Der Schreiber brüllte los, er möchte gefälligst das Maul halten, wenn eine Amtsperson mit ihm spräche, sonst würde er ins Loch kommen für seinen Trotz; aber der Alte geriet ganz außer sich vor Wut. Er reckte sich trotzig, und ihn zornig und mit drohenden Blicken anfunkelnd, krächzte er los: »Und was bist du für eine Personage? Der Gemeinde dienst du, die Gemeinde bezahlt dich, dann tu, was dir der Schulze befohlen hat und nimm dich vor den Hofbauern in acht! Sieh mal einer, so'n Stadtfratz von Schreiber! Ißt sich an unserem Brot die Seiten rund und wird hier mit den Menschen umspringen ... auch für dich findet sich ein höheres Amt und eine Strafe ...«
Der Schulze mit dem Schultheißen sprangen hinzu, um ihn zu beschwichtigen, denn Bylica wütete immer mehr und suchte schon mit zitternden Händen nach irgendeinem festen Gegenstand, um sich herum.
»Schreib' mich nur an, die Strafe will ich bezahlen und geb' dir noch Trinkgeld hinzu, wenn's mir gefällt!« rief er. Sie achteten nicht mehr auf ihn und schrieben alles genau auf, die Hausbewohner über den Einbruch ausfragend, Bylica aber murmelte noch immerzu etwas vor sich hin, ging rund um das Haus, sah in alle Winkel und gab selbst dem Hund einen Fußtritt, denn er konnte sich gar nicht beruhigen.
Nachdem sie fertig waren, wollten sie etwas essen, aber Anna hatte sagen lassen, daß gerade Brot und Milch fehlten und nur Kartoffeln vom Frühstück da wären.
So verzogen sie sich denn nach der Schenke, Stein und Bein auf Lipce fluchend.
»Das hast du gut gemacht, Hanusch, die werden dir nichts tun. Jesus, so ist mir selbst der selige Gutsherr nicht gekommen, obgleich er das hat tun dürfen, nee, nee ...«
Lange konnte er die Beleidigung nicht vergessen.
Gleich nach Mittag trat eine der Nachbarinnen ein und sagte, daß die Gendarmen sicher noch in der Schenke sein müßten, und daß der Schultheiß hingelaufen wäre, um die Kosiol zu holen.
»Such' den Wind im Feld!« lachte die Gusche.
»Die ist gewiß in den Wald nach Dürrholz gegangen!«
»In Warschau sitzt sie seit gestern, wegen der Kinder ist sie ins Spital gefahren, sie soll zwei zum Großziehen mitbringen, das heißt von den Findlingen welche ...«
»Um sie totzuhungern, wie es mit den anderen vor zwei Jahren war.«
»Vielleicht ist es auch besser für die armen Würmer; die brauchen sich dann nicht das ganze Leben lang herumzuschinden, wie die Hunde ...«
»Auch ein Bankert ist doch 'n Menschenkind ... die wird sich dafür schwer vor Gott zu verantworten haben.«
»Mit Absicht läßt sie sie nicht hungern, sie ißt sich oft selbst nicht einmal satt, wo soll sie da für die Kinder was hernehmen? ...«
»Man zahlt ihr doch für den Unterhalt, aus Güte nimmt sie sie nicht zu sich!« sagte Anna streng.
»Fünfzig Silberlinge für das ganze Jahr pro Stück, das ist kein großer Staat ...«
»Groß nicht, denn sie vertrinkt alles auf der Stelle, und die armen Kinder sterben dann vor Hunger.«
»Nicht alle: ist denn nicht euer Witek groß geworden und dieser andere, der beim Bauern in Modlica ist?«
»Weil Vater den Witek genommen hat, als er so ein Knirps war, daß er noch am Hemd kaute; im Hause hier hat er sich erst herausgefüttert, mit dem anderen war es ebenso.«
»Verteidige ich denn die Kosiol? ... Ich sag' nur, wie es mir scheint. Die Frau muß ja einen Verdienst suchen, denn sie hat nichts in den Kochtopf zu tun.«
»Versteht sich, Kosiol ist ja nicht da, da kann nichts einkommen.«
»Und mit Agathe ist es ihr nicht geglückt: die Alte ist, anstatt zu sterben, wieder schön gesund geworden und ist von ihr weggezogen. Sie beklagt sich jetzt überall im Dorf, daß ihr die Kosiol Tag für Tag vorgeworfen hat, sie schleppte es mit ihrem Tod nur so hin, um sie zu schädigen.«
»Die kehrt gewiß zu den Klembs zurück: wo soll sie denn sonst bleiben?«
»Die kehrt nicht wieder: sie hat sich auf die Verwandtschaft ganz erzürnt. Die Klembsche wollte sie nicht gern fortlassen, denn die Alte hat ja ihre Betten und gewiß noch ordentlich Geld, aber sie wollte nicht bleiben; sie hat ihren Koffer nach der Schultheißin gebracht und sieht sich um, bei wem sie ruhig sterben könnte.«
»Die wird noch leben und überall kann sie sich jetzt nützlich machen, wenn auch nur beim Gänsehüten und um nach den Kühen zu sehen. Wo hat sich denn wieder die Jagna hingetan?«
»Die kräuselt gewiß beim Organisten dem Fräulein die Falbeln ein.«
»Gerade die rechte Zeit zum Spielen, als ob es hier an Arbeit fehlte!«
»Seit den Feiertagen sitzt sie da in einem zu,« beklagte sich Fine.
»Ich will sie mir mal vornehmen, daß sie an mich denken soll ... Reicht mir doch das Kind herüber.«
Sie nahm es an sich, und nachdem das Essen abgeräumt war, trieb sie alle an die Arbeit. Sie blieb allein in der Stube und horchte hin und wieder auf die Kinder, die vor dem Haus unter Bylicas Obhut spielten, und auf der anderen Seite lag Boryna wie immer allein, starrte ins Sonnenlicht, das sich in einem zuckenden Streifen durchs Zimmer legte, und versuchte eifrig den Glanz, der auf dem Federbett lag, zusammenzuscharren, leise etwas vor sich hinplappernd wie ein Kindlein, das sich selbst überlassen ist.
Im Dorf war es auch ganz leer, denn das Wetter war wie ausgesucht, und wer sich nur rühren konnte, zog hinaus ins Feld.
Seit den Feiertagen schon war es beständig geworden und mit jedem Tag wurde es heller und wärmer.
Die Tage waren schon etwas länger, des Morgens neblig, mittags grau und doch voll Sonnenwärme und dann abends ganz in die hellen Gluten der Sonnenuntergänge getaucht / es waren schon echte Frühlingstage.
Einzelne schleppten sich ganz leise vorüber, wie Bäche, die in der Sonne funkeln, waren auch kühl wie jene und ebenso durchsichtig; sie kamen wie Wellen, die gegen ein Ufer plätschern, waren weit und voll Bläue, und nur hier und da leuchteten sie gelb vor Butterblumen und weiß vor Tausendschönchen und waren geschmückt mit dem zarten Grün der jungen Weiden.
Es kamen auch ganz warme, feuchte, sonnendurchsonnte Tage, die nach Frische dufteten und so voll Wachstum waren, so lenzgeschwellt, so vor Macht trunken, daß man abends, wenn die Vogelstimmen leiser wurden und das Dorf sich schlafen gelegt hatte, schier das Drängen der Wurzeln im Erdboden und das Keimen der Halme fühlte und es einem war, als hörte er das leise Geräusch der sich erschließenden Knospen, das Schießen der neuen Triebe und die Stimmen all der Kreatur, die in Gottes Welt sich gebar ...
Es kamen auch andere Tage, die diesen gar nicht ähnlich waren.
Ohne Sonne, voll Dunst, graublau, niedrig, mit dickbäuchigen Wolken belastet, schwül, schwer und wie Branntwein zu Kopf steigend; die Menschen gingen wie trunken umher, die Bäume überkam ein Beben, und ein Sich-dehnen und jegliches Geschöpf strebte von einem wohligen Drang getrieben aus sich heraus irgendwohin ohne Ziel und ohne Grund, daß man nur schreien, sich recken und ins feuchte Gras sich hätte werfen mögen, wie es die sich wie toll gebärdenden Hunde taten.
Dann kamen wieder solche Tage, die schon vom Morgengrauen an ganz voll Regen waren, wie mit sackleinenem Gewebe umsponnen, so daß man weder die Welt noch die Wege sah, noch die hinter durchnäßten Obstgärten sich niederduckenden Häuser. Der Regen fiel langsam, ständig, ohne Unterbrechung in gleichen, zitternden, grauen Fäden, die sich von einer unsichtbaren Spindel abzuwickeln schienen, Himmel und Erde verbindend, so daß sich alles geduldig vorgebeugt überrieseln ließ, auf das Regengeplätscher und das Rauschen der Wasserrinnsale horchend, die in schaumweißen Bächen von den schwärzlichen Feldern niederrannen.
Es war so wie immer bei jedem Beginn der Lenzzeit, niemand dachte viel darüber nach; Zeit, lange zu grübeln, hatte man auch nicht, denn das Morgengrauen trieb schon die Menschen an die Arbeit, und erst spät am Abend kamen sie bei eintretender Dunkelheit von den Feldern heim; zum Essen und zum Ausruhen wollte ihnen schon gar keine Zeit mehr übrigbleiben.
Auch Lipce war jetzt meist den ganzen Tag leer, es blieb ganz allein unter dem Schutz der alten Mütterchen und Hunde zurück und behütet von den Obstgärten, die immer dichter die Häuser verdeckten; manchmal schleppte sich ein Bettler vorüber, begleitet vom Hundegegeifer, oder es kam ein Wagen vorbei, der zur Mühle wollte; und wieder lagen die Wege menschenleer, und die stummen Häuser sahen durch die Gärten mit ihren angelaufenen Scheibchen auf die weiten, unbegrenzten Felder, die wie mit einem unübersehbaren Ring von Ackerland das ganze Dorf umgaben, es wie eine gute Mutter an den geschwellten Brüsten in einer nährenden Umarmung haltend.
Die warmen, zur Arbeit geeigneten Tage kamen jetzt hin und wieder, von Regenschauern unterbrochen, und einmal fiel selbst noch ein flaumiger Schnee, der die Felder ganz weiß machte; es war aber nur für kurze Zeit, denn gar bald hatte ihn die Sonne ganz verschluckt/so war es denn kein Wunder, daß im Dorf Unfrieden und Gezänk und allerhand anderer Hader plötzlich aufhörten, denn die Arbeit spannte alle in ein hartes Joch ein und beugte alle Köpfe zur Erde.
Jeden Morgen, wenn der taufeuchte Tag seine blassen Augen aufschloß und die ersten Lerchen ihr Lied anstimmten, sprang schon im ganzen Dorf alles vom Lager auf. Lärm erhob sich, man hörte überall Tore gehen, Kinderweinen, das Kreischen der Gänse, die hinausgetrieben wurden, um an den Gräben Futter zu suchen, und bald darauf führte man die Pferde hinaus, die Dorfjungen zogen mit den Pflügen ins Feld, man trug die Kartoffeln auf die Wagen und begab sich so rasch an die Arbeit, daß es in ein bis zwei Paternostern ganz still und leer im Dorf wurde. Selbst zur Messe ging kaum einer mehr, und oft dröhnten die Orgelklänge durch die menschenleere Kirche, während die Menschen erst beim Läuten der Betglocke auf dem Acker zum Morgengebet niederknieten.
Alle waren im Feld an der Arbeit und doch merkte man fast gar nichts; erst wenn einer genauer hinschaute, sah er hier und da ein paar Pflüge und in schwerer Feldarbeit dahinschreitende Pferde oder einen Wagen am Feldrain, und hier und da im gewaltigen Umkreis der Felder, über denen der helle Frühlingshimmel sich spannte, ein paar Frauen, die wie winzige rote Raupen waren, in der Erde wühlen.
Und von Rudka, von Wola und Modlica, von allen Dörfern ringsum, die man mit den Wipfeln ihrer Obstgärten und mit ihren weißen Häuserwänden aus dem fernen Blau auftauchen sah, kam der laute, mit Rufen und Gesang erfüllte Widerhall der Arbeit. Wohin nur das Auge über die Grenzraine reichte, sah man Männer beim Säen, Pflüge, die in die Erde schnitten, Menschen beim Kartoffeleinlegen, und auf den sandigen Stellen zogen Staubwolken hinter den Eggen her.
Nur das zu Lipce gehörende Land lag fast überall wie erstarrt in seiner Ruhe, schwermütig und kahl da, wie unfruchtbares Ödland. Ganz verwaist lagen die Felder, denn die Frauenhände, obgleich das ganze Dorf sich im Schweiße seines Angesichts von früh bis spät mühte, bedeuteten doch nicht mehr wie im besten Fall ein kleiner Teil der Männer.
Was konnten sie denn allein tun? Sie machten sich eifrig an den Kartoffel- und Flachsbeeten zu schaffen, und auf dem Rest der Felder lockten sich die Rebhühner mit immer lauter vernehmbaren Rufen, oder ein Häschen kam dahergesprungen so langsam, daß man zählen konnte, wievielmal er seinen Spiegel weiß aufblitzen ließ; die Krähen spazierten in Haufen auf den brachliegenden Feldparzellen, die sich wie träge unter der Sonne dehnten und vergeblich auf die emsigen Menschenhände warteten.
Was hatte denn das Volk davon, daß die Tage wie ausgesucht schön waren, daß sie des Morgens aufstanden wie in Silber gebadete, goldene Monstranzen, daß sie voll frischen Grüns waren, nach jungen Kräutern dufteten und von Vogelsingen widerhallten, daß jeder Graben golden leuchtete vor Butterblumen, jeder Rain wie ein mit Tausendschönchen besticktes Band schimmerte und die Wiesen sich wie mit einem Flaum bedeckten, auf den es sich wie ein rosiger Hauch von Blüten legte, daß jedes Bäumchen in seinem jungen Blätterreichtum überfloß und die ganze Erde so voll Frühling war, daß es sich in ihr dehnte und in ihr quoll ob all des lenzlichen Werdens.
Was half das aber, wenn die Felder nicht gepflügt und nicht besät waren, wenn sie unbestellt dalagen und wie gesunde, starke Knechte waren, die sich nur in der Sonne herumräkeln und ganze Wochen vertrödeln. Auf dem fetten Ackerboden wucherte anstatt des Getreides der Hederich, schossen die Disteln hoch, wiegte sich der Majoran an tiefer gelegenen Stellen; auf dem im Herbst umgepflügten Acker rottete sich der rostrote Sauerampfer zusammen, kam die Quecke dicht hervorgeschossen, und auf den Roggenstoppelfeldern waren schlanke Königskerzen aufgestanden, und Kletten spreizten sich wie selbstbewußte Gevatterinnen. Alles, was in Heimlichkeit und Angst bis jetzt gelebt hatte, sproßte nun freudig hervor, wucherte üppig, drängte aus den Furchen auf die Ackerbeete hinauf und machte sich auf den Feldern breit.
Etwas Beängstigendes schien von den verlassenen Feldern zu kommen.
Es war, als ob der über dieses Brachland sich beugende Wald erstaunt vor sich hinflüsterte, als ob die Bäche ängstlicher durch das öde Land sich schlängelten und die mit weißen Knospen belasteten Dornsträucher, die Birnbäume auf den Rainen, die vorüberziehenden Vögel, hin und wieder auch ein Wanderer aus der Fremde und selbst die Kreuze und Heiligenbilder aus Holz und Stein, die die Wege bewachten, als ob alles staunend sich umschaute, um die hellen Tage und die leeren brachliegenden Felder zu befragen:
»Wo sind denn die Bauern? Wo sind die Gesänge geblieben und wo die üppige Freude, wo denn nur? ...«
Das Weinen der Frauen erzählte ihnen, was in Lipce geschehen war.
Und so ging Tag auf Tag vorbei ohne eine Wandlung zum Guten; und es kamen selbst jeden Tag fast weniger Frauen ins Feld, man konnte schon kaum mit den rückständigen häuslichen Arbeiten fertig werden.
Nur auf dem Borynahof ging alles wie immer, etwas langsamer freilich als in anderen Jahren und auch ein bißchen schlechter, da der Pjetrek sich erst zur Feldarbeit anlernen mußte, aber es ging doch immerhin vorwärts, es fehlte da auch nicht an hilfsbereiten Arbeitshänden.
Anna, obgleich noch im Bett liegend, ordnete alles so verständig und energisch an, daß selbst Jaguscha mit den anderen sich an die Arbeit machen mußte. Sie dachte an alles zugleich: an das Vieh, an den Kranken, wo gepflügt und gesät werden sollte, und an die Kinder, denn Bylica war seit der Tauffeier nicht wieder erschienen, er sollte erkrankt sein. Sie lag natürlich tagelang ganz allein und sah die Menschen nur so lange, wie die Mittagszeit oder das Abendessen dauerten; nur die Dominikbäuerin machte sich noch täglich um sie zu schaffen, aber keine der Nachbarinnen zeigte sich, selbst Magda nicht; und Rochus war wie verschollen; er blieb fort, seitdem er damals mit dem Pfarrer weggefahren war. Furchtbar lang wurde ihr dieses Liegen; darum auch, um schneller gesund zu werden und zu Kräften zu kommen, sparte sie nicht an fettem Essen, weder an Eiern noch an Fleisch; und sie befahl selbst, für eine Brühe ein Huhn zu schlachten, freilich eins, das keine Eier legte, das aber doch seine zwei Silberlinge wert war.
Sie überwand auch ihr Wochenbett so rasch, daß sie schon am nächsten Sonntag nach Ostern aufstand mit dem Entschluß, zur Kirche zur Reinigung Reinigung: Die polnischen Bäuerinnen begeben sich nach Beendigung des Wochenbetts nach der Kirche und rutschen kniend mit angebrannten Kerzen in den Händen um den Hauptaltar, um auf diese Weise für sich eine Reinigung zu erflehen. Sie halten den Akt des Gebärens für eine Befleckung. zu gehen; die Frauen rieten ihr ab, aber sie hatte es sich in den Kopf gesetzt und ging gleich nach dem Hochamt mit der Ploschkabäuerin hin.
Sie war noch recht schwach auf den Beinen und stützte sich oft auf die Gevatterin.
»Es wird mir ganz schwindelig, so riecht es schon nach Frühling.«
»Ein, zwei Tage, und ihr gewöhnt euch daran.«
»Kaum eine Woche und schon so viel hat sich hier draußen geändert, als wär' es mindestens schon einen Monat her.«
»Auf einem raschen Pferd kommt der Lenz gefahren, den holt man nicht ein.«
»Ist das schon grün, Jesus, ist das grün!«
Tatsächlich hingen die Gärten wie grüne Wolken über der Erde, so daß man darin nur die Schornsteine weiß aufblitzen und die Strohdächer dunkel aufragen sah. In den Büschen zwitscherten eifrig die Vögel, von den Feldern aber strich dicht über der Erde ein warmer Luftzug, so daß das Unkraut an den Zäunen hin und her wogte und der Weiher sich kräuselte und runzelte.
»Tüchtige Knospen sind auf den Kirschbäumen, die werden jeden Augenblick aufbrechen.«
»Wenn der Frost sie nicht noch zuschanden macht, gibt's dieses Jahr eine Menge Obst.«
»Man sagt ja/ist die Ernte schlecht, kommt das Obst zurecht!«
»Das paßt schon auf Lipce, dazu wird es wohl kommen!« ... seufzte sie traurig und sah wehmütig über die Felder, auf denen noch nicht einmal gesät war.
Sie hatten sich beeilt, denn das Kind hatte zu schreien begonnen, und auch darum, weil Anna so müde geworden war, daß sie sich gleich zu Hause aufs Bett legen mußte; sie hatte sich noch gar nicht recht ausgeruht, als Witek mit Geschrei angelaufen kam.
»Bäuerin, die Zigeuner kommen ins Dorf!«
»Da hast du Teufel eine Jacke! Die fehlten noch hier. Ruf Pjetrek und verschließt alle Türen, daß sie nicht was wegnehmen.«
Sie trat voll Angst vor's Haus.
Bald zerstreute sich ein ganzer Haufen Zigeunerinnen über das Dorf. Sie kamen verschlampt und zerlumpt daher, schwarz wie Kochtöpfe, trugen ihre Kinder auf dem Rücken und so lästig, daß Gott behüte; bettelnd gingen sie herum, wollten wahrsagen und drängten sich mit Gewalt in die Stuben. Es waren im ganzen an die zehn Weiber, aber Lärm hatten sie gemacht, daß es im ganzen Dorf widerhallte.
»Fine, treib' die Gänse und Hühner auf den Hof, und bring' die Kinder in die Stube, sonst können sie uns was stehlen!« Sie setzte sich auf die Galerie, um aufzupassen, und als sie ein altes Zigeunerweib erspähte, das nach dem Heckenweg einbog, hetzte sie den Hund darauf. Waupa war ganz wütend geworden und ließ nicht locker, so daß die alte Hexe ihr nur mit dem Stock von weitem drohte und etwas gegen sie anmurmelte.
»Hale, du kannst mir mit deinem Fluchen den Buckel 'runterrutschen, du Diebisches!«
»Die hätte euch schon keinen Zauber angetan, wenn ihr sie auch hereingelassen hättet,« murmelte Jagna höhnisch.
»Aber gestohlen hätte sie was. So eine kann man nicht bewachen, wenn man ihr auch immerzu auf die Finger guckt; wenn ihr euch was wahrsagen lassen wollt, dann rennt doch ihnen nach.«
Sie schien den verborgenen Wunsch richtig getroffen zu haben, denn Jagna ging ins Dorf und lief den ganzen Sonntag nachmittag den Zigeunerinnen nach. Sie konnte sich einer dunklen Angst nicht erwehren, war aber doch begierig, daß man ihr wahrsagte; sie kehrte hundertmal ins Haus zurück und lief ihnen wieder nach, bis sie schließlich in der Dämmerung, als die Zigeunerweiber sich nach dem Wald verzogen und eine in die Schenke eingetreten war, ihr nachfolgte und mit großer Angst, sich immer wieder bekreuzigend, sich von ihr wahrsagen ließ, ohne auf die Leute zu achten, die an der Tonbank standen.
Abends, nachdem man zur Nacht gegessen hatte, kamen die Mädchen zu Fine, schnatterten, auf der Galerie sitzend, über die Zigeuner und erzählten sich gegenseitig, was jeder gewahrsagt worden war ... Der Maruscha Balcerek hatten sie die Hochzeit für die Kartoffelernte vorausgesagt, der Nastuscha viel Geld und einen Mann, Sochas Ulisja, daß sie der Liebhaber sitzen lassen würde, der dicken Veronka von Bartek eine Krankheit und der Therese, der Soldatenfrau ...«
»Einen Bankert, sicherlich!« knurrte die Gusche, die daneben saß.
Sie achteten nicht auf sie, denn gerade hatte sich Pjetrek zu ihnen gesetzt und fing an, Verschiedenes zu erzählen, daß die Zigeuner ihren eigenen König hätten, der große Silberknöpfe trüge und ein solches Ansehen genösse, daß, wenn er selbst zum Spaß einem befehlen würde, sich aufzuhängen, dann würde dieser es sofort tun.
»So'n Diebskönig, so'n Mächtiger, und wird mit Hunden gehetzt,« flüsterte Witek.
»Hundevolk, verfluchte Heiden!« brummte die Gusche, und, näherrückend, erzählte sie, wie die Zigeuner in den Dörfern die Kinder stehlen.
»Damit sie schwarz sind, baden sie sie in einem Aufguß aus Erlenblättern, so daß sie selbst die eigene Mutter nicht wiederkennt, und mit Ziegeln reiben sie bis auf den Knochen diese Stellen ab, wo bei der Taufe das heilige Öl geträufelt ist.«
»Und sie sollen solchen Zauber und solche Besprechungen kennen, daß es einem bange ist, darüber zu reden!« piepste eines der Mädchen.
»Das ist wahr, wenn sie dich nur anhauchen würde, gleich würde dir der Schnurrbart eine Elle lang wachsen.«
»Ihr macht euch lustig! ... Aber man erzählt doch, daß eine alte Zigeunerin einen Bauer im Kirchspiel, das zu Slupia gehört, mit einem Spiegelchen so in die Augen geblitzt hat, daß er gleich blind geworden ist.«
»Und sie sollen die Menschen verwandeln, in was sie nur wollen, selbst in Tiere.«
»Wer sich besäuft, der verwandelt sich selbst am besten in ein Schwein.«
»Hale, und dieser Hofbauer aus Modlica, der voriges Jahr auf der Kirmes da war, ist er nicht auf allen Vieren herumgekrochen und hat er nicht dabei gebellt? ...«
»Der Böse hat ihn besessen gemacht. Hochwürden hat ihm doch erst den Teufel wieder ausgetrieben.«
»Jesus, was es für Sachen in der Welt gibt, daß es einem dabei kalt über die Haut läuft! ...«
»Weil der Böse überall auf der Lauer ist, wie ein Wolf um die Schafherde.«
Angst wehte die Herzen an, so daß sie sich näher zusammen schoben, und Witek begann mit einem plötzlichen Schauer zu erzählen:
»Und bei uns geht es jetzt um ...«
»Red' nicht Unsinn, Dummer!« herrschte ihn Gusche an.
»Wie würd' ich das, es geht doch wirklich jemand im Stall herum und schüttet Hafer in die Krippen, und die Pferde wiehern ... und hinter den Schober geht er, ich hab' gesehen, wie Waupa da hinrannte, und geknurrt hat er auch und mit dem Schweif gewedelt, und sich herumgestrichen hat er auch, da ist aber niemand dagewesen ... Das ist gewiß dem Jakob seine Seele, die hier immer kommt ...« fügte er noch leiser hinzu und sah sich nach allen Seiten um.
»Jakobs Seele!« flüsterte Fine, sich mehrmals hintereinander bekreuzigend.
Sie erbebten alle, ein Frösteln ging ihnen durch Mark und Bein; und als eine Tür aufquietschte, sprangen sie schreiend auf. Es war Anna, die auf der Schwelle erschien.
»Pjetrek, wo haben denn diese Zigeuner ihr Lager?«
»Man sagte in der Kirche, daß sie im Wald hinter dem Borynakreuz stecken.«
»Man muß in der Nacht gut aufpassen, daß sie nicht was . wegtragen.«
»In der Nähe sollen sie doch nicht stehlen.«
»Wie es gerade kommt, vor zwei Jahren haben sie auch da gehalten und haben dem Socha eine Sau gestohlen ... Darauf kann man sich nicht verlassen!« warnte Anna. Und als die Mädchen auseinandergegangen waren, sah sie gut zu, daß die Burschen den Pferdestall und den Kuhstall hinter sich zumachten; auf dem Rückweg aber sah sie auf der väterlichen Hausseite ein, ob Jagna schon zurück wäre.
»Lauf' mal, Fine, die Jagna zu holen, sie möchte heimkommen, denn heute laß ich nicht die Tür die ganze Nacht über offen.«
Aber Fine meldete bald, daß es bei der Dominikbäuerin dunkel sei, und im Dorf schliefen sie fast schon überall.
»Ich laß den Rumtreiber nicht herein, laß sie bis morgen draußen bleiben!« drohte sie, den Türriegel vorschiebend.
Es mußte auch schon recht spät gewesen sein, als sie, nachdem ein Rütteln an der Tür vernehmbar wurde, sich vom Bett schleppte, um zu öffnen; sie fuhr zurück, als ihr ein Schnapsgeruch von der Jagna entgegenkam. Sie mußte stark angetrunken sein, denn lange tastete sie nach der Türklinke, und man konnte hören, wie sie in der Stube gegen die Gegenstände stieß und dann so, wie sie da stand, sich aufs Bett warf.
»Sieh einer, auf einer Kirmes hätte sie sich nicht besser traktieren können, na, na! ...«
Diese Nacht sollte wohl aber nicht ruhig vorübergehen, denn beim Morgengrauen hallte ein solches Geschrei und Wehklagen durchs Dorf, daß, wer noch geschlafen hatte, im Hemd auf die Dorfstraße lief, im Glauben, daß es irgendwo brenne.
Das war aber die Balcerekbäuerin, die mit ihren Töchtern zusammen gottsjämmerlich schrie, die Diebe hätten ihr das Pferd weggeholt.
In einem Nu hatte sich das ganze Dorf vor dem Haus gesammelt, und die Balcerek erzählte, fast geistesabwesend vor Weinen und Klagen, wie Maruscha beim Morgengrauen hinausgegangen war, um Hafer in die Krippen zu tun; und was da / die Tür offen, der Stall leer und kein Pferd an der Krippe!
»Barmherziger Jesus, hilf! Helft, Leute, helft!« brüllte die Alte, sich das Haar raufend und gegen die Zäune taumelnd.
Der Schultheiß kam bald angerannt; man hatte auch nach dem Schulzen geschickt, doch dieser war nicht zu Hause gewesen und erschien erst in einigen Paternostern, kaum imstande, sich auf den Beinen zu halten: er war betrunken, verschlafen und nicht bei klarem Verstand, denn er fing an, etwas vor sich hinzumurmeln, so daß ihn der Schultheiß beiseite nehmen mußte, um ihn den Leuten aus den Augen zu bringen.
Aber auch so achtete kaum einer auf ihn, angesichts der schweren Besorgnis, die wie mit Steinen alle Seelen belastet hatte; sie hörten alle darauf, was von der Balcerekbäuerin erzählt wurde und liefen auf den Weg zwischen Stall und Dorfstraße hin und her, ohne zu wissen, was sie anfangen sollten, ratlos und voll Angst, bis eine laut sagte:
»Das ist ein Zigeunerstreich!«
»Das ist wahr, sie sind im Wald. Gestern haben sie hier herumgeschnüffelt!«
»Kein anderer hat es getan, das ist gewiß!« erhoben sich drohende Stimmen.
»Hinlaufen und wegnehmen und sie verprügeln, die Diebe!« schrie die Gulbas.
»Zu Tode schlagen für solch ein Unrecht!«
Sie machten sich mit einem großen Geschrei auf den Weg, als gerade die Sonne aufging; sie rissen sich Pflöcke aus den Zäunen heraus, drohten mit den Fäusten, liefen unschlüssig hin und her und schickten sich schon an, aufzubrechen, als etwas Neues zutage kam.
Die Schultheißin kam weinend angerannt: man hätte ihnen einen Wagen aus dem Hof gestohlen.
Sie erstarrten, als wäre der Blitz zwischen sie gefahren, und lange Zeit konnten sie nichts als seufzen, die Hände ausbreiten und einander mit Grauen anschauen.
»Ein Pferd und einen Wagen haben sie gestohlen! Gott, so was war noch nie im Dorf passiert.«
»Ist das Gottes Strafgericht, das wohl über Lipce kommt?«
»Jede Woche wird es ja schlimmer!«
»Früher, da ist im ganzen Jahre nicht so viel vorgekommen, wie jetzt in einem Monat.«
»Wie soll das bloß einmal enden, wie nur!« flüsterten sie erschrocken einander zu.
Plötzlich stürzten sie hinter dem Schultheißen drein auf Balcereks Garten zu, wo man auf dem betauten Gras und auf der frischen Erde Pferdespuren sehen konnte, die bis nach der Scheune des Schultheißen führten; dort hatten die Diebe das Pferd vor den Wagen gespannt und waren, das Haus umkreisend, über den Acker neben dem Gewese des Müllers auf den Weg gefahren, der nach Wola führte.
Das halbe Dorf verfolgte schweigend die Spuren, die sich mit einem Male bei den verbrannten Schobern der Waldmeierei verloren.
Dieser Diebstahl hatte alle so besorgt gemacht, daß, obgleich das Wetter herrlich war, nur wenige an die Arbeit gingen; sie trieben sich verärgert umher, rangen die Hände, die Balcerekbäuerin beklagend, und redeten sich in einer immer stärkeren Angst um ihr Hab und Gut hinein.
Die Balcerekbäuerin aber saß vor dem Stall wie an einer Totenbahre, mit ganz verweinten Augen und kaum schon imstande, ein Wort hervorzubringen, nur ab und zu brach sie in Wehklagen aus:
»Mein Brauner, mein einziger, mein liebes Tier, mein bester Knecht! Kaum im zehnten Jahr war er, selbst hab' ich ihn von klein an aufgezogen, wie mein eigen Kind; in demselben Jahr wie mein Stacho ist er doch zur Welt gekommen! Was sollen wir armen Waisen ohne dich beginnen, was denn nur?«
Sie klagte so zum Herzerbarmen, daß alle, die ein weicheres Herz hatten, mitweinten, sich über ihren Verlust ausbreitend; denn ohne Pferd, das ist doch gerade so wie ohne Hände zu sein, und das noch jetzt zur Frühlingszeit und wo die Männer fehlten.
Die Nachbarinnen saßen um sie herum und bemühten sich, ihr mit herzlichen Worten zuzusprechen; sie gedachten gemeinsam des Braunen und ergingen sich in Lobsprüchen auf ihn.
»Es war doch ein schönes Pferd und so kräftig und sanft wie ein Kind.«
»Meinen Jungen hat er mir mal getreten, Gevatterin, aber es war doch ein gutes Tier.«
»Wahr ist es schon, daß er an der Fessel was hatte und schon 'n bißchen blind war, aber immerhin hätte man für ihn an die dreißig Papierer gekriegt.«
»Und lustig war er, wie ein Hund; mal hat er doch die Federbetten von den Zäunen 'runtergerissen? Was?«
»So ein zweites Pferd könnte man lange suchen!« klagte sie leidvoll wie über einen Toten, und die Balcerek ergriff immer wieder ein neues Leid, wenn sie nach der Krippe hinübersah, und immerzu mußte sie neu aufheulen; dieser leere Stall weckte in ihr, wie ein frischer Grabhügel, die Erinnerung an einen unersetzbaren Verlust. Sie beruhigte sich erst, als man ihr sagte, daß der Schultheiß den Pjetrek vom Borynahof, des Pfarrers Walek und den Müllerknecht mitgenommen hätte, und daß sie gemeinsam hingefahren wären, die Zigeuner zu suchen.
»Hale, such' einer den Wind im Feld: wer was gestohlen hat, weiß es auch gut zu verstecken.«
Es war schon gut gegen Abend, als sie zurückkehrten, erzählend, daß sie nirgends eine Spur finden konnten, gerade als hätte einer einen Stein ins Wasser geworfen.
Auch der Schulze ließ sich schließlich blicken, und obgleich es schon dunkelte, nahm der den Schultheiß in seinen Wagen und fuhr hin, den Gendarmen und dem Amt die Sache zu melden; die Balcerekbäuerin aber ging mit ihrer Maruscha in den benachbarten Dörfern auf eigene Faust suchen.
Auch sie kehrten ohne irgendeinen Erfolg zurück, sie erfuhren nur, daß in anderen Dörfern sich die Diebstähle ebenfalls mehrten. Darum fiel auf das Dorf eine noch größere Sorge und die Angst um das eigene Hab und Gut. Der Schulze mußte sogar Wachen bestimmen, und da es an Knechten mangelte, so mußten Nacht für Nacht je zwei Frauen mit ein paar älteren Jungen zusammen im Dorf herumgehen und aufpassen; außerdem wachte man noch in jedem Haus für sich, und alle Mädchen schliefen bei den Pferden und bei den Kühen.
Doch auch dieses half nicht viel, und die Angst wuchs noch, als trotz des Wachens gleich in der nächsten Nacht die Diebe der Philipka jenseits des Weihers eine Muttersau, die gerade vor dem Werfen der Ferkel stand, hinausgeführt hatten.
Es war gar nicht zu beschreiben, was mit der Armen da vor sich ging: sie jammerte so verzweifelt wie nach dem Verlust eines Kindes, denn es war doch auch ihr einziges Hab und Gut, worauf sie rechnen konnte, daß es ihr bis zur Ernte Nahrung gewähren würde; sie brüllte auch dermaßen, mit dem Kopf gegen die Wand dabei schlagend, daß es einem angst und bange wurde, dies mit anzusehen. Selbst zu Hochwürden lief sie mit ihrem Wehklagen hin, so daß er ihr aus Mitgefühl einen ganzen Rubel gab und ihr ein Ferkel versprach von denen, die er zur Erntezeit haben würd.
Das Volk wußte schon gar nicht, wie es die Diebstähle verhindern sollte. Der Tag war wirklich ein wahrer Unglückstag, und da auch zu guter Letzt sich noch das Wetter geändert hatte, ein feiner Regen vom frühen Morgen einpeitschte und ein schwerer grauer Himmel die ganze Welt niederdrückte, so gingen die Leute besorgt umher, seufzten, sahen kummervoll aus und dachten mit Angst an die nächste Nacht.
Wie zum Glück erschien schon ganz am Abend Rochus, und von Haus zu Haus gehend verbreitete er eine so seltsame Kunde, daß es gar nicht zu glauben war. Er erzählte ganz freudig, daß übermorgen, am kommenden Donnerstag, die Nachbarn im ganzen Haufen kommen würden, um Lipce bei der Feldarbeit zu helfen.
Man wollte es zuerst gar nicht glauben; als aber auch Hochwürden ins Dorf ging und feierlichst diese Kunde bestätigte, brach eine solche Freude unter den Menschen aus, daß in der Dämmerung schon, als der Regen nachgelassen hatte, und nur die Pfützen in der Abendröte, die durch die Nässedünste durchgesickert war, aufglühten, auf allen Wegen die Leute herumliefen und sich freudig etwas zuriefen. Man rannte von Nachbar zu Nachbar, um sich alles zu überlegen und sich über die Nachricht zu wundern, man vergaß dabei ganz die Diebstähle und freute sich so herzlich über die unerwartete Hilfe, daß kaum einer selbst wachte in dieser Nacht.
Am nächsten Morgen, kaum hatte sich das Morgengrauen etwas durchgerungen, war das ganze Dorf schon auf den Beinen; man fegte die Häuser, machte sich ans Brotbacken, richtete die Wagen her, schnitt die Kartoffeln durch, zog ins Feld, den Dünger auszustreuen, der noch in Haufen lag / und in manchem Haus trug man schon Sorge für Essen und Getränke zu Ehren dieser unerwarteten Gäste, man begriff nämlich, daß es nötig war, würdig aufzutreten, wie es sich für Hofbauern paßte, darum mußte auch manches Huhn und manche Gans, die zum Verkauf bestimmt waren, ihren Kopf dabei lassen, und viel wurde auf Kredit in der Schenke und in der Mühle genommen, so daß es in Lipce wie vor einem großen Fest aussah.
Und Rochus, wohl der Vergnügteste von allen, machte sich bei den Vorbereitungen den ganzen Tag im Dorf zu schaffen, hier und da noch zur Eile antreibend; er war so strahlend und erstaunlich redselig, daß Anna, die sich schlecht fühlte und wieder zu Bett lag, ihm leise sagte:
»Die Augen leuchten euch, wie bei einer Krankheit ...«
»Ich bin gesund, nur freue ich mich, wie nie noch im Leben. Versteht ihr, wenn so viel Volk hier auf ganze zwei Tage nach Lipce kommt, dann werden sie doch mit den eiligsten Arbeiten fertig. Wie soll man da nicht vergnügt sein?«
»Eins wundert mich nur, daß sie so umsonst, ohne Bezahlung, nur für ein Vergelt's Gott arbeiten wollen ... Das ist doch noch nie dagewesen ...«
»Für ein Vergelt's Gott werden sie kommen, um zu helfen, wie es gerechten Polen und Christenmenschen ziemt! Versteht sich, daß so etwas noch nicht dagewesen ist, darum gerade macht sich das Böse breit in der Welt. Das wird sich mal zum Besseren wenden, ihr werdet es sehen! Das Volk wird zur Vernunft kommen und begreifen, daß es sich aus niemand anders umzusehen hat, daß niemand ihm helfen kann, als nur das Volk sich selbst allein, wenn der eine dem anderen in Not beisteht! So wird es sich auch helfen können und sich mächtig über alles Land ausbreiten, wie ein unbesiegbarer Wald, und seine Feinde werden wie Schnee zergehen! Ihr werdet sehen, es kommt noch solche Zeit!« rief er begeistert und streckte die Hände irgendwohin in die Ferne aus, als wollte er das ganze Volk mit seiner Liebe umfassen, um es zu einem unzertrennlichen Bund zu vereinen ...
Doch er machte sich gleich auf den Weg, als sie ihn auszufragen anfing, wer dieses Wunder bewirkt hätte, daß sie zu Hilfe kommen wollten. Er ging noch lange durchs Dorf, denn bis spät in die Nacht war Licht in allen Häusern, da die Mädchen noch ihren festlichen Staat zurechtlegten, in der Erwartung, daß auch einige Burschen kommen würden.
Und am nächsten Tag, kaum hatte das Morgengrauen die Dächer aufschimmern lassen, war das Dorf schon fertig, es rauchte aus den Schornsteinen, die Mädchen liefen wie toll von Haus zu Haus, und die Jungen stiegen auf Leitern bis auf die Dachfirste, um auf die Landstraße zu sehen. Eine festliche Stille senkte sich nieder. Es war ein wolkiger, sonnenloser, aber warmer Tag gekommen, etwas wie eine Sehnsucht lag in der Luft, die Vögel zwitscherten eifrig in den Obstgärten, und die Stimmen der Menschen schienen gedämpft und schwer in der warmen feuchten Luft zu schweben.
Sie warteten lange, denn erst nachdem man zur Messe abgeläutet hatte, dröhnte es dumpf von der Landstraße herüber, und durch den bläulichen fernen Morgendunst sah man eine Reihe von Wagen rollen.
»Sie kommen aus Wola!«
»Sie kommen aus Rschepki!«
»Sie kommen aus Dembica!«
»Sie kommen aus Pschylenka!«
Man schrie es von allen Seiten, und einer lief noch schneller als der andere nach der Kirche hin, wohin sich schon die ersten Wagen gewendet hatten, und bald darauf war der ganze Platz voll von Menschen und Wagen. Die Männer festlich angetan, sprangen von den Wagen, riefen den von allen Seiten hinzueilenden Frauen Begrüßungsworte zu, und die Kinder erhoben dazwischen ihr lautes Geschrei, die Ankömmlinge umringend.
Sie gingen gleich zur Messe, denn in der Kirche erklang schon die Orgel.
Und als der Priester die Messe zu Ende gelesen hatte, versammelte sich fast das ganze Dorf vor dem Kirchhofstor am Glockenhaus, die Hofbäuerinnen traten hervor, um sie herum die Mädchen, die zu den Burschen hinüberäugten, und die Kätnerinnen standen für sich zu einem Häufchen geschart wie Rebhühner, ohne zu wagen, sich bis Hochwürden vorzudrängen, der bald erschienen war, alle begrüßt hatte und mit Rochus zusammen anzuordnen begann, bei welchem Bauer die einzelnen arbeiten sollten, hauptsächlich darauf achtend, daß die Reicheren zu den Reicheren kämen.
Er hatte alles so rasch bestimmt, daß keine halbe Stunde vergangen war, als jede seine Männer schon mit sich genommen hatte; vor der Kirche blieben nur die verweinten Kätnerinnen und warteten vergeblich, daß ihnen einer zufallen würde; im Dorf aber entstand ein Lärm und ein Leben: man stellte Bänke vor die Häuser hinaus, trug eilig das Frühstück auf und bewirtete mit Schnaps, um sich schneller anzufreunden. Die Mädchen bedienten bereitwillig, selbst kaum das Essen anrührend, denn meistens waren es junge Burschen, die da gekommen waren, und sie hatten sich so herausgeputzt, als wären sie zu ihrer Verlobungsfeier, nicht aber der Arbeit wegen gekommen.
Man hatte jedoch keine Zeit zum langen Hin- und Hererzählen, so sagten sie nur, aus welchen Dörfern sie wären, wie man sie hieße, und aßen selbst wenig, sich dabei recht manierlich damit ausredend, daß sie sich ein reichlicheres Essen noch nicht erarbeitet hätten.
Bald darauf fingen sie an, unter der Leitung der Frauen hinauszufahren.
Es schien, als wäre ein hoher Festtag über das Land gekommen.
Die leeren, bis dahin leblos daliegenden Felder erwachten, die Luft erzitterte vor Menschenstimmen, aus allen Höfen kamen Wagen gerollt, auf allen Pfaden zogen Pflüge dahin, auf allen Rainen sah man Menschen sich vorwärtsbewegen, und von überall, durch die Obstgärten und Felder klangen frohe Zurufe, lustige Begrüßungen, Pferdegewieher und das Knarren der eingetrockneten Wagenräder; die Hunde bellten, hinter den Füllen herjagend, und eine reiche, starke Freude erfüllte die Herzen, sich über den ganzen Umkreis ausbreitend. Sie stellten sich auf den für das Kartoffeleinlegen bestimmten Ackerbeeten, auf den Gersten- und Roggenfeldern, auf den unkrautüberwucherten Brachäckern auf, froh lärmend und mit lauten Zurufen, als wären sie zum Tanz gekommen.
Plötzlich wurde alles still, die Peitschen schnitten durch die Luft, die Ortscheite knirschten auf, die Pferde spannten sich an, und die noch rostigen Pflüge fingen an, langsam sich in die Erde einzufressen, die ersten schwarzen, gleißenden Schollen herausschleudernd, und das Volk reckte sich, zog tief den Atem ein, bekreuzigte sich, ließ die Augen über den Acker in die Runde gehen, beugte sich nieder und griff die mühevolle Arbeit an.
Eine heilige, stumme Andacht umfaßte die Felder, als hätte in diesem unermeßlich freien großen Gottesdom ein Hochamt begonnen. Das Volk hatte sich demütig ans Ackerland gemacht, wurde ganz schweigsam und streute mit stummen Segenswünschen das heilige, fruchtbare Korn aus, gab seine Mühe dran für einen kommenden Erntetag, der Mutter Erde ganz vertrauend.
Hei! wie da die Felder von Lipce auflebten, endlich fühlten sie über sich nach sehnsuchtsvollem Warten die Bauernhand, und so weit das Auge reichen konnte, von dem dunklen Waldstrich bis zu den Anhöhen, wo die Feldgrenzen waren, über das ganze Land hin, in dieser grünlich-grauen dunstigen Luft, in der alles wie in Wasser getaucht schien, sah man rote Röcke, gestreifte Hosen, weiße Bauernkittel blitzen, Pferde mit gebeugten Nacken die Pflugschar ziehen und Wagen an den Rainen stehen.
Es war als hatte ein Bienenschwarm den duftenden Erdboden besetzt und bewegte sich emsig durcheinander in der Stille eines blassen Lenztages; man hörte nur die irgendwo im Unsichtbaren schwebenden Lerchen immer lauter singen; ein Windhauch wehte hin und wieder über das Land, schüttelte die Bäume, blähte die Frauenkleider auf, glättete die Wintersaaten und floh kichernd in den Wald.
Lange Stunden arbeiteten sie so ohne Unterbrechung, sich nur so viel Ruhe gönnend, wie einer brauchte, um sich aufzurecken und Atem zu schöpfen; und wieder machte sich dann jeder über sein Ackerbeet her. Selbst zu Mittag fuhren sie nicht von den Feldern weg, setzten sich nur an den Feldrainen nieder, um etwas aus den Zweierkrügen zu essen und die angespannten Glieder auszuruhen; sobald aber die Pferde gefressen hatten, griffen sie wieder nach den Pflügen, ohne sich lange zu bedenken und zu zögern. Erst bei voller Dämmerung kehrten sie ins Dorf zurück.
Gleich wurde es in den Häusern hell, Stimmen erklangen, und ein Gelauf hub an; durchs ganze Dorf leuchteten die Herdfeuer, die durch die offenen Fenster und Türen ihre Feuerscheine auf die Dorfstraße warfen; in jedem Haus war man eifrig an der Zubereitung der Abendmahlzeit. Ein Lärm erhob sich, Zurufe, Pferdewiehern wurden laut, die Torangeln knarrten, Kälber blökten, die für die Nacht eingetriebenen Gänse schnatterten hinter den Umzäunungen, Kinder kreischten, und das Dorf hallte vor freudigem Lärm wider.
Es wurde erst stiller, als die Hausfrauen die Männer an die Schüsseln luden. Da sie ihnen eine Ehre antun wollten, hatten sie sie auf die ersten Plätze gesetzt, steckten ihnen die besten Bissen zu und sparten auch nicht mit Branntwein.
Überall war man beim Abendessen, durch die offenen Fenster und Türen konnte man die im Halbkreis sitzenden Leute sehen, die eifrig kauten, und ein Schaben von Löffeln hören; gute fette Düfte schlugen einem von überall entgegen.
Nur Rochus setzte sich nirgends für länger hin, er ging von Haus zu Haus, redete freundlich zu, besprach sich und ging wieder weiter zu anderen und immer wieder anderen, wie ein fürsorglicher Wirt, der an alles zugleich denkt; er freute sich mit dem ganzen Dorf und vielleicht ganz heimlich noch etwas mehr.
Selbst bei Anna merkte man den heutigen Festtag, denn obgleich sie keine Hilfe brauchte, so hatte sie doch, um es den anderen leichter zu machen, zwei von den Rschepetzkischen, die bei Veronka und der Täubich arbeiteten, zu sich in Quartier genommen.
Diese aber hatte sie sich ausgesucht, da doch die von Rschepetzki die feineren waren und sich als Edelleute fühlten.
Gewiß hatte man in Lipce über diesen Adel immer gespottet und hatte nicht viel von ihm gehalten, selbst schlimmer noch über sie losziehend als über die Stadtfratzen und »Prefessianten«; doch als sie zum Haus hereintraten, mußte es Anna doch gleich merken, daß sie da etwas Besseres vor sich hatte.
Die beiden Männer waren klein gewachsen und hager, auf städtische Art in schwarze Röcke gekleidet und von würdigem Aussehen; die großen Schnurrbärte hingen ihnen wie Hanfsträhnen herab, und die Augen ließen sie hochher rollen; dennoch waren sie gesprächig und hatten ein feines Wesen und eine ganz herrschaftliche Sprache. Es war ein manierliches Volk, und sie lobten alles so höflich und verstanden einem jeden so mit Worten beizukommen, daß die Weiber sich vor Vergnügen blähten.
Das Abendessen, das ihnen Anna herrichten ließ, war auch recht üppig und wurde ihnen auf einem Tisch gereicht, der mit einem Leintuch bedeckt war.
Sie bediente sie eifrig und befahl auch den anderen, aufmerksam zu sein, so daß man um sie wie auf Zehenspitzen ging und ihnen von den Augen abzulesen versuchte, was sie sich wohl noch wünschen mochten; Jagna aber war, als hätte sie ganz den Kopf verloren, sie hatte sich geputzt wie zu einer Kirmes und saß da, den Jüngeren wie ein Heiligenbild angaffend.
»Der hat seine Gutsfräulein, wird die Barfüßigen nicht beachten,« flüsterte ihr Gusche zu, so daß Jaguscha ganz rot wurde und auf ihre Seite lief.
Gerade war Rochus hereingekommen und sah sich in der Stube nach einer Sitzgelegenheit um.
»Darüber wundern sich unsere Bauersleute aber am meisten, daß die aus Rschepki gekommen sind, Lipce beizustehen,« sagte er leise.
»Nicht wegen unserer Angelegenheit haben wir uns im Wald geprügelt, so hat auch keiner von uns einen Groll im Herzen behalten,« entgegnete der Ältere.
»Das ist auch immer so, wenn sich zwei streiten, hat ein Dritter seinen Vorteil davon.«
»Ihr habt recht, Rochus, aber laß erst die zwei Frieden und Freundschaft schließen, dann kann dieser Dritte seine verdienten Prügel kriegen / was?«
»Klug habt ihr geredet, Herr von Rschepetzki, das ist wahr ...«
»Und was heute Lipce fehlt, kann morgen über Rschepki kommen.«
»Und über jedes andere Dorf, Herr von Rschepetzki, wenn die Leute, anstatt zueinander zu halten und einander zu verteidigen, in Hader leben, sich zersplittern und aus Bosheit sich selber dem Feind ausliefern. Kluge und freundschaftlich gesinnte Nachbarn, das sind die rechten Zäune und Schutzwände: das Schwein kann nicht hindurch und wird den Acker nicht aufwühlen.«
»Das weiß man unter uns Edelleuten gut, Rochus, nur daß die Bauern das noch nicht begreifen, und davon kommt alles Elend ...«
»Auch dafür kommt schon die rechte Zeit, Herr von Rschepetzki: die werden jetzt schon klüger ...«
Sie traten gleich nach dem Abendessen auf die Galerie hinaus, wo Pjetrek schon den Mädchen, die zusammengekommen waren und gern etwas aufgespielt haben wollten, auf der Geige vorspielte.
Der Abend war still und warm, die Nebel hatten wie mit weißen Pelzen die Wiesen zugedeckt, von den Mooren kam das Greinen der Kiebitze, die Mühle ratterte in der gewohnten Weise, und manchmal raunte es in den Bäumen. Der Himmel schien hoch, war aber mit schmutzigbraunen großen Wolken dicht bedeckt, nur an den Rändern der Wolkenwände drang der Widerschein von Mondglanz hervor, und stellenweise schienen die Sterne aus tiefen Wolkenspalten wie aus Brunnenlöchern hell hervor.
Im Dorf summte es wie in einem Bienenhaus vor dem Ausschwärmen. Bis spät in die Nacht leuchteten alle Fenster, bis spät hörte man in den Heckenwegen und auf der Dorfstraße gedämpftes Geflüster und Ausbrüche fröhlichen Lachens. Die Mädchen kicherten mit den Burschen herum und spazierten mit ihnen am Weiher umher, die Älteren aber besprachen sich mit Würde und genossen die abendliche Kühle, vor den Türschwellen mit ihren Wirten sitzend.
Am nächsten Tag aber, als kaum der Himmel im Morgenrot erglühte und auf der Erde noch der blaue Dunst des Tageszwielichts lag, begann schon alles wieder aufzustehen und sich für die Arbeit fertig zu machen.
Die Sonne war schön aufgegangen, so daß die Welt, die mit einem silbrig weißen Reif überzogen war, aufglitzerte. Die Vögel stimmten ein gewaltiges Singen an, in den Bäumen war ein Rauschen, das Wasser geriet in Bewegung, Menschenstimmen erklangen, und der Morgenwind, der die Büsche vom Tau freischüttelte, trug Stimmengewirr und Rufe, Viehgebrüll und Mädchensingen und den ganzen Lärm und das Durcheinander der zur Arbeit Ziehenden durchs Dorf.
Auf den Wiesen lagen noch die Nebel wie weißer Schnee, nur auf dem höheren Ackerland waren sie schon etwas dünner geworden, und von den Sonnenstrahlen getroffen und gejagt, rauchten sie nur noch wie aus Weihrauchschiffchen und stiegen in zerrissenen Gespinsten zum reinen Himmel empor, die Felder lagen noch reifbedeckt da, sich im letzten Schlaf duckend, die Menschen aber drangen von allen Seiten in das schlafumfangene, taubedeckte Ackerland ein, tauchten in die Sonnendünste und machten sich schweigend auf den Ackerbeeten zu schaffen, und aus der Erde, von den Bäumen, aus den bläulichen Weiten, von den in ihren Biegungen aufblitzenden Wasserläufen, aus den Nebeln und vom Himmel, der sich über dem glühenden Lichtkreis der Sonne erhob, durch die ganze Welt kam ein solcher Frühlingsjubel, ein solcher Taumel der Macht, daß es einem schier den Atem benahm, daß die Seele in einer Freude erzitterte, die nur in stillen Tränen niedertropft, sich in befreienden Seufzern kundgibt und im Niederknien vor dem Lenzwunder, das in jedem geringsten Grashalm sichtbar ist.
So sah sich denn das ganze Volk lange rings um, bekreuzigte sich fromm, flüsterte Gebete und griff ohne Lärm zur Arbeit; und als man zur Messe zu läuten begann, war schon jeder an seinem Platz.
Die Nebel waren rasch zerflattert und die Felder tauchten auf in sonniger Helligkeit, daß, so weit man über das zu Lipce gehörende Land blicken konnte, überall rote Röcke aufleuchteten, Pflüge gingen, von Mädchen geführte Eggen sich schleppten, Reihen von Frauen beim Einlegen der Kartoffeln sich bückten; und oft sah man über die langen, schwarzen Ackerbeete Männer mit umgehangenen Leintüchern gehen; sie waren etwas gebückt und streuten mit andächtigen, schenkenden Gebärden das Korn in die aufgelockerte, wartende Erde ...
So arbeiteten sie alle eifrig, ohne selbst die Köpfe zu heben, daß sie sogar Hochwürden nicht bemerkten, der gleich nach der Messe zu seinem Knecht nachzusehen gegangen war, welcher an der Landstraße pflügte, und dann von Feld zu Feld ging, froh die Leute begrüßte, ihnen eine Prise anbot, dem einen eine Zigarette gab, dem anderen ein wohlwollendes Wort hinwarf, die Kinderköpfe streichelte, mit den Mädchen scherzte, hier und da mit einer Erdscholle eine Spatzenschar von der frisch gesäten Gerste wegtrieb und oft eine Handvoll Saatenkorns mit dem Zeichen des Kreuzes segnete und selbst die erste Saat vollzog; und überall trieb er zur Eile an, daß ein Gutsverwalter es nicht besser getan hätte.
Gleich nach dem Mittagessen erschien er wieder mit allen gemeinsam bei der Arbeit und erklärte den Frauen, daß, obgleich heute der Sankt Markustag wäre, die Prozession erst in einer Woche, am dritten Mai, stattfinden sollte.
»Es geht nicht heute, schade um die Zeit, denn die Männer kommen nicht zum zweitenmal zu helfen,« erklärte er und ging bis zum Abend auch selber nicht mehr vom Feld herunter, den Priesterrock hatte er sich hochgeschürzt, stützte sich auf seinen Stock, da er einen ordentlichen Wanst zu schleppen hatte, und ging unermüdlich herum, nur hin und wieder auf einen Feldrain sich setzend, um Atem zu schöpfen und sich den Schweiß von der Glatze zu wischen.
Man sah ihn gern, und die Arbeit schien unter seinen Blicken noch rascher und leichter vonstatten zu gehen, die Männer aber achteten es als eine Ehre, daß bei ihnen Hochwürden selbst den Verwalter spielte.
Die rote und volle Sonne hing schon über den Wäldern, das Land verblaßte und die Fernen begannen zu blauen, als sie die dringendsten Arbeiten beendigt hatten und ins Dorf zurückzogen; sie eilten, um noch vor Nacht nach Hause zu kommen.
Viele bedankten sich für das Abendbrot, schnell nur einen kleinen Imbiß zu sich nehmend, und etliche griffen rasch zu den Schüsseln, die rechtzeitig angerichtet waren; die bereits angespannten Pferde wieherten vor den Häusern.
Der Priester zeigte sich abermals, ging mit Rochus durchs Dorf zu allen der Reihe nach und dankte jedem besonders für die treue Hilfe, die sie Lipce geleistet hatten.
»Denn was du dem Bedürftigen gibst, das ist als gäbest du es dem Herrn Jesus selbst! Na, ich sag' es euch, obgleich ihr nicht eifrig seid im Bestellen der Messen und an die Bedürfnisse der Kirche nicht denkt, obgleich ich schon seit einem Jahr rufe, daß das Dach im Pfarrhaus leckt, so werde ich doch jeden Tag für euch beten; für dieses euer gutes Herz, das ihr Lipce gezeigt habt ...« rief er gerührt und küßte ein jedes sich vor ihm neigende Haupt.
Sie waren gerade beim Schmied und wandten sich nach der anderen Seite des Dorfes, als ihnen die verweinten Kätnerinnen, die die Kosiol anführte, in den Weg kamen.
»Ich möchte Hochwürden gebeten haben, wir gingen, um nachzufragen, ob denn die Leute uns nicht auch helfen wollen?«
Sie hatte trotzig angefangen, die Stimme erhebend.
»Denn gewartet haben wir doch bis die Reihe an uns kommen soll, und nun fahren die schon weg ...«
»Und wir unglücklichen Waisen sollen hier so ohne Hilfe bleiben ...« redeten sie durcheinander.
Der Priester wurde besorgt und errötete stark.
»Was kann ich euch helfen? ... Es hat nicht für alle ausgereicht ... sowieso haben die Guten ganze zwei Tage geholfen ... na ... ich sag' es ja ... stotterte er, und seine Blicke flogen von einer zur anderen.
»Jawohl! Die haben geholfen, aber den Hofbauern, den Reichen ...« schluchzte Philipka auf.
»Uns ist niemand zur Hilfe geeilt, als wären wir die Aussätzigen ...«
»Niemand tut der Kopf weh, wenn es wegen uns ist ...«
»Wenn auch nur ein paar auf unserem Kartoffelacker gepflügt hätten, aber auch das nicht!« flüsterten sie unter Tränen.
»Meine Lieben ... sie fahren ja schon weg ... na ... man wird schon irgendwie Rat schaffen ... das ist wahr, daß ihr es schwer habt ... auch eure Männer sind mit den anderen ... na, ich sag' es: man wird schon Rat schaffen ...«
»Wie sollen wir denn da auf diese Hilfe warten? ... Und wenn einer nicht einmal seine Kartoffeln zur rechten Zeit in die Erde gesteckt kriegt, bleibt einem schon nichts über, als daß man rein nach einem Strick langt!« klagte die Gulbas los.
»Na, ich sag' es euch ja, es wird sich Rat finden ... Ich geb' euch meine Pferde, wenn es auch für einen ganzen Tag sein soll, nur daß ihr sie mir nicht abhetzt ... den Müller will ich auch bitten, den Schulzen, die Borynas, vielleicht tun sie es auch.«
»Vielleicht! Ja, wart' mal bis die Wölfe die Stute fressen! Kommt, Frauen, jammert nicht umsonst herum! ... Wenn ihr es nicht brauchen würdet, dann wäre Hochwürden mit dem Helfen da. Alles ist nur für die Hofbauern, und das arme Volk kann Steine fressen und seine eigenen Tränen dazu trinken! Der Hirt sorgt sich nur um die Schafe, die er schert; was sollte er sich bei uns holen, die paar Läuse vielleicht!« ließ die Kosiol ihr Maul gehen, so daß der Priester sich die Ohren zuhielt und davonging.
Sie hatten sich zu einem Häufchen zusammengetan und weinten bittere Tränen, dabei laut wehklagend; und Rochus tröstete sie so gut er konnte und versprach ihnen mit herzlichen Worten Hilfe zu schaffen. Er brachte sie etwas beiseite an einen Zaun, denn die Wagen begannen schon nach allen Seiten davonzufahren; es wurde schwarz vor Menschen und Pferden auf den Wegen, die Wagen rollten einer nach dem anderen davon, und von jeder Schwelle flogen ihnen herzliche Worte des Dankes nach.
»Gott bezahl's euch!«
»Bleibt gesund!«
»Wir werden uns bei gelegener Zeit bedanken!«
»Und Sonntags könnt ihr immer die Pferde bei uns einstellen, als wäret ihr hier bei euren Leuten.«
»Und grüßt die Eltern! Und kommt mal mit euren Frauen!«
»Und wenn einer mal Hilfe braucht, dann sind wir auch da!«
»Bleibt mit Gott, liebe Leute, und möge es euch gute Ernte tragen!« riefen sie zurück, mit den Mützen und mit den Händen winkend.
Die Mädchen und was an Kindern im Dorf war, alles lief noch neben den Wagen her und begleitete sie bis vors Dorf. Der größte Haufen drängte sich nach dem Pappelweg, denn dorthin fuhr man gleichzeitig nach drei Dörfern davon. Die Wagen rollten langsam, man unterhielt sich froh, scherzte und brach oft in ein Gelächter aus.
Allmählich sank schon die Dämmerung herab, die Abendröten erloschen, nur die Gewässer glühten hier und da noch rot auf, Nebel schlängelten sich über die Wiesen, und eine abendliche Frühlingsstille webte über der Erde. Irgendwo in der Ferne begannen die Frösche einstimmig zu quarren ...
Man brachte die Davonfahrenden bis an den Kreuzweg und verabschiedete sich da lachend; dieses und jenes wurde noch gerufen, und noch ehe die Pferde in einen schnelleren Gang kamen, stimmte eins der Mädchen ein Liedlein an:
»Bestellst du, Jaschu, das Aufgebot?
Horch, der Vater kommt gefahren,
es donnert auf der Brücke/
da dana!
auf der Brücke!«
Und die Burschen antworteten darauf, sich aus ihren Wagen nach ihnen umsehend:
»Jetzt ist es, Maruschka, noch zu kalt,
erfrieren würden die Brautbittersleut;
ich warte bis zur Fastenzeit...«
da dana!
bis zur Fastenzeit! ...«
Die jungen Stimmen klangen durch den tauichten Abend froh in die weite Welt hinaus.