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Initial Rochus schleppte sich langsam über den Weg am Weiher entlang, weil der Wind auf ihn so einpeitschte, daß er sich kaum auf seinen Beinen halten konnte, außerdem war er mächtig durch das alles, was im Dorfe vor sich ging, besorgt; immer wieder sahen seine brennenden Augen auf die Häuser hin; er sann und seufzte schwer. Es stand wahrhaftig schlecht mit Lipce, so schlecht, daß es schon gar nicht schlimmer werden konnte.

Das schlimmste aber war nicht das, daß manch einer schier Hungers starb, daß die Krankheiten gediehen, daß die Leute sich zankten und einander mehr noch in die Schöpfe fuhren, daß der Tod sich seine Opfer immer häufiger langte / ganz ebenso war es auch früher und in ehemaligen Zeiten gewesen, das war das Volk schon gewöhnt und wußte gut, daß es nicht anders werden konnte ... Das Übel war noch größer und ganz etwas anderes / die Erde lag unberührt, denn es war keiner da, der sie hätte bestellen können.

Es kam schon der Frühling über die ganze Welt, mit den Schwärmen der heimkehrenden Vögel, die ihre vorjährigen Nester suchten, auf den Anhöhen trockneten die Äcker ab, das Wasser verlief sich, und die Erde schrie fast nach dem Pflug, nach Dünger und dem heiligen Saatkorn.

Und wer sollte denn ins Feld gehen, wenn alle arbeitsfähigen Hände im Gefängnis waren! ... Es waren doch nur fast lauter Frauen im Dorf zurückgeblieben, und ihre Kräfte und ihr Verstand konnten das nicht alles bewältigen.

Und obendrein kam über manche schon die Zeit des Gebärens, wie das zur Frühlingszeit im Dorf so war; die Kühe kalbten, das Geflügel wurde ausgebrütet, die Mutterschweine warfen ihre Ferkel, und es war auch die Zeit, in den Gärten zu säen und den Saatkohl zu pflanzen, man mußte die Kartoffeln sortieren, die Saatkartoffeln aus der Grube holen, das Wasser von den Ackerbeeten ablassen, Dung ausfahren / und wenn einer die Arme bis über die Ellbogen in die Arbeit gesteckt hätte, ohne die Männer war es doch nicht möglich, auszukommen ... Und da mußte man doch auch noch das Vieh besorgen, tränken, Häcksel schneiden, Holz kleinmachen, oder aus dem Wald herschleppen; und so viel Alltagsarbeit war da, allein schon mit den Kindern, von denen es überall wimmelte, daß Gott erbarm! Sie fühlten ihre Glieder nicht mehr, der Rücken war ihnen am Abend steif vor Müdigkeit, und doch war immer nur kaum die Hälfte getan / und all die wichtigen Feldarbeiten / wie sah es damit aus? ...

Und die Erde wartete; die junge Sonne wärmte sie, die Winde strichen über sie hin, die warmen, fruchtbaren Regen überrieselten sie, die nebligen, linden Frühlingsnächte machten sie wieder fester/so daß die Gräser schon wie eine grüne Bürste sprossen, die Wintersaaten sich im raschen Wachstum erhoben, Lerchen über den Ackerbeeten schmetterten, Störche aus den Wiesen herumstelzten, so daß schon hier und da Blumen aus den Sümpfen ausblühten zum schimmernden Himmel empor, der sich Tag für Tag wie ein helles blaues Leinentuch immer höher spannte, so daß die sehnsüchtigen Augen schon immer ferner schweifen konnten, bis weit über die Ränder des Dorfes und der Wälder, in jene Ferne, die in der Zeit der Winternebel ganz verhangen war; die ganze Welt erwachte aus der Totenstarre, reckte sich und schmückte sich für das Frühlingsfest der Freude und Lust ...

Überall aber in der Nachbarschaft, wohin das Auge nur reichen konnte, arbeitete man so eifrig, daß ganze Tage lang, ob es regnete oder Sonnenschein war, lustiges Singen und frohe Juchzer von dort herüberhallten; auf den Feldern blinkten die Pflüge, Menschen bewegten sich hin und her, Pferde wieherten, und frohes Wagengeroll wurde vernehmbar; nur die zu Lipce gehörenden Felder waren menschenleer, sie lagen ganz still und wehmütig wie ein Friedhof da.

Und obendrein lastete noch auf dem Dorf die schwere Sorge um die Eingesperrten ...

Kaum verging ein Tag, daß nicht ein paar Menschen mit irgendwelchen Bündeln nach der Stadt zogen, um dort vergeblich darum zu flehen, daß man die doch unschuldig Eingekerkerten freilassen möge.

Hale! wird da einer wohl Erbarmen mit dem benachteiligten Volke haben, wenn es sich nicht selbst Gerechtigkeit verschafft! ...

Es war schlecht, so schlecht, daß selbst fremde Leute aus anderen Dörfern schon zu merken anfingen, daß das Unrecht, das den Bauern aus Lipce geschah, ein Unrecht an dem ganzen Bauernvolk war. Wie konnte denn das auch anders sein, es beißt doch nur der Aff den Affen in den After, aber Menschen, die sollten doch zusammenhalten, daß auch dem anderen nicht geschieht, was dem einen schon geschehen ist.

Es war also kein Wunder, daß andere Dörfer, obgleich sie vordem wegen der Grenzen und verschiedener nachbarlicher Schädigungen mit Lipce in Streit lagen und auch neidisch darauf waren, daß die aus Lipce sich über alle anderen erhoben und ihr Dorf für das erste hielten, jetzt allen Zwist beiseite ließen und den Groll von sich taten; denn oft geschah es nun, daß einer aus Rudka, aus Wola oder Dembica und selbst von den kleinadeligen Dörflern aus Rschepki sich nach Lipce aufmachte, um heimlich die Lage der Dinge auszukundschaften.

Sonntags aber, nach dem Hochamt, oder wie gestern, als sie zur Beichte gekommen waren, erkundigten sie sich eifrig nach den Eingesperrten, fluchten mächtig, machten drohende Gesichter und ballten mit denen aus Lipce zusammen die Fäuste gegen die Unterdrücker, voll Teilnahme das Los des benachteiligten Volkes mitempfindend.

Gerade darüber sann jetzt Rochus nach und faßte dabei wichtige Entschlüsse; er verlangsamte seinen Schritt noch mehr, blieb häufig stehen, suchte Schutz gegen den Wind hinter den dickeren Baumstämmen und schien ringsum nichts zu sehen und immer nur in weite Fernen zu starren ...

Es wurde immer heller und wärmer, nur der lästige Wind steigerte sich von Stunde zu Stunde, so daß ein Brausen durch die ganze Welt ging, und die dünneren Bäumchen beugten sich ächzend vor, mit den Zweigen den Weiher peitschend. Der Wind riß das Stroh von den Dächern los und brach die mürben Zweige ab; es wehte jetzt in den Lüften mit solcher Macht, daß alles ins Schwanken kam: die Gärten, die Zäune und die einzelnen Bäume, bis daß es zuletzt schien, sie flögen mit dem Sturm einher, und selbst die aus den zerspaltenen Wolken sich enthüllende blasse Sonne schien am Himmel mitzufliegen, über den das Gewölk wie treibende Sandmassen dahinhuschte. Neben der Kirche sah man einen Schwarm Vögel, die mit ausgebreiteten Flügeln, außerstande, sich gegen die Macht des Sturmes zu wehren, mit fortgerissen wurden und mit ängstlichem Schreien gegen den Turm und die hin und her gerüttelten Bäume anflatterten.

Mochte auch der Sturm lästig sein und hier und da einen Schaden angerichtet haben, so trocknete er doch gleichzeitig stark die Felder aus; seit Morgen waren schon die Ackerstreifen viel heller geworden, und das Wasser war von den Wegen schon stark weggesickert.

Rochus blieb lange, in seine Überlegungen vertieft, stehen, die ganze liebe Welt dabei vergessend, bis er plötzlich aufhorchte, denn der Sturm trieb ihm zankende Stimmen zu.

Er spähte um sich: jenseits des Weihers vor dem Hause des Schultheißen sah man zwischen den Zäunen einen Haufen Frauen in roten Röcken stehen und irgendwelche Menschen dazwischen. Aufmerksam geworden, eilte er darauf zu, ohne noch zu wissen, was geschehen war.

Als er aber von weitem der Gendarmen mit dem Schulzen ansichtig wurde, drehte er in den nächsten Heckenweg ab, von woher er sich behutsam an den Haufen heranzuschleichen versuchte; er mochte es seltsamerweise nicht, Amtspersonen unter die Augen zu kommen.

Das Stimmengewirr wurde immer lauter, immer mehr Frauen kamen zusammen, Kinder liefen auch in einem ganzen Haufen von allen Seiten herbei, sich zwischen die Älteren drängend; sie stießen und schoben einander, daß ein wahres Gedränge im Heckenweg entstand, und der ganze Haufe ergoß sich auf die Landstraße, ohne auf den Schmutz, noch auf die vom Sturm gerüttelten Bäume zu achten, die mit ihren Ästen um sich schlugen. Sie schrien alle miteinander, dann erhoben sich einzelne Stimmen, aber worum es sich handelte, konnte Rochus nicht herausbekommen, denn der Wind riß die Worte fort. Er sah nur, indem er zwischen den Bäumen hindurchblickte, daß die Ploschkabäuerin das erste Wort führte: dick, fett und mit rotem Gesicht, wie sie war, schrie sie überlaut jemand etwas zu und fuchtelte so wütend mit ihren Fäusten dem Schulzen unter die Nase, daß dieser erschrocken zurückwich, und die übrigen Weiber pflichteten ihr wie eine Herde aufgebrachter Puten mit Geschrei bei. Die Kobusbäuerin aber gab sich von außen her vergeblich die Mühe, an die Gendarmen heranzukommen, vor denen man schon immerzu mit zusammengeballten Fäusten oder hier und da selbst mit einem Stock oder einem alten Besenstiel in der Luft fuchtelte.

Der Schulze stellte ihnen etwas vor, kratzte sich bedenklich den Kopf und hielt dabei die andrängenden Weiber zurück, während die Gendarmen sich behutsam aus der Menge zurückgezogen hatten, um nach der Mühle zu zu verschwinden; der Schulze lief ihnen nach, hin und wieder noch ein Wort zurückrufend und den Jungen drohend, denn sie hatten angefangen, ihm Schmutz nachzuschleudern.

»Was wollten die?« fragte Rochus, unter die Weiber tretend.

»Was! Daß das Dorf zwanzig Wagen mit Menschen dazu für das Scharwerk geben soll, und wir möchten gleich hinausfahren, den Weg im Walde auszubessern ...« erklärte die Ploschkabäuerin.

»Irgendein größerer Beamter soll da vorüberfahren, darum lassen sie die Löcher zuschütten ...«

»Wir haben ihnen gesagt, daß wir weder Wagen noch Pferde geben werden.«

»Wer soll denn da fahren?«

»Laß sie zuerst unsere Männer herauslassen, dann werden sie ihnen den Weg zurechtmachen.«

»Den Gutsherrn sollten sie lieber drankriegen!«

»Selbst könnten sie sich an die Arbeit machen und nicht hier auf den Gehöften herumschnüffeln!«

»Aaszeug, Unrechttuer!« schrie eine immer noch lauter wie die andere.

»Kaum habe ich die Gendarmen gesehen, gleich ist mir eine böse Ahnung gekommen ...«

»Versteht sich, sie haben sich doch mit dem Schulzen vom frühen Morgen an in der Schenke beraten.«

»Sie haben zu viel Schnaps gesoffen und laufen jetzt von Haus zu Haus und treiben die Leute an die Arbeit ...«

»Der Schulze weiß doch gut, wie es hier ist, das hätte er dem Amt vorstellen sollen, er hätte ihnen sagen müssen, wie es in Lipce zugeht,« ließ sich Rochus vernehmen, einen vergeblichen Versuch machend, die erregten Stimmen zu überschreien.

»Hale, der hält gut zu ihnen!«

»Und bringt sie noch als erster auf solche Gedanken.«

»Und darum nur kümmert er sich, was ihm Profit einbringt,« schrien sie wieder los.

»Er hat zugeredet, daß man ihnen jedem eine Mandel Eier oder auch ein Huhn pro Hof geben sollte, dann würden sie ablassen und anstatt dessen die anderen Dörfer zum Scharwerk treiben.«

»Diese Steine würde ich ihnen geben!«

»Und dann noch mit einem Stock was zulegen!«

»Ruhig, Frauenvolk, daß man euch nicht wegen Beamtenbeleidigung bestraft!«

»Laß sie strafen, laß sie uns ins Loch stecken, ich werde selbst dem größten Beamten vor die Augen treten und alles sagen, in was für einer Ungerechtigkeit wir hier leben! ...«

»Vor dem Schulzen sollt' ich mich wohl fürchten! ... Diese pestige Personage! ... Der ist mir so viel wert, wie diese Strohpuppe zum Scheuchen der Spatzen! ... Er denkt nicht daran, daß ihn die Bauern gewählt haben, und daß ihn auch die Bauern aus seinem Amt 'raussetzen können! ...« schrie die Ploschkabäuerin.

»Die sollten noch strafen! ... Zahlen wir denn nicht die Steuern, geben wir ihnen nicht unsere Jungen her zu Rekruten, tun wir nicht, was sie wollen! ... Haben sie noch nicht genug, daß sie uns die Männer weggeholt haben! ...«

»Und laß sie nur kommen, gleich stößt einem was zu.«

»Mir haben sie meinen Hund während der Erntezeit totgeschossen! ...«

»Mich haben sie verklagt, daß sich der Sott im Schornstein angezündet hat? ...«

»Und mich auch im vergangenen Jahr, daß ich meinen Flachs hinter der Scheune getrocknet habe ...«

»Und sie haben den Gulbasjungen verprügelt, als er einen Stein nach ihnen geschmissen hat! ...«

Sie riefen das laut durcheinander, sich um Rochus scharend, so daß er sich die Ohren vor diesem Geschrei zuhalten mußte.

»Seid doch endlich mal still! Mit Reden ist nichts zu helfen! Ruhig da! ...« rief er.

»Dann geht doch zum Schulzen und stellt ihm das vor, sonst ziehen wir da alle mit den Besen hin!« schrie die Kobusbäuerin wütend.

»Ich geh' schon, geht nur erst alle auseinander! ... Jede hat doch so viel zu tun zu Hause ... ich werd' es ihm schon richtig vorstellen! ...« bat er inständig, denn er fürchtete, die Gendarmen könnten wiederkehren.

Da gerade um diese Zeit vom Kirchturm das Mittagläuten erklang, so gingen sie denn auch langsam auseinander, laut räsonnierend und vor den Häusern stehenbleibend.

Rochus aber trat in das Haus des Schultheißen Sikora ein, wo er jetzt wohnte; er unterrichtete hier an diesem Ende des Dorfes in einer leeren Stube bei Sikora. Der Schultheiß war nicht zu Hause, er war mit den Steuergeldern ins Kreisamt gefahren.

Die Sochabäuerin erzählte ihm alles ruhig, der Reihe nach, wie es gewesen war.

»Daß nur aus diesem Geschrei nichts Böses kommt! ...« bemerkte sie zum Schluß.

»Das ist dem Schulzen seine Schuld. Die Gendarmen machen, das ihnen befohlen wurde; er aber weiß doch, daß im Dorf fast lauter Frauen geblieben sind, daß niemand da ist, um im Feld zu arbeiten, und da sollten sie noch zur Scharwerkarbeit hinausfahren? Ich geh' zu ihm hin und laß ihn die Sache gut machen, daß sie nicht noch obendrein Strafe zahlen lassen! ...«

»Das scheint alles, als ob sie sich an Lipce für den Wald rächen wollten! ...« seufzte sie.

»Wer denn? ... der Gutsherr? ... Wie sollte er! Was hat der bei der Regierung zu sagen? ...«

»Immerhin, die Herren untereinander, die halten zusammen, die sind miteinander doch gut Freund, und er hat ja gesagt, daß er sich an Lipce rächen wird!«

»Gott! daß man nicht einen ruhigen Tag hat! ... In einem zu was Neues! ...«

»Wenn nur nicht noch Schlechteres kommt!« Sie faltete die Hände wie zu einem Gebet.

»Die sind da wie die Elstern zusammengeflogen, und geschnauzt haben sie, daß Gott erbarm! ...«

»Wie sollten sie nicht, wen's juckt, der kratzt sich! ...«

»Mit Geschrei kann man nicht helfen, höchstens noch ein neues Unglück herbeiführen!«

Er war aufgebracht und auch etwas erschrocken, daß wieder etwas Neues übers Dorf gekommen war.

»Geht ihr denn wieder zu den Kindern zurück?«

Er erhob sich von der Bank.

»Nein, meine Schule hat jetzt Ferien: die Feiertage sind ja nah; und dann müssen sie ja auch in den Häusern helfen/ da ist so viel zu tun! ...«

Heut früh bin ich wegen Lohnarbeitern in Wola gewesen, je drei Silberlinge fürs Pflügen hab' ich versprochen, Essen hätt' ich auch noch dazugegeben/nicht einen einzigen konnte ich kriegen. Jeder macht erst sein Eigenes fertig, wo soll er sich da um andere kümmern! Sie versprechen erst in einer, vielleicht auch in zwei Wochen zu kommen!«

»Jesus! daß der Mensch auch nur diese zwei schwachen Arme hat! ...« seufzte er schwer auf.

»Ihr helft schon sowieso dem Volk genug, das tut ihr! ... Wenn nicht euer Verstand und euer gutes Herz, dann wüßt ich schon gar nicht, wozu es mit uns allen noch kommen könnte!«

»Wenn ich nur das machen könnte, was ich will, dann gäbe es keine Not mehr in der Welt! nein!«

Er breitete die Arme aus in einem schweren Ohnmachtsgefühl und ging rasch davon zum Schulzen. So schnell kam er da aber nicht hin, denn unterwegs trat er hier und da in ein Haus ein.

Das Dorf hatte sich schon etwas beruhigt; noch hörte man da irgendwo in den Heckenwegen die Stimmen der Verbissensten, aber die meisten waren auseinandergegangen, das Mittagessen zurechtzumachen, und auf den Wegen trieb sich nur der Wind herum und rüttelte an den Bäumen.

Bald nach Mittag aber, trotz des lästigen Sturmwindes begann es überall von Menschen zu wimmeln, auf den Zufahrten, in den Gärten, vor den Häusern, auf den Fluren und auch in den Stuben summte es auf wie in Bienenstöcken, so wurde da gearbeitet, und die Weiberstimmen waren in einem fort hörbar/es waren ja auch nur lauter Frauen und Mädchen an der Arbeit, und wenn sich irgendwo ein Junge vorfand, dann war es höchstens ein solcher, der noch am Hemdzipfel kaute oder im besten Fall einer, der nur erst zum Viehhüten tauglich war, denn die älteren saßen mit den Vätern eingesperrt.

Sie schafften eifrig und trieben einander noch zur Eile an, da sie sich ja erst gestern wegen der Beichte einen sogenannten Bettlerfeiertag gemacht hatten, den ganzen Tag fast hatten sie in der Kirche gesessen und heute wieder die Zeit wegen der Gendarmen vertrödelt.

Und die Festtage waren schon vor der Tür, die Karwoche hatte schon begonnen, da mehrte sich denn die Arbeit, und eine Menge verschiedener Sorgen kam dazu/im Hause mußte Ordnung geschafft werden; für die Kinder hatte man was zu nähen, sich selbst etwas zurechtzumachen, nach der Mühle was hinzubringen, an das Ostergeweihte zu denken und an noch so viel anderes mehr, daß schon in jedem Haus sich die Bäuerinnen schwer sorgten, wie sie da allem Rat schaffen sollten und eifrig die Kammern durchstöberten, was man wohl dem Schankwirt verkaufen oder in die Stadt hinbringen könnte, um das nötige Geld zu haben. Ein paar der Frauen waren selbst gleich nach Mittag weggefahren, allerhand Verkaufbares im Wagenstroh versteckt bei sich führend.

»Daß ihr unterwegs keinen Unfall habt wegen dem Sturm!« warnte Rochus die Gulbasbäuerin, die gerade mit einem mageren Gaul vorbeigefahren kam, der kaum gegen den Wind angehen konnte.

Er wandte sich gleich ihrem Hause zu, da er bemerkt hatte, daß die Mädchen, die die Fugen der Hauswände verschmierten, nicht über die Fenster reichen konnten. Er half ihnen dabei, machte ihnen noch den Kalk zum Weißen in einer Bütte zurecht und bastelte einen seinen Pinsel aus Stroh zusammen.

Dann ging er weiter.

Bei den Wachniks fuhren sie Dünger auf ein in der Nähe gelegenes Feld, aber es ging ihnen so gut vonstatten, daß die Hälfte schon unterwegs zwischen den Wagenbrettern hindurchrutschte; die beiden Mädchen mußten das Pferd am Zaum vorwärtsziehen, denn es wollte, wie sie meinten, nicht gehorchen. Rochus ging jetzt zu ihnen hinüber, klopfte den Dünger auf dem Wagen ordentlich zurecht, wie es sich gehörte, und langte dem Pferd ein paar kräftige Peitschenhiebe über, so daß es alsogleich folgsam wie ein Kind wieder anzog ...

Bei den Balcereks wiederum säte Maruscha, die nach Borynas Jagna als die Schmuckeste im Dorf galt, dicht am Zaun in den schwarzen, gut gedüngten Boden Erbsen aus; sie kam dabei aber vorwärts, wie die Fliege im Teer; sie hatte sich ein Tuch ganz um den Kopf gewickelt, und des Vaters Kapotrock, den sie sich umgetan hatte, damit der Wind ihr nicht die Röcke hochblies, reichte bis zur Erde.

»Eil dich nicht, du wirst auch noch einmal damit fertig werden! ...« lachte er, aufs Ackerbeet zu ihr tretend.

»Wieso ... Man sagt doch: wer da Erbsen säet am Dienstag in der Karwoche/erntet für jede Metze einen Sack!« rief sie zurück.

»Bevor du zu Ende säest, werden dir schon längst die ersten aufgegangen sein! Zu dicht, Marusch, viel zu dicht ... wenn die Erbsen so aufgehen, würden sie sich zu Strähnen ineinander verwickeln und sich legen!«

Er zeigte ihr, wie man mit dem Wind sät, denn die Dumme hatte das gar nicht beachtet und streute den Samen aus, wie es gerade kam.

»Und der Wawschon Socha hat mir doch gesagt, daß du zu allem anstellig bist!« sagte er, wie nebenbei, neben ihr in der ganz durchweichten Furche gehend.

»Habt ihr ihn gesprochen? ...« rief sie, plötzlich stehenbleibend, um Atem zu holen.

Sie war furchtbar rot geworden, fürchtete sich jedoch, ihn auszufragen.

Rochus lächelte nur, aber beim Weggehen sagte er noch:

»Zum Fest werd' ich es ihm sagen, wie du dich hier an die Arbeit machst ...«

Bei den Ploschkas, den Vettern von Stacho, pflügten zwei Jungen ein Kartoffelfeld, gleich an der Landstraße: der eine trieb das Pferd an, der andere tat, als ob er pflügte; beide waren noch die reinen Knirpse, die dem Gaul mit der Nase kaum bis an den Schwanz reichten, und hatten gar nicht Kraft genug, so daß der Pflug ihnen hin und her wie ein Betrunkener schwankte. Sie fluchten und zankten in einem fort miteinander und schlugen mit ganzer Macht auf den Gaul ein, der immer wieder versuchte, nach dem Stall umzudrehen.

»Wir kriegen ihn schon, Rochus, nur, daß der Pflug wegen dieser aasigen Steine immerzu herausspringt, und die Stute will wieder nach dem Fohlen,« erklärte ihm der Ältere weinerlich, nachdem ihm Rochus den Pflug aus den Händen genommen hatte und mit der Pflugschar eine neue Furche ansetzte; währenddessen zeigte er dem Jungen, wie man das Pferd halten müßte.

»Jetzt werden wir bis zum Dunkelwerden das ganze Feld umpflügen!« rief der Junge keck, sich dabei ängstlich umblickend, ob vielleicht einer gesehen hatte, wie Rochus ihnen half; und als der Alte gegangen war, setzte er sich gleich auf den Pflug zurecht, vom Wind ab, so wie es Vater tat, und zündete sich eine Zigarette an.

Rochus aber ging weiter von Haus zu Haus und gab acht, wo und wie er etwas helfen konnte.

Er beschwichtigte die Zankenden und Uneinigen, teilte Ratschläge aus, und wo es nötig war, da half er selbst bei der schwersten Arbeit mit; bei den Klembs hatte er Holz klein gemacht, als er sah, daß die Klembbäuerin mit einem knorrigen Baumklotz nicht fertig werden konnte; und der Patschesbäuerin holte er Wasser aus dem Weiher, anderwärts wiederum hielt er die ausgelassen tobenden Kinder zum Gehorsam an ...

Und wenn er irgendwo merkte, daß sie sich zu sehr betrübten und beklagten, denn trieb er allerhand Kurzweil und Spaß ... Mit den Mädchen redete er bereitwillig übet Mädchenangelegenheiten und gedachte der Burschen; mit den Frauen sprach er über die Kinder und die Sorgen, über die Nachbarinnen und all die Dinge, an denen das Weibervolk Gefallen findet/um nur die Leute auf bessere Gedanken zu bringen ...

Und da er ein kluger, frommer und vielgereister Mann war, so wußte er gleich vom ersten Blick an, was er jedem zu sagen hatte und mit was für einer Erzählung er die Seele der Trauer entreißen könnte, wem Lachen, wem gemeinsames Gebet frommte, wem ein scharfes, kluges Wort und wem eine ernste Ermahnung.

Er war so gutherzig und mitfühlend, daß er manch eine Nacht, wenn auch ungebeten, bei den Kranken sitzenblieb, durch seine Güte den armen Leidenden Zuversicht einflößend, so daß man ihn schon höher achtete als Hochwürden selbst ...

Und schließlich schien er dem Volk schon ganz wie ein heiliger Mann, der von Hof zu Hof Gottes Erbarmen und Trost trug.

Hale! Konnte er denn da dem ganzen Elend steuern? Konnte er das schlimme Los überwinden und die Hungrigen speisen, die Kranken wieder gesund machen oder all die fehlenden Hände ersetzen?

Er mühte sich doch schon über Menschenmacht, indem er half, wo er konnte, und dem Volk beistand, wie es ihm nur möglich war, nur daß dieses, auf das ganze Dorf verteilt, doch nur ein winziges bißchen Hilfe war, als hätte jemand bei brennender Hitze einem die dürstenden Lippen mit Tau nur befeuchtet, ohne ihn trinken zu lassen! ...

Gewiß! das Dorf war doch groß, es waren da allein an Wohnhäusern über fünfzig Stück, und eine große Ackerfläche lag noch brach da, und das viele Vieh, das immerzu besorgt werden wollte, und die vielen Mäuler, die zu stopfen waren.

Das alles hielt sich, seitdem man die Männer weggeschleppt hatte, mehr durch Gottes Vorsehung als durch menschliches Bemühen; es war also kein Wunder, daß von Tag zu Tag das Elend und die Not wuchsen, daß die Klagen und Sorgen immer größer wurden ...

Rochus fühlte das und wußte es alles recht gut, aber erst heute, da er Haus für Haus aufsuchte, erblickte er, welcher Niedergang sich überall einzuschleichen begonnen hatte ...

Es war nämlich nicht allein genug, daß die Felder unbestellt dalagen, daß niemand pflügte, säte und pflanzte; denn was sie da herumhantierten, war ja so gut wie Kinderspiel/ man sah Niedergang und Verwahrlosung auf Schritt und Tritt: die Zäune waren an verschiedenen Stellen am Einstürzen, hier und da sah man auf den abgedeckten Dächern die Sparren und Latten hervorstehen, abgerissene Tore hingen wie verrenkte Flügel herab, und manch ein Haus stand vornübergebeugt da und wartete vergeblich auf eine Stütze.

Und überall standen faulende Wasserpfützen vor den Häusern, der Schmutz reichte bis über die Knie, und allerhand Unrat lag an den Hauswänden entlang, so daß es schwer war, hindurchzukommen; und auf Schritt und Tritt sah man einen solchen Verfall, daß dieser Anblick einem wahrlich zu Herzen gehen konnte; die Kühe brüllten manches Mal vor Hunger, und die Pferde waren über und über mit Mist bedeckt, denn es war keiner da, der sie geputzt hätte.

Und so war es mit allem, selbst die Kälber trieben sich, ganz mit Schmutz besudelt, wie Schweine auf den Wegen herum, die Wirtschaftsgeräte verkamen im Regen, die Pflüge zerfraß der Rost, in den Korbwagen räkelten sich die Mutterschweine, und was sich gebeugt oder losgerissen hatte, was abbrach und zu Boden fiel/das mußte schon so bleiben, denn wer sollte es wieder heil machen? wer ausbessern? wer dem Übel abhelfen und noch schlimmeren Verfall verhüten? ... Die Weiber vielleicht? ...

Den Armen reichten weder die Kräfte, noch die Zeit selbst zu dem, was das Notwendigste war! Versteht sich, würden die Männer erst zurückkommen, in einem Nu wäre es anders ... Sie warteten auch auf ihre Wiederkehr wie auf Gottes Erbarmen, von Tag zu Tag sich mit neuer Hoffnung stärkend. ...

Aber die Männer kehrten nicht wieder, und es war keine Möglichkeit, zu erfahren, wann man sie freilassen würde. Inzwischen hatte also nur der Böse seine Freude und seinen Vorteil von diesem Elend des Volkes, von diesem Unfrieden, Gezänk und dieser Qual der in Not und Leid darbenden Herzen.

Eine weißlich-graue Dämmerung streute sich schon über die Welt aus, als Rochus von den Täubichs, aus dem letzten Haus hinter der Kirche, hinaustrat und sich müden Schritts zum Schulzen schleppte, der am entgegengesetzten Dorfende wohnte.

Der Wind polterte noch immerzu und warf sich immer wütender hin und her, dermaßen über die armen Bäume dahinfegend, daß es selbst gefährlich war, ihnen nahezukommen, denn immer wieder flogen abgebrochene Äste auf die Dorfstraße.

Der Alte schlich gebückt dicht an den Zäunen entlang, kaum in diesem seltsamen Grau der Dämmerung sichtbar, die wie aus zu Staub zerriebenem Glas gebildet zusein schien.

»Wenn ihr zum Schulzen geht: der soll in der Mühle sein, zu Hause ist er nicht!« Die Gusche war unerwartet vor ihm aufgetaucht.

Er drehte, ohne ein Wort zu sagen, nach der Mühle um, denn er konnte dieses Klatschmaul nicht ausstehen.

Sie hatte ihn aber bald wieder eingeholt und, neben ihm hertrippelnd, flüsterte sie ihm fast gerade ins Ohr:

»Seht mal auch zu den Meinen, zu den Pritscheks, ein und auch ja zu der Philipka ... tut es doch!...«

»Wenn ich nur was helfen könnte, dann würde ich schon einsehen ...«

»Die haben so gejammert, daß ihr doch kommen solltet ... geht ja hin!...« bat sie mit Wärme.

»Gut, nur muß ich zuerst mit dem Schulzen sprechen.«

»Gott bezahl's!«

Sie küßte seine Hand mit zittrigen Lippen.

»Was ist euch?«

Er verwunderte sich sehr, denn immer waren sie miteinander wie im Krieg.

»Was sollte es sein, nur, daß über jeden mal die Zeit kommt, daß er wie der herrenlose, herumtreibende Hund froh ist, wenn ihn eine ehrliche Hand streichelt ...« flüsterte sie durch Tränen; doch ehe er ein gutes Wort für sie gefunden hatte, ging sie rasch davon.

Auch in der Mühle fand er den Schulzen nicht vor. »Der soll mit den Gendarmen nach der Stadt gefahren sein,« sagte der Müllersknecht, ihn zum Ausruhen in sein Stübchen einladend, wo schon genug Frauen aus Lipce und Männer aus anderen Dörfern da saßen, auf ihre Reihenfolge beim Mahlen wartend. Rochus wäre dort gerne länger sitzengeblieben, aber Therese, die Soldatenfrau, die unter anderen da war, setzte sich gleich an ihn heran und fing an, ihn schüchtern und ganz leise über Mathias Täubich auszufragen.

»Ihr seid ja da gewesen, da habt ihr ihn auch sehen müssen ... ist er gesund und wohlauf? Und werden sie ihn freilassen? ...« drang sie auf ihn ein, ohne ihm in die Augen zu schauen.

»Und wie geht es eurem Mann beim Militär? Ist er gesund? Kommt er denn bald wieder? ...« fragte er schließlich ebenso leise, sie mit zornigen Blicken ansehend.

Sie wurde rot und lief zur Stube hinaus hinter die Mühle.

Er schüttelte den Kopf über ihre Verblendung und verließ das Stübchen mit der Absicht, mit ihr zu reden und sie vor der Sünde zu warnen, er konnte sie aber im Mühlhaus in dem fliegenden Mehlstaub und dem Halbdunkel, das trotz des brennenden Lämpchens herrschte, nicht finden; sie hatte sich vor ihm versteckt. Die Mühle aber ratterte so laut, das Wasser stürzte mit solchem Lärm auf die Räder, und der Wind polterte so gegen die Wände und Dächer, wie wenn gewaltige Säcke gegen das Haus geschleudert würden/alles war in einem solchen Beben und Zittern, als ob es in diesem Augenblick auseinanderfallen sollte, bis Rochus das Suchen aufgab und sich auf den Weg zu den anderen Frauen machte.

Währenddessen war es schon ganz Nacht geworden, und durch die sich bewegenden Bäume sah man hier und da wie Wolfsaugen Lichter zittern und blinzeln, aber es war doch seltsam hell draußen, so daß man die in den Obstgärten versteckten Häuser gut sehen konnte, und selbst bis auf die Felder reichte der Blick; der Himmel wölbte sich dunkelblau und fast makellos über der Erde, nur hier und da war er mit Nebelwölkchen wie mit Schneestaub bestreut, und die Sterne kamen immer zahlreicher zum Vorschein; der Sturm jedoch wollte nicht still werden. Im Gegenteil, er hatte noch an Macht gewonnen und tobte über der ganzen Welt.

Es wehte fast die ganze Nacht, so daß kaum einer dazu kam, die Augen, wenn auch auf ein Paternoster, zu schließen, denn der Wind blies durch die Wände hindurch; die Zweige der Bäume peitschten gegen die Scheiben, und es fehlte wenig, daß sie sie eingeschlagen hätten; der wütende Sturm stieß so und drängte dermaßen gegen die Wände an, als stemmte er sich mit mächtigen Schultern dagegen; man fürchtete schon, er würde das ganze Dorf zuschanden wehen.

Es wurde erst gegen Morgen ruhiger; aber kaum hatten die Hähne den Tagesanbruch ausgekräht, und die ermüdeten Menschen waren eingeschlafen, ließ sich ein Donnern vernehmen und rollte schwer über der Welt, Blitze zuckten wie feurige Taue am Himmel auf und zu guter Letzt kam ein Platzregen. Man erzählte selbst, daß die Blitze irgendwo hinter den Wäldern eingeschlagen hätten.

Erst bei vollem Morgen flaute der Sturm ganz ab, der Regen ließ nach und ein warmer Dunst kam von den Feldern; die Vögel fingen an, freudig zu zwitschern, und obgleich die Sonne sich nicht gezeigt hatte, rissen die tief herabhängenden weißlichen Wolken auseinander und der Himmel wurde sein blau. Man meinte, es würde gutes Wetter geben.

Im Dorf aber erhob sich ein Wehklagen, denn es zeigte sich so viel Schaden nach diesem Sturm, daß es gar nicht zu zählen war: auf den Wegen lagen die entwurzelten Bäume wie niedergemäht, Stücke von Dächern und Zäune versperrten die Dorfstraße, so daß man gar nicht mit einem Wagen durchkommen konnte.

Bei den Ploschkas waren die Schweineställe eingestürzt und hatten alle Gänse erdrückt. Und es zeigte sich in jedem Haus ein Schaden, so daß alle Heckenwege vor Frauen wimmelten und das Jammern und Weinen kein Ende nehmen wollte.

Gerade war Anna hinausgetreten, um die Wirtschaft zu besichtigen und den Schaden in Augenschein zu nehmen, als die Sikorabäuerin auf den Hof gerannt kam.

»Wißt ihr's denn nicht? ... Dem Stacho ist das Haus eingestürzt! ... Ein Wunder, daß es sie nicht erschlagen hat!« schrie sie schon von weitem.

»Jesus Maria!«

Sie war vor Entsetzen ganz starr geworden.

»Ich bin geradeaus zu euch gerannt, denn die sind da ganz ohne Verstand und weinen nur immerzu ...«

Anna ergriff eine Schürze, mit der sie den Kopf bedeckte, und rannte, was sie nur rennen konnte; die Menschen, zu denen die Kunde von dem Unglück rasch gedrungen war, folgten ihr im dichten Haufen.

Es war wirklich so, von Stachos Haus waren nur noch die Wände übriggeblieben, nur daß sie noch mehr verbogen und in den Boden gedrückt schienen, das Dach war gar nicht vorhanden, nur ein paar gebrochene Sparren hingen noch am Giebel, auch der Schornstein war eingestürzt, es blieb von ihm nur noch ein spitzer Rest, der wie ein hohler Zahn in die Luft ragte, den Boden rings herum bedeckten zerzauste Garben und zerbrochenes Hausgerät.

Veronka saß an der Wand auf einem Haufen aufeinander gestapelter Sachen und heulte laut, die weinenden Kinder mit den Armen umfassend.

Anna stürzte auf sie zu, die Menschen bildeten um die Sitzende einen Kreis, doch sie hörte und sah nichts und schluchzte immer verzweifelter.

»Oh, wir armen Waisen, wir Unglückseligen! ...« stöhnte sie klagend, daß manch einem dabei die Tränen aus Mitleid in die Augen kamen.

»Und wo sollen wir Unglücklichen uns denn hintun? Wo werden wir uns bergen? Wo sollen wir hin?« schrie sie ganz außer sich, die Kinder an sich pressend.

Und der alte Bylica, geduckt und blau im Gesicht wie ein Toter, ging immerzu um den Trümmerhaufen herum, trieb die Hühner zusammen, warf der Kuh, die am Süßkirschenbaum angebunden stand, einen Happen Heu zu, pfiff dem Hund und starrte wie dumm auf die Menschen ...

Sie dachten schon, er hätte den Verstand ganz verloren.

Plötzlich entstand eine Bewegung in der Menge, man trat auseinander und verbeugte sich demütig, denn der Pfarrer war unerwartet gekommen.

»Ambrosius hat mir soeben von dem Unglück erzählt. Wo ist denn Stachos Frau?«

Sie traten auseinander, so daß sie sichtbar wurde; doch sie sah nichts durch ihre Tränen.

»Veronka, Hochwürden selbst sind doch hergekommen.« flüsterte ihr Anna zu.

Da erst sprang sie auf, und als sie den Priester vor sich stehen sah, fiel sie ihm zu Füßen und brach in ein noch kläglicheres, jammervolles Weinen aus.

»Beruhigt euch, Frau, weint doch nicht! ... Was soll man da tun? ... Gottes Schickung ... na, ich sag' es euch: Gottes Schickung!« wiederholte er seine Worte, selbst so gerührt, daß er sich heimlich die Tränen aus den Augen wischte.

»Auf den Bettel werden wir nun gehen müssen, auf den Bettel in die Welt!«

»Na, schreit doch nicht so, gute Leute lassen euch nicht verderben, und der liebe Gott wird euch anderweitig was zukommen lassen. Habt ihr denn selber keinen Schaden genommen?«

»Gott war noch gnädig gewesen!«

»Das ist ein wahres Wunder.«

»Es hatte ja alle totdrücken können wie die Gänse der Ploschkabäuerin.«

»Nicht eine lebendige Seele wäre davongekommen!« redeten sie eifrig durcheinander.

»Und habt ihr unter dem Vieh auch Verlust? Was? Unter dem Vieh, sag' ich!«

»Gott hat es verhütet, alles war im Flur, und der ist ganz geblieben.«

Der Priester langte nach einer Prise und ließ die tränenerfüllten Augen über den Trümmerhaufen schweifen, der einzig und allein noch von der Hütte übriggeblieben war, das Dach war mit den Decken der Stuben zusammen ganz eingestürzt, und durch die eingedrückten Scheiben sah man einen Haufen zerbrochener Balken und faulen Dachstrohs liegen.

»Ihr habt noch Glück gehabt, es hätte auch sonst alle totdrücken können ... na, na!«

»Das hätte es tun sollen, alle hätte es totschlagen sollen, dann brauchte ich nicht mehr auf dieses Elend zu schauen, dann hätte ich diese Not und dieses Verderben nicht erlebt ... O Jesus, mein Jesus! Ganz ohne etwas bin ich zurückgeblieben mit diesen Waisen ... Wo soll ich mich nun hintun? Was soll ich jetzt anfangen?« heulte sie wieder los, verzweifelt ihr Haar raufend.

Der Priester breitete ratlos die Hände auseinander, von einem Fuß auf den andern tretend.

»Hier wird es trockener sein!« murmelte eine der Frauen schüchtern, ihm ein Brett unterschiebend, denn er stand bis über die Knöchel im Schmutz; er trat darauf, und indem er seine Prise schnupfte, dachte er nach, was er wohl noch zum Trost sagen sollte.

Anna machte sich eifrig um die Schwester und um den alten Vater zu schaffen, und der Rest drängte sich um den Priester und glotzte ihn an.

Vom Dorf kamen immer mehr Frauen und Kinder herbei, der Schmutz platschte unter den Pantinen, und immer zahlreichere ängstliche, gedämpfte Stimmen wurden aus der fortwährend anwachsenden Menge hörbar; dann wieder vernahm man das Weinen von Kindern oder Veronkas schon schwächer werdendes Aufschluchzen; auf den Gesichtern aber, die unter den über die Stirn geschobenen Schürzen kaum zu sehen waren, verbarg sich das Mitleid und lag die Sorge so düster, wie der wolkenverhangene Himmel, der über den Häuptern hing; über manche Wange liefen Tränen ...

Doch sie lehnten sich nicht auf dagegen und nahmen das alles mit Ergebung als göttliche Fügung auf. Wie sollte es denn auch wohl anders sein? wenn jeder Mensch sich noch fremde Not zu Herzen nehmen sollte, dann würde ihm für die eigene seine Kraft nicht ausreichen, und obendrein noch: wird das einer wieder ungeschehen machen können, was schon Schlimmes geschehen ist, wird er es verhindern? ...

Der Priester stellte sich plötzlich neben Veronka und sagte:

»Und zuerst solltet ihr dem lieben Gott danken für eure Errettung ...«

»Das ist wahr, und wenn ich das Ferkel verkaufen sollte, eine Messe will ich dafür lesen lassen ...«

»Das ist nicht nötig; behaltet das Geld für dringendere Geschäfte, ich will sowieso nach den Feiertagen eine Messe für euch lesen.«

Sie küßte ihm die Hände und umfaßte voll herzlichen Dankes für die Güte und das Mitleid seine Knie; er machte eine segnende Gebärde über sie, legte ihr seine Hand aufs Haupt und zog voll Güte die ihn umdrängenden Kinder an sich, sie freundlich streichelnd wie der zärtlichste Vater.

»Verliert nur nicht die Zuversicht, und alles wird sich zum Guten wenden. Wie ist denn das also gewesen?«

»Wie? Wir sind gleich am frühen Abend schlafen gegangen, da in der Lampe kein Öl mehr war und es uns auch an Holz zum Heizen fehlte. Es wehte mächtig, so daß es im ganzen Haus krachte; bange war mir aber nicht darum, denn nicht nur solche Stürme hat es überdauert. Erst konnt' ich nicht schlafen, so blies es durch die Stube, aber dann mußte ich doch eingeschlummert sein. Und da plötzlich knallt es los, daß alles nur so erbebte, und einen Stoß gab es gegen die Wände! Jesus! ... Ich dachte, daß die ganze Welt durcheinander geht. Ich sprang aus dem Bett, und kaum hatt' ich die Kinder im Arm, da kracht schon alles, bricht zusammen und fliegt um meinen Kopf herum ... kaum, daß ich noch in den Flur hinauskam, und das Haus ist hinter mir zusammengestürzt ... Noch hatte ich meine Gedanken nicht beisammen, da fällt der Schornstein mit einem lauten Krach um ... Draußen aber weht es so, daß es schwer war, auf den Beinen aufrecht zu bleiben, und der Wind reißt die Bedachung auseinander. Und dabei noch die Nacht, bis zum Dorf ein Stück Wegs, alle schlafen, gar nicht daran zu denken, daß sie das Rufen hören werden ... Ich hab' mich mit den Kindern in der Kartoffelgrube versteckt, und so haben wir bis zum Morgengrauen da gesessen.«

»Gottes Vorsehung hat über euch gewacht. Wessen Kuh ist denn die da am Baum?«

»Das ist ja meine, unsere einzige Ernährerin!«

»Die wird wohl gut Milch geben, der Rücken wie ein Balken, hat hohe Hüften ... Ist sie trächtig?«

»Die muß dieser Tage schon kalben.«

»Bringt sie nur in meinen Stall, da findet sich schon Platz; bis es mit dem Grünfutter so weit ist, kann sie da stehenbleiben ... Und wohin wollt ihr euch denn hintun, ah? Wohin denn? ...«

Plötzlich fing ein Hund an zu bellen und wütend gegen die Menschen anzuspringen, und als man ihn zurückgejagt hatte, setzte er sich auf die Schwelle des eingestürzten Hauses und fing an, furchtbar zu heulen.

»Ist der toll geworden, oder was? Wem gehört er denn?« fragte der Priester, sich etwas hinter die Frauen versteckend.

»Das ist doch unser Krutschek ... versteht sich, daß es ihm leid tut um den Schaden ... der fühlt es gut, das Hündchen ...« murmelte Bylica und machte sich auf, um ihn zu beschwichtigen.

Der Priester bot Gott zum Gruß, winkte der Sikorabäuerin, sie sollte mitkommen, und seine beiden Hände den Frauen entgegenstreckend, die sich hinzudrängten, sie zu küssen, entfernte er sich langsam.

Sie sahen, daß er noch lange mit ihr auf der Landstraße redete.

Das Weibervolk aber fing ziemlich rasch an, sich zu zerstreuen, nachdem es noch ein bißchen miteinander herumgeredet hatte; man erinnerte sich plötzlich an das Frühstück und an die dringenden Arbeiten.

Am Trümmerhaufen blieb nur die Familie allein zurück, sie überlegten gerade, wie sie da wohl etwas aus der eingestürzten Stube herausholen könnten, als die Sikorabäuerin atemlos zurückkehrte.

»Und zu mir könnt ihr übersiedeln, auf die andere Seite, wo Rochus die Kinder unterrichtet hat ... gewiß, es ist kein Herd da, aber ihr könnt einen Kanonenofen hineinstellen, das wird ausreichen ...« redete sie schnell.

»Du meine Güte, womit sollte ich euch denn die Miete bezahlen?«

»Macht euch darüber keine Sorgen. Werdet ihr was über haben, dann könnt ihr bezahlen, und nicht, dann könnt ihr bei irgendeiner Arbeit mal helfen oder könnt meinetwillen für ein Gott bezahl's da sitzen. Die Stube steht doch leer! Ich bitt' euch von Herzen, und der Pfarrer schickt euch dieses Geld da als ersten Beistand!«

Sie entrollte vor ihren Augen ein Dreirubelpapier.

»Daß ihm Gott die Gesundheit gebe!« rief Veronka, den Schein küssend.

»Gut ist er, daß man einen solchen zweiten gar nicht finden kann!« fügte Anna hinzu.

»Die Kuh wird es in Pfarrers Kuhstall auch nicht schlecht haben, versteht sich! ...« sagte der alte Bylica.

Man begann gleich mit der Übersiedelung.

Sikoras Haus stand unweit am Fußsteg an der Biegung nach dem Dorf zu. Sie fingen sofort an, den Rest von ihrem Hab und Gut und alles, was man in der Eile unter dem Schutt an Geräten und Bettwäsche herausholen konnte, herüber zu schaffen. Anna hatte selbst ihren Knecht zu Hilfe gerufen, und schließlich kam auch Rochus und machte sich rüstig ans Mithelfen, so daß, ehe noch zu Mittag geläutet wurde, Veronka schon in ihrer neuen Behausung saß.

»Eine Kätnerin bin ich jetzt, fast ein Bettelweib! Vier Ecken und der Ofen, das ist alles, was ich habe; nicht mal ein Bild, nicht eine ganze Schüssel!« klagte sie voll Bitternis, sich nach allen Seiten umblickend.

»Ich bringe dir schon irgendein Bild, und auch was ich an Wirtschaftsgerät entbehren kann. Wenn Stacho zurückkommt, dann wird er mit dem Beistand der Menschen das Haus rasch wieder aufbauen, so daß du hier nicht so lange bleiben wirst ...« beruhigte sie Anna gütig. »Und wo ist denn der Vater?«

Sie wollte ihn zu sich nehmen.

Der Alte war bei seinem Haus zurückgeblieben, saß auf der Flurschwelle und legte seinem Hund einen Verband an.

»Macht euch zurecht, mit mir zu gehen, bei der Veronka ist es auf dem Neuen zu eng, und bei uns findet sich doch noch eine Ecke für euch.«

»Ich geh nicht, Hanusch ... nee, nee ... hier will ich bleiben ... hier bin ich zur Welt gekommen, hier will ich denn auch sterben.«

Was mußte sie bitten und ihm alles vorstellen, aber er wollte nicht, einfach nicht ...

»Im Flur, da mach' ich mir ein Lager schon zurecht ... jawohl ... und wenn du willst ... dann komm' ich zu euch essen ... auf die Kinder kann ich dir passen dafür ... jawohl ... Nimm nur den Hund mit, an der Seite ist er verwundet ... jawohl ... er wird dir gut aufpassen ... der hat einen guten Wind.«

»Die Wände werden noch umfallen und euch zerdrücken!« bat sie und suchte ihn immer wieder zu überreden.

»Ii ... die halten noch länger wie manch ein Mensch ... Nimm das Hündchen mit ...«

Sie drängte nicht mehr, da er nicht wollte. In Wahrheit war es auch bei ihr eng, und sie hätte mit dem Alten immer doch eine neue Sorge gehabt.

Sie befahl dem Pjetrek, den Hund an ein Tau zu nehmen und nach Hause zu bringen.

»Der wird für Burek reichen, der irgendwo weggelaufen ist. Dieses dumme Tier!« rief sie ungeduldig, denn Pjetrek konnte mit dem Hund nicht fertig werden.

»Dummer ... wird da beißen ... da kriegst du alle Tage zu fressen ... jawohl, und im Warmen wirst du liegen können ... Krutschek!« redete der Alte dem Hund freundlich zu und half ihn ans Tau zu befestigen.

Sie lief voraus, um noch vor dem Weggehen bei der Schwester einzusehen.

Sie verwunderte sich sehr, als sie in der Stube bei Veronka ein paar Frauen antraf, und dazu noch Veronka ganz in Tränen aufgelöst.

»Wodurch hab' ich mir nur so viel Güte bei euch verdient, wodurch denn?« hörte sie die Veronka weinerlich reden.

»Viel können wir nicht tun, überall ist die Not groß, aber was wir gebracht haben, das sollt ihr nehmen, denn wir geben es euch aus aufrichtigem Herzen,« redete die Klembbäuerin auf sie ein, ihr ein ziemlich großes Bündel in die Hände stopfend.

»Ein solches Unglück ist euch zugestoßen!«

»Man ist doch auch nicht aus Stein und kennt sich mit der Not aus.«

»Und dazu seid ihr ohne Mann, wie alle.«

»Da ist es euch denn auch noch schwerer.«

»Und der Herr Jesus gibt euch noch eine schwerere Prüfung ...« redeten sie gleichzeitig auf sie ein und legten ihre Bündel vor sie nieder, denn sie hatten sich gemeinsam verabredet und brachten ihr, was jede nur konnte: die eine Erbsen, die andere Gerstengraupen, eine wieder Mehl ...

»Liebe Leute, Bäuerinnen, leibliche Mütter!« schluchzte Veronka gerührt, sie so herzlich umarmend, daß alle miteinander das Weinen ankam.

»Es gibt noch gute Menschen in der Welt, das ist wahr!« dachte Anna gerührt.

Und gerade schob sich auch noch die Organistin zur Tür herein mit einem großen Brotlaib unter dem Arm und einem Stück Speck, das sie in Papier gewickelt hatte.

Anna aber lief, ohne auf ihre Anrede zu warten, rasch heim, da man gerade zu Mittag läutete.

Es war hell draußen, die Sonne zeigte sich jedoch nicht, und dennoch strahlte der Tag eine seltsame sonnige Helle aus; an dem hohen blauen Himmel hatten sich weiße Wolken gelagert, die wie aufgeblähte Tücher waren, und unten breiteten sich die Äcker zu einer endlosen Weite aus, die ganz klar zu sehen war und hier und da grün schimmerte, hier und da fahl aussah, denn es waren Stoppelfelder und Brachland dazwischen, mittendurch leuchteten die Wasserläufe wie spiegelnde Scheiben.

Die Lerchen sangen laut vernehmbar, und von den Feldern, von den Wäldern, aus der blauen Ferne kam frische Frühlingsluft durch die Welt geflossen, ganz von einer warmen Feuchte und von dem Honigduft der Pappelknospen durchtränkt.

Auf den Wegen wimmelte es von Menschen: sie schleppten die vom Sturmwind geknickten Äste und Bäume in die Heckenwege.

In den Lüften aber war es so still, daß die Bäume, die mit dem Flaum des ersten Knospengrüns angehaucht waren, sich kaum bewegten.

Wie eine dichte Wolke tummelten sich unzählige Spatzenscharen um die Kirche herum; auf den Ahornen und breitästigen Linden war es ganz schwarz von ihnen, und der Lärm und das ohrenbetäubende Gezwitscher verbreitete sich durchs ganze Dorf.

Am glatten, leuchtenden Weiher aber schrien die Gänse, die die Gösseln bewachten, und die Waschhölzer schlugen scharf drein, denn es wurde zugleich an verschiedenen Stellen gewaschen. Und überall war ein Leben, überall wurde eilig gearbeitet, man schrie sich von Haus zu Haus Verschiedenes zu, ganze Schwärme von Kindern waren zu sehen, und aus den Gärten blitzten die roten Frauenröcke auf.

Die Flure und Stuben standen sperrangelweit offen, auf den Zäunen trocknete man die frische Wäsche, lüftete in den Obstgärten die Betten, weißte hier und da die Wände; die Hunde machten Streit mit den Schweinen, die an den Gräben herumschnüffelten und hier und da sah man die Kühe ihre gehörnten Köpfe über die Umzäunung heben und hörte sehnsüchtiges Brüllen.

Manch ein Wagen fuhr nach dem Städtchen wegen der Feiertagseinkäufe, und gleich gegen Mittag kam in seinem langen Korbwagen der alte Händler Judka mit Weib und Kind an.

Sie fuhren von Haus zu Haus, von den Hunden eifrig begleitet, die ihnen mächtig zusetzten; und es gab kaum ein Haus, wo der Judka mit leeren Händen herauskam, denn er war kein Betrüger, wie der Schankwirt oder die anderen, zahlte nicht schlecht und half manch einem in der bösen Zeit der Vorerntenot mit barem Geld und auf nicht allzuhohe Prozente aus. Er war ein kluger Mann, der alle im Dorf kannte und wohl wußte, wie er mit jedem reden sollte; so sah man ihn denn immer wieder hier und da ein Kalb auf den Wagen laden oder einen Scheffel Korn heraustragen; die Jüdin handelte aber inzwischen auf eigene Faust und trug Eier, Hähne, ein gerupftes Huhn oder auch einen Ballen Leinwand herbei, denn sie schwindelte sich das hauptsächlich durch Austausch zusammen für die Krausen, Bänder, Litzen und Nadeln und den ganzen Putz, auf den das Frauenvolk stets happig ist, und den sie in einer gewaltigen Schachtel mit sich führte, die Habgierigeren damit anlockend ...

Sie kamen gerade vor den Borynahof gefahren, als schon Fine mit Gekreisch hereingestürzt kam und rief:

»Hanusch, kauft doch rote Litze! Und auch zum Färben der Eier brauchen wir Brasilienfarbe, Nähgarn ist doch auch nicht da!« bat sie ganz flehentlich.

»Morgen fährst du nach der Stadt, da kannst du alles kaufen, was wir brauchen.«

»Das ist selbst billiger in der Stadt, und sie beschwindeln einen nicht so!« bekräftigte sie, froh, daß sie fahren sollte; und ohne erst einen Befehl abzuwarten, stürzte sie zu den Händlern hinaus und schrie, sie brauchten nichts, und verkaufen wollten sie auch nichts.

»Und jag' da die Hühner weg, daß sich nicht eins noch an den Judenwagen mit anspannt!« rief Anna hinter ihr her, vors Haus sehend.

Gerade bog Therese, die Soldatenfrau, eilig in den Heckenweg ein, als ob sie vor der Jüdin flüchten wollte, die ihr etwas nachrief.

Sie kam eilig in die Stube herein, ohne ein Wort hervorbringen zu können, stotterte etwas und war ganz rot und so besorgt, daß ihr selbst die Tränen an den langen Wimpern hingen.

»Was ist denn mit euch, Therese?« fragte Anna voll Neugierde.

»Diese Betrüger geben mir nur fünfzehn Silberlinge für einen ganz neuen Beiderwandrock! Ich brauch' grad das Geld so, daß ich gar nicht weiß, wo ich abbleiben soll ...«

»Zeigt mal her ... ist er denn teuer?« Sie war gierig auf Kleidung.

»Wenn es doch wenigstens dreißig Silberlinge wären! Der Rock ist ganz neu, sieben Ellen und eine halbe Spanne hat er, an Wolle allein hab' ich mehr als vier Pfund gebraucht ... dem Färber hab' ich auch was bezahlt.«

Sie wickelte ihn in der Stube aus; er schimmerte wie ein Regenbogen in allen Farben, so daß es einem vom Ansehen vor den Augen zu flimmern begann.

»Ist das eine Pracht von Rock! Schade, aber was soll man machen? ... Ich brauch' all mein Geld für das Fest doch, könnt ihr denn nicht bis Sonntag nach Ostern warten?«

»Hale, ich brauch' aber das Geld! ich brauch' es noch diesen Augenblick!«

Sie rollte rasch den Rock zusammen, das Gesicht wie beschämt abwendend.

»Vielleicht nimmt ihn die Schulzin ... die haben eher bar Geld.«

Sie fing an, ihn nochmals zu besehen, und ihn sich an die Hüfte haltend anzupassen, mit einem Seufzer des Bedauerns gab sie ihn schließlich zurück.

»Willst du dem Deinen Geld nach dem Militär schicken?«

»Versteht sich ... er hat geschrieben ... er wimmert, daß er Not leidet ... Bleibt mit Gott!«

Sie rannte fast aus dem Haus, und Gusche, die in einem Zuber Kartoffeln für die Mastsau zerstampfte, fing an, aus vollem Halse zu lachen.

»Habt ihr sie an die Wand gedrückt? Ein Wunder, daß sie die Röcke in der Eile nicht verloren hat! Das Geld braucht sie doch für Mathias, nicht für ihren Mann.«

»Sind die denn so miteinander bekannt!« verwunderte sie sich sehr.

»Du liebe Güte! Ihr seid auch, als ob ihr im Walde wohntet ...«

»Woher soll ich's denn wissen?«

»Die Therese, die rennt doch jede Woche nach Mathias hin und lauert wie'n Hund vor dem Gefängnis; sie trägt ihm hin, was sie nur kann.«

»Du mein Gott! ... Sie hat doch ihren eigenen Mann!«

»Das wohl, aber der dient, ist weit fort, man weiß nicht, ob er wiederkommt, und der Frau allein wird die Zeit lang; der Mathias aber war nahe bei der Hand und ist ein Kerl, der sich sehen lassen kann. Was soll sie sich ihn da nicht gönnen?«

Anna kamen Antek und Jagna in den Sinn. Sie versann sich tiefsinnig.

»Und als sie den Mathias genommen haben, da hat sie sich an seine Schwester, an die Nastuscha herangemacht, sie sitzt da sogar bei denen den ganzen Tag im Haus, und dann geht es zusammen in die Stadt. Nastuscha, um sozusagen den Bruder zu sehen und hauptsächlich, um sich Schymek in Erinnerung zu bringen, der Dominikbäuerin ihrem ...

»Daß ihr auch alles wißt! Na, na!«

»Die Dummen machen es ja einem direkt vor den Augen, da kann man es leicht durchschauen. Sie verkauft den letzten Rock, um Mathias einen Festtag zu machen!« höhnte sie bissig.

»Nee, nee, was die Menschen nicht anstellen! ... Ich müßte auch zu Antek hin.«

»So ein Stück Wegs in eurem Zustand, ihr werdet noch krank ... Kann denn da nicht die Fine oder jemand anders hin?« Sie konnte sich kaum zurückhalten, um die Jagna nicht zu erwähnen ...

»Ich gehe allein, Gott wird verhüten, daß mir was geschieht; Rochus sagte, daß sie während der Feiertage zu ihm hineinlassen werden, da will ich denn hinfahren ... Die Schweinsrippe müßte doch aber noch umgelegt werden.«

»Den dritten Tag liegt sie schon im Salz, und recht habt ihr, das könnte nicht schaden; ich geh da gleich hin.«

Sie ging, kehrte aber ebenso rasch, etwas eingeschüchtert, wieder zurück und meldete, daß die Hälfte fehle.

Anna rannte sofort nach der Kammer hinüber, und Fine lief hinterdrein; sie blieben beide über den Zuber gebeugt erschrocken stehen und überlegten, wo das fehlende Teil wohl geblieben wäre.

»Das sind keine Hunde: man sieht genau, wo es mit dem Messer abgeschnitten ist ... ein Fremder ist hier auch nicht hineingekommen wegen den paar Pfund ... Das ist Jagna ihre Arbeit,« entschied Anna, indem sie wütend auf die Stube zuging; aber Jagna war nicht da, der Alte lag nur wie immer mit weit aufgerissenen Augen.

Jetzt erst erinnerte sich Fine, daß Jagna, als sie des Morgens das Haus verließ, etwas unter der Schürze verborgen trug, sie hatte gedacht, daß es irgendein Putz sei, den sie wohl mit einer von den Balcerekmädchen zusammen für das Fest zurechtmachten.

»Sie hat es nach der Mutter getragen ... Wem es schmeckt, der fragt nicht danach, woher es genommen ist ...«

Auf diese Worte Gusches schrie Anna ganz zornig:

»Fine! ruf' den Pjetrek her! ... man muß den Rest nach meiner Kammer herübertragen.«

In einem Augenblick war die Arbeit getan; Anna wollte bei dieser Gelegenheit auch die Fässer mit dem Getreide auf ihre Seite herüberrollen lassen, um darin ruhig nachzusuchen, aber sie ließ es nach, denn es waren ihrer zu viele da, und man hätte es leicht inzwischen dem Schmied melden können.

Den ganzen Nachmittag hatte sie auf Jagna gelauert; und als diese bei Dunkelwerden zurückkehrte, fiel sie über sie her und herrschte sie wegen des Fleisches an.

»Ich hab' es gegessen! ... Es ist ebenso mein, wie euer, da hab' ich mir ein Stück weggeschnitten und aufgegessen!« antwortete sie trotzig. Und obgleich ihr Anna den ganzen Abend keine Ruhe ließ und wütend herumschimpfte, antwortete sie mit keinem Wort mehr, sie wie absichtlich dadurch reizend. Sie kam sogar zum Abendbrot herüber, als ob nichts geschehen wäre und sah ihr lächelnd in die Augen.

Anna wurde fast rasend vor Wut, weil sie es nicht vermocht hatte, sie unterzukriegen.

Darum setzte sie den ganzen Abend allen wegen der geringsten Kleinigkeiten zu und trieb sie selbst früher zu Bett, mit der Begründung, daß am nächsten Tag, als am Gründonnerstag, ans Ordnungmachen gegangen werden müßte.

Sie selbst legte sich auch früher wie gewöhnlich hin, konnte aber bis spät in die Nacht hinein nicht einschlafen, und da sie wütendes Hundegebell hörte, stand sie auf, um hinauszusehen.

Bei Jagna war noch Licht.

»Es ist doch schon spät, schade um das Öl, umsonst kriegt man es nicht!« knurrte sie an der Tür.

»Ihr könnt ja auch so viel brennen, wie ihr wollt, meinetwegen die ganze Nacht!« rief ihr Jagna zurück.

Anna ärgerte sich dermaßen darüber, daß sie erst einschlief, als die ersten Hähne gekräht hatten.

Am frühen Morgen, bei Tagesanbruch, sprang Fine, die sonst der größte Langschläfer war, als erste vom Lager, an die Fahrt nach der Stadt erinnernd, wo sie Einkäufe machen sollte; sie rannte gleich hin, um die Burschen zu wecken, sie sollten die Pferde bereithalten, und muckte trotzig auf, als Anna Pjetrek den Befehl gab, die braune Stute vorzuspannen.

»Ich will nicht in einem Bretterwagen fahren mit der blinden Stute!« heulte sie los. »Bin ich denn ein Bettelweib, daß man mich in einem Mistkarren fährt? Sie wissen doch in der Stadt, wessen Tochter ich bin! Der Vater hätte das nie zugelassen ...«

Sie machte ein solches Geschrei, bis sie zuletzt doch ihren Willen durchsetzte; sie fuhr also mit dem Korbwagen davon, mit einem Zweigespann und mit dem Knecht auf dem Vordersitz, wie die Hofbäuerinnen auszufahren pflegten.

»Kauf' auch rotes und goldenes und was es sonst noch für Papiere gibt!« rief Witek vom Gemüsegarten ihr nach, wo er schon seit Tagesanbruch auf den Beeten die Erdschollen zerkleinerte und die Erde lockerte, denn Anna wollte noch an diesem Tage Kohl säen. Wenn aber die Bäuerin sich längere Zeit nicht vor dem Hause zeigte, rannte er auf die Dorfstraße zu den anderen Jungen und knatterte mit der Holzknarre herum, um die Leute zur Kirche zu rufen, denn es war am Gründonnerstag Sitte, daß die Glocken vom frühen Morgen an schwiegen.

Das gute Wetter befestigte sich immer mehr und glich dem vom gestrigen Tage, nur schien es etwas trauriger und auch stiller in der Welt zu sein. In der Nacht war Frost gewesen, und der Morgen erhob sich, ganz naß vom silbrig-grauen Tau, es war noch etwas neblig und kühl, so daß die Schwalben bei hellem Tag noch immer zusammengekauert und leise zwitschernd auf den Dachfirsten saßen; und die Gänse, die man nach dem Weiher getrieben hatte, kreischten lauter als sonst; das ganze Dorf war aber, kaum daß es Tag wurde, schon auf den Beinen.

Bis zum Frühstück war es noch weit, aber schon herrschte überall ein Lärm und ein Gerenn, und die Kinder, die man aus den Häusern getrieben hatte, damit sie nicht stören sollten, trieben sich auf den Wegen herum, mit den Knarren Unfug treibend und lärmend.

Selbst kaum eine der Frauen war zur Messe gegangen, die heute ohne Orgelklang und ohne Geläute abgehalten wurde. Es war nämlich schon die letzte Zeit für das vorfeiertägliche Ordnungsmachen und auch für das Brotbacken, das Einrühren der Kuchen und all die besonderen Brezeln, darum waren auch in jedem Haus die Fenster und Türen fest zu, daß der Teig sich nicht abkühlte, die Herdfeuer flammten und aus den Schornsteinen schlug Rauch zum wolkenverhangenen Himmel empor.

In den Kuhställen brüllte das Vieh, vor Hunger die Krippen benagend, die Schweine wühlten in den Gärten, das Geflügel trieb sich auf den Wegen herum, und die Kinder machten, was sie wollten, zankten miteinander und kletterten auf die Bäume, um Krähennester auszunehmen; es war keiner da, der es ihnen hätte verbieten können; alle Frauen waren mit dem Einrühren und Rollen der Brotlaibe, mit dem Einwickeln der Teigtröge und -mulden in Federbetten und mit dem Einschieben der schon zurechtgemachten Bröte in die Öfen so beschäftigt, daß sie die ganze Welt vergessen hatten und sich nur darum sorgten, daß kein klitschiger Teig in die Kuchen kam und daß sie nicht anbrannten.

Und überall war es dasselbe: beim Müller, bei den Organisten, auf dem Pfarrhof, bei den Hofbauern und Kätnern, selbst der Ärmste, und wenn es auch auf Borg oder für das letzte Quart Getreide wäre, mußte sich den Osterschmaus herrichten, um doch mindestens einmal im Jahr, zu Ostern, nach Herzenslust Fleisch und allerhand Schmackhaftigkeiten zu genießen.

Da sie aber nicht überall Backöfen hatten, so sah man oft die Mädchen von Haus zu Haus mit Trögen und einem Arm voll Kienspäne laufen, und hin und wieder zeigten sich am Weiher die mit Mehl über und über bestäubten und nachlässig gekleideten Weiber, behutsam, als wären es die Tragaltäre bei Kirchumgängen, die großen mit Kissen bedeckten Tischplatten und Mulden voll Gebäck herübertragend.

Selbst in der Kirche wurde eifrig gearbeitet: der Pfarrknecht fuhr vom Walde Tannengrün her, und der Organist begann mit Rochus und Ambrosius das Grab des Herrn Jesus auszuschmücken.

Und am nächsten Tag, am Karfreitag, steigerte sich die Arbeit so sehr, daß nur wenige den Jascho vom Organisten bemerkten, der für die Feiertage aus der Schule freigelassen worden war, im Dorf herumging und in die Fenster guckte, denn es war keine Möglichkeit, irgendwo einzusehen und mit irgendwem zu plaudern.

Wie sollte man auch, es war gar nicht einmal möglich, ein Haus zu betreten, denn überall waren die Durchgänge, ja selbst die Gärten voll von Schränken, Bettgestellen und verschiedenen Hausgeräten, da man heute die Stuben in aller Eile weißte, die Fußböden scheuerte und vor den Häusern die Bilder wusch, die man in Reihen an die Wand gestellt hatte.

Und überall herrschte ein Lärm und ein Durcheinander; sie trieben sich gegenseitig noch zur Eile an, liefen hin und her, schrien laut; und die Kinder hielt man dazu an, den Schmutz an den Zufahrten zusammenzukehren und die Heckenwege mit gelbem Sand auszustreuen.

Und da es sich nach alter Sitte nicht schickte, von Karfreitag morgen an bis Ostersonntag etwas Warmes zu genießen, so hungerten sie etwas Gott zu Ehren, sich mit trockenem Brot und gebackenen Kartoffeln begnügend.

Natürlich, daß während dieser Tage dasselbe auch auf dem Borynahof vor sich ging, nur, da dort mehr Hände zur Arbeit waren und die Geldnot sich nicht so bemerkbar machte, so waren sie denn auch mit ihren Vorbereitungen eher fertig.

Am Karfreitag schon bei Dunkelwerden beendigte Anna mit Pjetrek zusammen das Weißen der Stuben und des Hauses; sie fing an, sich rasch zu waschen und für die Kirche zurechtzumachen, denn es kamen schon die anderen Frauen, um der Zeremonie der Grablegung des Leibes Christi beizuwohnen.

Auf dem Herd war ein großes Feuer angefacht, und in einem Eisentopf, den man zu zweien selbst schwer hätte heben können, kochte ein ganzer Schweinsschinken, der gestern noch rasch etwas geräuchert worden war; im kleineren Kessel aber brodelten die Würste, und es strömten da solche in den Nüstern kribbelnden Düfte durch die Stube, daß Witek, der, bei den Kindern sitzend, etwas schnitzte, immer wieder umherschnüffelte und aufseufzte.

Und am Herd, im vollen Feuerschein, saßen einträchtig Jagna und Fine nebeneinander und waren eifrig mit dem Färben der Ostereier beschäftigt; jede versteckte ihre für sich, um die andere später noch mehr zu übertrumpfen. Jagna wusch ihre Eier zuerst im warmen Wasser ab und bestrich sie, nachdem sie ganz abgetrocknet waren, mit geschmolzenem Wachs, um sie dann der Reihe nach in drei Töpfe mit einer brodelnden Flüssigkeit zu tauchen. Das war eine langwierige Arbeit, denn das Wachs wollte stellenweise nicht halten, oder die Eier wurden zerdrückt und platzten beim Kochen; schließlich aber hatten sie doch über ein Schock fertig gemacht und fingen an, sie einander vorzuzeigen und mit den am schönsten gefärbten voreinander zu prahlen.

Wie sollte da Fine sich mit Jaguscha messen können! Sie zeigte als erste ihre in Roggengrannen und Zwiebelschalen gekochten Eier, die ganz gelb waren, mit weißen Schnörkelchen und so fein, wie es wohl kaum eine gekonnt hätte; als sie aber der Jaguscha ihre sah, sperrte sie das Maul vor Staunen auf, und es wurde ihr ganz unbehaglich zumute. Wie sollte es auch nicht, es flimmerte einem ja in den Augen vor all den Farben, sie waren rot und gelb und veilchenfarben und hellblau wie Flachsblumen, und man sah darauf solche Dinge, daß es einfach nicht zu glauben war: Hähne, die auf Zäunen krähten, auf einem anderen Ei wiederum Gänse, die gegen in Pfützen liegende Mastschweine anzischten; hier sah man einen weißen Taubenschwarm über ein rotes Feld fliegen und auf anderen solche Muster und Wunder wie auf Fensterscheiben, wenn sie der Frost mit Eis bedeckt.

Man staunte darüber und beschaute sie immer wieder und als Anna mit Gusche aus der Kirche zurückkehrte, fing sie auch an, sie zu besehen; aber sie sagte nichts, nur die Alte flüsterte zum Schluß erstaunt, nachdem sie sie alle besehen hatte:

»Woher du das nur so hast? ... na, na ...«

»Woher? ... Von selbst kommt es aus dem Kopf in die Finger.«

Sie war sehr erfreut!

»Hochwürden müßte man ein paar hintragen.«

»Er wird morgen das Osteressen weihen, dann will ich ihm welche anbieten, vielleicht nimmt er sie doch.«

»Hat sich was mit der Herrlichkeit, die Hochwürden nicht gesehen haben soll! ... Wird der sich was zu wundern haben!« murmelte Anna höhnisch, nachdem Jagna auf ihre Seite gegangen war, denn es war inzwischen spät geworden.

Im Dorf saß man auch diese Nacht noch lange auf.

Es war wolkig und dunkel, wenn auch still; die Mühle ratterte eifrig, und in den meisten Häusern war fast bis Mitternacht Licht, so daß sich Lichtscheine auf die Dorfstraße legten und hier und da bis auf dem Weiher flimmerten: man arbeitete noch an den Festtagskleidern und machte Verschiedenes fertig.

Der Ostersonnabend aber war ganz warm und mit dünnem Nebel umflort, doch sah es recht heiter draußen aus, so daß das Volk trotz der schweren gestrigen Arbeit sich eifrig erhob, obgleich es nur neue Mühen und Sorgen zu erwarten hatte.

Vor der Kirche ertönte bald Geschrei und Gelaufe, denn nach uralter Sitte waren sie, wie jeden Sonnabend vor Ostern, in der Morgenfrühe zusammengekommen, um den sauren Mehlbrei und den Hering, die schlimmsten Plagegeister der langen Fastenzeit, zu begraben.

Da es weder ältere Burschen noch Männer gab, so hatten sich lauter Jungen, mit Jaschek dem Verkehrten als Anführer, verabredet; sie waren irgendwie zu einem großen Topf mit saurem Mehlbrei gekommen, zu dem sie noch allerhand Dreck hinzugetan hatten.

Witek ließ sich überreden und trug den Topf in einem Käsenetz auf dem Rücken, und ein anderer Junge schleifte einen aus Holz geschnitzten Hering neben ihm her. Der Mehlbrei mit dem Hering kamen voran, und hinter ihnen her in hellem Haufen/die anderen, alle mit den Knarren knatternd und klappernd und aus vollem Halse schreiend. Jaschek führte sie an, obgleich er etwas dümmelig und eigentlich ein Tölpel war, zu allerhand tollen Späßen hatte er aber genug Verstand und Geschick. Sie umgingen in einer Prozession den Weiher und bogen dicht bei der Kirche auf den Pappelweg ein, auf dem das Begräbnis stattfinden sollte, als plötzlich Jaschek mit dem Spaten gegen den Topf stieß, der in Stücke zersprang, und der Mehlbrei sich mit all seinen Zutaten über Witek ergoß.

Es entstand eine große Heiterkeit, sie mußten sich vor Lachen auf den Weg niedersetzen, aber Witek wurde böse und warf sich mit geballten Fäusten auf Jaschek, verprügelte ihn, soviel er konnte, haute sich noch mit den anderen herum, riß sich plötzlich los und rannte heulend nach Hause.

Die Anna gab ihm obendrauf noch was zu für den ganz verdorbenen Spenzer und trieb ihn an, im Wald Wacholderzweige und Hasenbart zu holen.

Auch Pjetrek lachte ihn tüchtig aus, und die Fine, die den Heckenweg entlang bis zur Dorfstraße weißen Sand streute, wollte ihn heute gar nicht bedauern; nachdem sie fertig war, bestreute sie auch noch die ganze Zufahrt vor der Galerie und den Steg unter der Traufe, so daß das Haus wie von einem gelben Band umwunden war.

In Borynas Stube hatten sie schon angefangen, das zum Weihen bestimmte Osteressen aufzustellen.

Die Stube war sauber ausgescheuert, und auch mit Sand ausgestreut und die Fenster schön blank geputzt; von den Wänden hatte man die Spinnweben abgefegt und über Jagnas Bett ein schönes Tuch gebreitet. Anna stellte mit der Dominikbäuerin und der Jagna, mit denen sie schon fast gar nicht mehr redete, am Fenster nach der Giebelwand zu einen großen Tisch neben Borynas Bett auf; er war mit einem feinen, weißen Leinentuch bedeckt, dessen Zacken Jagna mit einer breiten Borte aus roten Papierschnitzeln beklebt hatte. Auf dem Tisch nach der Fensterseite zu stellten sie die hohe, mit Papierblumen geschmückte Passion und unmittelbar davor auf einer umgestülpten Napfkuchenform war ein Lamm aus Butter zu sehen, das Jagna so geschickt geformt hatte, daß es fast wie lebend schien: die Augen hatte es aus Rosenkranzperlen und den Schwanz, die Ohren und die Hufe sowie die kleine Fahne aus roter gezupfter Wolle. Danach erst legte man in einen Kreis die Roggenbrote und Weizenmehlstuten, die mit Butter und Milch angerührt waren, und gelbe Plätzchen, dicht mit Rosinen wie mit Näglein ausgeputzt; es waren auch kleinere dazwischen für Fine und die Kinder, dann gab es noch Quarkkuchen und andere mit Zucker und mit süßem Mohn bestreute Kuchen, und zum Schluß stellten sie eine große Schüssel mit einem riesigen Haufen Würste und dazwischengesteckten entschälten hartgekochten Eiern auf den Tisch und daneben auf einer Pfanne einen ganzen Schinken und einen mächtigen gefüllten Schweinskopf; alles war mit farbigen Eiern geschmückt; man wartete nur noch auf die Wacholderzweige, mit denen es umsteckt werden sollte, und auf den Hasenbart, mit dem man den Tisch zu bekränzen gedachte. Und kaum daß sie damit fertig waren, kamen auch schon die Nachbarinnen mit ihren Schüsseln, Trögen und Näpfen und stellten sie auf der Bank neben dem Tisch auf, denn der Priester hatte befohlen, nur in ein paar Häuser der ersten Hofbauern die zum Weihen bestimmten Speisen zusammenzutragen; es fehlte ihm an Zeit, von Haus zu Haus zu gehen.

Er hatte Lipce am nächsten, so weihte er denn hier schon zuletzt, oft kam er selbst erst in der Abenddämmerung.

Sie gingen auseinander, ohne sich auf lange Unterredungen einzulassen, um noch zur rechten Zeit in die Kirche zu kommen, wo Wasser und Feuer eingeweiht werden sollten; man löschte vor dem Kirchgang noch die Herdfeuer mit Wasser aus, um sie bei der Rückkehr wieder an der jungen geweihten Flamme anzuzünden.

Auch Fine rannte hin und nahm die Kinder mit.

Sie saßen ziemlich lange in der Kirche, denn erst um die Mittagszeit kamen die Frauen zurück, behutsam die Flammen der in der Kirche angezündeten Kerzen schützend.

Fine brachte eine ganze Flasche geweihtes Wasser und auch Feuer nach Hause, mit dem Anna gleich das bereitgelegte Holz anzündete; sie trank dann einen Schluck von dem Wasser und reichte es der Reihe nach allen hin/es sollte vor Halskrankheiten Schutz gewähren/dann besprengte sie damit das Vieh und die Fruchtbäume im Garten, denn es trug zur Fruchtbarkeit bei und gab bei dem Vieh leichtere Geburten.

Als sie danach merkte, daß weder Jagna noch die Schmiedin an den Alten gedacht hatten, wusch sie ihn mit warmem Wasser, kämmte seine zerzausten Haare aus, zog ihm ein frisches Hemd an und bezog das Bett neu. Boryna ließ alles ruhig mit sich geschehen, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu bewegen; er lag, wie immer, unbeweglich, irgendwo vor sich hinstarrend, da.

Gleich nach Mittag wurde es ganz feierlich im Dorf, hier und da eilte man noch, um mit den gröbsten Arbeiten fertig zu werden; hauptsächlich aber befaßten sich die Menschen mit der Festtagskleidung und mit Kämmen und Waschen der Kinder, so daß aus manch einem Haus die Schreie der sich Sträubenden erklangen.

Alle sahen ungeduldig nach dem Priester aus, der von seiner Rundfahrt nach den benachbarten Gutshöfen erst gegen Abend heimkehrte; er erschien in seinem Chorhemd, das er über den Priestermantel umgetan hatte.

Der Michael vom Organisten trug ein Messingbecken mit Weihwasser und einen Weihwedel vor ihm her.

Anna kam ihm bis auf den Weg entgegen.

Er hatte es eilig, trat rasch ins Haus, sprach ein Gebet, besprengte die Gaben Gottes und beugte sich über das bläulich-fahle mit langen Bartstoppeln bewachsene Gesicht Borynas.

»Ohne Änderung? Wie?«

»Jawohl, die Wunde ist fast geheilt, und er wird gar nicht besser.«

Er nahm eine Prise und ließ seine Blicke über die an der Schwelle und im Flur befindlichen Menschen schweifen.

»Wo ist denn der Junge, der mir den Storch verkauft hat?«

Fine schob den beschämten Witek vom Herd bis in die Mitte der Stube.

»Hier hast du einen Zehner, der ist wirklich gelungen; er jagt mir so die Hühner aus dem Garten, daß nicht eins übrigbleibt! ... Und welche gehen denn morgen zu ihren Männern?«

»Das halbe Dorf will hin!«

»Das ist schön, nur friedlich und in Ruhe, und zur Ostermesse rechtzeitig erscheinen, ich fange um zehn an, um zehn, sag' ich! Und daß ihr mir nicht in der Kirche schlaft, sonst laß ich euch durch Ambrosius hinausbringen!« fügte er schon im Weggehen drohend hinzu.

Sie folgten ihm in einem Haufen bis zum Müllerhaus.

Witek aber, der Fine seine Kupfermünze zeigte, sagte giftig:

»Nicht lange wird mein Storch noch dem Pfarrer seine Hühner scheuchen, nee! ...«

Sie rannten auseinander, denn die Bäuerin kam auf die Galerie zurück.

Es dunkelte langsam, die Dämmerung sickerte leise auf die Erde herab, die Gärten, Höfe und Felder ringsum in eine bläuliche, kaum durchlässige Trübe tauchend, hier und da schimmerten die weißen Wände der zur Erde geduckten Häuser, zitterten Lichter durch die Gärten und hoch oben schnitt die blasse Sichel des jungen Mondes in den klaren Himmel ein.

Die Stille des Feierabends und allmähliche Dunkelheit umspannen das Dorf; in der alle Dorfhäuser hoch überragenden Kirche erglühten alle Fenster und durch die offene große Tür fiel ein breiter Lichtstreif ins Dunkel.

Bald hörte man das Rollen der ersten Wagen, die am Kirchhof vorfuhren, und die Leute aus ferner gelegenen Dörfern fingen an, sich in Haufen einzufinden; auch in Lipce sah man immer wieder einen den Weg nach der Kirche einschlagen, und oft fiel durch eine plötzlich geöffnete Tür ein Lichtstrahl und versank im dämmerigen Weiher. Man hörte in der warmen, dunstigen Luft das Aufstampfen der Füße und gedämpftes, sich näherndes Stimmengewirr. Sie begrüßten sich auf der Dorfstraße, ohne einander im Dunkel erkennen zu können, und wie ein anschwellender Strom zog alles zur Ostermesse.

Auf dem Borynahof blieben nur die Hunde zum Bewachen, der alte Bylica und Witek zurück, der mit Klembs Mathias eifrig an einem Hahn bastelte, den sie am zweiten Ostertag herumtragen wollten.

Anna schickte den Knecht und Fine mit den Kindern voraus; selbst wollte sie aber später kommen. Sie war schon angekleidet, zögerte aber noch mit dem Weggehen, als wartete sie auf irgend etwas, sie trat immer wieder auf die Galerie hinaus und spähte lauernd nach der Straße hinüber. Erst als Jagna mit der Schmiedin davongegangen waren und sie den Schmied mit dem Schulzen nach der Kirche gehen hörte, kehrte sie nach der Stube um und gab dem alten Bylica eine leise Anordnung. Dieser stellte sich darauf im Heckenweg auf die Lauer, während sie auf den Zehen in die auf der Borynaseite befindliche Kammer schlich ... Nach einer guten halben Stunde kam sie von dort heraus und knöpfte eifrig an der Jacke; ihre Augen glühten, und die Hände flogen ihr.

Sie redete Unverständliches vor sich hin und ging zur Ostermesse.


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