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Mach' mal Feuer auf dem Herd und sammle, was an Töpfen da ist, fülle sie mit Wasser und setz' sie auf, ich lauf' indessen zum Juden, Zutaten zu holen.«
»Eilt euch ja, denn der Ambrosius kommt jeden Augenblick.«
»Brauchst keine Angst zu haben, mit Tagesanbruch kommt er nicht her, er muß doch erst die Kirche in Ordnung bringen.«
»Hale, er läutet nur ein und wird hier gleich herkommen, der Rochus sollen ihn doch vertreten.«
»Ich komme noch zurecht, sag du mal den beiden da, sie möchten mal den Trog ausschrubben und vor die Galerie bringen. Wenn Gusche kommt, laß sie die Eimer auswaschen, die Fässer muß man auch aus der Kammer hinaustragen und sie nach dem Weiher bringen, daß sie da aufquellen; vergiß nur nicht, daß da Steine reinkommen, sonst trägt sie das Wasser noch weg. Wecke die Kinder nicht, laß sie schlafen, die armen Würmer, wir haben dann auch mehr Platz ...« schärfte Anna nachdrücklich ein, und nachdem sie die Schürze über den Kopf gezogen hatte, trat sie rasch hinaus in den frühen, regennassen Morgen.
Es war kaum erst Tag geworden, ein wolkiger, naßkalter Tag; weißgraue Nebel dampften aus der durchweichten Erde und fielen als feiner und kalter Regenstaub nieder; die glitschigen, durchnäßten Wege schimmerten weißlich, und die rußgeschwärzten Häuser waren kaum im Regendunst zu sehen. Die triefenden, niedergeduckten Bäume tauchten hier und da wie zitternde Schatten auf, als wären sie selbst auch aus jenen zusammengeballten, glasigen Nebeln gemacht; sie standen über den Weiher gebeugt, der kaum aus den ineinander verwobenen Nebelhüllen hervorblaute, aus denen nur ein bebendes leises Aufplatschen der Regentropfen erscholl, die ununterbrochen auf das Wasser einschlugen, und von überallher kamen die Regenschauer gezogen, so daß die liebe Welt rein gar nicht mehr zu sehen war. Rings war noch kein Mensch zu erblicken.
Erst als die Betglocke mit plärrendem Klang zu läuten begann, leuchteten hier und da die roten Röcke der Frauen auf, die über die trockeneren Stellen der Dorfstraße der Kirche zustrebten.
Anna beschleunigte ihre Schritte, denn sie rechnete, daß sie vielleicht dem Ambrosius an der Wegbiegung vor der Kirche begegnen würde, doch er war noch gar nicht hinausgekommen, nur das blinde Pferd vom Pfarrhof trieb sich wie gewöhnlich am Weiher herum, ein Faß auf Schlittenkufen nach sich ziehend; es blieb immerzu stehen, fuhr sich auf der holperigen Straße fest und suchte, nur durch seine Witterung geleitet, den Weg nach dem Wasser, denn der Knecht hatte sich inzwischen vor dem Regen in einem Heckenweg niedergekauert und rauchte eine Zigarette.
Gerade fuhr vor dem Pfarrhaus ein mit wohlgenährten Braunen bespannter Wagen vor, aus dem der dicke rote Pfarrer aus Laznowo herausstieg.
»Der wird die Beichte hören, da kommt wohl auch jeden Augenblick noch Hochwürden aus Slupia,« dachte sie und sah sich vergeblich nach Ambrosius um; sie wandte sich neben der Kirche auf einen noch mehr durchweichten Weg, der mit Reihen gewaltiger Pappeln besetzt war. Sie standen wie im Nebel der Regenfälle versunken, so daß die mit ihrem beweglichen Schatten wie hinter einer angelaufenen Scheibe schienen; Anna ging an der Schenke vorüber und wählte rechts einen ganz überschwemmten Feldpfad.
Sie hatte sich überlegt, daß sie noch zurechtkommen würde, wenn sie auch noch den Vater besuchte und mit der Schwester etwas plaudern würde, mit der sie sich seit jener Zeit der Übersiedelung auf den Borynahof ganz ausgesöhnt hatte.
Sie waren alle zu Hause.
»Die Fine hat gestern geredet, der Vater wäre krank,« leitete sie ein.
»Ih ... weil er nicht mit arbeiten will, liegt er da unter dem Schafpelz und stöhnt herum und redet sich mit der Krankheit aus,« entgegnete Veronka mürrisch.
»Eine Kälte ist hier bei dir, daß es einem an die Waden geht.« Sie schauerte zusammen; das Haus ließ ja die Nässe durch wie ein Sieb, und schlickiger Schmutz bedeckte dm Fußboden.
»Als wenn man gerad was zum Heizen hätte! Wer soll das Dürrholz herholen? Ich hab' doch nicht mehr so viel Kräfte, noch nach dem Wald zu rennen und es dann auf dem Buckel herzuschleppen, wo auch noch so viel andere Arbeit da ist, daß man rein nicht mehr weiß, wo man zuerst hingreifen soll! Wie kann ich da mit allem fertig werden!«
Sie seufzten beide auf über ihre Verlassenheit und Hilflosigkeit.
»Solange der Stacho da war, schien es, daß er sich um nichts im Hause kümmerte; aber da er nun fehlt, sieht man erst, was ein Mannsbild zu bedeuten hat. Fährst du nicht nach der Stadt?«
»Natürlich wollte ich so bald wie möglich hin, aber Rochus sagt, daß man da erst während der Feiertage zu ihnen hinein darf, da will ich mich denn Sonntag auf den Weg machen und dem Armen etwas vom Ostergeweihten hinbringen.«
»Auch ich würde dem Meinen was hintragen, aber was kann ich denn? Die Schnitte trocken Brot?«
»Sorg' dich nicht, ich mache mehr zurecht, daß es für beide reicht, und wir bringen es ihnen zusammen hin.«
»Gott bezahl's dir, wenn die Zeit kommt, dann will ich es dir durch Arbeit vergelten.«
»Ich geb' es dir doch von ganzem Herzen, nicht auf Rückzahlung. Ich hab' selbst nicht schlecht mit der Armut was zu schaffen gehabt, da weiß ich, wie diese Hündin beißt, das hab' ich noch gut im Gedächtnis ...« seufzte sie auf.
»Und unsereins muß mit ihr sein Lebtag Freundschaft halten, so daß man wohl erst im Grab sich vor ihr bergen kann. Ich hatte etwas Extrageld, ich hab' gedacht: zum Frühjahr kaufst du dir ein Ferkel, fütterst es auf, und so wären dann zur Kartoffelernte ein paar Silberlinge hinzugekommen. Da hab' ich aber dem Stacho an die zwanzig Silberlinge geben müssen, hier ein Groschen und da ein Groschen, und wie Wasser ist alles weg, und neues Geld kriegt man ja erst recht nicht zusammen. Das haben wir davon, daß Stacho zu den anderen gehalten hat.«
»Red' nicht das erste beste, aus eigenem Willen ist er mit den anderen gegangen, für sein Eigenes einzustehen, auch ihr werdet da doch einen Morgen Wald für euch haben.«
»Werden! ... wart einer so lange! Ehe die Sonne aufgeht, wird einem der Tau die Augen ausfressen: für den vollen Sack spielt der Dudelsack, und du armer Schlucker handele mit Hunger und freu' dich darauf, daß du einmal essen wirst!«
»Fehlt dir denn was?« fragte Anna schüchtern.
»Was soll ich denn da haben? Was der Jude oder der Müller einem borgen!« rief sie, die Arme verzweifelt ausbreitend.
»Ich kann dir nicht helfen, wenn ich es auch von Herzen gern täte; das ist doch nicht mein Eigentum, ich muß sie mir alle noch vom Leibe halten wie böse Hunde und aufpassen, daß sie mich nicht zum Haus hinaustreiben ... manchmal geht mir der Verstand schon ganz weg vor Sorgen!«
Es kam ihr die verflossene Nacht in den Sinn.
»Dafür sorgt sich die Jaguscha um nichts: die ist nicht so dumm, die genießt, was sie kann ...« sagte Veronka.
»Wieso denn?«
Sie erhob sich und sah mit unruhigen Augen die Schwester an.
»Nichts Besonderes, nur daß sie des Guten bis über die Gurgel hat, und jeden Tag macht sie sich ein Fest. Gestern zum Beispiel hat man sie mit dem Schulzen in der Schenke gesehen, im Alkoven hat sie mit ihm gesessen, und der Jude konnte ihnen gar nicht schnell genug die Quartmaße Schnaps hintragen ... Die ist nicht so dumm, daß sie sich um den Alten grämen sollte ...« warf sie hämisch ein.
»Alles hat sein Ende!« murmelte Anna finster und zog die Beiderwandschürze über den Kopf.
»Aber was sie genossen hat, das wird ihr niemand nehmen, schlaues Biest ...«
»Ein solcher kann leicht Verstand haben, der auf nichts achtet! Hale, einen Eber schlachten wir heute, komm gegen Abend, da könntest du helfen ...« unterbrach Anna diese bitteren Ergüsse und ging hinaus.
Sie sah auf die andere Seite zum Vater ein in die frühere Wohnung; der Alte war kaum auf seinem Lager sichtbar und stöhnte nur leise vor sich hin.
»Was fehlt euch denn, Vater?«
Sie hockte bei ihm nieder.
»Nichts, Kind, nichts, nur daß mich das Fieber schüttelt, und daß es mich furchtbar im Magen kneift ...«
»Das ist hier auch eine Kälte und Feuchtigkeit, ganz wie draußen. Steht mal auf und kommt zu uns, da könnt ihr auf die Kinder achtgeben, denn wir schlachten heute. Habt ihr keinen Hunger?«
»Hunger? ... versteht sich, ein bißchen ... denn sie hat gestern vergessen, mir was zu geben ... das ist schon so ... sie selbst hat auch nur Kartoffeln mit Salz ... der Stacho ist doch im Kriminal ... Ich werd' kommen, Hanusch, versteht sich« ... stöhnte er freudig und begann von seinem Lager herunterzukriechen.
Anna aber rannte, voll böser Gedanken über Jagna, die sie wie mit scharfen Messern stachen, eilig nach der Schenke, Einkäufe zu machen.
Natürlich verlangte jetzt der Jude kein Geld im voraus, wog nur eifrig und maß ab, was sie nur wollte, und schob noch immer was Neues unter die Augen, um ihr Lust zu machen.
»Laß den Jankel geben, was ich gesagt habe! ... Ich bin kein kleines Kind und weiß, weshalb ich gekommen bin und was ich brauch'!« wies sie ihn von oben herab zurecht, ohne sich in ein Gespräch einzulassen.
Der Jude lächelte nur, denn sie hatte so wie so für mindestens fünfzehn Silberlinge eingekauft, da sie auch gleich mehr Branntwein genommen hatte, damit es für die Feiertage reichte und auch Weißbrot, obendrein ein paar Semmelreihen, eine Mandel Heringe und schließlich nahm sie noch ein Fläschchen Arrak dazu, so daß sie kaum das Bündel schleppen konnte.
»Die Jagna kann genießen, und ich soll es wie ein Hund haben? Ich arbeite doch wie ein Zugtier ...« dachte sie auf dem Heimweg; doch es tat ihr leid um die entbehrliche Auslage, und wenn sie sich nicht geschämt hätte, hätte sie dem Juden den Arrak zurückgegeben.
Zu Hause begrüßte sie schon der laute Lärm der Vorbereitungen zum Schlachten, Ambrosius wärmte sich vor dem Herd und neckte sich dabei auf seine Art mit Gusche herum, die damit beschäftigt war, die Geräte abzubrühen; der Dampf erfüllte schon die ganze Stube.
»Ich warte schon auf euch, um dem Schweinevieh mit dem Knüttel eins auf den Schädel zu läuten!«
»Daß ihr euch so schnell beeilt habt!«
»Der Rochus vertritt mich in der Sakristei, dem Pfarrer sein Walek wird dem Organisten den Blasebalg treten, und Magda kann die Kirche ausfegen. Ich hab' alles so eingerichtet, um euch hier nicht im Stich lassen zu müssen! Die Priester werden erst nach dem Frühstück die Beichte abnehmen. Ist das aber eine Kälte heute, die Knochen werden einem ganz mürbe!« rief er mit ganz kläglicher Stimme.
»Die Zähne dörrt er sich am Feuer und klagt wegen Kälte!« staunte Fine.
»Dumme: innen ist es mir kalt, der Holzfuß ist mir ganz steif geworden.«
»Gleich will ich euch was Wärmendes zurechtmachen. Fine, weiche rasch die Heringe ein.«
»Gebt sie, wie sie sind, wenn man sie nur ordentlich mit Schnaps begießt, das zieht fein das Salz heraus.«
»Und ihr bleibt euch immer gleich, wenn man noch zur Mitternacht mit den Gläsern klirren sollte, würdet ihr aufstehen und zum Saufen bereit sein,« bemerkte Gusche bissig.
»Recht habt ihr, Großmutter, es scheint mir aber, daß euch die Zunge etwas steif geworden ist und daß ihr sie gern mit Schnaps netzen möchtet, was?« lachte er, sich die Hände reibend.
»Unter den Tisch würdest du mich nicht trinken, alter Knast.«
»Etwas wenig Menschen sieht man aber heut zur Kirche ziehen,« unterbrach sie Anna sehr unzufrieden über diese Anspielungen wegen des Schnapses.
»Weil es noch früh ist, die kommen noch angelaufen und werden fein rennen, um die Sünden auszuschütteln.«
»Und faulenzen, was Neues hören und neue Sünden auflesen ...«
»Seit gestern schon haben sich die Mädchen vorbereitet,« piepste Fine irgendwo aus einer Ecke hervor.
»Versteht sich, denn vor Hochwürden schämen sie sich,« gab die Alte bei.
»Für euch, Großmutter, wäre es auch schon recht an der Zeit, zur Buße in der Kirchenvorhalle niederzusitzen und am Rosenkränzlein zu spinnen, anstatt andere schlecht zu machen!«
»Ich warte noch, bis du neben mir zu sitzen kommst, du Humpelbein!«
»Ich hab' noch Zeit, erst will ich euch fein was läuten und mit dem Spaten ordentlich beklopfen ...«
»Rührt mich nicht an, denn ich bin böse!« knurrte sie auf.
»Mit dem Stecken will ich mich zur Wehr setzen, da werdet ihr mich nicht beißen, und schade wär's auch um die Zähnchen, da es doch die letzten sind ...«
Gusche rückte sich ärgerlich zurecht, antwortete aber nicht, denn gerade goß Anna das Schnapsglas voll, den beiden zutrinkend, und Fine reichte die Heringe, von denen Ambrosius einen gegen seinen Holzfuß schlug, abzog, am Feuer röstete und mit Appetit aufaß.
»Genug amüsiert! An die Arbeit jetzt, Leute!« rief er plötzlich, seinen Schafpelz abwerfend, krempte die Ärmel hoch, schärfte noch auf dem Schleifstein sein Messer, nahm aus der Ecke einen tüchtigen Kolben zum Zermusen der Kartoffeln für die Schweine und trat rasch auf den Hof hinaus.
Die anderen folgten ihm und sahen zu, wie er mit dem Pjetrek den sich stark sträubenden Eber hervorzog.
»Ein Becken fürs Blut, aber etwas rasch!« schrie er.
Sie brachten alles, der Eber scheuerte sich an der Stallecke und grunzte leise.
Sie standen im Kreise herum und sahen schweigend auf seine fetten Flanken und den dicken herabhängenden Bauch. Immer dichter rieselte ein feiner Regen vom Himmel herab, und die Nebel senkten sich über den Garten. Der Waupa aber umkreiste sie, hin und wieder aufbellend. Ein paar Frauen waren im Heckenweg stehengeblieben, ein paar Kinder hängten sich in die Zäune und sahen neugierig zu ihnen herüber.
Ambrosius bekreuzigte sich, nahm den Kolben etwas hinter sich und begann den Eber seitwärts den Weg zu vertreten. Plötzlich blieb er stehen, holte mit einem Arm aus, beugte sich zur Seite, so stark, daß ihm ein Knopf am Hemd absprang, spannte sich an, und in einem Nu sauste der Schlag auf den Schweinekopf gerade zwischen die Ohren nieder, so daß der Eber aufquiekend auf die Vorderfüße fiel; darauf half er noch einmal nach, aber schon mit beiden Händen den Knüttel fassend, so daß der Eber seitwärts zu Boden stürzte, mit den Füßen zuckend, dann setzte er sich in einem Nu auf den Bauch, ließ das Messer aufblitzen und stieß es ihm bis zum Griff ins Herz hinein.
Sie stellten das Becken unter, das Blut spritzte hervor wie aus einer Wasserspritze und fing an, gurgelnd herauszufließen und zu dampfen, als kochte es.
»Geh da weg, Waupa! Sieh den mal an: Blut möchte er haben jetzt in der Fastenzeit!« ließ er sich schließlich vernehmen, während er den Hund fortjagte und schwer nach Atem rang. Er war etwas müde geworden.
»Wollt ihr ihn auf der Galerie abbrühen?«
»Ich bring den Trog in die Stube, man muß ihn doch aushängen, um ihn zu zerteilen.«
»In der Stube wird zu wenig Platz sein, mein' ich.«
»Ihr habt doch die andere Seite, wo der Vater wohnt, da ist genug Platz, den Alten wird das nicht stören ... nur rasch, denn ehe er abkühlt ist es leichter, die Borsten abzukriegen!« bestimmte er inzwischen, die längeren Borsten vom Rücken abrupfend.
Und in ein paar Paternostern hing schon der abgebrühte von Borsten gesäuberte und abgewaschene Eber auf der Borynaseite an einem Ortscheit, das am Balken befestigt war.
Jagna war nicht da: sie hatte sich gleich des Morgens nach der Kirche begeben, ohne zu ahnen, was vor sich gehen sollte; der Alte lag wie immer im Bett und starrte irgendwohin mit geistesabwesenden Augen.
Zuerst benahmen sie sich leise, sahen sich oft nach dem Kranken um; aber da er sich nicht einmal rührte, vergaßen sie ihn ganz, so eifrig waren sie beim Eber beschäftigt, der die Erwartungen nicht getäuscht hatte, denn er hatte auf dem Rücken gut sechs Finger breit Speck und prächtiges Schmer.
»Nun haben wir ihm was gesungen und ihn hinübergeschafft, es wird schon Zeit, die Sache mit Schnaps zu begießen!« rief Ambrosius, sich die Hände über dem Trog waschend.
»Kommt frühstücken, es wird sich schon auch was zum Trinken finden.«
Natürlich goß er sich noch vor der Rübensuppe mit Kartoffeln einen ansehnlichen Schluck hinunter, beim Essen verweilte er aber nicht lange und machte sich gleich wieder an die Arbeit, die anderen antreibend und besonders Gusche, mit der er gemeinsam arbeitete, da sie ebensogut das Salzen und die Zubereitung von Schweinefleisch verstand.
Anna half mit, soviel sie konnte, und Fine ging gern an alles heran, um nur beim Schweineschlachten dabei sein zu dürfen.
»Hilf mal den Dünger aufladen, daß sie rasch wegkommen, sonst dünkt mich, werden die Faulenzer heute nicht fertig!« rief Anna ihr nach.
Sehr ungern rannte sie auf den Hof, ihren ganzen Ärger an den Burschen auslassend, so daß in einem fort ihr Gezänk zu hören war/warum nicht auch! ... man jagte sie gerade hinaus, als in der Stube immer mehr los war, denn jeden Augenblick kam eine Gevatterin angerannt, um unter irgendeinem Vorwand nachbarlich nachzuschauen und, nachdem sie den aufgehangenen Eber erblickte, die Hände hochzuheben und gleich mal sich laut zu wundern, daß er so groß sei und so schön fett, daß selbst weder der Müller noch der Organist einen solchen gehabt hätten.
Anna war darüber sehr erfreut, sie blähte sich auf, daß sie in der Lage war, ein Schwein schlachten zu können, und obgleich es ihr um den Schnaps etwas leid war, so konnte sie doch nichts anderes tun als ihn hergeben, denn sie mußte ja doch, wie das bei den Hofbauern beim Schlachtfest Sitte war, bewirten; sie bot also Schnaps an und reichte Brot mit Salz herum, damit sie etwas zum Beißen dazu hätten, gern auf die schmeichelhaften Reden hinhörend und dabei nicht wenig selber redend, denn kaum war eine Gevatterin außer dem Hause, so hörte man schon eine andere im Flur die Pantinen ausklopfen, um auf dem Weg zur Kirche auf ein kurzes Ave bei den Borynas einzusehen. Sie kamen wie zu einer Kirmes; viele Kinder hatten sich auch eingefunden und lungerten in den Ecken, wo sie nur konnten in die Fenster guckend, so daß sie die Fine immer wieder auseinanderjagen mußte.
Auch im Dorf war eine ungewöhnliche Bewegung heute, immer mehr Menschen kamen über die Wege gestapft, und immer wieder rollten Wagen aus den anderen Dörfern vorbei, und am Weiher leuchteten die roten Frauenkleider der wie in einer Prozession vorüberziehenden Bäuerinnen auf, denn das Volk zog zur Beichte, weder auf die schlechten Wege, noch auf den verregneten und launischen Tag achtend. Jeden Augenblick kamen Regenschauer nieder, dann wieder blies ein wärmerer Wind durch die Gärten, oder es rieselten dicke Graupen nieder, und dann wiederum durchriß die Sonne die Wolken, die Welt mit ihrem Gold durchwirkend, wie das übrigens meistens während der ersten Frühlingszeit vorzukommen pflegt, wenn das Wetter in seiner Launenhaftigkeit wie manch ein Frauenzimmer ist, das zugleich Lachen und Weinen, Freude und Traurigkeit im Kopf hat, so daß sie selbst nicht weiß, was mit ihr geschieht.
Natürlich achtete niemand bei Anna auf das Wetter, die Arbeit ging flott vonstatten und die Stimmen schwirrten durcheinander; Ambrosius arbeitete rasch, trieb die anderen zur Eile an, neckte sich herum, mußte aber immer wieder nach der Kirche hin, um nachzusehen, ob dort alles in Ordnung sei; dann klagte er über die Kälte und brauchte wieder etwas, um sich zu wärmen.
»Die Priester habe ich auf ihre Plätze gesetzt und so viel Volk um sie gestellt, daß sie sich bis Mittag nicht wieder von der Stelle rühren werden.«
»Hale, Hochwürden aus Laznowo hält es nicht lange aus: sie erzählen doch, daß ihm die Haushälterin in einem fort das Putzelan bereithalten muß.«
»Gebt acht auf eure Nase, Großmutter, und laßt die Priester ungeschoren.«
Er mochte das nicht.
»Und von dem Priester aus Slupia sagt man, daß er immerzu bei der Beichte ein Fläschchen mit was Duftendem in der Faust hat und es sich unter die Nase hält, das Volk soll ihm stinken. Wenn einer gebeichtet hat, dann weht er mit dem Taschentuch die schlechte Luft auseinander und räuchert noch dazu ...«
»Haltet euer Maulwerk: laßt die Priester aus dem Spiel!« brach er ganz erbost los.
»Ist Rochus in der Kirche?« griff Anna rasch auf, denn sie war ebenfalls sehr unzufrieden über das, was die Gusche plapperte.
»Der sitzt schon vom frühen Morgen da, hat zur Messe gedient und hilft jetzt mit, wo was zu tun ist.«
»Und wo ist denn dem Organisten sein Michael?«
»Der ist mit dem Organistenjungen nach Rschepki gegangen, um die Osterzählung vorzunehmen.
»Der pflügt mit Gänsen und säet mit Sand und hat dabei einen guten Stand!« seufzte Ambrosius vor sich hin.
»Und ob! Er kriegt doch für jede eingetragene Seele ein Ei ...«
»Und für die Beichtkarten nimmt er extra drei Heller für die Seele. Jeden Tag seh ich, was sie da für Säcke voll allerhand Sachen schleppen. Allein an Eiern hat die Organistin in der vergangenen Woche an die zweiundzwanzig Schock verkauft,« sagte Gusche.
»Als er hierherkam, da soll er zu Fuß gegangen sein, mit nur einem Bündel, und jetzt würde man sein Hab und Gut auf vier Gutswagen nicht fortschaffen können.«
»Der sitzt doch schon gut seine zwanzig Jahre in Lipce, das Kirchspiel ist groß; dazu arbeitet er, müht sich, spart Geld, so hat er es denn zu etwas gebracht,« erklärte Ambrosius.
»Der hat sich was zusammengescharrt! Das Volk schindet er nur, wo er kann, und ehe er was Rechtes tut, guckt er in die fremde Faust; dreißig Silberlinge nimmt er für eine Beerdigung, für das bißchen Blöken auf lateinisch und Herumfingern auf der Orgel.«
»Auf alle Fälle ist er ein Gelernter in seinem Fach und muß sich manches Mal gut plagen!«
»Gewiß hat man ihn was gelehrt, wie er dünner oder tiefer blöken soll und den Leuten was abluchsen.«
»Ein anderer würde es vertrinken, und der läßt seinen Sohn Priester werden.«
»Da wird er auch eine nicht geringe Ehre und viel Profit haben!« stichelte die alte Gusche eifrig.
Sie wurden mitten drin, als sie gerade recht im Gange waren, unterbrochen, denn Jagna stürzte in die Stube herein und blieb wie versteinert an der Schwelle stehen.
»Du wunderst dich über den Eber?« lachte die Gusche.
»Hättet ihr denn nicht auf eurer Seite schlachten können, die ganze Stube werden sie hier versauen,« stotterte sie hervor, ganz glutrot werdend.
»Du hast Zeit, da kannst du sie dir wieder reinmachen!« entgegnete Anna kalt und mit Nachdruck.
Jagna fuhr auf, als wollte sie sich mit ihr zanken, aber sie ließ es sein, ging unschlüssig in der Stube herum, nahm die Rosenkränze von der Passion ab und ging, nachdem sie das zerwühlte Bett mit einem Tuch bedeckt hatte, ohne ein Wort mehr zu sagen, hinaus, obgleich ihr die Lippen vor niedergehaltenem Zorn bebten.
»Ihr könntet doch was helfen, wir haben so viel zu tun!« sagte ihr Fine auf dem Flur.
Sie geiferte mit solcher Wut auf sie los, daß man nicht einmal die einzelnen Worte auseinanderkennen konnte und rannte wie eine Rasende davon. Witek guckte ihr nach und erzählte dann, sie wäre geradeaus zum Schmied gelaufen.
»Laß sie laufen: da kann sie sich dann ausklagen, das wird sie erleichtern!«
»Ihr werdet wieder Krieg führen müssen!« bemerkte Gusche etwas leiser.
»Du liebe Güte, davon leb' ich ja nur noch!« entgegnete sie ganz ruhig, obgleich sie ängstlich wurde, denn sie begriff, daß jeden Augenblick der Schmied angelaufen kommen müßte, und daß es ohne einen argen Zank nicht abgehen würde.
»Der muß hier gleich erscheinen!« flüsterte Gusche, sie bedauernd.
»Ihr braucht keine Angst zu haben, ich halte schon aus, der wird mich nicht bange machen,« sagte sie lachend.
Gusche schüttelte den Kopf vor Staunen über sie und sah dabei verständnisvoll zu Ambrosius hinüber, der gerade seine Arbeit zusammenpackte.
»Ich geh' mal in die Kirche nachzusehen, ich muß auch zu Mittag läuten und komm gleich zum Essen zurück.«
Er war auch bald wieder da und erzählte, daß die Priester schon zu Tisch säßen, der Müller hätte ein ganzes Netz Fische geschickt, und am Nachmittag sollten sie dann noch die Beichte weiter abnehmen, denn ein Haufen Volk wartete noch.
Nach einem kurzen, eiligen Mahl, das tüchtig mit Schnaps begossen wurde, da Ambrosius in einem zu darüber klagte, daß der Schnaps zu schwach für die salzigen Heringe sei, machten sie sich wieder an die Arbeit.
Gerade zerteilte Ambrosius den Eber und schnitt Fleisch für die Würste ab, und die Gusche hatte auf einer ausgehangenen Tür, die sie als Tisch zurechtgemacht hatten, die Speckseiten auseinandergebreitet und machte darin Einschnitte mit dem Messer, den Speck sorgfältig salzend, als der Schmied hereingestürzt kam.
Man sah ihm im Gesicht an, daß er kaum an sich halten konnte.
»Ich hab's gar nicht gesehen, daß ihr euch einen solchen Eber gekauft habt!« fing er hämisch an.
»Jawohl, den hab' ich gekauft und schlachte ihn, wie ihr seht!«
Etwas Angst hatte sie doch bekommen.
»Ein schöner Eber, dreißig Rubel habt ihr schon gegeben.«
Er besah sich ihn eifrig.
»Und der Speck ist dick, einen zweiten solchen kann man sich suchen!« lachte die Gusche, ihm eine Speckseite unter die Nase haltend.
»Ii ... ganze dreißig hab' ich nicht gegeben, ganze nicht!« sagte Anna lachend.
»Das ist Boryna sein Eber!« brach er plötzlich los, seiner selbst nicht mehr mächtig vor Wut.
»Wie klug: selbst nach dem Schwanz erkennt er noch, wem das Schwein gehört!« höhnte die Alte.
»Mit welchem Recht habt ihr ihn denn geschlachtet?« schrie er erregt.
»Schreit hier nicht herum, denn hier ist nicht die Schenke; und das Recht ist das, daß Antek durch Rochus befohlen hat, ihn zu schlachten.«
»Was hat hier Antek zu regieren? Ist es denn seines hier?«
»Natürlich ist es seines!«
Sie fühlte sich schon sicherer und hatte neuen Mut zum Kampf bekommen.
»Der gehört uns allen ... Ihr sollt es noch teuer bezahlen!«
»Nicht vor dir werden wir Rechenschaft ablegen!«
»Und vor wem denn? Ans Gericht soll die Klage gehen.«
»Seid man erst ruhig und haltet euer Maul, denn der Kranke liegt hier und ihm gehört das alles ...«
»Ihr aber wollt es aufessen.«
»Euch werd' ich gewißlich nicht einmal was zum Riechen übriglassen.«
»Das halbe Schwein werdet ihr mir geben, und ich werd' euch nicht mehr die Hölle heißmachen,« murmelte er etwas sanfter.
»Nicht einen Schinken laß ich euch ab, wenn ihr meint, ihr könnt mich zwingen.«
»Dann gebt ihr mir im guten dieses Viertel und eine Speckseite dazu.«
»Wenn Antek es befiehlt, dann werde ich es tun; aber ohne seinen Befehl nicht einen Knochen.«
»Ist das Weib denn toll geworden, oder was fehlt der! ... Ist denn das Antek sein Eber?« Die Wut ging wieder mit ihm durch.
»Dem Vater seiner ist er, das ist so, als ob er dem Antek seiner wäre; denn da der Vater krank ist, hat er hier zu befehlen, und nach seinem Kopf soll hier alles gehen. Und später wird es, wie es der Herr Jesus geben wird ...«
»Laß ihn im Kriminal befehlen, wenn sie ihm das erlauben ... Die Wirtschaft schmeckt ihm, ... wenn sie ihn nach Sibirien in Ketten schleppen werden, dann kann er dort wirtschaften!« schrie er, vor Wut schäumend.
»Das ist nicht deine Sache! ... Vielleicht werden sie ihn auch hinschleppen, nur daß du auch so nichts von diesem Grund und Boden an dich reißen wirst, damit du noch ein schlimmerer Judas für das Volk wirst!« redete sie drohend, von einer plötzlichen Angst um ihren Mann erfaßt.
Dem Schmied fingen die Beine an zu beben, und die Hände flogen ihm, so eine Lust verspürte er, ihr an die Gurgel zu fahren, sie durch die Stube zu schleifen und mit den Füßen zu treten; aber er hielt sich zurück: Leute waren doch zugegen, er durchbohrte sie nur mit seinen wütenden Blicken, außerstande ein Wort hervorzukeuchen. Aber sie hatte sich nicht einschüchtern lassen, griff nach dem Fleischmesser und sah ihn spöttisch und scharf an, so daß er sich auf die Lade fallen ließ, eine Zigarette zurecht drehte und mit seinen roten Augen die Stube überflog, sich etwas überlegend und berechnend; und bald darauf stand er auf und sagte im gütlichen Ton:
»Kommt mal auf die andere Seite, da will ich euch etwas in Frieden sagen.«
Sie wischte sich die Hände ab und ging, ließ aber hinter sich sperrangelweit die Tür auf.
»Ich will mich ja mit euch nicht zanken und mit euch rechten,« begann er, seine Zigarette anzündend.
»Weil ihr nichts bei mir herausrechten würdet!«
Sie war wieder ruhig.
»Hat der Vater gestern noch was gesagt?«
Er war jetzt sanft und lächelte ihr selbst zu.
»Ni ... er lag ganz still, so wie er heute noch liegt ...«
Eine mißtrauische Wachsamkeit wurde in ihr rege.
»Der Eber, das sind Kleinigkeiten, nicht der Rede wert, schlachtet ihn euch und eßt ihn auf, wenn ihr Lust habt ... das ist nicht mein Verlust. Der Mensch redet oft allerhand Zeug zusammen, das ihm dann leid tut. Denkt nicht daran, was ich da geredet habe! Es handelt sich hier aber um viel was Wichtigeres ... Ihr wißt vielleicht, daß man im Dorf redet, der Vater hätte viel bares Geld im Haus versteckt ...« unterbrach er sich, sie mit seinen Blicken belauernd. »Es würde sich lohnen, nachzusuchen, denn es könnte irgendwo abhanden kommen, wenn, was Gott verhüte, der Tod eintreten sollte, oder auch irgendein Fremder könnte es in die Finger kriegen.«
»Wird er's denn sagen wollen, wo er es versteckt hat?«
Aus ihrem Blick war nichts zu ersehen.
»Euch würde er es ausplaudern, versucht nur, ihn an der Zunge zu ziehen.«
»Wenn ihm nur der Verstand wiederkehrt, da will ich es versuchen ...«
»Wenn ihr klug wäret und könntet die Zunge halten, falls ihr das Geld findet, dann brauchten wir beide nur davon zu wissen. Würde man eine größere Summe finden, dann könnten wir auch leichter Antek aus dem Kriminal herauslösen ... Wozu brauchen's die andern zu wissen? ... Jagna hat genug an dem Verschriebenen ... und man könnte selbst zum Prozessieren Geld haben, um ihr diesen Grund und Boden abzunehmen ... Und dem Gschela, hat er dem vielleicht wenig während der Dienstzeit hingeschickt!« flüsterte er, sich ganz zu ihr niederbeugend.
»Ihr habt recht ... versteht sich ...« stotterte sie und gab eifrig darauf acht, nicht was Überflüssiges zu sagen.
»Ich glaube, daß er es irgendwo im Haus versteckt haben muß ... was denkt ihr darüber?«
»Weiß ich es denn, wenn er mir kein Wort gesagt hat?«
»Vom Korn hat er euch doch gestern etwas geredet ... erinnert ihr es noch?« versuchte er sie zu überlisten.
»Gewiß, er hat ja über die Aussaat geredet.«
»Und von den Tonnen hat er euch doch was gesagt,« erinnerte er, die Blicke nicht von ihr lassend.
»Wieso? Das Korn zur Saat ist doch in den Tonnen!« rief sie und schien nichts zu begreifen.
Er fluchte leise auf, hatte sich aber immer mehr vergewissert, daß sie da etwas wissen mußte; er hatte ihr das von ihrem verschlossenen Gesicht und von ihren ängstlichen lauernden Blicken abgelesen.
»Und was ich euch anvertraut habe, braucht ihr nicht weiter zu erzählen ...«
»Bin ich denn ein Klatschmaul, das nicht aushalten kann, die Neuigkeiten unter die Gevatterinnen zu bringen? ...«
»Ich will euch nur warnen ... Paßt aber gut auf, denn wenn es dem Alten einmal im Kopf getagt hat, so kann es jeden Augenblick bei ihm ganz hell werden ...«
»Na ... wenn das nur bald käme! ...«
Er prüfte sie nochmals mit seinen saugenden Augen, zerrte am Schnurrbart und ging hinaus, begleitet von ihren Blicken, in denen ein versteckter Hohn war.
»Judas, Aas, Dieb!«
Der Haß überströmte sie, sie folgte ihm ein paar Schritte nach; das war doch nicht das erstemal, daß er ihr Drohungen ins Gesicht schleuderte, sie zu ängstigen versuchte und davon sprach, daß man Antek nach Sibirien bringen würde, um ihn da an die Karren festzuketten.
Natürlich glaubte sie nicht ganz daran, denn sie begriff, daß der Schmied hauptsächlich aus Ärger schnauzte, um sie zu erschrecken und sie um so leichter von Grund und Boden treiben zu können.
Dennoch aber setzte sich eine nicht geringe Angst um Antek in ihr fest. Sie versuchte manches Mal darüber Auskunft zu erlangen, wo sie nur konnte, was für eine Strafe er bekommen würde, und merkte zu ihrem Kummer, daß er nicht ganz glatt loskommen würde.
»Es ist wahr, daß er den leibhaftigen Vater verteidigt hatte, aber den Förster hatte er doch umgebracht, da müssen sie ihn ja bestrafen, wieso sollten sie denn anders tun ...«
Das sagten die Besonneneren, so daß sie durchaus nichts Wahres erfahren konnte, denn jeder wollte eine andere Wahrheit beweisen. Der Rechtsanwalt in der Stadt, zu dem sie der Pfarrer mit einem Brief geschickt hatte, hatte ihr gesagt, es könnte verschiedenfach ausfallen: ganz schlecht und nicht schlecht, Geld wäre aber für das Prozessieren nötig, man sollte damit nicht sparen und geduldig warten. Im Dorf jedoch ängstigte man sie am schlimmsten, denn der Schmied säte da seine Geschichten aus und hatte alle nach seinen Absichten umgestimmt.
Es war auch kein Wunder, daß auch jetzt seine Worte ihr wie Steine auf dem Herzen lasteten. Die Beine wollten ihr fast versagen bei der Arbeit, sie konnte kaum sprechen, so benahm ihr die Angst den Atem; und obendrein noch war nach seinem Weggang die Schmiedin angekommen und hatte sich beim Kranken festgesetzt, um die Fliegen, die gar nicht da waren, von ihm fortzuscheuchen, dabei verfolgte sie alles mit aufmerksamen Blicken.
Doch das schien ihr bald langweilig geworden zu sein, denn sie bot sich an, ihnen bei der Arbeit zu helfen.
»Bemüh' dich nicht, Magda, wir werden allein fertig, du mußt dich ja auch genug zu Hause schinden!« gab ihr Anna mit einer solchen Stimme zur Antwort, daß Magda abließ und nur ängstlich hin und wieder was sagte, da sie ja von Natur aus schüchtern und schweigsam war.
Gerade um die Vesperzeit erschien Jagusch wieder, aber mit der Mutter zusammen.
Sie begrüßten Anna, als lebten sie im größten Einvernehmen miteinander, sie waren so freundschaftlich und taten so einschmeichelnd, daß Anna ganz seltsam berührt wurde; und obgleich sie ihnen mit derselben Münze zahlte, ohne mit guten Worten zu sparen, und ihnen auch Schnaps anbot, so war sie doch auf ihrer Hut. Die Dominikbäuerin schob das Schnapsglas beiseite.
»In der Karwoche! Wie sollt' ich denn jetzt Schnaps trinken?«
»Es ist doch nicht die Schenke und auch eine passende Gelegenheit, da ist es keine Sünde!« entschuldigte sich Anna.
»Der Mensch macht es sich gern leicht und redet sich immer mit passenden Gelegenheiten aus ...«
»Trinkt mir zu, Bäuerin, ich bin kein Organist!« rief Ambrosius.
»Laß einer nur die Gläser klirren, da seid ihr gleich des Teufels,« brummte die Dominikbäuerin, sich ans Verbinden des Kranken machend.
»Du meine Güte ... dem einen macht die Betglocke, daß er sich gegen die Brust schlägt und Buße tut, dem anderen tut es das Klirren der Flaschen an, daß er gleich nach dem Trinkglas um sich tastet ...«
»Da liegt nun der Arme, da liegt er, weiß nichts von Gottes Welt!« klagte die Dominikbäuerin, sich über Boryna beugend.
»Und die Wurst wird er nicht essen und den Schnaps nicht trinken!« setzte im selben Ton die Gusche recht höhnisch hinzu.
»Ihr habt nichts als Spott im Kopf!« wies die Dominikbäuerin sie ärgerlich zurecht.
»Was denn, werd' ich mich vielleicht mit Weinen von meinen Sorgen befreien? Ich hab' nur grad so viel, wie ich mich sattlachen kann.«
»Wer da Böses sät, der mag Trauer und Buße ernten!«
»Das sagt man nicht umsonst, daß Ambrosius, obgleich er an der Kirche ist, bereit wäre, sich mit der Sünde zu verbrüdern, um es sich nur bequem zu machen und was zu genießen!« sagte die Dominikbäuerin hochfahrend und warf ihm einen zornigen Blick zu.
»Nur der kann sich dem Guten widersetzen und mit dem Schlechten verbrüdern, der nicht darauf achtet, was für eine Vergeltung ihm zuteil wird,« fügte sie etwas leiser, schon wie drohend, hinzu.
Schweigen kam in die Stube. Ambrosius drehte sich hin und her und hantierte wütend herum, doch er hielt die scharfe Antwort zurück, denn er wußte gut, daß Hochwürden so wie so jedes Wort spätestens morgen nach der Messe erfahren würde; nicht umsonst saß doch die Dominikbäuerin in einem zu in der Kirche ... Auch die anderen waren verstimmt unter dem Bann ihrer Eulenaugen; selbst die unnachgiebige Gusche schwieg ängstlich.
Das ganze Dorf hatte ja Angst vor ihr; manch einer sollte schon die Macht ihres bösen Blickes auf sich gefühlt haben, manchem hatte es die Glieder krumm und schief gemacht, und mancher wurde krank, als sie auf ihn den bösen Zauber geworfen hatte.
Sie arbeiteten also still vor sich hin mit ängstlich vorgeneigten Gesichtern, so daß nur das ausgedörrte, zerfurchte, wachsbleiche Antlitz der Alten in der Stube zu sehen war. Auch sie redete nicht und griff mit Jagna so energisch bei der Arbeit zu, daß Anna sich nicht traute, ihr zu wehren.
Da aber der Knecht vom Pfarrhof Ambrosius wieder in die Kirche zurückgeholt hatte, so blieben nur die Frauen allein und legten das Fleisch eifrig zurecht, die Speckseiten in die Zuber und ins Faß füllend.
»Auf dieser Seite in der Kammer wird es für das Fleisch kühler sein, man heizt hier auch weniger in der Stube,« verordnete die Dominikbäuerin, mit Jagna die Fässer wegrollend.
Das geschah so rasch, daß sie schon, ehe sich Anna diesem widersetzen, noch zur Besinnung kommen konnte, vieles nach ihrer Kammer fortgerollt hatten. Arg erzürnt fing sie nun ihrerseits an, den Rest auf ihre Seite hinüberzutragen und rief sich noch die Fine und Pjetrek zu Hilfe.
Bei voller Dunkelheit, als man schon das Licht angezündet hatte, machten sie sich noch eilig an das Stopfen der Würste und das Füllen der dicken Sülzen. Anna hackte das Fleisch mit einer düsteren Wut, so aufgebracht war sie noch.
»Ich laß es nicht in der anderen Kammer, daß sie mir alles auffrißt oder wegträgt! Das sollst du nicht erleben! Sieh mal die Schlaue!« murmelte sie durch die Zähne.
»Des Morgens, ganz leise, wenn sie in die Kirche geht, müßtet ihr alles auf eure Seite bringen, und das Geschrei wird ein Ende haben. Sie wird es euch doch nicht mit Gewalt wegnehmen können!« riet Gusche, das Fleisch in lange Därme spritzend, so daß sie sich auf dem Tisch ringelten wie rote, dicke Schlangen, und immer wieder hing sie sie ein Stück weiter über die Stange am Herd.
»Laß sie nur versuchen! Die haben sich verabredet und sind nur deswegen hier angekommen.«
Sie konnte sich nicht beruhigen.
»Ehe Ambrosius zurückkommt, werden die Würste fertig,« sagte die Alte ablenkend.
Aber Anna blieb schweigend, sie hatte sich in die Arbeit vertieft und sann darüber nach, wie sie wohl jene Schwarten und Schinken zurückerlangen könnte.
Das Feuer knallte auf dem Herd und flammte so mächtig auf, daß die ganze Stube rot vor Glut war, und in den Töpfen brodelte allerlei Verschiedenes, woraus die Grützwürste gemacht werden sollten; die Kinder plapperten ängstlich über einem mit Blut gefüllten Becken.
»Ach, mein Gott! mir wird schon ganz übel von all den guten Sachen!« seufzte Witek auf, mit der Nase in der Luft herumschnüffelnd.
»Riech' hier nicht herum, sonst kannst du noch was anderes kriegen! Geh', die Kühe zu tränken, tu' das Heu in die Raufen, schütte Häcksel in die Krippen für die Nacht ... Es ist schon spät genug! Wann willst du denn damit fertig werden? ...«
»Gleich kommt der Pjetrek, allein werde ich doch nicht fertig...«
»Wo ist er denn hin?«
»Wißt ihr's nicht? ... Er hilft ja auf der andern Seite rein zu machen...«
»Was? He, Pjetrek! mach' daß du fortkommst, das Vieh zu besorgen!« rief Anna in den Flur hinein und das mit solcher Wucht, daß Pjetrek sofort in den Hof rannte.
»Und du kannst mal selber deine Klumpen rühren und dir die Stube allein in Ordnung bringen!... Sieh mal an ... die Gutsherrin, wird sich da die Händchen schonen und sich durch den Knecht bedienen lassen!« schrie sie schon ganz böse und kippte gleichzeitig den Topf um, so daß die dampfende Leber und Lunge auf den Tisch fielen, als plötzlich das Rollen eines Wagens und das Klagen einer Schelle draußen hörbar wurde.
»Das ist der Priester mit dem Leib Christi, der fährt zu irgend jemand! ...« erklärte Bylica, der gerade in die Stube trat.
»Wer wäre denn schon wieder krank geworden? Man hat ja nichts davon gehört!...«
Irgendwo hinter das Schulzenhaus sind sie gefahren,« schrie Witek atemlos zum Fenster herein.
»Ganz gewiß zu einem der Kätner...«
»Und vielleicht auch zu jemand von den Euren, denn die Pritscheks sitzen doch auch da ...«
»Hale! die waren gesund: solchem Aaszeug passiert nichts Schlimmes,« murmelte Gusche, und obgleich sie mit den Kindern im ständigen Streit und in Prozessen lebte, fing sie doch an zu zittern.
»Ich will mich erkundigen und bin gleich wieder da.«
Sie lief eilig hinaus.
Aber ein gutes Teil des Abends ging vorüber, und Ambrosius war selbst wieder angelangt, doch Gusche ließ sich nicht sehen; der Alte erzählte, daß man den Priester zu Agathe, der Verwandten der Klembs, gerufen hatte, zu derselben, die da am Sonnabend vom Bettel heimgekehrt war.
»Wieso denn? Sitzt sie nicht bei den Klembs?«
»Bei den Kosiols oder den Pritscheks ist sie untergekrochen, um zu sterben.«
So viel nur hatten sie darüber geredet, denn sie waren eifrig mit der Arbeit beschäftigt, die auch dadurch sich vertrödelt hatte, daß Fine und auch Anna selbst immerzu davon ablaufen mußten, um in den Hof zu rennen und die abendlichen Besorgungen zu machen.
Der Abend schleppte sich langsam vorwärts und wurde schon lästig lang, obendrein kam draußen eine solche Dunkelheit auf, daß man die Faust nicht mehr vor den Augen sehen konnte, ein kalter Regen peitschte auf die Menschen ein, und der Wind stürmte immer wieder gegen die Wände an und wütete in den Gärten, so daß die armen Bäume in der Dunkelheit aufrauschten und hin und her gerissen wurden, und manchmal fuhr er so in den Schornstein, daß die glühenden Scheite vom Herd in die Stube flogen.
Dicht vor Mitternacht wurden sie erst fertig, und Gusche war immer noch nicht zurück.
»Ein solcher Schmutz und Dreck ist draußen, da hatte sie keine Lust mehr, sich hier herzuschleppen!« dachte Anna, als sie vor dem Schlafengehen hinaussah.
Natürlich war es ein Wetter, daß man selbst nicht mal einen Hund hätte hinausjagen mögen, es blies, daß die Dächer knarrten, und die regenschweren, großen Wolken wälzten sich braun und aufgequollen über den trüben Himmel – und nirgends in der Höhe ein Stern, nirgends ein Licht aus den Häusern, die die Nacht ganz verschlungen hatte. Das Dorf schlief schon längst, nur der Wind toste über den Feldern dahin, rang mit den Bäumen und wühlte pfeifend das Wasser des Weihers auf.
Sie gingen gleich schlafen, ohne länger zu warten.
Gusche erschien erst am nächsten Morgen, doch sie war düster wie der schmutzige, windige und kalte Tag selbst; sie hatte sich nur die Hände in der Stube gewärmt und ging gleich in die Scheune an die Arbeit des Kartoffelauslesens, die man dorthin aus den Gruben auf einen Haufen zusammengeschüttet hatte.
Sie arbeitete fast allein, denn Fine lief oft fort, um Dünger aufzuladen, den Pjetrek vom Morgengrauen an eilig ins Feld fuhr. Anna hatte ihn nicht schlecht dafür abgekanzelt, daß er am Tag vorher gefaulenzt hatte und nicht fertig geworden war; so trieb er denn die Pferde mächtig an, schrie auf Witek ein, ließ die Peitsche knallen und fuhr, daß im Schmutz tiefe Rillen entstanden.
»Das Biest von Faulpelz meint, er kann sich jetzt auf dem Vieh Genugtuung verschaffen,« sagte die Gusche, die Gänse verscheuchend, die in einer ganzen Schar auf die Tenne gekommen waren, an den Kartoffeln herumschnäbelten und ein lästiges Geschnatter vollführten. Später redete Fine sie an, aber sie antwortete nicht, saß wie ein Brummkater und versteckte eifrig unter der tief über die Stirn herabgeschobenen Beiderwandschürze die seltsam geröteten Augen.
Anna sah zuerst nur einmal zu den beiden ein, denn sie lauerte in der Stube auf Jagnas Fortgang, um das Fleisch in ihre Kammer zu holen und dabei auch gleich die Getreidefässer zu durchsuchen; aber zu ihrem Verdruß rührte sich Jagna nicht mit einem Schritt aus dem Haus, so daß sie, ohne es schon länger aushalten zu können, zum Kranken hinüberging und, nach irgend etwas fragend, die Kammer betrat.
»Was sucht ihr da? Ich weiß ja, wo alles liegt, da kann ich es euch zeigen!« rief Jagna, ihr nachgehend, so daß sie wieder hinausgehen mußte, kaum daß sie die Hände ins Korn gesteckt hatte, das Geld mußte wohl tiefer unten sein.
Sie begriff gleich, daß die andere sie bewachte, so ließ sie es gezwungen nach und verlegte die Ausführung ihrer Absicht auf eine geeignetere Zeit.
»Man muß an das Zurechtmachen der Geschenke gehen,« dachte sie und sah wehmutsvoll die Würste an, die auf einer Stange hingen; es war nämlich Sitte bei den Borynas, sowie auch bei den anderen ersten Hofbauern im Dorf, gleich am folgenden Tag nach dem Schweineschlachten den nächsten Verwandten und auch allen, mit denen man sonst Freundschaft hielt, eine Wurst oder irgendein gutes Stück Fleisch hinzuschicken.
»Versteht sich, daß es nicht leicht ist, aber geben muß man schon, sonst würden sie sagen, daß du es ihnen nicht gönnst,« sagte plötzlich der alte Bylica, gerade den Gegenstand ihrer wehmütigen Sorge treffend.
So machte sie sich denn, wenn auch tief aufseufzend und schweren Herzens, daran, auf Tellern und Schüsseln alles zurechtzulegen; sie vertauschte mehrmals die zu kurzen Stücke mit größeren, hier ein großes Stück Grützwurst zulegend, da wieder was abnehmend, bis sie schließlich, müde und wehleidig, die Fine herbeirief.
»Zieh' dich schön an und bring' das weg ...«
»Jesus, so viel von allem! ...«
»Was soll man tun, wenn es sein muß! In den Mathies kann der Mathies alles hineinkriegen, aber aus dem Mathies springt der Mathies doch nicht heraus. Diese längeren bringst du zuerst der Muhme: Obgleich sie mich nur immer scheel ansieht und auf mich in einem fort zu schimpfen hat, kann man es doch nicht lassen; die Schüssel mit dem da kriegt die Schulzin: er ist ein Schurke, sie haben aber mit Matheus Freundschaft gehalten, und nützen kann er einem ja auch was; diese ganze Grützwurst, die Bratwurst und das Stück Rippe, das ist alles für Magda, für die Schmiedsleute: die sollen nicht geifern, daß wir allein Vaters Schwein aufessen; versteht sich, daß man ihnen damit nicht das Maul ganz stopfen kann, aber sie werden nicht mehr so viel zanken können ... Der Pritschekbäuerin hier diese Wurst da: hochfahrend und hochnäsig ist sie und auch großschnauzig dazu, aber mit der Freundschaft ist sie zuerst gekommen ... der Klembbäuerin bringst du diesen letzten Teller ...«
»Und der Dominikbäuerin, werdet ihr der nichts hinschicken?«
»Später gibt man ihr was, nachmittags ... natürlich muß man ... mit solch einer ist es wie mit dem Dreck: rühr' nicht dran und geh' lieber noch von weitem darum herum. Trage alles schön vernünftig weg und red' dich da nicht mit den Mädchen fest, denn die Arbeit wartet hier.«
»Gebt auch was der Nastuscha, sie sind so arm, selbst für Salz haben sie nichts ...« bat sie leise.
»Laßt sie kommen, dann geb' ich ihr schon was. Vater, nehmt ihr für die Veronka was mit, sie sollte gestern einsehen kommen ...«
»Die Müllerin hat sie doch vor Abend noch gerufen, daß sie ihr die Zimmer zurechtmacht, denn gewiß kommen da für die Feiertage welche zu Besuch.«
Und lange noch brachte er seine Neuigkeiten hervor; Anna aber kleidete sich etwas wärmer an, nachdem sie Fine fortgeschickt hatte, und lief hin, der Gusche zu helfen und die Jungen anzutreiben.
»Wir haben auf euch mit dem Abendbrot gewartet,« fing sie an, durch das Schweigen der Alten betroffen.
»Ii ... ich hab' mich schon da allein am Sehen sattgegessen, daß es mich heute noch im Magen drückt ...«
»Ist wohl die Agathe, die krank geworden ist?«
»Jawohl, bei den Kosiols stirbt sie langsam weg, die arme Waise.«
»Wie denn, liegt sie nicht bei den Klembs?«
»Als Verwandten wollen sie einen gelten lassen, wenn man nichts braucht oder mit vollen Händen kommt; sonst aber hetzen sie dich mit den Hunden von Hof und Haus ...«
»Was ihr nicht sagt! Die haben sie doch nicht fortgejagt!«
»Hale, gekommen ist sie zu ihnen am Sonnabend und ist gleich in der Nacht krank geworden ... Man sagt, daß ihr die Klembbäuerin das Federbett genommen hat und sie fast nackt in die Welt hat laufen lassen.«
»Die Klembbäuerin! Das kann nicht sein, ist doch eine so gutmütige Frau, die klatschen sich wohl was zurecht.«
»Ich hab's mir nicht ausgedacht, es ist mir so und nicht anders zu Ohren gekommen ...«
»Bei den Kosiols liegt sie? Wer hätte das gedacht, daß die so mildherzig wären!«
»Für Geld ist selbst der Priester mildherzig. Kosiols haben von der Agathe zwanzig Silberlinge bar Geld bekommen, dafür sollen sie sie bei sich bis zu ihrem Tode behalten, denn die Alte rechnet damit, daß sie jeden Augenblick wegsterben wird. Das Begräbnis natürlich für sich, die Alte geht aber, wenn nicht heute, dann sicher morgen ein, die macht's nicht mehr lange ... nee ...«
Sie verstummte und versuchte vergeblich, das Schluchzen zu unterdrücken.
»Was fehlt euch denn, seid ihr krank?« fragte Anna mitleidig.
»So viel Menschenelend hab' ich fressen müssen, daß es mich schließlich ganz durchmürbt hat. Der Mensch ist ja kein Stein, man wehrt sich vor sich selbst, wenn es auch nur mit dieser Wut auf die ganze Welt ist, aber wer wird sich da ganz schützen können: es kommt schließlich so eine Zeit, daß man es nicht mehr aushalten kann, und die Seele wird wie dieser klägliche Staub.«
Sie brach in ein Weinen aus und konnte sich lange nicht beruhigen, die Nase laut schneuzend, bis sie schließlich wieder wehleidig zu erzählen begann; ihre Worte fielen wie bittere, brennende Tränen auf Annas Seele.
»Kein Ende gibt es für dieses Menschenverderben. Ich habe mich bei der Agathe hingesetzt, und als der Priester schon davongefahren ist, da kommt die Philipka angerannt, die hinterm Weiher, und schreit, daß ihre Älteste stirbt ... Natürlich lauf' ich da hin ... Du lieber Jesus, in der Stube der leibhaftige Frost ... Die Fensterscheiben mit Stroh verstopft... ein Bett nur im Haus, und der Rest nistet auf ein und demselben Lager wie die Hunde ... die Dirn ist nicht gestorben, nur der Hunger hat sie so zu packen gekriegt ... Kartoffeln fehlen ihnen schon, das Federbett haben sie verkauft ... jedes Quartchen Grütze müssen sie beim Müller abbetteln, niemand will ihnen was borgen oder geben, ehe die neue Ernte da ist ... Wer sollt' es auch? ... Eine Rettung gibt es da nicht, der Philipp ist ja mit den anderen im Kriminal ... Kaum bin ich nun da von denen fort, da sagt mir Gregors Frau, daß die Florka, dem Pritschek Seine, niedergekommen ist und Hilfe braucht ... Schurken sind es und haben mich so benachteiligt, obgleich es doch meine eigenen Kinder sind ... da bin ich denn hingegangen, es ist ja nicht die Zeit, an geschehenes Unrecht zu denken ... Na, und die Not bleckt auch da nicht schlecht die Zähne; all das Kleinzeug, die Florka krank, nicht ein Heller da und Hilfe von nirgendwo ... vom Grund und Boden können sie doch nichts abbeißen ... zum Kochen ist auch keiner da, der Acker liegt unbearbeitet, und der Frühling kommt, und der Adam sitzt mit den anderen im Kriminal ... Sie hat einen gesunden Jungen zur Welt gebracht, der kam was ab, wenn er nur gut gedeiht, denn die Florka ist abgemagert, daß sie nur so wie ein Span aussieht und hat nicht einen Tropfen Milch in der Brust, und die Kuh ist gerade nach dem Kalben ... Und überall ist es so schlecht, und von den Kätnern da ist schon gar nicht mehr zu reden ... Es ist keiner da, der was arbeiten oder verdienen könnte ... Da sollte schon der Herr Jesus lieber sorgen, daß sie einen leichten Tod fänden, dann würde sich das arme Volk nicht mehr zu quälen brauchen.«
»Und wer hat es reichlich jetzt im Dorf? Überall ist die Not da und die schweren Sorgen.«
»Hale, die Hofbauern haben sich auch mächtig viel zu sorgen ... der eine zerbricht sich den Kopf, womit er sich am besten die Kaldaunen stopfen könnte, ein anderer, wem er Geld auf die höchsten Prozente borgen soll ... Aber keiner kümmert sich um die Notleidenden, wenn sie selbst hinterm Zaun verrecken sollten ... Mein Gott, in ein und demselben Dorf sitzen sie dicht beieinander, und keinem verdirbt es den Schlaf ... Versteht sich, jeder überläßt dem Herrn Jesus die Sorge um die Armen und wälzt alles auf Gottes Fügung ab, und selbst ist er zufrieden, wenn er bei einer vollen Schüssel seinen Bauch pflegen kann, und wenn es schon sein muß, dann stopft er sich noch die Ohren mit dem warmen Schafpelz zu, um nur nicht das Wimmern der anderen zu hören, denen es schlecht geht ...«
»Was soll man da helfen? Wer hat denn so viel, daß er aller Armut ein Ende machen könnte?«
»Wer keine Lust hat, der weiß sich auch herauszureden! Ich sag' es nicht für euch, ihr seid ja nicht auf eurem Eigenen, und ich weiß gut, daß es Euch schwer geht; aber es gibt solche, die was helfen könnten, die gibt es: der Müller zum Beispiel, der Priester, der Organist und manch ein anderer ...«
»Wenn ihnen das jemand nahelegen würde, dann würden sie sich vielleicht auch erbarmen ...« versuchte Anna zu entschuldigen.
»Wer eine fühlende Seele hat, der wird den Ruf der Armen von selbst hören, dem braucht man es nicht erst von der Kanzel in die Ohren zu schreien! Du liebe Güte, die wissen recht gut, wie es dem armen Volk geht, sie werden doch durch Menschennot fett und satt ... der Müller, der hat ja jetzt seine Erntezeit, obgleich es noch weit zur schlimmen Zeit der Vorerntenot ist: die Leute ziehen in einem zu nach seiner Mühle wie in einer Prozession, um Mehl und Grütze für die letzten paar Heller zu holen, oder selbst zu borgen auf gute Prozente oder für Entgelt in Taglohn; und wenn man selbst dem Juden das Federbett verkaufen sollte, was zu essen muß man ja haben ...«
»Das ist wahr, niemand gibt was umsonst ...«
Anna dachte an ihre eigenen kaum noch überstandenen Armutssorgen und seufzte schwer auf.
»Ich habe bis spät bei der Florka gesessen, da kamen denn auch genug Frauen, sie haben erzählt, wie es im Dorf aussieht, ja ja ...«
»Mein Gott!« schrie plötzlich Anna aufspringend, denn der Wind hatte dermaßen das Scheunentor zugeschlagen, daß es ein Wunder war, wie es noch zusammenhielt. Sie öffnete das Tor mit Mühe und stemmte ein paar feste Pflöcke dagegen.
»Das weht heute mächtig, aber der Wind ist warm, daß er nur keinen Regen bringt.«
»Die Wagen sinken schon so wie so bis an die Achse ein im Feld.«
»Ein paar gute Sonnentage, und gleich wird es trocken, wir haben doch Frühling.«
»Wenn man doch vor dem Fest noch mit der Aussaat beginnen könnte!«
Sie redeten hin und her, eifrig mit der Arbeit beschäftigt, bis sie schließlich ganz still wurden, man hörte nur das Kollern der aussortierten Kartoffeln, denn sie warfen die kleineren auf einen Haufen und die faulen auf einen anderen.
»Es bleibt genug zum Ausfüttern der Sau und für den Drank für die Kühe auch noch.«
Aber Anna schien nicht auf sie zu hören, sie sann nur immerzu, wie sie sich wohl am geschicktesten an Vaters Geld heranmachen könnte und blickte nur hin und wieder auf, um durch das Scheunentor ins Freie auf die zerzausten Bäume zu sehen, die mit dem Sturm rangen. Zerfetzte schieferblaue Wolken jagten über den Himmel und sahen aus wie Garben, die auseinandergerissen worden sind, und der Wind steigerte sich immer noch und blies von unten herauf, daß die Strohdächer der Häuser sich wie Bürsten sträubten. Eine nasse und von Dunggeruch erfüllte Kälte machte sich unangenehm bemerkbar. Auf dem Hof war es fast leer, nur hin und wieder liefen ein paar Hühner, die der Wind vor sich hertrieb, mit geblähtem Gefieder vorbei, die Gänse saßen im Schutze des Zaunes über ihren Gösseln, die leise piepten; und jedesmal nach Ablauf einiger Paternoster kam Pjetrek mit seinem leeren Wagen gefahren, wendete, blieb gerade der Tenne gegenüber stehen, schlug sich mit den Händen warm, warf den Pferden ein Bündel Heu hin und fuhr, nachdem er mit Witek gemeinsam den Wagen vollgeladen hatte, wieder aufs Feld hinaus.
Manchmal kam Fine zurückgelaufen, rot, atemlos, ganz von der Wichtigkeit dieses Herumtragens der Würste erfüllt, und plapperte los.
»Den Schulzen hab' ich es schon hingetragen, und jetzt lauf' ich zur Muhme... Sie saßen zu Hause, die Stuben weißen sie schon für die Feiertage, und wie sie sich bedankt haben...«
Sie erzählte ausführlich, obgleich sie niemand ausfragte, und rannte wieder ins Dorf, behutsam die in ein weißes Tuch gebundenen Schüsseln mit Geschenken vor sich her haltend.
»Die reine Plappermühle ist die Dirn, aber geschickt ist sie,« bemerkte Gusche.
»Gewiß – ist schon geschickt, aber um dumme Streiche zu machen und wenn sie sich irgendwo was amüsieren kann ...«
»Was wollt ihr denn anderes bei einem solchen Kiek-in-die-Welt, ist doch noch das reine Kind...«
»Witek, sieh doch mal nach, wer da ins Haus gegangen ist!« rief plötzlich Anna.
»Der Schmied sind soeben gekommen.«
Wie von einer bösen Ahnung getroffen, rannte sie geradeaus nach Vaters Seite; der Kranke lag, wie immer, rücklings auf seinem Lager, Jagna nähte etwas am Fenster, in der Stube aber war sonst niemand mehr.
»Wo hat sich denn der Michael hingetan?...«
»Der muß hier irgendwo sein, er sucht den Wagenschlüssel, den er mal dem Matheus geborgt hat,« erklärte Jagna, ohne die Augen von der Arbeit zu heben.
Anna sah auf den Flur, er war nicht da; sie sah auf ihre Seite: der Bylica saß da nur mit den Kindern am Herd und schnitzte ihnen Windmühlen; selbst auf dem Hof suchte sie, nirgends war eine Spur von ihnen zu finden, so rannte sie denn geradeaus in die Kammer, obgleich die Tür zu war.
Und wirklich, da stand er an einem der Fässer, die Hände bis über die Ellbogen im Korn, und wühlte darin eifrig.
»In der Gerste wird er den Schlüssel versteckt haben, was?« warf sie atemlos vor Erregung hin, sich drohend vor ihm aufpflanzend.
»Ich sehe nach, ob sie nicht schimmelig ist, ob man sie zur Aussaat gebrauchen kann...« stotterte er, da sie ihn so plötzlich überrascht hatte.
»Das ist nicht eure Sache!... Was habt ihr hier herumzuschnüffeln?«
Er zog, wenn auch ungern, seine Hände heraus, und kaum imstande, seine Wut zu beherrschen, brummte er ihr zu:
»Und ihr bewacht mich wie einen Dieb...«
»Als ob ich nicht wüßte, weshalb ihr hierhergekommen seid? Hale, in anderer Leute Kammern wird er eindringen und in den Fässern herumstöbern, vielleicht noch die Vorlegeschlösser abreißen und die Truhen aufmachen ... was?« schrie sie immer lauter.
»Hab' ich euch gestern nicht gesagt, was wir suchen müssen...« Er mühte sich, ruhig zu bleiben.
»Ihr habt mir was vorgeschwindelt, um mir nur Sand in die Augen zu streuen, und macht inzwischen ganz was anderes, ich hab' eure Judaspläne längst durchschaut ...«
»Willst du dein Maul halten, Anka, sonst schlag' ich's dir noch zu!« brüllte er drohend los.
»Versuch' es, du Räuber! Rühr' mich nur mit einem Finger an, und ich mach' solch ein Geschrei, daß das halbe Dorf zusammenläuft, dann werden sie sehen, was für einer du bist!« gab sie ihm zurück.
Er sah sich aufmerksam in der Kammer um und trat schließlich, laut vor sich hinfluchend, zurück.
Sie sahen sich aus der Nähe so scharf in die Augen, daß sie, wenn es ihnen möglich gewesen wäre, einander mit diesen funkelnden Blicken durchbohrt hätten.
Anna mußte sogar Wasser danach trinken und konnte lange nicht nach dieser Erregung zu sich kommen.
»Man muß das Geld finden und es sicher verstecken, denn wenn er es zu sehen kriegt, stiehlt er es weg,« sann sie, nach der Scheune zurückkehrend, doch plötzlich wandte sie sich auf halbem Weg zurück.
»Du sitzt hier in der Stube, paßt auf und läßt Fremde in die Kammer!« schrie sie von oben herab auf Jagna, in der geöffneten Tür stehenbleibend.
»Michael ist doch kein Fremder; er hat dasselbe Recht wie ihr!« sie hatte gar keine Angst vor ihrem Geschrei.
»Du bellst da wie ein Hund und hast dich mit ihm schön verabredet; aber paß auf, wenn nur was aus dem Haus verloren gehen sollte, so wahr Gott im Himmel, werde ich dich verklagen und anzeigen, daß du mitgeholfen hast... Das merk' du dir!...« schrie sie, wutentbrannt.
Jagna sprang sofort auf, nach dem ersten besten Gegenstand greifend, der ihr unter die Hände kam.
»Schlagen willst du! Schlag zu! Versuch nur, dann werd' ich dir dein feines Mäulchen so zurechtrichten, daß dich das Rote begießt und die eigene Mutter dich nicht auskennen wird!...«
Sie schrie wütend auf sie ein, was ihr nur die Spucke und das Gift auf die Zunge brachten.
Und Gott weiß, womit das noch geendet hätte, denn sie gingen schon mit den Krallen aufeinander los, wenn nicht Rochus gerade zur rechten Zeit erschienen wäre, so daß Anna, durch seine Blicke beschämt, etwas zur Besinnung kam, verstummte und zu guter Letzt nur noch die Tür im Weggehen mit ganzer Wut ins Schloß warf.
Jagna blieb mitten in der Stube stehen, konnte sich aber kaum vor Entsetzen rühren; ihre Lippen bebten wie im Fieber, und das Herz pochte; die Tränen kollerten wie Erbsen über ihre Wangen. Bis sie schließlich zu sich kam, das Mangelbrett, das sie in der Hand behalten hatte, in eine Ecke warf und aufs Bett stürzte, von einem schmerzlichen, unstillbaren Weinen gepackt.
Anna erzählte inzwischen an Rochus, worum sie sich gezankt hatten.
Er hörte aufmerksam ihren geiferigen, vom Schluchzen durchflochtenen Erzählungen zu; da er aber nicht gut daraus klug werden konnte, so unterbrach er sie streng, schob selbst das ihm vorgesetzte Essen beiseite und griff sehr erzürnt nach der Mütze.
»Es wird schon nötig sein, daß ich in die Welt geh und niemals Lipce wiederseh, wenn ihr so seid. Dem Bösen ist das alles zur Freude oder dem Judenvolk, das sich über das Gezänk und die Dummheit der Christen lustig macht! Du mein barmherziger Jesus, ist nicht schon genug Not, genug Krankheit, genug Hungerleiden da, und die wollen sich da noch jeder für sich untereinander in die Schöpfe fahren und ihre Wut aneinander ausüben.«
Er kam ganz außer Atem, Anna aber ward von einer solchen Wehmut und Angst erfüllt, daß er vielleicht in Wut fortgehen würde, daß sie seine Hände küßte, ihn aus ganzem Herzen um Verzeihung bittend.
»Daß ihr es wißt, es ist mit ihr jetzt gar nicht mehr auszuhalten, alles macht sie einem zum Arger und zum Schaden. Die sitzt doch hier nur sowieso uns zum Nachteil ... vielleicht nicht? So viel Grund und Boden, wie er ihr verschrieben hat ... Und ihr wißt doch gar nicht, wie sie ist! ... Was sie da mit den Burschen angestellt hat ... was sie« ... nein, sie konnte nichts über Antek sagen ... »und jetzt soll sie sich mit dem Schulzen abgeben ...« fügte sie etwas leiser hinzu. »Darum, wenn ich sie nur zu sehen bekomme, kocht es schon in mir vor Wut, und ich könnte ihr auf der Stelle ein Messer einrennen ...«
»Laßt die Rache Gott! Sie ist auch ein Mensch und fühlt das ihr angetane Unrecht, und für ihre Sünden wird sie sich schwer verantworten müssen. Ich sag' es euch: tut ihr kein Unrecht!«
»Bin ich denn etwa die, die ihr was zuleide tut?«
Sie war sehr erstaunt, ohne begreifen zu können, worin Jagna Unrecht geschehen sollte.
Rochus kaute an seinem Brot und ließ, etwas überlegend, die Augen durch die Stube schweifen; schließlich streichelte er die Köpfe der Kinder, die sich an seine Knie schmiegten und machte sich zum Fortgehen fertig.
»Ich sehe zu euch in einem der nächsten Abende ein, und jetzt will ich euch nur das sagen: laßt sie nur, tut eure Sache, und den Rest wird der Herr Jesus machen ...«
Er bot Gott zum Gruß und ging ins Dorf.