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Fünftes Buch.
An der Donau.

Erstes Kapitel.
Die Führer.

Es war in den ersten Tagen des Januar 1854, und die Wintersonne schien prächtig und heiter auf das prächtige Schauspiel, das sich an beiden Ufern der Donau bei Widdin, dem Vimiacium der Römer, entwickelt hatte. Unterhalb der Stadt, die mit ihren 25 Minarets, von alten Festungswerken umgeben, sich dicht am Fluß dahinstreckt und auf der weiten bulgarischen Ebene – nur rechts durch die Wradamnitza-Gebirge begrenzt, und links in weiter Ferne durch die dunklen Massen des Balkan – einen freundlichen Ruhepunkt bildet für den Blick, führte eine Schiffbrücke zu der hochgelegenen Smurda-Insel, die jetzt von Batterien starrte. Darüber hinaus, über den etwa 300 Schritt breiten, von einer leichten, aber nicht tragfähigen Eisdecke bedeckten linken Arm des mächtigen Stromes, verlängerte sich die Brücke bis zum hoch emporsteigenden Ufer von Kalafat, das gegenwärtig die stärkste Stellung der türkischen Armee bildete und den Russen den Weg nach Serbien sperrte. Die Türken hatten den günstig gelegenen Ort mit einer Verschanzung von zirka 6000 Schritt Länge umgeben, die an beiden Enden in einem Fort auslief. Ihre Vorposten dehnten sich im Halbkreis um die Verschanzungen auf die Entfernung von zwei bis drei Wegstunden aus und begegneten hier denen der Russen in täglichen kleinen Scharmützeln.

Es war am Vormittag große Truppenrevue sowohl in Kalafat als in Widdin gewesen, und die verschiedenen Korps rückten eben wieder in ihre Quartiere. Der Muschir Omer-Pascha selbst mit seinem ganzen Generalstabe war seit drei Tagen in Widdin, aber eben im Begriff, wieder abzureisen. Die Masse des Gefolges und die zahlreiche Begleitung erhöhte das bewegte bunte Treiben. Eine Menge Pferde, prächtig gesattelt, wurden im Konak und vor dem Tore umhergeführt, Arabas mit ihrem weißen Ochsengespann standen zur Seite, und die Vorhänge, die sänftenartig das Oberteil umgaben, zeigten, daß sie zur Aufnahme von Frauen bestimmt waren, während die Arabadschis mit den Gepäckwagen bereits vorausfuhren. In der Tat führte der Muschir während des ganzen Feldzuges an der Donau seine jüngste Gattin, eine Deutsche aus Siebenbürgen, und deren Schwester stets mit sich, indes die Bujuk-Hanum, die erste Frau, die noch der verstorbene Sultan ihm gegeben, und deren Hand und Einfluß er hauptsächlich seine glänzende Laufbahn und seinen Reichtum verdankte, im Serail und in den Harems von Konstantinopel seine Interessen wahrte.

Michael Lattas – so lautet der ursprüngliche christliche Name des Muschirs – ist zu Anfang dieses Jahrhunderts in Illyrien geboren. Er trat in seiner Jugend in den österreichischen Militärdienst und hatte das Glück, in eine der militärischen Erziehungsanstalten zu kommen, der allein er seine Ausbildung verdankt. Als Feldwebel war er in Zengg in das Bureau des Majors Knecicz kommandiert, der für ihn väterlich sorgte. Hier verwirrte er jedoch die Kassenverhältnisse seines Wohltäters auf die unverantwortlichste Weise, machte bei einem dem Major nahestehenden Kaufmann in Zara auf seinen Namen Schulden und entfloh mit dem erschwindelten Gelde nach Banjaluka und Sarajevo, wo er nach vielfachem Elend Hauslehrer bei dem Pascha wurde. Dort trat er zum Islam über und kam später mit dem Pascha nach Konstantinopel, wo er auf dessen Empfehlung als Zeichner in einer türkischen Militärschule angestellt wurde und für den jungen gutherzigen Prinzen Abdul-Medjid geometrische Wandtafeln anfertigte. Später wurde er dessen Schreiblehrer und machte, von ihm mit Wohltaten überhäuft, die glänzende und rasche Carriere, die ihn an die Spitze der Armee von Rumelien brachte. Den ersten Ruf gewann sich Omer-Bey 1842 in Syrien als Befehlshaber im Libanon und wurde trotz seiner grausamen, aber notwendigen Strenge eine solche volkstümliche Persönlichkeit, daß die Drusen und Maroniten sich ihn sogar von der Pforte als Häuptling erbaten. Nunmehr zum Pascha ernannt, wurde Omer nach Albanien und später nach Kurdistan geschickt, um die ausgebrochenen Aufstände zu unterdrücken. Er tat es mit eiserner und blutiger Strenge, und galt von dieser Zeit an am Hofe von Stambul als einer der zuverlässigsten und geschicktesten Diener. Als im Jahre 1848 die Revolution in Bukarest ausbrach, Fürst Bibesko floh und Soliman-Pascha die Bewegung nicht zu unterdrücken vermochte, wurde im September der Groß-Referendar Fuad Effendi als Zivil-Kommissarius und Omer-Pascha als Befehlshaber des Heeres entsandt, das mit den Russen gemeinschaftlich die Fürstentümer besetzte.

Damals hatte er zum ersten Male Gelegenheit, die russischen Truppen in der Nähe zu beobachten. Nur von seinem Ehrgeiz gespornt, bot er, ganz gegen die geheime Politik seiner Regierung, den Russen, als General Lüders in Transsylvanien einrückte, um die ungarische Revolution zu bekämpfen, seine Hilfe an, und nur die eifrigen Bemühungen Fuads vermochten ihm das törichte dieses Schrittes endlich klar zu machen. Sofort sprang er zum andern Extrem über, und während er seine erste Gattin nach Konstantinopel sandte, um allen Folgen seiner unüberlegten Politik vorzubeugen, begann er ganz offen, seine Feindseligkeit gegen die Österreicher und selbst gegen die Russen an den Tag zu legen und gewährte den ungarischen Flüchtlingen die vollste Aufnahme und den ehrenvollsten Schutz. Ungarn, Deutsche und Polen strömten in Bukarest zusammen und schworen daselbst in dem von Omer bewohnten Palast öffentlich ihren Glauben an. Eine Menge Generale und höhere Offiziere aus den bekanntesten Adelsfamilien Ungarns und Polens hatten den Turban genommen. Omer selbst gab ihre Zahl auf 72 an – dazu 6000 Soldaten. Aus den gewandtesten Offizieren bildete sich Omer eine Umgebung, auf die er sicher zählen konnte, und die bald die Aufmerksamkeit Rußlands und Österreichs erregte und, wie zu Anfang des Romans berichtet, im Frühjahr 1853 Veranlassung zum Aufwerfen der Flüchtlingsfrage gegen den Diwan wurde.

Die spätere Laufbahn Omers ist bekannt. Zum Muschir Titel aller Staatsminister. – Feldmarschall. von Rumelien, und im April 1850 zum Militär-Gouverneur von Bosnien und der Herzegowina ernannt, unterdrückte er mit der furchtbarsten Strenge und einer Grausamkeit, die mit den älteren Zeiten der türkischen Herrschaft wetteifert, die völkischen Bestrebungen der muselmanischen Bosniaken und Bulgaren. Iskender-Bey – der Pole Ilinski – war dabei einer seiner tätigsten und glücklichsten Helfer. Zu Anfang des Jahres 1852 erfolgte die Entwaffnung der bosnischen Christen, bei der die grausamsten Scheußlichkeiten verübt wurden. Nach Konstantinopel zurückberufen, wurde der Muschir zwar für einige Zeit infolge der gegen ihn erhobenen Anklagen außer Tätigkeit gesetzt, doch schon das Frühjahr 1853 führte ihn wieder mit vermehrter Macht auf den Schauplatz und gegen die Montenegriner. Daß schon seit seinem ersten Zusammentreffen mit den Russen an der Donau im Jahre 1849 der Muschir auf einen großen Krieg mit diesem Erbfeinde seines neuen Vaterlandes rechnete, steht außer Frage, denn von dieser Zeit ab stand er im Diwan fortwährend auf der Seite der Kriegspartei und war, trotz seiner sonstigen sehr liberalen Anschauungen und Gewohnheiten, auf das engste mit der alttürkischen Fraktion verbunden.

Im Tschardak Offene Veranda. der Lokanda Alexos, des Slowaken, standen zwei Männer, beide in türkischer Uniform, der eine mit den Tressenabzeichen des Offiziers, der andere in dem einfachen blauen Rock mit dem Feß, ein Hekim-Baschi Arzt. der Armee, Doktor Welland, den die Order seiner Vorgesetzten von Schumla aus nach Widdin geführt hatte, um in den schrecklichen Lazaretten, in denen während des Winters an 10 000 Typhuskranke von den türkischen Truppen starben, Hilfe zu leisten. Der Offizier war ein Jüs-Baschi Hauptmann. vom dritten Bataillon des vierten rumelischen Ordu, Armeekorps. ein Pole von Geburt, Mackiewicz, der schon mit Bem übergetreten war und in der türkischen Armee Dienste genommen. Welland hatte ihn durch seine aufmerksame Behandlung von einem der schrecklichen Wechselfieber befreit, die tausende entnervten, und der Pole, der seinen Dienst noch nicht wieder angetreten, beobachtete mit dem Arzt das eigentümliche militärische Schauspiel.

»Wissen Sie, Doktor,« sagte der Offizier, »daß der Muschir gestern den Ober-Ekmekschi Bäcker. und zwei seiner Gehilfen hat erschießen lassen? Die Kanaillen verdienten eine zehnfach härtere Strafe als die ehrliche Kugel, denn ihnen und den schurkischen Lieferanten ist es zuzuschreiben, daß ein Fünftel des Heeres in den Lazaretten liegt, aus denen nur für diejenigen ein Weg ins Leben zurückführt, welche unter so freundliche und geschickte Hände geraten, wie die Ihren.« – »Ich habe davon gehört, und so sehr ich die Sache als Mensch beklage, fühle ich doch die Notwendigkeit eiserner Strenge und hoffe von der kurzen Anwesenheit des Muschirs vielfache Reformen und den besten Erfolg. Ich zweifle keinen Augenblick, daß die Armee bis auf die Baschi-Bozuks herab sich tapfer schlagen wird, aber die Unglücklichen verkommen an der grenzenlosen Unordnung und Nichtswürdigkeit, die in allen Teilen ihrer Verpflegung herrscht. Die Verproviantierung ist die allerelendeste, die man sich denken kann; Brot und Mehl sind nicht zu genießen; und während des ganzen Dezembers hat wohl kein Mann ein warmes und trockenes Quartier gehabt. Das Lazarettwesen ist in einem scheußlichen Zustande, von Medikamenten ist fast keine Spur vorhanden, und das ärztliche Personal – daß Gott erbarm! ich habe selbst einen Unterarzt und einen Apotheker, die in ihrer Heimat, wie sie mir beide gestanden haben, sich als Schneider und Schuster ernährt haben.« – Der Pole lachte. – »Sie werden noch ganz andere Dinge erleben, Doktor. Diese Wirtschaft bei den Ärzten kommt davon, weil in den Augen der Türken jeder Franke von Natur aus ein Doktor ist. Und dennoch, trotz der Wahrheit Ihrer Schilderungen, trotz der Tatsache, daß diese Menschen seit mehreren Monaten keinen Sold empfangen haben, ist ihre Aufopferung wahrhaft heroisch und erhaben. Es ist ihr Kismet, für den Koran zu sterben. Was kümmert es sie, ob es durch Kugel oder Krankheit geschieht!«

Der Arzt hatte die Erfahrung selbst an hundert Sterbelagern gemacht; – es ist erhaben und empörend, mit welcher Gleichgiltigkeit der Orientale das schwere Geschäft des Sterbens betrachtet ... »Doch lassen Sie uns den Weg zur Festung hinauf gehen,« unterbrach Makiewicz ihre Betrachtungen. »Der Kriegsrat scheint beendigt und der Zug des Muschirs sich in Bewegung zu setzen. Sobald er über die Schanzen der Irregulären hinaus ist, wird es hier voll genug werden.« Es schlossen sich ihnen noch andere Offiziere an, und mit ihnen zusammen verließen sie den Tschardak, den Weg durch die traurigen Gassen der Stadt nehmend, die bei schlechter Witterung einer großen Kloake gleichen und von mephitischen Dünsten erfüllt sind, nach der Festung hinauf, die durch einen Graben von der Stadt abgesondert ist und in der das Serail des Gouverneurs liegt. Hier auf einer Erhöhung postierte sich die Gesellschaft und sah den Zug herankommen. Eine Abteilung der türkischen Husaren eröffnete ihn, dann folgte der Muschir mit seiner zahlreichen Begleitung zu Pferde, der sich die Führer der Armee von Kalafat und Widdin anschlossen.

»Sie würden mich verbinden, Kamerad,« sagte einer der jungen Offiziere, ein Sardinier, der erst am Tage vorher von Konstantinopel eingetroffen war, »wenn Sie mich etwas mit den Persönlichkeiten bekannt machen wollten.« – »Sehr gern, Kamerad. Da an der Spitze reitet Omer-Pascha, der Muschir, den Sie bereits bei der Parade kennen lernten. Ihm zur Seite, der Alte auf dem schönen Araber, ist Sami-Pascha, der Gouverneur dieses schmutzigen Nestes. Pferde und Pagen sind sein Luxus, und Geld genug, ihn sich zu leisten, hat er zusammengescharrt. Er ist ein Grieche von Morea und als Kind nach Stambul gekommen, wo ihn Mehemed Ali, der Vizekönig, als Pagen nahm. Als der schlaue Fuchs merkte, daß es mit seinem Gebieter zu Ende ging, brachte er seinen Reichtum in Sicherheit und ging nach London und nach Paris, wo er lange den Stutzer gespielt hat. Nach einigen Jahren nach Stambul zurückgekehrt, gewann er sich durch seinen Verrat an Mehemed das Paschalik von Trapezunt und später von Larissa. Vor vier Jahren wurde er endlich hier in Widdin der Nachfolger Husseins, des Janitscharentöters, und schikaniert seitdem die Österreicher, hält auf seine alten Tage einen Harem, von dem man Wunderdinge erzählt, und ist der schlaueste alte Hund, den ich noch gekannt habe!« – »Sie schildern in scharfen Zügen,« lachte der junge Leutnant. »Aber der General oder Pascha an der Rechten des Muschirs?« – »Achmet-Pascha, Ihr künftiger Oberbefehlshaber, denn der Sirdar hat seinen General-Stabs-Chef, Allah sei's geklagt, nun einmal dazu gemacht, obschon wir unter ihm nichts als Feiertage haben. Er machte seine Studien auf der Ingenieurschule zu Wien und ist ein ganz einsichtsvoller Türke, versteht aber vom Feldlager nichts. Ich denke immer, der Muschir hat ihn deswegen an seine Seite gestellt ... Und gleich hinter ihm der stolze Reiter auf dem Rappen ist der Ferk Divisionsgeneral. Mustapha-Pascha, neben ihm reiten die Liva Brigadegenerale. Osman-Pascha und Mehemed-Pascha.« – »Und Graf Ilinski – wollte sagen Iskender-Bey, der berühmte Anführer der Irregulären?« – »Da kommt er eben hinterdrein gejagt, als säße der Teufel hinter ihm, oder als gelte es, eine Bank von zwanzigtausend Piastern zu sprengen. Er reitet wie ein Kosak und ist am Ende auch einer, nach seiner tatarischen Physiognomie und seinen boshaften Augen zu urteilen. Aber ich möchte wissen, wie wir mit diesem Gesindel, das sich aus Spitzbuben, Meuchelmördern und Fanatikern zusammensetzt, fertig werden sollten, wenn wir ihn nicht hätten mit seinen beiden Adjutanten Hidaet-Aga und Jakub-Aga.« – »Sind sie geborene Türken?« fragte der Sardinier. – »Lassen Sie beide die Beleidigung nicht hören, sonst müssen Sie vor die Klinge. Es sind Landsleute von mir, wenn ich auch nur einen kenne. Konstantin von Jakubowski, aus dem Großherzogtum, focht bei Grochowa und Ostrolenka, und lebte dann mit Mickiewicz in Paris. In Lemberg 1846 gefangen und amnestiert, ging er nach Italien und half Rom verteidigen. Von den Franzosen vertrieben, hatte er gerade noch Zeit, zu Bem zu stoßen, als der alte Held nach der Walachei zog und vor Halim-Pascha die Waffen streckte. Seitdem steht er im türkischen Dienst und macht mit Omer die Feldzüge in Bosnien und Montenegro mit.« – »Wer ist Hidaet-Aga?« fragte der Doktor weiter. – »O, den kenne ich nicht; ich weiß nur, daß er aus einer polnischen Familie stammt und soviel von seinem Vermögen aus dem Schiffbruch der Revolution gerettet hat, daß er sich im Rosengarten Adrianopel einen hübschen Landstrich kaufen konnte, wo er in Ruhe lebte. Nur die Freundschaft für Iskender-Bey hat ihn wieder unter unsere Fahnen gezogen. Er dient ohne Sold als Freiwilliger, um, wie er sagt, an den Russen eine alte Scharte auszuwetzen.« – »Und der Reiter in der roten Uniform mit dem geschlitzten blauen Dolman, der Bärenmütze und dem Halbmond daran?« – »Hei, das ist Major Wersbitzki, der Kommandant der türkischen Kosaken, des tollen Korps, das unsere Rechtgläubigen so sehr verabscheuen. Er reitet neben Depuis, dem Franzosen, und dem Juden Osman-Aga, dem Adjutanten des Muschirs, einem reichen Bankierssohn aus Temesvar, der gestern die Depesche aus Schumla brachte und den Weg von hundert Stunden in zwei Tagen zurückgelegt hat. Freilich jagte er zwei Pferde zu Tode und das dritte hat er die Nacht verspielt.« – »Aber wer ist der Offizier dort in der fremden Uniform, der neben Lord Wolseley und Kapitän Bathurst reitet und mit Herbert Wilson spricht?« – »Ich kenne ihn nicht,« sagte der Pole. – »Da kann ich Auskunft geben, denn es ist mein Landsmann, Oberst Graf Pisani. Ich focht unter Karl Albert bei Novara, und seiner Empfehlung verdanke ich die Anstellung in Ihrer Armee.« – »Es scheint, der Muschir läßt ihn eben zu sich rufen, er reitet vorwärts. He, Hussein-Aga,« rief er einen jungen Genie-Offizier an, der eben in ihrer Nähe vorüberritt. »Wie steht's mit dem Kriegsrat? ist der Angriff gegen Krajowa endlich beschlossen?« – »Salem, Jüs-Baschi Mackiewicza,« gab der junge Muselmann zur Antwort; »ich glaube, wir werden selbst von den Moskows aus den Schanzen gejagt. Sie rücken vor und befestigen sich drei Stunden von unseren Vorposten.«

Diese Nachricht erweckte allgemeine Sensation, die nur auf kurze Zeit unterbrochen wurde, als die Arabas, Bulgarische Wagen. von schwarzen Sklaven begleitet, mit den Frauen des Sirdars in einiger Entfernung dem Zuge folgten. – Als er vorüber war, kehrte die kleine Gesellschaft nach dem Tschardak des Gasthauses zurück, wo sich gewöhnlich die europäischen und selbst viele türkische Offiziere zu versammeln pflegten, obschon Alexo, der Wirt, in dringendem Verdacht als Spion des österreichischen Konsuls und der Russen selbst stand.

Eine bunte Versammlung hatte bereits das Haus und den Vorplatz eingenommen. Und alle Augenblicke strömten neue Ankömmlinge herbei. Ehe Welland, der in der Lokanda selbst sein Quartier genommen, noch sein Zimmer betreten, sprengten an die zwanzig Reiter, von der Begleitung des Muschirs zurückkehrend, herbei und warfen sich vor der Veranda von ihren Pferden, Iskender-Bey an ihrer Spitze. – »Der Teufel soll mich holen und der Prophet dazu,« schwor der wilde Reiteranführer, »wenn mir nicht die Kehle trocken ist wie ein ausgedörrter Schwamm. He, Alexo, Bursche! Wein her, Karten und Würfel! Wir müssen nach der Anstrengung im Diwan und den Begrüßungs- und Abschiedsreden eine bessere Erfrischung haben als den Kaffee, den der schäbige Filz Sami uns vorgesetzt hat.« – Die Renegaten im Heere scherten sich herzlich wenig um das Verbot des Korans gegen den Wein, und der edle Ungarwein, Bordeaux und Rum flossen in Strömen, wenn sie nur zu haben waren. Mit der edlen Ungeniertheit des Orients und des Lagerlebens war alsbald – da alle anderen Räume des Hauses gefüllt waren – das große Gemach, das Welland im oberen Stock bewohnte, von der wilden Gesellschaft in Beschlag genommen, und während der Wirt hin und her eilte, die Gäste mit Getränken zu bedienen, klapperten auf dem Tisch bereits die Würfel und flogen nach rechts und links die Karten im Hazard.

»Nun, Doktor,« sagte Jakub-Aga, der die Bank hielt, »wollen Sie denn nicht einmal Ihr Glück versuchen? Zum Teufel mit der Kopfhängerei! Sie werden Arme und Beine genug abzusäbeln haben, ehe zweimal vierundzwanzig Stunden vergehen.« – »Ich hörte bereits davon, Major,« versetzte der Arzt. »Hat man nähere Nachrichten?« – Die Russen kriechen endlich aus ihren Mauselöchern,« lachte der Bey. »Ihre Tirailleurs stehen bereits bei Czetate, und ich glaube, sie haben Lust sich festzusetzen.« »Werden wir angreifen?« – »Versteht sich! Morgen rücken wir aus – aber der heutige Tag gehört noch uns. Nur Wersbitzki muß diese Nacht schon fort, um zu rekognoszieren; das hat der Narr davon, daß er den Koran verachtet.« – »Vorsichtig!« mahnte Hidaet-Aga; »der flavonische Spitzbube macht sich fortwährend hier zu schaffen und lauscht auf jede Silbe. – »Torheit!« höhnte der Bey; »Alexo weiß die Sache besser als wir. – Drei Dukaten auf die Dame!«

Ein Reiter sprengte unten vor das Haus und stürmte die Treppe herauf ... »Osman-Aga? Welcher Dämon führt Sie zurück?« – »Mashallah, Inshallah, Bismallah und alle Allahs daneben, denn ich bin ein gläubiger Moslem und kein Jude mehr,« lachte der Wildfang. »Der Muschir ist ein prächtiger Mann, er hat mich wieder zurückgeschickt, um ihm nach dem Angriff weitere Kunde nachzubringen! Hussah! Wein her! Wer hält die Bank? Ich muß meine Uhr und meine Ringe von dieser Nacht zurückgewinnen.« – »Ich gebe Revanche,« sagte der Bey und nahm die Karten. »Ah, sieh da, Graf Pisani! Willkommen, Herr Kamerad, bei unserer Unterhaltung. Ich fürchtete schon, Sie liebten weder Spiel noch Wein und belagerten nur das Haremlik des würdigen Sami.« – »Ich überführe Sie von Ihrem Irrtum, Graf,« entgegnete der Oberst, der eben eingetreten war, und warf eine Börse mit Gold auf den Tisch. »Fünf Dublonen auf den Buben hier!« – »Wahrhaftig, der Bursche hat gewonnen. Was, ein Paroli? Ich sehe, Sie verstehen die Sache.«

Das Spiel nahm seinen Fortgang. In allen Ecken des Zimmers lärmte eine Gruppe. Französisch, Türkisch, Italienisch, Polnisch, Ungarisch und alle slavonischen Sprachen flossen in der Unterhaltung bunt durcheinander. Welland hatte sich längst darein ergeben, für den Abend und die Nacht auf die Ruhe verzichten zu müssen; er unterhielt sich auf der Galerie vor den Fenstern mit Kapitän Maxwell und Master Godkin, den beiden Berichterstattern der Daily news und des Morning Chronicle, ehe er seinen Abendbesuch im Lazarett machte ... Alexo, der Wirt, hatte neuen Bordeaux aufgetischt. Dabei war ein bedeutsamer Blick des Sardiniers dem seinigen begegnet. Ein Gegenblick des Wirtes deutete nach der Tür ... »Geben Sie mir jetzt die Bank,« erklärte Pisani und legte seine Uhr neben sich. »Ich bin Ihnen Revanche schuldig und werde sie dreißig Minuten halten, aber keinen Augenblick länger, denn ich habe noch einige Geschäfte. Heran, meine Herren!« – Die Offiziere spielten eifrig weiter, denn der Sardinier war im Glück und hatte bereits einen Haufen von Gold und türkischen Papiergelds vor sich gehäuft. Osman-Aga, der Jude, sah mit leidenschaftlichen Blicken und vom Wein erhitzten Gesicht dem Spiele zu. Er hatte schon alles bis auf das goldgestickte Sattelzeug seines Pferdes, selbst seinen mit den schweren Goldschnüren pikeschenartig gezierten Rock der türkischen Husaren, deren Korps er angehörte, verloren. – »Wollen Sie einen Wechsel auf hundert Dukaten von mir annehmen, Herr Graf?« fragte er endlich hastig. »Mein Vater ist Bankier in Temesvar und wird ihn einlösen, wie meine Kameraden mir bezeugen können.« – Der Sardinier verneigte sich höflich. – »Ich zweifle keinen Augenblick daran, mein Herr, aber ich mache nie dergleichen Geschäfte.« – »Alexo! Schurke, hierher! Zum Henker, wo steckt der Spitzbube?« – Der Slavonier schoß herbei – »Befehlen die Herren frisches Getränk?« – »Unsinn, Kot! Du sollst mir einen Wechsel diskontieren; ich weiß, du hast Geld, wenn du nur willst.«

Der Slovake wand und krümmte sich wie ein Wurm. Er wußte sehr gut, daß der Adjutant ihm sicher war, aber er hatte ihm bereits, wenn auch zu den höchsten wucherischen Zinsen, am Tage vorher ein Darlehn gemacht. – »O, Aga,« sagte er, »ich bin ein armer Mann und habe bereits zwei Wechsel von Euch in den Händen. Wo soll ich all das Geld hernehmen?« – »Schäbiger Lump!« fluchte der Wüstling. »Wir alle wissen, du kannst halb Widdin auskaufen, so viel hast du schon an uns verdient. Ich gebe dir mein Wort, du sollst dein Geld wiedererhalten, noch ehe ich das Nest verlasse. Ich werde morgen zu den Juden gehen und Geld schaffen.« – »Könnt Ihr mir nicht lieber ein Unterpfand geben, Aga? Ich bin ein armer Mann und muß mich sicherstellen. Seine Hoheit Pascha-Gouverneur (dem in der Türkei dieser Titel beigelegt wird) gönnt mir ohnehin kaum das Leben.« – »Bah! ich habe nichts, meine Ringe sind fort. Meine Uhr auch. Willst du mein Patent?« – »Was tue ich mit Eurem Patent? das laßt Ihr im Stich; jedermann weiß, daß Ihr der Offizier Seiner Exzellenz des Muschir seid.« – »Nun, Schuft von einem Slavonier,« rief der Leichtsinnige, in seiner Brieftasche kramend, »hier ist was Besseres, das ich höchstens auf einige Tage entbehren kann. Die Generalorder des Muschirs zum Durchlaß auf allen Posten und zur Lieferung von Pferden. Ohne dies Papier kann ich nicht von der Stelle; ist dir das sicher genug?«

Graf Pisani hatte, während die übrigen, unbekümmert um die gewohnte Verhandlung, fortpointierten, mit halbem Ohr auf das Gespräch gelauscht. Sein rascher, bedeutsamer Blick traf gedankenschnell den Slavonier und winkte ihm, zuzuschlagen. – »Bei den heiligen Märtyrern, an die Ihr nicht glaubt, Aga,« schwor der Wirt, »ich muß Euch anvertrautes Gold geben und tue es bloß auf Euer ehrliches Gesicht. Laßt das Papier da, Aga, und Ihr braucht Euch nicht zu eilen; ich verwahre es sicher; Ihr werdet mich hoffentlich bei den Zinsen nicht vergessen!« – Der junge Tollkopf folgte dem schlauen Händler aus dem Gemach. Wenige Minuten nachher erschien er wieder am Spieltisch, die Taschen voll Gold, und von den Genossen jubelnd begrüßt.

Die Dukaten rollten. Mit beiden Händen auf den Tisch gestemmt, folgten Iskender-Bey und Osman-Aga den Chancen des Spiels. Die Augen funkelten – wilde Ausrufe und Verwünschungen – das triumphierende Lachen des Gewinns klang von ihren Lippen – nur der Sardinier spielte wie ein Gentleman ... Osman-Aga verlor – der kühne Führer der Baschi-Bozuks triumphierte im Gewinn. – »Fünfzig Dukaten!« – Der junge Verschwender schob den ganzen Rest auf das Coeur-Aß. – »Schwarz! Auf den Buben, Kamerad!« rief der Bey. – Die Karten fielen rechts und links: Rot hatte verloren, schwarz gewonnen. Mit einem grimmigen Fluch hob der Adjutant die nächste Flasche an den Mund und trank sie bis zum Boden leer; Iskender-Bey aber zog das Gold zu seinem Gewinn. – »Wein, Alexo, Champagner! Noch eine Taille, Kamerad?« – Aber der Graf hatte sich bereits erhoben und hielt ihm die Uhr vor. – »Die Zeit ist um, Herr Graf, ich zediere dem nächsten. – Viel Vergnügen, meine Herren, mich rufen noch Geschäfte; vielleicht find' ich Sie später noch hier und gebe dann weitere Revanche.« –

Er steckte den Goldhaufen, der vor ihm lag, in die Tasche und griff nach dem Kaskett. Aber ein jammerndes Geschrei voll Schmerz und Angst fesselte seinen Fuß, und er blieb ein unwillkürlicher Zuschauer der nachfolgenden Szene ... Die Tür des Gemaches wurde aufgerissen, ein bulgarisches Weib und ein Mädchen erschienen auf der Schwelle, weinend und zagend, als sie die vielen Männer sahen. Aber Doktor Welland, der sie führte, zog sie, ihnen Mut einsprechend, herein und gerade auf Iskender-Bey zu. Nursah, der schwarze Sklave des Doktors, hatte das Mädchen an der Hand, dessen Gewand zerrissen war, dessen langes blondes Haar, häufig eine große Schönheit der bulgarischen Frauen, ihr wirr herab bis fast auf die Knie niederhing. – »Was Teufel, Doktor, bringen Sie uns da für Gäste? Haben Sie eine Otmitza Mädchenentführung. gehalten und Braut und Schwiegermutter zugleich erobert? Herbei mit dem Popen!« – Die ganze Gesellschaft brach in ein tobendes Gelächter aus, Welland aber faßte eifrig des Beys Arm ... »Helfen Sie den Ärmsten, die Schutz bei Ihnen suchen,« bat er, »sie sind geflüchtet aus ihrem Hause, wo Ihre Baschi-Bozuks Mord und Totschlag üben. Mein Neger fand die Weiber jammernd vor der Tür der Lokanda und führte sie zu mir.« – »Bah! was wird es sein? – eine Lappalie – das Volk hier ist an Prügel gewöhnt! Warum gehen Sie den wilden Teufeln nicht aus dem Wege? Ich kann mich nicht mit der Beschwerde jedes Bauern oder jeder Dirne befassen.«

Die Baba Bulgarische Hausfrau. war vor dem Bey niedergefallen und umfaßte seine Kniee. – »Was gibt's, Weib?« herrschte er ihr auf türkisch zu. – »O Hoheit! sie morden meinen Mann – sie haben meinen Neffen erschlagen und ermorden sich untereinander!« – Die Stirn des türkischen Guerillaführers verfinsterte sich ... »Wer bist du, Frau? wo ist dein Haus?« – »An der Straße, Hoheit, die nach Belgradzik führt, dem Adlernest der Haiducken. Die Zelte deiner Krieger liegen keine tausend Gänge davon, und mein Mann hält dort ein Gasthaus.« – »Aufs Pferd, Jakub-Aga,« befahl der Bey, »und sieh' zu, was es gibt. Meine Kopfabschneider sollen dem Volke wenigstens nicht ans Leben kommen, sie werden morgen bessere Gelegenheit finden, ihre Tollheit zu kühlen. Jage die Hunde in ihre Zelte, und du, Weib, störe mich nicht länger.«

Er wandte sich wieder zu dem Spiel, während Jakub-Aga den Säbel umschnallte und das Gemach verließ, indem er sich von dem Weibe noch weiter den Schauplatz des Exzesses beschreiben ließ. Mehrere der jüngeren Offiziere umgaben die hübsche junge Bulgarin, die zitternd und weinend sich an den deutschen Arzt drängte, der sie hereingeführt. Im Galopp flog ein Reiter vor das Haus, warf sich aus dem Sattel, und man hörte ihn laut nach dem Bey fragen. Es war bereits dunkel geworden, der Retraiteschuß der Festung jedoch, der die Tür schloß, noch nicht gefallen. Der Führer der Irregulären beugte sich aus dem Fenster ... »Was gibt's? wer fragt nach mir?« – »Der Jüs-Baschi der Kosaken, Mahmud-Aga, läßt melden, daß eine große Anzahl der Irregulären mit seinen Leuten handgemein geworden ist, in einer bulgarischen Schankwirtschaft an der Straße nach Nissa. Der Major ist bereits in Kalafat, Verstärkung zu holen.« – »Zu Pferde, meine Herren,« rief der Bey, »wir müssen die Schufte auseinandertreiben, sonst hauen sie sich gegenseitig in Stücke!« Er sprang die Stiege hinab und rief unter dem Tschardak nach seinem Roß. Mehrere der Offiziere folgten ihm – andere blieben ruhig sitzen, dergleichen Auftritte ereigneten sich zu häufig, um ihre Ruhe noch zu stören. Der Bey jagte, mit seinen Unteroffizieren voran, auf und davon.

»Hierher, Exzellenz!« flüsterte der slavonische Wirt, indem er die Hand des sardinischen Obersten berührte. »Folgen Sie mir!« – Der Sarde folgte dem Wirt durch den Flur und einen kurzen Gang in ein anstoßendes Hintergebäude und zu einem kleinen, leeren Zimmer. – »Verzeihen Exzellenz,« bat der Slovake, »daß ich Sie hierher führe, aber nirgends im ganzen Hause ist ein Plätzchen, wo man sich ungestört besprechen kann.« – Der Oberst warf das Geld, das er gewonnen, auf den Tisch. – »Hier ist etwas für den Brief der Gräfin, den du mir gestern sandtest, und die hundert Dukaten, die du für den Ferman des tollen Agas ausgelegt. Der Überschuß ist dein. Gib mir das Papier.« – »Aber wenn der Aga es einlösen will?« – »Bah! – er denkt nicht daran; ich werde dafür sorgen, daß er Beschäftigung genug hat. In drei Tagen kannst du es außerdem zurück erhalten. Wie steht's mit meinem Auftrag?« – »Die Befehle von Exzellenz sind erfüllt; aber wie ich die Verhältnisse kenne, wird mein Plan der einzig ausführbare sein. Ich habe sichere Kunde, daß eine Anzahl Dorobandschen die Gelegenheit zum Desertieren erlauert. Apollony ist bereit, auf das russische Gebiet zu gehen und die Leute zu führen; es wird ihnen dafür ein leichtes sein, die Gräfin in ihrem Schloß an der Deszneizia aufzuheben und über die Donau zu bringen.« Der Graf schwieg, einige Augenblicke nachsinnend ... »Ist der Mann treu?« – »Wie Stahl und Gold, Exzellenz, ich verschwöre mein Leben für ihn. Er führt die meisten Überläufer.« – »Du weißt,« sagte der Oberst, »daß, wenn die Entführung gelingt, du 200 Dukaten erhältst und der Walache ebensoviel. Betrügst du mich, – denn ich weiß sehr wohl, daß du den Russen ebenso gut dienst, wie mir, – so werde ich dafür sorgen, daß Sami-Pascha dich eines schönen Morgens an deiner eigenen Haustür aufhängen läßt. Führe den Mann zu mir!«

Der Wirt verschwand und kehrte bald nachher mit einem jungen Manne zurück, der, obschon in türkischer Offiziersuniform, doch nur als Volontär in der Armee diente und – ein geborener Walache – durch seine Bestrebungen, seine Landsleute aufzuwiegeln und auf die türkische Seite herüberzuziehen, sich ausgezeichnet hatte. – »Alexo hat Ihnen von dem Unternehmen bereits gesprochen,« sagte der Graf. »Die eingetretenen Umstände erleichtern die Sache. Das Gut und Schloß der Gräfin Laszlo an der Straße Radovan liegt zwar zwei Meilen innerhalb der russischen Linien, doch wird die Gegend morgen von Truppen entblößt sein. Kennen Sie Schloß Badowitza?« – »Sehr gut, Aga!« – »Desto besser; also hören Sie! Die russischen Truppen haben eine Expedition gegen einen Ihnen gewiß bekannten Punkt, Czetate, etwa drei Meilen oberhalb Kalafat, unternommen und werden sich dort festsetzen. Ich bin durch einen Brief gestern genau unterrichtet worden, daß auch die Detachements, die in der Nähe von Tschoroy und der Deszneizia stehen, dahin kommandiert sind, das Gut der Gräfin Laszlo also ohne namhafte Verteidigung in diesem Augenblicke ist. Alexo, der Wirt, sagt mir, daß Sie der Dorobandschen, die in jener Gegend stehen, sicher sind. Wir werden morgen die Russen bei Czetate angreifen. Sie müssen die Zeit benutzen, um die Gräfin ohne Aufsehen aufzuheben und nach der Donau zu bringen. Die Dame, gegen die ich jede Beleidigung auf das strengste untersage, wird im Widdiner Konak Sami-Paschas abgeliefert. Ist dies geschehen, so wird Alexo Ihnen sofort die versprochenen 200 Dukaten auszahlen. Getrauen Sie sich das Unternehmen auszuführen?« Der Walache lächelte. – »Ich besitze genügend russische Papiere – für Geld ist da drüben alles zu haben – auch kenne ich die Gegend genau.« – »So kann ich Ihnen die Mittel geben, zu jeder Zeit und wie Sie es für gut finden, bei den türkischen Posten während der nächsten drei Tage aus- und einzupassieren, ja überall sich die nötige Hilfe zu sichern. Hier ist eine Order des Muschirs; der Zufall hat mich in ihren Besitz gebracht.« – Apollony untersuchte das Papier ... »Betrachten Sie die Sache als abgemacht, Herr! Spätestens übermorgen abend ist die Dame im Haremlik des Gouverneurs, oder ich habe meinen Kopf verspielt. Doch muß ich etwas Geld im voraus haben.« – »Alexo wird Ihnen fünfzig Dukaten geben. Noch eins! – die Gräfin muß die Leute entweder für ein türkisches Streifkorps oder für Überläufer halten. Es kommt nur darauf an, daß ihrer Person nichts widerfährt, und Gewalt wird sogar besser sein. Etwas Schrecken und Angst werden ihr nicht schaden; mit ihrer Umgebung machen Sie keine Umstände, betrachten Sie sie als Feinde. Unter keiner Bedingung darf aber die Dame ahnen, daß ihre Entführung von hier aus eingeleitet ist, keine Silbe von meiner Person; verstehen Sie wohl?« – »Ihre Befehle sollen erfüllt werden! Auf übermorgen also.« – Der Oberst nickte ... »Gutes Glück! Alexo, gib ihm das Geld.«

Die Völker.

Die Mehana Gastwirtschaft, Schenke. des Bulgaren Gawra befand sich ungefähr zehn Minuten vor dem südlichen Tor Widdins an der Straße nach Nissa und Ternowo, der heiligen Stadt des Landes. Das bulgarische Dorf, zu dem sie gehörte, lag weiter ab von der Straße. Jenseits derselben hinaus ins Feld nach der Donau zu, erstreckte sich das fliegende Lager der Baschi-Bozuks, die hier die Reserve für die Garnison von Kalafat bildeten. Die Schenke war nicht nach bulgarischer Art gebaut, die ein rundes, bis auf etwa zwei Fuß vom Boden abstehendes Schobendach zeigt, während das Haus selbst tief in die Erde gegraben ist und man auf Stufen dazu heruntersteigt, sondern nach städtischem Muster eingerichtet, einstöckig und mit einer großen gemeinschaftlichen Hoda Saal, großes Gemach. versehen, die, zugleich Küche, Wohn- und Gaststube, bis auf zwei kleine Kammern den ganzen untern Raum der Umfassungsmauern einnahm; dagegen verrieten die vielen weißen, von der Sonne gebleichten und auf Pfähle gesteckten Ochsen-und Pferdeschädel rings um den Hof die bulgarische Wohnstätte. Ein großer grüner Busch über der Haustür zeigte die Eigenschaft der Schenke an; mehrere nach bulgarischer Weise eingerichtete Ställe, denn jede Art der Haustiere hat hier ihre besondere Unterkunft, umgaben das Hauptgebäude.

Gawra, der Wirt und Pferdehändler, galt unter seinen Landsleuten für einen habsüchtigen, aber wohlhabenden Mann, wenn auch die ganze Wirtschaft ein verkommenes Aussehen zeigte. – Am Nachmittage jenes Tages, der uns in der Lokanda des Slowaken Alexo zu Widdin gefunden, ging es auch hier lebendig her. Gawra hatte die Nähe der türkischen Lager benutzt, um einen Handel und Ausschank von Getränken anzulegen, und verschacherte dabei auch mit Glück und Gewinn manches Roß, teils aus dem eigenen Stalle, teils von der Beute, die die Irregulären und türkischen Husaren von den Streifzügen über Kalafat hinaus mit zurückbrachten, die hier ihren Stammverkehr hatten. Indessen waren heute auch zahlreicher als sonst die Baschi-Bozuks in der Schenke versammelt, nicht bloß die größere Hälfte des unteren Hauses füllend, sondern fortwährend ab- und zuströmend. Die bunten, wüsten Gruppen, die auf dem Boden umherkauerten oder gleich Statuen an der getünchten Wand lehnten, Boten einen seltsamen, phantastischen Anblick. Neben dem Albanesen von Janina mit der heute zu Ehren der Besichtigung wieder einmal rein gewaschenen Fustanelle, dem langbezipfelten Feß und der goldbetreßten Jacke, saß der schmutzige Bosniake, der Arnaut mit den grünen, zerlumpten, engen Hosen, die er irgend einem Christen gestohlen, der offenen roten Ärmelweste und dem um den Kopf geschlungenen Tuch, unter dem die dunklen, unruhigen Augen umherblitzten, – oder gar der Syrier mit dem bronzefarbenen Gesicht, dem weiten, einst weißen, jetzt zu schmutzigen Fetzen gewordenen Gewande. Daneben das ebenholzfarbene Gesicht des Mohren aus Derr oder Kordofan; das gelbe Antlitz des Ägypters – des armen Fellachen –, der, von Hütte und Familie gerissen, hier den ihm gleichgültigen Streit des Großherrn ausfechten sollte; desgleichen der Araber aus den Wüsten von Jemen, der Bewohner der Öden um Damaskus, der Druse vom Libanon, die Vertreter aller wilden Stämme Albaniens neben dem breitbackigen Turkomanen mit den kleingeschlitzten, scharfen Augen. Ein beispielloses Gewirr von Trachten in Farbe und Schnitt, keine der andern gleich, der feine Seidenschal um schmutzige Lumpen gewunden, Fez und Turban, Tuch und kurdische Mütze; Kaftan und Ziegenhaarmantel, das entblößte Bein und die rote albanesische Gamasche; Goldstickerei neben der wollenen, kaum die Blöße verhüllenden Decke, der blinkende Sporn an dem einen schleppenden Pantoffel, die gelbledernen Strümpfe der Türken oder das unbehilfliche Schuhwerk, das die Regierung geliefert. Dazu ein Arsenal von scharfen Waffen jeder Art, das den Sammler und selbst den Altertumsforscher in Entzücken versetzt hätte: der Säbel in jeder Form und Biegung, in Samt und Lederscheide, im Metall klirrend, oft ohne alle Hülle – der kostbare, bleigraue Damascener Stahl in der einfachsten Scheide, Handjars jeder Größe und Form, vom handbreiten syrischen Yatagan bis zur schweren, gewichtigen Waffe des Turkomanen, kurdische Messer, die mehr gerade Klinge der Stämme des Peloponnes, der gewundene eiserne Dolch, vielleicht noch aus den Zeiten der Kreuzzüge von Vater auf Sohn vererbt – eherne und hölzerne, fußlange Griffe, mit silbernen Buckeln und Stiften beschlagen, – an vielen Perlmutter und Elfenbein, Juwelen und edle Steine verschwendet. Dazwischen das plumpe Seitengewehr, das der Nizam trägt, der unvermeidliche Tabaksbeutel überall, die Feuerzange in ihrer messingenen Kapsel im Gürtel – der Schibuk in aller Munde, eine Wolke von Tabaksqualm und Knoblauchsgeruch über allen Köpfen; – zwischen den stillen, ernsten Gruppen mit dem Kaffeebecher oder dem irdenen Krug voll scharfem Slibowitza, der wie Wasser durch diese abgehärteten Kehlen floß, einige zerlumpte, schmutzige Derwische mit der topfartigen Filzmütze und dem braunen oder grauen Mantel – das war der Anblick, den die größere Hälfte des ziemlich weiten Raumes bot.

Weit tobender und lauter war die Gesellschaft im andern Teile. Hier saßen und standen um ein paar Tische an zwanzig türkische Kosaken in ihrer kleidsamen Uniform: dem blauen, mit scharlachroten Aufschlägen und ebensolchem Futter in den langen aufgeschlitzten Hängeärmeln versehenen Dolman, dem Pelztschako mit dem großen Halbmond von Messingblech und den weiten blauen Pantalons mit breiten roten Galons. Die Gruppen um die Tische waren mit Trinken und Würfeln beschäftigt. In der Mitte des Gemaches vor dem großen Kamin lag die Kula mit einer ihrer Töchter der Kaffeesiederei ob, während Wirt Gawra mit einem Neffen, fast noch einem Jungen, die Gäste bediente.

An dem Tische in der Nähe des Kamins saß die Hauptgruppe der Spieler um einen Fremden, der, so sehr er ihnen auch in dem verwegenen und kühnen Aussehen glich, doch keiner der Ihren war und nicht die Uniform trug. Der Leser kennt ihn bereits – Santa Lucia, den korsischen Banditen, der nach seinem letzten Verbrechen in Stambul im Heerlager an der Donau Sicherheit gefunden hatte und hier den Diener des sardinischen Obersten spielte. – »Mashallah!« murrte Ali, der Arnaut, zu seinem Nachbar, einem zerlumpten Asiaten, indem er mit dem Mundstück seines Schibuks nach den Spielern deutete, »sieh diese Söhne der ungläubigen Hunde, wie das blanke Gold durch ihre unreinen Hände rollt. Ein weiser Mann hat mir gesagt, daß man durch dieses Spiel aus einem Beschlick Gleich einem Piaster an Wert (als türk. Münze etwa 20 Pfg.). im Handumdrehen zwanzig goldene Ghazis erwerben kann.« – Die Augen des Asiaten funkelten lüstern. – »Inshallah! – was für Narren sind diese Christen! Es ist nur ein Gott, und Mohammed ist sein Prophet. Ich möchte ihnen ihr Geld abnehmen. Aber mein Beutel ist leer.« Abdallah, der Syrier, nestelte an einem solchen von Ziegenhaar ... »Ich fand bei dem Moskow, den wir bei dem Überfall erschlugen, außer dem Golde auf seinen Schultern zehn Stücke in seiner Tasche. Wenn ich wüßte, daß Allah mein Tun segnen würde, möchte ich einen Beschlick in diesem Spiel wagen.« – »Hussa, Schurke von Wirt! Rum her, Branntwein!« – »Hundsfott! Wo steckt der Bursche, daß er Caballeros warten läßt? ... Lümmel! Branntwein her!« – »Caballeros, euer Spiel! – Acht auf der Tafel.« – » Pesta! Ich werfe mehr! Zehn!« – »Hundsmutter die deinige! Das Geld ist verloren.«

Der Pole griff sich wild in die Haare und starrte mit funkelnden Augen auf sein verlorenes Geld, das der Spanier ruhig zu dem seinen zog. – »Allah sende ihm Unglück! Hast du es mit deinen eigenen Augen gesehen?« – »Was lachst du mir in meinen Bart, Beg? Auf mein Haupt komme es! Bin ich ein Mann, oder eine turkomanische Kuh? Sind das Augen, oder sind sie es nicht? Ich habe gesehen, wie er über der Tür seines Hofes die drei Kreuze gemacht hat, die das Zeichen des Christen sind und die unsere Brüder aufs Krankenlager werfen, bis die Reihe an uns kommt.« – »Wir wollen den Derwisch Ibrahim herbeirufen; er wird uns sagen, ob dieser aussätzige Bulgar dafür an seine eigene Tür genagelt werden soll!« – »Bringt Pfeifen und Kaffee herbei!« – »Gawra! Wo ist Maritza, deine Tochter? Warum bedient sie deine Gäste nicht? Gib mir die Guzla Zither. vom Nagel.« – »Die Marutza fürchtet sich vor der vielen Gesellschaft, Aga; sie wirtschaftet in den Ställen mit dem Vieh.« – »Schaff' sie herbei, Schurke! Meinst du, wir seien gekommen, um deine Fratze anzuschauen?!« – »Die Moma! die Moma!« heulte der Chor.

Der Bulgare war bereits demütig verschwunden. Die Moslems schauten finster auf die Lärmer; um Hadschi-Achmet und den Derwisch hatte sich eine Gruppe gebildet und horchte eifrig den Worten ... »Dieses Schwein von einem Bulgaren tut, als ob wir nicht in der Welt wären. Ich will die Gräber seiner Väter besudeln!« – Der Redner schüttelte verächtlich den Zipfel seiner Jacke ... » Corpo di Bacco! Ruhe da oben! Ich will mein Lied singen!« – Tomasini, der Venetianer, begann, auf der Guzla klimpernd, Orsinos Trinklied aus der Lucretia. Seine Stimme war schön, und bald sammelten sich Zuhörer und klatschten ihm ihren Beifall. Selbst die wilden Kinder der Wüste horchten den übermütigen frischen Klängen.

An dem Tisch des Korsen stand der Baschi-Bozuk. Sein Auge haftete gierig auf dem Golde, das vor Santa Lucia lag. – »Hei, Kamerad, willst du auch einmal dein Glück versuchen? Heraus, alter Beduine, mit den Piastern und den blanken Dukaten und Dublonen, die du zusammengestohlen hast.« Er reichte ihm den Becher ... Der Araber verstand seine Sprache nicht, aber er legte langsam und zögernd einen Imperial auf den Tisch. Seine langen Finger krampften noch ängstlich danach, als der Korse das Goldstück nahm und prüfte. – » Diavolo! Russisches Gold? Hast du viel dergleichen, Patron?« – Er warf einen Napoleonsdor daneben und schob dem gierigen Moslem die Würfel zu. Einige Männer sammelten sich um die Gruppe.

Draußen am halb zusammengebrochnen Hofzaun hinter dem Hause, durch den vorspringenden Stall vor den Blicken verborgen, lehnte Marutza, die älteste Tochter des Hauswirts. Um das reine ovale Gesicht mit den großen blauen Augen wallte das Goldhaar fast bis zur Erde hinab, die jungfräulich üppige Gestalt wie mit einem Mantel umgebend. Auf dem Scheitel fehlte zwar die Ringelblume oder die Rose, mit der die Bulgarin sich schmückt, denn die Jahreszeit bot nicht die sinnige Zierde; aber der Mann vor ihr schaute auch nicht nach fremden Blumen aus, wo die Rosen auf den Wangen der Geliebten ihm glühten und aus ihren treuen, melancholischen Augen alle Blüten der Zärtlichkeit ihm entgegenstrahlten ... Es war ein kräftiger Jüngling von trotzig kühnem Aussehen; der glänzend gewichste Schnurrbart hing lang über die Mundwinkel nieder; auf dem Haupte, das bis auf den langen, in zwei Flechten geteilten Haarbüschel auf dem Scheitel kahl geschoren war, saß der slavonische Hut. Von dicker Wolle war seine ganze Kleidung, die kurze Kutte, der Gürtel, die Beinkleider, die Bänder, womit seine Füße dicht umwickelt waren. Über dem allen war er in einen weiten, filzartigen weißen Mantel gehüllt, der die Waffen in seinem Gürtel verbarg, bis auf die treue Flinte, die im Bereich der Hand lehnte.

»Ich sage dir, Marutza,« sprach finster der Fremde, »ich dulde es nicht länger, daß dein Vater dich den Blicken der Männer preisgibt, von denen seine Habsucht ihren Vorteil zieht, statt dich, wie es einer Bulgarin ziemt, an der Spindel oder dem Webstuhl in der Kammer zu halten. Mit Maria, deiner Schwester, mag er tun, was ihm beliebt, aber du bist meine Braut, wenn du auch den Schleier oder die Haube nicht trägst, und, bei den vierzig Märtyrern! ich hole dich in der Otmitza, wenn dein Vater der Sache kein Ende macht.« – »Du tätest besser, Miloje,« entgegnete die Stimme des Alten, der seine Tochter zu suchen gekommen war, hinter ihnen, »Du brächtest deinen und meinen Hals nicht in Gefahr, indem du hier umherstreichst, während die Khawassen des Paschas und alle Leute in Widdin wissen, daß ein Preis auf deinem Kopfe steht.« – »Bah!« sagte der junge Mann verächtlich, indem er die Finger seiner Rechten vor sich spreizte, »ich fürchte die Schurken nicht. Ich bin ein freier Heiduck, und Sami-Pascha weiß, was er von meinen Brüdern zu erwarten hat, wenn er mir ein Haar krümmt. Mein Vater war ihr Schrecken und bei der Panagia, Heilige Jungfrau. ich werde diese Türken nicht für die Tschorbadschias Herren des Landes. erkennen, so lange ein Atem in dieser Brust ist.« – »Aber was willst du hier, wo tausend Augen auf uns gerichtet sind?« – »Mein Weib, Marutza, meine Braut, wie du meinem Vater gelobt hast. Ich bin von den Bergen herunter gekommen, weil ich gehört habe, daß du, des schnöden Geldes wegen, deine Töchter gleich Mägden die Krieger des Großherrn bedienen läßt.« – »Du bist ein Tor, Michael Miloje! Wem anders fällt einst mein Hab und Gut zu, als dir und dem Mann meiner Tochter Maria! Die Weiber müssen verdienen, so lange sie im Hause sind. Du kannst Marutza doch nicht mit auf deine kalten Berge nehmen, und im Paschalik darfst du dich nicht niederlassen, ehe nicht der Bann von deinem Haupte genommen ist. Was können wir tun? wir sind die Knechte!« – »Ha, bei dem Blute meines Vaters, der im Turm von Kamenitza für die Freiheit der Seinen starb,« rief der Heiduck, »sind wir nicht Memmen, daß wir diese Fesseln tragen? Sind unsere Freunde, die Moskowiten, nicht jenseits des Stromes bereit, uns zu Hilfe zu eilen, sobald nur der Kampfesruf von unseren Bergen erschallt? Schämt Euch, Gawra! in der Jugend habt Ihr mit dem Popen, Eurem Ohm, bei Jarkoï gefochten und vor Nissa gestanden mit meinem Vater; und nun vergeßt Ihr so ganz, was Euer Herz damals entflammte?« – »Törichter Junge,« sagte der vorsichtige Bulgar, sich scheu umblickend. »Ist es nicht schon deshalb, weil ich Gawra heiße, daß ich die Rache der Osmanli fürchten und ihren Verdacht einschläfern muß? Was weißt du, wie meine Seele denkt! Doch fort mit dir jetzt, – das Mädchen muß in die Hoda und ihrer Mutter helfen, und dich schütze der Gott unserer Väter, bis du so viel erworben hast, daß du die Braut heimführen kannst.«

Das Mädchen riß sich los und flog über den Hof zur Tscharda. Der junge Heiduck aber faßte des Alten Arm, der ihn gleichfalls verlassen wollte ... »Ist es nur das, Vater Gawra, das gelbe Metall, dessen ich bedarf, um die Braut zu erhalten? Schau her, dessen habe ich genug, mehr als ich brauche, mein Haus zu bauen, und ein stattlich Gut frei zu kaufen.« – Er zog aus dem breiten, wollenen Gürtel einen ledernen Beutel und zeigte ihn dem Pferdehändler, – der Beutel wog schwer von Gold. – »Bei dem Blute der heiligen Märtyrer!« fuhr der Alte zurück, »wo hast du das Geld her, Michael?« – »Ei, laßt Euch's nicht kümmern,« lachte dieser. »Es ist ehrlich erworbenes Geld, das der schwarze Zar seinen tapfern Kindern, den Heiducken, gesandt hat. Aber ich kann nicht von hier, Vater Gawra, und ich will auch nicht. Ich muß jemand erwarten, der mich innerhalb drei Tagen in Eurer Schenke treffen soll. Ich habe so gut ein Recht, hier zu weilen, wie jeder dieser Soldaten des Padischah.«

Der Bulgar bedachte sich einen Augenblick, – sein Geiz und der Anblick des vielen Goldes, das der Heiduck bei sich führte, siegten über seine Vorsicht ... »Sei es denn,« sagte er, »aber bringe mich nicht ins Unglück für meine Güte. Die Soldaten kennen dich nicht, und die Khawassen meiden meine Schwelle, weil sie Schläge von ihnen fürchten. Sei vorsichtig, Michael, und mische dich nicht in fremde Händel! Du kennst die Gelegenheit und weißt, daß die Stiege neben dem Herd zu den Bodenkammern führt. Dorthin ziehe dich zurück, ehe sie auf dich und deine Gegenwart merken; ich werde die Weiber zu dir senden. Gib mir die Flinte, daß ich sie verberge.« – »Ich kann die Waffe nicht von mir lassen.« – »Narr! Hier würde sie auch wenig sicher sein, diese Moslems sind Diebe, die überall umherspähen.«

Er holte aus dem Stalle eine Schütte Stroh und steckte das Gewehr hinein. Dann nahm er es unter den Arm und schritt dem Hause zu, dem jungen Häuptling winkend, ihm in einiger Entfernung zu folgen.

Drinnen nahm der Lärm immer mehr überhand, je mehr der feurige Branntwein, das Spiel und der Streit die Köpfe erhitzten. Tomasi hatte die Guzla fortgelegt und Marutza, die bei ihm vorbeischlüpfte, am wallenden Gewand ergriffen, während Rodriguez, der Spanier, ihre Hand gefaßt hielt und fünf, sechs andere um das geängstigte Mädchen sich sammelten, ihr den Ausweg versperrend ... »Schöne Marutza,« flüsterte der Italiener, »her zu mir, trink aus meinem Glase! Pesta, du bist so allerliebst, daß Tomasa dich besitzen muß, und wenn es sein Leben gälte!« – » Demonio«, schrie der Rival, »der Mann will die Schönheit allein haben! – An mein Herz, schöne Senjora, Rodriguez ist gleichfalls bis über die Augen vernarrt in dich!« – » Putao!« zischte ein dritter Nachbar und riß das Mädchen an sich. »Halb Part, Kamerad!« – Wie ein Spielball flog sie, laut aufkreischend, durch die Hände der wüsten Gesellen.

Abdallah, der Syrier, hatte nach wechselndem Verlust und Gewinn bereits sieben seiner blanken Goldstücke in den Händen des überlegenen Christen gelassen. Die Adern seiner Stirn schwollen, krampfhaft zuckten seine Finger nach dem verlorenen Golde ... »Nimm dich in acht, Kamerad,« sagte mit spöttischem Lächeln der Korse, und seine Rechte spielte am Griff des Dolches, während die Linke lustig den Würfelbecher schüttelte. »Du vergreifst dich an fremdem Eigentum! Seid Ihr solche Lumpen, daß Ihr nicht ein paar Goldstücke für Euer Vergnügen wagen könnt? – Etwas Ordentliches, Freund Muselmann, setze deinen Rest! hier ist das Gold, was ich gegen halte!« – Der Moslem zauderte, – seine Genossen waren stumm, nur die blitzenden Augen zeigten den gierigen Anteil. Dann langsam und zögernd schob Abdallah den Rest seiner erbeuteten Imperials auf den Tisch, und der Korse warf klingend und hochmütig drei dagegen. – » En avant, mes braves! Bringen wir einen Toast auf die schöne Marutza!« – » Allah bila versin! Der Bulgare muß sterben für den Hohn, den er uns angetan!«

Die Worte kreuzten sich mit dem gellenden Hilferuf des Mädchens; Vater und Mutter eilten herbei – » Cenrinegato!« donnerte es zwischen das wilde Gelächter, und eine kräftige Faust stieß den geilen Venetianer zurück, daß er den Boden maß, und riß das Mädchen aus den Armen der Trunkenen. –

Abdallah hatte seinen Wurf getan, – mit Hohngelächter wurde die niedere Zahl begrüßt. Santa Lucia schüttelte mit triumphierendem Lächeln den Becher und ließ die Würfel rollen. – »Siebzehn, nichts für ungut, Kamerad, die Imperials gehören mir!« Er zog die Goldstücke zu dem Geldhaufen vor sich. – » Marzocco! Picaro! Filho de puta! Was will der Prostak?« tönten in zehn Sprachen die Flüche durcheinander, und Tommasini sprang vom Boden empor, den Säbel aus der Scheide reißend, daß die Klinge blank durch den Qualm und das Dunkel funkelte, das, nur von dürftigem Lampenschein gebrochen, bereits die weite Hoda füllte. – Santa Lucia schaute hinüber nach dem beginnenden Streit. Diesen Augenblick der Unachtsamkeit benutzte der Syrier, sein Gold wieder zu erhaschen, und seine Hände faßten gierig danach; drei, vier andere nahmen die Bewegung für einen Aufruf zum Raub und fielen über den Geldhaufen des Korsen her. – » Canaglia!« Einen Augenblick funkelte das Stilett des Banditen in der erhobenen Faust, dann fuhr es nieder und nagelte die Hand des unglücklichen Asiaten fest auf den Tisch. – Ein wilder Schrei des Schmerzes und der Wut ... gleich einer Schlange wand sich der Mann an dem gefesselten Arm. – »Wallah! Auf die Dschaurs, Ihr Gläubigen!« – Säbel und Handjars blitzten – mitten hinein in den Lärm knallte ein Schuß. – –

Der Heiduck hatte den Mantel von sich geworfen, – seine Linke suchte das Mädchen fortzudrängen und zu schützen, während die Rechte ein langes Pistol aus dem Gürtel riß. – »Zurück da, die Moma ist eine ehrliche Jungfrau und meine Braut!« – In dem wüsten Lärm verklang der Ruf oder wurde mit Hohngelächter beantwortet; seiner Tracht nach hielten ihn die Christen für einen Irregulären, daher der wütende Schrei: »Er hat Pistolen! Nieder mit dem Schuft, Kameraden!« – Der Irrtum war aber zugleich die Rettung des Heiducken. Während Monsieur Louis, der lustige Pariser, und einige Vernünftigere sich zwischen ihn und den Italiener warfen und einen tollen Streit verhindern wollten, faßte der Portugiese mit frecher Faust die Schulter und das Gewand des Mädchens; ein Ruck, und das wollene Kleid riß in Stücke und enthüllte die weiße Brust der Jungfrau. Der trunkene Lüstling tat jedoch jauchzend nur einen Blick auf die enthüllten Reize – der nächste schon zeigte ihm die weite Mündung des Pistols dicht vor den Augen, und mit zerschmettertem Schädel stürzte er auf seine Gefährten zurück ... Der Schuß gab das Signal zum allgemeinen Kampf, die Baschi-Bozuks warfen sich von allen Seiten auf die gehaßten Christen, und der lange verhaltene Groll brach in ungezügelte Heftigkeit aus. Säbel, Handjars, Dolche und Messer blitzten und färbten sich rot im Blute der Gegner. Mit den Schlägen des schweren Pistolenkolbens hatte sich der Heiduck, die Braut im Arm, Bahn gebrochen durch das Getümmel; keine der Parteien wußte recht, woran sie mit ihm war, und so kam er glücklich bis zu der Treppenleiter, die neben dem Herd zum Dachgeschoß des Hauses führte, worin sich außer den Vorratsräumen zwei Kammern für die Töchter und die Mägde des Hauses befanden. Der scharfe Blick des Knees hatte gesehen, wohin der Wirt sein Gewehr verborgen, und indem er das Mädchen die Leiter hinaufschob, hatte er auch bereits die treue Waffe gefaßt und hielt mit ihr daneben Wache.

» Bassa manelka! Sollen wir uns von den türkischen Lumpen erschlagen lassen? Hierher, Kameraden!« – Die breite, kräftige Gestalt des ungarischen Unteroffiziers hatte sich auf einen der Tische geschwungen, und nun regnete es Hiebe von seiner breiten Klinge auf die Köpfe und Schultern der Gegner ... Gawra, der Wirt, an die Schlägereien des Gesindels gewöhnt, hatte anfangs die Sache wenig gefährlich genommen und war nun herbeigeeilt, sein Kind aus den Händen der Trunkenen zu befreien. Als aber, noch ehe er das Mädchen erreicht, der Schuß fiel und überall die Waffen blitzten, erkannte er die drohende Gefahr und drängte die Baba und ihre jüngere Tochter zur Tür ... »Geschwind zur Stadt und hole Hilfe! Die Teufel stecken uns sonst das Haus überm Kopf in Brand.« – Die Weiber entflohen, während sie noch sahen, wie eine Anzahl der Baschi-Bozuks sich auf den Wirt selbst warf und der Knabe Jowan zu Boden geschlagen wurde ... »Hinaus mit den verräterischen Hunden! Schlagt sie tot, die asiatischen Spitzbuben!« schrie der Führer der christlichen Freischar, und in geordneter Phalanx drangen sie auf die wilde Horde ein; ihre wuchtigen Hiebe trieben sie durch Fenster und Tür, heulend vor Wut, aus zwanzig Wunden blutend im Handgemenge. Doch nur eine kurze Zeit war der Sieg auf der Seite der Christen. Im Tschardak faßten die Moslems, von den Ihrigen, die sich draußen umhertrieben, unterstützt, festen Fuß und begannen aufs neue den Eingang zu stürmen. Die Kosaken begannen sich zu verschanzen, denn bei ihrer geringen Zahl und der größeren Entfernung der Stadt erkannten sie die Gefahr und daß es galt, sich zu halten, bis Entsatz kam. Mehrere von ihnen waren gleichfalls verwundet; außer der Leiche des Portugiesen lag ein junger Pole, zum Tode getroffen, am Boden, der Handjar Husseins des Albanesen hatte ihm den Schädel gespalten. An den Heiducken dachte keiner mehr, man hatte ihn für einen der Baschi-Bozuks gehalten und glaubte, daß er mit den anderen entwichen; er hatte aber die Gelegenheit benutzt und während des Kampfes sich mit Marutza in das Bodengeschoß geflüchtet. Seine starke Faust zog die Leiter ihnen nach.

Die wilden Gesellen, trotzend der Gefahr, ließen es nach der Sicherung des Eingangs ihr erstes Geschäft sein, die Vorräte der Mehana zu plündern und alles Getränk herbeizuschaffen. Ein wüstes Bacchanal begann. Durch die Fenster hinaus die Branntweinkrüge schwingend, höhnten sie ihre Gegner ... Eine kurze Pause des Kampfes war eingetreten – wohl an zweihundert der Irregulären waren jetzt versammelt in der Nähe, und auf den braunen, dunklen Gesichtern flammte die Leidenschaft in allen Schattierungen. Offiziere sprengten neuerdings herbei und versuchten die Leute zurückzutreiben. Mahmud-Aga, der Kapitän der Kosaken, darunter; aber vergeblich drohte er, seine Eskadron ausrücken zu lassen. Wildes Hohn- und Rachegeschrei war die Antwort. Kienfackeln – die Ställe des Roßhändlers boten des Vorrats genug – flammten ringsum. Baschi-Bozuks hatten den unglücklichen Wirt nach der hintern Seite des Hofes geschleppt zu dem dort befindlichen Ausgange und zeigten ihm hier sein Verbrechen: – drei rote, mit Tierblut gemalte Christenkreuze auf dem Querbalken des Tores! Die fanatischen Moslems sahen darin eine Verhöhnung des Halbmondes, und Ibrahim, der Derwisch, hetzte die Erbitterten. »Kreuzigt ihn! kreuzigt ihn!« Er wurde mit ausgespannten Gliedern festgebunden, und nun begannen sie mit ihm ein teuflisches Spiel: Ben-Bahui, der Damaszener, hatte es angegeben – seinen Yatagan zwischen den Fingern wiegend, schleuderte er ihn nach dem Unglücklichen, daß die Spitze in Fußweite von seinem Leibe ins Holz fuhr. – Gellendes Hohngelächter verschlang den Hilferuf des Gefährdeten ... Ein zweiter der Bande – ein großer Schwarzer mit dem stumpfen Bullenbeißergesicht der Stämme der Nilquellen – trat vor, den Wurf zu versuchen; die taumelnde Haltung bewies, daß er seine geringen Fähigkeiten im Slibowitza ersäuft hatte. Andere strömten hin und her zwischen den beiden Haufen, den Hohn ihrer Gegner in der Mehana mit der Ladung zu dem blutigen Spiel beantwortend. – »Mashallah! schlagt die Dschaurs tot!« – Die wütende Bande begann jetzt den Sturm gegen die Türen und die Fenster des Hauses. Der Mohr hob grinsend das schwere Messer zum Wurf – plötzlich warf er auch den andern Arm wild in die Höhe, drehte sich um sich selbst und stürzte zu Boden. Der Knall, der kräuselnde Rauch aus der Dachöffnung der Schenke zeigte, woher der Flintenschuß gefallen. – »Die Hunde haben Feuerwaffen! Wallah! Steckt ihnen das Haus in Brand!« – Die schwache Tür der Mehana brach vor den Schlägen der Stürmenden, über die Trümmer her wurden die Freiwilligen und die Bozuks aufs neue handgemein. Da hob es sich wie eine dunkle Masse jenseits des fast fünf Fuß hohen Zaunes, und durch die Luft, mitten in die Gruppe der Asiaten hinein, flog ein braunes, schäumendes Roß, das jetzt zitternd von der gewaltigen Anstrengung stand und schnaufte. Und auf dem Roß ein Mann, die breite Brust von dem silberbeschnürten schwarzen Dolman umspannt, Todesdrohung im feuersprühenden Blick, das häßliche, aber energische Gesicht vor Aufregung glühend: – Graf Jlinski, Iskender Bey, der Oberst der Irregulären ... » Przekleçie! In eure Zelte, ihr Hunde! Fort!« Seine Rechte spannte den Hahn des Sattelpistols – sie alle hörten deutlich das Knacken, – eine solche Stille war um den Grafen her, als sie ihn erkannt – nach allen Seiten hin verloren sich viele der Meuterer eiligst ins Dunkel. – »Wer hat das Aas hier erschossen? Ihr kennt das Verbot, Feuerwaffen bei euch zu führen! Antwort!« – »Du bist der Herr, o Bey!« sagte endlich, sich zu Boden werfend und seinen Steigbügel küssend, der Damaszener; »der Schuß kam von den Christen her aus der Schenke. Es ist unser Kismet, deinem Willen zu gehorchen; wir haben keine Flinten.« – »Was tut Ihr mit dem Mann da?« – »Er hat Kot auf unsern Glauben gehäuft. Es ist ein bulgarischer Mistträger – wir wollen ihn strafen.« – »O, Aga,« rief der Unglückliche, »sie warfen mit ihren Yatagans nach mir!«

Der Bey schaute nach dem Tor ... »Ungeschickte Hunde! Nennt ihr das einen Wurf? Eine Elle vom Ziel!« Er ritt zum Tor und zog den Handjar, der noch neben dem Leibe des zitternden Bulgaren steckte, aus dem Holz. »Halt still – Schurke!« Auf fünfzehn Schritt ritt er zurück und hob sich im Sattel. Einen Augenblick wog er die schwere Klinge auf der flachen Hand, mit dem Mittelfinger den Knopf des Griffs berührend; dann warf er die Waffe, die zischend die Luft durchschnitt und kaum in Zollweite über dem Kopfe des Wirtes tief ins Holz fuhr ... Ein donnernder Beifallsruf der Kinder der Wüste erschütterte die Luft. Auf diese Weise hielt Iskender-Bey diese ungezähmten Seelen unter seiner wuchtigen Faust; er sprach zu ihnen: »Ich schieße besser als du, ich werfe den Djerid besser als du, ich reite besser als du;« und er schoß besser, warf besser, ritt besser und war allen voraus im Kampf. Der Tiger der Wüste beugte sich vor dem polnischen Wolfe und ward sein Knecht ... »Bindet den Mann los!« – Es geschah. – »Und nun fort mit euch Schurken und zu euren Zelten, denn in fünf Minuten lasse ich Alarm blasen und spieße jeden, der nicht in seiner Reihe steht. Zum Dank für den Lärm hier sollt ihr noch diese Nacht marschieren ... Du,« er wandte sich zu dem Damaszener, »und zwei dieser Hundssöhne, ihr bleibt bei dem Mann hier, bis ich nach euch sende.« Er wandte das Pferd und ritt nach dem Hause, ohne die Bande auch nur eines Blickes zu würdigen. Gleich begossenen Hunden schlichen sie eilig nach allen Seiten davon ... Am Tschardak der Mehana hatte unterdes eine eigentümliche Szene gespielt und dem blutigen Gemetzel ein Ende gemacht. Während der Kampf tobte und das Blut floß, jagten mit verhängtem Zügel die Adjutanten des Beys, Jakub-Aga und Hidaët-Aga, in den Hof, ohne alle Rücksicht auf die Niedergetretenen, mitten in den dichtesten Haufen. Im nächsten Augenblick schon regnete es rechts und links, vorn und hinten Hiebe mit den Kantschus auf die Köpfe und Schultern der Stürmenden. Erschrocken über den unerwarteten Gruß, stob die Bande, die nicht den Säbel der Christen, wohl aber die ungezählten Prügel fürchtete, beiseite. Ehe fünf Minuten vergangen, war der Platz unter dem höhnenden Gelächter der eben noch in blutiger Verteidigung begriffenen Belagerten von dem Gesindel gereinigt. Zugleich hörte man im Lager die langen gewundenen Hörner der Irregulären in schweren klagenden Tönen die Signale zum Sammeln blasen, und von Widdin her schmetterten Trompeten, und der Rest der Eskadron der türkischen Kosaken unter Führung eines Mulassim trabte heran.

Iskender-Bey kam ruhig aus dem hintern Teil des Hofes, wo er in so tollkühner und glücklicher Weise im rechten Augenblick erschienen war, zum Tschardak geritten, auf den jetzt die Belagerten – fast die Hälfte mehr oder weniger verwundet – sich herausgedrängt hatten. Ein Baschi-Bozuk lag erschlagen mit weitklaffender Wunde in der Veranda; die Verwundeten hatten ihre Kameraden jedoch mit fortgeschleppt. – »Major Jakub?« – Der Aga salutierte. – »Wieviel Tote?« »Von den Freiwilligen einer drin erschossen, ein anderer schwer verwundet. Zwei Leichen von den Unsern liegen in der Schenke, eine hier.« – »Die Sache ist also gut genug abgelaufen. Jüs-Baschi Mahmud!« – Der Hauptmann der Kosaken, der sich vergeblich bemüht hatte, die Kämpfenden auseinander zu bringen, trat vor ... »Ich bin der Höchstkommandierende hier, wenn auch Ihre Leute nicht zu den Meinen gehören. Lassen Sie die Halunken dort, die den Handel angezettelt, hervortreten.« – Es geschah. – »Wer von euch hat die beiden Schüsse getan? – Antwort!« – Einige Augenblicke schwiegen alle; dann entgegnete der Korporal: »Von uns hat keiner nach dem Tagesbefehl Schießgewehr bei sich geführt. Der Erschossene drin ist einer der Unsern.« – »Wer also schoß?« – »Ein Baschi-Bozuk natürlich, Oberst.« – »Narr! Warum sollte der seinen eigenen Kameraden erschießen? – Ruft den Wirt der Mehana aus dem Hofe herbei und seine Wächter.«

Die Leute wurden gebracht. Der Bey wandte sich zu dem Damaszener ... »Woher kam der Schuß, der den Mohren niederstreckte?« – »Aus dem Hause, Bey! Ich sah selbst den Rauch aus dem Dache steigen.« – »Durchsucht das Haus!« – »Exzellenz, habe Gnade mit deinem Knecht,« jammerte der Wirt. »Ich weiß nicht, woher der Schuß gekommen; die Angst des Todes war über mir.«

Die Soldaten, die das Haus durchsucht hatten, kamen, Marutza mit sich führend, zurück; der eine trug die Flinte des Heiducken. – »Wer ist das Mädchen?« – »Meine Tochter, Exzellenz; sie flüchtete auf den Boden, als der Streit im Hause begann.« – »Habt ihr niemand weiter gefunden?« – »Niemand, als dies Weib und die Flinte unter dem Stroh verborgen. In der Hoda liegt ein junger Bursche, der Aufwärter des Handja, aber er ist verwundet.« – »Jowan, mein Neffe!« – »Still. Mädchen, du mußt es wissen, rede die Wahrheit! Wer schoß die Flinte ab auf den Mohren?« – Der Bulgar zitterte ... »Ich, o Aga, tat es. Mein Vater war in Gefahr!« – Der Bey schaute ihr scharf in die schwarzen Augen, die mutig standhielten. Das ritterliche Blut des Polen trug den Sieg davon ... »So tatest du brav, Mädchen, wie ich wünsche, daß meine Tochter an mir tun möge. Doch kann ich deinen Vater nicht vor der Strafe schützen, weil er gegen den ausdrücklichen Befehl der Regierung Waffen in seinem Hause gehegt hat. Mulassim Hassan, Ihr bleibt in dem Lager und werdet morgen den Mann und das Mädchen zu Sami-Pascha führen. Die Toten hier sind meine Sache, versteht mich wohl! Nur das Gewehr geht den Pascha und seine Kawassen an. Gute Nacht, Mädchen!« Sie neigte sich demütig und küßte den Riemen seines Steigbügels. »Jüs-Baschi Mahmud, führt eure Leute fort. Nach der Schlacht hören die Burschen da das Weitere. Und nun, meine Herren, zu unserem Korps und sorgt dafür, daß keiner der Lebendigen unter dem Vorwande einer Wunde in seiner Reihe fehle. Bei dem Gott Mohammeds und der Christen! ich will den Kerl lebendig schinden, der es wagt! Vorwärts, Jakub Aga!« und dem scharrenden Roß die Sporen in Flanken pressend, flog der wilde Graf im Galopp davon – hinter ihm drein seine Adjutanten.

In langen, verhallenden Tönen bliesen die Hörner zum Aufbruch nach Czetate.

Im Gefecht! – Czetate.

Der Oberbefehlshaber der russischen Armee hatte beschlossen, die Operationen gegen den linken Flügel der türkischen zu beginnen und diese aus der kleinen Walachei zu verdrängen. Zu dem Ende galt es, Kalafat zu zernieren, und der Generalleutnant Graf Anrep-Elmpt, der beim Einrücken in die Fürstentümer die Avantgarde kommandiert hatte und jetzt in Krajowa befehligte, erhielt die entsprechenden Ordres. Kalafat liegt in einer kurzen Biegung der Donau nach Nordosten, ehe sie sich zur serbischen und ungarischen Grenze wendet. Auf der Basis der Donau bildeten die Russen die zwei Seiten eines Dreiecks, indem zwei miteinander in Verbindung bleibende Kolonnen von Krajowa aus vorrückten. Das Korps des Generals Dannenberg bewegte sich von Karakal über den Schyl in den Rayon Radowan und lehnte seinen äußersten linken Flügel an die Mündung des Flusses, über die Desneizia hinaus; die fünfte leichte Division des Generalleutnants von Fischbach dagegen besetzte in einem forcierten Marsch die Straße, die von Kalafat längs des Donauufers gegen Orsowa und das eiserne Tor führt. Radowan bildete somit den Winkel der kombinierten Position. Diese Bewegungen waren in den letzten Tagen des Dezembers ausgeführt worden und hatten natürlich die Aufmerksamkeit der Türken erregt. Vor der Rückkehr des Muschirs nach Nikopolis war infolge der neuerdings durch die Spione über die Vorwärtsbewegung des Feindes eingegangenen Nachrichten beschlossen worden, die drohende Festsetzung der Russen nördlich von Kalafat bei Czetate um jeden Preis zu verhindern. Diese Nachrichten waren es, welche Oberst Pisani durch die geheime Korrespondenz der Gräfin Laszlo erhalten hatte, die trotz der Kriegsgefahr, und während viele walachische Bojaren im Gegensatz nach Ungarn und Siebenbürgen flüchteten, zu Anfang Dezember von ihren nahegelegenen ungarischen Besitzungen auf einem ihr gehörenden Gute in der Nähe von Radowan und Krajowa in dem von russischen Truppen besetzten Gebiet erschienen war. –

Am Freitag, den 6. Januar – am Tage nach der im letzten Artikel erzählten Szene – 4 Uhr morgens, verließen die Türken, 13 Infanterie-Bataillone, 6 Kompagnien Jäger, ein Regiment türkischer Kosaken und zwei starke Abteilungen der berittenen Irregulären mit 28 Geschützen, im ganzen etwa 18 000 Mann stark, die Verschanzungen von Kalafat und rückten gegen Czetate vor. Ismael-Pascha, der Tscherkesse, kommandierte die Vorhut und das Haupttreffen, unter ihm der Divisionsgeneral Mustapha-Pascha und der Brigadegeneral Osman-Pascha. Achmet-Pascha, der Kommandeur von Kalafat, befehligte die Reserven.

Das Dorf Czetate liegt auf einem Hügel, der auf mehrere Meilen hin die umliegende Fläche überragt und auf beiden Seiten von Schluchten eingefaßt ist. Die östliche ist von ziemlicher Tiefe, zerklüftet und steil und verliert sich in einen kleinen See, unter welchem sich eine Fläche bis zur Donau erstreckt; die andere, weniger fruchtbar, windet sich gegen die Spitze des Hügels hinter dem Flecken, indem sie eine Art Hohlweg bildet, den man jedoch ohne Schwierigkeit von einem Ende zu dem anderen passieren kann. Die Straße von Kalafat schneidet mitten hindurch in nordwestlicher Richtung, nachdem sie zwischen den Schluchten aufgestiegen ist. Auf der Höhe über dem Flecken, rechts von der Straße, hatten die Russen eine starke Verschanzung aufgeworfen, die für den Fall eines Rückzuges als Zufluchtsort dienen konnte. –

Es war bereits spät am Abend, als eine Ordonnanz einen Offizier weckte, der in einer ärmlichen Hütte des letztgenannten Dorfes auf seinem Mantel schlief, und zu dem General beschied. Kapitän von Meyendorf, dieser war der Offizier, war in wenig Minuten bei dem Kommandierenden. Einige Offiziere standen in dem Gemache versammelt. Kosaken hielten am Eingang einen walachischen Bauer, dem die Hände auf dem Rücken zusammengeschnürt waren, am Strick. Der General selbst war offenbar in großer Aufregung und sah wiederholt Briefe durch, die auf dem Tisch lagen ... »Gut, daß Sie kommen, Herr Adjutant; es gibt für uns alle zu tun. Wir werden eher Gelegenheit haben, als wir es hofften, die Befehle des Fürsten auszuführen und mit den Türken anzubinden. Meine Kosaken haben in der Nähe der Deszneizia diesen Nachmittag bei einer Streifpartie einen Spion aufgegriffen, den mir Hetman Poduroff soeben zuschickt. Seine Papiere sind von Wichtigkeit und zeigen, daß unsere Stellung bei Czetate vielleicht morgen schon angegriffen wird.« – »Desto besser, Exzellenz.« – »Das mag sein, aber nicht besonders erfreulich ist es, daß der Verrat nicht müde wird, in unserm eigenen Feldlager sein Nest zu bauen. Wenn ich mich recht erinnere, kennen Sie die ungarische Gräfin Laszlo, die sich seit Monatsfrist – wie sie angab, um ihr Eigentum in den Kriegsdrangsalen möglichst zu schützen – auf Schloß Badowitza zwischen Radowan und Krajowa aufhält. Ich erinnere mich wenigstens. Sie in Unterhaltung mit ihr gesehen zu haben, als die schöne Dame uns in voriger Woche in Krajowa besuchte.«

Der Kapitän verbeugte sich, um die Röte zu verbergen, die sein Gesicht überflog ... »Ich habe die Ehre, die Frau Gräfin von Wien aus zu kennen, und besuchte sie noch vor einigen Tagen mit mehreren Offizieren.«

»Werden Sie es glauben, Kapitän, daß gerade diese Dame den Spion bei uns gespielt und die Mittelperson abgegeben hat, durch welche der schlaue Fuad fortwährend mit unseren Bojaren verkehrt und uns so manche Verlegenheit bereitet?« – Der Offizier erblaßte, doch suchte er sich rasch zu fassen ... »Unmöglich, Exzellenz,« stotterte er. – »Die Beweise halte ich in der Hand, Herr Kapitän. Hier dieses Paket mit gedruckten Proklamationen an die Bojaren und das Volk trägt die Unterschriften Omers und Fuad-Effendis; dieses Kuvert, das man bei dem Boten fand, enthält Briefe an verschiedene Bojaren, und ein Blatt, offenbar an die Gräfin gerichtet, in welchem man – der Schreiber ist nicht genannt – für die letzten Nachrichten dankt, die sie nach Widdin über unsere kombinierten Bewegungen gegen Kalafat und die neuen Züge unserer Truppen gemacht hat. Der Brief schließt mit der Benachrichtigung, daß der Muschir zwar heute morgen Widdin verlassen, aber den Befehl geben werde, unsere Linien bei erster Gelegenheit zu durchbrechen, und bittet die Gräfin um weitere Kunde über die Dispositionen. Offenbar hat der Verkehr meiner Offiziere in ihrem Hause, den ihre täglichen Einladungen so sehr beförderten, ihr all diese Nachrichten verschafft.« – »Und darf ich fragen, was Eure Exzellenz beschlossen haben?« – »Ich muß natürlich meine Korpsführer benachrichtigen lassen, auf der Hut zu sein. Sie, Herr Kapitän, beauftrage ich, da Ihnen die Person der Gräfin hinlänglich bekannt ist, morgen bei Tagesanbruch sich mit einem Zug Husaren nach Schloß Badowitza auf den Weg zu machen, die Gräfin zu verhaften und nach Krajowa abzuführen, auch ihre Papiere mit Beschlag zu belegen.« – »Exzellenz erlauben mir die Bemerkung, die Gräfin ist österreichische Untertanin.« – »Hier ist sie Walachin, Herr Kapitän, und die Österreicher selbst haben uns belehrt, wie man mit diesen ungarischen Damen umspringt. Ich will sie peitschen lassen, wie die Österreicher, und mit Kosaken über die Grenze bringen, daß das Beispiel allen Weibern künftig die Einmischung in die Politik verleiden soll!« – »Exzellenz, es ist eine Dame! – ich war im Hause ihres Oheims täglicher Gast!« – »Eine Spionin ist sie, Herr,« fuhr der General auf, »und als solche verdient sie behandelt zu werden. Warum blieb sie nicht in Wien, statt hierher zu kommen und die Verräterin zu spielen? – Aber ich sehe, wie die Sache steht, Sie liegen ebensogut in den Netzen der schönen Rebellin, wie diese Herren hier, die schon allerlei Ausflüchte versucht haben. Ich muß schon einen weniger galanten Offizier schicken. Skolimoff – rufen Sie mir den Kapitän der sechsten Sotnie her – ich weiß nicht, wie der Kerl heißt, aber tauglich dazu ist er.« – »Chotumofski, Exzellenz!« – » Bon! Rasch, damit die Sache zu Ende kommt. Sie, Rittmeister Kowaleff, nehmen den Boten mit sich und lassen ihn an dem ersten besten Baum außerhalb des Dorfes aufknüpfen, mit einem dieser Plakate auf der Brust. Es mag den Kanaillen zur Warnung dienen. Ihnen aber, Herr Kapitän, da Sie die Galanterie dem Dienst vorziehen, muß ich eine andere Beschäftigung geben. Sie werden sogleich zu Oberst Baumgarten aufbrechen und ihm die Nachrichten mitteilen, die Sie eben gehört haben, damit er auf seiner Hut sei. Ich werde morgen ihm Verstärkung senden und wahrscheinlich selbst seine Stellung besichtigen.« – Der Kapitän verbeugte sich. Näher zu dem General tretend, fragte er leise: »Haben Exzellenz keine Botschaft von Alexo, dem Wirt in Widdin?« – »Nein, und deshalb eben hab' ich mich anders besonnen und sende Sie nach Czetate, für den Fall, daß eine solche eintreffen sollte, da Sie der Chiffern kundig sind. Ich weiß nicht, ob man dem Menschen weiter trauen kann, nachdem er uns über diesen Verrat im unklaren gelassen, aber vielleicht fehlte ihm selbst die Kenntnis davon. Der Bursche, den ich eben kondemniert habe, kennt den Wirt nicht, ist von dem Gut der Gräfin und hatte nach seinem Geständnis nur den Auftrag, am Donauufer vorige Nacht eines Boten von drüben zu harren. Wir werden in den nächsten Tagen von Ihrem Zigeuner Gebrauch machen müssen. Und nun Adieu, Kapitän! grüßen Sie den Obersten.« Er wandte sich zu einem andern Offizier, und Kapitän Meyendorf verließ die Hütte. Draußen begegnete ihm schon der befohlene Kosaken-Offizier, ein alter, graubärtiger Hauptmann mit rohem, finsterm Gesicht. Den Kapitän schauderte. Eilig, in seinen Mantel gehüllt, setzte er den Weg zu seinem Quartiere fort. In der walachischen Hütte, die er mit mehreren anderen Offizieren teilte, befahl er der Ordonnanz, sofort seine beiden Pferde zu satteln. – »Steh' auf, Mungo, du sollst mich begleiten.«

Der junge Zigeuner, dem im Lager von Budeschti am Vorabend der Schlacht von Oltenitza der Offizier das Leben gerettet, sprang sofort empor und schüttelte das Heu, auf dem er gelegen, aus den Haaren. Er hatte seit jener Zeit sich den Russen angeschlossen und, das gefährliche Gewerbe des Leichendiebes und Marodeurs aufgebend, das nicht minder verzweifelte eines Spions angenommen. Die Pferde standen bereit, der Kapitän schwang sich auf, auf das andere Pferd Mungo. Als sie über die Vorposten hinaus waren, ließ der Kapitän sein Roß langsamer gehen, in düsteres Nachsinnen verloren. Endlich schien sein Entschluß gefaßt, er hielt den Zügel an und rief Mungo herbei ... »Ich habe gesehen, daß du ein guter und verwegener Reiter bist. In welcher Zeit glaubst du, daß ich mit meinem Halbblut die Deszneizia jenseits Radowan erreichen könnte?« –

»Wenn du das Pferd anstrengst, Kapitän, in fünf Stunden.« – Der Offizier ließ seine Uhr repetieren ...

»Es ist Mitternacht! Also gegen sechs Uhr. Die Kosaken werden kaum vor dieser Zeit aufbrechen und vor Mittag das Schloß nicht erreichen – sie hat demnach, auch wenn ein Hindernis den Boten verspäten sollte, Zeit genug zur Abreise. Steig' ab, Mungo, und wechsle mit mir das Pferd.« Der Zigeuner gehorchte stillschweigend. »Du kannst mir jetzt das wenige, was ich für die Rettung deines Lebens in Budeschti tat, wett machen mit einem Dienst, wenn es dir wirklich ernst mit deinem Dank ist, wie du mir so oft versichert hast!« – »Befiehl, Herr! Mungo wird dir's beweisen, und wenn es sein Leben kostet.«

»Kennst du das Dorf und das Schloß Badowitza?« – »Nein; aber ich habe davon gehört in Krajowa. Es wohnt eine vornehme Dame dort, die der Kapitän neulich besucht hat.« – »Wohl, höre mich genau an, denn von deiner Botschaft und deren Elle hängt Wichtiges ab. Die Dame ist die Gräfin Laszlo, die Herrin des Schlosses. Du reitest, so rasch du kannst, nach dem Schloß der Gräfin und suchst unter irgend einem Vorwande, ohne daß es ihrer Umgebung und dem Posten, der vielleicht noch im Dorfe liegt, auffällt, geheimes Gehör bei ihr zu erlangen. Dann sagst du ihr, der Warner aus dem Prater von Wien lasse sie bitten, noch in derselben Stunde abzureisen und möglichst rasch die ungarische Grenze zu erreichen. Um Mittag würde es zu spät sein. Hast du die Worte gemerkt?« – Der Zigeuner wiederholte sie ... »Aber, Herr, die Dame wird fragen, wer ihr die Worte sendet.«

Der Offizier hatte bereits seine Brieftafel in der Hand und reichte ihm ein zusammengeschlagenes, vor dem Ausritt im Quartier geschriebenes Papier. »Der Vorweis wird, wenn die Gräfin einen Beweis fordert, genügen. Zugleich wird es dir bei den Militärpiketts, die dich anhalten könnten, als Ausweis dienen. Es enthält einfach die Worte: ›Mein Diener Mungo reitet in meinen Geschäften nach Krajowa.‹ – Und nun, Bursche, gib mir einen Beweis deiner Schlauheit und Treue und schone das Pferd nicht.« Er reichte ihm das Papier und wandte das seine, doch schon nach wenigen Schritten kehrte er nochmals um und rief den Zigeuner zurück ... »Es ist möglich, daß es morgen ein heißes Treffen gibt und du mich bei der Rückkehr nicht mehr finden könntest. Nimm diese Börse und meinen Dank für deine Dienste, und – wenn du die Gräfin sprichst, sage ihr, sie möge meiner freundlich gedenken!« Er wandte kurz das Pferd und sprengte davon, während der Zigeuner den Renner nach der entgegengesetzten Richtung spornte.

Der Morgen war klar, der Himmel wolkenlos, nicht ein Windhauch bewegte die Luft, und als die Sonne aufging, bildete das friedliche Tal der Donau, noch stellenweise mit Schnee bedeckt, und der große Strom, der langsam seine gelben Wässer dahinwälzte, ein Bild des Friedens und der Ruhe, das die blutigen Szenen nicht ahnen ließ, die so rasch folgen sollten. Bald nach 7 Uhr nahte die türkische Avantgarde dem Weiler am Fuße des Hügels, auf dem Czetate stand ... Ismaël-Pascha mit Iskender-Bey und dem Ferik Mustapha befanden sich an der Spitze der Kolonne. Weder in dem Weiler noch auf der Höhe von Czetate zeigte sich in dem ersten Licht des Tages eine Spur der Russen. Die Kolonne machte Halt, der Pascha rekognoszierte ein paar Augenblicke das Terrain, dann wandte er sich zu seinen Begleitern ... »Halte deine Bataillone bereit, Mustapha! Nefwik-Bey soll mit seinen Jägern vorrücken und sich über das Feld verbreiten. Ich werde ihm selbst meine Befehle geben. Mashallah! ich glaube, die Moskows sind davongelaufen, ehe wir gekommen sind.« – »Du irrst, Pascha,« sagte Iskender-Bey; »mein Fernrohr zeigt mir, daß das Dorf besetzt ist und Artillerie dort steht. Wenn du mir gestattest, will ich meine Irregulären an dem Wasser entlang ihnen in den Rücken führen.« – »Allah sende ihnen Verderben! Es geschehe, wie du sagst, Freund Bey, auf dein Haupt komme es! ... Wallah! da ist der Neffe des Muschirs. Höre, Bey, du sollst die Ehre des ersten Angriffs haben. Rücke langsam vor und nimm jene Häuser!«

Nefwik und Iskender-Bey eilten nach verschiedenen Seiten davon. Während der letztere, gedeckt durch das Terrain auf der rechten Seite von Czetate, mit seinen beiden Regimentern Irregulärer und sechs Kanonen den kleinen See im Galopp umging, eröffnete sich bereits in der Front der Kampf. Die fünf Kompagnien Jäger unter Befehl Nefwik-Beys breiteten sich rechts und links aus und begannen langsam den Hügel gegen den Weiler hinan zu steigen. Ihnen folgte Mustapha-Pascha mit vier Bataillonen Nizam, von Hadschi-Mustapha, dem kommandierenden Offizier der Artillerie, unterstützt. Die türkischen Geschütze – die vorzüglichste Waffe der ganzen Armee – schossen ungleich besser als die russischen, und Paßkugeln schlugen fest und sicher in die Gebäude des Weilers. Zweimal setzten die Jäger unter dem Ruf: »Allah! Allah!« an, zweimal wurden sie von den Chargen der Russen geworfen. Wütend spornte Ismaël-Pascha sein schwarzes Pferd gegen den Nizam und trieb ihn gegen die Gebäude, während die türkischen Kanonen der Avantgarde folgten.

Oberst Baumgarten verteidigte die bedrängte Position mit großer Kühnheit gegen den überlegenen Angriff. Ein Bataillon des Regiments Tobolsk war mit Husaren nach Czetate zurückgesandt, die Übermacht des Feindes daher erdrückend. Der Nizam griff den Weiler mit dem Bajonett an und an vielen Punkten focht bereits Mann gegen Mann. Aber noch immer hielten die Russen tapfer stand ... Den Hügel von Czetate herab jagte ein Adjutant ... »Major Topoltschane meldet, daß die Kavallerie des Feindes die Position am See umgangen hat und mit einer reitenden Batterie das Dorf im Rücken angreift. Das zweite Bataillon und die Husaren sind bereits im Feuer.« Die Kunde war entscheidend: die Wegnahme des Dorfes, ehe man sich nach der Redoute auf der linken (rechte russische) Flanke zurückziehen konnte, hätte das Detachement des Weilers gänzlich abgeschnitten. Der Kommandierende sah die Notwendigkeit des Rückzuges. Major Kokomeïtseff erhielt den Befehl, mit dem ersten Bataillon und den Kosaken denselben zu decken und langsam zu folgen. Der Weiler stand bereits in hellen Flammen, als die drei Geschütze den Hügel hinauf jagten und dort auf der Höhe ihre Gefährten ablösten. An der Spitze des dritten Bataillons durcheilte der Oberst das Dorf und warf sich auf der hinteren Abdachung den Baschi-Bozuks Iskender-Beys entgegen, von der Schwadron Husaren flankiert, während die Soldaten des ersten und zweiten Bataillons sich in den Häusern zu verschanzen begannen. Die Irregulären, die bereits einige Vorteile errungen, verloren dieselben und wichen, obschon die Agas wütend auf die eigenen Leute losschlugen.

Der günstige Augenblick war verloren, die Russen hatten das Dorf mit ihrer ganzen Macht besetzt und eröffneten ein furchtbares Musketenfeuer auf die von zwei Seiten vorrückenden Kolonnen. Achmet-Pascha sandte zwei Bataillone der Reserve zur Unterstützung vor; mit einer doppelt überlegenen Macht wurde das Dorf angegriffen, während die türkische Kavallerie Order erhielt, sich in der Schlucht auf der Linken, durch welche quer der Weg von Czetate nach Norden führt, festzusetzen und so den Rückzug zur Redoute abzuschneiden. Das Gefecht auf den Hügelseiten war überaus blutig; die türkischen Jäger litten furchtbar, und die erste Kompagnie derselben wurde buchstäblich vernichtet. Unter dem wütenden Allahgeschrei stürmte der Nizam das Dorf. Schritt um Schritt mußte durch Blut erkauft werden. Die Russen machten jede Mauer, jede Hütte zu einer Festung. Dennoch drangen die Türken siegreich vor.

An der kleinen Kirche des Ortes hielt Oberst Baumgarten mit seinen Offizieren, darunter der Regiments-Adjutant Zagreba, dem das Blut am rechten Bein von einem Schuß im Schenkel herabfloß, ohne daß der Tapfere der Verwundung achtete. Auch Major Kolomeïtseff blutete bereits aus zwei Wunden. Zur Seite des Obersten befand sich Kapitän Meyendorf, der seine Dienste als Adjutant angeboten ... »Die Position ist unmöglich länger haltbar, Oberst.« – »Ich sehe es, und Major Topoltschane hat es mir gleichfalls melden lassen. Es ist Zeit, daß wir unsern Rückzug sichern. Reiten Sie zu Sagoskin und sagen Sie ihm, daß er sich fertig hält mit den Geschützen. In zehn Minuten müssen wir auf dem Wege sein, und wenn Sie mich das Tuch schwenken sehen, soll Rittmeister Szamarin mit seinen Husaren im Galopp die Schlucht forcieren. Sie bleiben bei ihm.«

Der Kapitän salutierte, während der Oberst bereits dem Regiments-Adjutanten weitere Befehle gab, und ritt zu der Batterie, die an der andern Seite der Kirche über die Häuser hinweg, in denen man sich Mann gegen Mann schlug, ein unregelmäßiges Feuer gegen die unterstützenden Kolonnen des Feindes unterhielt ... »Achtung! Kartätschen in die Geschütze! – Die Pferde vor!« – Die Befehle waren in drei Minuten gegeben ... Die Trommeln schlugen zum Avancieren. Das zweite und erste Bataillon machten eine Charge mit dem Bajonett auf den Feind. –

Der Oberst schwenkte das Tuch, – die Trompeten bliesen zur Attacke, und gleich einer Windsbraut galoppierte der Rest der Schwadron Husaren vom Regiment Fürst von Warschau die Straße entlang und stürzte sich in die Schlucht zur Linken. Hinter ihnen drein jagte die Batterie. Zugleich warf sich das dritte Bataillon Tobolsk über die Seiten der Schlucht, während das erste und zweite den Anprall des Nizam, durch dessen Öffnung jetzt die türkischen Kosaken zur Verfolgung heran sprengten, zurückhielten und den Rückzug deckten.

Das Mordio, der Allahruf und das Hurra der braven Infanterie zwischen dem Donner der Geschütze und dem Knattern der Flinten war sinnbetäubend, das Gemetzel in der Schlacht selbst und auf dem leicht ansteigenden Abhang zur Redoute wahrhaft furchtbar; das Blut rann, wie Augenzeugen berichten, in kleinen Bächen auf der gefrorenen Erde herunter. Mit scharfen Hieben trieb der Bey seine Arnauten ins Gefecht, um möglichst den Zug der Russen über die Straße zu durchbrechen. Zweimal gelang es ihm, zweimal wurde er aufs neue zurückgedrängt. Als er zum drittenmal über die Straße brach, schloß sich die Kolonne hinter ihm und etwa dreißig Gefährten. Bereits war das zweite Bataillon auf dem Rückzug, während das erste sich noch heldenmütig jenseits der Schlucht am Rande des brennenden Dorfes schlug und die russische Artillerie auf der halben Höhe der Redoute Stellung genommen und ihr Feuer eröffnet hatte.

Iskender-Bey, der tapfere Arnautenführer, schien verloren, – ringsum die starrenden Bajonette, während die langen Piken der Kosaken und die Säbel der Husaren seinen kleinen Haufen bedrängten. Ein Hieb hatte bereits seinen linken Arm gelähmt, doch der verwundete Löwe schien seine Kraft zu verdoppeln und war überall. Die starrende Mauer der Bajonette, gegen die er sein Pferd spornte, widerstand seiner Tollkühnheit, um ihn fielen, die ihn begleitet, sein On-Baschi Hussein, Abdallah, der Syrier, kaum zehn noch hielten stand ... Da führte der Graf, seine verzweifelte Lage erkennend, gleich wie Roland im Tal von Ronceval das Horn, die silberne Pfeife, die er zum Kommandogebrauch an gleicher Kette auf der Brust trug, an die Lippen, und drei gellende, schneidende Töne schrillten durch die Luft, über alles Kampfgetöse weithin vernehmbar. Kapitän Meyendorf hatte sich mit den Husaren auf den Trupp geworfen, der den Bey schützte, und sein Degen kreuzte sich mit dem Säbel des Führers ... »Ergeben Sie sich, Graf, Sie sind gefangen.« – »Einem Russen? Niemals!« Sein Hieb sauste zur Seite, doch glücklich parierte der Adjutant, daß nur leicht die Spitze des Säbels seine Wange ritzte. Von der andern Seite umdrängten die Husaren den kühnen Polen, und kräftige Hände erfaßten ihn ... »Nehmt ihn gefangen – Schonung dem Tapferen!« Da brauste und tobte es heran, gleich einer Sturmesbraut. »Allah! Hurra!« und rechts und links flogen die Russen zur Seite, Roß und Mann übereinanderstürzend, Lanzen brachen sich Bahn, Handjars und Säbel blitzten: »Hussah, Bey! Jakub Aga ist hier!« und die tolle Arnautenbande mit dem Aga an ihrer Spitze hieb rasend den Führer aus der Gefahr. Die Redoute war glücklich erreicht, die Geschütze derselben und die Feldbatterien donnerten gegen den Feind und hinüber gegen Czetate – sechshundert russische Krieger deckten den Kampfplatz, über achthundert waren verwundet.

Ismaël-Pascha sammelte die Bataillone, um sie zum Sturm gegen die Redoute zu führen, als ein Adjutant Achmets herbeijagte und das Anrücken der russischen Truppen von Motsetseï meldete ... Es war bereits Mittag. In dunklen Kolonnen, kaum noch eine halbe Meile entfernt, kamen sie heran gegen die rechte Flanke des Feindes. Die Reserven Achmet-Paschas, aus fünf Bataillonen bestehend, befanden sich am Fuß des Hügels. Er ließ Front gegen den anrückenden Feind machen. An der Seite des Hügels, unter der Schlucht auf der Rechten, war eine Schafhürde, doch stand der Graben, der sie umzog, halb voll Wasser. Immerhin gewährte sie eine günstige Position zur Verteidigung. Die türkische Infanterie unter Osman-Pascha entwickelte sich rechts von ihr, durch eine Batterie von 4 Zwölfpfündern, die linke durch 6 Feldstücke gedeckt; die Kavallerie aus dem genommenen Czetate wurde zurückgerufen und auf der Linken aufgestellt, das Regiment türkischer Kosaken vor den Irregulären.

Der Anmarsch der russischen Truppen bot einen imposanten Anblick. Nichts konnte die Festigkeit ihres Marsches übertreffen, jede Linie schritt wie ein Mann. Als sie näher herankamen, ritten vier Offiziere vor, um den Grund zu rekognoszieren, und zogen sich dann wieder zurück. Gleich darauf änderten die russischen Reservebataillone ihren Marsch und rückten mit zwei Geschützen gegen die Schlucht vor, machten aber Halt, als sie sie ungangbar fanden. Zugleich eröffnete die russische Artillerie ihr Feuer, schoß aber zu hoch, so daß ihre Kugeln anfangs wenig oder gar keinen Schaden anrichteten, bis es ihnen gelang, die Distanz zu finden. Die türkische Artillerie dagegen, von Hadschi-Mustapha kommandiert, räumte furchtbar auf unter den anrückenden Kolonnen und riß weite Lücken in die lebendigen Mauern. Aber mit der stoischen Haltung der russischen Infanterie schlossen sich im Augenblick wieder die Reihen und bewegten sich mit der gleichen Ruhe vorwärts. Zweimal setzten die Russen an, und zweimal siegte die menschliche Natur über den Gehorsam des Kriegers. Unter dem Allahruf der jetzt mutig vorgehenden türkischen Linien wurden sie zurückgedrängt; einige Augenblicke waren die russischen Geschütze ohne Deckung und fast in der Gewalt der Moslems, als General-Major Schigmond, selbst verwundet, die Jäger zum drittenmal gegen den Feind führte und die Husaren und Kosaken sich in seine Flanken warfen. Jetzt wurden die Türken nach der Straße zurückgeworfen. Zugleich erhielt Achmet-Pascha die Nachricht, daß der General -Leutnant Graf Anrep mit den starken Reserven von Boleschti auf Modlavit anrücke und ihn im Rücken bedrohe. Nach einem achtstündigen Kampfe gab der Pascha Befehl zum Rückzuge.

So tapfer sich die Türken geschlagen, so traurig zeigten sich jetzt die schlechten Anstalten ihres Heerwesens. Über tausend Mann waren gefallen, und der größte Teil der Verwundeten, über 500 Mann, mußte hilflos auf dem Schlachtfelde zurückgelassen werden. Die Russen zählten eine gleiche Anzahl von Toten und fast das Doppelte an Verwundeten, so daß nach der Schlacht an 3000 Tote und Verwundete auf dem Platze lagen.

Es war am andern Vormittag, als den unter der zerstörten Mauer einer Hütte von Czetate im todesähnlichen Schlaf liegenden Kapitän Meyendorf eine schüttelnde Hand weckte. Vor dem Auffahrenden stand Mungo, der Zigeuner, bleich, erschöpft, kaum sich aufrecht erhaltend. – »Dein Auftrag? sprich, hast du ihn glücklich ausgeführt?« – Der junge Bursche schüttelte den Kopf ... »Ich kam zu spät. Die Streifwachen hielten mich auf, erst um acht Uhr morgens erreichte ich das Dorf. – Die Dame war fort – das Schloß in Flammen!« – »Es ist unmöglich, die Kosaken konnten vor Mittag nicht eintreffen!« – »Nicht die Kosaken, Herr, die verräterischen Dorobandschen und ein türkisches Streifkorps überfielen das Dorf, plünderten und führten die Dame gewaltsam mit sich fort. So erzählten mir die Bauern und Diener.« – »Und du bist ihrer Spur nicht gefolgt?« – »Doch, Herr. Die Marodeurs, über 200 Mann stark, schlugen sich durch die schwachen russischen Posten und erreichten die Donau unweit Kalafat. Ich kehrte zurück, um dich zu benachrichtigen. Drei Stunden von hier stürzte mein Pferd tot von der Anstrengung, – ich machte den Rest des Weges zu Fuß.«

Der Offizier atmete hoch auf. – »Gott sei Dank, was kümmert mich das Pferd!« – Im nächsten Augenblick versank er in tiefes Nachsinnen. »Die Gefahr ist noch nicht vorüber,« murmelte er, »sie darf nicht hierher zurückkehren und muß gewarnt werden, und ich – muß wissen, ob sie in Sicherheit ist!« – Er wandte sich laut zu dem Zigeuner: »Wann soll der Knees der Heiducken mit dir in Widdin zusammentreffen?« – »Heute oder morgen, Herr!« – »Nimm deinen Mantel, armer Junge, und suche einige Stunden zu schlafen, dann folge mir nach Boleschti; du wirst der Beutepferde genug und billig finden. Aber höre, versieh dich womöglich, ehe du dich zur Ruhe legst, mit zwei türkischen Anzügen von den Gefallenen, wir werden sie brauchen. Auf Wiedersehen.«

Der Wudkoklak.

In den Tälern der Donau lebt eine grauenvolle Sage und pflanzt sich fort auf Vater und Sohn, von Geschlecht zu Geschlecht. Wenn der Vollmond seinen bleichen Schein über Fels und Wald gießt, dann erhebt sich der Wudkoklak – der Vampyr der Griechen-Slaven und Moldau-Walachen – aus seinem Grabe, in dem er mit offenen Augen und starrem Blick schläft. Seine Klauen und Haare wachsen im Todesschlaf, – warmes Blut rinnt durch die erstorbenen Adern; denn in den unheimlichen Nächten des Vollmonds frischt er es auf, indem er durch das Land streift, den Lebenden die Rückenader öffnet und ihr rotes Blut saugt. Schaurig ist der Glaube des Volkes! Steht ein Toter in dem Verdacht, auf diese Weise sein Grab zu verlassen, so wird er feierlich ausgegraben. Hat die Verwesung ihr Werk getan, so begnügt sich der Pope, ihn mit Weihwasser zu besprengen; ist er aber rot und blutig, so treibt man ihm den Teufel aus und stößt ihm bei seiner Wiederbeerdigung einen im Feuer gehärteten Eisenpfahl in die Brust, damit er sich nicht wieder erheben könne. Die hungrigsten Raben fliehen den Leichnam des Verfluchten schon von weitem, ohne zu wagen, ihn auch nur mit der Schnabelspitze zu berühren!

Aber einen andern Wudkoklak gibt es, vor dem nicht der Segen des Priesters, nicht der blutige Pfahl durch die Brust zu schützen vermag: lebendig wandelt er unter den Lebenden und sucht seine Opfer. Oft wird er vom unwiderstehlichen Drang nach Schlachtengemetzel ergriffen und verläßt bei Tag und Nacht seine Wohnung und schweift umher, Menschen und Tiere, die ihm begegnen, mit Bissen zerfleischend. Auf das Blut junger Mädchen und Frauen ist er besonders lüstern, – in ihr Herz schleicht er sich ein durch tausend listige Ränke, und wenn er in der Braut- oder Liebesnacht sie in die Arme preßt, schwindet ihr Bewußtsein und das Blut weicht langsam aus ihren Adern, das Antlitz wird bleich und täglich bleicher, die Quellen des Lebens vertrocknen, statt frisch zu erschwellen in befruchtender Kraft; denn allmählich teilt der Vampir ihr Lager und saugt der Schlummernden das Mark aus dem Gebein, das frische rote Blut aus der zitternden Brust, und das junge Leben welkt und welkt, und ehe der Mond zwanzigmal seinen Kreislauf vollendet, deckt die Erde den frischen Leib und das gebrochene Herz, und der Wudkoklak darf nach neuen Opfern suchen ... Zuweilen auch paart er sich mit der Wjeschtitza, dem weiblichen Gnomen, dem Gespenst mit Feuerflügeln, das nachts sich auf die Brust des schlafenden Kriegers niedersenkt, ihn in seine Arme preßt und ihm seine Wut einflößt. Alsdann raubt wohl die Wjeschtitza, in Gestalt einer Hyäne, kleine Kinder und schleppt sie fort in den Wald, da die Liebe des Wudkoklak kein Leben zu zeugen vermag. Das sind dann die klagenden Stimmen, die in Fels und Wald nach den Eltern rufen, das sind die wankenden, bleichen Lichter, die den Wanderer in den Moder der Sümpfe begraben! ...

*

In einem Gemach des Selamliks von Sami-Pascha zu Widdin lag auf weichen Polstern die schöne Gräfin Helene Laszlo am zweiten Morgen nach der Schlacht von Czetate. Ihre geistige und körperliche Kraft war erschüttert von dem unerwarteten Schrecknis, das über sie gekommen. Jene unerklärliche geheimnisvolle Laune des Frauenherzens, das sich selbst vermeidet, Rechenschaft zu geben, hatte sie vermocht, den Vorspiegelungen und Aufreizungen des Grafen Pisani Gehör zu geben, der ihr mit der schlauen, ganz den Interessen der revolutionären Propaganda ergebenen Freundin auf ihre Güter nach Ungarn gefolgt war und hier verstanden hatte, den exaltierten Geist der jungen Frau zu Entschlüssen und Handlungen zu erregen, deren sie sich – hätte nicht ein kaum bewußter Wunsch im Grunde ihrer Seele sie unterstützt – enthalten hätte. So wagte sich denn die Gräfin auf ihre Güter am Schyl und der Deszneizia, mitten in die Gefahren eines okkupierten Landes und auf einen Schauplatz, der jeden Augenblick selbst die Stätte der Schlacht und des Todes werden konnte, indes der sardinische Oberst sich ins türkische Heerlager begab. Die Gräfin, in steter geheimer Verbindung mit diesem Manne, der ihre politischen Exaltationen zu fesseln verstand, öffnete in Krajowa und auf ihrem Gute ihr Haus der Gesellschaft der russischen Offiziere und hatte die unwürdige Rolle der Spionin übernommen und seit Wochen durchgeführt, indem sie zugleich mit den zurückgebliebenen Bojaren des Fürstentums eine enge Verbindung unterhielt, unter denen Fuad-Effendi durch seine Intriguen und Versprechungen eine starke Partei für die Pforte warb. Nur hatte der schlaue Graf ohne das Herz der jungen Frau gerechnet, dessen Geheimnis allein sie zur Übernahme jener Rolle bewogen. Nach langem, schwerem Kampf mit dem in Wien so tief verletzten weiblichen Stolz waren dem Kapitän die kurzen Zeilen geworden: »Gräfin Helene Laszlo hat die Ehre, Baron von Meyendorf ihre Anwesenheit auf Schloß Badowitza anzuzeigen und wird, wenn der Dienst ihn in diese Gegend führt, den Besuch eines Freundes mit Vergnügen empfangen.« – So kalt diese Mitteilung in ihrer konventionellen Form auch war, so genügte sie doch, wie wir gesehen haben, den Kapitän nach Krajowa zu führen. Zweimal seither war er der schönen Frau begegnet, in Krajowa selbst und bei einem Besuche auf ihrem Gute, doch beide Male hatten der zahlreiche Hof, der die Gräfin umlagerte, und der kalte Ernst, der in dem Benehmen des Kapitäns lag, jede Verständigung, ja jede vertrauliche Annäherung verhindert. So fern standen sich die Herzen, die einander gehörten und die geschaffen waren, sich zu beglücken, als die Schlacht von Czetate und die Intrige des Sardiniers sie aufs neue trennte. Die Gräfin war bei der gewaltsamen Entführung von Schloß Badowitza durch die Dorobandschen Walachische Milizsoldaten, eine Art Landgendarmerie., die mit einer Plünderung und einem kurzen Kampfe gegen den schwachen russischen Posten verbunden war, zwar von jeder Beleidigung verschont geblieben, aber es war ihr keiner der Schrecken, keine Gefahr ihrer Lage erspart worden. Trotz aller Bitten und Versprechungen auf eine Kerutza geworfen, von zweien der wilden Söhne des Landes bewacht, führte die wilde Jagd der Flucht sie nach den Ufern der Donau, und vergeblich ersehnte jetzt die ungarische Patriotin Hilfe und Rettung durch die Hand der russischen Unterdrücker, denn die Zahl der zum Feinde flüchtenden Dorobandschen war so bedeutend, daß sie die schwachen begegnenden Piketts leicht in die Flucht schlug. So gelang es – während einige Meilen davon die blutige Schlacht tobte – Apollony, dem Agenten des Sarden, im Rücken der russischen Stellung seine Beute glücklich bis ans Ufer der Donau und zu den türkischen Posten zu bringen. In einem Boote wurde hier die Gräfin über den Strom geführt und in die Festung gebracht, aber so erschöpft, daß sie willenlos alles mit sich geschehen lassen mußte. In einem abgelegenen Gemache des Selamlik ließ Sami-Pascha seine schöne Gefangene einstweilen einschließen, indem er wegen der Pläne des Obersten seine Gründe hatte, sie in das Haremlik selbst nicht aufzunehmen. Mit Schrecken gewahrte Gräfin Helene, daß alle Hoffnungen auf sofortige Befreiung sie täuschten, als sie sich in die Hände der Türken geliefert sah. Sie blieb eine Gefangene, zwischen den öden Mauern eines türkischen Zimmers eingeschlossen, von schwarzen Sklaven bedient; und erst am Nachmittag erhielt sie eine weiße Dienerin, Marutza, die Tochter des Schenkwirts Gawra, die der Pascha, als am Tage vorher Vater und Tochter nach dem Befehl Iskender-Bey's von den Khawassen vor sein Gericht geführt worden, zum Dienst im Haremlik bestimmt hatte, während ihr Vater mit einer harten Geldbuße und dem Verbot der Schenkwirtschaft belegt wurde. Das Mädchen verstand ein wenig Italienisch, und so konnte die Gräfin sich wenigstens verständlich machen und erfuhr, daß sie in den Händen des Paschas von Widdin sei.

Durch Marutza, die frei aus und ein ging, ließ die geängstigte Frau alsbald eine Unterredung mit dem Pascha verlangen, aber der Erfolg derselben hatte nur dazu gedient, ihre Angst und ihre Verlegenheit zu erhöhen. Der alte Moslem fand sich in der Tat gegen Abend bei ihr ein, von einem seiner Eunuchen begleitet, und nahm seinen Sitz mit aller Bequemlichkeit eines türkischen Haremsherrn auf dem Diwan des Gemaches, indem er mit lüsternen Augen die selbst noch in dem Zustande der Abspannung fesselnden Reize der schönen Ungarin betrachtete. Zu ihrem Schrecken erfuhr diese jetzt, daß sie nicht bloß eine Gefangene, sondern von den Dorobandschen als Beute an Sami-Pascha verhandelt worden, und daß dieser sie als eine Frau seines Harem betrachtete. Vergeblich berief sie sich auf ihren Stand, auf ihre Bemühungen für die türkischen Interessen, auf Graf Pisani, dessen Herbeiholung sie verlangte; der alte Moslem erwiderte ihr, daß er sie ehrlich gekauft und bezahlt habe, daß er ihren Stand nicht kenne und dieser ihm auch gleichgültig sei, und daß er von keinem Anrecht auf türkischen Schutz wisse, und wich mit großer Schlauheit den Fragen und dem Verlangen nach dem Sardinier aus. Das einzige, was der Verzweifelten beifiel, war der Ausweg, einen europäischen Arzt zu verlangen. –

Doktor Welland hatte den Morgen nach der Schlacht bis zum späten Nachmittag im Lazarett zugebracht. Zum Tode erschöpft, langte er in der Locanda Alexos an, wo Nursah, der schwarze Diener, der jeden seiner Wünsche ihm an den Augen abzulauschen schien, ihn mit bereit gehaltenen Erfrischungen erwartete. Nur einem hatte seltsamerweise der Sklave sich immer bisher zu entziehen gewußt: seinen Herrn in die türkischen Bäder zu begleiten und ihn dort zu bedienen.

Der Doktor war noch mit seinem Mahle beschäftigt, das von mehreren der türkischen Offiziere geteilt wurde, und lauschte den Einzelheiten der blutigen Schlacht, als ihm von Alexo, dem Wirt, gemeldet wurde, daß ein höherer Offizier ihn zu sprechen wünsche ... Es war Graf Pisani, der ihn im selben Zimmer erwartete, wo er mit Apollony, dem walachischen Agenten, die für das Schicksal der Gräfin Laszlo so unheilvolle Unterredung gepflogen. Welland kannte den Grafen seit den wenigen Tagen seines Aufenthaltes in Widdin nur vom Ansehen. Der innere Instinkt seiner ehrlichen Seele warnte ihn vor dem glänzenden Tiger, und er erwartete stillschweigend die Anrede. – »Verzeihen Sie, Signor Dottore, daß ich Sie nach den vielen Anstrengungen noch in Anspruch nehme. Im Selamlik des Gouverneurs befindet sich eine kranke Dame, die Ihrer Hilfe bedarf. Sie ist durch Schreck und Furcht in große Nervenaufregung versetzt, und es wird nötig sein, ihr ärztlichen Beistand zu leisten. Darf ich Sie um diesen bitten? Sobald es Ihnen genehm, wird mein Diener Sie dahin geleiten.« – Der Arzt verbeugte sich ... »Ich werde in einer halben Stunde bereit sein.« – »Ich habe bei dem Besuch eine Bitte an Sie, Doktor,« bemerkte der Graf. »Man wird Sie nach mir fragen und wahrscheinlich mit einer Botschaft an mich beauftragen. Ich bitte Sie nun, der Dame gegenüber zu tun, als sei ich Ihnen gänzlich unbekannt. Es versteht sich von selbst, daß ich Ihre ärztliche Mühewaltung honorieren werde.« – Die ruhigen, ernsten Augen des deutschen Mannes hatten sich finster gefaltet ... »Ich biete gern meine Hilfe, Herr Graf,« sagte er gemessen, »wo sie verlangt wird. Zu Intrigen und Lügen bin ich unfähig.« – Der Oberst lächelte verächtlich ... »Wir mißverstehen uns, Signor Dottore. Ihre Person und Ihre Vergangenheit sind mir nicht unbekannt und ich habe das Recht, Sie zu dem kleinen Dienst aufzufordern, den ich von Ihnen verlange. Sehen Sie dies!« Die Hand, die er in die Brusttasche seiner Uniform gesteckt, zeigte dem Arzt einen kleinen Gegenstand. – Der Doktor fuhr unwillkürlich zurück ... »Immer dies unselige Zeichen!« sagte er schmerzlich und unwillig. »Wohin ich mich auch wende, überall verfolgt es mich. Doch, was Sie auch denken mögen, Herr Graf, ich bin es müde, meine Ehre und mein Gewissen unter einem Zwange zu beugen, den mir eine Torheit der Jugend auferlegt hat.« – »Sie verweigern den Gehorsam?« – »Ich weigere mich, eine Lüge zu sagen. Alles, was mir Ehre und Pflicht gestatten, bin ich bereit, zu tun.«

Der Graf, der offenbar noch andere Aufträge beabsichtigt hatte, bedachte sich einige Augenblicke ... »Ihre Weigerung, die Sie natürlich zu vertreten haben, kann in meinen Ansichten nur wenig ändern. Es bleibt dabei, daß Sie sich zu der Kranken begeben, die eine in die türkische Gefangenschaft geratene Dame von jenseits der Donau ist. Ich will Ihnen nicht weiter wehren, ihr zu sagen, daß Graf Pisani Ihnen bekannt und hier am Orte ist, aber ich habe das Recht, Sie zu ersuchen, daß Sie jedes nähere Eingehen auf meine Verhältnisse und etwaige Aufträge ablehnen.« – Der Arzt verbeugte sich schweigend. – »Die Dame,« fuhr der Graf fort, »mag ihre Wünsche mir auf andere Weise zugehen lassen; ich habe selbst nichts dawider, daß Sie ihr meine Adresse geben. In einer halben Stunde wird mein Diener Sie auf dem Tschardak der Lokanda erwarten. Adieu, Signor Dottore.« – – –

Der Morgen sog die frischen Nebeldüfte von der wallenden, wogenden Fläche des Stromes. Zu den Füßen der Gräfin Helene kniete Marutza, die walachische Dienerin. – »Deine Befehle sind erfüllt, o Exzellenza, meine süße Herrin,« berichtete das Mädchen in schlechtem Italienisch, »aber mein Herz ist schwer geworden bei Bestellung der Botschaft und meine Wange bleich. – Hast du von dem Wudkoklak gehört, o schöne Herrin?« flüsterte sie scheu. – »Ich verstehe dich nicht, Kind. Wird Graf Pisani mir Hilfe leisten in dieser eigentümlichen Not? wird er kommen? Sprich – gib mir Antwort.« – »Er wird nicht säumen, Herrin,« sagte ängstlich das Mädchen; »wann hätte der Wudkoklak je gezögert, wenn es galt, auf seine Leute zu stürzen? Weißt du auch, wem ich dein Blatt gebracht?« – »Dem Obersten Pisani, jetzt in türkischen Diensten, einem alten Freunde von mir. Er allein kann mich retten.« – »Was kümmert mich sein Name in der Welt! Er ist ein Wudkoklak – ich sah es an dem Faltenmantel auf seiner Stirn, an seiner Leichenfarbe und dem höhnischen Zug um seinen Mund!« – »Ich verstehe dich nicht, wer ist dein Wudkoklak?«

Das Mädchen blickte sie scheu an: »Das ist der Vampir, der als Mensch unter den Lebendigen wandelt und die junge Braut sucht, die er zum ewigen Verderben umstricken und deren Blut er aus den blauen Adern trinken muß.« – Die Gräfin schauderte ... »Du bist ein törichtes Kind und hängst an dem Aberglauben deines Volkes.« – – – –

Der Oberst saß an ihrer Seite; seine Stirn war bewölkt, während ihr angstvoller Blick an seinem Antlitz hing. – »Um Gottes willen, Sie können mich doch nicht in der Gewalt dieser Menschen lassen? Nehmen Sie die Hilfe der österreichischen Behörden in Anspruch!« – Der Sarde lächelte verächtlich ... »Bei dem langsamen Wege der diplomatischen Verhandlungen würden Sie längst verloren sein. Die Sache ist schwieriger, als Sie denken, teure Freundin. Die Stellung der europäischen Offiziere unter diesen halbasiatischen Horden ist eine ganz andere, als wir gedacht haben; unser Einfluß ist infolge des Mißtrauens gegen alle Christen äußerst gering. Dazu ist Sami-Pascha unbeschränkter Gebieter in Widdin und von der Armee ganz unabhängig. Der alte Schuft ist ein eingefleischter Türke und hat nach den Sitten der Moslems ein unbestrittenes Anrecht auf Ihre Person. Er hat Sie als Kriegsgefangene gekauft, wahrscheinlich in der Hoffnung eines reichen Lösegeldes.« – »Aber so bieten Sie ihm das Zehn-, das Zwanzigfache dieser Summe!« – »Das ist längst geschehen, doch der alte Lüstling weigert sich, die – ich muß es aussprechen, so hart das Wort klingt – Christensklavin zu verkaufen.« – Die Gräfin rang verzweifelt die Hände ... »In welche Schmach, in welches Entsetzen habe ich mich verstrickt! Ihr Rat, Oberst, führte mich nach Krajowa und zu der schimpflichen Stellung, die mein Unglück geworden. An Ihnen ist es, mich zu retten.« – »Und ich will es,« sagte ernst der Mann an ihrer Seite. »Aber hören Sie mich, Helene, hören Sie meine Beteuerung! Nicht die Selbstsucht eines Mannes, dessen Ergebenheit und Huldigung wohl Anspruch auf Ihre Gerechtigkeit hat, die bittere Notwendigkeit allein zwingt mich, Ihnen das einzige Mittel zur raschen Befreiung vorzulegen. Ich muß irgend ein persönliches Recht haben, Ihre sofortige Auslieferung von dem Pascha zu fordern. Ich muß ein Recht haben, sei es auch nur scheinbar, auf das gestützt ich nötigenfalls die Offiziere und Führer des Heeres zu meinem Beistand gegen die Willkür Samis aufrufen kann! O, mißverstehen Sie mich nicht, Helene! Ihre Rettung allein legt mir das Wort in den Mund.«

Die Gräfin war noch bleicher geworden, als die Angst sie gemacht; all ihr Blut schien zum Herzen zurückgetreten, an das sie die kleine Hand preßte, – der erste giftige Odemzug des Wudkoklak erstarrte sie ... »Wie meinen Sie dies, Graf?« – »Hören Sie mich an, Helene! Sie wissen, daß ich Sie liebe, auch ohne daß ich wie ein törichter Knabe zu Ihren Füßen gelegen. Ich bin ein Mann und Soldat und werbe wie ein solcher um das Weib meines Herzens. Daß der Besitz Ihrer Hand das Ziel meiner höchsten Wünsche ist, fühlten Sie längst, wenn ich auch vermieden habe, diese Wünsche Ihnen geradezu auszusprechen, denn ich weiß, daß Sie nichts für mich empfinden und nur den Freund, den Mann von gleicher politischer Gesinnung, den Verteidiger Ihres tapferen und unglücklichen Volkes in mir sehen, der gegen die Fesseln der Tyrannei und für den erhabenen Gedanken der Freiheit kämpft, für den Sie in diesem Augenblick unwürdig leiden. Ich bin zu stolz, um von Ihrer Verlegenheit einen Nutzen zu ziehen für das Erreichen meiner Wünsche, – aber es ist notwendig zu Ihrer Befreiung, daß Sie eine kurze Zeit für meine erklärte Braut gelten. Dies allein gibt mir ein Anrecht auf Ihre Person, und kein Offizier wird sich weigern, Sie, wenn es sein muß, mit Gewalt dem Pascha abzuzwingen.« Ihre zarten Hände bedeckten das Gesicht, – sie schluchzte, – nur das Weib war von der kühnen stolzen Patriotin geblieben. »Ich weiß,« fuhr der Graf mit schmerzlichem Tone fort, »wie schwer auch nur dieser Gedanke auf Ihnen lastet, und daß das Bild eines Glücklicheren denn ich – das Bild eines Despotensöldners in dem Herzen wohnt, das noch für die Befreiung seiner Nation schlägt. Aber hören Sie wohl, Gräfin, ich gebe Ihnen hiermit das Ehrenwort eines Edelmannes und eines Offiziers, daß die Erklärung, die Sie zu meiner Braut macht, nie gegen Sie benutzt werden soll, es sei denn,« – er hielt einige Augenblicke inne – »Sie wünschen und verlangen selbst deren Erfüllung.«

Die Gräfin sah das spöttische Lächeln des Triumphes nicht, das sein männlich schönes Gesicht verzog. Seine schwarzen Augen ruhten mit jener magnetischen Gewalt der Schlange auf ihr, die das Opfer in ihre Kreise bannt. Ein unerklärliches Gefühl drückender Angst lastete trotz des Versprechens schwer auf ihrem Herzen; dennoch empfand sie, daß sie den Vorschlag annehmen müsse, daß er der einzige Ausweg sei aus der schrecklichen Lage ... »Ich tue Ihnen weh, mein Freund,« sagte sie abgewandt und reichte ihm die Hand, »und dennoch – ich kann jetzt nicht über Ihre Bewerbung entscheiden, ich muß Ihr Wort als Unterpfand meiner freien Entschließung annehmen.« – »Sie willigen ein?« – »Wenn ich vor mir selbst frei bleibe – ja!«

Der Graf küßte ihre Hand. Dann entfernte er sich für eine kurze Zeit, während die junge Frau, mit den bangen Ahnungen ihres Herzens kämpfend, das Antlitz in den Kissen des Diwans verbarg. Pisani kehrte mit Schreibgerät zurück und legte ein Blatt Papier vor die Gräfin. – »Es ist nötig, gnädige Frau, daß Sie einige Worte zur Bestätigung meines Rechts niederschreiben. Mit ihnen in der Hand werde ich sofort die nötigen Schritte tun.« – Ihre Hand zitterte, als sie die Feder ergriff ... »Was muß ich schreiben?« – »Erlauben Sie mir, Ihnen die kurzen Worte zu diktieren. Sie sind zu aufgeregt, um selbst das Zuviel und Zuwenig zu vermeiden.« Er sagte sie ihr in französischer Sprache, und ihre Finger schrieben sie langsam nieder, während aus den schönen Augen ein Tropfen auf das Papier fiel. Die Worte lauteten: »Helene, Gräfin von Laszlo überträgt dem Obersten Grafen Antonio Pisani, als ihrem Verlobten, den Schutz und das Recht an ihrer Person und an ihrem Eigentum.«

»Die letztere Bestimmung ist nötig,« sagte der Oberst nachlässig, »um der Habsucht Sami-Paschas Schranken zu setzen.« – Die Gräfin hatte der Worte kaum geachtet. Sie unterzeichnete und reichte dem Sarden das Blatt. Als er es berührte, zuckte es wie ein elektrischer Strahl kalt und schneidend durch ihre Nerven ... »Ich habe Ihr Wort?« – »Wie weh tun Sie mir, Helene, mit diesem Rückhalt! Morgen spätestens werden Sie frei sein!«

Er beugte das Knie vor ihr und küßte zärtlich ihre Hand, die sie ihm schaudernd überließ. Dann erhob er sich und verließ sie. Fest trat sein Fuß auf, trotzig hob sich der Kopf, und die dunklen Augen funkelten in der Gewißheit des Sieges, als er die Tür der Gemächer und den Eunuch-Khawaß, der an ihr Wache hielt, hinter sich gelassen. Er bemerkte kaum die Dienerin, die aufgeregt, scheu an ihm vorüberschlüpfte und zu der Herrin eilte ... Das Mädchen war in seltsamer Aufregung, seine schönen blauen Augen glänzten diesmal freudig, als es in die Wohnung des türkischen Despoten zurückkehrte, dessen Machtspruch sie den Ihren entrissen. Die Gräfin, zu deren Dienst man sie bestellt, hatte die abergläubische Warnerin am Mittag auf einige Stunden fortgeschickt, als sie Graf Pisani erwartete, und Marutza kehrte jetzt von dem Hause ihres Vaters zurück, wohin sie, diese Zeit benutzend, geeilt war ... Die junge Bulgarin warf sich am Ruhebett der Dame nieder, für die, obschon kaum vierundzwanzig Stunden verflossen waren, seit sie sich in ihrer Nähe befand, doch bereits ihr ganzes Herz mit jener zähen Ergebenheit schlug, die eine eigentümliche Tugend dieses Volkes ist ... »Weine nicht, schöne Herrin,« flüsterte sie schmeichelnd, »der Unheimliche ist fort, und ich bringe frische Hoffnung. Du sollst frei werden, noch ehe die Sonne wieder die Minaretts von Widdin bescheint.« – Die Gräfin preßte die Hand der jungen Trösterin ... »Ich weiß es, aber du weißt nicht, welches Opfer es mich kostet. Er hat versprochen und hält sein Wort.« – »Er! – Wen meinst du, Herrin?« – »Nun, Graf Pisani, der mich eben verließ.« – »Den Sohn der Hölle? – Unglückliche Herrin – er dich retten? Er ist der Wudkoklak und alles, was er tut, wird dich nur in den Abgrund ziehen. O, sieh her! – kennst du dieses Tuch?«

Sie reichte der Gräfin ein feines Kantentuch, das diese forschend und ängstlich prüfte. Es trug ihren Namenszug mit dem Wappen darüber in eleganter Stickerei ... »Mädchen, um der Heiligen willen – woher hast du dieses Tuch? Es ist das meine und dennoch brachte ich es nicht hierher?« – »Erinnerst du dich an die große Sultansstadt an der Donau, von der die Schiffe mit dem Rauch hier vorbeifahren?« – »Wien?« – »Ja, so heißt sie. Es ist ein großer Garten darin. Doch habe ich den Namen in der Eile vergessen.« – »Der Prater?« – »Es mag sein. Ich soll dich fragen, ob du des Tages gedenkst, an welchem in diesem Garten deine Pferde mit dem Wagen durchgingen und des Mannes, der damals mit dir war und von dir schied?« – »Marutza!« – die Hand der Gräfin preßte krampfhaft den Arm der jungen Bulgarin. »Mädchen – weiter – weiter!« – »Er nahm dies Tuch damals mit sich und trug es in den Schlachten seines Volkes. Er ist kein Moslem, obschon er die Kleidung der Mörder trägt.« – »Er ist hier?« – »Vor einer Stunde gab mir der Fremde das Tuch. Er ist ein Freund Michael Miljoes, meines Bräutigams. Er sagt, er müsse dich sprechen um jeden Preis, und wenn dir hier Gefahr drohe, werde er nicht weichen, bis er dich gerettet.«

Die Gräfin rang die Hände ... »Der Wahnsinnige, in welche Gefahr hat er sich gestürzt! Und ich – in demselben Augenblick meine Ehre, mein Leben in die Hand eines andern gegeben, in die Hand seines Feindes!« – »Ich warnte dich vor dem Wudkoklak!« ... Ihre Blicke fielen auf das Schreibzeug, das der Oberst zurückgelassen, und sie stürzte wie auf einen rettenden Ausweg darauf zu. – »Kannst du zu ihm gelangen?« – »Ich soll ihn in der Locanda Alexos des Wirtes erwarten, wenn der Abend kommt; in einer Stunde ist die Zeit da.« – Die Gräfin schrieb eilig einige Zeilen auf eines der Blätter, die zurückgeblieben waren. – »Aber wird dein häufiges Gehen und Kommen nicht Verdacht erregen?« – Marutza lachte schlau ... »Ich habe dem Schwarzen, der dieses Haus bewacht, eine Flasche vom Feuertrank meines Vaters mitgebracht und ihm das Goldstück gegeben, das ich von dem Fremden erhielt. Das eine verschließt seinen Mund, das andre trübt seine Augen! Marutza kann frei aus- und eingehen, nur du, Herrin, bist die Gefangene!« – Die Gräfin hatte geendet. Sie faltete das Blatt zusammen und gab es an die Bulgarin, die es in den Busen steckte, ihr Kleid küßte und eilig verschwand ... Welche Gebete, welche Gedanken Helenens begleiteten sie!

*

Am Vormittag desselben Tages hatten zwei Männer in der phantastischen und willkürlichen Tracht der Baschi-Bozuks – beide in der letzten Schlacht verwundet, denn sie trugen Binden um Kopf und Arme – durch das nördliche Tor, das nach Negotin und dem Timok führt, dem serbischen Grenzflusse, die Stadt betreten. Bei dem fortwährenden Umhertreiben zahlloser Nachzügler und dem Leben und Drängen, das überall herrschte, konnte ihre Erscheinung niemand auffallen, obschon ein schärferer Beobachter leicht bemerkt hätte, daß dem einen wenigstens das unnachahmliche Phlegma des Orientalen fehlte und sein Schritt oft hastig den straffen militärischen Gang zeigte, während sein Auge scheu und aufmerksam umherschweifte. Ohne viele Worte zu wechseln, schritten beide durch die Stadt und auf dem Wege nach Tornowo hin, bis sie zum Kruge des Bulgaren Gawra kamen. Der grüne Zweig war jetzt entfernt, und der Wirt saß mißmutig auf der Schwelle seines Hofes unter den Pferde- und Ochsenschädeln und rauchte den Schibuk ... »Viel Glück!« grüßte der jüngere der beiden Bozuks in seiner eigenen Sprache den Wirt. Dieser schaute erstaunt auf, denn er war solcher Höflichkeiten von einem Moslem eben nicht gewöhnt ... »Das füge Gott!« lautete seine Antwort. »Bist du denn ein Bulgar, junger Mann?« – »Wir beide sind Fremde. Aber ich sehe den Zweig nicht auf deinem Tor, o Handja! Wir wollen einkehren bei dir und saure Milch und Schnaps bei dir kosten.« – »Wo kommst du her, Freund?« sagte mürrisch der Wirt, »daß du nicht weißt, wie drinnen im Hause ein Soldat sitzt, den ich bezahlen muß, und den Seine Hoheit der Pascha zur Aufsicht in mein Haus gelegt hat, daß ich keine Herberge mehr halte? Geht eurer Wege, Freunde! ich bin nichts als ein Pferdehändler und in der Ungunst des Herrn.«

Die beiden rührten sich jedoch nicht von der Stelle ... »Bist du Gawra, der Wirt, so wirst du mir sagen können, wo Michael, dein Neffe, zu finden ist?« – Der Alte schaute erschrocken auf ... »Was kümmert mich der Landstreicher? Ich bin ein treuer Untertan des Sultans, unsers Herrn.« – Der Bozuk schlug rasch mit dem Daumen das griechische Zeichen des Kreuzes, und sein listiger Blick verständigte den Bulgaren ... »Rede bloß keine Torheit, Handja, du hast es mit Freunden zu tun und brauchst dich nicht zu verstellen. Der Knees wollte mich bei dir erwarten, und ich habe mit ihm nötig zu sprechen.«

Die Gefühle des Wirts in betreff seines künftigen Eidams schienen sich in den letzten achtundvierzig Stunden sehr geändert zu haben. Der Heiduck hatte ihm die Strafe, die der Pascha ihm auferlegt, reichlich ersetzt, und Gawra wußte, daß er ihm sein Leben zu danken hatte. Überdies hielt er, durch die letzten Ereignisse gewarnt, jetzt selbst für notwendig, daß der junge Mann bei erster günstiger Gelegenheit das schöne Mädchen in die sichern Berge mit sich führe. Der Heiduck befand sich daher, trotz der drohenden Nähe seiner Feinde, in diesem Augenblick nicht weit von den Sprechenden. Gawra selbst hatte ihm die Rolle gegeben, die er spielte ... »Siehst du den Knecht dort, der am Brunnen die Pferde deiner Brüder, der Soldaten, tränkt, die sie in meine Ställe gestellt haben? Rede mit ihm, vielleicht kann er dir Antwort geben.« – Sein Daumen zeigte nach einem jungen Manne im wollenen Kittel des armen Bulgaren, ohne alles Auffallende in seiner Erscheinung, als seine kräftige Gestalt, der mit zwei andern Knechten im Hofe mit einer Anzahl türkischer Pferde beschäftigt war.

Die Baschi-Bozuks schlenderten in den Hof, wo bereits mehrere ihres Gelichters umherlungerten und der Arbeit der Bulgaren träge zuschauten; sie traten wie von ungefähr zu dem Schimmel, den eben der junge Mann striegelte, und den Gawra, der Wirt, ihnen gezeigt hatte. – »Wallah! Ein kräftiges Pferd – ich möchte es unter den Beinen haben auf einem Ritt gegen die Moskows. Ich grüße dich, Knees Michael Miloje.« Die letzten Worte wurden flüsternd zu dem bulgarischen Knecht gesprochen ... »Bei den vierzig Märtyrern!« entgegnete der Bulgare, indem er sich, die Füße des Pferdes zu reiben, niederbeugte, »du hast lange auf dich warten lassen, und ich wäre bereits zu dem Hochgebirge zurückgekehrt, wenn mich nicht eine Otmitza hier gefesselt hielte. Sprich! was bringst du für Hoffnungen für die Kinder der Berge vom schwarzen Zar, unserm Vater?«

Mungo, – denn er und der Kapitän, der erst nach vielen Vorstellungen vom General-Leutnant Anrep die Zustimmung zu dem gefährlichen Wagestück der Selbstprüfung der Verhältnisse in Widdin erhalten, steckten in den Trachten der Baschi-Bozuks, – machte sich mit dem Pferde zu tun ... »Schau den Mann an, der mich begleitet, o Knees, er ist einer der vornehmen Agas der Russen und herübergekommen, mit dir und deinen Brüdern zu verhandeln. Er hat außerdem ein persönliches Geschäft und möchte wissen, ob und wie eine Dame von jenseits des Stromes durch Überläufer gestern oder vorgestern ins Lager gebracht worden ist? Wann und wo kann er dich sprechen?« – Der Bulgare kraute sich am Kopf ... »Ich weiß nichts von deiner Dame, als daß meine Moma – Fluch dem Pascha! – seit zwei Tagen eine fremde Christin im Harem oder Selamlik des Gouverneurs bedienen muß. Bei den Gebeinen der Heiligen! da kommt sie selbst über die Ebene von der Stadt her. Nimm dies Pferd und führe es mit deinem Gefährten nach dem hintersten Stall im Hofe. Dort ist ein Verschlag, in den ihr euch begeben mögt, – ich werde in kurzem bei euch sein.«

Mungo tat, wie er gesagt, und gab dem Kapitän einen Wink, zu folgen, indes Michael dem Mädchen entgegenging. Eine Stunde darauf saßen die beiden kühnen Späher, der Heiduck und die Moma, in einer der Hütten, die dem Krugwirte für seine Haustiere und Vorräte gedient hatte, jetzt aber längst von den Türken geleert waren, und besprachen sich eifrig, indem Mungo, so weit es nötig, den Dolmetscher machte. Dem Kapitän blieb kein Zweifel mehr, daß die Dame im Selamlik des Paschas die Gräfin Laszlo war, und mit Schmerz hörte er von Marutza, die eben jenes Schreiben an den sardinischen Obersten besorgt, in wessen Händen die Geliebte sich befand. Die Anwesenheit Pisanis im türkischen Feldlager machte ihm klar, wie die Gräfin zu jenen Verrätereien bewogen worden, wenn sie auf der anderen Seite ihm auch wiederum die Entführung und die jetzige Gefangenschaft der Dame als Rätsel erscheinen ließ. Dennoch lebte das undeutliche Gefühl einer großen, über der geliebten Frau schwebenden Gefahr in seinem Herzen, und er beschloß, eine Unterredung mit ihr zu suchen und sie, wenn das ihrem Wunsche entspräche, zu befreien ... Freilich waren die Mittel dazu sehr gering und beschränkten sich auf die Hilfe seines Begleiters, des Heiducken und etwa Alexos, des Wirtes, dessen Zuverlässigkeit erst noch geprüft werden sollte. Der junge Knees indes erklärte das Wagestück ausführbar, und daß er zugleich die ihm verlobte Braut mit entführen und beide Frauen über die serbische Grenze bringen wolle; er war in Widdin geboren und kannte daher jeden Teil der Festung, in der das Konak des Paschas liegt, auf das genaueste. Marutza gab ihm die Nachrichten, in welchem Teil der Gebäude das Gemach der Gräfin lag, und es wurde beschlossen, daß sie beim Anbruche des Abends die Verbündeten nochmals aufsuchen sollte, um die weiteren Pläne zu hören.

Während Miloje mit seinem Schwiegervater Gawra das Nötige verabredete, diesem das Versprechen abnahm, mit vier Pferden am Tore von Ternowo zu ihrem Dienst bereit zu sein, dann türkische Kleider anlegte und sich unter ihrer Hülle frei und keck in die Festung selbst wagte, wandten der Offizier und sein Gefährte sich zu der Lokanda Alexos, des Wirtes, deren Umgebung stets von Offizieren und Soldaten aller Art umlagert war. Hier gelang es der Schlauheit Mungos leicht, sich durch ein Zeichen mit dem Wirte zu verständigen. Durch die hintere Pforte seines Gehöfts wurden die beiden Abenteurer eingelassen und in dasselbe Gemach quartiert, worin die Entführung der Gräfin beschlossen worden ... Der Slowake, treulos gegen alle Parteien und nur auf seinen Geldgewinn bedacht, hielt es für wichtig und notwendig, seine russischen Verbindungen wenigstens nicht durch einen unnützen Verrat preiszugeben, und es gelang ihm leicht, in betreff der Spionage der Gräfin sich zu rechtfertigen, indem er jede Kenntnis davon leugnete. Da er die Belohnung des Obersten bereits in der Tasche hatte, war er zu jeder neuen Intrige gegen goldene Vergütung gern bereit und schaffte willig alles an, was man von ihm verlangte.

Während der Kapitän hierauf allein in dem Versteck zurückblieb und Mungo in der Nähe umherstrich, um Kundschaft und den Heiducken aufzusuchen, hörte der Offizier es in der von Alexo angegebenen Weise an die Tür pochen und öffnete. Zu seinem Erstaunen stand ein schwarzer Knabe vor ihm, der eilig in das Gemach schlüpfte und wieder die Tür verschloß. Die Brust des Knaben hob sich ängstlich und hastig ... »Signor,« sagte er auf italienisch, »ich habe alles gehört, denn meine Schlafkammer ist über diesem Gemach und nur durch eine dünne Bretterdecke von ihm geschieden. Du bist ein Russe?« – »Was willst du damit, Bursche?« fragte der Offizier und faßte rasch entschlossen den Arm des Mohren, um sich seiner zu bemächtigen. – »Laß mich, du siehst, ich bin dir nicht feind, sonst wäre ich nicht hier. Ich komme, dich zu warnen. Der Wirt, dem du dich anvertraut, ist ein Verräter an der Sache deines Glaubens und deines Volkes; mißtraue ihm!« – »Wer bist du, Knabe?« – »Ich bin der Diener eines fränkischen Arztes, Signor, und deiner Nation ergeben. Lies hier den Beweis.« Er holte aus einem seidenen Beutelchen, das an einer Schnur unter den Kleidern auf seiner Brust hing, ein Papier. »Kennst du Signor Ölsnero in Konstantinopel?« – Der Kapitän las ... »Ich weiß, daß er einer der Unsrigen ist und sehe, daß ich dir trauen darf. Aber was soll ich tun?« – »Der Wirt ist habsüchtig. Biete ihm gelbes Gold, mehr als deine Feinde, und er wird dir helfen. Ich wollte dich nur warnen, ihm nicht viel zu trauen. Lebe wohl, Signor; Nursah wird über dir wachen.« Der Knabe entschlüpfte. –

In tiefem Nachdenken erwartete der Kapitän die Gefährten, die der Wirt mit Marutza ihm, nachdem die Dunkelheit bereits eingetreten, zuführte. Das Mädchen übergab ihm das von der Gräfin geschriebene Blatt. Beim spärlichen Schein einer Lampe las der Kapitän die folgenden, von einem geängsteten Frauenherzen diktierten Worte: »Ich weiß, daß Sie hier sind, und die Gefahr, in die Sie sich um meinetwillen gestürzt, erhöht die Schmerzen, die mein Herz zerreißen. Bei den Worten der Liebe, die Sie mir einst im Prater von Wien gesprochen, beschwöre ich Sie, verlassen Sie sogleich Widdin und das türkische Gebiet, Sie wissen nicht, welchem Feinde Sie hier begegnen könnten. Sorgen Sie nicht für mich, – ich werde morgen frei sein, – der Himmel wird mich schützen und ich sehe Sie in Krajowa wieder. Fliehen Sie, bei Ihrer und meiner Liebe, fliehen Sie! Helene.«

Die letzten Worte des Blattes ließen ihn alles andere vergessen, und er preßte es stürmisch an seine Lippen ... »Um keinen Preis darf sie zurückkehren! Ich muß sie selbst sehen, sprechen, und weiche nicht eher von diesem Boden. – Höre, Wirt – auf ein Wort mit dir!« Er zog ihn in eine Ecke. »Ich weiß, du bist ein Schurke, und tust, was du tust, um Gold, nicht um der Sache willen! Doch höre mich! Bist du mindestens in dieser Sache mir treu und ergeben, so sollst du einen Lohn erhalten, wie ihn dir schwerlich ein Verrat einbringen würde. Hier ist ein gültiger Wechsel auf Sina in Pest, den du den österreichischen Konsul prüfen lassen magst. Er lautet auf fünfhundert Dukaten, und sie sollen dir ausgezahlt werden, wenn du mich in meinem Unternehmen unterstützest und wir ungefährdet aus Widdin kommen. Jetzt sprich, ob wir uns auf dich verlassen können?« – Der Slowake prüfte sorgfältig den Wechsel ... »Exzellenz können sich auf Alexo verlassen; ich schwöre Ihnen bei der Seele meines Vaters, daß ich alles tun werde, was möglich ist.« – »Gut, wir sind einig. Nun zu Euch. Ich will und muß die Dame sprechen, die im Konak des Gouverneurs gefangen gehalten wird, denn es droht ihr eine neue Gefahr. Habt Ihr irgend ein Mittel, dies im Laufe des Abends möglich zu machen?« – »Der Weg über den Festungswall bis zum Hause des Paschas wird in einer Stunde frei sein,« sagte der Heiduck. »Ich kenne einen alten Winkel, durch den man ungehindert aus und ein gelangen kann.« – »Aber die Wachen?« – »Es steht eine einzige in der Nähe jenes Teils des Selamlik, die uns hindern könnte; ich nehme sie auf mich.« – »Das würde für die Flucht genügen, wenn diese nötig wird. Aber wie gelange ich zu der Gräfin selbst?« – »Wenn wir die Gewänder einer türkischen Frau hätten,« sagte Marutza, »so wüßte ich Rat.« – »Ich kann sie mit leichter Mühe anschaffen,« meinte der Wirt. – »Wohl, so tue es. Ich muß jetzt zum Selamlik zurückkehren, ehe die Tore geschlossen werden. Ich werde die Kleider in einem Paket mit mir nehmen. Der Signor Offizier folgt mir in kurzer Entfernung, es kann keinen Verdacht erregen, wenn ein Baschi-Bozuk in die äußern Höfe eintritt, es treiben sich der Männer dort fortwährend umher, bis die Tore geschlossen werden. Nur der Zutritt in das Selamlik selbst ist gefährlicher, da dort Wachen stehen, und was geschieht, muß vor der vierten Stunde geschehen, denn nach dieser Zeit kann niemand das Selamlik verlassen, oder in den Höfen verkehren, ohne von den Wachen angehalten zu werden. Ich werde vor dem Capitano hergehen bis zu einem dunklen Winkel, wo er sich ruhig lagern mag. Wenn ich sehe, daß der Schwarze, unser Wächter, trunken oder unaufmerksam ist, werde ich unter einem Vorwand zurückkehren und ihn holen. In den Yaschmak und den Mantel einer türkischen Frau gehüllt, kann er mir ohne Besorgnis folgen, die trüben Augen Alis, unsers Wächters, werden ihn nicht erkennen.«

Der Plan wurde gut befunden, und während Alexo ging, die Gewänder herbeizuschaffen, machte sich der Offizier fertig zu dem gefährlichen Wege. Mungo erhielt den Auftrag, den Wirt mit den Pferden für alle Fälle bereit sein zu lassen, und der kühne Heiduck übernahm es, den Kapitän auf dem Schlupfwege wieder aus der Festung zu schaffen und nötigenfalls die Flucht der Frauen in derselben Weise zu bewerkstelligen. Marutza trieb zur Eile und schritt eilig voraus durch die bereits dunklen Gassen. In einer Entfernung von etwa zwanzig Schritten folgte ihr der Kapitän, in den zerlumpten kurdischen Mantel der Bozuks gehüllt. Viele Menschen bewegten sich in den Gassen, und so waren sie bereits bis zu dem Damm gekommen, der auf das Tor der Festung zuläuft, als zwei in Mäntel gehüllte Männer, die ihnen entgegenkamen, auf das Mädchen im Vorbeigehen aufmerksam zu werden schienen. Der eine, ein Offizier, blieb stehen und sah Marutza nach, und so kam es, daß er durch eine rasche Bewegung mit dem falschen Baschi-Bozuk zusammenstieß und diesem für einige Augenblicke der Mantelzipfel vom Gesicht fiel. Einen Moment lang starrten beide Männer sich an, der Kapitän erkannte sogleich den Grafen Pisani in seinem Gegner, dieser jedoch schien durch das matte Sternenlicht, das allein den Platz erhellte, getäuscht zu sein, und wenn ihm in dieser Nähe auch das Gesicht bekannt vorkam, doch im Augenblick nicht zu wissen, wohin er es tun solle. Der Russe hatte Geistesgegenwart genug, sich nicht zu verraten, und, den Mantel rasch wieder um sich ziehend, sprach er den gewöhnlichen türkischen Gruß und ging weiter.

Der Sardinier blieb nochmals einige Augenblicke stehen und schaute den beiden nach ... »War es mir doch, als müßte ich den türkischen Lümmel kennen,« sagte er zu seinem Begleiter, dem Banditen und jetzigen Diener Santa Lucia. »Sieh, ich glaube gar, er folgt dem Mädchen in den Konak und – Demonio! – sie machte ihm ein Zeichen!« Er lachte laut auf. »Die bulgarische Dirne hat sich einen verteufelt zerlumpten Galan ausgesucht!« Er wollte eben weiter gehen, als er auf der Erde etwas Weißes blinken sah, gerade an der Stelle, wo er mit dem Fremden zusammengestoßen war. Es hatte eine Briefform und, dadurch aufmerksam gemacht, hob er das Blatt auf und behielt es in der Hand, indem beide ihren Weg fortsetzten ... Wie es so häufig geht, daß ein zufällig aufgestoßenes Gesicht uns verfolgt und sich in unsere Gedanken nistet, als könnten wir es nicht los werden, – so auch hier. Der Oberst hatte noch keine zehn Schritte getan, so beschäftigte er sich schon wieder mit dem Bilde des Baschi-Bozuks, und selbst ungeduldig darüber und um auf etwas anderes zu kommen, näherte er sich einem Hause, aus dessen engem Fenster ein Lichtstrahl fiel, und besah das Papier, das er in der Hand hielt. Es war ein zusammengefalteter Brief ohne Aufschrift; der erste Blick jedoch, den er auf seinen Inhalt warf, schien wie ein Blitzstrahl in seinem Geiste zu zünden. – » Corpo di bacco! wo hatte ich meine Augen? bin ich blind? – er ist es, er muß es sein! diese Worte beweisen es, wenn ich meinen Augen nicht trauen wollte! – Der Tor wagt sich in die Höhle des Tigers? er soll es bereuen! – Sie stehen in Verbindung, und in diesem Augenblick schon ist vielleicht alle meine Mühe umsonst, und der glücklich angelegte Plan ist vergebens!«

Seine Augen funkelten in Wut und Ärger, dann machte die Leidenschaft jedoch der gewohnten kalten Überlegung Platz, und im nächsten Moment schon zuckte ein Blitz teuflischen Triumphes nach der Festung zurück ... »Bin ich ein Tor geworden,« flüsterte er für sich, »daß ich nicht gleich begriffen, welche Macht damit in meine Hand gegeben ist? – Jetzt, Gräfin Helene, bist du mein, und dein Stolz soll gebrochen zu meinen Füßen liegen! – Lucia!« Der Bandit, der mit Erstaunen auf das aufgeregte Benehmen seines Gebieters geblickt, sprang herbei ... »Was gibt es, Signor Conte?« – »Geschwind zurück nach dem Tore des Konaks und lege dich in irgend einen Winkel in Hinterhalt. Du hast den Baschi-Bozuk gesehen, der eben der bulgarischen Dirne folgte? Habe Falkenaugen, daß er nicht wieder aus dem Konak entwischt, ehe ich bei dir bin! Der Mann trägt den linken Arm in einer Binde, als wäre er verwundet, und einen hellen Turban. Kommt er, so wirf ihn zu Boden und ruf' die Wache zu Hilfe!«

Er eilte davon, nach der Lokanda Alexos zu, wo er die Offiziere wußte, den verhängnisvollen Brief in seiner Hand, den Brief, den Gräfin Helene an den Kapitän geschrieben, den dieser durch einen unglücklichen Zufall bei dem Zusammenstoß mit seinem Feinde aus dem Wams verloren hatte ... Santa Lucia, der Korse, lief zum Eingange des Konaks, vor den er sich gleich einem Cerberus lagerte, mit scharfem Blick jeden Ein- und Auspassierenden musternd. – –

Es war gegen acht Uhr abends – drei Uhr etwa nach der türkischen Sonnenrechnung – als aus einem alten Zisternenwinkel des innern Festungshofes eine lange Gestalt in einem grünen Frauenmantel, den Yaschmak dicht über den Kopf gezogen, hinter der schönen Bulgarin herschlich, die Wasser am Brunnen des Hofes geholt hatte. Aus dem um das Haus laufenden Tschardak führte eine Treppe zu dem Teile, den die Gräfin als Gefangene bewohnte, und in einer Art Vorgemach, aus dem ein Gang in das Innere des Hauses lief, kauerte der alte Mohr, dem die Bewachung der Dame anvertraut war, neben dem Kohlenbecken, an dem er abwechselnd Hände und Füße wärmte. An seiner Seite stand die längst geleerte hölzerne Flasche, die ihm Marutza am Mittag mitgebracht, und er war eben beschäftigt, sich seinen Kaffee zu bereiten. Es würde für einen kräftigen Mann ein leichtes gewesen sein, den Alten zu überwältigen, aber der geringste Hilferuf desselben, jedes ungewöhnliche Geräusch hätte zwanzig seiner Gefährten herbeigeführt, von denen die Höfe und die meisten Teile des weitläufigen Baues belebt waren. – »Mashallah, Mädchen,« sagte der alte Khawaß, »du bist zwar eine Christin und die Tochter einer Hündin, aber unter den Schweinen sind die Bulgaren noch die besten, und es ist freundlich von dir, daß du mir deine Flasche da gebracht hast. Ich wollte, es wäre nur mehr darinnen gewesen; hoffentlich wirst du sie mir aufs neue füllen.« – »Morgen, Ali, wenn ich zur Schenke gehe, ich verspreche es dir. Doch nun halte uns nicht auf. Dies ist die Märchenerzählerin aus der Stadt, die uns den Abend erheitern soll, du weißt, die Khanum bedarf es, denn sie weinte den ganzen Tag. Die Massaldschi wurde so lange im Harem unsers Gebieters aufgehalten, und ich fand sie erst an unsrer Tür.«

Der Khawaß betrachtete einen Moment die fremde Gestalt mit schläfrigen und von dem scharfen Rakih verdunkelten Augen, dann wandte er sich wieder zu seiner Beschäftigung ... »Geht hinein, ihr Weiber, aber bedenkt, daß die Tore der Festung schon in einer Stunde geschlossen werden. Wallah! Auf euer Haupt komme die Versäumnis.« – Die beiden verschwanden in dem Eingange des ersten Gemaches ... Die Gräfin lehnte auf dem Diwan, den Kopf in die Hand gestützt. Von Marutza hatte sie erfahren, daß der Brief glücklich besorgt worden, aber nach dem Wunsche des Kapitäns, noch nichts von dem Wagestück, das dieser unternommen, um sie zu sehen ... Als die Tür sich öffnete, glaubte die Dame daher nur ihre Dienerin eintreten zu hören, und sagte, ohne den Kopf zu wenden: »Setze dich zu mir, Marutza, und erzähle mir jedes Wort, das er gesagt. Mein Herz ist schwer von Angst, und ich wollte die Welt darum geben, wenn ich den Unvorsichtigen erst glücklich aus Widdin wüßte!« – »Nicht ohne Sie, Helene,« sagte eine männliche Stimme neben ihr.

Erschrocken fuhr sie empor und sah die fremde Gestalt an ihrer Seite; Feredschi und Yaschmak fielen zwar zu Boden, aber bestürzt fuhr die Gräfin trotz der bekannten Laute zurück, als sie einen Baschi-Bozuk in seiner wilden seltsamen Tracht vor sich auf das Knie geworfen sah, der sich ihrer Hand bemächtigte. Ein zweiter Blick zeigte ihr jedoch die Züge des russischen Kapitäns und der Angstschrei erstickte in ihrer Kehle. – »Um aller Heiligen willen, Sie hier? o, fliehen Sie, Sie bringen uns beide ins Verderben!« – »Ich bin hier, Sie dem Verderben zu entreißen. O, hätten Sie meiner Warnung Gehör gegeben in Wien und sich von jenem Tun freigehalten, das außer der Sphäre des Weibes bleiben soll! Ich mußte Sie sprechen, Gräfin Helene, um Ihnen zu sagen, daß die wahren Zwecke Ihres Verweilens auf Ihrem Gute bekannt sind, daß einer Ihrer Boten aus dem türkischen Lager aufgefangen worden ist. Der kommandierende General hat in derselben Nacht den Befehl gegeben, Sie zu verhaften, an deren Morgen Sie von den Dorobandschen entführt wurden. Mein Bote, der Sie warnen sollte vor der drohenden Gefahr, traf leider zu spät ein.« – Die Gräfin sah ihm voll in das Gesicht ... »Und Kapitän Meyendorf hat wirklich das gewagt für eine Frau, die ihn so schwer verletzte, für die Feindin seines kaiserlichen Idols?« – Er preßte ihre Hände in den seinen ... »Was wog jener Schmerz, den Sie mir bereiteten, jener Sieg meines Nebenbuhlers gegen Ihre Rettung, was galt die Republikanerin gegen das Weib meines Herzens? – Als ich nach der blutigen Schlacht das Unglück vernahm, das Sie betroffen, zog es mich wie mit tausend Banden Ihnen nach, und ich mußte wissen, welche Gefahr Sie hier bedrohte.« – »Aber bedenken Sie auch, daß man Sie erkennen und gefangen nehmen kann?«

Der Baron schaute sie ruhig und fest an ... »Werde ich hier ergriffen,« sagte er ernst, »und bei Gott! es war vor kaum einer halben Stunde nahe daran, so werde ich ohne weiteres als Spion erschossen, und nicht allein mein Leben, auch meine Ehre ist vernichtet.« – »Für mich! für mich!« jammerte die junge Frau; »o, fliehen Sie, ich beschwöre Sie bei unserer Liebe!« – Sein Auge glänzte entzückt, als er stürmisch ihre Hände an sein Herz drückte. – »Dies Wort allein, Helene, bezahlt tausendfach alle Gefahren. Wie habe ich von diesem Augenblick geträumt unter dem Donnern der Schlachten und auf dem ruhelosen Lager, und ich sollte ihn kürzen in jämmerlicher Furcht für meine Sicherheit? O, Helene! wiederholen Sie mir das Wort, daß unsre Liebe Sie besorgt macht, daß Ihr Herz, Ihr reiches, schönes Herz wirklich das meine ist! Darf ich's wagen, darf ich's glauben?« – Sie strich ihm lächelnd die braunen Haare aus der Stirn ... »Zweifelten Sie wirklich noch daran nach unsrer Fahrt im Prater zu Wien? O, wie weh Sie mir damals taten durch Ihr hartes unverdientes Scheiden!« – »Aber Pisani ... ich hörte zufällig, wie Sie ihm versprachen zu kommen ...« – »Zur Baronin Czezani. Was ist mir der Oberst anders als ein Mann, mit dem mich politische Meinung verband? Ich habe in diesen Tagen, den schwersten meines Lebens, einsehen gelernt, wie töricht ich gehandelt, wie recht Sie haben, und in welch schmähliche Stellung mich dieser politische Wahnsinn gelockt hat. Ich werfe ihn von mir, das schnöde, unwürdige Männerwerk, und will einzig und allein dem Frauenherzen seine Rechte gönnen. Morgen bin ich frei – zum letzten Male will ich mich des Beistandes dieses Mannes bedienen – ich eile nach Wien und verlasse das Haus meines Oheims nicht mehr, bis dieser unglückselige Krieg beendet ist, und ...«

»O, vollenden Sie!«

Er drückte sie an das entzückte Herz. Tausend Schwüre der Liebe quollen über seine Lippen, welche die ihren suchten und fanden. – Da schnitt der scharfe Knall von Pistolen dazwischen, wildes Geschrei, Waffenklingen, Tumult in den Höfen, das Lärmen und Rufen vieler Menschen: »Haltet den Dschaur! Nieder mit dem Spion!« – Ein Flintenschuß fiel dicht unter dem Fenster, der grelle Aufschrei eines Getroffenen folgte. Dann schien eine wilde Hetze durch die Höfe zu beginnen – – –

Aus dem ersten Gemach stürzte Marutza herein ... »Heilige Mutter Gottes! sie sind hinter Miloje drein – alles ist verraten, die Höfe sind voll Soldaten!« – Die Unvorsichtige hatte aus dem Fenster mit dem Heiducken gesprochen, der verkleidet im Hofe umherschlich, und das verabredete Zeichen gegeben ... Man hörte, wie der Strom der Verfolger sich hinter Miloje entfernte, den man wahrscheinlich für das edlere Wild hielt.

Im Augenblick hatte die Ungarin alle Energie ihrer Seele wiedergefunden. Schnell hüllte sie selbst den Geliebten in Mantel und Schleier ... »Rasch, rasch, Marutza, ehe es zu spät ist. In Wien sehen wir uns wieder!« – Ein Druck der Hand, und die Frauen drängten ihn aus dem Gemach; Marutza folgte ihm ... Ali, der Khawaß, hatte sich bei dem Lärmen erhoben und stand an dem Ausgang der Treppe. – »Mashallah! was wollt Ihr Weiber hier? Geht zurück. Das ist keine Sache für euch!«

Schritte eilten den Gang daher, der aus dem Innern der Gebäude führte. Es galt einen raschen Entschluß. Mit kräftiger Hand hatte in Gedankenschnelle der Kapitän den alten Mohren gefaßt und schleuderte ihn zurück in den Winkel. Dann sprang er die kurze Treppe zum Tschardak hinunter und aus diesem in den Hof, von Marutza gefolgt. Schleier und Mantel blieben in der Hand des Mohren, der ernüchtert den ihm gespielten Betrug erkannte und hinter ihnen drein brüllte. Das Rufen vieler Stimmen belehrte sie, daß im nächsten Augenblick die Verfolger auf ihren Fersen sein würden, und die Überlegung eines Moments bewies ihnen, daß eine Flucht durch das bewachte Tor in diesem Augenblick unmöglich sei ... Kaum wissend, was sie tat, zog die junge Bulgarin den Offizier, dessen Rechte ein gespanntes Revolverpistol hielt, mit sich fort. Der Hof war im Augenblick menschenleer, weil alles auf den Heiducken Jagd machte. So gelang es ihnen, unbemerkt in den Schatten der Wälle und zu dem halbverfallenen Brunnen zu kommen, in dessen Winkeln Marutza vorhin den Kapitän verborgen hatte.

Beider Brust hob sich keuchend – sie konnten deutlich die neuen Verfolger sehen, die – Ali an der Spitze – jetzt aus dem Tschardak drangen und mit Verwünschungen nach den Flüchtigen suchten ... »Wir müssen in wenigen Augenblicken entdeckt sein,« flüsterte der Offizier, und seine Hand umspannte fester den Griff des Pistols. – »Still – keinen Laut!« sagte leise eine dritte Stimme in bulgarischer Sprache dicht an ihren Ohren. Marutza erkannte sie sogleich und hielt den Arm des Kapitäns nieder, der sich eben gegen den unerwartet nahen Gegner wandte und auf ihn schießen wollte. – »Ruhig, Herr, es ist Miloje, unser Freund. Um der vierzig Märtyrer willen, wo kommst du her, Michael?« – Der kühne Heiduck lachte still vor sich hin ... »Die Knechte des falschen Propheten meinten mich zu fangen. Pah! als ob ich nicht jeden Stein hier besser kännte denn sie. Bückt euch und folgt mir, wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Er kroch ihnen voran durch die Öffnung eines Kanals, der den Abzug der Zisterne leitete. Einige Schritte weit mußten sie sich auf Händen und Füßen fortbewegen, dann wurde das Gewölbe höher, sie vermochten aufrecht zu stehen, und der Heiduck ließ sie durch ein gehobenes eisernes Gitter passieren, das er hinter ihnen wieder senkte ... »Jetzt mögen sie kommen, sie werden die Vögel ausgeflogen finden! Die Öffnung geht durch den Wall dicht am Haupttor. Vorsichtig, Herr, wir haben den Graben zu durchschreiten.« – Sie kamen glücklich hinüber, und während im Konak der Aufruhr der Verfolgung und Nachforschung tobte, führte der Heiduck sie glücklich an den Wachen vorbei durch die Lücken der Mauern und Wälle aus der Festung ... Alle atmeten leichter, als das Wagestück gelungen, während dessen nur wenige Worte gewechselt worden, da der Russe ohnehin sich mit dem Heiducken nicht verständigen konnte. Er wandte sich daher auch an das Mädchen und bat sie, den Geliebten zu fragen, wohin er sie zu führen gedächte ... »Bei der heiligen Gottesmutter! wohin sonst, als fort aus diesem Nest in die freien Berge?« erwiderte der Sohn derselben. »Gawra oder der Zigeuner warten mit den Pferden und die Verfolger werden uns bald auf den Fersen sein, wenn sie sich müde im Konak gesucht. Ich habe meine Flinte wieder, die mir dein Vater für schweres Geld von diesen türkischen Hunden gelöst hat, und meine Moma – was brauch ich mehr!« – »Ich muß wenigstens vorher Alexo, den Wirt, sprechen,« sagte entschlossen der Offizier. »Er wird Mittel und Wege finden, über das Schicksal der Dame das Weitere zu erfahren und mit mir in Verbindung zu bleiben. Schickt mir Mungo zur Hinterpforte der Lokanda! Er wird mich in einer halben Stunde zu euch geleiten, und ich bin dann bereit, euch zu folgen.«

Vergebens waren die Einreden des Mädchens – der Kapitän bestand auf seinem Sinn, und da die Gassen durch den Lärm in der Festung sehr belebt geworden und man sich nicht aufhalten durfte, trennte man sich eilig, und der Offizier folgte der Richtung, die Marutza ihm gewiesen, auf die Dunkelheit und seine Verkleidung vertrauend.

So bemerkte er es nicht, wie aus dem Schatten der Gebäude ein Mann, der die Flüchtlinge schon bei ihrem Erscheinen beobachtet, ihm folgte, St. Lucia, der Bandit. Glücklich gelangte er an die hintere Pforte der Lokanda, deren Tschardak und Zimmer mit Menschen besetzt war, und da ihm jetzt die Gelegenheit bekannt, bis zu dem kleinen Gemach, das ihm vorher als Versteck gedient hatte, indem er hoffte, von hier aus leicht dem Wirt ein Zeichen seiner Anwesenheit geben zu können. Kaum jedoch war er eingetreten, als ein lautes höhnisches Gelächter, das Schließen der Tür und das Vorschieben eines Riegels ihn belehrte, daß er verraten und in die Hände seiner Feinde gefallen sei. Graf Pisani, nachdem er die Anwesenheit des russischen Offiziers in der Festung entdeckt und leicht den Zweck derselben erraten hatte, eilte, die Gelegenheit zu benutzen, sich von dem gefährlichen Nebenbuhler zu befreien, ohne als der Urheber zu erscheinen. Eine Mitteilung an Iskender-Bey genügte, sofort die Verfolger in Bewegung zu setzen, und der Sarde ließ alle Anstalten derart treffen, daß der russische Offizier bei seinem Verlassen des Selamliks ergriffen werden mußte. Der Oberst wollte absichtlich vermeiden, selbst handelnd einzutreten, und sein scharfer Verstand hatte ihm bereits die Art und Weise gezeigt, wie er diese Gelegenheit zur Erreichung seines Hauptzweckes ausbeuten könne ...

Verdrießlich und mit Vorwürfen von Sami-Pascha überhäuft, den der Tumult aus der Ruhe seines Haremliks gestört, waren die Offiziere nach langem Suchen zur Lokanda des Slowaken zurückgekehrt, fanden aber hier einen Gefangenen vor, denn die türkischen Wachen, aus ihrer Schläfrigkeit erweckt, hatten Mungo, den Spion, ergriffen, als er um die Lokanda schlich und seinen Herrn zu treffen suchte; und Hidaët-Aga war bereits in einem scharfen Verhör mit ihm begriffen. Der Bursche schwieg jedoch trotzig, und Iskender-Bey befahl ihn zu binden und in einem Winkel des Tschardaks scharf zu bewachen, bis man am andern Morgen Mittel finden werde, ihm die Zunge zu lösen. Die Gesellschaft kehrte hierauf zu Trunk und Spiel zurück; Graf Pisani jedoch beschloß, seine Nachforschungen bei Alexo, dem Wirte, fortzusetzen, dem er in dieser Angelegenheit stark mißtraute. Er gab ihm daher einen Wink, mit ihm zu gehen, und der Slowake, vor der Entdeckung seiner Doppelzüngigkeit besorgt, folgte ihm nach dem abgesonderten Gemach, das schon mehrfach zu ihrem geheimen Verkehr benutzt worden.

Zu ihrem Erstaunen fanden sie jedoch an der Kammertür Santa Lucia Wache halten, der es nicht gewagt, diese Stelle zu verlassen und den etwaigen Helfershelfern seines Gefangenen Gelegenheit zur Flucht zu bieten. Der Bandit fluchte greulich, daß man ihn hier so lange allein gelassen, und erzählte dann lachend seinem Herrn, auf welche Weise er den Vogel erwischt hatte. Pisani wandte sich mit einem finstern Blick zu dem jetzt ernstlich vor Entdeckung zitternden Wirte ... »Verräterischer Hund,« sagte er, »du hast offenbar um die Anwesenheit dieses Spions gewußt, sonst wäre er nicht hierher geflüchtet. Du wolltest am Ende gar wagen, meine Pläne zu durchkreuzen, und solltest morgen hängen, wenn das Glück dir nicht wohlgewollt und uns dennoch die Beute in die Hand geliefert hätte. Aber nimm dich in acht, Alexo! ich kenne dich, und bei dem geringsten weiteren Beweis, daß du treulos bist, hängst du!« – Der Wirt beteuerte mit hundert Eiden, daß er von nichts wisse, daß der Gefangene leicht ein russischer Spion sein könne, da der Graf ja wisse, daß er mit solchen verkehren müsse, um Nachrichten aus dem russischen Lager zu erhalten, daß er aber nicht das geringste gegen die Absichten seines hohen Gönners unternommen habe; der Oberst jedoch, dies Geschwätz zur Genüge würdigend, befahl ihm, zu leuchten, und Lucia, die Tür zu öffnen, indem er sich die grausame Lust nicht versagen wollte, sich durch den eigenen Anblick zu überzeugen, daß der Gefangene sein verhaßter Nebenbuhler sei.

Der Kapitän, durch den Aufenthalt bei Tageszeit in dem kleinen Zimmer belehrt, daß dieses nur den einen Ausgang habe und das starke Eisengitter des engen Fensters jeden Fluchtversuch unmöglich mache, hatte sich mit entschlossener Ruhe auf den Diwan gesetzt, der an der einen Wand als Lagerstätte hinlief, und erwartete, die Arme über der Brust geschränkt, in finsteren Gedanken das Kommende. Im Augenblick, da er gerade das höchstersehnte Glück genossen, das Geständnis des Weibes, das er seit vier Jahren liebte, empfangen, daß ihr Besitz ihm in Aussicht stand, – gab das Schicksal ihn als Gefangenen in die Hände seiner Feinde mit der Aussicht auf einen schimpflichen Tod; denn er konnte nichts anderes erwarten, als daß die Türken ihn als Spion behandeln würden ... Der Oberst trat mit dem Wirte, welcher die Lampe trug, in das Gemach, während Santa Lucia an der Tür blieb. Ein Blick überzeugte den Sarden, daß der Gefangene der verhaßte Feind sei, dennoch gab er kein Zeichen, daß er ihn erkannt habe. – »So? das ist der Spion, den du gefangen?« – »Jawohl, Signor Conte!« – » Bene! er kann morgen mit seinem Kameraden in Gesellschaft hängen. Bist du Soldat, Bursche? oder treibst du dein Handwerk bloß aus Liebhaberei?« ... Der Kapitän, der bei der Erwähnung der Gefangennahme eines seiner Gefährten – er wußte nicht, ob Mungos oder Michael – zusammengefahren, blickte ihn trotzig und verächtlich an. – »Ich will zunächst wissen,« fuhr der Oberst fort, »wie du in dieses Haus kamst, und in welcher Verbindung du mit dem alten Schurken hier stehst? Daß eine solche existiert, liegt aus deiner Kenntnis dieses Zimmers auf der Hand. Rede, Bursche, oder ich will dir die Zunge lösen lassen.«

Der Graf hatte Italienisch gesprochen. Ein flehender Blick des Slowaken traf den Baron, als dieser das Auge voll und ruhig auf das boshaft funkelnde des Sardiniers richtete ... »Die Wahl der Sprache, Herr Graf,« sagte er stolz, »zeigt mir, daß Sie mich kennen. Ein weiteres Verbergen wäre unwürdig Ihrer und meiner. Haben Sie die Güte, diese Leute zu entfernen, ich habe Ihnen einige Worte zu sagen.« – Graf Pisani konnte trotz seiner großen Selbstbeherrschung eine kleine Verlegenheit nicht verbergen, der ruhige Stolz des Gegners hatte seine Bosheit geschlagen. – »In diesem Augenblick glaube ich Sie erst zu erkennen und bitte um Entschuldigung für meine Worte. Hinaus mit euch, und sorge dafür, Lucia, daß dieser alte Schurke nicht horcht.«

Die beiden untergeordneten Personen entfernten sich aus dem Gemach und ließen den Grafen und den Kapitän allein. Die Gegner standen einander jetzt Auge in Auge gegenüber. – »Herr von Meyendorf, Kapitän der russischen Armee? wenn mich mein Gedächtnis und die flüchtige Bekanntschaft in Wien trotz dieser Kleidung nicht trügt?« Er wies spöttisch auf das Kostüm. – Der Russe verbeugte sich schweigend. – »Ich bedauere als Offizier aufrichtig, daß Sie sich zu dieser Rolle hergegeben haben, um so mehr als es außer meiner Macht ist, Sie den Ihnen bekannten Folgen derselben zu entziehen. Ich stehe in türkischen Diensten, und der Muschir hat die strengsten Befehle in betreff der Entdeckung von Spionagen gegeben.« – Die bleiche Lippe des Russen zuckte bei dem beleidigenden Wort. – »Ich habe noch mit keiner Silbe verlangt, Herr Oberst, daß Sie zu meinen Gunsten Ihrer Pflicht untreu werden sollen, und würde das Geschenk der Freiheit aus Ihrer Hand auch schwerlich annehmen. Ohne mein Tun Ihnen gegenüber rechtfertigen zu wollen, sage ich Ihnen nur, daß der Grund, der mich hierher gebracht, die Entführung einer uns beiden bekannten Dame aus den russischen Linien durch Überläufer war, – der Gräfin Laszlo.«

»Meiner Braut,« sagte nachlässig der Graf. »Ich weiß davon, denn ich selbst habe die Entführung veranlaßt.« – »Wie, Sie selbst wären der Urheber jenes Bubenstücks? Sie wagen es, die Dame Ihre Braut zu nennen?« – Das Blut quoll dem Offizier zu Kopf und Herzen, seine Augen blitzten. – »Mäßigen Sie sich, mein Herr,« sagte stolz der Oberst, »und bedenken Sie, daß Sie hier als Spion gefangen sind und ich Ihnen keine Rechenschaft zu geben habe. Um meiner selbst willen, und da ich glaube, daß auch Sie zu den Bewerbern um der Gräfin Herz gehörten, werde ich meine Worte beweisen. Sie erinnern sich vielleicht der Handschrift der Gräfin Laszlo?« Der Kapitän wurde rot; er zuckte unwillkürlich mit der Hand nach der Tasche, in der er den Brief der Geliebten noch verborgen wähnte. – »Ich hoffe, Herr Graf!« – Pisani hatte ruhig aus seiner Brieftasche das Versprechen der Betrogenen genommen und hielt es dem Kapitän hin ... »Lesen Sie!«

Vor seinen Augen schwammen die verhängnisvollen Worte ineinander, alles Blut schien in sein Herz zusammen zu strömen ... »Wiederum getäuscht von ihr! Fahre hin, Glauben und Glück!« Er murmelte es zwischen den Lippen und warf sich auf den Diwan zurück. – »Sie sehen, Herr Kapitän,« sagte mit leichtem Hohn der Graf, »daß ich ein Recht hatte, die Dame aus einer Umgebung holen zu lassen, die meinen Absichten nicht genehm war ... Die etwas rauhe Art ist Schuld der Verhältnisse. Ich begreife übrigens wirklich nicht, Herr Baron, mit welchem Recht Sie sich heute abend in die Nähe meiner Braut gedrängt haben, wie ich nach den mir zugegangenen Berichten glauben muß.« – »Ich kam hierher,« entgegnete hastig der Kapitän, »um die Gräfin vor jedem Wiederbetreten des russischen Gebiets zu warnen; man hatte am Tage vor ihrer Entführung die Zwecke ihres Aufenthalts entdeckt und ihren Boten aus Widdin aufgefangen. Der Befehl zu ihrer Verhaftung ist gegeben.« – »Ich weiß es,« sagte, die Nachricht schnell benutzend, der Graf, »und deshalb eben ließ ich sie am Morgen der drohenden Gefahr entführen. Ihre Absicht war edel, Herr Kapitän, hoffentlich wird sie die Folgen Ihrer Gefangenschaft mildern, wenn – Sie mir Ihr Ehrenwort geben können, daß dies der einzige Zweck Ihres gefährlichen Wagstücks war.«

Der schlaue Sarde konnte sehr wohl berechnen, daß dies nicht wahrscheinlich war und der russische Offizier schwerlich für Privatangelegenheiten die Erlaubnis seiner Vorgesetzten zu dem kecken Unternehmen erhalten hatte. – Der Kapitän schwieg ... »Dann bedaure ich aufrichtig, daß ich Sie nicht retten und dem Kriegsgericht entziehen kann. Verheimlichung ist nicht möglich, da Ihre Gefangennahme bereits mehreren Offizieren bekannt ist und der Bursche, dem sie geglückt, nicht schweigen wird. Kann ich Ihnen sonst mit irgend etwas dienen, Herr Baron?« – Der Offizier verneinte durch ein Zeichen. – »Ich bitte, verlassen Sie mich.« –

Der Gefangene erwiderte finster die Verbeugung des Obersten. Um sich gegen alle Zufälle zu sichern, und da er den widerspenstigen, selbstwilligen Charakter Lucias genugsam kannte, ließ er durch den Wirt noch Apollony herbeiholen und vertraute beiden die Bewachung der Tür während der Nacht an. Beruhigt über die Erfolge, die der Zufall so glücklich begünstigt, kehrte der Graf nach der Festung zurück, wo er sein Quartier bei Sami-Pascha genommen. –

Im engen Zimmer des Gefangenen brannte mit ihrem matten Schein die Lampe; Speise und Wein, die Alexo in Begleitung Lucias gebracht, standen unberührt auf dem Tisch, und der unglückliche Bewohner der Zelle saß noch immer in derselben Stellung auf dem Diwan, die Arme über der Brust gekreuzt, die Augen starr vor sich hin geheftet. Der Schlag, der ihn nach dem beseligenden Geständnis durch jenes Dokument getroffen, wirkte vernichtend und raubte ihm die ruhige Überlegung, die sonst gar leicht ihm die vielfachen Widersprüche in dem Benehmen des Grafen gezeigt und ihn zu einer genaueren Prüfung der Umstände und zu wohlbegründeten Zweifeln geführt haben würde.

Eine – zwei Stunden vergingen, – der flackernde Schein der Lampe zeigte ihr Verlöschen an, – was kümmerte es ihn, ob es Nacht um ihn her ward, – lag doch eine tiefere, drückendere Finsternis auf seiner Seele, die Nacht der begrabenen Hoffnungen! ... Da weckte ein Geräusch, das er in seiner Betäubung schon lange vernommen zu haben sich erinnerte, ihn aus dem starren Sinnen. Es klang wie das Schneiden oder Sägen eines Messers an Holz, um eine Öffnung zu machen oder zu vergrößern. Er horchte jetzt aufmerksam und machte eine Bewegung. Sogleich hörte das Geräusch auf, und statt dessen fragte eine flüsternde Stimme über ihm: »Bist du wach, Signor? – Antworte leise.« – »Wer ist es? was will man von mir?« – »Nursah, der schwarze Knabe,« flüsterte wieder die Stimme. »Tritt hierher Signor, rechts an die Wand, ich habe dir viel zu sagen.«

Der Kapitän folgte dem Wunsche. Im letzten aufflackernden Schein der Lampe sah er, daß der junge Mohr eine Ritze der Decke mit seinem Messer handbreit erweitert hatte. Die Lampe war erloschen – tiefe Dunkelheit umgab ihn ... »Was willst du, Knabe? Mein Schicksal ist besiegelt.« – »Verzweifle nicht, Signor; noch hoffe ich, dich auf irgend eine Weise zu retten. Kannst du mir angeben, was ich dazu tun kann, und ob du Freunde in der Nähe hast?« – »Meine Freunde,« sagte der Kapitän schwermütig, »sind fern und können mir nicht helfen. Ich danke für deinen guten Willen, aber das Leben hat für mich keinen Wert mehr, und ich wünsche den Stunden Flügel, damit sie mir sein Ende bringen.« – »Ich weiß, du liebst,« sagte die Stimme mit weichem, mitfühlendem Klange. »Du liebst die fremde Dame, die von jenseits der Donau entführt wurde und im Selamlik des Paschas gefangen gehalten wird. Gib die Hoffnung nicht auf, nur mit dem Leben darf sie verlöschen.« – »Armer Knabe mit der schwarzen Haut und dem warmen Herzen, meine Hoffnung ist erloschen!« – »Traue dem Manne nicht, der vorhin dich besucht; er ist dein Feind, wie er der Feind jener Dame ist, denn ich weiß, daß gerade sein Diener dich gefangen nahm und noch in diesem Augenblick in Gemeinschaft mit dem Manne bewacht, der die Dame stahl. Auch dies geschah in seinem Auftrage.« – »Ich weiß es; Graf Pisani selbst sagte es mir und gab mir den Beweis seiner Rechte dazu.« – »Er ist falsch, wie die Hölle der weißen Männer. Ich hörte ihre Unterredung, aber ich hörte auch, wie der Raub vor vier Tagen in diesem Zimmer hier verabredet wurde. Der Conte hat kein Recht auf die Dame; er befahl seinem Werkzeuge ausdrücklich, durch nichts zu verraten, daß er die Hand im Spiel habe, und ich weiß von Dottore, meinem Gebieter, daß er auch später noch sorgfältig bemüht war, sich vor ihr zu verbergen und sie in den Glauben zu wiegen, daß sie die Gefangene des Paschas sei.« – »Bei allen Heiligen, Knabe, rede die Wahrheit! Ich sah selbst von ihrer Hand geschrieben die Erklärung, die sie zu seiner Braut macht.« – »Dann hat der Bösewicht sie ihr abgezwungen, vielleicht unter dem Vorwande, dieses Papiers zu ihrer Befreiung zu bedürfen.«

Der Kapitän erinnerte sich, daß das Blatt kein Datum getragen; er erinnerte sich der ihm damals unverständlichen Worte und Besorgnisse der Gräfin, und so vieles ging im Augenblicke durch seine Seele, das ihm klar und deutlich bewies, wie der Sarde ihn getäuscht, und daß er es sein mußte, welcher seine Verhaftung veranlaßt hatte. – »Knabe – ich glaube, du hast recht, und ich bin ein Tor, daß ich mich täuschen ließ. Zur Hölle mit dem Schurken! Warum habe ich ihm nicht eine Kugel durch den Kopf geschossen, als er mir hier gegenüberstand? dann wäre sie wenigstens gerettet gewesen! Und gefangen, widerstandslos in seiner Hand und einem schimpflichen Tode verfallen! Es ist entsetzlich!« – »Hoffe, Signor, und bete zu deinem Gott, der bald auch der meine sein wird, denn täglich lehrt mein gütiger Gebieter mich ihn kennen. Auf den Knien will ich ihn anflehen, daß er mir helfen soll, dich zu erretten. Wie? weiß ich noch nicht, denn ich bin machtlos, aber Allah oder Gott wird mir helfen, dich und deine Liebe zu retten.« – »Knabe, dein Glauben beschämt mich!« – »Hast du etwas bei dir, was dir morgen schaden kann, so vertraue es mir an.«

Der Kapitän holte aus dem Leibbund eine dort verborgene Brieftafel ... »Ich gebe sie dir, obschon du mir unbekannt. Es sind wichtige Papiere darin, die vieler Leben gefährden könnten, wenn sie in unrechte Hände fielen. Noch wollte ich sie nicht vernichten. Bewahre sie wohl auf.« – Es gelang ihm, indem Nursah eine Schnur durch die Öffnung ließ, sie daran zu binden ... »Bei dem Grabe meiner Eltern an den Quellen des Nils schwöre ich, sie treu zu bewahren.« – »Hier ist meine Waffe und noch ein Brief, so schwer es mir wird, mich jetzt von ihm zu trennen – aber es muß sein, denn wenn die Schurken Hand an mich legen, würde er eine teure Person kompromittieren. – Hölle und Teufel!« fuhr er fast laut auf, indem er vergeblich nach dem Blatt der Gräfin in der Tasche seines Mantels suchte, »er ist fort – ich muß ihn verloren haben! Fahrlässiger Tor, der ich bin!« – »Ruhe – mäßige dich!« bat der Knabe. »Noch sind viele Männer im Hause wach, denn eben erst ist Mitternacht vorüber, und ich muß fort jetzt, meinen Herrn zu sprechen. Du wirst das Verlorene wohl beim Tageslicht wiederfinden. Lebe wohl, und vertraue auf den Gott deiner Liebe.«

Der Kapitän hörte einen leisen Schritt über seinem Haupt, dann war alles still und er wieder allein. Er trank jetzt den Wein und nahm, so gut es ging im Dunkeln, einige Speise, denn er hatte seit dem Morgen nichts genossen. Dann warf er sich auf den Diwan, gegen die kalte Nachtluft in den rauhen Mantel gehüllt und entschlossen, wachend den Morgen zu erwarten, um keinen Ruf des schwarzen Schutzengels zu versäumen, an dem allein jetzt sein Hoffen hing. Das erste Tagesgrauen dämmerte durch die Gitter des Fensters, als die Stimme des Knaben ihn weckte ... »Wache auf, Signor, es gilt dein Leben.« Der Kapitän war mit jener, dem echten Soldaten eigenen Beherrschung der Sinne im Augenblick munter. Dennoch galt sein erster Blick rundum im engen Gemach dem verlorenen Brief der Geliebten. Dann erst eilte er leise zu der Stelle, an der der Mohrenknabe ihn erwartete. – »Der Schlaf überwältigte mich,« sagte er entschuldigend; »sprich rasch, bringst du Gutes oder Schlimmes?« – Eine andere Stimme als die des Knaben antwortete ihm, die tiefe, ruhige Stimme eines Mannes, die er noch nie gehört ... »Verzeihen Sie, mein Herr,« sprach dieselbe, »aber es ist nötig, daß ich sogleich für Nursah das Wort nehme, denn die Zeit drängt, und wir dürfen die Augenblicke, die uns vielleicht zu Ihrem Beistand noch gegönnt sind, nicht versäumen.« – »Ich kenne Sie nicht, mein Herr!« – »Es ist auch nicht nötig,« entgegnete der andere, »ich bin ein ehrlicher Mann wie Sie und bereit, einem solchen gegen die Intrige und die Bosheit beizustehen. Nursah, mein Diener, hat mich von allem in Kenntnis gesetzt, und daß Sie nur in Angelegenheiten einer Dame sich törichterweise in das türkische Lager gewagt haben. Dennoch fürchte ich, daß Ihnen der Tod gewiß ist, denn die Befehle des Muschirs sind streng, und ich glaube, daß Graf Pisani, dessen Gefangener Sie jetzt sind, Sie sicher den Türken ausliefern und so sich von einem Nebenbuhler auf die leichteste Art befreien wird. Er muß seine besonderen Zwecke haben, daß er dies nicht sogleich getan, aber ich hörte, wie er gestern Iskender-Bey sagte, er spare ihm für heute morgen eine besondere Überraschung auf.« – »Ich kenne mein Schicksal und werde ihm als Soldat begegnen. Nehmen Sie meinen Dank, mein Herr, für Ihre freundliche Teilnahme, wenn sie mir auch nicht helfen kann.«

Der Arzt, – Nursahs Gebieter, – schwieg einige Augenblicke, dann fragte er leise: »Haben Sie Mut?« – »Sie sprechen zu einem Soldaten, mein Herr.« – »Mißverstehen Sie mich nicht! Ich meine nicht den Mut der Schlacht. Der einzige Weg, Sie zu retten, ist: Sie müssen in die Hölle eines türkischen Typhus-Lazaretts ... Haben Sie hierzu den Mut? Der Vorschlag ist schrecklich und gefährlich, ich weiß es,; aber es ist der einzige, den ich Ihnen machen kann, und Gott hält seine Hand über jedem, im Krachen der Geschütze, wie im Pesthauch des Krankenhauses.« – »Aber wie wird man glauben, daß ich krank bin?« – »Das werden Sie sogleich erfahren, wenn Sie Ihren Entschluß gefaßt.« – »Und glauben Sie, wenn ich mich der Gefahr unterwerfe, mich retten zu können?« – »So weit es in menschlicher Voraussicht steht, ja.«

Der Gedanke an Helenen überwand den so natürlichen Schauer. – »Ich bin entschlossen. Sagen Sie mir, was ich zu tun habe.« – Eine Schnur senkte sich durch die Öffnung, ein Fläschchen und ein Päckchen hinten daran ... »In dieser Leinwand ist Wolle und dunkelrote Schminke. Sie werden sich damit das Gesicht an einzelnen Stellen betupfen, namentlich Stirn und Schläfe, auch die Gelenke der Hände. Dann trinken Sie den Inhalt des Fläschchens, und fürchten Sie nicht die Folgen, wenn auch besondere abnorme Symptome eintreten werden.« – »Doktor, – ehe ich Ihren Willen erfülle, versprechen Sie mir eins bei Ihrer Ehre als Mann.« – »Bei meiner Ehre!« – »Geschehe mit mir auch, was da wolle, Sie werden die Gräfin Laszlo von meiner Rettung oder meinem Tode in Kenntnis setzen.« – »So wahr mir Gott helfe in meiner letzten Stunde, wie Ihnen in dieser schweren – es wird geschehen.« – »Dank. Jetzt, Herr, liegt mein Schicksal in Ihren Händen.«

Er nahm die Wolle und Farbe und erfüllte das Geheiß des Arztes. Dann ergriff er das Fläschchen, und während ihm aufgeregt das Herz schlug, betrachtete er den Inhalt durch das Licht. – »O, vertraue ihm, Signor,« flüsterte die Stimme des schwarzen Knaben, »er ist der beste der Menschen!« – Der Kapitän setzte das Flacon an die Lippen und trank es aus. Ein leichter Schauer rieselte durch seine Adern – einige Augenblicke wallte es wie Nebel vor seinen Augen, und seine Sinne verwirrten sich. – »Mir wird so eigentümlich!« – »Es ist die Wirkung der Medizin,« sagte der Arzt, der sorgfältig die Gegenstände wieder in die Höhe zog. »Vertrauen, Herr, ist das einzige, was Sie retten kann. Übergeben Sie sich den Wirkungen des Laudanums unbesorgt. Ich werde über Sie wachen.«

Der Offizier, von plötzlicher, hinreißender Mattigkeit befangen, war auf den Diwan getaumelt, seine Glieder streckten, seine Augenlider schlossen sich. – »Leben Sie wohl!« – Nur unklar noch hörte er den Scheidegruß, seine Sinne versagten den Dienst. – – – – – –

*

Es war noch früh am Morgen, als Oberst Pisani bei der im Selamlik gefangenen Gräfin eintrat. Der Eunuch hatte sie nach dem Lärmen eingeschlossen und ihr auf keine ihrer Fragen Antwort gegeben, die ohnehin nicht verstanden wurden. In tausend Ängsten und unter schweren Tränen hatte sie die Nacht hingebracht, – Marutza war nicht zurückgekehrt, – das Schießen und der wilde Lärm der Verfolgung hatten sie erschreckt; sie mußte glauben, daß beide in die Hände der Türken gefallen, vielleicht ermordet seien. Es war daher eine Erleichterung für ihr Herz, als sie die Tritte vor ihrer Tür hörte und den Grafen eintreten sah. Bleich und abgespannt, mit fragenden Blicken trat sie ihm entgegen; der Graf aber mit ernster, schmerzlicher Miene faßte ihre Hand und führte sie schweigend zu dem Diwan zurück. – »O, sprechen Sie, mein Freund, was ist geschehen?« – Der Oberst lächelte bitter ... »Sie nennen mich Ihren Freund, und im Augenblick, wo Gräfin Helene mir die Ehre erzeigt, sich meinem Schutz anzuvertrauen, hält sie einen zweiten für notwendig und knüpft eine Intrige an mit meinem Gegner, dem Rivalen, der bestimmt scheint, mir überall in den Weg zu treten?« – »Der Unglückliche – Sie wissen alles?« – »Ich weiß es, Gräfin, ich habe den Verkleideten erkannt, es ist der russische Kapitän, mein Feind von Wien her.« – »Allmächtiger Gott – so ist er in den Händen der Türken?« – »Der russische Spion ist gestern abend gefangen worden.« »Aber da Sie ihn kennen, so wissen Sie doch, daß er allein meinetwegen in diese Gefahr sich gestürzt hat, daß Besorgnis um meine Person ihn hierher getrieben, daß er mich warnen wollte vor der Gefahr, die mir in Krajowa droht durch die Entdeckung meines Tuns, zu dem ich mich durch Sie verleiten ließ.« – »Ich weiß von nichts,« sagte stolz der Oberst, »ich weiß nach meiner Soldatenpflicht nur, daß ein Mann, der verkleidet im feindlichen Lager ergriffen worden ist, in der ganzen Welt als Spion behandelt werden wird. Die Gründe, die ihn zu dem kühnen Unternehmen bewogen, werden niemand kümmern. Wenn Gräfin Helene es für gut findet, ein Opfer, das sie ihrer politischen Überzeugung gebracht, ihrem treuesten Freunde jetzt als Schuld beizumessen, so habe ich nichts dagegen zu sagen. Ich kam, um Ihnen anzuzeigen, daß Sie frei seien, um Ihre Befehle in Empfang zu nehmen für Ihr Bleiben oder Gehen und Ihnen dies traurige Blatt zurückzugeben, mit dessen Hilfe es mir allein gelang, Ihre Befreiung aus dieser unwürdigen Lage so rasch zu bewirken.« – Er legte das verhängnisvolle Papier auf den Tisch und trat mit einer Verbeugung nach der Tür zurück. Die Dame stürzte ihm nach und erfaßte leidenschaftlich seinen Arm. – »Bleiben Sie, – ich muß alles wissen. Was ist aus Marutza, meiner Dienerin, geworden?« – »Die Dirne muß mit den Helfershelfern des Gefangenen entwichen sein, den offenbar noch andere Zwecke hierher führten, als die Besorgnisse eines Liebhabers. Das Verschwinden des Mädchens beweist, wie gute Freunde und Verbindungen der Russe hier hatte. Sie selbst, Gräfin, haben ihn ins Verderben geführt, indem Sie ihn in diese Mauern beriefen.«

Ein stolzer Blick antwortete der bittern Rede. Im nächsten Moment jedoch schon siegte die Angst des Weibes. – »Ich beschwöre Sie, sagen Sie mir die Wahrheit, was wird sein Schicksal sein?« – »Der Gefangene,« sagte der Oberst langsam, und sein Auge betrachtete lauernd sein Opfer, »wird heute noch vor ein Kriegsgericht gestellt und – eine Stunde darauf erschossen werden.« – Sie rang verzweifelnd die Hände ... »Ich habe seinen Tod veranlaßt! Allmächtiger Gott! gib mir das Mittel seiner Rettung! Graf, ich beschwöre Sie, bei allem was Ihnen heilig, bei Ihrer Liebe zu mir, helfen Sie, retten Sie!« – Sie sank auf die Knie und streckte die Hände flehend zu ihm empor. Er hob sie auf und führte sie zu dem Diwan zurück, auf dem er sie niederließ ... »Was verlangen Sie von mir? es ist unmöglich!« – »Nein, es ist nicht unmöglich, wenn Sie wollen,« flehte die verzweifelte Frau. »Ich weiß, welche mächtigen Verbindungen Sie besitzen; ich habe oft genug die Beweise davon gesehen. O, retten Sie mir den Frieden meiner Seele! retten Sie ihn!« – »Um ihn einst glücklich in Ihren Armen zu sehen,« sagte bitter der Graf, – »nein, Helene! dieses Opfer wäre zu schwer. Er selbst hat sich in dies Verderben gestürzt, ohne daß ich das geringste dazu getan; ich lasse nur das Schicksal seinen Weg gehen, und es befreit mich von meinem gefährlichen Gegner. Ihn selbst zu retten, wäre eine Torheit.«

»Graf, das ist unedelmütig gedacht!« – »Ich verachte einen unnützen Edelmut, wo es sich um Ihren Besitz handelt. Ich mache mich nicht besser als ich bin vor Ihnen, Gräfin, aber den Feind ohne Zweck zu retten, ist ein Frevel gegen sich selbst.« – Ihre Hand hatte unwillkürlich das Papier ergriffen, das der Graf vorhin neben sie niedergelegt, und ihre Finger entfalteten es bewußtlos, während ihr starrer Blick darauf haftete, und plötzlich zuckte sie zusammen ... »Bei Ihrer Ehre und Seligkeit, Graf, so ist er verloren?« – »Er ist verloren – nur außergewöhnliche Mittel vermöchten ihn zu retten.« – »Und wenn ich Sie dazu bewegen wollte, – glauben Sie dann, ihn retten zu können?« – »Ich hoffe es.«

Sie war blaß, aber ruhig und gefaßt während der folgenden Worte; nur ihre Hand zitterte leicht, als sie ihm das verhängnisvolle Papier reichte ... »Nehmen Sie, ich bin bereit, den Inhalt zu erfüllen, unter der Bedingung, daß Sie den Unglücklichen retten.« – Sie sah nicht den Blitz wilder Freude, der über das Antlitz des Sardiniers flog, ihre Augen waren starr auf das Papier geheftet ... Dennoch nahm er es nicht – mit der Berechnung eines Schauspielers seine Rolle verfolgend, wich er zurück und sagte leise: »Gräfin Helene würde es später bereuen, und ich mag sie nicht an die Erfüllung ihres Wortes erinnern.«

Ihre stolzen Augen blitzten ihn unwillig an ... »Was ich gesagt, werde ich halten. In dem Augenblick, wo Sie mir die Nachricht seiner Rettung bringen, bin ich bereit, Ihre Gattin zu werden. – Ist Ihnen dies genug?« Er beugte sich auf ihre Hand und küßte sie zärtlich ... »Ehe der Abend da ist, hoffe ich, den Priester zu Ihnen führen zu dürfen, der diesen Tag zum glücklichsten meines Lebens macht. – Ich werde fortan das Nötige anordnen, damit Sie wieder weibliche Bedienung erhalten, obschon ich es für das beste glaube, daß Sie vorerst hier noch verweilen, statt Sie etwa in das Haus des österreichischen General-Konsuls zu führen. Ihr Aufenthalt hier ist nur wenigen bekannt geworden, und Sie werden auf diese Weise aller lästigen Neugier der österreichischen Behörden entgehen. Die Gräfin Pisani wird niemand mit einer Frage belästigen.« – »Ich überlasse Ihnen alle Bestimmungen, nur – eilen Sie!« Ihre Stimme klang gebrochen. – »Leben Sie wohl, Helene – meine Braut!« Er drückte ihre kalte Hand ans Herz und verließ das Gemach, in dessen Mitte sie gleich einer Statue der Resignation stand, die Augen ausdrucksvoll hinter ihm drein starrend.

Dann zuckte ihre Hand nach dem Herzen, und mit einem leisen Schrei sank sie zu Boden. – Der Wudkoklak hatte den scharfen Zahn in sein Opfer geschlagen. –

*

In der Lokanda Alexos waren bereits zeitig viele Offiziere versammelt, um dem Verhör und Kriegsgericht über den Gefangenen beizuwohnen. Da er in Widdin ergriffen worden, gehörte die Sache zur Entscheidung des Gouverneurs Sami-Pascha. Auf den Betrieb Pisanis jedoch, der die Sache möglichst aus der Nähe der Gräfin zu entfernen wünschte, hatte der Pascha, statt selbst die Untersuchung zu führen, einige Offiziere abgeordnet, um dem Kriegsgericht beizuwohnen, und Iskender-Bey um dessen Abhaltung ersuchen lassen ... Als Pisani die Lokanda betrat, lag zwischen seinen dunklen Brauen eine tiefe Falte, die unheimliche Gedanken verriet. Es fiel ihm nicht ein, den verhaßten Nebenbuhler entwischen zu lassen, aber es galt List und Schlauheit, der Gräfin den Beweis zu bringen, daß er sein Wort gehalten, und der Gedanke, daß ihm dazu eine Verwechselung der Person beider Gefangenen helfen könnte, während die Gräfin nur an den russischen Offizier dachte, lag sehr nahe. Bei der rauhen, wilden Geradheit des ehemaligen Grafen Ilinski fühlte er übrigens, daß er vorsichtig zu Werke gehen müßte, um nicht des doppelten Erfolges verlustig zu gehen.

Das Kriegsgericht war bereits vorüber, und Mungo, der bei seinem Leugnen geblieben war, kauerte zwischen seinen Wächtern im Tschardak, zum zweitenmal unter dem traurigen Todesurteil sich beugend, nur mit dem Unterschiede, daß ihm diesmal die Kugel statt des Strickes zuerkannt worden. Dafür sollte die Exekution schon in einer Stunde vollstreckt werden, und keinen helfenden Freund vermochten seine sehnsüchtigen Blicke zu entdecken. – Der sardinische Graf nahm den Polen, der den linken Arm noch immer in der Binde trug, beiseite. »Ich habe Sie gestern bereits auf einen bessern Fang vorbereitet, Bey,« sagte er ihm, »als Ihre Wachen an dem elenden Kerl dort getan haben. Der russische Offizier, auf dessen Fährte ich Sie gestern brachte, und der sich als Spion in die Festung geschlichen, ist durch einen glücklichen Zufall selbst in meine Hände gekommen, und mein Diener bewacht ihn. Ehe ich jedoch denselben Ihnen überliefere, möchte ich Sie um einen andern Dienst bitten.« – »Sprechen Sie, Freund,« sagte der Bey, dessen Auge bei Erwähnung des gefangenen Russen funkelten. – »Der Bursche, den Sie eben verurteilt haben, behauptet, wie ich höre, ein walachischer Zigeuner und nur auf das bulgarische Ufer gekommen zu sein, um hier Beschäftigung und Unterhalt zu suchen. Der Kerl mag immerhin ein russischer Spion sein, aber er ist jedenfalls sehr untergeordneter Natur und schwerlich den Strick oder das Pulver wert, das an ihn verschwendet wird. Ich habe wichtige Gründe, daß er am Leben bleibt, und bitte Sie, begnadigen Sie ihn und lassen Sie ihn laufen.« – »Zum Henker! Was haben Sie mit dem Lump? Sie wissen, daß nur der Oberbefehlshaber oder der kommandierende General dies jetzt noch tun kann.« – »Ich werde bei Sami-Pascha das Nötige besorgen. Geben Sie nur den Befehl, die Exekution zu verschieben.« – »Das ist leicht, mir liegt an dem Halunken nichts.« Er rief Jakub-Aga und erteilte ihm den Befehl. – »Und nun zu Ihrem Russen!«

»In Beziehung mit diesem habe ich Ihnen gleichfalls einiges zu sagen. Die Offiziere sind noch versammelt, und das Kriegsgericht wird daher keine Weitläufigkeiten weiter veranlassen und kann im Augenblick stattfinden. Ich wünschte jedoch, mein Zeugnis davon ausschließen zu dürfen. Das meines Dieners wird genügen, und bitte Sie, die ganze Sache möglichst der Öffentlichkeit zu entziehen, da Gründe vorliegen, die das zu frühe Bekanntwerden der Gefangennahme des Russen und seines Schicksals sehr nachteilig machen.« – Der Bey schielte ihn von der Seite an; er kannte sehr wohl die geheimen propagandistischen Verbindungen des Sarden, wenn er auch selbst nicht zu den Eingeweihten gehörte, da seiner rauhen Soldatennatur das Intrigieren im Dunkeln zuwider war ... »Meinetwegen. Ich sehe nichts, was Ihren Wünschen entgegenstände. Aber wo ist der Spion?« – »In der Lokanda selbst, – ich lasse ihn in einer der hinteren Kammern bewachen.« – »Vorwärts denn, ich will ihn sehen, und dann wollen wir ein kurzes Ende machen. Meine Agas, haltet Euch bereit zu einer zweiten Auflage unserer Justiz!«

Er winkte Hidaët und ein paar Offizieren und folgte mit ihnen dem Sardinier, der sie mit Alexo, dem Wirt, zu dem Anbau des Hauses führte, in dessen Gemach der unglückliche Offizier eingeschlossen war. – Santa Lucia und Apollony hielten noch immer hier Wache. – » Diavolo!« fluchte der Bandit, »es ist Not, daß Sie uns ablösen, Signor Conte, die Zeit wird uns verflucht lang. Der Bursche spürt, was ihn erwartet, und hat in den letzten Stunden gestöhnt, als fühlte er bereits den Strick um den Hals. Jetzt erst ist er ruhig geworden.« – Der Gesellschaft der Offiziere hatte sich wie zufällig Doktor Welland angeschlossen. Als der Graf den Bericht seines Dieners hörte, empfand er eine jähe Freude, indem der Gedanke in ihm aufblitzte, Kapitän Meyendorf könnte selbst seinem Leben ein Ende gemacht haben, um der Verurteilung als Spion zu entgehen. – »öffne die Tür!« gebot er. Santa Lucia schob die Riegel fort und stieß die Tür auf; der Bey, Pisani und einige Offiziere mit den beiden Wächtern traten ein. –

Ein unerwarteter, schrecklicher Anblick bot sich ihren Augen. – Auf dem Diwan lang ausgestreckt lag der Gefangene, die Hände krampfhaft geballt, die Augen starr, weil aus den Höhlen hervorgetreten, von blauen Rändern umgeben, sonst das Gesicht totenbleich mit einzelnen roten Flecken auf der Stirn und Wangen. Leichte krampfhafte Zuckungen erschütterten zuweilen die ganze Gestalt. – » Przekleçie!« rief der Bey; »hier kommen wir zu spät, der Bursche hat die Pest oder den Typhus!« – Er blieb schaudernd an der Tür stehen. Durch die erschrockene Gruppe drängte sich der Arzt und trat zu dem Kranken, dessen Puls er alsbald ergriff. – »So hat der Tod seine Beute und erspart Ihnen eine Mühe,« sagte der Sardinier hämisch, indem er die traurige Gestalt seines Opfers aus der Ferne betrachtete. »Lassen Sie den Leichnam verscharren, ehe er durch Ansteckung noch Unheil schafft.« – »Nein,« sagte fest der Bey und trat trotz des Schauders in seiner Brust einen Schritt näher, »ich bin zwar jetzt ein Moslem, aber niemand soll sagen, daß Ilinski die Christenpflicht gegen einen wackern Feind vernachlässige. Ich erkenne ihn wieder trotz der Verkleidung und Entstellung an der Wunde auf der Wange, die meine eigene Säbelklinge ihm schlug; es ist der tapfere Offizier, der im Gemetzel des Hohlwegs von Czetate mir standhielt und vielleicht mein Leben rettete. Doktor, wie steht's mit dem Mann?«

»Ich fürchte, das Faulfieber ist bei ihm ausgebrochen.« – »Dennoch soll er nicht sterben wie ein Hund, ohne daß ein Versuch zu seiner Rettung gemacht worden, obschon es das beste für ihn wäre, statt des Schimpfes, als Spion zu enden. Sorgen Sie nach Kräften für ihn.« – »Tun Sie das, Doktor, – ich werde sogleich Befehl geben, daß Träger bereit seien.« – Der tapfere Bey blickte noch einmal mitleidig und schaudernd auf den Kranken und verließ das Gemach; alle folgten ihm eilig, bis auf den Arzt, der – die Hand des Gefährten in der seinen, – einen dankbaren Blick zum Himmel warf.

Stunden waren vergangen, wiederum war der Abend gekommen. In seinen Mantel gehüllt, schritt Doktor Welland durch die schmutzigen Gassen der Stadt hinauf zur Festung. Ein Billet Oberst Pisanis hatte ihn dringend ersucht, um diese Stunde sich einzufinden – die Ursache war ihm noch unbekannt. Nur kurze Zeit war er während des Tages in seiner Wohnung, in der Lokanda, gewesen, um Nursah einige Aufträge zu geben; die übrige hatte er in dem Lazarett zugebracht ... Pisani war anfangs in Zweifel gewesen, ob er die plötzliche Erkrankung seines Nebenbuhlers für einen glücklichen Zufall halten sollte, der ihm eine schlimmere Tat ersparte; die Meinung des Arztes jedoch, daß der russische Offizier in der höchsten Gefahr schwebe und die Kenntnis vom Zustande der türkischen Heilanstalten ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß der Tod ihn von dem Gegner befreien werde, und so richtete er sein Augenmerk allein auf die Täuschung der Gräfin. Mit der von Sami Pascha leicht erlangten Order, den der einfachen Spionage verdächtigen Gefangenen freizulassen, in der Hand, betrat er das Gemach derselben. Am Morgen hatten sie die zu ihrem Dienst befohlenen türkischen Frauen am Boden gefunden und mit Essenzen wieder zum Bewußtsein gebracht. Stillschweigend legte er den Freilassungsbefehl vor ihr nieder, und während ihr Auge den Inhalt überflog und ein leiser Schimmer von Rot wieder die blasse Wange färbte, verriet nichts in seinem Gesicht die Gefühle stolzen Frohlockens und bittern Grolls, die in seiner Brust tobten ... »Sie haben Ihr Wort gelöst – vollenden Sie Ihr Werk und geben Sie dem Unglücklichen die Freiheit wieder! Er möge fern sein, ehe ich ... mein Wort halte. Ich bin bereit dazu – nur gönnen Sie mir Zeit bis zum Abend und – lassen Sie uns dann sogleich diesen Ort verlassen.«

Er versprach kurz, ihre Wünsche zu erfüllen, und schlug ihr vor, sich nach der Trauung sofort nach Belgrad und dann auf ihre Güter am Maros zu begeben, um dort die Verhältnisse zu ordnen, da er eines Urlaubs weiter nicht bedürfe. Sie willigte in alles und fügte nur die Bitte hinzu, den deutschen Arzt mitzubringen, dessen offenes, redliches Gesicht ihr Vertrauen eingeflößt zu haben schien. Der Oberst versprach, daß er einer der Zeugen sein solle. Dann entfernte er sich und überbrachte den Freilassungsbefehl Sami-Paschas – der ja auf keinen bestimmten Namen lautete – dem Bey, der – kurz gebunden in seinen Beschlüssen, – dem Zigeuner eine genügende Tracht Schläge mit den Steigbügelriemen aufzählen und ihn dann durch zwei Soldaten aus der Stadt transportieren ließ mit dem Bedeuten, daß, wenn er sich je wieder darin blicken lasse, ihm Kugel oder Strick gewiß sei ... Nursah – der schwarze Knabe – folgte von fern dem kleinen Zuge. – –

Der Wind vom Flusse her strich eisig durch die winkligen Straßen und über die Wälle und Mauern her, als Welland das Konak des Paschas betrat. Der große Hof war durch Fackeln erhellt, eine Anzahl von Soldaten und Dienern des Gouverneurs auf den Beinen, und der Arzt merkte nicht ohne eine heimliche Freude eine bespannte Araba, möglichst bequem mit einem Deckschirm eingerichtet und in ihrer Nähe eine Eskorte von zehn türkischen Kosaken unter einem Korporal haltend, denn er hoffte nicht mit Unrecht, daß das Fuhrwerk die ungarische Dame aus Widdin führen solle. Noch aber ahnte er nicht, in wessen Begleitung! ... Es war dem Golde und den Bemühungen des Obersten gelungen, einen bosnischen Franziskaner-Geistlichen, der sich in Widdin aufhielt, aufzutreiben und durch reichliches Geschenk zum Vollzuge der Trauung zu bestimmen. Er kannte den Wert des Augenblicks und der günstigen Gelegenheit zu gut, um sich durch irgend eine Schwierigkeit zu einem Aufschub bewegen zu lassen ... Der Doktor wurde auf die Frage nach dem Grafen in das Gebäude zur Seite gewiesen, vor dessen Tschardak die Araba hielt. Als ihn Santa Lucia, der hier Wache zu halten schien, erblickte, eilte er ins Haus, und der Oberst kam ihm alsbald entgegen und führte ihn in ein Seitengemach ... »Welche Nachricht, Doktor, bringen Sie von dem Kranken?« – »Er ist in diesem Augenblick vielleicht schon verschieden.« – »Sie haben mir gestern zwar eine Bitte ziemlich rauh abgeschlagen; ich hoffe aber, daß Sie mir eine andere aus Rücksicht auf die Nerven einer Dame erfüllen werden. Wenn die Gräfin sich nach dem Gefangenen erkundigt, so verschweigen Sie ihr, in welcher Lage er sich befindet, und sagen ihr vielmehr, daß er gerettet sei.« – »Ich werde Ihren Wunsch erfüllen.« – »Haben Sie irgend ein flüchtiges Salz, eine Essenz zur Stärkung der Lebensgeister bei sich? Die Gräfin ist nicht wohl und bedarf Ihres Beistandes.« Der Arzt bejahte. »Wohl, so bitte ich Sie, mir zu folgen. Doch erinnern Sie sich, daß Sie wenigstens im Schweigen mir Gehorsam schuldig sind.«

Er führte ihn in ein größeres Gemach, wo bereits mehrere Personen versammelt waren: Iskender-Bey mit seinen beiden Adjutanten und Major Wersbitzki, der Kommandant der türkischen Kosaken mit einem seiner Offiziere. Alle grüßten ihn freundlich, und der Bey erkundigte sich sogleich nach dem russischen Kapitän ... Der Doktor wiederholte die Worte, die er dem Grafen gesagt ... Es blieben ihnen nur wenige Augenblicke der Unterhaltung; dann führte der Oberst, der sich durch eine zweite Tür entfernt hatte, an seiner Hand die Gräfin Helene in das Gemach. Hinter ihnen drein kam der Franziskaner. – Erst jetzt bemerkte der Doktor, daß in einer Ecke des Zimmers ein weißbehangener Tisch mit Lichtern und einem Kruzifix ausgestellt war.

Die schreckliche Ahnung der Wahrheit überkam ihn ... Mit fester, klarer Stimme nannte der Oberst den Namen der Dame, und stellte ihr die anwesenden Männer vor, die sie, die türkischen Manieren abstreifend, mit aller Courtoisie ihrer Nationalität begrüßten. Helene Laszlo war bleich und ruhig; nur der aufmerksamste Beobachter hätte beobachten können, daß in dem unruhigen Heben ihres Busens, in dem Zucken der blassen Lippen der Schmerz kämpfte. Ein feiner türkischer Schleier, von dem Scheitel ausgehend und die zierliche Gestalt fast bis zu den Füßen in leichter Wolke umfließend, war das einzige, was sie schmückte.

Plötzlich schien sie einen Entschluß zu fassen – und den Gegenstand der Konversation abbrechend, wandte sie sich an den Bey und sagte rasch:

»Sie haben heute morgen ein trauriges Geschäft gehabt, Herr, eine Verurteilung – ich höre, der Gefangene ist jedoch begnadigt?« Ihre Stimme zitterte bei der Frage. – »Begnadigt und frei, – ein höherer Wille machte, daß er seiner Strafe entging.« – »Auf Ihr Ehrenwort also – er ist frei?« – »Gewiß – wahrscheinlich schon längst über die Donau. Aber was interessiert Sie der russische Spion, Gräfin –« Der Oberst unterbrach ihn, besorgt, daß ein Wort zu viel gesagt werden könne ... »Die Gräfin hörte davon und ersuchte mich aus Mitleid um meine Verwendung. – Doch es ist Zeit. Wollen Sie Ihren Zeugen wählen, Helene?«

Die Renegaten traten unwillkürlich einen Schritt zurück, die Heiligkeit des verlassenen Glaubens überkam sie, – nur der Major der Kosaken mit seinem Adjutanten und der Arzt waren Christen unter der Gesellschaft ... Zu dem letzteren trat die Gräfin und bot ihm die Hand. Er stand etwas entfernt von der Gruppe der Offiziere und hatte die schöne Frau mit großer Aufregung betrachtet, offenbar ungewiß, was er beginnen sollte. – »Wollen Sie mir Ihren Beistand leihen, mein Herr, auf diesem – schweren Gange?« – »Um Gottes willen, Gräfin, haben Sie meinen Brief durch meinen schwarzen Diener nicht erhalten?« – »Ich habe nichts erhalten, mein Herr! – oder täuscht man mich,« ihre Augen belebten sich – »ist er nicht gerettet? ist er gemordet?« – »Er ist gerettet, Gräfin, auf das Wort eines ehrlichen Mannes, aber ...« »Das ist genug,« unterbrach sie ihn bitter, – »weder Sie noch ich ändern mein Schicksal, das ich freiwillig gewählt. So kommen Sie denn!«

Sie reichte fest und entschlossen dem mißtrauisch herantretenden Obersten den Arm. Im Vorübergehen traf sein dämonisches Auge finster und drohend den Arzt, der schon den Fuß erhoben, die Lippe geöffnet hatte, um sie nochmals zu warnen. Er fühlte, daß er hier kein Recht mehr habe, daß jedes Wort ihn selbst und den Mann, der sich ihm anvertraut, verderben konnte. Ein bitterer, teilnehmender Schmerz wühlte in seinem redlichen Herzen, während er die Stimme des Mönchs die Gebete der katholischen Kirche murmeln hörte. – Der Wudkoklak hatte sein Opfer! –

*

In einem scheunenartigen Gebäude, einem nach der Donau zu offenen Quadrat in der Nähe von Negotin, das früher als Pferdestall gedient, war das Lazarett für die Truppen von Widdin und Kalafat aufgeschlagen. Erst dem energischen Einschreiten des deutschen Arztes war es gelungen, diese Räume einigermaßen zu sichten und in zwei Abteilungen zu sondern. Die eine war jetzt für die Verwundeten – die andere größere für die Kranken bestimmt. Ein Binsendach deckte den wohl hundert Schritt langen Raum, von nackten Balken getragen, die sich auf die leeren Wände stützten ... Es war kalt – schauerlich kalt in der Januarnacht in diesem öden Raum! Rechts und links in zwei langen Reihen befanden sich lange Strohlager, mit Decken und Mänteln überdeckt – hin und wieder einzelne Kissen. Aber das Stroh war faul – modrig – stinkend, es wurde in Wochen kaum erneuert, und durch Decke und Wände pfiff der Wind, brachen Regen und Schnee herein. Die Feuchtigkeit rieselte in der Mitte zusammen und bildete modrige Tümpel.

Draußen unter dem Sterndache des Winterhimmels lag eine frische, durchsichtig dunkle Luft über der Erde – im Innern dieser Höhle des Jammers aber lagerte eine dumpfe, schwüle Atmosphäre, der giftgeschwängerte Dunst des Todes und der Ansteckung, ein gelbgrauer Nebel, den die zahlreichen Lampen, die im Innern brannten, nur matt zu erhellen vermochten. Auf diesem Stroh, in langer Reihe nebeneinander, lagen dicht zusammengedrängt an vier- bis fünfhundert Menschen in jedem Stadium der körperlichen Auflösung. Der Schmerz in jedem Ton – vom leisen Wimmern bis zum gellenden Ausschrei des Unerträglichen – das Leiden von der Apathie bis zur gotteslästerlichen Verzweiflung – das Sterben vom stillen Hinschwinden aller Kräfte bis zum wütenden Kampf der Muskeln und Nerven gegen den alles verschlingenden Tod – alles war vereint in dieser feuchten, pestschwangeren Atmosphäre.

Zumeist in ihren Kleidern – Lumpen, die vom Leibe faulten, von Ungeziefer wimmelten, – lagen die Kranken; glücklich, wer eine Decke gewann, in die er sich hüllen konnte gegen den Frost. Vom Leibe des Sterbenden riß sie die Hand des Nebenmannes; dem tapfern Kameraden, der vielleicht vor wenigen Tagen in der blutigen Schlacht den drohenden Hieb aufgefangen, gönnte der Gerettete jetzt nicht die letzte Bequemlichkeit des Sterbens!!

Der Typhus ist eine schreckliche, die Säfte des Lebens zersetzende Krankheit, aber auf die Seele wirkt er gleich dem Traume der Fata Morgana, und das Delirium führt die Phantasie in die unermeßlichen Räume. Visionen, Wahrsagungen, erotische Bilder, somnambule Kräfte und Erscheinungen wechseln bunt in der Glut des Fiebers oder der Abspannung der Nerven ... Was sollten unter diesen fünfhundert Kranken höchstens zwei wissenschaftlich gebildete Ärzte, von denen noch dazu der eine als Oberarzt die Station der Verwundeten zu beaufsichtigen hatte? Die Anstrengungen, die Doktor Welland gemacht hatte, um einige Ordnung in dies Chaos von Leiden und Schmutz zu bringen, waren riesenhaft, aber sie erlahmten an der gänzlichen Unfähigkeit seiner europäischen Gehilfen und der Gleichgültigkeit der türkischen. Die Unterärzte und Apotheker bestanden im glücklichsten Falle aus verlaufenen Barbiergesellen, aber auch das war nur Ausnahme, und größtenteils rekrutierten sich dieselben aus den verschiedensten Ständen, ohne all und jede Kenntnis, bloß weil sie die Eigenschaft eines Franken besaßen und der Türke glaubt, jeder Franke sei ein geborener Arzt.

Die dunklen Gestalten der sogenannten Wärter – meist Mohren – huschten durch das Lazarett. Ihre Ohren waren taub gegen das Flehen der einzelnen um einen Trunk Wasser, um irgend eine Erleichterung seines hilflosen Zustandes. Von Strecke zu Strecke stand eine Bütte mit trübem Donauwasser; die Moslems krochen still dahin und tranken; wer nicht mehr die Kraft hatte, verdurstete. Aber die dunklen Wärter waren nicht ohne Beschäftigung. Der Tag hatte aufgeräumt unter den Kranken, und die Leichen mußten entfernt werden, um den neuen Ankömmlingen am andern Morgen Platz zu machen. Umstände wurden mit den Toten nicht gemacht. Ein eiserner Haken in den Bund oder das Gewand – wenn nicht ins Fleisch – geschlagen, ein Strick daran oder um die Füße gebunden, so wurden sie durch den langen Gang der Mitte bis zum Ende des Gebäudes geschleift, wo ein großer Verschlag zur Aufnahme der Leichen bestimmt war, bis am andern Morgen die Totengräber der Armee auf ihren Karren sie holten und in die weiten Gruben auf dem offenen Felde warfen, die zu diesem Ende von den bulgarischen Bauern gegraben werden mußten. Um sie her irrte nachts der Schakal, den Schnee, Kälte und Witterung aus den Gebirgen herab in die Ebene führte, und sein klagendes Geheul war das einzige Totenlied der Begrabenen!

Zwei Männer, ein älterer Moslem und ein blutjunger, kaum achtzehnjähriger Franke, schritten im Gespräch durch die Aristokratie dieses Jammers, die Abteilung der Feldbetten. Beide waren in lange, talarartige Wachstuchmäntel gehüllt und trugen einen Schwamm mit Essig getränkt in der Hand. Aber ein besseres, beliebteres Hilfsmittel, die Rum- oder Rakihflasche, lugte aus ihren Taschen, und der schwankende Gang, das gerötete Antlitz des Jüngeren, wie der starre Blich des andern verkündeten, wie häufigen Gebrauch sie bereits davon gemacht ... Bei dem vorletzten Bett in der Reihe nach dem allgemeinen Lager hin blieben sie stehen, – es war durch die Vorsorge des Oberarztes in einem etwas bessern Zustande als seine Nachbarn. Neue reine Linnen waren über eine frische Strohunterlage gebreitet, eine zottige siebenbürgener Decke schützte den Kranken gegen die Kälte ... Dieser Kranke war der russische Kapitän, Baron von Meyendorf.

Bald nach seinem Transport in das Lazarett war der Offizier von dem Arzt durch die Anwendung narkotischer Mittel aus dem krankhaften Zustande erweckt worden. Als er zur Besinnung kam, betäubt und angegriffen, war der deutsche Arzt an seinem Lager mit den beiden Männern, seinen Gehilfen, die eben jetzt wieder dem Bette sich nahten. Ein rasches Zeichen der Verständigung hatte dem Offizier Schweigen empfohlen, und er hörte mit an, wie der Doktor seinen Begleitern die Krankheit des Kapitäns als eine der furchtbaren Faulfieber beschrieb, die namentlich in den russischen Lazaretten zu wüten pflegten ... Hier lag nun der Offizier den ganzen Tag, von dem Arzte, so viel es seine Tätigkeit erlaubte, unterstützt, der unter der Form von Medizin ihm häufig starken Wein zur Erfrischung brachte. Alles Elend der Welt schien sich um ihn konzentriert zu haben, und wie der Aufenthalt unter Wahnsinnigen selbst den gesündesten Geist an sich selbst irre macht, so weckten die wilden Fieberphantasien der Kranken und Sterbenden um ihn her zuletzt seine eigene zu wirren, ausschweifenden Bildern, denen er sich mit Aufbietung aller Seelenkräfte kaum zu entreißen vermochte ... Noch schrecklicher gespensterhafter wurde diese Umgebung, als der Abend nahte. Der Doktor hatte ihm angekündigt, daß er ihn verlassen müsse, um alles zu seiner Flucht vorzubereiten, und daß er zu einer bestimmten Stunde ein neues, ihn nach und nach betäubendes Mittel erhalten solle, das ihn in jenen Zustand versetzen würde, der zur Ausführung seines Planes von nöten war ... Jetzt war die Stunde gekommen, und die Gehilfen des Doktors, die während seiner Abwesenheit die Aussicht und Wache hatten, nahten in ihrem an und für sich schon schauerlichen Aufzuge, gegen den die Ärzte im Vorgemach des Lazaretts ihre Oberkleidung vertauschten, seinem Lager.

»Es sind heute nur achtundvierzig gestorben, Brüderchen,« sagte der junge Gehilfe mit schwerer Zunge, indem er sich auf den Moslem stützte. »Schade, daß das halbe Hundert nicht voll ist. Aber ich rechne darauf, ehe der Doktor kommt. Schau den da an ... was nutzt ihm die Medizin, die wir ihm noch geben sollen? morgen früh tanzt er doch mit deinen Huris im Paradiese.« – »Was für Kot sprichst du da, Freund,« erwiderte der Türke. »Die Gläubigen sind nicht da, um zu tanzen, das überlassen sie den tollen Christen und den Almeen. Die Gläubigen sitzen auf weichen Kissen, lassen sich von zehntausend der schönsten Huris bedienen und schlürfen den goldenen Wein von Cypern.« – »Das muß höllenmäßig schön sein! Als ich noch Schneider und Bartkratzer in Livorno war, hätte ich mir's im Leben nicht träumen lassen.« – »Unsere berühmtesten Wessire waren in ihrer Jugend Barbiere,« entgegnete andächtig der Türke. »Mashallah! was willst du noch mehr? Ich habe gesprochen.« – »Und, diavolo! ich durste verzweifelt in dieser abscheulichen Luft. Freund Ali, gib mir deine Flasche her, die meine ist leer. Du hast sie mir ausgetrunken.« – »Das ist eine Lüge! Du hast's getan!« – »Du bist ein Esel, Freund, besinne dich!«

Ein wilder, verzweifelnder Schrei furchtbaren Schmerzes gellte zwischen den eklen Zank, – ein junger Soldat vom Korps der türkischen Kosaken, der zwei Betten von dem Kapitän entfernt lag, hatte ihn ausgestoßen ... »Wasser! Bei der Barmherzigkeit Gottes! Wasser!« –

Der ehemalige Barbierbursche stieß trunken seinen Gefährten an. – »Ich kenne das. Erst haben sie Durst, dann kommt das Delirium, und dann holt sie der Teufel. Es ist was Trübseliges, solchen Durst zu haben. Nummer neunundvierzig!« Der Jammerruf des Soldaten wiederholte sich und verstummte dann in ein stöhnendes, wimmerndes Gurgeln. – »Es ist Zeit, daß wir dem Burschen da die Medizin geben, sonst schilt uns Signor Wellando und sieht uns auf die Finger wegen des verbotenen Rums!« – »Ich spucke auf seinen Bart.« – »Den Teufel tue ich! er sieht mir nicht danach aus, als ob er sich's gefallen lassen würde. Gib mir die schwarze Medizin da her, Ali! Ich möchte nur wissen, weshalb unser Kollege so viel Umstände mit dem Lumpenkerl hier macht.« – »Du irrst dich, Effendi! er soll die weiße haben.« – »Schuft von einem Scharfrichter! willst du ihn mit Gewalt umbringen? Die weiße ist Gift.« – »Ne apalum! was kann ich tun? Die schwarze enthält das Gift.« – »Wirst du schweigen, Schafkopf! Ich sage dir, die weiße ist's.« – »Gott ist groß. Wenn es sein Kerim ist, daß es ihm nicht schaden soll, wird sie ihm nicht schaden.«

Der Barbier goß schwankend die dunkle Flüssigkeit in ein Gläschen, als einer der Mohren ihn anstieß, der eben mit seinem Gehilfen eine Leiche an ihm vorüberschleppte. – »Lumpenhund! Du hast mich die ganze Medizin verschütten lassen!« Er schlug ihn mit der Flasche ins Gesicht, daß der Schwarze heulend den Toten fallen ließ und die Leiche im Gange liegen blieb. – »So gib die weiße Medizin jetzt, o Hekim-Baschi.« – »Es wird sich gleich bleiben,« sagte der Trunkene. »Sterben muß er doch.« – Damit nötigte er dem Kapitän die Medizin ein. Zum Glück hatte dieser die Instruktion des Arztes mit angehört und wußte, daß es die richtige war.

Die Trunkenbolde zogen weiter; die Leiche blieb liegen, dicht neben dem Lager des Offiziers, und die großen verglasten Augen schienen ihn in dem Halbdunkel gespensterhaft anzustarren ... Erst überkam ihn nach der Medizin ein eigentümliches Gefühl des Wohlbehagens, – eine gewisse Ruhe und Apathie legte sich auf seine erregten Nerven. Nach und nach ging dies Gefühl in leichte, jedoch nicht unangenehme Kälte über. Ihm war wie einem im Schnee Erfrierenden, dessen Glieder langsam und unmerklich absterben. Sein Gehör vernahm selbst die flüsternden Laute der Leidenden in großer Entfernung. Der verzweifelnde Ruf nach Wasser gellte wie Sturmesbrausen in sein Ohr ... – »Es ist nur ein Gott und Mohammed ist sein Prophet!« Abdallah, der Damascener, hatte den Ruf getan: wie eine Gotteslästerung klang er hinein in das Toben und Reden des Deliriums, in das die sinkende Abendstunde viele versetzt hatte ... Die von dem korsischen Banditen verwundete Hand hatte den Asiaten in das andere Lazarett geführt und dort ihn der Typhus befallen ... »Gold, heiliger Prophet, – rotes, blinkendes Gold! Ich sehe das Paradies offen mit seinen sieben Himmeln, – die Stufen hinauf sind von Gold, von reinem, klarem Gold ...« – »Fluche mit nicht, Mütterchen,« wimmerte der junge Mann zur Linken; »o, ich weiß wohl, Mutter, daß ich dir das Herz gebrochen, und die Tränen der Schwestern und die strengen Augen klagten mich an, als du so weiß im schwarzen Sarge lagst, – o fluche mir nicht, Mutter! Eine Mutter kann dem Erstgeborenen nicht fluchen, den sie unter dem Herzen trug.« – Auf seinem Lager von moderndem Stroh hatte sich ein Mann emporgerichtet; der lange Haarbusch des Albanesen fiel über sein todbleiches Gesicht, aus dem nur die schwarzen Augen mit unheimlicher Lüsternheit funkelten ... »Heiliger Prophet! Du erfüllst meine Sehnsucht. Ich sehe sie vor mir mit all ihrer Herrlichkeit, Fatinitza, die Wölfin von Skadar, der ich nur einmal ins Antlitz geschaut, wofür meine Füße die Bastonade litten, bis sie zu Brei wurden. Heiliger Prophet! Ich sehe Fatinitza, die Huri, und siebentausend Huris um sie her. Wie ihre brennenden Augen Wollust strahlen und das Gehirn in meinem Haupte versengen! Ihre Lippen sind wie die Rosen von Eden, ihr Busen wie der Marmor von Skyos. Ihr Atem ist Duft und ihre Hüften sind wie Kissen, – heiliger Prophet! laß mich ruhen in ihrem Arm!« – »Ich sehe das Gold und die blitzenden Steine ... wo ich hinsehe, ist Gold, rotes Gold, und der flüssige Strom kommt auf mich zu ... o, daß ich tausend, tausend Hände hätte – – – – – – –

Eine singende Stimme wie aus weiter Ferne schlug an sein Ohr, – er konnte den Kranken nicht schauen, aber er fühlte das Unheimliche dieser Stimme, die klang wie ein Grabgesang. Der Unbekannte mit dem Traumgesicht sang sein Totenlied bald in italienischer, bald in slavonischer Sprache – unheimlich – furchtbar klangen die Worte – »Der Geier schwebt über dem Lamm – der Wudkoklak wetzt seine weißen Zähne, um sie in das Blut des lebendigen Weibes zu schlagen. Ich schaue dich, Frau, wie dein weißer Körper sich windet in den Krallenarmen des bösen Vampirs. Aber seine teuflischen Augen haben dich berauscht und deine Kraft vernichtet!« – – – –

Der Offizier rang mit den grausamsten Phantasien, die auf ihn einstürmten und seine Sinne verwirrten; aber immer kälter und fester legten sich die Bande der Erstarrung über seinen Körper und das Leben schien nur noch in seinem Herzen und seinem Gehirn konzentriert.

»Die Kerle machen einen Höllenlärm. Haltet eure Mäuler, Kanaillen, oder es geht euch schlimm!« tobte der trunkene Barbier. – »Es sind Tolle; sie wissen nicht, mag sie reden,« sagte der andere ... und sie untersuchten die Kranken, indem sie sie mit Hilfe eines Stockes aufstörten. – »Leuchte hierher, Mustapha, du schwarzer Hund!« sagte der Barbier zu dem begleitenden Mohren. »Da – der ist für euch – und hier der On-Baschi auch, der so viel gejammert hat. Der Kerl gebärdete sich wie eine junge Dirne, die mit einem Alten die Brautnacht feiern soll.« – »Mein Bruder, schaue den Mann, den der Hekim-Baschi uns empfohlen; ich glaube, auch seine Zeit ist gekommen.« – » Per bacco – wahrhaftig; da hätten wir einen über die fünfzig! He, Freund, lebst du oder bist du tot?« Er stieß den Kapitän mit dem Stock an. Der Körper rührte sich nicht; das Auge blickte starr wie das einer Leiche ... Und dennoch wohnte Leben und Bewußtsein in dem toten Körper, dessen Glieder wie durch Starrkrampf oder vollständige Lethargie gefesselt waren ... »Schleppt das Aas weg, – fort mit ihm in die Totenkammer ... weshalb haben wir uns abgemüht mit dem Burschen?« – »Allah wollte seinen Tod. Gib mir die Flasche, mein Bruder.«

Die Neger, die bereits die beiden andern Leichen fortgeschafft hatten, rissen den Körper vom Lager und zerrten ihn durch die Reihe der Kranken nach dem Verschlag am Ende des Ganges – der Vorratskammer der Leichen. Dort ließen sie ihn auf dem kalten Boden liegen ... Dunkle Nacht ringsum, – die Augen, die er nicht zu schließen vermochte, schauten nur schwarze Finsternis; auf der Brust, die der Atem nicht mehr hob, lastete dennoch wie ein schwerer Alp der ekle Dunst der Verwesung ...

So lag er stundenlang – über sein Antlitz und seine Hände huschte die feuchte Kälte der Ratte – um die dünnen Wände des Verschlages heulte draußen der Schakal, vom Leichengeruch getrieben, und aus dem Lazarett tönte und wimmerte der Schmerz ...

Dann flimmerte ein matter Lampenschein durch das Gemach, – zwei Neger schlichen herein und begannen die Leichen zu durchsuchen. Es ist eine bekannte Sitte, daß der arme türkische Soldat seinen geringen Sold und seine Beute in jeder Weise zusammenspart und hungert und durstet, um seinen kleinen Schatz zu vermehren, den er stets am Leibe verborgen trägt. Deshalb durchsuchten – obschon es streng verboten war, nochmals die Wärter des Lazaretts die Leichen und die eklen Lagerstätten. – Der Schein ihrer Leuchte fiel auch auf das Antlitz des Kapitäns, und ihre gierigen Hände plünderten seine Taschen. Da er aber seine Habe dem Knaben Nursah anvertraut hatte, fanden die Leichenräuber nichts als einen kleinen Ring am Goldfinger seiner linken Hand; der Widerstand, den er unwillkürlich zu leisten suchte, als sie den Reif mit Gewalt abzogen, sprengte endlich die Erstarrung seines Körpers, und während sie mit der gewonnenen Beute sich entfernten, fühlte er wieder Leben und Bewegungsfähigkeit in seine Glieder treten. Es war wieder dunkel um ihn her, als er sich mühsam auf den Ellenbogen aufrichtete und seine geistigen Kräfte zu sammeln suchte, auf denen es wie ein dumpfer Nebel gelegen, durch den hindurch er alle Vorgänge um sich bemerkte. Er fühlte, wie das furchtbar Schauerliche seiner Lage, die entsetzliche Umgebung desto mehr auf ihn wirkte, je mehr er zu vollem klarem Bewußtsein zu gelangen suchte, und daß, wenn er noch lange in dieser Situation bliebe, Wahnsinn und Tod sein Los sein mußte. Mit Gewalt kämpfte er gegen die wüsten Bilder, die wieder seinen Geist zu verwirren drohten, gegen die schaurige Kälte, die durch die Glieder herauf an sein Herz griff.

Da wiederum öffnete sich die Tür des Lazaretts, und nochmals fiel der düstere Schein einer Lampe auf die Stätte des Todes. Der Offizier hatte noch Kraft genug, sich wieder auf den Boden zurück und in die Lage eines Toten zu werfen, aber diesmal war es nicht mehr nötig – der Eintretende war Doktor Welland ... Ein tiefer, schwerer Seufzer löste sich von der Brust des Offiziers, als er den Retter erkannte ... »Um Gottes willen, Kapitän, wie fühlen Sie sich? – Die betrunkenen Schurken, meine Gehilfen, haben Sie, meinen strengen Befehlen entgegen, an diesen Ort des Entsetzens eher bringen lassen, als es nötig war. Ich wurde verhindert, früher wieder hier zu sein. Mut! Mut! und raffen Sie Ihre Kräfte zusammen.« – Er hatte die Lampe auf den Boden gestellt und hielt ihm ein Flacon mit scharfen ätherischen Salzen unter die Nase, die eine heftige Erschütterung der Nerven hervorriefen. Dann übergoß er ihn mit einer Flut von Eau de Cologne und wusch ihm Stirn und Schläfe damit ... »Können Sie sich erheben, Kapitän?« – »Ich hoffe es – eine Stunde länger in diesem scheußlichen Aufenthalt wäre mein Tod gewesen.«

Er richtete sich mit Hilfe des Arztes empor, doch mußte er sich schwer auf diesen stützen, seine Beine versagten ihm fast den Dienst, schwer wie Blei lag es in seinen Gliedern und auf seinem Gehirn ... »Das ist die Wirkung des Laudanums, die frische Luft wird Ihnen gut tun. Kommen Sie, Herr!« – Er schleppte ihn nach einer gegenüberliegenden, ins Freie führenden Tür. Dort hob er den Holzriegel, der sie von innen verschloß, löschte die Lampe und öffnete dann die Pforte; die frische, scharfe Winterluft von der Donau her drang ihnen entgegen.

Der Arzt zog den Befreiten um die Ecke des Gebäudes, wo Nursah, in eine wollene Decke gehüllt, kauerte. – »Verweilen Sie hier und lassen Sie unbehindert die Nachtluft durch Ihre Kleidung streichen. Riechen Sie von Minute zu Minute an dieser belebenden Essenz. Ich muß die Spuren Ihrer Flucht vertilgen und dieses Lazarettkostüm ablegen. Dann hole ich Sie hier ab.« Damit verschwand er in der Tür des Leichenhauses und verschloß dieselbe wieder von innen.

Der Russe lehnte erschöpft an der Wand des Gebäudes, während der Knabe Nursah seine Hand erfaßte und ihm Mut zusprach. Nach einer Viertelstunde, während die rauhe Nachtluft den Kapitän durchkältet, dagegen auch die Betäubung seines Geistes einigermaßen erleichtert hatte, kehrte der Arzt, in seinen Mantel gehüllt, um die äußere Seite des langen Gebäudes zurück ... »Nun fort, denn ein unglücklicher Zufall könnte hier unsere ganze Mühe vereiteln. Zuvor noch einen tüchtigen Schluck aus dieser Flasche, Kapitän! und dann hüllen Sie sich in die Decke Nursahs und stützen Sie sich auf mich! Voran, Nursah, du weißt den Weg.« – Damit faßte er den Kapitän unter den Arm und führte ihn mit sich fort, während der schwarze Knabe etwa zweihundert Schritt vor ihnen herging, querfeldein von der Donau und der Straße nach Negotin ab.

Sie waren an mehreren Posten vorbeigekommen, denen der Arzt die Parole zurief. Dem Offizier einer entgegenkommenden Patrouille sagte er ruhig, daß ein Baschi-Bozak ihn zu dem Arnauten-Aga gerufen, der im Lager der Irregulären erkrankt sei, und da die Tätigkeit des französischen Hakim-Baschi in ganz Widdin bekannt war, ließ die Patrouille die kleine Gruppe ungehindert passieren, die jetzt im Schatten eines Hohlweges sich von der Stadt abwandte.

Nach einem halbstündigen Gange, während dessen der russische Offizier stumm alle Kräfte angestrengt hatte, um seinen Rettern zu folgen, erreichten sie eine Gruppe von Bäumen, in deren Schatten dunkle Gestalten sich bewegten. Nursah pfiff leise, und das Signal wurde sofort erwidert. Näher hinzutretend, fanden sie hier zwei Männer mit drei Pferden, Mungo, den Zigeuner, und einen bulgarischen Knecht des Schenkwirtes Gawra. Der Zigeuner gebärdete sich wie unsinnig, als er seinen Herrn wiedersah; er umarmte seine Füße und küßte seine Hände, und Kapitän Meyendorf, der jetzt seine volle Besinnung wieder erlangt hatte und dem nur ein dumpfer Kopfschmerz und eine große Schwäche der Glieder zurückgeblieben war, mußte sich mit Gewalt von ihm losmachen, denn der Arzt drängte zur Eile ... »Hier,« sagte er, »ist Ihre Brieftasche und die Börse zurück, die Sie mir in der Lokanda Alexos anvertrauten. Aus der letzteren habe ich Wiener Banknoten im Betrage von fünfhundert Gulden genommen, denn ich mußte dem Schenkwirt den Wert für die Pferde sicher stellen, und ich selbst bin nicht so reich, um das aus eigenen Mitteln tun zu können. Im übrigen finden sie alles unversehrt; der Knecht Gawras kennt alle Schlupfwege und wird Sie durch die türkischen Linien über den Timok auf serbisches Gebiet bringen, wo Sie gerettet sind. In drei Stunden scharfen Rittes, also mit Tagesanbruch können Sie dort sein. Ich rate Ihnen, im ersten serbischen Dorf, das sie erreichen, ein langes türkisches Bad zu nehmen und Ihre Kleidung mit jeder beliebigen, die dort zu haben ist, vollständig zu wechseln. Leben Sie wohl, Herr!«

Der Kapitän erfaßte seinen Arm und führte ihn einige Schritte abwärts von der Gruppe, die sich zum Abtritt fertig machte. – »Wie soll ich Ihnen danken für das, was Sie für einen Fremden getan, der Sie wenigstens um die Gunst Ihres Namens bittet, um stets sich an seinen Retter erinnern zu können.« – Der Arzt nannte ihn freundlich ... »Und nun noch eines, Doktor Welland,« sagte der Offizier erregt, indem er die Hand des Deutschen in der seinen drückte. »Sie versprachen mir, die Gräfin Laszlo von meinem Schicksal in Kenntnis zu setzen und sie in der widrigen Lage, in der sie sich eben befindet, nicht zu verlassen ...« – »Die Gräfin,« sagte der Arzt – und seine Stimme vibrierte in schmerzlicher Erinnerung, »die Gräfin weiß, daß Sie gerettet sind.« – »Und sie selbst?« – »Die Gräfin hat bereits Widdin verlassen und wird früher die serbische Grenze in anderer Richtung passieren, als Sie – aber –«

»Sprechen Sie, Doktor, ich beschwöre Sie!« Der Arzt reichte ihm ein versiegeltes Blatt. – »Ich habe Ihnen hier alles Weitere aufgeschrieben, was Ihnen zu wissen nötig ist. Ich verlange jedoch Ihr Ehrenwort, daß Sie das Blatt vor zwölf Stunden nicht öffnen und sich bis dahin allen meinen Anordnungen fügen.« – »Sie sind mein Retter und ich gebe es, doch warum ...« – »So sitzen Sie jetzt auf und machen Sie sich auf den Weg. Leben Sie wohl, Herr, und ehren Sie die Hand des Allmächtigen in Ihrer Rettung und fügen Sie sich seinen Wegen.«

Der Kapitän saß auf dem Pferde ... »Wenn nur Helene Laszlo gerettet ist! ich bin ein Mann und habe die Kraft, zu tragen und zu kämpfen.« – Nursahs Hand reichte ihm die Revolver-Pistole ... »Behalte sie, Knabe, es ist das einzige Andenken, das ich dir geben kann.« – Er fühlte schwere, warme Tropfen auf seiner Hand. – »Du weinst, Knabe?« – Nursah schluchzte, und der Offizier schaute wild auf Herrn und Diener.

»Was ist geschehen, Doktor? – Sie verschweigen mir ein Unheil ...« – Doch der Arzt hatte Mungo, dem Zigeuner, gewinkt und dieser des Kapitäns Pferd bereits am Zügel. – »Leben Sie wohl, Herr, und nun vorwärts.« – Hinweggerissen von seinen beiden Begleitern, jagte der Gerettete davon, und die Hufschläge verklangen bald in der Ferne ... Der Arzt faßte seines jungen Dieners Hand. – »Komm, Nursah – er ist gerettet, und wir wollen uns einer guten Tat erfreuen, die der dort oben uns vergelten wird.«

Der Knabe weinte. – »Das Leben ist gerettet, Herr – aber er wird es verachten um den Preis, den es gekostet hat! O daß ich nicht zu ihr zu dringen vermochte, als es noch Zeit war für sie und ihn!«


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