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Zweites Kapitel.
Oltenitza.

I. Des Donners Grollen.

Ein glänzender Ball beim preußischen General-Konsul in den Donau-Fürstentümern hatte am 31. Oktober, demselben Tage, an welchem Kaiser Nikolaus das Kriegsmanifest an sein Volk erließ, eine Anzahl Offiziere des russischen Heeres und die Elite der vornehmen Welt von Bukarest versammelt. Herr von Meusebach, einer der wenigen Glücklichen, die sich für mutiges und konservatives Auftreten in den Sturmjahren von achtundvierzig und neunundvierzig eines offiziellen Dankes zu erfreuen hatten, wenn auch hors de Berlin durch eine Mission ins Land der Wilden oder Halbwilden, hat seine gemütliche oder furchtlose Ruhe, mit der er einst der erbitterten Linken das Mene Tekel: »Die Versammlung riecht nach Leichen!« von der Tribüne entgegen warf, auch unter den Bojaren bewahrt und vertritt dort die Flagge seines Königs, wie schon mehrere Gelegenheiten bekundet haben, würdig und nicht ohne Glanz. Junggesell, mit Vermögen und von lebenslustigem Charakter, hat er sich vielfach den orientalischen Sitten bequemt und bildet einen Zentralpunkt für den geselligen Verkehr der Fremden und Einheimischen in Bukarest.

Inzwischen hatten etwa 77 000 Mann der russischen Armee den Pruth überschritten, nämlich das vierte Korps, eine Division und die Reiterei des fünften, und das war natürlich eine zu geringe Macht, um damit einen Krieg gegen die Türken zu führen. Eine Division des fünften rückte später nach Odessa nach, und erst als die Ereignisse zeigten, daß die Türken den Kampf aufnehmen würden, erhielt das dritte russische Armeekorps, geführt vom General von Osten-Sacken, Befehl, die Armee zu verstärken, und rückte in Eilmärschen nach der Moldau, die sein Vortrab am 14. November betrat. Fürst Gortschakoff hatte sein Hauptquartier teils in Bukarest, teils in Budeschti, einem kleinen Flecken zwischen Bukarest, Giurgewo und Oltenitza, etwa fünf Meilen von dem ersteren, drei von dem letzten Orte entfernt, genommen. Der linke Flügel dieser Aufstellung in der Wallachei stand unter dem Kommando des Generals Anrep, auf Kalarasch gestützt, den Türken bei Silistria gegenüber, während General Lüders die Moldaugrenze bei Galacz besetzt hatte. General Dannenberg hielt die Mittellinie an der Donau und Giurgewo, Rustschuk gegenüber, und General von Fischbach den rechten Flügel an der Aluta bis Krajowa gegen Kalafat, nachdem man törichterweise den Türken gestattet hatte, sich hier festzusetzen. Fürst Gortschakoff behielt, wie erwähnt, die Reserve des Mitteltreffens bei sich, und die russischen Truppen waren durch das strategische Talent des Generalstabs-Chefs Generals von Kotzebue so geschickt aufgestellt, daß es von dem durch die Natur so überwiegend begünstigten bulgarischen Ufer doch nicht möglich war, ihre Verteilung und Bewegungen zu erspähen, während andererseits vierundzwanzig Stunden genügten, um 30 000 Mann russischer Truppen auf einem der Hauptpunkte zu konzentrieren.

Auf türkischer Seite befand sich das Hauptquartier und der Zentralpunkt der Operationen gegen die Donau in Schumla, doch war in diesem Augenblick Omer-Pascha bereits an der Donau im Zentrum der Stellung eingetroffen. Den rechten Flügel stützte er auf Hirsowa und Silistria, von Izzet-Pascha kommandiert, den linken, bereits über die Donau vorgeschobenen, auf Widdin und Kalafat. Hier kommandierte Sami-Pascha. Der Sirdar befehligte auf dieser ausgedehnten Stellung ungefähr 100–120 000 Mann, teils Rischam (Linie), teils Redifs (Landwehr) und Baschi-Bozuks (Irreguläre). Eine Masse europäischer Flüchtlinge aller Länder befand sich nicht bloß in seiner nächsten Umgebung, sondern auch als Offiziere und selbst als Gemeine in dem ganzen Heere, zum großen Teil Renegaten, da durch die Bemühungen des Muschirs bei dem Übertritt der ungarischen Armee im Jahre 1849 Offiziere und Soldaten in Masse dem Religionswechsel des greisen Generals Bem gefolgt waren.

Wie bereits erwähnt, hatten die Feindseligkeiten, und zwar von türkischer Seite, bei Isaktscha, einer kleinen türkischen Festung in der Dobrudscha, begonnen. Fürst Gortschakoff hatte den Befehl erteilt, daß ein Teil der in den Mündungen ankernden russischen Donau-Flotille den Fluß herauf bis Galacz fahren solle, um für etwaige Operationen bei der Hand zu sein. Das Geschwader, aus den Kriegsdampfern »Pruth« und »Ordinarez«, jeder vier Kanonenboote im Schlepptau, bestehend, näherte sich um 8½ Uhr morgens am 23. Oktober Isaktscha. Sofort eröffneten die Türken ihr Feuer aus 27 Geschützen, worauf sich eine lebhafte Kanonade von beiden Seiten entspann, die fast anderthalb Stunden währte. Zwei der Kanonenboote wurden durch das türkische Feuer so beschädigt, daß sie nur bis Reni gebracht werden konnten, die anderen Schiffe jedoch trafen am Abend in Galacz ein. Ein großer Teil der Stadt Isaktscha war durch die russischen Bomben in Flammen gesteckt; unter den dreizehn Toten des kleinen Geschwaders befand sich auch sein tapferer Kommandant Werpakhowsky. Sechsundvierzig Mann wurden verwundet. Am 25. Oktober hatten die Türken unter Sami-Pascha, dem Gouverneur von Widdin, den ersten Übergang über die Donau unternommen. Die zwischen Widdin und Kalafat belegene Insel wurde von einem Korps von 2000 Mann besetzt und befestigt, ohne daß die Russen, deren schwache Vorposten in Kalafat standen, dies im geringsten zu hindern suchten. Selbst als am Nachmittag des 27. von der Insel aus die Türken unter dem Befehl von Ismaël-Pascha das linke Ufer unterhalb Kalafat betraten, sahen die russischen Offiziere von dem auf der Höhe belegenen Kaffeehause dem feindlichen Übergang gemütlich zu, bis es zu spät war, die verlorenen Vorteile wieder zu gewinnen. Die russische Garnison räumte Kalafat, und nach Mitternacht rückte die Avantgarde der Türken dort ein. Sofort warfen sie jenes über eine halbe deutsche Meile lange Bollwerk auf, an welchem der Lorbeer des Fürsten von Warschau noch diesseits des Grabes seine ersten Blätter verlieren sollte.

Die ziemlich abgesonderte, strategisch außerdem ganz unnütze Position war von dem Muschir klugerweise eingenommen worden, um jenem großen Plan der Russen auf die Verbindung mit Serbien und die Erhebung des serbischen Volkes gegen die Türkei zuvorzukommen. Am 1. November waren von den Türken in Kalafat gleichfalls mehrere Versuche gegen das linke Donauufer unternommen worden; von Rustschuk aus etwas stromabwärts bei Tersenschik Giurgewo, Rustschuk gegenüber, unter General Ssoimonoff; von Tuturkai aus, das in der letzten Zeit stark befestigt worden, endlich von Oltenitza aus, von wo aus sie auf die nächstliegende Insel übersetzten. Dann faßten sie am 2. auf dem linken Ufer unterhalb Oltenitza Stellung, und am Morgen des 3. standen bereits etwa 5000 Mann auf der Insel. In Oltenitza befehligte der Kommandeur der 2. Infanterie-Division des 4. Armee-Korps, Generalleutnant Pawloff, der aber nur über eine geringe Truppenzahl verfügte. Dies war die gegenseitige Stellung am Abend des 3. November. –

Fürst Gortschakoff mit seinem Adjutanten hatte selbst den Ball des Generalkonsuls mit seinem Besuche beehrt, und eine große Anzahl Offiziere des Dannenbergschen (4.) Korps befand sich aus den umliegenden Stationen auf Urlaub anwesend. Unter den Gruppen zog diejenige die Aufmerksamkeit auf sich, die sich um die Schönheit des Tages gebildet hatte. Es war die Gattin eines erst seit wenigen Wochen aus Paris zurückgekehrten Bojaren aus der reichen und angesehenen Familie der Bibesko, und obschon es sehr gewöhnlich ist, daß die galanten Damen von Paris, wenn sie dort ihre Rolle ausgespielt haben oder durch irgend einen Umstand sich veranlaßt sehen, Paris zu meiden, sich von ihren slavischen Anbetern zu der wilden Heimat entführen lassen, oder auf eigene Hand nach Bukarest, Galaez und Jassy kommen, um dort einen goldenen Fisch zu angeln und mit ihrer Hand zu beglücken, – so war Madame Bibesko doch recht geeignet, unter allen ihren Nebenbuhlerinnen den Sieg davon zu tragen. Eine hohe, schlanke Gestalt, das Haar cendré, den Teint fein und leicht gerötet: ein Bild, das dem Leser nur flüchtig am Abend des 5. Juli in der Straße St.-Josef in Paris von uns vorgeführt worden ist. Der spöttisch verzogene Mund warf rechts und links seine Wortblitze, während das schmachtende Auge durch die brillantenbesetzte Lorgnette achtlos über den Kreis hinaus kokettierte, der sich rasch um sie gebildet hatte.

Plötzlich erbleichte das schöne Gesicht und dann schoß eine dunkle Röte auf Hals und Antlitz. Frau von Bibesko wandte sich rasch zu einem der Offiziere und begann ein gleichgültiges Gespräch, während dessen sie ihre Aufregung zu unterdrücken suchte. Alsdann wieder das Lorgnon vornehmend, ließ sie die Blicke nochmals wie zufällig durch den Saal schweifen und endlich an einer entfernten Gruppe älterer Offiziere haften. – »Können Sie mir sagen, Herr von Szamarin,« wandte sie sich an einen ihrer Verehrer, einen Ulanen-Major vom Regiment Olwiopol, »wer der junge Offizier ist? so viel ich von ihren Uniformen verstehe, von der Garde, der eben mit dem Oberbefehlshaber spricht? Mich dünkt, ich müßte dies interessante Gesicht bereits gesehen haben.« – »Ich kann Ihnen dienen, gnädige Frau,« erwiderte der Offizier galant; »Fürst Iwan Oczakoff; und Sie können ihn recht gut schon gesehen haben, da er einige Zeit der Gesandtschaft in Paris beigegeben war. Er ist gestern mit Depeschen von Odessa eingetroffen ... Attachiert dem Fürsten Mentschikoff ... Befehlen Sie, daß ich Ihnen den Fürsten vorstelle?« – »Sie werden mich verbinden, Herr Major.« – »Aber nur unter der Bedingung, schöne Frau, daß wir dabei nicht zu kurz kommen.«

Der Major verließ die Gruppe und näherte sich dem Fürsten, der jetzt, von dem General en chef entlassen, mit mehreren jungen Offizieren plauderte. Die Blicke der Dame folgten ihm nicht ohne Unruhe, – nur zerstreut setzte sie ihre Unterhaltung mit ihrer Umgebung fort ... »Sie haben eine Eroberung gemacht, Fürst,« sagte scherzend Herr von Szamarin zu diesem, »ohne daß Sie es wissen. Madame Bibesko, die Königin des Balles, wünscht, daß ich Sie ihr vorstelle.« – »Ich habe nicht die Ehre, die Dame zu kennen.« – »Eben deshalb will ich Sie vorstellen. Kommen Sie, Fürst. Die schöne Celeste Bibesko ist eine Pariserin und wird Sie dort wahrscheinlich gesehen haben, wenigstens glaubt sie es!« – Halb gezwungen folgte Fürst Iwan dem Kameraden, der ihn zu der schönen Bojarenfrau führte. – »Hier, Madame, erlaube ich mir, Ihnen unsern gefährlichen Nebenbuhler um Ihre Gunst vorzustellen. Fürst Iwan Oczakoff, der aus dem Lande stammt, wo einst Achill verborgen wurde; hoffentlich hat er für die Pfeile aus Ihren schönen Augen nicht einmal die verwundbare Stelle, die sein berühmter Landsmann besaß.« – »Man muß nach Rußland kommen,« sagte die Dame lächelnd, »um die pariser Komplimente noch übertroffen zu sehen. Ich höre, Sie waren noch in diesem Sommer in Paris, mein Prinz?« – Ihr Auge lag scharf und bedeutungsvoll auf ihm. – »So ist es, Madame.« – »Und wann verließen Sie es?« – »Am Abend des 5. Juli.« – »So bald schon? Ich glaubte, Sie noch später dort gesehen zu haben. Es scheint, daß der 5. Juli ein wichtiger Tag für viele Personen gewesen ist, auch mir war er ein solcher.«

Der Fürst wurde aufmerksamer ... »Meine Abreise kam plötzlich, deshalb habe ich das Datum genau behalten, Madame.« – »Ich zweifle nicht daran, mein Prinz. Ungewöhnliche Ereignisse haften fest in der Erinnerung, wie es scheint, selbst fester als Gefühle.« Ihr Blick flog rasch umher – die umgebenden Herren hatten sich rücksichtsvoll einige Schritte zurückgezogen und plauderten, – sie sah sich unbeachtet und benutzte den Augenblick. »Ich hätte kaum geglaubt, Sie glücklich und so bald nach jenem furchtbaren Abend wiederzusehen.« – »Madame – – « ... »Jetzt wird es mir freilich klar, auf welche Weise es Ihnen gelang, sich zu befreien. Die arme Nini!«

Der Fürst war sehr bleich, in seinem Innern kämpfte sichtlich eine große Aufregung ... »Madame – ich verstehe kaum – –« »Ei, mein Gott, warum sich der kleinen Aventüre schämen, mein Prinz! Ich bin, wenn Sie es wünschen, die Diskretion selbst, nehme aber natürlich auch die Ihrige in Anspruch. Wenn Sie Lust haben, weiter mit mir zu plaudern, so sage ich Ihnen den zweiten Kontretanz zu. Im Augenblick bin ich engagiert und ich sehe eben meinen Tänzer nahen. Au revoir, mon prince!«

Am Arm ihres Chapeau rauschte sie in die sich bildenden Reihen, während das Orchester den wilden Masurka begann. Der Fürst starrte ihr nach – seine Augen blieben in ernstem Nachdenken auf die unerwartete Erscheinung gerichtet. Dann legte er die Hand sinnend an die schöne Stirn und suchte eines der Nebenzimmer auf, wo er ungestört seinen Gedanken nachging. Erst die Takte, welche zum Antreten der Quadrille riefen, weckten ihn. Er schien seinen Entschluß gefaßt zu haben und eilte in den Saal zu seiner Tänzerin, die ihn bereits mit Ungeduld erwartete. Während die Touren wechselten, spann sich das Gespräch lebhaft weiter.

»Darf ich fragen, ob Sie Nini wieder gesehen haben?« – »Nein, Madame.« – »Ich dachte es mir,« sagte die Frau mit sichtlicher Erleichterung. »Sie haben demnach gleich nach dem entsetzlichen Auftritt Paris verlassen?« – »So ist es.« – »Es konnte Ihnen natürlich nicht schwer werden, Ihre Identität zu beweisen. Doch war es edel und schön von Ihnen, mein Prinz, sich für Ihren Gegner zu opfern.« – Der Tanz unterbrach die Unterhaltung. – »Und Nini?« fragte der Fürst, von der Tour zurückkehrend. – » Mon Dieu! die Kleine begleitete ihren Bruder und war am andern Morgen spurlos verschwunden. Wir hatten uns alsbald getrennt, um jede Spur zu verwischen, und ich wagte es erst einige Zeit nachher, unter der Hand mich zu erkundigen. Aber seltsam, auch die Polizei hatte Nachfrage angestellt, obschon der Mensch kompromittiert sein mußte.« – Sie schien die Sache mit einiger Verlegenheit zu umgehen ... »Sie sind mir die Erzählung Ihres Abenteuers schuldig, mein Prinz.«

Der Tanz hatte geendet, der Fürst führte die Dame nach ihrem Platz. »Ich fühle ganz die Pflicht, die ich habe, und sie zu lösen ist für mich wichtiger als es für Sie von Interesse sein kann, nur scheint hier kaum der Ort dazu. Würde Frau von Bibesco mir wohl erlauben, ihr morgen meine Aufwartung zu machen?« – »Fürst Oczakoff wird mir stets willkommen und ich werde von zwölf Uhr an für ihn allein zu Hause sein. – Doch sehen Sie, Fürst, – es muß sich etwas Ungewöhnliches ereignet haben. Ihre Herren Kameraden treten zusammen und ich sah eben Fürst Gortschakoff mit mehreren Generalen durch jene Tür sich entfernen. Bitte, gehen Sie und erkundigen Sie sich, wir Frauen sind neugierig.«

Auch der Fürst bemerkte, daß eine besondere Aufregung im Saale stattfand und die Offiziere in Gruppen zusammentraten. Er beurlaubte sich mit einer Verbeugung und eilte zu der Menge, die sich namentlich um die Tür zu einem der Nebengemächer versammelt hatte, aus dem jetzt Baron von Meusebach seinen Gästen entgegentrat ... »Seine Durchlaucht,« sagte der General-Konsul mit lauter Stimme, »bitten die werte Gesellschaft mit mir, sich durchaus nicht zu beunruhigen oder stören zu lassen. Es sind einige Depeschen eingegangen, die den Fürsten für kurze Zeit in Anspruch nehmen, aber keineswegs irgend eine Besorgnis rechtfertigen. Meine Herren, ich bitte Sie, in dem Tanz fortzufahren.« – Das Orchester begann auf seinen Wink aufs neue, doch nur wenige Paare bildeten die Kolonne. Man flüsterte in Gruppen oder verkehrte mit den Adjutanten, die hastig aus den Gemächern, wohin sich der Fürst zurückgezogen hatte, ab und zu gingen und hier und da einem der Offiziere einen Befehl zu bringen schienen. Man bemerkte, wie alsbald die Angeredeten aus dem Saale verschwanden, und von der Pforte des Hauses her klang der Galopp der Davonsprengenden herauf.

Fürst Iwan wandte sich an einen ihm bekannten Artillerie-Offizier und fragte ihn nach dem Vorgefallenen ... »Der Teufel ist los!« sagte der Kapitän. »Pawloff hat uns bei Oltenitza die Türken über den Hals kommen lassen und ist bereits heute Mittag von ihnen zurückgedrängt worden. Kommen Sie, Fürst, wir hören die sichersten Nachrichten von dem Boten selbst.« Er nahm ihn unter den Arm und führte ihn durch die Menge zum zweiten Salon, wo am Büffet eine Anzahl Militärs um einen staub- und schmutzbefleckten Kosaken-Offizier versammelt war, der, am Tische sitzend, große Gläser starken Arrakpunsches hinunterstürzte. Die Unterhaltung wurde hier russisch geführt und das andere Publikum hatte sich daher zurückgezogen.

»Nun, Herr Kamerad,« sagte Kapitän Besutoff zu dem Kosaken, »kann man von Ihnen erfahren, welche Nachricht Sie gebracht haben, oder ist die Sache Geheimnis?!« – »Warum halten hinter dem Berg mit der Sach', die doch sein püblic morgen früh!« radebrechte der Kosak. »Wir haben bekommen Schläg', starke Schläg'; die Herren Muselman, meine Kolleg', waren gekommen zu viel und haben gedrängt uns zurück. Wir werden morgen haben starke Affär'.« Er hob das neugefüllte Glas und betrachtete den Inhalt schmunzelnd durch das Licht. »Dieser Punsch sein ser kut. Auf kuten Erfolg, meine Herren Kamerad'!« Der Bursche leerte das große Glas auf einen Zug. Indes die Offiziere sich bemühten, die Details aus ihm herauszuholen, trat einer der Adjutanten des Oberbefehlshabers zu der Gruppe ... »Seine Durchlaucht hat den Ball verlassen, meine Herren, und sich in sein Quartier begeben. Sie werden wohltun, sich fertig zu machen und möglichst schnell im Hotel einzufinden, um einige Befehle in Empfang zu nehmen. Wir brechen noch diese Nacht auf nach Budeschti. Sie, Herr Leutnant,« wandte er sich zu Iwan, »wünscht der Fürst gleichfalls zu sprechen.«

Ein allgemeiner Aufbruch der Gesellschaft erfolgte. Als Fürst Oczakoff in den Ballsaal zurückeilte, um die schöne Bojarin noch zu sprechen, fand er, daß sie bereits mit ihrem Gatten das Fest verlassen hatte, das jetzt rasch ein Ende nahm. Die Offiziere eilten teils nach ihren Quartieren, teils nach den Kasernen oder direkt nach dem Hotel des Oberbefehlshabers. Fürst Iwan traf hier bereits die Vorgemächer voll Ordonnanzen und Offizieren aller Waffengattungen. In dem Saal des Hauses, wohin er mit mehreren anderen beschieden wurde, fand er den Fürsten mit der Generalität und den Mitgliedern des Generalstabs um die Karten versammelt, und zwei Stunden darauf wirbelten die Trommeln durch die Straßen, und eine Infanterie-Kolonne setzte sich bei Sturm und Regen in Bewegung. Beim ersten Dämmern des Tages folgte ihr der Oberbefehlshaber mit seinem Stabe nach Budeschti. –

Oltenitza, wo der erste größere Kampf dieses Krieges ausgefochten werden sollte, ist ein kleiner Ort an dem Flüßchen Argisch, kurz vor dessen Einfluß in die Donau, die hier etwa 630 Schritt breit ist und in deren Mitte, doch näher dem linken Ufer und Oltenitza gegenüber, wie wir bereits erwähnt haben, eine ziemlich große, stark bewaldete Insel liegt. Der Argisch bildet an seinem Ausfluß sich bis ans Donauufer erstreckende Sümpfe, welche die Position beengen und schützen. Hier hatte wegen der geringeren Breite der Donau auch bei dem Feldzuge von 1828 die russische Armee mit 40 000 Mann am 23. Juni ihren Übergang nach dem bulgarischen Ufer bewerkstelligt.

Wir haben bereits angeführt, daß die Türken am 2. im Schutz des Nebels ein kleines Korps von der Insel aus auf das linke Ufer geworfen und sich dort in jenen russischen Schanzen festgesetzt hatten. Mustapha-Pascha und der spanische Abenteurer General Prim von Reuß, ein ehemaliger preußischer Leutnant, der durch die Weiberwirtschaft in Spanien sich zu solchem Range emporgeschwungen hatte und mit der Spekulation nach der Türkei gekommen war, mindestens ein Oberkommando zu erhalten, – leiteten die Unternehmung. Im Laufe des 3. – es war ein Donnerstag – hatte sich die Zahl der übergesetzten Truppen bedeutend vermehrt und drängte die russische Vorpostenlinie auf Oltenitza und die in Kanonenschußweite hinter dem Ort belegene befestigte Reservestellung zurück. Am Nachmittag entspann sich ein Gefecht, bei dem die Russen – größtenteils nur Kosaken – sehr im Nachteil waren und Oltenitza räumen mußten, während die Türken ihre Stellung überaus befestigten und auf der Donauinsel Batterien aufwarfen. Diese mißlichen Umstände waren es, die General Pawloff dem Höchstkommandierenden am Nachmittag des 3. nach dem etwa acht Stunden von Oltenitza entfernten Hauptquartier gemeldet hatte.

Am Freitagmorgen – der Freitag ist der Sonntag der Moslems – standen bereits 14-15 000 Türken verschanzt auf dem linken Donauufer in überaus vorteilhafter Position. Dieselbe lehnte sich rechts an die Donau, links an den Argisch. Ihr rechter Flügel war überdies durch mehrere terrassenförmige Batterien von zusammen 40 Geschützen am rechten Donauufer und auf dem alten Schloß von Tuturkai, ihr linker Flügel durch die beiden bestreichenden Batterien auf der Donauinsel gedeckt. Während des ganzen Morgens und Vormittags feuerte die Artillerie gegen einander, doch in solcher Entfernung, daß wenig Erfolg auf beiden Seiten sich zeigte. Gegen Mittag endlich klärte sich das Wetter auf und zugleich rückten von Mitréni-Fundéni und Szanzowa her die konsignierten Truppen des Generals von Dannenberg in die ihnen bezeichneten Stellungen. Dieselben waren, alles in allem, 8000 Mann stark, da die Regimenter sehr unvollständig waren.

General von Dannenberg hatte sich mit dem Stabe unfern von Oltenitza aufgestellt. Die Kosaken plänkelten auf beiden Seiten, obschon die Stellung des Feindes jeden Flankenangriff hinderte. Da die Stellung der Türken nirgends umgangen werden konnte, beschloß der General den Frontangriff. Schon während der Aufstellung der Truppen hatte die türkische Artillerie ihr Feuer aus allen Geschützen und selbst aus einigen auf dem rechten Ufer aufgestellten Mörsern begonnen. Um ein Uhr gab der russische Befehlshaber das Zeichen zum Angriff und sandte die beiden Batterien Nr. 3 und 5 bis auf etwa 13-1400 Schritt Entfernung von den feindlichen Schanzwerken vor, wo sie abprotzten und das Feuer gegen die türkischen Verschanzungen eröffneten. Während einer Stunde spielte die Artillerie, auf beiden Seiten trefflich bedient, wobei es jedoch der russischen gelang, bis auf Kartätschenschußweite vorzugehen. Der erste Ausstoß war fürchterlich – der Tod hielt seine reiche Ernte. Die Kolonne wankte, doch der Zuruf der Offiziere hielt sie zusammen und trieb sie vorwärts. Eine zweite volle Lage begrüßte sie, kaum dreißig Schritt von den Verschanzungen, eine der Kugeln riß den tapferen Veteran zu Boden, der sie führte.

Diesmal widerstand die russische Tapferkeit nicht, die Bataillone wichen und stürzten in wilder Flucht zurück; zugleich warf sich die gedeckt aufgestellte Kavallerie auf die Weichenden und trieb sie in wilder Flucht vor sich her. Die russische Artillerie vermochte nicht einmal, zum Schutz der Ihren zu feuern, so dicht geballt in einander waren Freund und Feind ... »Nun, Fürst, verdienen Sie sich das Hauptmannspatent. Hinunter zu Kosljaninoff, er soll angreifen und den Leuten Luft schaffen.« Iwan verbeugte sich vor dem Kommandierenden und gab seinem Pferde die Sporen; in wenigen Augenblicken war er bei den Ulanen und hatte die Ordre überbracht ... »Abgeschwenkt, erste, dritte und fünfte Eskadron rechts, die zweite und vierte links, die sechste in Reserve. Galopp! Marsch!« Die Kommandos erklangen, die Trompeten bliesen, und im Galopp sausten die braven Ulanen über das schlimme Terrain, während durch die Mitte bereits die Spitzen der Fliehenden anlangten.

Die türkische Kavallerie, aus Husaren und syrischen Baschi-Bozuks bestehend, erhielt von zwei Seiten den Stoß und konnte nur schwer widerstehen. Dieselben Ursachen, welche die russische Artillerie behindert hatten, dienten auch jetzt den Gegnern zum Nachteil. Ein wildes Einzelgefecht entspann sich. Im dichtesten Gewühl, dicht neben Graf Szamarin, befand sich der junge Fürst. Sein Gesicht war bleich, doch die Augenbrauen finster zusammengezogen, wie von einem festen Entschluß. Seine Rechte hielt den Degen, doch nur zur Verteidigung, – diese Klinge war noch rein von Blut!

In solcher Nähe war der Kampf mit den wilden Söhnen der syrischen Steppen furchterregend. Die braunen Gesichter mit den blitzenden Augen, die wilden, ungewohnten Gestalten in der seltsamen, oft zerlumpten Tracht, konnten selbst die Kaltblütigkeit eines alten Soldaten verwirren. Dem Fürsten blitzte und wogte es vor den Augen, bis er einen scharfen Schmerz an seinem linken Arm hingleiten fühlte: ein Lanzenstich, für seine Brust bestimmt, hatte ihn leicht verwundet. Im Augenblick darauf hieb Szamarin den Turkomanen vom Pferde ... »Vorwärts, Kamerad, nicht geschont die ...« Der schwere Schlag eines Yatagans traf durch den Kalpak hindurch seine Stirn, zugleich durchbohrte eine Pistolenkugel seine Brust – der Tapfere breitete die Arme weit aus – in der Faust noch den Säbel hoch geschwungen – dann stürzte er unter die Hufe der Pferde, die nun den zuckenden Leichnam zertraten.

Diesmal war es der jungfräuliche Stahl, der den Tod des Kameraden rächte und sich tief in die Seite des Schützen eingrub. Ein wilder Schreckensruf erfolgte, als der Türke, offenbar ein Offizier höhern Ranges, fiel, und zugleich brach von der Seite her die Reserve der sechsten Eskadron in den Feind. Die regulären Reiter wandten sich zur Flucht, im Augenblick war diese allgemein; im Carriere nach dem Ufer, bis ins Wasser der Donau hinein, jagte die türkische Kavallerie, verfolgt von den Ulanen, bis das Flankenfeuer von den Batterien der Insel diesen Einhalt gebot und sie zurücktrieb. Bleich, schwankend auf seinem Roß, den blutigen Stahl noch an der Hand hängend, kam Fürst Iwan in den Reihen der schwer gelichteten Eskadrons zurück. Ein alter bärtiger Unteroffizier führte am Zügel den prächtig geschirrten Araber, dessen Sattel sein Stoß eben geräumt hatte ... »Sie sind ein Glückskind, Fürst,« sagte der Kornett an seiner Seite; »ich glaube, es war der Führer dieser Horden, den Sie getroffen haben. Vielleicht findet sich in diesen goldverbrämten Satteltaschen ein Ausweis; schade, daß wir nicht Zeit hatten, den Kerl selbst zu durchsuchen.« – In der Tat fand man in diesem Reservoir der türkischen Soldaten neben dem Tabaksbeutel die Ordres des Tages, welche erwiesen, daß der Getötete Hassan-Pascha, der Führer der Kavallerie des Korps, war.

Der Oberbefehlshaber selbst kam der zurückkehrenden Kavallerie entgegen und hörte die dem Kommandierenden erstatteten Rapporte an, während die Kolonnen sich wieder sammelten und formierten. Hierbei wurden auch die in dem Sattelzeug des gefallenen türkischen Führers gefundenen Ordres und Papiere übergeben, und von einem der Offiziere, der türkisch verstand, schnell übersetzt. Sie schienen von Wichtigkeit, denn während die Artillerie von neuem ihr Spiel begann, zog sich der General en chef mit dem Kommandierenden des Korps und einigen der älteren Stabsoffiziere zu einem Kriegsrat zurück. Derselbe war in wenig Minuten beendet, und indes General Dannenberg aufs neue seine Befehle für den Angriff erteilte, winkte der Oberkommandierende den jungen Fürsten zu sich ... »Ich gratuliere, Herr Kapitän,« sagte er freundlich; »Sie haben sich in Ihrer ersten Affäre ausgezeichnet, wie ich sehe, selbst auf Kosten einer Wunde, und uns zugleich einen wichtigen Dienst geleistet. Ich breche nach Giurgewo auf, wo, wie ich aus den gefundenen Papieren ersehe, unsere Positionen zugleich bedroht sind. Sie bleiben bei General Dannenberg zurück. Ich hoffe, Herr Kapitän, wir sehen uns bald wieder.« Er galoppierte davon, und Fürst Iwan schloß sich, nicht ohne geheimen Stolz und dennoch trüb gestimmt und ernst, dem Stabe des Kommandierenden an.

Der Tag neigte sich stark. Es war bereits 4 Uhr. General Dannenberg hatte die Order erhalten, die Türken womöglich aus ihrer Position zu verdrängen, jedenfalls aber die eigene Stellung zu halten. Die Trommeln gaben das Zeichen zum Antreten, und wiederum gingen die Batterien vor und eröffneten das Feuer. Diesmal hatten alle acht Bataillone das Kommando zum Sturm, während die Hälfte der Ulanen mit den Kosaken nachrücken und die türkische Kavallerie in Schach halten sollte. Generalmajor Ochterlony, ein Ire von Geburt, der Kommandeur der Brigade, übernahm selbst das Kommando. – Der Sturmmarsch wirbelte in kurzen Schlägen; die beiden Kolonnen setzten sich in Geschwindmarsch; beide gelangten zu gleicher Zeit, ohne daß die feindliche Artillerie feuerte, an das Ziel, die erste an die Pallisaden, die zweite an die mit Wasser gefüllten Gräben vor den Schanzen.

In diesem Augenblick begann auf ein von den letzteren aus gegebenes Signal ein mörderisches Feuer aus den maskierten Batterien der Schanzen und von Tuturkai herüber. Zugleich eröffneten die auf der Schanze wie im Gebäude postierten Scharfschützen – nach dem mehrfach hörbaren italienischen Kommando meist Piemontesen – ein tödliches Feuer auf die Anstürmenden. An den Palisaden wogte der Kampf in wildester Heftigkeit auf und nieder, die Leichen türmten sich in Haufen, der Tod hielt seine gräßliche Ernte unter den Russen. Die finsteren, verbissenen Männer sanken ohne Klage, noch im Sterben den Feind bedrohend.

Vergebens war der Ansturm; die Pallisaden zwar fielen unter dem Andrängen der Tapferen, die sie mit den Händen aus dem Boden rissen und die stürzenden mit ihren Leichen deckten. Drüben an den Schanzen tobte der Kampf nicht minder heftig. Von den Nachfolgenden getrieben, warfen sich die Vorderreihen in die wassergefüllten Gräben, deren Flut ihnen bis an den Hals ging. Das Gewehr hoch in der Hand, drangen sie vor; an dem Wall klommen sie empor, zehn, zwanzig, hundert stürzten herab in das nasse Grab, aber hier krallte sich einer fest an der Böschung, dort ein zweiter, ein dritter, hundert standen auf dem Wall: »Hurra! die erste Schanze ist erstürmt!«

Die fliehenden Türken warfen sich auf ihre Kavallerie, Verwirrung, Toben überall, die Reiter setzten in den Strom, um die Insel zu erreichen, selbst die Infanteristen stürzten sich in die Wellen nach den Booten und Schiffen ... »Viktoria!« – Aber der Ruf war zu früh. Von der zweiten flankierenden Schanze donnerten die Kartätschenladungen in die Sieger und rissen breite Lücken. Von Tuturkai herüber schmetterten die Paßkugeln Tod und Verderben in die Reihen. Ein mörderisches Feuer erhob sich von den Booten.

Ein weiterer Angriff auf die von der Insel und Tuturkai her gedeckten übermächtigen Massen wäre Wahnwitz gewesen. General Dannenberg gab das Zeichen zum Rückzug. Die Ambulanzen nahmen unter dem Schutze von Kavallerie-Pikets dicht vor der türkischen Stellung unbehindert ihre Verwundeten auf. Zwölfhundert Tote und Verwundete deckten von russischer Seite das Feld – fast sämtliche Majors, beide Obersten waren verwundet, achtzehn Offiziere unter den Leichen. Der Verlust auf gegnerischer Seite war, zufolge der gesicherten Positionen, geringer. – Der Sieg war unentschieden; das Dunkel des Abends lagerte sich über den blutgedrängten Fluren; die Türken kampierten am Donauufer und in der größten Schanze, die sie behauptet hatten, die Russen zogen sich auf Oltenitza zurück.

Hier – das Städtchen war verschont geblieben von dem Kampf, – in der Stube eines kleinen Häuschens fertigte General Dannenberg zunächst die Depeschen, mit denen Boten nach allen Seiten abgingen. Kapitän Fürst Oczakoff erhielt Ordre, zunächst nach Kalarasch zu General Anrep, sowie für den General Lüders oder den Kommandierenden von Galacz, General Englhard, die Depeschen zu überbringen, welche eiligst alle disponiblen Truppen requirierten. Die Nacht lag mit ihren feuchten Nebeln über Flur und Strom, als der neue Kapitän mit seinem Diener und zwei Ordonnanz-Kosaken durch die Straßen des Orts schritt, um sich eine Strecke unterhalb Oltenitzas im Schutz des Dunkels in einem Fischerboot zur Fahrt nach Kalarasch einzuschiffen.

II. Die Schlacht.

Von allen Seiten rückten am 6., 7. und 8. die disponiblen russischen Korps nach Oltenitza heran. Es galt, den Kriegsplan des türkischen Feldherrn in seiner ersten Entwicklung zu brechen.

Der Muschir war selbst im Lager von Tuturkai eingetroffen, zugleich mit ihm von Konstantinopel der berühmte Insurgentengeneral Klapka, und unter dessen Leitung wurden die Anstalten getroffen, die Stellung in Oltenitza aufs neue zu befestigen. Am 8. standen 25 000 Mann Türken in den neu befestigten Schanzen in der nämlichen Aufstellung, die bei dem Kampf am 4. so tapfer verteidigt worden war. General Klapka, der ausgezeichnetste Artillerist der ungarischen Armee, kommandierte die Artillerie und hatte zur Herstellung der Verbindung der Ufer über die Mündung der Argisch Brücken schlagen lassen.

Unterdes konzentrierten sich die russischen Streitkräfte bei Budeschti, und am Morgen des 9. waren in den nächsten Umgebungen von Oltenitza 35 000 Mann versammelt unterm Kommando des Oberbefehlshabers. Zwei berühmte Artilleriegenerale standen also hier einander gegenüber. Auch bei Giurgewo hatten die Russen ihre Stellung befestigt und unweit davon in der Richtung nach Bukarest ein verschanztes Lager von 7-8000 Mann bei Foreschti gebildet, um die Türken bei einem Übergange zu verhindern, von hier aus der russischen Stellung in die Flanke zu fallen.

Am 8. setzten die Türken von Rustschuk auf die zwischen den beiden Städten liegenden Donauinseln über und befestigten die größere derselben, die Mokomeninsel. Die Position war gefahrdrohend, und Generalleutnant Szoimonoff, der Kommandierende der 10. Infanteriedivision, dem die Verteidigung dieses Teiles anvertraut blieb, beschloß, die Gegner von der Insel zu vertreiben, ohne erst die von Bukarest nach Giurgewo dirigierte, wegen der schlechten Beschaffenheit der Wege aber noch nicht angelangte Brücken-Equipage abzuwarten. – In der Nacht zum 9. ließ daher der General 24 Stück schweres Geschütz, dessen Räder mit Stroh umwickelt waren, um jedes Geräusch zu vermeiden, an das Donauufer führen und am andern Morgen, sobald der den Strom bedeckende Nebel gefallen, das Feuer gegen die Position der Türken auf der Mokomen-Insel eröffnen. Nach drittehalb Stunden waren die Türken, die hier wegen der Breite des Flusses vom eigenen Ufer aus nicht genügend unterstützt werden konnten, genötigt, die Position zu räumen. Dagegen behielten sie ihre Stellung auf einer nahe belegenen und durch die Terrainformation besser gedeckten Insel.

Zur selben Zeit befahl Fürst Gortschakoff den Angriff auf die Verschanzungen der Türken in und bei Oltenitza. Die Oberbefehlshaber der beiden Heere kommandierten hier gegeneinander. Am 9. und 10. bestand der Kampf größtenteils in Artilleriegefecht, doch wurde am letztgenannten Tage Oltenitza von den Russen mit dem Bajonett genommen und wieder verloren. Am Abend des 10. hatte der Muschir noch unverändert seine Stellung inne.

Das Wetter war so schlecht, daß die Artillerie oft nicht feuern konnte. Fürst Gortschakoff beschloß für den nächsten Tag einen gemeinsamen Angriff auf allen Punkten der türkischen Position, und während der Nacht wurden die Vorbereitungen in umfassender Weise betrieben. Am Morgen begann mit dem Schwinden der Nebel die Kanonade aus mehr als achtzig Geschützen, denen die nicht viel geringere türkische Artillerie antwortete. Um 11 Uhr vormittags begann der Sturm. Dreimal wurde Oltenitza von den Kolonnen der Russen genommen, erst zum drittenmal vermochten sie es zu behaupten, doch war der Sieg nutzlos, denn alsbald beschoß die türkische Artillerie von den Schanzen den verlorenen Halt mit glühenden Kugeln, und die Flamme jagte die Sieger wieder aus den erstürmten Gassen. Am blutigsten tobte jedoch die Schlacht an den Schanzen selbst. Kolonne auf Kolonne führten die Generale zum Sturm, aber das furchtbare Kreuzfeuer von vier Punkten warf sie immer aufs neue zurück, und ihre Toten deckten haufenweise den Boden. Die Türken hatten Massen von Schanzkörben von Tuturkai herübergeschafft und mit diesem Material ihre Stellung befestigt. Die Brücke über den Argisch ermöglichte es der türkischen Kavallerie, mit Erfolg an den Einzelgefechten auf beiden Seiten teilzunehmen.

Erst nachmittags um 4 Uhr befahl der Fürst den Rückzug; die erschöpften Truppen biwakierten um das brennende Oltenitza, neue Kraft zu sammeln für die Blutarbeit des nächsten Tages. Der Generalstab hatte sich nach dem Dorfe Mitréni-Fundéni zurückgezogen und hielt dort Kriegsrat. Am nächsten Morgen wurde der Ankunft des Generals Anrep mit seinem Korps von Kalarasch entgegengesehen, dann sollte der Kampf erneuert werden. Vor dem Quartiere des Oberbefehlshabers herrschte reges Leben, Offiziere aller Grade, Wachen, Ordonnanzen, kommende und gehende Boten bildeten ein buntes Gewühl, durch das sich eben ein junger Mann in reicher, aber jetzt schmutzbedeckter ungarischer Tracht drängte, eifrig nach Kapitän Meyendorf forschend und fragend. Endlich gelang es ihm, durch das Geschenk eines blanken Dukatens eine Ordonnanz zu bewegen, den Kapitän, der als Adjutant im Stabe stand, aufzusuchen. Bald darauf erschien derselbe und schaute sich nach dem Suchenden um. –

»Ah, sieh da, Herr Aleko Pelin,« sagte er freundlich, als er ihn in dem jungen Mann gefunden, »was führt Sie hierher, aus der glänzenden Gesellschaft von Bukarest in unsere Reihen, wo der Tod seine Ernte hält? Dieser Ort ist wahrlich kein Aufenthalt für einen der ersten Stutzer der walachischen Hauptstadt, der nicht an Gefahr, Anstrengung und Entbehrung gewöhnt ist, wie sie hier allein zu holen sind.« – Der junge Mann lächelte einen Moment höhnisch bei dem Spott über seine Weichlichkeit, dann aber faßte er hastig den Arm des Offiziers und zog ihn beiseite ... »Entschuldigen Sie, Herr Kapitän,« sagte er erregt, »daß ich die flüchtige Bekanntschaft im Hause meines Vaters, des Groß-Kaminars, benutze, um in einer dringenden Angelegenheit mich an Ihre Hilfe zu wenden. Ich bin, wie viele andere, von Neugier und Teilnahme getrieben hierher gekommen und fand zufällig hier einen jungen Menschen, den ich kenne, in großer Gefahr, wegen irgend eines Mißverständnisses von Ihren aufgereizten Soldaten getötet zu werden. Es ist –« er zögerte, »zwar nur ein Zigeuner, aber ich gestehe, ich nehme großes Interesse an ihm und wußte in meiner Not nicht, an wen ich mich wenden sollte.«

Der Kapitän blickte ziemlich ernst. – »Sie sollten sich hüten vor solchen Bekanntschaften, Herr Pelin. Sie wissen sehr wohl, daß der Groß-Kaminar wenig mit Ihrem Treiben zufrieden ist und daß solcher Umgang nicht zu der Stellung paßt, die Sie sonst in Bukarest einnehmen. Doch sollen Sie sich nicht umsonst an mich gewendet haben. Wo ist der Mann?« – »Er wird in der nächsten Wache festgehalten.« – »Ich hoffe, daß er unschuldig ist und ich etwas für ihn tun kann. Kommen Sie.« – Er ging mit dem jungen Bojaren die Gasse entlang, bis sie an das Haus kamen, wohin die Korpswache sich einquartiert hatte. In dem Stübchen fand der Kapitän ein seltsames Paar. Ein junger Mensch von siebzehn bis achtzehn Jahren, in der zerlumpten Tracht eines Zigeuners, die Hände auf dem Rücken zusammengeschnürt, horchte mit bleichem Gesicht, auf dem bereits alle Spuren der Liederlichkeit sich zeigten und jetzt deutlich die Todesfurcht ausgeprägt lag, in einem Winkel zusammengekauert, zagend auf die Trostsprüche eines Mädchens, das, vielleicht zwei bis drei Jahre älter als der junge Verbrecher, auf der Erde neben ihm saß, ohne sich um die Reden und Spöttereien der Soldaten zu kümmern.

Als sie sich bei dem Eintritt Alekos und des Kapitäns erhob, zeigte sich diesen eine jener seltsamen Schönheiten, wie sie die in der Walachei noch sehr zahlreiche Zigeunerrasse in all' ihrem Schmutz und aller Versunkenheit oft hervorbringt: eine junonisch schöne Gestalt, die selbst das gürtellose walachische Hemd mit der breiten, rot- und gelb gestreiften Schürze nicht zu verbergen vermochte, die Züge des dunkelbraunen Gesichts regelmäßig, fein, schwärmerisch; über den Feuer und Mut blitzenden schwarzen Augen die schön gewölbten Augenbrauen, an der Nasenwurzel einander entgegenlaufend; das üppig wuchernde schwarze Haar von einem roten Tuch bundartig zusammengehalten: – dies war das Wesen, das ihnen mit einer gewissen kühnen Haltung entgegen trat und eifrig den Bojarensohn befragte. Der Kapitän glaubte nicht mit Unrecht in dem Mädchen die Ursache des Interesses zu sehen, das der junge Mann an dem Vagabonden nahm, und erkundigte sich bei dem Unteroffizier der Wache, was derselbe verbrochen habe. Zu seinem Bedauern vernahm er jedoch, daß die Sache ernster war, als er gehofft. Der Bursche hatte sich mit andern seines Gelichters im Hauptquartier eingefunden und war am Abend von einer Patrouille und mehreren Gefährten dabei betroffen worden, wie sie einen russischen Soldaten, der sich verwundet zum Dorfe schleppte, geplündert und tödlich verletzt hatten. Der Unglückliche lebte noch und bezeichnete seine Mörder, von denen es nur gelungen war, den Zigeuner zu erwischen. Der Oberst des Regiments hatte kurz entschieden, ihn am andern Morgen vor dem Aufbruch zur Warnung für seine Genossen aufzuhängen.

Als der junge Bojar sich daher wieder an den Kapitän wandte, zuckte dieser bedauernd die Achseln und erklärte, daß er gegen das ausgesprochene Urteil eines kommandierenden Offiziers nicht Einspruch erheben könne. Das Mädchen – die Schwester des Verurteilten – schien an der Miene der Sprechenden den abschlägigen Bescheid erraten zu haben, denn sie warf sich heftig dem Kapitän in den Weg, der bereits die Hütte verlassen wollte ... »Weile, blanker Krieger,« bat sie flehend, »und höre, was dir Sarscha zu sagen hat. Mungo ist ihr Bruder und Mungo darf nicht sterben, denn er ist Zinkas, meiner Mutter, Sohn und ihre Liebe und das Messer in ihrem Herzen. Wer sollte meinen Vater Tunso rächen, wenn es nicht sein Anblick bei ihr täte? Gib ihn frei, blanker Krieger, und die Kinder des Egypterlandes werden dich segnen und können dir dienen, mehr als du denken magst!« – »Machen Sie der Szene ein Ende, Herr Pelin,« sagte der Kapitän, der die walachische Sprache des Mädchens nur sehr unvollkommen verstand, unwillig zu seinem Führer: »Sie werden besser tun, sich mit mir zu entfernen.« – »Halten Sie ein, Herr Kapitän,« erwiderte der junge Mensch, dem Sarscha einige Worte gesagt hatte, während ihr Bruder jammernd zu den Füßen des Offiziers kroch. »Sie ahnen nicht, welchen Dienst Sie von sich stoßen. Das Leben dieses Burschen kann Ihrer Armee den Sieg verschaffen, die sich sonst nutzlos vor den Batterien der Türken opfern wird. Seine Mutter allein vermag es, wenn sie will, Ihre Kolonnen durch die Sümpfe des Argisch und den Feinden in den Rücken zu führen.«

Herr von Meyendorf horchte auf. »Was sagen Sie da? Ist das Ihr Ernst?« – »Ich schwöre es Ihnen! Die Zigeunerin Zinka ist die einzige, welche aus früherer Zeit die geheimen Schlupfwege der Sümpfe kennt, und sie wird das Leben ihres Sohnes gern mit diesem Preis erkaufen.«

Der Kapitän wußte, welchen unendlichen Wert das Anerbieten haben mußte, wenn es sich bewahrheitete. Es konnte das Schicksal des Kampfes sofort entscheiden, denn gelang es dem Feldherrn, Truppen zwischen das Donauufer und die türkische Position zu werfen, so war diese mit gänzlicher Abschneidung bedroht, und der Feind mußte sich eiligst zurückziehen und war verloren. Er überlegte einige Augenblicke, dann sagte er: »Wo befindet sich die Frau, von der Sie sprechen?« – »Sie wohnt in den Sümpfen selbst, einsam und allein mit ihrer Familie, denn ihr Stamm hat sie verstoßen und jeder Walache geht ihr mit einem Fluch aus dem Wege.« – »Wohlan, ich will Ihnen glauben und mich von Ihnen oder diesem Mädchen zu dem Weibe führen lassen, um sie selbst zu befragen. Ist das, was Sie sagen, wahr, so bürge ich Ihnen dafür, daß der Verbrecher dort frei und ungestraft ausgehen soll. Beabsichtigt man jedoch, einen Verrat an mir zu üben, so werden meine Kameraden mich rächen. Jedenfalls bleibt der Mensch als Geisel hier gefangen.«

Er erteilte dem Unteroffizier der Wache seine Befehle, schrieb einige Worte mit Bleistift an einen Kameraden, um seine Abwesenheit zu rechtfertigen, und winkte dann, daß er bereit sei, sich auf den Weg zu machen. Sogleich hüllte sich die junge Zigeunerin in ihr Regentuch und verließ das Haus. Der Kapitän und Aleko folgten ihr, nachdem dieser noch den jungen Vagabunden beruhigt hatte. Das Mädchen wandte sich, ohne die Anreden und Spöttereien zu beachten, die ihr von den zahlreichen Soldaten-Gruppen zuteil wurden, zwischen denen hindurch ihr Weg sie führte, den Sümpfen zu, die etwa 1000 Schritt zur Seite ihren Anfang nahmen. Stumm und ernst schritt sie vor ihnen her, ohne sich anscheinend viel um die Nachkommenden zu kümmern, auf einem Wege, der schlangengleich sich durch den Morast und das hohe Schilf und Röhricht wand. Eine halbe Stunde mochten sie in diesem Röhricht fortgeschritten sein, als sie bei einer plötzlichen Wendung ein Licht vor sich sahen: es kam aus einer jener walachischen Pfahlhütten, wie sie in den Sümpfen die menschlichen Wohnungen bilden. Als die Gesellschaft sich ihr näherte, deutete ihnen die junge Zigeunerin durch Zeichen an, zu verweilen, stieg dann rasch auf der Leiter empor, die statt Treppe zum Aufgang diente, und verschwand im Innern. Die Hütte stand auf acht Pfählen, war ziemlich groß und ihr Fußboden etwa 3 Ellen hoch vom Sumpfboden entfernt, so daß man nicht in ihr Inneres blicken konnte. Sie bestand aus Balken und Flechtwerk von Rohr, das mit Lehm und Mörtel zu einer ziemlich festen Masse verbunden war. Die Fensteröffnungen waren durch Bretter verschlossen bis auf eine, aus welcher der Lichtschein des Feuers in die dunkle neblige Nacht strahlte.

»Sie erwähnten vorhin, Herr Pelin, daß die Mutter des jungen Mädchens von ihrem Stamme verstoßen sei und von den Walachen allgemein gehaßt werde. Hat sie sich eines besonderen Vergehens schuldig gemacht?« – Der Jüngling trat näher zu ihm heran. – »Haben Sie nie von Zinka, der Zigeunerin und ihrem Geliebten, Tunso, gehört?« – »Die Namen sind mir unbekannt. Wer ist oder war Tunso?« – »Jeder Knabe in Bukarest, ja in der ganzen Walachei, würde Ihnen Auskunft geben können, wer Tunso war, obschon fast zwanzig Jahre seit seinem Heldentod vergangen sind. Tunso war der gefürchtetste und berühmteste General-Einnehmer der indirekten Steuern der Walachei.« – »Was wollen Sie damit sagen?« – »Tunso war – was die Leute sagen – eigentlich ein Räuber, der Schrecken der Türkei, der Vornehmen und Reichen, aber der Held, der Abgott der Armen. Die Unterdrücker des Volkes zitterten vor ihm, die Lieder des Volkes singen seinen Ruhm!« – »Ich begreife nicht, wie Sie, der Bojarensohn, für einen Spitzbuben und Mörder schwärmen können?« – »Tunso hat nie einen Meuchelmord begangen, es war nichts Niedriges an ihm und er konnte, wenn er wollte, den nobelsten Kavalier spielen. Die kleinste Erzählung seiner Taten und Abenteuer wird Sie über seinen Charakter belehren. Ich will Ihnen nur ein Beispiel anführen, das Ihre eigene Nation betrifft. In der Zeit seiner größten Macht, als er am gefürchtetsten war, hatte er in Erfahrung gebracht, daß der damalige provisorische Gouverneur der Donau-Fürstentümer, General Kisseleff, sich in der Umgebung von Piteschi aufhielt, um Bäder zu nehmen. Sofort beschloß Tunso, ihm seinen Besuch zu machen. Der General pflegte des Morgens in dem großen Park, der an sein Haus stieß, spazieren zu gehen. Tunso postierte seine Bande hinter der Umfassungsmauer des Parks, schwang sich in denselben und stellte sich dem General mit dem artigsten Kompliment vor. Herr von Kisseleff aber kehrte dem Räuber den Rücken, eilte ins Haus und gab Befehl, strenge Nachforschungen zu halten und Tunso, ohne ihm ein Leides zu tun, lebendig zu ihm zu führen. Aber die Jagd blieb erfolglos, und Tunso lachte den General aus.«

Der Kapitän lächelte. Er begriff, welchen Einfluß ein solcher Charakter und ein solches Leben in einem halbwilden Lande auf einen jungen, erregbaren Mann haben mußte ... »Tunso,« fuhr dieser fort – »war oft als Kavalier gekleidet in den ersten Gesellschaften von Bukarest, ja, er hat sogar einen Ball des Fürsten Paul besucht und händigte dort einer schönen Griechin ein kostbares Medaillon wieder ein, das seine Leute am Tage vorher ihr bei der Fahrt durch den Wald von Panthelemon geraubt hatten. Eine Karte, die er ihr zugleich zurückließ, benachrichtigte sie, daß es Tunso selbst war, mit dem sie getanzt hatte. Auch hier entkam er glücklich dem Grimme des Fürsten. Die Witwen und Waisen, die Unterdrückten und Verstoßenen hatten immer an ihm einen Freund und Beschützer. Darum hingen alle an ihm und überall fand er eine Zufluchtsstätte vor den Spähern.«

»Und war der glorreiche Räuber,« fragte der Offizier scharf, »auch ein Bojarensohn, wie Sie, der seinen Ruhm so zu beneiden scheint?« – Der Jüngling errötete ... »Er war armer Leute Kind, sein wahrer Name war Juwanitza. Er hütete die Herde, bis die wunderbar schöne Stimme des Knaben den Ortspfarrer veranlaßte, ihn zum Metropolitan nach Bukarest zu führen. Gegen seinen Willen wurde er an das Chorpult der Ober-Bisserika gestellt und blieb dort bis zu seinem achtunddreißigsten Jahre das Entzücken der Stadt. Erst als die Liebe zu der Zigeunerin Zinka seine Seele erfaßte, warf er das Joch von sich und wurde das, was er war.« – »Das Mädchen, das uns geleitet, und dem Sie, Herr Pelin, etwas zu tief in die schönen Augen geguckt zu haben scheinen, und der Bursche, der zum Tode verurteilt ist, sind seine Kinder?« – »Sarscha ist Tunsos Tochter und, wie die Leute sagen, die ihn gekannt, sein Ebenbild. Aber ihr Bruder – doch sehen Sie,« unterbrach er sich, »das Mädchen winkt uns, einzutreten. Folgen Sie mir.«

Er klomm die Leiter empor, von dem Kapitän gefolgt, und beide traten in den Vorraum der Hütte, die in zwei Teile geschieden war. Ein dürftiges Lager von trockenem Schilfgras, Angeln und Fischgerät, Schlingen für das Wild und dergleichen bewiesen, daß hier der junge Bursche sich aufhielt, wenn er zu Hause war, was freilich selten genug vorkommen mochte ... »Du kommst zur bösen Stunde zu uns, blanker Fremdling,« sagte das Mädchen, indem sie des Kapitäns Hand faßte, um ihn in die zweite Abteilung zu führen. »Der glänzende Aldobaran hat nicht geleuchtet auf die Geburt meines Bruders. Im Verrat war er empfangen, und sein Leben ist Schande. Aber das Mutterherz bleibt ein unergründliches Rätsel, dunkler als die Linien deiner Hand, und der Schatten meines Vaters würde ohne das Kind des Verrats in ihrem Sinn erbleichen. Tretet ein und dann vollbringt euer Geschäft, ehe die Stunde naht, da über die Ältermutter meines Stammes der Geist kommt, der den Schleier der Zukunft hebt.« Sie zog die Decke zurück, die den Eingang verhüllte, und die drei traten in den inneren Teil der ärmlichen Hütte. Am Feuer auf einem niederen Schemel, die Hände wie im Schmerz verschränkt, saß eine Frau, deren hohe Gestalt und noch immer schönes Gesicht Leid und Not offenbar mehr gebeugt und gealtert hatte als die Zahl der Jahre. Ihre großen, schwarzen Augen starrten wie abwesend in die Glut und schwere Tropfen fielen aus ihnen auf die im Schmerz verschränkten Hände. In einem Winkel des Raumes lag auf der dürftigen Ruhestätte der Familie eine zweite Gestalt, eine alte, vom Fieber der Sümpfe gichtisch zusammengezogene Greisin, in wunderlich bunte Lumpen gehüllt, das lange weiße Haar wirr um das verwelkte Antlitz hängend, aus dem die erloschenen Augen gläsern und teilnahmlos auf die Fremden starrten.

Das Mädchen trat zu der Frau am Herde ... »Mutter Zinka, hier ist der blanke Soldat, der mit dir sprechen will.« – Die Frau fuhr empor und betrachtete einige Augenblicke den Offizier, dann sank sie vor ihm auf die Knie und hob flehend die Hände zu ihm auf. – »Töten Sie ihn nicht, o töten Sie den Knaben nicht,« bat sie in den gebrochenen Tönen des tiefsten Herzeleids. – »Euer Sohn hat geraubt und einen wehrlosen, verwundeten Soldaten meines Volkes gemordet, Frau, der auch eine jammernde Mutter hat, wie Ihr seid.« Der Offizier sagte es finster und streng; dann aber fuhr er milder fort: »Es gibt jedoch vielleicht Gnade für den Verbrecher ... Gibt es Wege durch diese Sümpfe, auf denen man an das Ufer der Donau im Rücken der großen Schanzen gelangen kann?« – »Es laufen der Pfade viele, aber sie alle führen in die Irre und keiner zum Ziel. Einen nur gibt es, aber nur wenige, die da leben, wissen von ihm, und er ist ein Geheimnis, das diese mit heiligen Eiden gelobt haben, nimmer zu verraten.« – »Und gehört Ihr zu diesen wenigen?« – »Ich kenne ihn!« – »Wohl. Ist der Weg derart, daß nicht blos Menschen, sondern auch Pferde und Gefährt ihn passieren können?« – »Ich habe ihn zwanzigmal gemacht mit Reitern und schwerbeladener Kerutza. Walachischer offener Wagen. Mein einsamer Fuß betritt ihn oft.« – »So hört. Könnt Ihr uns diesen Weg zeigen und eine Kolonne unserer Soldaten mit Geschütz noch in dieser Nacht an das Ufer der Donau in den Rücken der türkischen Stellung führen, so soll Euer Sohn nicht allein frei und ledig sein, sondern Ihr selbst sollt noch eine Belohnung von zehn Goldstücken erhalten.« – »Gold? – blankes Gold?« – Ihre Züge belebten sich. »Ich habe lange kein Gold gesehen. Zeige es mir, Fremdling, daß ich sehe, du täuschest die Zinka nicht.«

Der Kapitän sah, wie das Mädchen sich mit zornigem Blick von ihrer Erzeugerin abwandte. Ihn selbst widerte diese Gier, die sogar den tiefsten Schmerz überwand, an, doch galt es hier höheres; er zog seine Börse und nahm eine Handvoll Goldstücke heraus, die er der Frau zeigte. – »Dies wird Euer Lohn sein, wenn Ihr uns den Weg verratet.« – Das Weib schauderte ... »Verraten! Ihr sprecht das richtige Wort aus. Einmal schon hab' ich ihn verraten um blankes Gold! Verderben über mich, daß ich es tat!« Sie begrub das Gesicht schluchzend in ihre Hände. – »Denkt an Euren Sohn, Weib, Ihr rettet Euer Kind dadurch vom Galgen.« – Sie fuhr empor ... »Du hast recht, Fremdling. Ich will dir den Weg zeigen. Aber zuvor muß ich sicher sein des Lebens meines Kindes.« – »Der Ober-General der Armee selbst wird es Euch zusichern. Ich führe Euch zu ihm.« – Die Frau nickte. Dann holte sie aus dem Winkel eine große Decke, die noch mit einzelnen Resten goldener Tressen besetzt war, und schlug sie um Kopf und Schultern. So trat sie zu der Greisin auf dem Lager im Winkel und rüttelte sie auf aus ihrer Lethargie ... »Ich verlaß dich, Mutter, für diese Nacht, denn mein eigen Blut ruft mich.« – Die Alte richtete sich auf ihrem Stroh empor ... »Es sind Männer hier aus anderm Geschlecht, als das unsre. Hüte dich, Tochter; die Blanken bringen den Kindern des wandernden Vaters Unheil, und du hast es erfahren.« – »Der Blanke bringt uns Gold, Mutter, und Aleko Pelin, den Bojarensohn, der uns beschützt, kennst du.« – »Aleko Pelin?« fragte die Alte und starrte auf den jungen Mann. »Laß ihn zu mir treten, ehe du gehst, und den blanken Mann, der Gold brachte in unsere Hütte, mit ihm. Der Geist unseres Stammes liegt auf mir, und ich muß die Worte der Zukunft reden.«

Ihr Auge belebte sich mit phantastischem Glanz, ihre Lippen murmelten vor sich hin, während der Kapitän und sein Begleiter auf den Wink Zinkas näher herantraten ... »Reiche mir deine linke Hand, Sohn des Reichen! Die Stunde ist gekommen, wo ich den Schleier heben darf von deiner Zukunft. Auch du, blanker Fremdling, gib die Hand, die von deinem Herzen kommt, aber versilbere sie, auf daß meine alten Augen sich öffnen mögen und die Zunge lehren das Schicksal der Zukunft.« Der Kapitän erinnerte sich der Gewohnheit der Zigeuner, daß ein Geschenk ihrer Prophezeihung vorhergehen muß. Er legte eines der Goldstücke auf die Fläche seiner Hand. Die Greisin faßte hastig danach ... »Gold,« flüsterte sie, »Gold, blanker Junge? Möge das Leben dir so golden sein, wie du freigebig bist. Aber die Linien deiner Hand lehren mich, daß du das wahre Gold nicht aus dem dunklen Schoß zu holen verstehst, wo es dir gewachsen ist. Daß die, welcher dein Herz gehört, dich allzu sehr liebt, und das wird dein Ende und ihr Unglück sein! Nur das Ende aller Gefahr ist deine Gefahr. Hüte dich vor dem Achten!« Sie ließ die Hand des über den seltsamen Spruch Betroffenen los und faßte die des jungen Bojaren ... »Der Edelmann gehört nicht zur Tochter der Verachteten, der Herr soll nicht sein Blut mit der Sklavin mischen. Wahre dich vor dem Salz, Okna. Aleko Pekin wurde im Jahre 1856 vom Diwan zu Bukarest als überwiesen, seit drei Jahren das Räuberhandwerk getrieben zu haben, zu zweijähriger Kettenarbeit in den Salzgruben (Okna) verurteilt. Bojarensohn! es gab nur einen Tunso, und der ist tot, aber der Verräter gibt es viele!«

Der junge Mann errötete tief, indem er ihr ein Silberstück in den Schoß warf ... »Die Alte ist längst schon wahnwitzig,« sagte er; »lassen Sie uns aufbrechen.« – Sie verließen die Hütte, aus welcher der eintönige Gesang des Weibes durch die Nacht ihnen nachscholl. Die Zigeunerin Zinka und ihre Tochter schritten voran auf dem Wege, den sie gekommen waren. Der Kapitän folgte mit dem jungen Walachen ... »Sie sind mir noch den Schluß der Erzählung schuldig,« sagte der Offizier. »Wenn ich auch vieles erraten konnte, möchte ich doch gern näheres wissen. Wie endigte die Laufbahn des Räubers, den Sie so sehr bewundern?« – »Durch Verrat. Die Frau, die vor uns durch das Moor schreitet, war diejenige, die Tunso liebte mit aller Kraft seiner Seele. Auch sie liebte ihn, aber der Teufel blendete sie und fand ihre schwache Stelle in ihrer Gier nach Gold. Als Tunso aller Nachstellungen spottete und seine Verfolger mit blutigen Köpfen davonschickte, berückte der Polizeihauptmann die Seele Zinkas, und auf das Versprechen von zehntausend Dukaten verriet sie den Geliebten ihres Herzens, den Vater ihres Kindes. Aber er vergab ihr vorm Tode.« – »Und der Sohn Zinkas?« – »Der Aga, um die zehntausend Dukaten zu sparen, ließ sie in seinen Harem bringen. Als er kurz darauf nach Konstantinopel zurückkehrte, verstieß er das Opfer seiner Willkür; der Gefangene ist ihr und sein Sohn. Aber seit sie der Moslem nicht mehr schützt, ist sie von ihrem Stamm verstoßen und lebt seit Jahren hier in der Wildnis.« – »Und Sarscha?« – »Sie ist Tunsos echte Tochter, stolz, mutig, entschlossen. Doch das Gesetz ihres Volkes, das von den Kindern unbedingte Hingebung in den Willen der Eltern fordert, ist ihr heilig dabei. Aber nur der Tapfere, Kühne, Freie wird die Liebe dieser Zigeunerin gewinnen.«

Sie waren an die ersten Vorposten gekommen und das Gespräch verstummte, da die Gesellschaft jetzt zusammen ging. Kapitän Meyendorf führte sie direkt zum Quartier des Oberbefehlshabers, das im Hause des Gutsherrn aufgeschlagen war, und Zinka wurde alsbald in das Zimmer des Oberkommandierenden gerufen. Nicht lange mehr, so eilten die Ordonnanzen durch den Ort, und kaum eine Stunde nachher marschierte das Ochotzkische Jäger-Regiment unter Oberst Bibikoff mit zwei Sotnien Kosaken und der leichten Batterie Nummer 6 in der Richtung nach den Sümpfen ab. An der Spitze des Zuges, neben dem Pferde des Adjutanten Kapitän Meyendorf, schritt, in ihre Decke gehüllt, die hohe Gestalt der Zigeunerin Zinka ...

Als am Morgen die feuchten Novembernebel sich verzogen, erblickte der türkische Oberbefehlshaber seine ganze Stellung im Rücken bedroht. Die Batterie, die die Russen in schnell aufgeworfenen Werken am Donauufer wie durch Zauber errichtet hatten, bestrich nicht allein die türkische Position an den alten Schanzen, sondern auch die Brücke über den Argisch. Seine Verbindung mit der Insel und dem jenseitigen Ufer war auf das höchste gefährdet, wenn die Russen, worauf die fortwährend zuziehenden Verstärkungen an Mannschaften und Geschützen deuteten, von dieser Seite aus einen Angriff zugleich mit einem Frontalsturm unternahmen; zumal die fortwährenden Regengüsse den Strom angeschwellt hatten, so daß die Unterhaltung der Verbindung ohnehin mit jedem Tage schwieriger wurde. Unter diesen Umständen riet Klapka selbst zum Rückzuge, und der Muschir mußte sich der Notwendigkeit fügen. Fünf Tage darauf hatte die türkische Armee auch Tuturkai geräumt und sich teils auf Schumla zurück, teils stromaufwärts nach Widdin hin gezogen. – Am 15. machten die Türken zwar einen neuen Versuch, bei der Festung Nikopolis über die Donau zu gehen und sich Turnuls zu bemächtigen, wurden aber vom Oberstleutnant Schaposchnikoff vom Kosaken-Regiment Nummer 37 über die Donau zurückgeschlagen.

Somit war das Ufer der großen Walachei wieder vollständig im Besitz der Russen und der Plan des Muschirs, ihre Linie zu durchbrechen, vereitelt. Nur bei Kalafat noch standen die Türken diesseits der Donau und verschanzten die von Natur aus feste Stellung.


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