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Es war ein trüber Dezemberabend, das Sternengewölbe durch düstere Schneewolken verhüllt, die der Wind am hin und wieder mit mattem Glanz durchbrechenden Mond vorüberpeitschte – als durch eine lange, straßenähnliche Lichtung am Saume eines der ungeheuren Urwälder, welche noch große Flächen der Ukraine und Volhyniens bedeckten und die Sümpfe von Rokitno und Mozyr genannt werden, ein auf polnische Art bespannter dreispänniger Schlitten über die Schneedecke flog. Zwei Personen, ein alter Mann von straffer, militärischer Haltung mit noch jugendlich feurigem Blick trotz des weißen Haares, das unter der dicken Pelzmütze hervorquoll, saß mit einem jungen Mädchen von liebreizendem Antlitz, soweit aus den Kragen, Tüchern und Hüllen, mit denen sie sich gegen die Kälte geschützt hatte, dieses zu schauen war. Auf dem Vordersitz des Schlittens, neben dem Postillon, saß ein Diener, ein Mann von mittleren Jahren und kühnem, verständigem Aussehen, in der polnischen Tracht, die weiße barankenbesetzte Mütze über die Ohren gezogen.
»Das Wetter will mir wenig gefallen, Herr Graf,« sagte, sich umwendend, der Diener; »ehe eine Viertelstunde vergeht, werden wir volles Schneetreiben sehen, und dieser Wald scheint kein Ende zu nehmen.« – »Hast du den Postillon gefragt, wie weit wir noch bis zum Schloß des Fürsten haben?« – »Volle drei Stunden. Wir werden vor elf Uhr in keinem Fall ankommen, wenn – wir überhaupt ankommen.« – »Wie meinst du das, Bogislaw?« ... Der Diener schwieg einige Augenblicke, dann sagte er auf Deutsch: »Die Schneefälle sind gefährlich in diesen Wäldern, Herr Graf, auch könnten wir auf Wölfe stoßen. Die ganze vorige Woche war harter Frost, und das bringt die Bestien von den Karpathen herauf und aus den Sümpfen her.«
Graf Lubomirski, – der Reisende im Schlitten war der alte Offizier, dem wir in der ersten Szene unseres Buches und dessen Namen wir zuletzt in Petersburg begegnet sind, – beugte sich besorgt vorwärts ... »Ich habe selbst schon bedauert,« sagte er in der gleichen Sprache, von der er wußte, daß sie der jungen Dame an seiner Seite nicht geläufig war, »nicht in Owrucz geblieben zu sein. Doch hatte ich dem Fürsten zu heute meine Ankunft angezeigt, um morgen mit ihm das heilige Christfest zu begehen. Es bleibt uns nichts übrig, als so rasch wie möglich vorwärts zu kommen. Frage den Postillon, ob es denn keinen Halteplatz gibt bis zum Schloß des Fürsten.« Nach einer kurzen Unterredung berichtete Bogislaw, daß zwar ein Gehöft, ein Krug für die Holzfäller, eine Meile weiter seitab im Walde liege, doch sei es besser nach der Meinung des Postillons, den geraden Weg zu verfolgen. – »Was fürchten Sie, Oheim?« fragte die junge Dame. »Sollten wir uns vielleicht verirrt haben?« – »Nein, mein Kind,« beruhigte der Graf. »Es ist kein Grund zur Besorgnis vorhanden, der Weg führt geradeaus durch die Lichtung und ist kaum zu verfehlen.«
Ein furchtbarer Windstoß, die riesigen Bäume entwurzelnd, schien das Signal zu sein zum Beginn des Unwetters, denn alsbald entluden sich die Wolken in einem dichten Schneegestöber, und binnen wenigen Minuten waren die Reisenden und ihr Fuhrwerk in einen dichten weißen Mantel eingehüllt. Die Flocken fielen so gedrängt, daß man rechts und links die dunkle Baumwand nicht sehen konnte, daß man den Lauf der Pferde ihrem Instinkt überlassen mußte. Ungefähr eine halbe Stunde, von einzelnen heftigen Windstößen unterbrochen, dauerte das tolle Wetter, dann begann es nachzulassen und sich aufzuklären – es verzog sich rasch, wie es gekommen war. Nach kurzer Zeit erklärte jedoch der Postillon, er sei nicht sicher, ob sie auch noch auf dem rechten Wege wären, da das Schneegestöber jede Spur verweht hatte. Vor ihnen breitete sich zwar im Schein des wieder klar und hell vom Himmel strahlenden Mondes noch immer eine Lichtung aus, doch war es fraglich, ob es die rechte sei. Dem Zweifel und der Beratung wurde ein kurzes Ende gemacht – ein entfernter, klagender, heulender Ton ließ sich hören; die ermüdeten Pferde spitzten die Ohren und setzten sich ohne Antrieb von Zügel und Peitsche sofort wieder in Galopp.
»Haben Sie gehört, Oheim?« fragte die Dame. »Wir sind den Wohnungen nahe, das war das Heulen eines Hundes.« – Der Graf antwortete nicht, aber er nahm unter der Decke des Schlittens zwei dort gesicherte Jagdgewehre hervor und reichte das eine dem Diener ... »Ehe zehn Minuten vergehen, werden wir die Bestien auf dem Halse haben,« sagte dieser, diesmal auf Polnisch. – »Um Gott, Oheim, was gibt es?« – »Nichts von Bedeutung, Wanda; einige Wölfe, die vielleicht auf unsere Spur kommen. Wir werden sie mit blutigen Köpfen zurückschicken.« Die Dame war eine Polin, und obschon in Warschau erzogen, kannte sie doch durch Erzählungen hinreichend die Gefahren der Wälder ihres Vaterlandes. – »Wir sind verloren, Onkel, wenn sie uns in dieser Wildnis erreichen!«
Gleich, als solle ihre Furcht bestätigt werden, erscholl dicht zur Seite des Schlittens, der am Waldrande dahinflog, ein durchdringendes Geheul, und ein dunkler Körper schoß plötzlich aus dem Schatten der Bäume über die helle Fläche des Schnees und sprang dem linken Handpferde an die Kehle. Im nächsten Augenblick erfolgte ein Knall, und der Wolf stürzte tot zurück. Der Graf wandte sich um, und im Abstande von einigen hundert Schritten sah er nun eine dunkle, bewegliche Masse sich auf der Schneefläche hinter ihnen herwälzen. Feurige hüpfende Punkte glühten gleich Johanniskäfern aus dem dunklen Knäuel ... »Lade schnell das Gewehr, Bogislaw, indes ich sie in Respekt halte,« befahl der Graf. »Ich habe so manchesmal in längst vergangenen Zeiten meine Flinte auf die Bestien im Bialowitzer Walde abgefeuert.« – Gräfin Wanda barg ihr Gesicht in dem Pelzkapuchon, um die Gefahr nicht zu sehen. Wenige Augenblicke darauf knallte neben ihrem Ohr die Büchse des Oheims, und ein Schmerzensgeheul aus dem Rudel, das sich auf etwa hundert Schritt schon dem Schlitten genähert hatte, verkündete ihr, daß ein Verfolger weniger war ... »Sie werden einige Minuten anhalten, um ihren Gefährten zu verzehren,« sagte der Diener. Aber nach kurzer Zeit jagten die Wölfe kaum fünfzig Ellen hinterdrein. Noch zweimal schoß der Graf mit gleichem Erfolg das Gewehr ab, das der Jäger ihm reichte, aber der Fall der getroffenen Wölfe vermochte jetzt nur noch auf Augenblicke die Verfolger aufzuhalten. Während die Männer die Blicke auf sie gewandt hielten, schrie plötzlich die Gräfin laut auf: »Jesus Maria, ich sehe Licht!« und wie ein elektrischer Schlag durchfuhr der Rettungsstrahl die Gefährdeten.
»Es ist das Schloß oder ein Gehöft, in einer Viertelstunde sind wir dort. Hölle und Teufel, was ist das?« – Der Diener Bogislaw, der es rief, beugte sich vorwärts. – »Die Bestie hat das Pferd dennoch verletzt – es stürzt – herunter, Postillon! rasch, rasch! schneide die Stränge los, ehe sie uns einholen, es gilt Tod und Leben!« Er hatte den Zitternden fast mit Gewalt hinabgestoßen und ihm das Messer in die Hand gedrückt, während er selbst bemüht war, die Zugstränge des Handpferdes zu lösen, das, an einer Halsarterie verletzt, nur, von der Furcht getrieben, so lange ausgehalten hatte und jetzt zusammengestürzt war, wild um sich schlagend ... »Den Vordersten, Herr Graf, den Vordersten!«
Wieder knallte die Büchse, und der Leitwolf stürzte zusammen, aber an ihm vorbei jagte die Meute, denn sie wußte, daß in wenigen Minuten ihr die Beute entgangen sein würde. Rechts und links vom Schlitten vorüber sprangen zwei große Wölfe und einer derselben am Vordersitz empor. Laut auf klang der Schrei des gefährdeten Mädchens, während der Greis mit dem Büchsenlauf die Bestie vom Rücken des Schlittens zurückzuhalten suchte.
In diesem Augenblick war es den beiden gelungen, die Stränge abzuschneiden und im selben Moment, als sie sich von der hemmenden Last befreit fühlten, sprangen die beiden Pferde vorwärts und rissen dabei den noch am Vorderzeug beschäftigten Postillon zu Boden. Bogislaw hatte kaum Zeit, sich auf die Deichsel zu schwingen und festzuklammern, als der Schlitten zwei schwere Rucke erhielt, wie über hindernde Körper schnellend, daß die Insitzenden fast hinausgeschleudert wurden. Dann aber sauste er wieder über die Fläche. Ein wilder Angst- und Schmerzensruf, dann wieder das wütende Geheul der Bestien ... Die beiden Pferde jagten wie toll dem Lichtschein entgegen. Es dauerte eine Weile, ehe es dem wackeren Diener gelang, mit den Zügeln, die er zum Glück um die linke Hand geschlungen, ihrer wieder Herr zu werden. Jetzt erst erholte sich die junge Dame von dem Entsetzen der grausigen Szene, um zu bemerken, daß eine der Person auf dem Schlitten fehlte ... »Um Gottes willen, Oheim, Bogislaw – der Postillon?« – Die beiden Männer antworteten nicht. Bogislaw peitschte wütend auf die Pferde. Das bebende Mädchen brach in einen Tränenstrom aus; das Geheul der Wölfe gab ihr die Ahnung, welchem entsetzlichen Opfer sie die einstweilige Rettung verdankten.
Aber diese sollte vollständig werden; denn von jenem Lichtschein aus, den sie in der Ferne gesehen, und der aus einem Gehöft mitten im Walde kam, bewegten sich mehrere Feuer über die dunkle Fläche. Kienfackeln, von Menschen getragen, und lautes Geschrei und Rufen verkündete die Helfer in der Not. Einige Augenblicke darauf waren sie in der Mitte einer Gruppe von Männern wilden Aussehens, Bewohner des düstern Waldes, die, mit brennenden Kiensplittern, Stangen und Äxten bewaffnet, herbeieilten; wenige Worte genügten, das schreckliche Ereignis zu melden.
Es war offenbar nutzlos, Menschenleben zu gefährden in einem Versuch, ob der arme Postillon noch zu retten sei; und doch wandte sich der Graf, als er mit Hilfe des Dieners die zitternde Dame in den großen Raum getragen, der Flur und Küche des ärmlichen Gebäudes bildete, auf ihre Bitte an die mit stumpfer Neugier umherstehenden Leute, warf ihnen eine Handvoll Silber zu und forderte sie auf, sich mit Fackeln und Waffen aufzumachen, um wenigstens die Reste des Verunglückten zu suchen. Als sie das Silber sahen, das der Graf mit so unvorsichtiger Freigebigkeit ausstreute, waren die Männer alsbald zu dem Gange bereit und machten sich, drei an der Zahl, mit frischen Kienspänen und Äxten auf den Weg. Nur der Wirt des Hauses, eine grobe, vierschrötige Gestalt mit all' dem finstern, tückischen Ansehen der niedrigsten Slavenrasse, blieb im Hause bei den unerwarteten Gästen, die erst jetzt dazu kamen, sich in dem Raume, der ihnen zu einer Zufluchtsstätte diente, umzusehen.
Die Hütte, ein mit Sumpfbinsen gedecktes einstöckiges Gebäude von Lehm und Holz, bot das traurigste Bild von Dürftigkeit, Unordnung und Schmutz. Sie war ausnehmend lang, der größte Teil für Pferde, Rinder- und Schweineherden eingerichtet, die die Hirten der Gegend zur Sicherung gegen Kälte und Raubtiere hier einzutreiben pflegten. Für sie und die Holzschläger, die die riesigen Buchen und Eichen des Waldes fällten – ein wüstes, wildes Geschlecht von Leibeigenen – war ein Teil des Hauses zum Krug eingerichtet. Ein halbverfallener Bretterzaun umgab das Hauptgebäude und ein paar ähnliche dienten für die Aufbewahrung der Futtervorräte. In dem großen Kamin brannten riesige Kloben von Holz, Licht und Wärme verbreitend, was um so nötiger war, als der traurige Zustand der Wände durch zahllose klaffende Spalten dem Luftzug freien Eintritt sicherte. In einem großen Kessel auf dem Feuer kochte das Abendbrot: Speck und Grütze; und zwei Frauenzimmer, Mutter und Tochter, waren dabei beschäftigt und bequemten sich erst auf eine handgreifliche Ermahnung des Vaters, eines finster und trotzig blickenden Mannes von robusten Formen, zum Dienst der Dame. Er trug den schmutzigen Schafpelz des niedrigen Polen und die fettglänzende Mütze bis über die Ohren gezogen. Bei aller Wildheit und Rohheit seines Wesens war ihm kriechende Höflichkeit eigen und er belauerte jede Bewegung, die sein vornehmer Gast machte. Bogislaw hatte aus dem Schlitten die Decken und Mäntel herbeigeschafft und nach dem durch einen starken Holzverschlag von der Küche getrennten Raume gebracht, der das Ende des Hauses bildete und von den Weibern schnell von altem Gerät und Holz gesäubert worden war.
An ein Weiterkommen in dieser Nacht war nicht zu denken, da die Pferde durch den rasenden Lauf zum Tode erschöpft waren. Zudem waren sie, nach der Versicherung des Wirtes, von der rechten Straße ab und auf einen Nebenweg geraten, von dem aus im Dunkel der Nacht unter zwei Stunden das Schloß des Fürsten Lubienski nicht zu erreichen sei. Es blieb demnach nichts weiter übrig, als den Tag hier, so gut es gehen wollte, zu erwarten.
Nach etwa einer Stunde kehrten die ausgeschickten Männer, zwei Söhne des Wirts und ein fremder Holzschläger, zurück mit der Nachricht, daß von dem unglücklichen Postillon nur traurige Knochen- und Kleiderreste zu finden gewesen seien, so vollständig hätten die Wölfe das gräßliche Werk getan ... »Aber die Büchse? ich verlor im letzten Kampfe das Gewehr; es muß sich doch auf dem Platze gefunden haben?« fragte Bogislaw. Die Männer schauten einander verlegen an, verneinten aber insgesamt die Frage. Einer meinte, die Wölfe würden die Büchse vielleicht unter den Schnee gestampft haben, oder sie sei später vom Schlitten gefallen und man werde sie morgen bei Tageslicht leichter finden. Dieser Meinung trat auch der Graf bei, obschon sein Diener bedenklich den Kopf schüttelte. Die Männer setzten sich in einen Winkel der Küche zusammen, um ihr Abendbrot zu verzehren, zu dem der Graf eine Flasche Rum aus seinem Vorrat gefügt hatte; sie schienen von der Gegenwart der vornehmen Gäste bedrückt zu sein, denn sie sprachen wenig und nur im Flüsterton unter einander. Dagegen bemerkte Bogislaw mißtrauisch, daß hin und wieder einer oder der andere auf einen Wink des Wirtes das Haus verließ und draußen eine Unterredung mit ihm zu pflegen schien.
So war eine zweite Stunde vergangen, und die Reisenden machten sich bereit, ihr aus Pelzen und Mänteln zurechtgemachtes Nachtlager einzunehmen, als plötzlich am Eingang des Gehöfts ein Ruf erscholl und Pferde hörbar wurden. Mit finsterm Gesicht fuhr der Wirt empor und zur Tür: »Der Teufel mag dich holen, ich kann keine Leute mehr beherbergen, sie müssen weiter!« Aber schon waren auch der Graf und sein Diener an die Tür getreten. In die Mäntel gehüllt, hielten zu Pferde zwei Militärs, ein Ulanenoffizier mit seiner Ordonnanz. Der erstere, ein noch junger Mann von hoher, schlanker Figur mit edlem, stolzem Gesicht, sprang sogleich vom Pferd, indem er den Zügel einem der Männer zuwarf und mühsam in polnischer Sprache befahl, seinen Begleiter aus seinem Sattel zu heben, der bei einem Sturz den Fuß gebrochen habe. Vergeblich erklärte mürrisch der Wirt, er könne keine Herberge mehr geben, man möge weiterreiten; der Offizier, mit dem Umgang an das Volk gewöhnt, kümmerte sich wenig darum und drohte mit dem Kantschu, der statt der Reitgerte an seiner Faust hing. Auf die Einladung des Grafen nahm der Offizier am Feuer Platz, und es entspann sich alsbald in französischer Sprache eine Unterhaltung, aus der sich ergab, daß der Neuangekommene, zur Garnison des Städtchens Olewsk gehörend, gleichfalls auf dem Wege zu dem Schloß des Fürsten Lubienski begriffen war, um auf die Einladung des reichen Grundbesitzers mit einigen bereits vorausgegangenen Kameraden die Festtage dort zuzubringen. Der Dienst hatte ihn verhindert, eher als am späten Nachmittag aufzubrechen, das Schneewetter hatte ihn gleichfalls im Walde betroffen, und ein Sturz über eine Baumwurzel seinen Burschen so unglücklich vom Pferde geworfen, daß derselbe den Fuß gebrochen hatte. Mit Verwunderung hörte nun der Graf, daß der Krug gar nicht weit ab von der Straße zum Schloß des Fürsten gelegen sei, und daß sie morgen in Zeit von einer starken Stunde an ihr Ziel gelangen könnten. Die Wirtsleute des Kruges hatten ihn also absichtlich getäuscht. Obschon der fremde Offizier seinen Namen nicht genannt hatte, zeigte ihn doch das ganze Gespräch als Mann von Bildung und Erziehung und eine zufällige Bemerkung ergab, daß er erst seit etwa drei Monaten hier in Garnison stand. Ein Zug von Ernst, ja Schwermut, der über das ganze Wesen des jungen Mannes ausgegossen war, erhöhte das Interesse, das seine männliche Schönheit erregte. Nur die Begeisterung, mit der er des Kaisers erwähnte, machte die Polen mißtrauisch und zurückhaltend.
Nach einer längeren Unterhaltung mußte man endlich an die Ruhe für die Nacht denken, da die junge Dame offenbar sehr erschöpft war. Der Wirt schlug vor, daß der junge Offizier den Verschlag zur Linken der Küche einnehmen sollte; da dieser jedoch von Schmutz aller Art strotzte, erklärte derselbe, lieber in seinen Mantel gehüllt, die Nacht am Herdfeuer zubringen zu wollen, wobei ihm der Jäger Bogislaw Gesellschaft leisten sollte.
Diese Anordnung schien dem Eigentümer des Hauses wenig zu behagen, und er gab sich mehrfache Mühe, den Fremden die Kammer oder den mit Stroh und Heu gefüllten Boden anzupreisen, der über den größten Teil des Gebäudes lief. Als er endlich sah, daß sie auf ihrem Willen bestanden, fügte er sich mürrisch und trieb die Weiber in die Kammer, während er, wie er sagte, mit seinen Söhnen und dem fremden Holzhauer die Nacht im Pferdestall zubringen wollte. Es war etwas in dem Wesen der Familie, was dem aufmerksamen Diener nicht gefiel und sein Mißtrauen erregte; dennoch lag kein Grund vor, dasselbe zu äußern. In wenig Minuten lag der junge Offizier in festem Schlaf, Bogislaw aber blieb, seine Pfeife rauchend, auf dem Lager wach.
Ein eigentümliches Geräusch hatte seinen Verdacht aufs neue erregt; ihm war, als hätte er einen Reiter vorsichtig den Hofraum verlassen und draußen davonjagen hören. Bald darauf öffnete sich leise die Tür der Kammer, und die Wirtin des Hauses streckte vorsichtig den Kopf heraus, um nach den Schläfern zu lauschen, fuhr aber erschreckt zurück, als sie die glänzenden Augen Bogislaws auf sich gerichtet sah ... Noch immer hatte sich nichts ereignet, was den Verdacht des Jägers hätte rechtfertigen können, und dennoch wurde derselbe von Minute zu Minute stärker. Endlich beschloß der Jäger, sich auf jeden Fall Überzeugung zu verschaffen. Den weiten Pelz zusammenballend, so daß es aussah, als ruhe ein Körper darunter, wand sich der Jäger geschickt bis zu einer Leiter, die an der linken Seitenwand zum offenen Eingang des Bodenraumes führte. Mit katzengleicher Vorsicht stieg er sie hinan und war gleich darauf im Dunkel des Raumes verschwunden. Zur selben Zeit saßen in dem entgegengesetzten Flügel des Gebäudes am Ende des Stalles, der an fünfzig kräftige Ukrainer Pferde, außer denen der Fremden, enthielt, der Wirt mit einem seiner Söhne, während der andere fehlte, und dem Holzfäller um eine dürftige Lampe in eifrigem Gespräch.
»Ich sage dir, Stenko,« sprach der Bauer, »deine Vorsicht wird alles verderben. Warum den Segen, den uns die heilige Mutter von Czenstochau in unserer Armut geschickt, erst mit den anderen teilen? Der andere zählt nicht, und mit den Dreien wären wir allein fertig geworden.« – »Du redest, wie du's verstehst, Sohn eines Hundes!« entgegnete der Wirt. »Der Teufel könnte sein Spiel haben und einer entkommen, und dann wären wir alle verloren. Überdies sind die bewaffnet und würden sich scharf wehren. Die Freunde, die Jarkow herbeiholt, werden mit Hilfe der Heiligen hier sein, ehe der Tag graut, und dann liegen die Edelleute gerad' im tiefsten Schlaf ... Auch brauchen wir die andern, um den Schlitten und die Pferde hinweg zu führen, damit wir alle zu Hause getroffen werden und kein Verdacht auf uns fällt.« – »Es war gut, Vater,« meinte der junge Bursche, »daß wir die Büchse beiseite gebracht haben. Die Narren glauben sie dort unterm Schnee, während sie hier wohl aufgehoben ist.«
Er brachte das Gewehr zum Vorschein, das er unter der Streu verborgen hatte, und besah es von allen Seiten ... »Verflucht, daß wir's nicht brauchen können,« grollte der Alte. »Es ist eines von den neuen Dingern, wie sie die Jäger des Herrn haben, ohne Schloß und Stein, aber unsereins versteht damit nicht umzugehen. Schande, daß uns der Herr die Flinten weggenommen, und uns blos die Äxte und Messer zu unserer Verteidigung gelassen hat.« – »Eine Axt ist ein schönes Ding,« meinte der andere, »wo sie hinschlägt, trifft sie sicher.« – »Ob Boris mit den Jungen kommen wird?« – »Warum sollt' er nicht? Ein solcher Fang findet sich selten, und er läßt einen Freund nicht im Stich, wenn er auf seine Faust und sein Messer rechnet. Reich' mir die Wodkaflasche, Michael.« Der Branntwein machte die Runde ... »Nun legt euch aufs Ohr und schlaft,« sagte der Wirt; »vor dem zweiten Hahnenkräh können die Burschen unmöglich hier sein, und ich wüßte nicht, weswegen wir den Schlaf verlieren sollten. Wir haben morgen in der Frühe viel zu tun, um alle Spuren zu tilgen und das Gut fortzuschaffen. Jarkow wird uns schon wecken, wenn er kommt.« Er warf sich auf die Streu, und die beiden anderen folgten alsbald seinem Beispiel. –
Das Feuer des Herdes war im Verlöschen, der Raum fast dunkel, als eine Hand leise die Schulter des jungen Offiziers schüttelte und dieser, an rasches Erwachen gewöhnt, auffuhr und im selben Augenblick nach dem unter dem Mantel neben ihm ruhenden Säbel griff. Doch die Hand legte sich rasch auf seinen Mund, und eine Stimme flüsterte an seinem Ohr: »Still, es gilt unser Leben!« Der Offizier erkannte im Halbdunkel den Jäger Bogislaw, der sich lang an seine Seite kauerte. »Bleiben Sie still auf Ihrem Lager und hören Sie zu, denn jede Bewegung könnte uns verraten; ich traue den Weibern da drinnen nicht.« Der Offizier tat, wie der Jäger verlangte, und horchte aufmerksam ... »Wir sind einer Bande jener mörderischen Schurken in die Hände gefallen,« sagte Bogislaw, »die bei dem Aufstande von 49 an der galizischen Grenze raubten und plünderten. Der Wirt hat seinen Sohn nach Genossen ausgeschickt. Wieviel ihrer kommen werden, weiß ich nicht. Ich habe sie belauscht und erfahren, daß wir Zeit zu unseren Vorbereitungen haben. Sie gedenken uns erst im Morgenschlaf zu überraschen.« – »Es soll den Schuften nicht gelingen,« sagte der junge Mann. »Sie werden sich blutige Köpfe holen. Aber was hindert uns, ihnen zuvorzukommen? Wir sind drei gegen drei und gut bewaffnet. Sie vermögen nicht, uns aufzuhalten.« – »Sie vergessen den Wald und die Wölfe. Ohne Führer werden wir uns schwerlich bei Nacht zurechtfinden und den Mördern vielleicht gar in die Hände laufen. Auch hindern uns die Gräfin und der arme Bursche dort an der Flucht, der jetzt im Wundfieber stöhnt, und den wir doch nicht ihren Messern überlassen können.« – »Aber was ist zu tun?« – »Ich weiß nicht, ob die Weiber schlafen; ich sehe, Sie haben Ihre Sattelpistolen bei sich.« – »Sie sind geladen, und auch die meines Burschen. Aber wir haben keine Patronen bei uns.« – »Tut nichts. Drin beim Grafen liegen Pulverhorn und Kugelbeutel, und die Jagdflinte des Herrn. Meine Büchse haben die Schurken gestohlen, aber sie nützt ihnen nicht, und da sie weiter kein Schießgewehr haben, sind wir im Vorteil. Ich denke, wir lassen den Grafen und die junge Gräfin noch ein paar Stunden ruhen und halten abwechselnd Wache. Bis dahin können wir überlegen, was wir am besten tun. Nehmen Sie die erste Wache, Herr, und wecken Sie mich in zwei Stunden, oder wenn Sie das geringste verdächtige Geräusch hören. Vielleicht kommt mir im Schlaf ein guter Gedanke.«
Er schlich zurück zu seinem Lager, nachdem er noch vorsichtig die Leiter abgehoben, die zum Boden führte, und sie leise quer vor die Kammertür zur Linken geschoben hatte; der Offizier, der zu seinem bedächtigen und mutigen Gefährten volles Vertrauen gefaßt, beschloß, sich ganz seiner Einsicht zu fügen. Die Pistolen im Bereich der Hand, stützte er den Kopf auf den Arm und versank in tiefes Nachsinnen ... Wohin führten seine Gedanken? Wohin wanderte seine Phantasie? ... Bilder seiner Kindheit erhoben sich umher, der mächtige Felsenhorst, auf dem der Adler nistet, wilde abenteuerliche Gestalten im blitzenden Silberpanzer, – Waffen, – brausende Bergströme, – das Getobe des wilden Kampfes, – Ströme von Blut, – und der Knabe emporgehoben von den Armen eines hohen, blassen Mannes mit langem, dunklen Bart und blitzendem Auge! – Dann Nacht um ihn her, gerötet vom Flammenschein brennender Häuser, wildes Geheul der Stürmenden, blitzende Bajonette, donnernde Salven, – Dampf, Rauch, Blut, Feuer, – Tod und Gefahr ringsum! – Und wiederum aus der frühesten Kindheit liebliche, seltsame Bilder: Frauen in dichte Schleier gehüllt, die Brust von dem weichen Leder des Berghirsches eng umschlossen, blitzende Steine und Geschmeide um Haar und Hals; – am dunkeln Felsenhang die Ziege kletternd, – und von den hohen Bergwällen der Blick des spielenden Knaben hinabtauchend auf Fels und Tal und weit darüber hin die silberglänzende Fläche des weiten Meeres! – Dann kamen die Erinnerungen seiner spätern Jahre, die Erziehung im Korps zu Petersburg, das Bild der Jugendfreunde und Kameraden, die jetzt weit zerstreut waren über das unermeßliche Reich – die leuchtende Gestalt des kaiserlichen Herrn, den er so oft geschaut, dem er Treue geschworen, er, der – – Und nun vielleicht hier unrühmlich, ohne Namen, ohne Taten zu enden unter dem Beile eines Mörders? vergessen zu werden unter dem Leichenhügel des Schnees, zerrissen von den gierigen Bestien des Waldes, die seine Leiche aus der heimlichen Gruft gescharrt!
Dazwischen tauchte ein lichtes, schönes Bild auf, seit wenigen Stunden erst gekannt, und dennoch verlockend, reizend vor seinen Augen stehend, – Wanda, – die junge Gräfin, für die er sein Blut vergießen, die er zu retten versuchen, oder mit der er sterben sollte. – – Eine wilde, energische Kraft, wie edles Blut vom Herzen strömend, schoß durch seine Adern; er fühlte, daß das dunkle, schwärmerische Auge des Mädchens ihn zu jeder Tat und Anstrengung begeistern könne. –
Die Stunden vergingen; es war Zeit, den Jäger zu wecken. Im Augenblick war der Pole munter und bat ihn, nun seinerseits unbesorgt eine Stunde der Ruhe zu pflegen. Aber der Geist des jungen Mannes war zu aufgeregt, als daß er Schlaf zu finden vermocht hätte. Er überließ zwar seinem Begleiter, ohne sich einzumischen, alle Vorbereitungen, doch schaute er ihnen wach und aufmerksam von seinem Lager aus zu.
Bogislaw horchte erst aufmerksam an dem zur Kammer führenden Eingang; dann untersuchte er sorgfältig die Haustür, die zum Glück ziemlich fest, aber ohne Verschluß war; nur ein ziemlich starker Querbaum in Haspen konnte davor gelegt werden. Die Türen beider Kammern öffneten sich nach der Küche, sie konnten also verrammelt werden ... Es blieb noch der Eingang von der Bodenluke her. Bogislaw hing, kurz entschlossen, den großen, hölzernen Riegelbaum vor die Tür und begann vor der Kammer der Frauen von den in der Küche aufgetürmten großen Holzstücken einen förmlichen Wall zu bauen, der bald halbe Mannshöhe erreicht hatte und die Bretter der Tür festhielt. Darauf schob er ein neues Scheit in das Feuer und fachte dieses wieder an ... »Es wird ebenso gut sein,« sagte er leise nach allen diesen Vorbereitungen, »wenn wir die Herrschaft schlafen lassen, bis die Gefahr erscheint. Der Graf ist ein alter Soldat und wird auf dem Platze sein.«
Die Uhr des Offiziers zeigte die vierte Stunde, als draußen ein leises Geräusch sich hören ließ und Bogislaw seinem Gefährten winkte ... »Sie kommen; machen wir uns bereit, und möge die heilige Jungfrau uns schützen! Halten Sie die Bodenluke im Auge, ich werde die Tür nehmen. Nieder mit jedem, der hereinzudringen wagt!« – Jeder von ihnen hatte ein Paar Sattelpistolen genommen; der Offizier faßte an der Wand, gegenüber der Bodenluke, Posten, der Jäger an der Tür, an deren beiden Seiten zwei kleine Fensterchen, wie sie in polnischen Hütten üblich sind, sich befanden, eben groß genug, um Licht und Luft hereinzulassen, aber zu eng zum Einsteigen. Beide waren von außen mit Läden verschlossen, die kleinen Fensterscheiben zerbrochen und mit Papier ausgeflickt ... »Wenn ich nur wüßte,« flüsterte der Diener, »wie viele ihrer sind! Es ist zu dunkel draußen, um sie zu zählen, und ich darf es nicht wagen, sie nochmals wie vorhin zu belauern.« – Das Geräusch hatte sich verstärkt, man konnte deutlich hören, daß mehrere Personen, jedoch vorsichtig, in das Gehöft eintraten und an dem Hause entlang schlichen. Der unter den Sohlen ihrer Stiefel knisternde Schnee verriet sie ... Dann war alles wieder still. – –
Die kühnen Wächter harrten. Ihre Mäntel lagen auf den verlassenen Lagerstätten, so daß sie in dem matten Lichte aus einiger Entfernung leicht ein fremdes Auge täuschen konnten. Sie selbst standen in dem dunklen Schatten verborgen, so daß sie nicht leicht bemerkt werden konnten ... Wiederum knisterte der Schnee; leise Schritte mehrerer Männer schlichen heran und hielten an der Tür des Hauses still. Zugleich ließ sich ein leichtes Geräusch auf dem Boden vernehmen. Wenige Augenblicke darauf erschien den scharfen Augen des jungen Mannes ein Gesicht in dem dunklen Raume, eine Gestalt wurde erkennbar – der Wirt des Hauses, und der Offizier konnte sehen, daß seine Hand mit einem kurzen, schweren Beil bewaffnet war. Die andere tastete nach der Leiter umher ... Sie suchte vergeblich. Der Kopf des Mannes bog sich vor aus der Luke, um zu schauen, ob sie nicht an Ort und Stelle sei. Das Blut des jungen Ulanen fieberte, seine Hand spannte sich um den Kolben der Pistole. Aber er fühlte, daß Ruhe und Vorsicht hier mehr galt als Mut und Tapferkeit ... » Przekleçie!! Die Hundssöhne haben richtig die Leiter weggenommen,« flüsterte oben eine Stimme. »Bleib du hier, die Weiber sollen uns öffnen. Ich sehe, die beiden liegen am Feuer.«
Wiederum war eine lange Pause. Dann hörte der Jäger an das Fenster der Kammer klopfen und eines der Weiber aufstehen und herankommen. Es folgte ein kurzes Flüstern, darauf machte die Frau den Versuch, ihre Tür zu öffnen, und als sie dies zu ihrer Verwunderung nicht konnte und die Verrammelung bemerkte, teilte sie dies eilig den Männern draußen mit. Ein wilder Fluch – dann eine kurze Beratung. Gleich darauf erschien der Wirt aufs neue oben an der Bodenluke, schaute sich um und schickte sich an, herabzuklettern. Der Augenblick des Handelns war gekommen ... »Zurück da! Bleibe dort oben, oder ich schicke dir eine Kugel durch den Kopf!« – »Mögen die Teufel deine Mutter quälen! Bin ich Herr in meinem Hause oder nicht? – Setzt die Leiter an. Ich muß hinunter!« – »Bleib, wo du bist, Schurke,« sagte ruhig der Jäger, »wir wissen, was du willst und welche Gesellschaft du bei dir hast. So wahr ich an Gott und die Heiligen glaube, jeder, der diesen Raum vor hellem Tageslicht betritt, ist ein Kind des Todes! Also troll dich und laß uns in Frieden.« – »Ist's so gemeint, Hundssohn? – Her mit der Leiter, Michael! Wir wollen doch sehen, ob sie, die wir von den Wölfen gerettet, uns aus dem eigenen Hause zu jagen wagen.«
Eine zweite Gestalt wurde sichtbar und schob eine Leiter durch die Luke. Der Krugwirt half ... »Jetzt hinunter, Michael! Ich will sie von deinen Pferden zerreißen lassen, wenn sie es wagen, dir ein Haar zu krümmen. Hinunter, Junge, sag' ich!« – Der junge Mann setzte den Fuß auf die erste Stufe der Leiter, ein dritter zeigte sich hinter ihnen ... Ruhig und kaltblütig hob der Offizier, der bis jetzt im Schatten gestanden und sich bei seiner geringen Kenntnis des Polnischen nicht in die Verhandlung gemischt hatte, die Pistole; im nächsten Moment fiel der Schuß, der junge Bauer öffnete die Arme, stieß einen Schrei aus und stürzte schwer von der Höhe der Leiter herab auf die Tenne des Küchenflurs. Gleichzeitig mit dem Schuß war mit einem raschen Sprung der Jäger von der Tür her unter der Luke und riß mit kräftigem Griff die Leiter aus den Händen, die sie oben festhielten und sich im Schreck über die rasche Tat öffneten ... »Verfluchte, ihr habt mein Kind erschossen!«
Die kurze, schwere Axt, von der Hand des Vaters geschleudert, flog durch die Luft, schlug aber unschädlich an die Kammertür zur Rechten, die eben rasch von innen geöffnet wurde. Der Graf, mit den Pistolen in der Hand, erschien in ihrem Rahmen; hinter ihm, bleich, verstört und aus dem tiefen Schlaf geweckt, die Gräfin Wanda ... Zugleich erscholl Weibergekreisch in der Kammer, wildes Lärmen der Männer draußen, die ihr Werk verraten sahen und mit den Äxten gegen Tür und Läden schlugen ... Stenko, der Wirt, war im Begriff, in seiner Wut hinabzuspringen, als sich bedächtig der Arm des jungen Offiziers mit der zweiten Pistole hob und nach ihm zielte ... »Zurück!«
Der dritte, der mit dem Krugwirt auf dem Boden war, rief, ihn von der Luke zurückreißend: »Hinunter zu den anderen!« Sie verschwanden. – »Was bedeutet das alles, Bogislaw?« fragte der Graf. »Werden wir angegriffen?« – »Mein Verdacht hat sich bestätigt,« sagte der Jäger rasch und kurz. »Wir sind in diesem Hause in der Falle, und der Wirt hat seine Mordgenossen herbeigerufen. Wahren Sie uns den Rücken dort nach dem Boden zu, Herr Graf! Hierher, Herr Leutnant!«
Die kräftigen Axtschläge draußen zerschmetterten die Läden der Fenster und donnerten gegen die zum Glück starke Tür. Stenko hatte den Genossen die Gewißheit gebracht, daß sie entdeckt waren, und ihre Wut versuchte einen allgemeinen heftigen Angriff ... Der junge Offizier war an das Fenster zur Rechten gesprungen. Durch die zerbrochenen Scheiben langte eben ein Arm nach dem Riegel, um ihn aus den Haspen zu heben ... »Sparen Sie den Schuß. Den Säbel, den Säbel!« Der Offizier hatte bereits die Pistole fallen lassen und die eindringende Faust gefaßt. Aber die Kraft derselben, die ihn zugleich packte, war stärker als die seine, sie zog seinen linken Arm aus dem Fenster fast bis an die Schulter hinaus und zwei, drei Hände faßten draußen an den Arm. Er war in einer völlig wehrlosen Lage ... Im Augenblick entriß eine Hand der seinen den blanken Säbel, und die Klinge fuhr dicht an seinem Kopf vorbei durch das Fenster auf die Gegner. Der Stoß, den der alte Graf geführt hatte, mußte getroffen haben, denn ein wilder Aufschrei erscholl, der Arm des Offiziers wurde losgelassen, und schnell zog er ihn zurück. Zugleich knallte aus dem andern Fenster ein zweiter Pistolenschuß, und die Vorsicht und Ruhe des Jägers war Bürge, daß er ihn nicht ohne sicheres Ziel abgefeuert hatte. Die wilden Verwünschungen, das Schmerzensgestöhn draußen bewiesen, daß der Angriff blutig empfangen worden, – die Tobenden zogen sich eiligst zurück aus dem Bereich der Schußwaffen.
Jetzt erst gewann der Diener Bogislaw Zeit, seinen Herrn näher von den Vorgängen zu unterrichten. Dann sprang er nach der Kammer, um aus dem Gepäck seines Herrn die Pulverflasche zu holen und neu zu laden ... » Przekleçie! Ich kann sie nirgends finden, die Weiber müssen sie gestohlen haben, als sie in der Kammer hantierten. Doch haben wir noch Ihre Flinte und Pistolen, Herr Graf. Wer nimmt den Posten in der Kammer ein, um zu verhindern, daß die Schurken hier durch das Fenster brechen?« Es war hier die wenigst gefährdete Stelle; aller Augen wandten sich auf die Gräfin, die in stillem Gebet neben dem Bauernsohn kniete, den der Jäger von der Leiter geschossen hatte. Ihr Gebet galt einem Toten. Die Kugel hatte quer durch die obere Brust geschlagen ... Der Oheim hob das Mädchen empor und führte sie nach der Kammer. Es war keine Zeit zu Erörterungen. Er konnte sie nur kurz bedeuten, auf das geschlossene Fenster zu achten und, wenn es erbrochen würde, um Hilfe zu rufen. Dann trug Bogislaw mit dem Offizier den aus seinem Fieberschlaf erwachten Soldaten an die Wand gegenüber der Bodenluke und bedeutete ihn, diese fest im Auge zu behalten.
Die Räuber hatten sich zurückgezogen und waren nicht mehr zu sehen. Die Nacht lag noch finster um das Haus, nur durch die weiße Fläche des Schnees gemildert. Auf ihr, nahe dem zweiten Fenster, erkannte man eine dunkle Gestalt, regungslos ausgestreckt: die Verteidigung hatte bereits ein zweites Menschenleben gekostet. – So verging eine längere Zeit; wenige Worte wurden gewechselt. Es schien fast, als ob die Banditen das Grauen des Morgens abwarten wollten, um ihre Gegner besser zu sehen. Da vernahm das scharfe Ohr des Jägers ein Geräusch, als wenn vorsichtig an einer Wand gearbeitet würde – dann donnerten wieder Axtschläge an die Eingangspforte und zugleich gegen die Kammertür; in wenigen Augenblicken flog sie in Stücke. Die Tür zersplitterte, öffnete sich aber nicht, denn vor ihr bis zur Mannshöhe lagen jetzt eine Masse schwerer Gegenstände aufgehäuft, die aller Anstrengung des Fortdrängens spotteten ... Durch die Zwischenräume der Verschanzung streckte mit der ganzen Kaltblütigkeit eines alten Soldaten der Graf sein Jagdgewehr und zielte auf die beiden dunklen Gestalten, die hier den Eingang zu erzwingen suchten, aber der Hahn fuhr nieder auf das Piston, ohne daß ein Schuß erfolgte. Er warf die Flinte zu Boden und drückte eine der Pistolen durch die Öffnung ab, – der Erfolg war derselbe. Dem Stoß eines durch die Öffnung funkelnden langen Messers entging er durch eine rasche Seitenbewegung.
Ein Schrei der Dame verkündete auch auf ihrem Posten Gefahr – der Offizier war mit einem Sprunge an ihrer Seite und sah die Gestalt eines Mannes, bemüht, durch die enge Fensteröffnung einzubrechen. Einige Stöße des Säbels trieben ihn zurück, – fast gleichzeitig knallte ein Schuß des Jägers durch ein Fenster und wiederum brach einer der Banditen zusammen und schleppte sich stöhnend zur Seite. Zum zweiten Male wichen die Räuber, doch diesmal nur aus dem Bereich der Fenster, und eine kurze heftige Beratung wurde gepflogen ... »Wir müssen zu Ende kommen,« sagte der Krugwirt unter greulichen Verwünschungen, »der Tag graut, und es darf keiner leben von ihnen, sonst sind wir verloren. Mein Michael erschossen, Stephanowitsch tot, Boris verwundet, wir müssen Rache haben, und sollte es unser letztes Blut kosten. Drauf, Kameraden!« Er wollte aufs neue an die Tür, doch Boris, der Verwundete, riß ihn zurück. – »Hinauf auf den Boden! Die Garben hinunter und dann über sie her! Ich und Sarko halten die Tür.« Die Mörder begriffen, sie eilten nach dem Aufgang, der in den Ställen zum Boden führte ... »Es sind ihrer noch immer sechs, mit dem Kerl, den ich gezeichnet habe,« sagte ärgerlich der Jäger. »Der Bursche wandte sich gerade um und bekam die Kugel nur ins Fleisch. – Doch, Herr, jetzt glaub' ich, wird es ernst und gilt es, fürs Leben zu fechten.«
Graf Lubomirski hatte das Gewehr und die Pistolen untersucht. Eine aus den Läufen tropfende Feuchtigkeit belehrte ihn, daß die Weiber die Gelegenheit benutzt haben mußten, bei der Herrichtung des Nachtlagers in der Kammer Wasser in die Läufe zu gießen. Er bewaffnete sich mit dem Säbel des armen Ulanen, der machtlos dem Kampfe zusehen mußte ... »Das Tageslicht dämmert herauf,« sagte der Offizier; »wenn wir uns noch eine Stunde zu halten vermögen, kann ein Zufall uns Rettung bringen. Sie werden es nicht wagen, den vollen Tag abzuwarten –« Der Ruf des Soldaten unterbrach ihn – er zeigte nach der Bodenluke. Sie war gefüllt mit einem großen Bunde von Schilf und Schobenstreu, von denen der Boden voll lag; während das Bund von unsichtbarer Hand hinabgestoßen wurde, drängten sich von der Seite bereits ein zweites und drittes schützend vor die Öffnung. Rasch fuhr die Pistole des Offiziers in die Höhe, der Schuß krachte, man hörte die Kugel klatschen, aber wildes Hohngelächter belehrte sie, daß die Kugel nicht durch den dicken elastischen Schirm der Garbe zu dringen vermocht habe. Wiederum, rasch hintereinander, fielen zwei Bunde herunter.
Die Gefahr war dringend; alle begriffen den Plan der Räuber ... noch einige Bunde, und die Räuber konnten sich unbesorgt herabstürzen und sie im Handgemenge angreifen. Da durchfuhr ein glücklicher Gedanke des Jägers Seele. Im Nu war er zum Herde gesprungen, sein Fuß stieß die noch glühende Asche auseinander und seine Hand suchte einen halbverkohlten Brand, und noch ehe die nächste Garbe den Boden erreichte, flog sie in die geöffnete Luke. Flammen knisterten in der Luke auf; ehe eine halbe Minute verging, schlug schon die volle Lohe empor, – das Feuer hatte die Schoben und das Gestreu, das die Banditen gerade um die Luke gehäuft, erfaßt, und vergeblich waren ihre Anstrengungen, die Flamme zu ersticken; kaum daß sie Zeit hatten, sich eilig über den Boden zurückzuflüchten bis zu dem Ausgang, der in die Ställe führte, denn schon erfüllte Qualm und Dampf den langen Raum. Während die Mörder noch flohen, war Bogislaw, die anderen zu Hilfe rufend, schon beschäftigt, die heruntergeworfenen Streugarben fortzuräumen, damit die aus der Luke sprühenden Funken diese nicht entzünden möchten.
Der frische Morgenwind hatte unterdeß das Feuer immer weiter verbreitet, und nach kaum einer Viertelstunde stand das ganze Dach des langen Gebäudes, trotz der Nässe, in offenen Flammen. Die Verwirrung und der Lärm war groß, denn die Pferde und das Vieh, die in den Ställen untergebracht waren, rissen sich bei dem herabfallenden Feuerregen los und stürzten durch die von den Räubern offen gelassenen Türen ins Freie, vor dem lodernden Brande scheuend, und flohen in den Wald. Die Wut und Verzweiflung der betrogenen Mörder, die sich jetzt verloren halten mußten, da der Brand Aufmerksamkeit wecken mußte und ihnen zugleich die Beute entriß, war groß. Bei dem immer mehr sich verbreitenden Morgenlicht konnten die Belagerten sehen, wie sie ratlos umhertobten zwischen den stampfenden Pferden, nur herüber drohend zu den Verwegenen, die ihrer Überzahl so glücklich getrotzt hatten. Aber auch deren Lage wurde jetzt immer gefährdeter und verzweifelter, denn auch der Dachstuhl über der Küche geriet jetzt in Flammen, so daß der Aufenthalt dort ohne Lebensgefahr nicht lange mehr möglich war. Unter diesen Umständen gab es nur einen Entschluß, dem mit gewaffneter Hand sich Bahn durch die Gegner zu brechen. Gerade dem Hause gegenüber, nahe am Eingang des Gehöfts, lag ein halb offenes Schuppengebäude, worin auch der Schlitten der Reisenden untergebracht war. Konnte man dieses gewinnen, so war die weitere Verteidigung möglich. Ein paar Worte genügten zur Verständigung. Der Offizier und das junge Mädchen erklärten, daß sie den verwundeten Ulanen nicht zur Beute lassen wollten. Er wurde aufgerichtet und die junge zarte Gräfin schlang selbst seinen einen Arm um ihren Nacken und stützte ihn so, daß er auf dem gesunden Fuß mit Hilfe eines Stockes sich langsam fortbewegen konnte. Zur Linken des Paars trat der alte Graf, mit dem Säbel des Soldaten bewaffnet, zur Rechten der Dame der Offizier, – sein ernster, entschlossener Blick sagte, daß nur der Tod die Bahn zu ihr öffnen werde. Der Jäger Bogislaw stand an der Tür, die Hand am schirmenden Holzriegel, die Büchse des Grafen zur Seite, das Messer, das die Kehle des Wolfes durchschnitten, im Gürtel.
Ein donnerndes Krachen beschleunigte ihren Entschluß, – hinter ihnen brach bereits ein Teil des Daches zusammen, und die Trümmer begruben die Leiche des jungen Räubers ... Wilder Jubel der Männer und Weiber erscholl draußen, sie glaubten die Reisenden verloren ... Bogislaw riß den Riegel hinweg, die Tür flog auf, über die Schwelle sprangen der alte und der junge Soldat, von gleicher Energie beseelt, – hinter ihnen drein schwankte das Mädchen mit dem Kranken und der Jäger mit hochgeschwungener Büchse deckte ihnen den Rücken ... Das offene Gebäude, das sie zu ihrer Zuflucht ersehen, war kaum vierzig Schritt von dem brennenden. Hause entfernt, – dennoch aber war der kurze Weg ein wilder Kampf um das Leben.
Einen Augenblick lang blieben die Räuber bestürzt über den kühnen Streich, dann, auf Stenkos, des Wirtes, gellenden Ruf, stürzten sie von allen Seiten herbei und machten einen wütenden Angriff auf die kleine Schar. Der Wirt selbst sprang auf den Offizier los und führte einen furchtbaren Schlag mit der Axt nach ihm, der den Säbel, mit dem dieser parierte, mitten durchbrach, während ein anderer sich zwischen den Offizier und seine Schutzbefohlene stürzte und diese von ihrem Begleiter riß, der vergebens einen Schlag mit dem Stock nach ihm führte und zu Boden geworfen wurde. Der Mann, den seine Genossen Boris genannt hatten und der an der linken Schulter verwundet war, hatte bereits mit einem Gefährten den Grafen angegriffen und Bogislaw, der Jäger, wehrte sich tapfer mit dem Kolben gegen die beiden letzten Feinde. Von allen dreien verteidigte sich der Graf mit dem besten Glück, denn ein scharfer Hieb seiner alten, einst kampfgewohnten Faust hatte im ersten Augenblick schon den rechten Arm seines zweiten Bedrängers gelähmt, und seine scharfen Hiebe und Stöße hielten den riesigen Räuber Boris in Entfernung ... »Zum Teufel,« rief der Graf, »das Gesicht kenn' ich! Will ein Pole seinen Obersten morden, unter dem er bei Grochow und Ostrolenka gekämpft hat?« – »Möge der Teufel dich holen!« fluchte der Bandit, einen kräftigen Streich führend. »Ich habe dich längst erkannt, aber Verderben über euch Edelleute, die ihr uns zu unserm Unglück verlockt habt! Nieder mit dir, alter Rebell!« Er unterlief den Greis und umschlang ihn, beide rangen wütend gegeneinander, der eine geschwächt durch die Zahl seiner Jahre, der andere durch die Wunde ... Weiterhin schlug sich noch immer Bogislaw mit den beiden Männern ... Der Offizier, als seine Waffe zersplitterte, hatte sie von sich geworfen und sich auf seinen Angreifer gestürzt und ihn umfaßt. Auch dieser ließ das Beil fallen und rang mit ihm. Ein Todesschrei hielt die fliehende Gräfin auf – sie sah, wie das Beil des jungen Räubers, welcher sie von dem Soldaten gerissen, den Kopf des Gefallenen spaltete, und sank, die Augen vor dem grauenhaften Anblick mit den Händen verhüllend, in die Knie. Im nächsten Augenblick war der blutige Mensch an ihrer Seite und schwang die noch triefende Axt ... Ein Blick zur Seite hatte dem jungen Offizier die Gefahr gezeigt, in der die Dame schwebte. Mit einer wilden Anspannung jeder Muskelfaser schleuderte er den starken Wirt von sich und war mit einem Sprunge bei der Gräfin. Seine Linke fing den Stiel der Mordaxt auf und hielt sie fest im gewaltigen Griff, indes die Rechte die im Kampf aufgerissene Uniform faßte und mit Gewalt einen Gegenstand losriß, der darunter um den Hals geschlungen zu sein schien. Im nächsten Augenblick flog eine kleine stählerne Scheide auf den Schnee und eine kaum handlange, blaugraue Klinge tauchte sich im kräftigen Stoß in das Herzblut des Räubers, daß dieser lang den Boden maß. Wie ein Sturmwind hatte der junge Mann die Gräfin erfaßt und sie zu dem Schuppen geschleift, dessen Eingang er jetzt mit seiner kurzen unzureichenden Waffe wehrte.
Es war der zweite Sohn des Wirts gewesen, den das Dolchmesser des Offiziers zu Tode getroffen; – heulend, wie der grimmige Wolf seiner Wälder, stürzte der Vater auf ihn zu, rücksichtslos gegen das eigene Leben. Im nächsten Moment hatte er den jungen Mann gefaßt und zu Boden geworfen. Er kniete auf seiner Brust, das lange Messer schwingend ... »Main! Djemala-Din! Retten Sie Herrn Djemala-Din!« Eine fremde Stimme in jüdischem Dialekt dicht neben den Kämpfenden rief die Worte ... Das Messer des Wirtes fuhr nieder – – – eine rasche Bewegung des jungen Offiziers wendete den Stoß, die spitze Klinge durchbohrte nur den linken Unterarm – im nächsten Augenblick spritzte Blut und Gehirn über den Liegenden, und mit zerschmettertem Schädel stürzte der Pole über sein Opfer. Ein Fußstoß warf die blutige Leiche beiseite, und eine kräftige Hand half dem so unerwartet Geretteten empor. Neben ihm standen zwei fremde Männer in weitem jüdischen Talar, unter dem eine seltsame fremde Tracht hervorschimmerte, beide hielten lange, mit Silber und Elfenbein ausgelegte Pistolen in den Händen, von denen die eine noch von dem eben getanen Schuß dampfte. Starke gebogene Nasen unter dunkel blitzenden Augen, schwarze, sorgfältig gepflegte Bärte zierten beide Gesichter von fremdartigem, aber majestätischem Schnitt – einige Schritte hinter ihnen stand ein dritter Mann, gleichfalls in jüdischer Tracht, deren Berechtigung jedoch sein Gesicht sowohl als die Angst und Furcht, die sich auf ihm ausprägten, deutlich verkündeten.
Die Augen der Männer waren mit dem Ausdruck der Frage, aber auch der Begeisterung auf den jungen Mann gerichtet ... »Bist du wirklich Djemala-Din, des großen Imam Sohn?« – Die Frage ward in einer Sprache an ihn gerichtet, die das Ohr des jungen Mannes seit 16 Jahren nur selten und ausnahmsweise vernommen; dennoch schlugen diese Klänge, in denen er die ersten Laute gestammelt hatte, wohltuend und verständlich an sein Ohr und er antwortete in derselben Sprache: »Schamyl ist mein Vater! – aber seht! – helft!« – er eilte trotz der Wunde dem treuen Jäger zu, der hart bedrängt war, – im Nu standen die seltsamen Fremden an seiner Seite und stürzten auf die noch kämpfenden Räuber, die bei der unerwarteten Verstärkung zu entrinnen suchten. Aber nur dem kühnen Boris gelang die Flucht, indem er sich auf eines der Pferde warf und, in dem Glutregen des einfallenden Daches davonjagend, das Tor und den Wald gewann; die andern drei, von denen zwei verwundet waren, wurden nach kurzem Widerstand überwältigt, zu Boden geworfen und gebunden. Die beiden Weiber schienen sich schon während des wilden Kampfes geflüchtet zu haben. – Auch der Graf und der Jäger bluteten aus leichten Wunden und atmeten dankend auf über die unverhoffte Rettung.
Während der Graf mit des Offiziers und des Juden Hilfe das von dem Schrecken tief erschütterte Mädchen aus der Nähe des brennenden Gehöfts geleiteten, war Bogislaw mit den Fremden beschäftigt, die wildgewordenen Tiere abzuwehren und wenigstens den Schlitten der Reisenden aus dem Brande zu retten. Auch das gelang nur mit Mühe, alles andere war unter den Trümmern des Hauses begraben. Da bereits auch die dürftigen Nebengebäude von den Flammen ergriffen wurden, mußte man die gefangenen Räuber an die nächsten Bäume binden. Die Gräfin war in den Schlitten gehoben worden. Erst jetzt bemerkte sie, daß ihr Retter verwundet war. Während sie ihr Tuch fest um die Wunde im Arme schlang und die Blutung zu stillen suchte, kamen auch der Jäger und die Fremden herbei. Die letzteren stürzten sich sogleich auf den Offizier, küßten den verwundeten Arm und übernahmen das Geschäft des Verbindens der Wunde. Dann kamen auch der Graf und der Jäger an die Reihe. Unterdessen fand eine kurze Beratung statt; der Offizier hatte ein paar Worte mit den Fremden in ihrer unbekannten Sprache gewechselt und führte darauf den Grafen beiseite ... »Mein Herr,« sagte er, »der glückliche Zufall unserer Rettung ist mir selbst noch unklar, aber ich richte die Bitte an Sie, wenn Sie das Schloß des Fürsten erreichen, der beiden Männer nicht zu erwähnen, die unsere Rettung bewirkt haben und die hier mit mir zusammenbleiben werden.« – »Sie müssen mit uns fahren,« entgegnete bestimmt der Graf; »denn Sie bedürfen von allen zuerst besserer Hilfe; mein Jäger und unsere fremden Retter können hier zurückbleiben, bis wir Beistand senden, der vielleicht schon auf dem Wege ist, da man sicher den Brand bemerkt hat.« – »Es geht nicht, Herr! ich habe mit den beiden Männern zu. sprechen.« – »So sind sie Ihnen bekannt? Ich hörte Sie in fremder Sprache mit ihnen reden und einen Namen, der mir nicht unbekannt ist. Sie sind ...« – »Ich bin Djemala-Din, des Imam Schamyl ältester Sohn und russischer Offizier.« – »Dann kennen wir Sie schon lange, nicht bloß durch Ihr unglückliches Schicksal, das Sie in die Hände Ihrer Feinde geliefert, sondern auch durch die Freundlichkeit und den Schutz, den Sie meinem Enkel, dem einzigen Kinde meiner einzigen Tochter, erwiesen haben. Der Knabe – Michael von Lasaroff ist sein Name – war mit Ihnen in dem Korps und hat uns oft von Ihnen geschrieben.« – »Ich kenne den Knaben und liebe ihn,« sagte der Offizier, die freudig gebotene Hand des Grafen mit sichtlichem Zögern erfassend; »aber Sie irren, mein Herr, wenn Sie sagen, daß ein unglückliches Schicksal mich in die Hände von Feinden geführt habe. Der Zar ist mir ein Vater gewesen, dem ich mehr verdanke, als meinem leiblichen Vater in den Schluchten des Elbrus, und nie wird meine Treue und Dankbarkeit für ihn enden.« Er sprach dies mit einer Festigkeit und Energie, die offenbar den bestimmten Entschluß eines kräftigen Herzens zeigen und jede weitere Berührung dieses Gegenstandes zurückweisen sollte ... »Mißverstehen Sie mich nicht, Herr Graf,« fuhr er fort, »wenn ich Sie dennoch bitte, von meiner Zusammenkunft mit jenen Männern, von der Sie der Zufall zum Zeugen gemacht, zu schweigen. Ich spreche zu einem Mann von Ehre, und sage Ihnen daher unverhohlen, daß es Leute meines Volkes sind, die mein Vater mit einer Botschaft an mich gesandt zu haben scheint. Das weitere weiß ich selbst noch nicht. Aber es könnte mir und jenen nur von Gefahr sein, wenn unsere Zusammenkunft argwöhnischen Spähern bekannt würde.« – Der Graf reichte ihm nochmals die Hand ... »Nehmen Sie mein Wort, Herr Leutnant, für unser aller Vorsicht. Bogislaw, mein Diener, ist ein treuer Mann und wird Sie nicht genieren, wenn ich ihn hier zu Ihrem Beistande zurücklasse. Nach der Versicherung des Juden, der Ihre Freunde hergeführt, können wir in einer Stunde im Schlosse meines Freundes sein und Ihnen alle Hilfe senden. Dort sprechen wir mehr von Ihnen.«
Als der Offizier sich dem Schlitten näherte, streckte ihm die Gräfin die zierliche Hand entgegen und ihr Auge ruhte mit Innigkeit auf ihm ... »Ich höre von meinem Oheim, mein Herr,« sagte sie, »daß Sie selbst noch andere Ansprüche auf unsere Dankbarkeit haben, als das Blut, das Sie in dieser Nacht für mich vergossen. Kommen Sie ja recht bald uns nach, Herr Djemala-Din, damit ich Ihnen besser als hier sagen kann, wie tief wir Ihnen verpflichtet sind.« – Der junge Offizier beugte sich errötend über die Hand und küßte sie.
*
Es war eine seltsame Gruppe, die sich jetzt um die dampfenden Trümmer des Hauses versammelt hatte. Auf einem halbverkohlten Mantel saß, in den zurückgelassenen Pelz des Juden gehüllt, der junge Offizier, bleich von dem Blutverlust und der Aufregung seines Innern; vor ihm auf dem Boden kauerten die kräftigen Gestalten der beiden Tschetschenzen, die Boten des mächtigen Häuptlings, seines Vaters; in einiger Entfernung hatte sich der Jäger Bogislaw eine warme Stelle gesucht, und bewachte mit finsterem Blick die drei gebundenen Polen. Dicht daneben lagen die Körper der drei im letzten Kampf Erschlagenen. Über dem allen wölbte sich der jetzt ungetrübte blaue Winterhimmel ... »Du hast uns gesagt, o Herr,« begann der älteste der Tschetschenzen, »daß du Djemala-Din, der älteste Sohn und Erbe des heiligen Mannes bist, der das Volk der Mirditen beherrscht und zum Kampf führt gegen die Feinde seiner Freiheit. Kannst du uns ein Zeichen geben, an dem wir erkennen mögen, daß der, welcher das Gewand unserer Feinde trägt, wirklich vom Blute Schamyls stammt?« Der junge Mann zog ruhig den kleinen Dolch hervor, mit dem er das Herz des Räubers durchbohrt, und zeigte ihn den beiden. Auf der blaugrauen Klinge war ein Spruch des Korans eingegraben. – »Das ist das einzige, was mein Vater mir gab, ehe er sich von der Felsenwand Achulgos in den Strom warf, der ihn aus der Gewalt seiner Feinde trug.« – »Wir sehen die Chiffre des Imam,« sagte der vorige Redner, den Dolch an Brust und Stirn pressend, »und glauben dir, o Jüngling. Nimm den Gruß Muhrad Ben Hassans und Alis des Osseten.« Sie neigten beide knieend das Haupt vor dem jungen Mann und führten seine linke Hand an Stirn und Brust. Nach dieser Zeremonie zog der ältere der Boten aus dem Futter seines Rockes ein mit seidenem Band umwickeltes Schreiben, küßte dasselbe und legte es in die Hand des jungen Mannes ... »Der Imam,« fuhr er fort, »hat zu zweien seiner Tapferen gesprochen, daß es Zeit sei für den Erstgeborenen seines Samens, an der Seite seiner Brüder zu stehen in dem großen Kampfe, der sich bereitete, und daß sie dich vor sein Angesicht bringen sollen ... Deine Diener sind zur großen Stadt Odessa gekommen, wo dem Imam ein treuer Mann lebt, der über die Hoffnung der Tschetschenzen stets ein offenes Auge gehalten. Von ihm erhielten wir Kunde, daß der Zar der Moskows dich in dieses Land der Wälder geschickt habe. Der Prophet hat es gnädig gewollt, daß der Flammenschein dieses Hauses uns auf dem Wege, dich darinnen zu suchen, zu der Stätte gerufen hat, wo du in Not warst. Wir segnen ihn, daß er uns erlaubte, Djemala-Din aus der Hand der Mörder zu erretten.«
Der Offizier reichte beiden die Hand ... »Ich danke euch, meine Edlen, und werde dieser Stunde nimmer vergessen, komme was da wolle!« Er nahm das Schreiben seines Vaters, löste das Band und entfaltete es. Dasselbe war in russischer und türkischer Sprache abgefaßt; während er las, bedeckte eine düstere Falte die männlich-freie Stirn ... »Mein Vater schreibt mir,« sagte er endlich finster, »daß ich seinen Boten folgen solle, sobald ich dieses Schreiben erblickt, bei Tag und Nacht. Mein Vater vergaß, daß sein Wort verpfändet ist dem großen Zaren dieses Reiches.« – »Der Imam hat nichts vergessen,« entgegnete der Mirdite, »aber der Geist hat ihm verkündet, daß die Zeit um sei, da sein Sohn als Geißel dienen mußte dem fremden Herrn, und daß er das Recht habe, ihn an seine Seite zu rufen.« – »Dann möge mein Vater seinen Erstgeborenen zurückfordern von dem Zaren.« – »Es ist nicht die Zeit und Gelegenheit dazu. Große Dinge bereiten sich im Osten, und die Herrschaft des Moskowiten an den Küsten unseres gesegneten Meeres ist ihrem Ende nahe. Dein Vater befiehlt, und es ist an Djemala-Din, zu gehorchen.« – »Wenn der Fürst der Mirditen auch sein Wort gelöst glaubt,« sagte der junge Mann ernst, »so möge er doch bedenken, daß Djemala-Din dem Zaren das seine als Krieger verpfändet hat, und daß er es nur als gelöst erachten kann, wenn der Zar selbst ihn seines Schwures entläßt. Djemala-Din wird dem Willen des Vaters dann freudig gehorchen; aber er kann nicht, wie ein Dieb in der Nacht, sich aus diesem Reiche stehlen, oder wie ein feiger Verräter seinen Posten verlassen.«
Ali sprang vom Boden empor: »Beim Barte Schamyls!« rief er wild, »du wirst uns folgen zur Stelle, wie uns der Imam befohlen. Hier ist Gold, hier ist ein Kleid für dich, auf dein Haupt komme die Gefahr, wenn du dich weigerst!« Der russische Offizier hatte sich gleichfalls erhoben und riß das blutige Tuch des Verbandes von seinem Arm ... »Beim Blute Schamyls, das aus diesen Adern rinnt, und das ein höherer Schwur ist, denn der deine! Ich werde nicht gehen, bis der Zar, dem mein Schwur verpfändet ist, mich selber freigegeben. Sage meinem Vater, sein Sohn sei bereit, alle Bande zu zerreißen, die sechzehn lange Jahre hier geknüpft, und in sein Haus zurückzukehren, aber nimmer wolle er seine Ehre opfern als flüchtiger Verräter!«
Der Tschetschenze hatte zornsprühend die Hand an den Handjar im Gürtel gelegt, gleich als wolle er seine Drohung mit der Waffe durchsetzen, doch sein Gefährte Muhrad Ben Hassan legte die Hand auf seinen Arm ... »Halte ein, Ali, mein Bruder,« sagte er, »denn der Prophet verbietet Zorn und Streit unter den Kindern eines Volkes. Du aber, Jüngling, sage uns, welcher Eid dich bindet?« – »Ich schwor dem Kaiser der Moskowiten Treue und Gehorsam als Soldat.« – »So tust du recht, dich zu weigern, denn der Koran sagt, daß ein freier Eid ein heilig Ding sein müsse dem Gläubigen, auch gegen den Feind. Der Imam wußte nicht, daß du schon der Fahne des schwarzen Zaren geschworen. Er wird traurig sein, daß sein Auge den Sohn nicht sieht, aber er wird ein Mittel finden, ihn aus der Knechtschaft zu lösen. Lebe wohl, Sohn unseres Fürstenstammes! – denn mein Ohr vernimmt das Nahen fremder Männer und Rosse, und man soll uns nicht in deiner Nähe finden. Möge der Prophet dich schützen, bis wir uns wiedersehen in den Schluchten des Elbrus!« Er legte die Hand an Haupt und Brust im morgenländischen Gruß und barg das blutige Tuch in seinem Gewande. Dann verließ er mit Ali den jungen Mann und setzte sich entfernt neben den Jäger.
Ehe eine Viertelstunde verging, nahten Menschen und Gefährte von der Seite her, wohin der Schlitten des Juden den Grafen und seine schöne Nichte geführt hatte. Sie waren auf dem Wege bereits Leuten vom Schlosse begegnet, die der Fürst auf den Schein des Brandes ausgeschickt hatte. Der Graf sandte mit ihnen den Schlitten des Juden zurück und hatte in einem solchen vom Schlosse die Fahrt dahin fortgesetzt. Djemala-Din verweilte so lange auf der Brandstätte, bis die verkleideten Tschetschenzen mit dem Juden ihren Rückweg angetreten hatten und seinen Blicken entschwunden waren. Nicht sein Herz begleitete sie zur fernen Heimat – es flog den nächsten Stunden entgegen, nach einer andern Seite hin.
Das heilige Weihnachtsfest war vorüber – die Gäste hatten das Schloß des Fürsten verlassen, nur Graf Lubomirski mit seiner Nichte war nebst Leutnant Djemala Din bei dem alten Freunde, dem gastfreien Schloßherrn zurückgeblieben, da seine Wunde durch die Kälte des Wintermorgens und den scharfen Ritt verschlimmert worden und ein heftiges Wundfieber eingetreten war.
Das altertümliche Schloß des Fürsten, noch zur Zeit Augusts des Starken erbaut, lag mitten im Walde, entfernt fast von der Zivilisation und dem Verkehr der Welt; nur einmal verließ es alljährlich der Eigentümer, um in Warschau oder Moskau einige Wochen zuzubringen. Er beobachtete streng diese Besuche, um sich dort den Gewalthabern zu zeigen und so jeden Verdacht gegen sich zu entfernen, da er, als einer der Führer des Aufstandes von 1831, nur durch die Gnade des Kaisers Amnestie und die Erlaubnis erhalten hatte, auf seinen Gütern in Volhynien zu leben.
Die kleine Gesellschaft war in der altertümlichen, ziemlich großen Speisehalle im Parterre des Schlosses versammelt. Die dunkle, eichene Täfelung der Wände, die Stukkatur an der Decke, die Waffen und Jagdtrophäen an den vier Wänden und die beiden großen, stubenartigen Kamine an den Enden der Halle gaben ihr ein ehrwürdiges Ansehen. Eine große, eichene Tafel in der Mitte der Halle lief fast die Hälfte derselben entlang. In den beiden Kaminen flammten mächtige Eichenkloben, eine behagliche Wärme durch den weiten Raum verbreitend. Zunächst dem Eingange saßen der Graf und sein Wirt, letzterer ein hoher Fünfziger mit weißem Haar und klugem, aufgewecktem Gesicht. Sie saßen beim Schach ...
»Sie haben mir selbst zugestanden, lieber Graf,« sagte der Fürst, »daß in dem Augenblick der Gefahr, als Sie mit dem Schurken Boris kämpften, nach dem ich vergeblich habe fahnden lassen, die Verwünschung des Soldaten gegen Sie, seinen alten Führer von Grochow und Ostrolenka her Sie überrascht, ja fast gelähmt hat. Doch ich wiederhole es Ihnen, dies war nicht die Stimme eines einzelnen Mannes, es ist leider die Stimme des Volkes! Ich habe vielfach Gelegenheit gehabt, sie zu prüfen, und hauptsächlich durch die Resultate, die ich da fand, bin ich zu andern Ansichten in der Politik bekehrt worden. Die Revolution von 1831 hat dem Volk wie dem Adel nur verderbliche Folgen gebracht. Der gemeine Mann, dem die einfache, aber scharfe Auffassung selbst aus seiner niedrigen Kulturstufe nicht abzustreifen ist, meint, er habe sein Blut nur für den Ehrgeiz des Adels vergossen, und an diesem liege die Schuld, daß Polen unterlegen sei; er selbst habe auch im besten Fall nichts zu hoffen gehabt und sei jetzt schlimmer daran denn zuvor. Das wahre Element zur Fanatisierung der Massen war eben nicht das Nationalgefühl, die russische Tyrannei, die kein Jota härter war, als sie's früher hatten, sondern die Religion, die Kirche.« – »Und ist der katholische Glaube weniger gefährdet in der Gegenwart? Droht die orthodoxe Kirche weniger mächtig wie vor zwanzig Jahren? Sind nicht vielmehr gerade ihre Übergriffe und Forderungen ein Fundament dieses Krieges, welcher bestimmt ist, Europa eine andere Gestalt zu geben?« ... Lubienski lächelte bedächtig ... »Ich weiß wirklich nicht, Graf, ob ich annehmen soll, daß ein Mann wie Sie, der tief in das Räderwerk des politischen Getriebes und der sozialen Entwicklung geschaut zu haben scheint, dafür blind gewesen sein sollte, daß seit zwanzig Jahren sich ein wesentliches Element der Volkserregung geändert hat, der Glauben an das Heilige. Unsere Revolutionäre seit 1789 haben ihr eifrigstes Bemühen darauf gerichtet gehalten, die religiöse Gläubigkeit und Ehrfurcht im Volke mit Füßen zu treten und zu vernichten. Der Liberalismus hat geglaubt, zu seinem Halt zunächst die Geister von den Fesseln der Religion befreien, seine sogenannte Aufklärung in die Herzen der Jugend pflanzen zu müssen. Die heranwachsende Generation lohnt dies Bestreben. Mit der Religiosität des Volkes schwindet unbedingt auch das Nationalgefühl. In Spanien, wo man die Kirche ihrer Güter und Würden beraubt hat, wird kein Heldenkampf mehr stattfinden wie 1809, als die Priester, das Kreuz in der Hand, dem Volke vorangingen. Was macht die Unzahl der Rebellionen in Frankreich, die nichts geschaffen haben, als augenblickliche Gewalt? Woran scheiterten die Bewegungen von 48 in Polen, Ungarn, Deutschland, Italien? – Doch nur daran, daß es an einer erhebenden Idee fehlte, welche die Masse belebte.«
»Sie haben nicht ganz unrecht, Fürst,« entgegnete nachdenklich der Graf, »aber wie wollen Sie diese Theorie auf ein Volk wie das unsere anwenden, dessen Masse die geistige Selbständigkeit fehlt?« – »Um so mehr, lieber Graf. Glauben Sie wirklich, daß die Herabwürdigung der Kirche in Rom, die Vertreibung des Papstes, die österreichische und französische Okkupation des Kirchenstaates so spurlos an der Masse des Volkes, an dem Priestertum und selbst an den Gebildeteren vorübergegangen? – Ich nicht! – Die Heiligkeit, das Ansehen unserer Kirche hat gerade durch die liberalen Revolutionen in den durch und durch katholischen Ländern überall verloren. Sie werden schwerlich mehr die Geistlichkeit an der Spitze einer polnischen oder französischen Revolution sehen!« – »Die religiöse Apathie kann aber immer nur ein einzelner Grund sein.« – »Sie haben recht, aber ein wichtiger. Der Liberalismus hat das Volk selbst denken gelehrt. Das Denken führt den Zweifel herbei und ist der Tod jedes Enthusiasmus, dessen Mutter allein das Gefühl ist. Man will jetzt einen Nutzen sehen, teils individuell, teils im ganzen. Man traut den Leuten nicht recht, die sich an die Spitze stellen. Unsere Polen, gerade heraus gesagt, trauen dem polnischen Adel nicht mehr, sie haben keine Lust mehr, um unsers Ehrgeizes, unserer Interessen willen das zu opfern, was sie sicher haben.« – »Pfui, Fürst, so gäbe es keinen Nationalstolz, kein Volksgefühl mehr!« – »Die Revolutionäre in Paris arbeiten ja gerade darauf hin, dies auszurotten in der allgemeinen Gleichmacherei. Ich gehe aber keineswegs so weit, das zu behaupten. Aber seien wir aufrichtig, Freund! Sie sagen mir: in diesem Krieg, der sich bereitet, und der nach Ihren Intentionen ein europäischer werden soll, – ist die günstige Gelegenheit gekommen, die Selbständigkeit unserer Nation wieder zu erlangen. Ungarn und Italien sollen sich gleichfalls erheben, Frankreich und England werden uns unterstützen. Kaiser Napoleon hat eine alte Scharte auszuwetzen Und außerdem durch einen solchen Krieg Gelegenheit, seine sehr schwankende Position als Eindringling unter den Fürsten Europas zu einer befestigten und mächtigen zu machen, sowie sich Heer und Land durch gloire und Interesse zu sichern. Er hat denselben Ehrgeiz, wie sein Oheim, nur ist er schlauer und versteht seine Zeit. An eine Unterstützung Polens und Ungarns um ihrer selbst willen denkt keine der beiden Mächte. Man wird uns wieder als Soldaten brauchen, als Legionäre, ja als Rebellen, aber man bekümmert sich um unser Geschick gerade so wenig, wie das Recht des Sultans in Wahrheit die Ursache des Krieges ist.« – »Ich finde, Sie sind in all' Ihren Gefühlen und Ansichten anders geworden, sagte der Graf finster, »und wage kaum fortzufahren. Sie, einer der kühnsten und bewährtesten Führer der polnischen Armee, der hundertmal sein Leben im Freiheitskampfe wagte, – Sie geben Polen, unser Polen auf?« Der Graf sah ihn groß an ... »Wer sagt Ihnen das, Kamerad? Was gibt Ihnen das Recht zu zweifeln, daß ein Lubienski sein Vaterland weniger liebe als Sie? Mein Weg, mein Hoffen und Wünschen sind nur andere geworden, wie die Ihren. Nicht in Rußlands Fall, sondern in Rußlands Sieg sehe ich die Hoffnung unsers Volkes. Wer ein echter Pole ist, soll nicht mit den Franzosen, den Engländern und Deutschen gegen den Zaren fechten, sondern mit ihm: – So allein gelingt zuletzt die Gründung eines großen sarmatischen Reiches, eines Walles und Sieges gegen das Germanentum, das uns gefährlicher und verhaßter ist, als das stammverwandte Rußland.«
Der Graf ihm gegenüber atmete tief auf bei dieser Erklärung, es war, als sei ihm eine Bergeslast vom Herzen gefallen ... »Das ist also Ihre Meinung, Fürst?« sagte er nachdenklich und reichte dem alten Freunde die Hand. »Mir war in der Tat ganz Angst um Ihr polnisches Herz geworden! Zwar, Aufrichtigkeit gegen Aufrichtigkeit, ist unser Ziel und Zweck nicht derselbe; denn ich arbeite und wirke für die Befreiung aller Völker vom Joche der Bevorrechteten, und die Erhebung unseres Vaterlandes ist mir nur ein Glied in dieser Kette. Sie aber wollen seine Erhebung als einziges Ziel und durch die Benutzung der Macht, die es unterdrückt. Ich müßte kein Sohn Polens sein, wenn ich nicht auf Ihrem Wege ihm den Sieg wünschte. – Schach Ihrem König!« – er tat einen raschen Zug in dem vernachlässigten Spiel. – Der Fürst lachte ... »Ich nehme dafür Ihren Springer und stelle die Ordnung wieder her. Halten Sie sich an das Reelle, auch im Plänemachen, lieber Graf, prüfen Sie das Erreichbare und die Mittel dazu. Ich sehe in einer selbständigen neuen Schilderhebung Polens kein Glück, würde mich unter keinen Umständen ihr anschließen und ihr sogar entgegentreten. Die Ansichten meiner jüngeren Jahre haben zwanzig Jahre vollständig umgewandelt. Uns fehlen alle Aussichten auf Erfolg, ja selbst die Männer; denn dem Prahler Mieroslawski werden Sie doch wohl keine Rolle zugedacht haben. Unsere alten Freunde aber sind tot und geächtet; zerstreut über die ganze Erde hat uns die Revolution – ich will mein Haupt wenigstens im Vaterlande zur Ruhe legen, habe mich mit der Gewalt versöhnt, und wiederhole Ihnen, nur in ihr blüht die Hoffnung unsers Vaterlandes.« – »Und Ihr Sohn?« – »Er ist Offizier in des Kaisers Garde mit meiner Bewilligung und denkt wie ich.«
Der alte Propagandist erhob sich finster, doch sein Wirt zog ihn freundlich auf den Sessel zurück ... »Ich habe absichtlich vermieden, mit Ihren Plänen näher bekannt zu werden. Sind wir auch verschiedener Ansichten geworden, so ändert das doch nichts an der Freundschaft der alten Schlachtgefährten. Bedenken Sie, daß Ihr einziges Kind sich gleichfalls einem Russen verband, ihr Enkel russische Erziehung genossen hat. Machen Sie den Frieden, den Sie scheinbar mit der Regierung geschlossen, zu einem wirklichen und wenden Sie die großen Mittel und Quellen, die Ihnen zu Gebote zu stehen scheinen, dazu an, mit Rußlands Hilfe in diesem Kriege ein neues Slavenreich erstehen zu lassen, das von der Donau bis zur Ostsee reicht.« Der Graf hatte das Haupt sinnend in die Hand gestützt ... – »Der Gedanke ist uns nicht neu und, wie ich hier die Verhältnisse finde, über die unsere Agenten uns vielfach getäuscht, – Adel und Volk gegen eine Revolution! wohl einer ernsten Überlegung wert. – Vielleicht, Fürst, daß unsere Wege dennoch zusammentreffen! Lassen Sie uns weiterspielen.« – – –
Am andern Ende der Halle, so entfernt, um nicht zu stören und nicht gestört zu werden, wurde eine Propaganda in verführerischerer Form betrieben, als unter den beiden alten Herren. Gräfin Wanda saß dort, mit einer weiblichen Arbeit beschäftigt, am Ruhebett, auf dem der junge Offizier, Schamyls Sohn, noch bleich und angegriffen, den Arm in der Binde, lehnte, aus einem Buch der Dame vorlesend. Gräfin Wanda hatte sich von der überstandenen Angst und Gefahr rasch erholt. Ein Eindruck jedoch schien stärkere Wurzel in ihrem Gemüt, ja selbst in ihrem Herzen gefaßt zu haben: die Teilnahme für ihren Retter vor dem Beil des Mörders, und das romaneske, seltsame Schicksal des jungen Mannes diente nur dazu, den Wert der ritterlichen Tat noch zu erhöhen. Sie war der volle Typus der eigentümlichen polnischen Frauenschönheit. Von kaum die Mittelgröße erreichender Gestalt, war ihr Gliederbau voll und zierlich gerundet. Das Gesicht zwischen den schwarzen Locken zeigte ein längliches Oval en face wie im Profil, und jene volle Bildung von Nase und Mund, jene matte, seidenartige Farbe, die den polnischen Damen so eigentümlich ist. Die sarmatischen braunen und beweglichen Augen, deren Farbe mit der Seelenregung ein lichteres und tieferes Dunkel anzunehmen scheint, beleben dies Gesicht. Eine kleine Hand und ein zierlicher Fuß sind Nationalschönheiten der Polinnen.
»Sie sind ermüdet, Herr Leutnant,« sagte die Gräfin, – »brechen Sie ab und fahren Sie morgen in der Lektüre fort. Lassen Sie uns plaudern und erzählen Sie mir von Ihrer Heimat« – »Was können die Erinnerungen eines Knaben von einem wilden, traurigen, öden Lande, die ihm ohnehin nur dunkel vorschweben, Gräfin Zerbona interessieren?« – »Liegt nicht in dem Charakter und Kampf unserer beiden Völker eine gewisse Ähnlichkeit? Haben sie nicht einen gemeinsamen Feind, gegen den sie für ihre Freiheit kämpfen?«
Das aufsteigende dunkle Blut färbte die Stirn des jungen Offiziers; die Gräfin bemerkte zu spät, daß sie ihn verletzt, und legte ihre Hand freundlich auf die seine. – »Wir beide, Herr Djemala-Din,« sagte sie, »dürfen uns nicht mißverstehen. Sie haben nicht selbst Ihren Weg gewählt, und wenn Sie auch gewiß gleiche Liebe zu dem Lande, das Sie geboren, hegen, wie ich zu dem meinen, muß es Ihnen doch ferner stehen, da sich nur wenige Erinnerungen daran knüpfen, da Sie sein Leiden und Kämpfen nicht selbst geschaut. Mein Volk ist gebeugt, besiegt, ach – bei aller Begeisterung im Herzen fühle ich es tief! – unwiederbringlich gebrochen – das Ihre unbezwungen, frei, im Heldenkampf begriffen um die teuersten Güter, und siegreich unter der tapferen Hand Ihres Vaters! Sie brauchen nicht seine Freiheit zu wünschen oder zu beweinen, denn es hat sie nie verloren!« – Der junge Mann lächelte trübe. »Wissen Sie auch, Gräfin, was die Freiheit in einem Lande, wie das meine, bedeuten? Wissen Sie auch, was Freiheit im Orient ist?« Sie sah ihn groß an. – »Frei ist das Volk, das nicht das schimpfliche Joch eines anderen trägt, das nur dem selbst gewählten Führer gehorcht. Frei ist das Volk, wo jeder sein Recht hat, wo das Recht eines jeden geehrt und nicht von Fremden mit Füßen getreten wird; wo Sprache, Gewohnheit und Glaube Eigentum des Volkes sind; wo die Einrichtungen seiner Väter ihm ungekränkt geblieben; wo der Bewohner nicht der Sklave des Unterdrückers ist, sondern wo er sein Blut und seinen Schweiß für den eigenen Herd vergießt!« – »Wissen Sie auch, Gräfin, daß wir dennoch einen fremden Oberherrn haben – den Sultan in Konstantinopel?« – »Der ist fern – nur ein Schatten!« – »Aber er nennt sich unsern Herrn, – und auch der Zar wohnt weit! Ich habe wenig Erinnerungen an meine Heimat, und doch könnte ich Sie mit diesem wenigen widerlegen. Der Fanatismus schwingt in meiner Heimat seine Geißel blutiger als irgendwo; und halten Sie das Volk für frei, das seine eigenen Töchter und Söhne an seine sogenannten Oberherren in Stambul als Sklaven verkauft? Glauben Sie wirklich, türkische Despotie sei leichter als russische Herrschaft?« – »Spricht das der Fürstensohn eines freien Volkes?« – »Allerdings, Gräfin – sein Vater gab ihn fort, und sechzehn lange Jahre hat er keine Heimat gehabt, als das Haus des Kaisers, kein Eigentum als das Kleid des Zaren.« – »Und wenn Schamyl, Ihr Vater, Sie wieder forderte, wenn er Sie riefe zum Kampfe an seine Seite?« – Der junge Mann sah sie finster an ... »Er tat es – jene Männer, die uns beide gerettet, waren seine Boten!« – »Und darf ich wissen, was Schamyls Sohn dem Ruf eines freien Volkes erwidert hat?« – »Der Offizier antwortete, was seine Pflicht war, – der Fürstensohn, was seine Ehre gebot. Herz und Seele würden ja dennoch zurückbleiben.«
»Dann ist mir eine große Freude versagt,« lächelte Wanda, »ich träumte mirs so schön, Sie auf jenen Felsenhöhen mir gegenüber zu wissen, wie der Adler horstend und herabstoßend auf silberumpanzertem Roß. Wie stolz wäre ich gewesen, Ihren Namen täglich zu hören als den gefürchtetsten Helden des Gebirges.« – »Sie, Gräfin – wie meinen Sie das?« – »Ei nun, daß ich vergeblich harren werde, daß Djemala-Din, der kühne Führer der Mirditen, in einer wolken-umdüsterten Nacht hervorbricht über den Kuban nach unserm armen Schloß und Wanda davonführt aus der Gewalt der schmutzigen Kosaken.« – »Sie spotten meiner, Gräfin!« – »Ich scherze nicht und glaubte, mein Oheim hätte Sie davon unterrichtet. Eine so gute Polin wie ich bin, besitze ich doch noch eine ältere Stiefschwester, die Gattin des Obersten, Fürsten Tscheftsawadse, im russischen Grenzgebiet am Kuban, wo er kommandiert. Ich bin auf dem Wege dahin, da meine bisherigen Verhältnisse sich geändert; mein Oheim begleitet mich bis Odessa, von wo mein Schwager mich abholen läßt. Begreifen Sie nun, daß ich hoffte, von Ihnen dort zu hören?«
Der junge Tschetschenze war bleich wie der Tod geworden, seine gesunde Hand zuckte krampfhaft nach dem Herzen – sein großes dunkles Auge rollte wie irr über das Mädchen, während er sich aus dem Sofa emporgerichtet hatte ... »Sie nach dem Kaukasus – und ich hier? – Großer Gott, ich glaubte, Sie kehrten nach Warschau zurück!« – »Was ist Ihnen, mein Freund? – Fassen Sie sich – man wird auf uns achten.«
Er blickte wild um sich ... »Was kümmert mich Ihr Oheim – was der Fürst! Ich Tor, der ich war, – fort, ihnen nach, daß sie meinem Vater sagen: sein Sohn ist bereit! – Und meine Ehre – mein Eid – –« »Sie sind außer sich! was kümmert Sie ein elternloses Mädchen, das in ihrer fernen Heimat, die Sie nicht mehr lieben, eine Zufluchtsstätte finden soll?« – »Ich, Djemala-Din, mein Vaterland nicht lieben, wo Sie sind, – ich Sie nicht wiedersehen – Sie, Wanda?« Er preßte krampfhaft die Hände ineinander und gegen die Brust, daß der Verband des Armes sich löste und ein purpurner Strom herausschoß »– beim Blute Schamyls weigerte ich meinem Vater den Gehorsam! Wanda, am Elbrus sehen wir uns wieder!« und ohnmächtig sank er zurück auf das Ruhebette. – –