Sir John Retcliffe
Nena Sahib
Sir John Retcliffe

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Schlange und Tiger.

Die drohend gen Himmel geballte Hand des Bahadur sank langsam nieder – und ohne eine Spur von dem Sturm von Leidenschaft zu zeigen, wandte er sich nach der Tür, die soeben geöffnet wurde.

»Der Subadur-Sahib Mowbray und der Jemedar-Sahib Sanders aus Cawnpur wünschen Seine Hoheit den Maharadschah zu sprechen,« meldete die Stimme Gibsons. Die genannten beiden Offiziere traten ein und hinter ihnen, ehe die Tür sich schloß, vernahm man das Klirren von Säbelscheiden auf dem Marmorboden des Vorzimmers.

»Seien Sie mir willkommen, Sahibs! Der Palast von Bithoor hat leider lange das Vergnügen entbehren müssen, die englischen Freunde seines trauernden Herrn in seinen Mauern zu sehen.«

Die Offiziere verneigten sich höflich. Die Blicke Mowbrays musterten aufmerksam das Gemach und die Anwesenden, und blieben mit offenbarem Interesse an der Gruppe der Frauen am Diwan hängen.

»Verzeihung, Fürst, daß wir Sie so spät noch stören,« sagte der Leutnant. »Indes es geschieht auf Befehl Seiner Exzellenz des Gouverneurs. Ein wichtiger Vorfall in Cawnpur heute abend ist die Ursache.«

»Sie machen mich besorgt, Sir. Indes, ehe ich weiter höre, lassen Sie mich die Pflichten des Wirtes erfüllen. Gibson, sorge für Erfrischungen und« – eine leise Ironie leuchtete durch seine Worte – »daß es der Begleitung der Gentlemen an nichts fehle. Verzeihen Sie, Mowbray, daß ich Sie noch nicht besonders begrüßt. Ich hoffe, Sie waren wohl, seit ich Sie nicht sah, und unser gemeinschaftlicher Freund, der Resident, ist es gleichfalls. Ich bedaure, daß er zu denken scheint, ich rechnete ihm den Tod meines unglücklichen Schwagers zu, während ich doch überzeugt bin, daß er gewiß alles mögliche aufbot, den wahnsinnigen Kampf zu verhindern.«

»So wissen Sie noch nicht, Hoheit, was Rivers passiert ist?«

»Sie erschrecken mich in der Tat – wie sollte ich ...«

»Entschuldigen Sie, Fürst, daß ich zuerst meinen amtlichen Auftrag ausrichte,« unterbrach der Ordonnanzoffizier des Generals das Gespräch. »Es wird Ihnen bekannt sein, daß Dhulip Singh, der junge Prätendent des Thrones von Lahore, in Cawnpur sich als Gefangener befand.«

»Ich erinnere mich, davon gehört zu haben, Sir, er wurde ja wohl von Firozpur vor einigen Wochen dahin gebracht? Das Gerücht traf mich zu einer Zeit, wo ich selbst unter zu schweren eigenen Leiden gebeugt war, so daß ich leider ihrer nicht genug achtete, sonst hätte ich General Wheeler gebeten, mir zu gestatten, den von dem Ehrgeiz seiner Mutter mißleiteten Jüngling besuchen zu dürfen, da er ein entfernter Verwandter von mir ist.«

Die beiden Offiizere wechselten einen Blick miteinander.

»Dhulip Singh,« fuhr der Leutnant fort, indem er den Maharadschah scharf beobachtete, »ist durch List und Betrug diesen Abend aus seinem Gefängnis in der Zitadelle von Cawnpur entflohen, oder vielmehr entführt worden.«

»Zugleich,« fügte der Lancier-Kapitän hinzu, »ist das Landhaus des Residenten von ruchloser Hand in Brand gesteckt worden und bis auf den Grund niedergebrannt.«

»Um des Himmels willen – welche schlimmen Ereignisse an einem Abend. Sind die Täter ergriffen?«

»Noch nicht, aber wir sind ihnen auf der Spur, denn viele Umstände lassen vermuten, daß die Flucht und der Brand in Zusammenhang stehen und ein Werk der ränkevollen entthronten Königin von Lahore Mahe Tschund sind, die sich wahrscheinlich in der Nähe befindet.«

»Und Sie sind auf der Verfolgung des Flüchtlings oder der Mordbrenner begriffen?« fragte der Indier mit dem Ton naiven Mißverständnisses. »Seine Exzellenz soll nicht umsonst auf meine Hilfe gerechnet haben; ich stelle meine wenigen Mittel auf das Bereitwilligste zur Disposition.«

Der junge Offizier errötete verlegen. »Das nicht, Hoheit – General Wheeler ist von Ihrer Ergebenheit für die Interessen der Regierung überzeugt – nichtsdestoweniger ...«

Die bisher so zuvorkommende freundliche Haltung des Maharadschah wurde stolz und kühl.

»Nun, Sir – ich will nicht hoffen ...«

»Es soll Sie nicht beleidigen, Hoheit, aber – wir sind beauftragt, Erkundigungen bei Ihnen einzuziehen, ob der übelberatene Flüchtling vielleicht bei Ihnen Schutz gesucht, und ...«

»Eine Nachsuchung nach dem Knaben bei mir zu halten, bloß weil ich ein Hindu bin und in der Nähe von Cawnpur wohne,« vollendete der Maharadschah kalt. »Bitte, Sir, vollziehen Sie Ihre Befehle. Die Offiziere der Garnison von Cawnpur waren zu oft Gäste in dem armen Hause Srinath Bahadurs, als daß sie seine Räume für eine Durchsuchung nicht genügend kennen sollten.«

»Ich fühle ganz das Unangenehme meines Auftrags, Hoheit,« erklärte beschämt der Offizier, »und wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben ...«

»Sir,« sagte kalt der Fürst, »die Kinder dieses Landes sind schon gewöhnt, ihre Anhänglichkeit und Hingebung an die englische Regierung durch Mißtrauen und Kränkungen vergolten zu sehen, als daß sie sich darüber beschweren dürften. Indes glaubte ich wirklich durch meinen Rang und die Dienste, die ich erwiesen, vor persönlichen Beleidigungen geschützt zu sein. Ich werde mich – sollten Sie nicht etwa den Auftrag haben, über meine Freiheit zu disponieren – morgen früh nach Cawnpur begeben, um General Wheeler mein Bedauern auszusprechen, daß man bei Srinath Bahadur eine Unterstützung der Feinde der Regierung auch nur für möglich halten konnte, um so mehr, als ein mindestens ebenso merkwürdiges Ereignis, wie dle Flucht eines Gefangenen oder der Brand eines Bungalow mich bereits hatte beschließen lassen, die Hilfe des Generals und des Residenten morgen zu weiteren Nachforschungen in Anspruch zu nehmen.«

»Darf ich wissen, was Sie meinen?« fragte der Kapitän.

»Sie wissen,« fuhr der Maharadschah fort, »daß Lady Margaret, meine Gattin, vor etwa drei Monaten, während meiner unglücklichen Abwesenheit, auf eine unerklärliche Weise verschwunden ist?«

»Ganz Audh weiß es und beklagt Sie und kennt und ehrt Ihren tiefen Schmerz, Hoheit.«

Er schritt zu dem Diwan und zog die verhüllende Decke fort. Augenblicklich erkannten die Offiziere die oft gesehene Frau trotz der Spuren des Elends und der Krankheit.

»Lady Margaret! Um Gottes willen, Hoheit – –«

»Sorgt für eure Gebieterin und bereitet ihr Gemach,« befahl der Maharadscha den beiden Frauen. »Diese Jammergestalt, krank, jeder Erinnerung beraubt, Sir, ist das, was von der Gattin Srinath Bahadurs zu ihm zurückgekehrt ist.«

»Aber wie – wann?«

»Kaum eine Stunde vor Ihrer Ankunft fanden meine Diener mein Weib allein an der Tür meines Hauses liegend. Begreifen Sie nun, Sir, daß ich andere Sorgen habe, als die Flucht Dhulips Singhs zu fördern und ihn zu verbergen?«

Leutnant Sanders – selbst der kaltherzige liederliche Mombray waren erschüttert von dem schrecklichen Anblick, der sich ihnen so unerwartet geboten.

»Haben Sie noch keine Spur – keine Vermutung, Sir, wer die Räuber gewesen?« fragte der Leutnant.

»Hören Sie das Lachen – die Worte der Unglücklichen,« sagte der Maharadschah, nach der Irren deutend, die in den Armen der Frauen eben wieder die traurige Ballade, von wirren Phantasien unterbrochen, anhob, »und Sie werden sich überzeugen, daß ihre Vernunft, ihre Erinnerung dahin ist. Offenbar war sie von den Phansigars, den Dieben, geraubt und ist erst wieder freigelassen worden, nachdem man ihren Verstand mit giftigen Mitteln verwirrt hat. Die Schurken wollten sich rächen dafür, daß ich ein Dutzend ihrer Genossen auf meinem Gebiet hängen ließ, weil sie einen Faringi-Kaufmann beraubt.«

»Aber Sie sind so gefaßt, so ruhig, Hoheit, bei dem entsetzlichen Ereignis?«

»Was kann ich gegen das Schicksal tun?« erwiderte mit der Resignation eines echten Orientalen der Hindu. »Das Fatum steht über uns, und seit drei Monaten betrauere ich mein Weib als eine Tote.«

Leutnant Sanders ergriff mit aufrichtiger Teilnahme die Hand des Maharadschah. »Hoheit,« sagte er, »das Unglück, das Sie betroffen, ist zu groß, als daß ich mir es nicht zum Verbrechen anrechnen würde, Sie noch länger zu stören. Wir kehren nach Cawnpur zurück, und wenn es irgend in unserer Macht steht, Ihnen mit etwas zu dienen, dann befehlen Sie über unseren Eifer.«

»Wenn ich Sie bitten darf, Sir, so senden Sie mir sobald als möglich ärztliche Hilfe, vielleicht Doktor Clifford.«

»Der Doktor,« sagte der Leutnant zögernd, »befindet sich augenblicklich in Haft – ich zweifle aber keinen Augenblick, daß es ihm gelingen wird, sich von jedem Verdacht zu reinigen, dem Entflohenen Hilfe geleistet zu haben, und ich hoffe, schon morgen früh ihn wieder in Freiheit zu sehen.«

Der Bahadur lächelte trübe. »Wahrlich, Sir,« sagte er, »es scheint schwer, dem Verdacht Ihrer Behörden zu entgehen, selbst bei der treuesten Pflichterfüllung. Wenn Sie noch den geringsten Argwohn hegen, so durchsuchen Sie auf das strengste mein Haus. Daß hier unter meinen Freunden und Dienern das Knabengesicht Dhulip Singhs nicht zu finden ist, werden Sie sich bereits überzeugt haben. Mir aber erlauben Sie, für jene Unglückliche Sorge zu tragen und sie in die Gemächer zu schaffen, die sie in glücklichen Tagen bewohnte. Meine Diener sollen Sie indes als meine Gäste mit allem versehen.«

Die Offiziere jedoch, jetzt überzeugt, daß der Gesuchte hier nicht zu finden sei und der Nena keine Kenntnis der Flucht gehabt, lehnten sein Anerbieten auf das Bestimmteste ab und verabschiedeten sich.

Wenige Minuten darauf ertönte das Kommando zum Abmarsch und die Reiter trabten auf der Straße nach Cawnpur wieder davon.

Der Nena hatte die Offiziere bis an das Tor des Bungalow begleitet.

Alles Höfische, Ruhige und Gedrückte war aus seiner Haltung verschwunden, und in dem festen Tritt, mit dem er zu dem Gemach zurücklehrte, lag der energische Wille der Tat.

»Laß den Zugang bewachen, Gibson, und überzeuge dich, daß kein englischer Späher in der Nähe zurückgeblieben,« befahl er. »Welche Stunde der Nacht ist es?«

»Mitternacht, Hoheit!«

»Dann können die Diener und Frauen des Haushalts jeden Augenblick von dem Fest zurückkehren. Die Ankunft meines Weibes soll ihnen verborgen bleiben bis morgen.«

Tukallah hatte unterdes der Königin mitgeteilt, daß die Faringi ihre Nähe argwöhnten, und es war beschlossen worden, daß die Maharani bei Tagesanbruch ihre Reise in Männerkleidern antreten, die Prinzessin aber vorläufig unter der Maske einer Dienerin im Schutz des Maharadschah zurückbleiben sollte, bis Nachricht von dem glücklichen Entkommen der Mutter und des Sohnes eingegangen.

Da nur wenigen die Anwesenheit der Königin in Bithoor bekannt, so bestand diese selbst darauf, sofort von ihrer Tochter und den Freunden zu scheiden, und sich in die ihr eingeräumten geheimen Gemächer zurückzuziehen.

Der Maharadschah befahl Mac Scott, seinem alten Erzieher, die Maharani dahin zu geleiten und für ihre Sicherheit zu sorgen.

Die Nähe des jungen Mädchens schien einen beruhigenden Einfluß auf den Zustand der armen Irren auszuüben, und die gänzliche Erschöpfung ihrer Kräfte hatte sie endlich in einen festen und tiefen Schlaf versinken lassen. In diesem Zustand trug der Maharadschah, gefolgt von der jungen Prinzessin, die teure Last auf seinen Armen nach der Zenanah.

Dort legte er sie sanft auf das Lager, das so lange einsam und leer gewesen, und schlug sorgfältig die Vorhänge um dasselbe. Mahana bereitete sich ein Lager im Vorgemach, so daß sie jede Bewegung der Kranken hören konnte.

Die Männer hatten sich auf den Teppichen und Diwans der Halle, in der sie bis jetzt versammelt gewesen, zum Schlafe niedergestreckt, und noch ehe eine Viertelstunde vergangen, lag das Bungalow finster und in tiefer Ruhe.

Nur zwei Männer wachten!

Es waren der Bahadur und Tukallah, der Guru der Thugs.

Der letztere lag sinnend auf der Matte, die ihm zum Lager diente. Er fühlte, daß er über den Nena gesiegt und den Tiger in ihm geweckt hatte, aber er begann zu zweifeln, ob der Charakter des Fürsten auch stark genug sei, die erweckten Leidenschaften in Taten zu äußern.

Plötzlich berührte eine fremde Hand leise seine Schulter.

Der Mahratte fuhr in die Höhe und seine Hand unwillkürlich an den Griff seines Handjars.

Umschauend sah er einen in seine weißen Obergewänder gehüllten Mann vor sich stehen. Es war der Nena!

»Komm – ich habe mit dir zu sprechen!«

Der Sirdar erhob sich, und bei dem schwachen Schein des Sternenlichts sorgfältig die Berührung der Schlafenden vermeidend, folgte er dem Nena.

Schweigend schritt er voran, weiter in das Dickicht des Gartens – der Mahratte folgte ihm.

An dem Marmorbassin der mittleren Fontäne blieb der Maharadschah stehen und lehnte stumm und nachdenkend mehrere Minuten an den kalten Stein.

Vor ihm, ihn ruhig beobachtend, stand der Mahratte.

Jetzt erhob der Nena sein Haupt. Sein Blick war kalt und entschlossen.

»Tukallah oder Tantiah Topi – Guru der Thugs! – Srinath Bahadur hat mit dir zu reden.«

Unwillkürlich fuhr der Mahrattenhäuptling zusammen und eine dunkle Röte überflog sein Gesicht.

»Was fällt dir ein, edler Bahadur? Mit welchem Namen nennst du mich?«

Der Mahratte sann einige Augenblicke schweigend nach, dann fragte er selbst:

»Sage mir, wie kamst du zu dem Glauben!«

»Schon als Knabe, als ich einige Zeit am Hofe der großen Begum vom Somroo zubrachte mit Dyce Ochterlony, sah ich einst in den Wäldern umherschweifend einen Wanderer töten, der am Fuße einer Tamarinde schlief. Zwei der Männer, die es taten, waren mir unbekannt, der dritte hatte sich erst kurze Zeit vorher zu ihnen gesellt, und ich kannte ihn wohl. Es war der Mayadar meines Verwandten – du selbst.«

»Und du bewahrtest das Geheimnis, Srinath Bahadur?«

»Ich bewahrte es in der Knabenbrust – was sollte ich davon reden. Der Wanderer war vielleicht dein Feind, und du hattest ein Recht, ihn zu töten. Viele Jahre dachte ich nicht mehr an die Erinnerung des Knaben – bis sie vor wenig Monden wieder in mir emporstieg und das, was ich erfuhr, bestätigte.«

»Fahre fort, Bahadur. Von welcher Gelegenheit sprichst du?«

»Von Malangher, deiner Burg! Ich ahne ihre Geheimnisse, denn ich selbst entzog der Bhawani dort zwei der ihr geweihten Opfer!«

»Wahnsinniger Tor – so mußt du sterben!« Seine Hand faßte nach dem Dolch im Gürtel.

Der Bahadur winkte verächtlich. »Ich werde sie der Dunkeläugigen wiedergeben, denn es waren Faringi, und mehr als sie. Auf ihren Altar will ich die Zerstörung von tausend Leben legen. Erbärmlicher Dienst, den ihr der erhabenen Göttin der Vernichtung weiht, indem ihr das Leben eines einzelnen Wanderers nehmt und gleich der Schlange den arglosen Wicht überfallt, der eingeht durch euch zu den neun Wanderungen der Seele, statt die Völker und Geschlechter niederzuwerfen vor die Stufen ihres Tempels und mit den Gräbern derer, denen Brahma keine Auferstehung gewährt, das Angesicht der Erde zu bedecken?«

»Und bist du der Mann, Srinath Bahadur – das große Werk der Vernichtung zu vollenden?«

»Ich bin es, Tantiah Topi! Sage mir jetzt, bist du ein Thug?«

»Ich bin es! Sei der unsere, oder stirb!«

»Du bist das oberste Haupt des Bundes?«

»Ich bin nur ein Guru – doch einer der mächtigsten und größten unter den Dienern der Khali. Ich bin der nächste zur Oberherrschaft über alle.«

»Wohlan, ich will ein Thug werden wie du, aber ich muß der Herr sein über den Tod und alle seine Diener, nicht sein niederer Knecht! Ein Grab soll die Welt sein, und die Brut der Faringi seien die ersten, die es füllen! Gib mir die Macht, Tantiah-Topi, gib mir die Macht! und die Göttin soll jauchzen über die Opfer, die ich ihr bringe!«

»Srinath Bahadur,« sagte langsam der andere, »du sollst das Oberhaupt der Würger sein, wenn du die Proben bestehst, und ich der erste deiner Sklaven!«

»Wann – Mensch! wann soll die Macht in meinen Händen sein? denn meine Seele lechzt nach dem Werk der Vernichtung.«

»Noch in dieser Nacht – wenn du willst!«

»Ich will! – Was habe ich zu tun, um ein Thug zu sein, wie du?«

»Ehe du küssen darfst die heilige Spitzaxt, mußt du der Opfer drei auf den Altar der großen Bhawani legen – drei Opfer, die zeigen, daß du mit allem, was dir heilig war im Leben, gebrochen, um ihr zu dienen!«

»Ich will.«

»Kannst du den Freund töten, dessen Lager du geteilt, dessen Arm dich beschützt, dessen Liebe deine trüben Stunden erheitert, deine frohen geteilt hat, der sein Leben eingesetzt für das deine? Kannst du lohnen die heilige Schuld des Dankes mit Tod und Vernichtung im Dienst der Khali?«

»Ich will.«

»Kannst du täuschen das Vertrauen? kannst du das Leben des Gastes opfern, der deine Schwelle überschritt und dessen Haupt zu schirmen dir heiligste Pflicht – kannst du die Jugend und Unschuld opfern auf dem Altar der Khali?«

»Ich will!«

»Wohlan, so beweise es! Das dritte Opfer will ich selbst dir zeigen, wenn es an der Zeit ist.«

Der Mahratte knüpfte das furchtbare Seidentuch los, das seinen Turban umwand, und reichte es ihm.

Dann nahm er den Dolch aus seinem Gürtel und gab ihm gleichfalls denselben.

»Nimm beides! die Bhawani gestattet es dir, zu wählen für das erste der Opfer; denn Messer und Tuch sind geweiht an ihrem Altar, und die des Werkes nicht geübte Hand darf nicht fehlen, wo es so wichtiges gilt. Bist du entschlossen?«

»Ich bin's!«

Der Sirdar ahmte zweimal den Schrei des Adlers nach.

Sogleich tauchten aus dem Schatten der Gebüsche zwei menschliche Gestalten auf und nahten sich ehrfurchtsvoll, die Hände über der Brust gekreuzt.

Es waren zwei fast nackte, bronzefarbene Männer, nur mit dem Hüftenbund bekleidet und um den Kopf das verhängnisvolle Seidentuch geschlungen.

»Holt eure Werkzeuge, ihr Lughas, und grabt das Grab an dieser Stelle!« befahl der Guru.

Plötzlich gab der Mahratte das Zeichen einzuhalten – man hörte Schritte, die von der Seite des Palastes daherkamen.

»Der Fuß eines Fremden naht! Verbergt euch!« befahl der Guru.

Der Maharadschah winkte verneinend. »Es hat keine Gefahr – bleibt an eurer Arbeit!«

»Wer ist es, der kommt?«

»Das erste der Opfer!«

Es war Mac Scott, der Schotte, der Lehrer und Erzieher des Maharadschah, sein treuer Diener und Freund, der Gefährte in hundert Gefahren, der ihn so viele Jahre hindurch gleich einem Sohne geliebt.

Der Nena zeigte auf die Leiche. »Möge die Bhawani das Opfer empfangen!«

Der Mahratte tauchte seine Hand in das Blut des Ermordeten und berührte Stirn und Augenlider des Mörders damit. Dann klatschte er in die Hände und sogleich erschienen die beiden Lughas wieder und begannen ihre Arbeit aufs neue.

»Du hast die Schwäche der Dankbarkeit aus deinem Herzen gerissen,« sprach der Furchtbare, »deine Seele ist stark. Zeige, daß auch die heiligste Sitte der Väter ein Hauch ist vor der Dunkeläugigen, daß der Gast deiner Schwelle, der Schlaf des Schuldlosen, der dir vertraut, nicht Schirm ist gegen den Ruf der Khali.«

Der Maharadschah ließ den Dolch fallen, seine Hand griff nach dem Rumal, dem mörderischen Seidentuch, und sein Fuß hob sich zum Gehen.

Dann plötzlich hielt er zögernd inne – offenbar kämpfte er mit sich selbst, welchen Weg er nehmen solle.

Der Mahratte betrachtete ihn höhnisch.

»Du zauderst?«

»Bei den Unterirdischen – nein!«

Der Bahadur verschwand in den Büschen, in der Richtung des matten Strahles der Lampe aus der Zenanah. – – – – – – –

Der Teppich am Eingang des Gemachs hob sich – ein bleiches fahles Männergesicht schaute hinein, stiere Augen lauschten durch das Gemach.

Kalter Schweiß perlte in dicken Tropfen von der blutig bezeichneten Stirn – die schmalen Lippen waren zusammengepreßt von dem Ringen eines entsetzlichen Entschlusses!

Der Bleiche war an ihrer Seite und beugte sich über sie, ihren Atem belauschend. Dann zog seine Rechte das verhängnisvolle Tuch vom Nacken und seine stieren Blicke beobachteten die Lage der Schlummernden, um ein schreckliches Werk zu vollbringen.

Da regte es sich in dem Nebenzimmer.

Die unglückliche Gattin des Nena schien erwacht oder im Traum zu sprechen. Sie sang das schaurige Lied Ophelias von dem Weidenbaume am Bach.

Augenblicklich erwachte das Hindumädchen und erhob den Kopf, nach der Kranken zu lauschen.

Ihr Auge fiel auf das entstellte, blutgezeichnete Gesicht des Fremden und wurde starr vor Schreck.

Zugleich aber öffnete sich der kleine Mund, als wolle er einen Ruf des Schreckens, der Hilfe ausstoßen.

Aber kein Ton kam über ihre Lippen. Noch ehe ein Laut sich ihnen entrungen, flog das Tuch über ihr Haupt und eine starke Faust umkrallte den zarten Hals und erstickte den Ruf. –

Aus dem Gebüsch trat der Nena – er trug eine schwere, in eine Decke gehüllte Last, einer Menschengestalt ähnlich, auf seiner Schulter.

»Nimm!« sagte er finster, »das Dach Srinath Bahadurs ist fürder kein Schirm mehr für den Gast!«

Ein junger, in leichte Nachtgewänder gehüllter Frauenkörper lag vor ihnen – das Haupt noch in den Rumal geschnürt, unter dem die Locken und Flechten des Haares hervorquollen.

»Mahe Tschund,« sagte der Sirdar spottend, »wird sich künftig mit dem Sohne begnügen müssen, und Murad eine kalte Braut in die Arme schließen! – Legt die Geweihten der Dunkeläugigen in das Grab und tilgt seine Spuren.«

Mit der an ihnen gewohnten Schnelligkeit legten die beiden Lughas zuerst die Leiche des ermordeten Schotten in das Grab und neben diese, mit den Füßen nach der entgegengesetzten Seite, die des jungen Mädchens.

Im Nu bedeckte Erde die beiden Körper und das Grab füllte sich.

»Ich warte des dritten!« sagte der Maharadschah mit dumpfem Tone.

Der Sirdar sah nach den Sternbildern.

»Es ist Zeit! – Wo ist das Lager der Bheels?«

»In den Ruinen des Tempels der Dunkeläugigen, in der Dschungel von Dscheddahgoor,« erwiderte einer der Lughas.

»Wie weit ist es dahin?«

»Vier Koß!«

»So laß uns aufbrechen.« – – – – – – – –

Zwei wilde Reiter flogen durch den Sumpf, den das austretende Wasser des Ganges alljährlich bei der Regenzeit füllte – zwei Reiter, gleich gespenstigen Dämonen der Nacht.

Der tolle Ritt – der Maharadschah voran, der den Weg zeigte – mochte kaum mehr denn eine halbe Stunde gedauert haben, als die Dschungel sich lichtete und der jetzt aufgegangene Mond den Reitern einen freien Platz zeigte, in dessen Mitte auf einem Hügel sich die wohlerhaltenen Reste eines uralten Hindutempels erhoben.

Aus dem Innern dieser Ruinen glühte ein Feuerschein.

Zwei dunkle Gestalten von wildem Aussehen erhoben sich wie aus der Erde gewachsen vor ihnen, fielen den Pferden in die Zügel und schwangen drohend gigantische Keulen.

»Haltet ein, Unglückliche! Wer seid ihr, daß ihr den Ausgestoßenen und Verfluchten zu nahen wagt?«

»Freunde der Bheels! Diener der ewigen Vernichtung!« antwortete die feste Stimme des Mahratten. »Wo sind die Häupter?«

»Im Tempel der Schrecklichen. Soma, der Bruder der Surya, hat sein Licht über die Erde erhoben, die heiligen Feuer brennen, und er, der im Namen der Mächtigsten gebietet, wartet seine Stunde!«

Der Sirdar sprang von dem Pferde, es den Bheels überlassend, dafür Sorge zu tragen, winkte dem Fürsten, seinem Beispiel zu folgen und schritt nach den Ruinen der Pagode.

Ein seltsamer Anblick bot sich ihnen, als sie durch den halb zusamengestürzten Bogen des Tores in den äußeren Vorhof traten.

Ein Feuer von trockenem Dschungelkraut und Zweigen brannte in der Mitte des Raumes und um dasselbe lagerte ein zahlreicher Haufe von Bheels, Männer, Weiber und Kinder, teils schlafend, teils auf den Knien hockend im Kreise mit seltsamen Gebärden eine Art von Trauergesang hermurmelnd, dessen eintönige Melodie zuweilen zu einem gellenden Klagelaut anschwoll.

Auf einem rohen Lager von Dschungelkraut und Tierfellen lag ein alter Mann, offenbar dem Tode nahe, mit geschlossenen Augen, die nur von Zeit zu Zeit sich öffneten und einen erlöschenden Blick auf seine Umgebung richteten.

Diese bestand aus drei Männern: einem ehrwürdigen Brahminen, den Tilluk, das Zeichen der höchsten Kaste, gleich Srinath Bahadur auf der Stirn; einem Bheel, dessen Haar mit drei aufrechtstehenden Adlerfedern geschmückt war, dem Zeichen der Häuptlingswürde, und dessen Züge unverkennbar das Gepräge der nahen Blutsverwandtschaft mit dem Greise trugen; und einem gelben Malayen in reicher kostbarer Kleidung und Bewaffnung. Tukallah machte den dreien das Erkennungszeichen der Thugs.

»Wer naht dem Lager dessen, der bereit ist, der großen Mutter Rechenschaft abzulegen von seinen Taten?« fragte der Greis. »Die Schatten des Todes, den ich achtzig Jahre dem Geschlecht des Erzeugers gebracht, trüben meine Augen!«

»Tukallah, Vater, den die Hindu Tantiah Topi nennen,« antwortete der Mahratte. »Er kommt, deinen Segen und deinen Willen zu empfangen.«

»So sind ihrer genug,« sagte der Greis – »der Sohn der Berge, der Weise der Städte, der Krieger des Mittags und der Herr der Wüste. Sei mir gegrüßt du, der liebste der Diener der Bhawani! Aber mein Auge sieht der Bewerber fünf, wer ist jener dort?« Er deutete auf den Fürsten.

»Ein Thug gleich uns – zu dessen Gunsten ich meinen Ansprüchen und deinem Erbe zu entsagen bereit bin. Srinath Bahadur, der Peischwa von Bithoor! Er kommt, die heilige Spitzaxt zu küssen!«

Eine allgemeine Bewegung gab sich unter den Anwesenden kund bei der Nennung dieses Namens. Der Alte erhob sich auf seinen hagern Arm und starrte einige Augenblicke den Maharadschah an, der seinen Blick fest erwiderte.

»Auf deiner Stirn ist Blut – Blut ist in deinen Augen, Tod in den Falten deines Mundes, Peischwa von Bithoor,« flüsterte der Greis, »sei willkommen im Bunde des Todes.« Er enthüllte mit einer Bewegung der Hand einen in seinem Lager verborgenen Gegenstand – es war eine stählerne Spitzaxt, von altertümlicher Form.

Der Greis hielt dem Maharadschah die Waffe hin, sie zu küssen. Statt sie jedoch mit dem Munde zu berühren, ergriff sie der Bahadur mit kräftiger Faust, entriß sie der Hand des Alten, und schwang die Axt hoch durch die Luft.

Ein Wutschrei der drei getäuschten Bewerber um die oberste Macht des Bundes war die Antwort der kühnen Tat. Nur der Mahratte blieb ruhig – sein Auge begegnete mit dem Funkeln wilder Befriedigung dem fragenden des Nena, während sein Finger auf den Greis wies, der den kühnen Mann erstaunt anstarrte.

Der Maharadschah trat einen Schritt vor, indem er die Waffe über dem Haupte schwang, und im nächsten Augenblick begrub die scharfe Spitze sich in dem Haupte des bisherigen Besitzers.

Ein noch wilderes Geschrei der drei Gurus antwortete dem Morde, und sie faßten nach ihren Waffen, um ihn zu rächen, aber der Mahratte warf sich zwischen sie und den Nena. »Im Namen der Göttin – er ist es, dem die Hand des Toten die heilige Waffe gereicht, er ist jetzt der Guru der Gurus und das Haupt des Bundes – die Bhawani selbst hat entschieden! Wagt ihr es, ihr zu widerstreben, wo ich ihrem Ausspruch mich füge? Denkt eures Eides und beugt euch vor dem Herrn der heiligen Axt!« –

Und er selbst sank vor dem Nena auf die Knie und küßte demütig sein Gewand. Und die drei Gurus beugten gleichfalls das Haupt und warfen sich nieder, mit der Stirn den Boden berührend zum Zeichen des Gehorsams – über ihnen aber stand der Srinath und schwang mit dämonisch leuchtendem Auge in stolzem Frohlocken die Axt um das Haupt.

Da plötzlich schrillte ein gellender Alarmruf durch die Luft – Schüsse ertönten, Trompetensignale – das »Hurra« englischer Soldaten – Wut- und Klagegeschrei und gellender Kampfruf!

Bestürzt sprangen die Gurus empor, ihre wutflammenden Augen trafen den Nena, der Ruf: »Verrat!« zeigte ihren ersten Gedanken. Aber der Nena selbst war offenbar von dem Unerwarteten einen Augenblick bestürzt, und schaute ratlos umher.

»Schießt die Bestien nieder, die Mordbrenner! keinen Pardon den schwarzen Schurken!« hörte man laut die Stimme Mowbrays auf der Lichtung durch das Lärmen des Überfalls kommandieren. »Bei der Waffe, die meine Hand hält,« schwor der Bahadur – »Brüder, die Hölle, nicht ich, hat die weißen Teufel über uns geführt. Kämpfe und rette sich jeder so gut er vermag.«

Und das heilige Zeichen des Mörderbundes schwingend stürzte er allein voran nach dem Eingang der Pagode.

Zwei englische Soldaten waren eben im Begriff, in das Innere zu dringen. Der Nena erfaßte mit der linken Hand das Gewehr des einen und drückte es zur Seite, während seine furchtbare Waffe den Kopf des zweiten bis zur Nasenwurzel spaltete. Dann sprang er ins Freie.

Die Szene war hier entsetzlich. Frauen und Kinder stürzten heulend umher, die Männer kämpften mit wildem Trotz, aber offenbarem Nachteil gegen die englischen Soldaten, die sie, auf der Verfolgung des entflohenen Prinzen begriffen und durch einen Spion von dem verdächtigen Lager der Bheels in der Dschungel unterrichtet und von einer anderen Seite unbemerkt herangeführt, überfallen hatten, unterstützt durch das Lancier-Pikett, das sich auf der Rückkehr von Bithoor dem Detachement angeschlossen hatte. Pistolen- und Gewehrschüsse knallten auf allen Seiten.

Mit dem raschen Überblick des künftigen Feldherrn erkannte der Nena die gefährliche Lage, und daß es gälte, zu sterben oder sich unerkannt durchzuschlagen.

»Der Galgen ist unser Los, wenn die weißen Hunde uns fangen,« rief der Fürst. »Vorwärts, Brüder, und mir nach!«

Der Bahadur eilte nach der Richtung davon, wo er die Moustangs zurückgelassen, aber drei heransprengende Reiter versperrten ihm den Weg. Die Lanze des einen bohrte den Malayen an den Boden fest, Tukallah war im Kampf mit dem zweiten – der Nena sah ihn fallen, von einem Pistolenschuß getroffen, während über seinem eigenen Haupte der Säbel des dritten blitzte.

»Nieder mit den mordbrennerischen Hunden! Zu Boden mit dem Gesindel!«

Er erkannte die Stimme Mowbrays und tauchte nieder unter den Bauch des Pferdes, dem Hieb zu entgehen. Zugleich faßte er mit der Kraft eines Löwen das Bein des Offiziers und riß ihn aus dem Sattel.

»Zu Hilfe, Leute! zu Hilfe!« Aber die Spitzaxt des Nena hatte mit gewaltigem Hieb das Roß des zweiten Reiters getroffen, daß es schwer verwundet mit ihm davon sprengte, und ein fliehender Bheel beschäftigte den dritten.

Der Maharadschah bog sich nieder zu dem Offizier, der unter seinen Knien am Boden lag, und lüftete den Schleier von seinem Gesicht; das Mondlicht zeigte klar und deutlich das teuflische Grinsen, das es entstellte.

»Kennst du mich, weißer Hund?«

»Hell and damnation – Nena Sahib!«

»Stirb mit dem Namen auf deinen Lippen!«

Die Spitze der Axt begrub sich in die Gurgel des Engländers.

Mit übermenschlicher Kraft warf der Fürst den Körper des Mahratten auf seine Schulter und sprang nach dem Dickicht der Dschungel.

Ein gellender Pfiff – in kurzer Entfernung beantwortet von einem rauhen Wiehern.

Das Antlitz, das der Nena nach dem Kampfplatz zurückwandte, spiegelte den Triumph eines Teufels. Die Hand schwang dräuend die Axt empor.

»Tod den Faringi!«

Das Geröhr und die Büsche der Dschungel schlossen sich hinter ihm und seiner blutigen Last.


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