Sir John Retcliffe
Nena Sahib
Sir John Retcliffe

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Der Dermar

Der geschwungene Dolch fuhr nicht nieder, und die Hände des Mörders selbst richteten den Bedrohten auf, von dessen Haupt im gewaltigen Ringen die verhüllende Kapuze gefallen war.

»Verzeihung deinem Knecht, Sahib,« sagte die Stimme Kassims, des Lugha, indem er augenblicklich seine eigne Verhüllung beiseite schob und sein Gesicht erkennen ließ, »ich ahnte nicht, daß du der Versammlung der Dhewi beiwohnen wolltest als einer der unseren, statt in den Armen Anarkallis der Wonnen des Lebens zu genießen. Ist diese da die Bajadere? Sie weiß, daß sie bei Todesstrafe den heiligen Raum während des Opfers nicht betreten darf.«

Er wies auf das zitternde, aber vollständig verhüllte Mädchen. Glücklicherweise hatte er den englischen Ausruf der Miß nicht gehört.

Der Arzt hatte alle seine Ruhe wiedergewonnen. »Bist du mein Mayadar oder nicht? Wagt es der Mayadar, Fragen an seinen Gebieter zu tun, oder hat er willenlos seine Befehle zu vollstrecken?«

Der Hindu legte die Hand an die Stirn und beugte schweigend sein Haupt.

»Geh voran,« befahl der Arzt, »und geleite uns zurück zu meinem Schlafgemach. Niemand darf erfahren, daß wir dem Opfer beigewohnt. O Kaley! Ombra Nurheddin!« Die Worte, die Anarkalli ihn als Zeichen des Bundes gelehrt, überzeugten den Mörder von der Wissenschaft des Gebieters, und ohne Widerrede schritt er voran, indem er die Leiche des Zwerges beiseite schob.

So eilten sie unter Kassims Leitung durch noch einige verschlungene Gänge und standen endlich vor einer festen Felswand, die ihren Weg versperrte. Der Hindu ergriff einen metallenen Ring am Boden, zog daran, und im Augenblick teilten sich die Steine der Wand und bildeten einen Durchgang. Walding erkannte, daß er sich in dem Badezimmer befand, welches auf die Terrasse ging, die zur Seite die Kiosks enthielt.

Von hier gelangten sie leicht nach dem Pavillon des Arztes, dessen Tür ehrerbietig der Hindu ihnen öffnete. Walding gebot ihm mit der Macht, die er über ihn gewonnen, auf der Schwelle des Kiosk zu verweilen und niemand ihn betreten zu lassen.

Bei dem knechtischen Charakter der Hindus und dem religiösen Fanatismus brauchte der Deutsche nicht zu fürchten, daß der Thug in irgendeiner Weise seine Befehle übertreten werde.

Er nahte sich seiner jungen Schutzbefohlenen, die auf einen der Diwans zum Tod erschöpft niedergesunken war, und versuchte, ihr Mut und Hoffnung einzusprechen.

»Vor allem wird es nötig sein, daß Sie Ihre Kleidung und Ihr Äußeres so sehr als möglich dem der Bajadere ähnlich machen. Hier sind der Putz und die Schmucksachen der Tänzerin. Legen Sie dieselben an, Miß, und verbergen Sie Ihr Gesicht in die dichten Schleier, wenn ja jemand morgen durch einen Zufall dies Gemach betreten sollte. Hier ist die Hennah, die das Mädchen zurückgelassen hat. Es ist genug, um Ihr Gesicht, Ihren Hals, Ihre Arme und Ihre Füße zu färben, denn Sie müssen sich ihr so gleich als möglich machen.«

Das junge Mädchen errötete schamhaft. »Ich will gern alles tun, was Sie mir sagen – aber ich bitte Sie, eine kurze Zeit das Gemach zu verlassen.«

»Verzeihen Sie, Miß – doch so gern ich wollte, ich kann Ihren Wunsch nicht erfüllen. Mich in die Veranda zu begeben, hieße den Argwohn Kassims wecken.«

»Aber das Hindumädchen muß doch...«

Sie schwieg beschämt, denn sie fühlte, daß sie unbedachtsam gesprochen.

Ihr Beschützer begriff sehr wohl, was sie hatte sagen wollen, und seine Verlegenheit war nicht gering. »Miß,« sagte er endlich, »es ist unmöglich, Sie zu verlassen, aber ich werde mich an die Wand stellen und durch dieses Fenster hinausschauen, und ich verpfände Ihnen mein Wort, daß ich diese Stellung nicht verlassen werde, bis Sie selbst mich rufen. Wir müssen den Rest dieser Nacht zusammen zubringen, aber Sie werden sich unter dem Schutz eines Bruders befinden.«

Miß Edith erhob sich und trat auf ihn zu. »Verzeihen Sie den so schwer bedrängten Gefühlen eines armen Mädchens,« sagte sie, indem sie ihm mit einem Ausdruck unendlichen Vertrauens die Hand reichte. »Bitte, erfüllen Sie Ihr Versprechen, dies Gemach ist für kurze Zeit das meine.«

Es war für einen lebenskräftigen Mann, dessen Blut noch wenige Stunden vorher durch die üppigen Umarmungen der Bajadere in Wallung gebracht worden, in der Tat keine geringe Aufgabe. Er hörte das Rauschen der Gewänder, die Bewegungen des jugendlichen Körpers, ihren leisen Tritt, wie er über die Matten des Gemachs schwebte; er fühlte, daß sie verloren war, wenn er es gewollt, daß ihr Flehen, ihr Widerstand nutzlos gewesen wäre – und dennoch gewann er es über sich, treu seinem Wort zu bleiben.

Eine halbe Stunde war vergangen, als die leisen, züchtig geflüsterten Worte: »Ich danke Ihnen, Sir! Kommen Sie jetzt zurück!« ihm die Erlaubnis gaben, sich umzukehren.

Sein Erstaunen war groß, als er die Veränderung sah, die mit der Person der jungen Engländerin vorgegangen war.

»Bei Gott,« rief der Arzt, »diese Veränderung ist wunderbar. Wenn Sie den Schleier über Ihr reizendes Gesicht decken, ist es unmöglich, daß jemand in Ihnen eine Faringi ahnt. Ruhen Sie jetzt ein paar Stunden von den Schrecknissen dieser Nacht, indes ich Ihren Schlaf bewache. Ich wiederhole Ihnen, Sie stehen unter dem Schutz meiner Ehre.«

Sie reichte ihm beide Hände. »O glauben Sie nicht,« sagte sie mit ernster Miene, »daß Furcht und Besorgnis mich hindert, die Ruhe zu suchen. Ich vertraue ganz Ihrem Schutz. Aber es wäre mir unmöglich, jetzt Ruhe zu finden, wo meine Gedanken noch zu der gräßlichen Lage zurückkehren, der Sie mich entrissen, und das Bild jenes furchtbaren Abgrundes vor meiner Seele steht, in den jene beiden Unglücklichen, die so viel für meine eigene Rettung getan, sich gestürzt haben. O Gott im Himmel, was wird – was kann sein Schicksal sein, als Tod und Verderben?«

»Wenn Sie denn der Ermüdung kein Gehör geben wollen,« sagte er, »so erzählen Sie mir, auf welche Weise Sie in die Hände der Thugs geraten sind, und wohin ich Sie führen soll.«

»Sie haben bereits gehört,« berichtete das junge Mädchen, »daß ich die Nichte des General Wheeler bin. Mein Vater, Oberstleutnant Highson, folgte vor Jahresfrist in Kanada meiner Mutter ins Grab, und mein Oheim ließ mich nach Indien kommen, um in seinem Hause und mit seiner eigenen Tochter zu leben. Vor etwa zwei Monaten traf ich in Kalkutta ein und benachrichtigte meinen Oheim von meiner Ankunft. Er unternahm sogleich selbst die Reise von Cawnpur zur Hauptstadt, um mich in sein Haus zu geleiten, aber leider traf statt seiner ein Brief bei mir ein, der mich benachrichtigte, daß er in Benares am Fieber erkrankt wäre, und worin er seinen Agenten anwies, mich mit der ersten sich bietenden Gelegenheit zu ihm zu senden.

Es traf sich, daß die Witwe eines Offiziers die Reise nach dem Norden machte, und der Agent glaubte nicht besser tun zu können, als mich dem Schutz ihrer Gesellschaft anzuvertrauen. Wir machten die Reise der Hitze wegen zu Wasser. Wir waren bereits über Patna hinausgekommen, als ich zwischen Ghazipur und Benares in einer Nacht plötzlich von einem jammervollen Schrei erwachte. Ich erkannte die Stimme der Dame, meiner Begleiterin, und wollte ihr zu Hilfe eilen, aber ich fühlte mich von rauhen Männerhänden ergriffen, mich von dem Zelt auf dem Deck, das uns zur Schlafstätte diente, fortgetragen in den unteren Raum des Schiffes. Ich wurde in einem engen Raum gefangen gehalten, obschon man mir sonst kein Leides tat, und mir sogar meine Kleidung und andere Bedürfnisse brachte. Selten nur, und dann auch nur bei Nacht, wenn keine anderen Schiffe in der Nähe waren, durfte ich auf das Verdeck, um frische Luft zu schöpfen. Zweimal hörte ich während der Zeit in meinem engen Kerker gleich furchtbare Schreie, wie die ersten in jener Nacht ...«

»Ihre Räuber waren Flußthugs – Mitglieder der berüchtigten Mördersekte, die auf dem Ganges und der Dschumna ihr Wesen treiben,« unterbrach sie der Deutsche.

»Ich habe leider von meiner Reisegefährtin und ihren Dienern nie wieder eine Spur gesehen. Die Zeit, die ich mich auf dem Boote befand, mag zehn bis zwölf Tage gewährt haben. Als man mich auszusteigen zwang, geschah es an einem einsamen, öden Ufer. Man lud mich auf einen elenden Karren, indem man mich durch Gebärden mit dem Tode bedrohte, wenn ich einen Versuch zur Flucht oder um Hilfe zu erlangen machen sollte. So zogen meine Entführer fünf Nächte mit mir weiter durch öde, traurige Gegenden. Zwei Tagereisen vor diesem Orte brachte ein anderer Haufe, der sich zu uns gesellte, eine junge, reichgekleidete Frau, die mein Schicksal zu teilen und mehr als ich von dem zu wissen schien, was uns erwartete, denn sie gebärdete sich verzweifelt und weinte und flehte, so oft man ihre Bande löste. Aber leider konnten wir uns nicht durch die Sprache verständigen. Man hat sie gestern aus jener schrecklichen Höhle, in die wir eingeschlossen worden, mit neun anderen weggeführt.«

Der Arzt gedachte schaudernd des furchtbaren Todes der schönen Begum, aber er hütete sich, ihr mit der Erzählung neue Schrecken zu bereiten.

»Ehe wir den Ort, wo wir uns befinden, erreichten,« fuhr die Miß fort, »versetzte man uns wieder in jenen lethargischen Schlaf, aus dem ich nur erwachte, um mich mit gefesselten Gliedern in jener schrecklichen Höhle in Gesellschaft so vieler Unglücklichen wieder zu finden. All mein Mut war gebrochen, ich wäre trostlos verzweifelt, wenn der junge Mann, der zuerst meine Bande löste und so heldenmütig für meine Rettung einstand, durch seine Worte mich nicht ermutigt und neu gekräftigt hätte, unser schreckliches Schicksal, wie es Briten und Christen zukommt, zu ertragen.«

Die Erzählung und die grausame Erinnerung schien die Kraft des armen Mädchens erschöpft zu haben, denn sie schwieg und bald bemerkte der Arzt, daß sie aus ihrem träumenden Nachsinnen in wirklichen Schlaf gefallen war. Er deckte ihr Gesicht mit dem Schleier der Tänzerin zu, löschte die Lampe und setzte sich wieder neben sie, bis die ungewohnten Anstrengungen der zurückgelegten Reise und die Eindrücke des vergangenen Tages und der Nacht auch seine Augenlider schlossen und ihn in einen leichten Schlaf versenkten.

Als eine Stunde nach Sonnenaufgang Kassim leise an die Tür pochte, um ihn zu benachrichtigen, daß Fattih-Murad-Khan mit den Pferden und Dienern seiner im Hofe der Burg harre, um dem Maharadschah von Bithoor entgegenzuziehen, war er rasch wach und auf den Füßen. Er verhüllte nochmals ihr Gesicht mit dem Schleier und legte ein Blatt aus seiner Brieftafel in ihre Hand, auf das er rasch noch einige Mahnungen zur Vorsicht geschrieben hatte. Dann öffnete er die Tür absichtlich so weit, daß der Hindu die Schläferin sehen konnte, und befahl ihm, indem er das Gebahren eines Eifersüchtigen nachzuahmen suchte, das Gemach bis zu seiner Rückkehr nicht zu betreten, noch von einem anderen betreten zu lassen.

Im untern Hofraum der Burg fand er Murad Khan nebst einem zahlreichen und glänzend ausgerüsteten Gefolge seiner harren. Auch Tukallah, der Burgherr, war bereits zu Roß, und an seiner Seite der alte General Rundschit-Sings.

Die kleine Schar verließ jetzt die Burg und passierte den Felsweg, der hinunter ins Tal führte, Tukallah an ihrer Spitze. Bei dieser Gelegenheit, da die Reiter nur zwei und zwei den schmalen Pfad zusammen reiten konnten, nahm der Arzt absichtlich seinen Platz an der Seite des jungen Sikh, um das Versprechen, das er der Granatblüte gegeben, zu erfüllen.

Es galt zuerst, sich die Überzeugung zu verschaffen, daß der ritterliche junge Mann wirklich nicht zur schrecklichen Sekte der Mörder gehöre und die Nacht bei dem Opfer zugebracht habe.

»Hat mein junger Bruder die Nacht ungestört im süßen und festen Schlaf der Jugend zugebracht?« fragte er, sein Auge fest auf das Gesicht seines Begleiters heftend.

»Aliki, die Göttin des Traumes, war bei mir. Zu Anfang erschreckte mich das Bild eines Ungeheuers. Aber die guten Geister siegten auch im Traume und ich war der Glücklichste der Sterblichen.«

Der reine offene Geist, der in dem Auge des jungen Khans blitzte, überzeugte den seelenkundigen Forscher von der Wahrheit dieser Worte.

»Ich habe nicht so angenehme Träume gehabt,« fuhr der Arzt zur Seite blickend fort, »und ohne das Versprechen, das ich dir, junger Freund gegeben, wäre ich gern zurückgeblieben; denn ich fühle mich von den letzten Anstrengungen noch angegriffen. Wie weit beabsichtigt der Sirdar seinem Gast entgegen zu reiten?«

»Er hofft ihn acht Kos jenseits des Grabmals der sieben Dattelpalmen am Ufer des schwarzen Flusses zu treffen.«

»Was ist das für ein Grabmal? Ich hörte bisher weder von ihm noch von dem Flusse sprechen.«

»Du siehst jenen See in der Mitte des Tales und den Bach, der ihn tränkt?«

»Der seltsame Umstand, daß er keinen sichtbaren Abfluß hat, fiel mir schon bei unserer Ankunft auf. Ich vermute, daß er einen unterirdischen Ausgang sich gebahnt hat.«

»Du bist ein Gelehrter – du kannst recht haben. Was weiß ich – ich zerbreche mir den Kopf nicht mit Dingen, die ein junger Krieger nicht zu wissen braucht. Was ich weiß, ist, daß an dem Fuß dieser das Tal umgebenden Felsen nach Mittag hin aus dunklen Klüften ein schwarzes Wasser hervorstürzt und seinen Lauf durch die Felsentrümmer in die Wüste nimmt. Zweihundert Schritte von der Stelle, wo es aus den Felsen quillt, stehen die Trümmer des heiligen Grabmals Asokas, eines Einsiedlers aus längst vergangenen Jahrhunderten. Sieben Palmen umgeben sein Grab und der Ort wird gemieden von den Stämmen der Wüste, weil die bösen Geister dort ihre Wohnung haben.«

Der Deutsche wußte genug und er beschloß, das Gehörte zur Ausführung seines Planes zu benutzen.

Der Zug wandte sich jetzt gegen Abend und galoppierte in die Wüste hinein, als Walding in einiger Entfernung die schlanken Stämme und wiegenden Kronen einiger Palmen über seltsam geformten Trümmern gewahrte. Sofort kehrte er sich zu seinem jungen Begleiter und hemmte dessen Eile.

»Mein junger Freund möge einen Augenblick verzeihen,« sagte er mit den Zeichen großer Erschöpfung, »ich fühle wirklich, daß ich meinen Kräften zuviel zugemutet habe und den weiten Ritt durch die Einöde nicht ertragen werde. Ich will umkehren oder an einer geeigneten Stelle in der Nähe zurückbleiben, bis der Sirdar mit seinem Gast zurückkehrt. Es würde mir lieb sein, den tapfern Khan in meiner Nähe zu wissen.«

Der junge Mann, von dem Vorgehen des Arztes getäuscht, erklärte sich sogleich bereit dazu, sprengte dem schon vorausgeeilten Sirdar nach, und benachrichtigte ihn von dem Unwohlsein seines Gastes. Sofort hielt Tukallah an und wollte den Europäer von mehreren seiner Begleiter nach der Burg zurückführen lassen. Nur mit Mühe vermochte der Arzt dies abzulehnen, indem er erklärte, am Fuß der Gebirge einige mineralogische und botanische Studien zu machen.

Der Mahrattenfürst ließ daher seinen Gast unter dem Schutz des jungen Sikhkriegers zurück, und eilte dem wichtigeren Besuch entgegen.

»Laß zu jenen Palmen uns wenden,« bat jetzt der Arzt seinen jungen Begleiter – »ich möchte die Trümmer des Grabmales sehen und mich von dem Ursprung des Flusses überzeugen.«

»Mein Bruder hat nicht bedacht, daß an jenem Ort böse Geister hausen,« bemerkte der abergläubische Indier.

Der Arzt lächelte. »Ich fürchte die Geister so wenig, wie du die Menschen, tapfrer Khan. Was jene betrifft, nehme ich dich unter meinen Schutz.«

Der Khan machte keine Einwendungen mehr. Langsam ritten die Freunde nach dem Ufer des Flusses.

Schon in der Entfernung machte sich ein starkes Rauschen wahrnehmbar, das, je näher sie kamen, desto mächtiger wurde.

Aus einer hohen und steilen Felswand brach ein mächtiger Strom trüben dunklen Wassers, zuerst im Bogen, und dann aus dem Kessel, den er sich gewühlt, zwischen Felstrümmern und sich immer mehr verflachenden Ufern in verschiedenen Krümmungen sich fortwälzend.

An einer der letztern, an dem Ufer, auf welches der Strom stieß und eine kleine Bucht bildete, stand das Grabmal des Einsiedlers, von den schwankenden Kronen der sieben Palmen überragt.

Das Gebäude mußte einst einen sehr bedeutenden Umfang gehabt haben. Wohl erhalten war allein noch der majestätische Bogen des Tores. Das viereckige Gebäude oder die Pagode, in welcher der Steinsarg des Einsiedlers stand, war gleichfalls nur Ruine.

Ein unheimliches Aussehn des Ganzen wurde durch den Umstand hervorgerufen, daß das ganze Bauwerk von schwarzem Marmor aufgeführt gewesen war.

Murad Khan nahte sich nur mit dem Schauer abergläubischer Ehrfurcht dem Eingang, die noch bedeutend erhöht wurde, als der Arzt ihn einen Augenblick zurückhielt und ihm sagte: »Der junge Häuptling der Sikhs ist ein Mann von Ehre. Er möge mir sein Wort geben, daß er nie von dem erzählen wird, was seine Auge hier sehen, sein Ohr hier vernehmen könnte.«

Der junge Mann, von Furcht aber auch von Wißbegierde bewegt, gab das geforderte Versprechen.

Der Arzt, jetzt wenigstens über seinen Begleiter beruhigt, ritt von ihm gefolgt bis zum Ufer des Wassers und durchforschte dieses auf das Genaueste mit seinen Blicken.

Aber kein Zeichen – nicht die geringste Spur von der Rettung des verwegenen Mädchens und ihres Geliebten war zu sehen.

Nachdem sie die mächtigen Palmen betrachtet, wandten sie sich zu dem Eingang des Grabmals und überstiegen die Trümmer, die ihn versperrten.

Plötzlich stieß der junge Krieger einen Schrei des Schreckens aus und seine weitgeöffneten Augen starrten mit unverhohlenem Entsetzen auf eine Stelle, wohin seine erhobene Hand wies.

Es war der Sarkophag des Einsiedlers.

Zwei dunkle Gestalten lehnten in dem dämmernden Licht, welches das Gebäude erfüllte, an diesem Sarkophag. Als Walding auf dem hellen Hintergrund des Eingangs erkennbarer wurde, traten beide vorwärts, und das Staunen des Hindu wurde noch größer, als er Walding mit einem Ruf der Freude auf sie zueilen und ihre Hände fassen sah.

Es waren der junge englische Offizier und die Bajadere, die durch ein halbes Wunder die entsetzliche Fahrt zurückgelegt hatten.

Leutnant Sanders trug den rechten Arm in einem Tuch – er war bei einem Stoß an die Felsgewölbe und einem unvorsichtigen Loslassen seines Haltes gebrochen. Einige blutige Schrammen an der Stirn bildeten die anderen Verletzungen, die er davon getragen, der geschmeidige Körper des Mädchens aber war ohne alle Beschädigung geblieben. Ihre Hand hielt noch den Dolch, der ihr wichtige Dienste auf der entsetzlichen Fahrt geleistet hatte, und den sie jetzt zur Verteidigung ihres Geliebten bewahrte.

Wir müssen dieser seltsamen Fahrt einige Worte widmen.

Anarkalli war es bekannt, daß die Thugs häufig kostbare Waren und Gegenstände, deren Transport aus der Burg sie verheimlichen wollten, auf dem unterirdischen Wege fortschafften, den sich der Fluß durch die Wurzeln der Berge gewühlt. Dies geschah in großen tonnenartigen Ballons von beweglichen Stahlreifen, über welche eine elastische aber starke Gummidecke gespannt wurde, die, sich zusammenziehend, auf solche Weise luftdicht den Raum verschloß.

Diese Umstände waren rasch von dem Geist der Tänzerin erwogen worden, als Walding und der Mann, um den sie sich so großen Gefahren aussetzte, darauf bestanden, auch die junge Engländerin zu retten, und sie deshalb den Plan ihrer Flucht vollständig ändern mußte.

Schon nach wenigen Minuten der Fahrt aber begann die geringe Luftmasse um sie her schwer und dick zu werden und der belebende Sauerstoff verflüchtete sich.

Zweimal bemerkte er durch das Gefühl, daß der Arm der Tänzerin sich hob und die Spitze des Dolches durch die elastische Decke stieß. Beide Male aber fand die Klinge Widerstand an den Felswänden des Kanals, durch den der Wasserstrom sie dahintrug.

Noch einmal hob sich die Hand der Bajadere, stieß den Dolch durch die Gummidecke und wendete die Klinge in der Öffnung um. So klein der Raum auch war, so drang doch eine erfrischende kalte Luft herein, die bewies, daß ihr schwankes Fahrzeug in einem leeren Raum jetzt dahinschoß. Im nächsten Moment schon stieß der Ballon aufs neue an die Felswand, aber der kurze Augenblick hatte doch hingereicht, ein paar Atemzüge zu tun und neue Luft in die Lungen dringen zu lassen.

Gleich darauf, nach einem neuen wirbelnden Sturz, hörte das donnernte Getöse um sie her auf und der Engländer fühlte, daß sie verhältnsmäßig ruhig dahinschwammen. Ein Seufzer, ein Ruf des Entzückens entquoll hörbar der Brust der Tänzerin und gleich einer Rasenden arbeitete sie daran, mit dem Dolch eine Öffnung in die Decke ihres Fahrzeuges zu schneiden – einen Moment – und das köstliche Blau des Himmels fiel in seine geblendeten Augen, der frische Strom der reinen Gottesluft befreite ihn von der Last auf seiner Brust.

Der gewandten Schwimmerin war es ein leichtes, sich und den Geliebten glücklich ans Land zu bringen.

Schon bei den ersten Worten, die Walding und der junge Offizier wechselten, sah der Khan, daß hier von keinen Gespenstern die Rede sei, und in dem Fremden einen Feind erkennend, riß er das Pistol aus dem Gürtel, um ihn niederzuschießen. Aber Anarkalli, unkenntlich den Augen des Khans durch das Tuch, mit dem sie ihr Gesicht verhüllt, warf sich schützend vor den Geliebten, und Walding fiel zugleich dem jungen Krieger hindernd in den Arm.

»Bei allem, was dir heilig ist – bei dem Leben des Mädchens, das du liebst – höre mich, ehe du uns alle ins Verderben stürzest,« beschwor er den jungen Sikh. »Mit Absicht habe ich dich hierher geführt – du hast ein edles Herz und wirst uns deine Hilfe nicht verweigern. Diese beiden sind meine Freunde, die ein glücklicher Zufall aus einer großen und schrecklichen Gefahr befreit hat. In die näheren Umstände dich einzuweihen, verbietet uns ein heiliger Eid. Aber glaube mir, beide verdienen dein Mitleid.«

Der junge Krieger steckte seine Waffe wieder in den Gürtel und reichte dem Arzte die Hand.

»Möge mein Bruder dem raschen Blut Fattih-Murads verzeihen,« sagte er zutraulich. »Er möge ihm sagen, was er tun soll und sich überzeugen, daß Blut und Leben seines Freundes zu seinen Diensten stehen.«

»Ich war gewiß, edler Khan, daß ich nicht vergeblich auf deine Freundschaft und deinen Edelmut rechnete. Verzeihe mir, wenn ich dich nicht mit allen Umständen der seltsamen Anwesenheit dieser Fremden bekannt mache. Aber sie müssen möglichst rasch diesen Ort verlassen und soweit wie möglich fliehen, denn jeder Augenblick Verzugs verschlimmert ihre Lage und wenn sie in die Hände des Sirdars oder seiner Leute fallen, sind sie rettungslos verloren.«

Der Khan dachte einige Augenblicke nach. Dann wandte er das offene kühne Auge auf den Freund. »Es liegt also dem weisen Hakim viel an der Rettung dieses weißen Mannes und seiner Gefährtin?«

»Ich wiederhole es dir – ich werde dir ewig dankbar sein.«

»So laß sie unsere Rosse besteigen und nach Morgen zu fliehen.«

Der Deutsche umarmte dankbar den jungen Mann. »Nimm den Dank dreier Menschen für dein hochherziges Geschenk,« sagte er, »und jetzt laß uns rasch das nötigste besorgen. Was ist mit Ihrem Arm, Sir? Sind Sie verletzt?«

»Ich fürchte, er ist gebrochen,« erwiderte der Offizier. »Leider bin ich dadurch verteidigungslos geworden. Aber vor allem, sagen Sie mir, ist es Ihnen gelungen, meine Unglücksgefährtin zu retten?«

»Sie befindet sich so weit sicher, und ich hoffe zu Gott, sie den Ihren wiedergeben zu können. Doch jetzt haben wir es nur mit Ihnen zu tun und wie Sie zu retten sind. Lassen Sie mich zunächst Ihren Arm untersuchen und verbinden.« Er fand die Röhrenknochen des Vorderarms gebrochen, richtete sie ein und legte einen kunstgerechten festen Verband um den Arm, indem er sich zu dem Halt einiger Holzsplitter und mehrerer Stücken der festen Rinde bediente, die er von dem Stamm einer der Palmen abschälte. »Ich nehme an,« sagt er zu der Tänzerin, »daß du ihn, den du von einem so schrecklichen Tode gerettet hast, auch jetzt nicht verlassen wirst, solange er noch in Gefahr ist?«

»Nur der Tod kann mich eher von ihm trennen!«

»Aber weißt du den Weg durch die Wüste zu finden?«

Das Hindumädchen lächelte verächtlich über die Frage des Europäers. »Seh ich nicht, wo die Sonne auf- und niedergeht? Sind meine Sinne nicht scharf? Ich weiß, wohin du gehst – sende das Faringi-Mädchen mit der ersten Gelegenheit, zurück zu den Ihren – noch ehe du und der Khan euer Ziel ereicht habt, werde ich bei dir sein. Bis dahin muß die bleiche Mem-Sahib für die dunkle Granatblüte gelten.«

Der Khan kam jetzt herbei, die beiden Pferde führend. »Mögen deine Freunde ihren Fuß in den Steigbügel setzen,« sagte er, »Zögern tut nicht gut, wenn die Eile die Mutter unserer Rettung ist. Mögen sie fern sein, wenn ihre Feinde zurückkehren.«

Die Flüchtlinge erkannten die Wahrheit des Rates, den der Khan ihnen gab, und bestiegen die Pferde. Mit Absicht hatte das Hindumädchen das Roß des Deutschen gewählt, das, obschon von trefflicher Rasse, doch an Stärke und Schnelligkeit bei weitem dem edlen Turkomanenhengst nachstand. Stuart Sanders reichte dem Arzte nochmals die Hand und flüsterte ihm die Bitte zu, Editha nicht zu verlassen. Ein Händedruck gab ihm die Versicherung, das verhüllte Hindumädchen schwenkte die Hand zum Abschied, und zwischen den Trümmern dahin galoppierten die Pferde der emporsteigenden Sonne entgegen.

»Laß uns nun beraten, Freund Murad,« bat er, »was wir dem Sirdar sagen, um den Verlust unserer Pferde zu rechtfertigen. Ich denke, die halbe Wahrheit wird uns am besten helfen können. Wir müssen angeben, daß uns, am Ufer des Flusses ruhend, während die Pferde am Eingang der Trümmer zurückgelassen worden, zwei Unbekannte sie geraubt hätten und auf ihnen entflohen sind, ehe wir herbeikommen konnten.«

»Es wird gut sein, dies zu sagen und uns dazu bereit zu halten,« entgegnete ernst der junge Mann. »Dort gegen Süden erhebt sich eine Wolke von Staub, der Sirdar kehrt eher mit Srinath Bahadur zurück, als wir gehofft haben.«

Der Doktor sprang erschrocken an die Seite seines Freundes.

»Die Unglücklichen!« rief er – »jene werden herankommen, ehe sie noch aus dem Gesichtskreis verschwunden sind!«

»Herunter und ihnen entgegen,« rief der Khan. »Jetzt gilt es, jeden Verdacht von uns abzulenken, wenn wir nicht Tukallahs Säbel über unseren Häuptern sehen wollen.«

Er eilte in der Richtung der Nahenden fort und schoß seine beiden Pistolen in die Luft, sowohl um die Aufmerksamkeit der Flüchtigen zu erregen und ihnen ein Warnungszeichen zu geben, als um damit ihre Erzählung von dem Raube den Herankommenden glaubhaft zu machen.

Es waren noch keine zehn Minuten vergangen, als von Süden her eine Reiterschar heransprengte, der in einiger Entfernung der Reisetroß von Dromedaren und Dienern folgte, welche der Maharadschah mit sich führte.

Tukallahs scharfes Gehör hatte in großer Entfernung die beiden Pistolenschüsse gehört, und als sein Blick die beiden Fußgänger erfaßte, begriff er sogleich, daß hier etwas Ungewöhnliches geschehen sei.

Der Reiterschar voransprengend, parierte er sein Pferd vor den beiden Freunden. »Ich hörte Schüsse, Khan, wo ist ›Zorab‹, dein flinkes Roß? Warum kommen meine Gäste mir zu Fuß, wie niedere Kulis, entgegen?«

»Unglück und Verrat, edler Sirdar,« rief der junge Mann, indem er seine Rolle vortrefflich spielte, »wir sind unserer Pferde beraubt worden, während wir das Grab Asokas des Einsiedlers betrachteten. Du mußt die Diebe noch sehen, wenn du das Auge des Adlers hast!«

Der Häuptling erhob sich in den Steigbügeln und ließ seine Augen über die Ebene rollen. In der Tat erkannte er in weiter Entfernung zwei schwarze Punkte, die rasch über die Fläche strichen.

Eine dunkle Glut überzog sogleich sein Gesicht, der Verdacht, daß es einigen der Opfer des Festes bei der nächtlichen Metzelei gelungen sein könnte, zu entkommen, oder daß mindestens Spione unentdeckt bis hierher an den Fuß der Felsenwälle des Tales gedrungen sein konnten, kämpfte mit dem näherliegenden Gedanken, daß ein paar Mitglieder des Bundes beim Umherschweifen der günstigen Gelegenheit zu einem Raube nicht hätten widerstehen können.

»Hast du die Elenden näher gesehen, Khan,« fragte er hastig, »kannst du uns ein Zeichen geben, von welchem Stamm sie waren?«

Walding aber, die Notwendigkeit einer raschen Antwort erkennend, erwiderte sogleich: »Der eine schien ein Europäer, die andere Gestalt die eines Weibes – ihr Gesicht aber war verhüllt.«

Eine wilde Verwünschung, in die der Name der blutigen Göttin sich mischte, entfuhr dem Munde Tukallahs. Dann wandte er sich rasch entschlossen zu seinem Schobedar, und nach den fernen Reitern deutend, gab er ihm in einer den meisten Gegenwärtigen unverständlichen Sprache einen hastigen Befehl. Der erste Diener des Sirdar rief zehn seiner am besten berittenen Gefährten beim Namen und sprengte mit ihnen im vollen Rosseslauf hinein in die Wüste, den Flüchtigen nach.

Jetzt erst wandte sich der Sirdar zu dem vornehmen Gast.

»Möge dein Schatten lang sein und das Glück immer an deine Fersen gekettet, Hoheit,« sagte der Sirdar entschuldigend. »Hier ist ein Diebstahl an den Rossen zweier unserer Freunde geschehen, und du wirst verzeihen, daß ich sofort Gerechtigkeit zu üben suchte. Murad Fattih Khan, der Sohn Gholab Sings und der Franken-Hakim, von dem ich dir gesprochen, stehen vor deinem Angesicht und begrüßen den edlen Srinath Bahadur.«

Der Maharadschah verneigte sich höflich vor den Vorgestellten, wobei sein halbverschleiertes Auge an dem Europäer haften blieb. »Der Sohn des berühmten Gholab Singh und der Weise des kalten Nordens sollen mir willkommen sein,« sagte er mit seiner angenehmen Stimme, »Srinath Bahadur hofft sie auf der Burg unseres Freundes näher kennen zu lernen.«

Das Interesse des Arztes war von der Erscheinung des Maharadschah gefesselt. Ihn bewegte der Gedanke, daß dieser Fremde und die Botschaft an ihn, das Vermächtnis eines teuren Freundes, die Ursache all der Verfolgungen und jahrelangen Leiden gewesen, die er erduldet.

Der Maharadschah hatte sich nur wenig verändert, seit ihm unsere Erzählung zum ersten Male im fernen Kalifornien begegnete.

Von den dreißig Abenteurern, welche der Maharadschah vor fünf Jahren in San Franzisko angeworben, war nur ein Teil noch in seinen Diensten, und etwa sechs oder acht davon befanden sich, nebst hem Engländer Gibson, dem alten Gefährten Mac Scotts, in seiner Begleitung. Mehrere hatten das Klima Indiens, die Fieber der Dschungeln oder die Klauen der Tiger von Singapore und Bengalen, andere ihre eigenen Ausschweifungen oder die wilden Abenteuer ihrer Lebensweise längst unter die Erde gebracht. Im unmittelbaren Gefolge des Maharadschah befanden sich noch die Franzosen Cordillier und Baillant, Ralph der Bärenjäger und der Kanadier Adlerblick mit seiner nie fehlenden Büchse. Joaquin Alamos, der Mexikaner, war in Bithoor bei dem Haushofmeister des Nena mit neun anderen zurückgeblieben.

»Möge deine Gunst mir verzeihen, daß ich dich noch einige Augenblicke aufhalte,« wandte sich der Sirdar zu dem Peischwa, »aber die Flucht jener Pferdediebe ist unter so eigentümlichen Umständen erfolgt, daß ich es für nötig halte, ihre Spuren zu prüfen.«

»Tu nach deinem Willen, du bist der Gebieter, wir sind deine Diener!« antwortete der Maharadschah mit indischer Höflichkeit.

Der Mahrattenfürft befragte nun den Khan und den Arzt und ließ sich von ihnen an die Stelle geleiten, wo der Offizier und die Tänzerin die Pferde bestiegen hatten. Der Sirdar befahl dem Oberjäger, die Spuren auf das genaueste zu prüfen, und nach wenigen Augenblicken schon erklärte dieser mit Bestimmtheit, daß neben den Fußstapfen des Khans und seines Freundes die Spuren zweier anderer Personen und zwar eines weißen Mannes und eines Frauenfußes sich fänden.

Tukallah machte keine Bemerkung weiter, sondern gab das Zeichen zur Fortsetzung ihres Rittes. Eine halbe Stunde nachher zog die ganze Gesellschaft über die Zugbrücke der Mahrattenburg, deren seltsamen und festen Bau der Peischwa mit Interesse betrachtete, und wurde unter dem Tor mit denselben Zeremonien von der Rani und ihrer Tochter und dem greisen General Ventura nebst den andern Bewohnern der Burg begrüßt, wie gestern der Schloßherr selbst und seine Gäste.

Walding fand auf der Schwelle seines Pavillons den Mayadar fast noch in derselben Stellung, in welcher er ihn verlassen hatte, und im Innern die Lady, in ihre Schleier und Gewänder gehüllt, ängstlich seiner harren. Niemand hatte sich ihr genaht und der Thug eine sorgsame Wache vor ihrem Gemach gehalten.

Der Arzt ließ durch ihn Erfrischungen herbeischaffen und berichtete während dessen der Miß von der gelungenen Rettung des Offiziers und seiner Gefährtin und den neuen Gefahren, denen die Verfolgung des Sirdars sie ausgesetzt.

Mit der zartesten Aufmerksamkeit bemühte er sich, für ihre Bedürfnisse zu sorgen und ihr Mut und Hoffnung einzusprechen. Nur kurze Zeit verließ er sie, um dem Peischwa einen Besuch zu machen und bei der entthronten Königin zu erscheinen, wo die Schritte zur Befreiung ihres Sohnes reiflich erwogen und festgesetzt wurden. So war die Mittagszeit und die Siesta vergangen, und die Stunde herangekommen, in welcher der Derwar oder die große Ratsversammlung der Häupter gehalten werden sollte.

Fattih Murad kam, um den Arzt dazu abzuholen, denn Tukallah hatte ihn ausdrücklich zur Teilnahme eingeladen und ihm schon am Morgen empfohlen, gegen den Peischwa von dem Briefe des unglücklichen Dyce Sombre nichts eher zu erwähnen, als bis er ihm einen Wink darüber geben würde.

Zum Ort der Beratung hatte der Schloßherr das Innere der Pagode bestimmt, die eine genügende Räumlichkeit darbot.

Die Versammlung, die sich hier eingefunden, bestand aus etwa 20 Personen: dem Sirdar, dem zur Linken auf einer erhöhten Stufe der Peischwa von Bithoor, zur Rechten in gleicher Weise die entthronte Königin von Lahore saßen, General Bonaventura, die beiden Fremden, die am Abend vorher eingetroffen waren, dem Afghanenhäuptling, dem Khan und dem Arzt und acht anderen Männern, ihrem Äußern nach Brahminen, Derwische und Krieger, die sich Walding jedoch nicht erinnerte, schon am Tage vorher gesehen zu haben. Einer unter den Fremden fiel ihm besonders auf, wegen des Schnitts seines Gesichts und seiner Kleidung, die ihn als einen Sohn des himmlischen Reiches der Mitte bezeichneten.

Nachdem die Diener mit den im Orient üblichen Zeremonien den Gästen die Hukahs gereicht und sich entfernt hatten, indem nur die beiden stummen Leibdiener des Burgherrn zurückblieben, eröffnete dieser die Beratung.

»Möge euer Schatten lang und euer Feuerauge klar sein!« begann er seine Rede, »verschieden ist unsere Farbe, verschieden unser Ursprung, und das Volk, dem wir entsprossen, wie der Gott, zu dem wir beten. Ich sehe um mich Könige und SuddersDie vier indischen Hauptkasten, die wieder in zahlreiche Unterkasten zerfallen, sind: 1. die Brahminen, der Priester- und Gelehrtenstand, 2. die Xetris, der Kriegerstand, 3. die Waissias oder Banianen, der Handelsstand, 4. die Sudders, der Handwerker- und Arbeiterstand. Außer den Kasten, als unrein, stehen die Paria's., Brahminen und Krieger, Männer, die den Propheten anbeten und die Söhne der heiligen Mariam und des Fó. Wir kommen von Aufgang und Niedergang, von Mittag und Mitternacht zu einem großen Zwecke, in einem Gedanken, der uns beseelt: Fluch den Faringi!«

»Die Vedas erzählen,« fuhr der Sirdar fort, »wie das Weltall in Wischnus Schoß auf der Weltschlange Addisserschen im Milchmeer lag und aus einer Lotospflanze, die aus dem Nabel Wischnus wuchs, die Welt entstand. Sie ward bevölkert mit braunen, gelben, schwarzen und weißen Menschen und jedem Volk gab Brahma, das Urwesen, einen Teil der Erde. Den Hindus gab er die Vedas, den Kahlköpfen den Koran, und den Christen das Buch, aus dem die Missionare lesen. Aber die Hindus waren seine liebsten Kinder, und darum erschlug er den Riesen Hajagriwa, als dieser die Vedas geraubt, und gab sie ihnen zurück. Das Land, das sie bewohnten, war von den Göttern bevorzugt, Gold und Myrrhen und alle köstlichen Früchte wuchsen in ihm, und Fürsten, deren Stämme so alt wie die Welt, beherrschten seine Bewohner. Der Ruf seines Reichtums ging über die Gebirge und Meere, und die Kahlköpfe kamen, davon angelockt, nach Hindostan, schlugen unsere Väter in vielen Schlachten und ließen sich nieder in unseren Tälern. Aber es waren Männer wie wir, sie achteten unsern Glauben, verschmolzen sich mit unseren Sitten und wurden Hindus, wenn sie auch den Propheten anbeteten. Die Zeit ist so lange her, daß wir ihrer nicht mehr denken können. Auch die Weißen kamen zu uns. Brahma hat sie mit der Farbe der Deretas gezeichnet. Wie es unter den braunen Menschen böse und schlechte gibt, von denen der gute Geist sein Angesicht gewendet hat, so gibt es auch unter den Weißen tapfere und weise Stämme, und der Krieger mit den weißen Haaren, der unter uns sitzt, und der kluge Hakim gehören ihnen an, wie die beiden Männer, die uns ein großer Fürst gesandt hat. Sie haben ein Herz für ihre braunen Brüder und wollen mit ihnen ihr Wissen teilen. Aber was können sie tun gegen unsere Herren, die auch die ihren sind? Die Faringi beherrschen die weißen Länder und sind die mächtigste Nation. Wir waren Toren, als wir sie an unseren Küsten aufnahmen und ihnen Gutes taten. Hundert Jahre – ein Tropfen nur in dem Meer unserer Geschichte – sind vergangen, und ihr Fuß ist bis zu den Bergen des Himalaya vorgeschritten, und die Hindostani sind ihre Sklaven geworden. Das Feld, das wir bauen, der Handel, den wir treiben, trägt nur Früchte für sie, unsere Söhne sind ihre Söldner, unser Glaube, unsere Sitten sind ihr Spott, fremde Männer regieren uns und sitzen auf den Thronen, die unsere Väter einnahmen. Unglück! Unglück! Wo ist Gerechtigkeit bei ihnen zu finden, die in dem eigenen Lande Willkür und Raub herrschen lassen? Viele Jahre habe ich unter ihnen gelebt und gesehen, wie der Sohn den Vater, der Bruder den Bruder um schnöden Goldes willen zerfleischt. Wollen wir ewig ihre Diener sein? Wollen wir warten, bis unser Glaube ganz unterdrückt ist, bis unsere letzte Kraft gebrochen, unsere letzte Erinnerung vertilgt ist, bis wir nichts sind, als niedere Sklaven einer Handvoll hochmütiger Faringi, und wie die Hunde von dem Bissen leben, der von ihrer Tafel fällt? Wer ist unter uns, der nicht über Gewalttat, Betrug und Raub dieser Faringi Klage zu führen hat?«

Die Rani erhob sich: »Fluch den Faringi! Sie haben meinen Kindern das Erbe ihres Vaters geraubt!«

»Verdammnis über die weißen Verräter,« rief der Afghanen-Häuptling, »sie haben uns betrogen um das Land am Sindh, das wir besaßen.«

»Die Sonne des Weltalls, der Beherrscher des himmlischen Reiches der Mitte ist erzürnt auf die Engländer,« sagte der Chinese, »sie sind in unser Land gedrungen wie Räuber und zwingen uns, das Gift, das sie uns bringen, zu kaufen.«

»Mein Vater war ein freier Beludschen-Fürst,« sprach ein anderer der Männer. »Wo ist das Land im Sindh, das ich noch mein eigen nenne? Fluch den Räubern!«

»Und Delhi – das goldene Delhi? Wo ist der Hindu, der nicht an seine Größe dächte und mit Schmerz die Werke Akbars und Aureng Zebs, meiner Ahnen, erniedrigt sähe zum Eigentum der falschen Faringi? Ist der Mogul, mein Vater, etwas anderes, als die Puppe ihres Willens?«

Der Fremde, welcher also gesprochen, hatte sich erhoben und das Gewand eines Derwisch, das ihn bisher verhüllt, fallen lassen.

Nur der Sirdar schien nicht überrascht, während alle anderen bisher in ihm nur einen untergeordneten Boten und Vertrauten des halbentthronten Kaisers von Delhi gesehen hatten.

»Es ist Akbar-Jehan, der zehnte Sohn des erhabenen Großmoguls,« sagte er, indem er aufstand, und dem Prinzen den Platz zwischen der Rani und dem Peischwa anwies. »Wir erkennen dankbar das Zeichen des Vertrauens, bas Mahomed-Abul-Schah uns bewiesen hat. – Nur die Meinung eines der Häupter dieser Beratung vermisse ich noch. Sollte Srinath Bahadur, der Sohn Bazie-Rûs, vergessen haben, daß die Faringi sich weigern, ihn als Peischwa von Bithoor und den Erben seines Vaters anzuerkennen?«

Eine dunkle Röte überzog urplötzlich das Gesicht des Angeredeten, und ein Blitz voll Zorn schoß auf den Redner.

»Das Gesetz unserer Väter macht das Kind, dem wir unseren Namen geben, auch wenn es nicht von unserem Blute stammt, zu unserem rechtmäßigen Erben. Noch niemand hat daran gezweifelt oder dem Erben sein Recht streitig gemacht.«

»Kein Hindu – kein Muselman – du sprichst die Wahrheit. Aber erkennen die Faringi dein Recht an?«

»Zahlreiche Fälle aus den Fürstenfamilien Hindostans sprechen dafür.«

»Wohl – ich zweifle nicht daran. Aber ich frage, ob die Kompagnie deinen unzweifelhaften Anspruch auf die Peischwawürde und die Entschädigung, die dein Vater rechtlich bezog, bestätigt hat.«

»Du weißt, daß ich einen Prozeß darum führe. Ich sandte Baber Dutt, meinen Bruder, nach England, mein Recht zu verteidigen, und die weiße Königin und die Regierung des Landes haben es anerkannt.«

»Das ist etwas anderes. Der Sahib-Gouverneur hat dir also die Würde erteilt?«

Wiederum errötete der Maharadschah. »Das nicht,« sagte er verlegen. »Man erkannte nur mein Recht an, man verwies mich an die Kompagnie, an die Regierung in Kalkutta und diese hat die Sache verzögert.«

»Wenn ich mich recht erinnere,« fuhr der Sirdar nicht ohne Spott fort, »so sind fünf Jahre seitdem vergangen. Hat der tapfere Srinath Bahadur unterdessen sich nur mit der Jagd und den Freuden des Harems beschäftigt, ohne etwas weiter für sein angestammtes Recht zu tun?«

»Ich unterhalte keinen Harem, Freund Tantia-Topi,« sagte der Maharadschah finster, »sondern besitze eine Gattin, die alle Rechte der Rani genießt. Ich habe meinen Bruder noch einmal mit einer Beschwerde über die Zögerung der Kompagnie nach London gesendet, und ich weiß gewiß, daß das Parlament meine Klage hören und sich Gehorsam verschaffen wird. Ich bin ein Hindostani wie du und empfinde mit Schmerzen, daß mein Land die Fesseln der Fremden trägt. Ich wünsche Indien seine Freiheit, aber warum sollte ich selbst gegen die streiten, die meine Freunde sind?«

Der Sirdar antwortete ihm nicht, sondern klatschte in die Hände.

Alsbald rauschte der Vorhang zwischen den Elefanten zur Seite und ein Fremder in indischer Kleidung trat in den Kreis der Beratenden.

Der Maharadscha erhob sich hastig von seinem Sitze. »Was sehen meine Augen? Baber-Dutt, mein Bruder! Wie kommst du hierher?«

»Ich bin am zehnten Tage des Monats in Suratschi eingetroffen und erhielt dort die Nachricht, daß ich dich hier auf der Rückkehr von Bombay finden würde. Feuer war unter meinen Sohlen, bis ich dich wiedersah.«

»So kommst du nicht von Bithoor, bist nicht in unserer Heimat gewesen und bringst mir keine Nachricht von meinem Weibe?«

»Du hörst es, daß ich durch das Meer von Maskat gekommen bin und die verfluchte Stadt der weißen Geldwechsler nicht berührt habe. Ich habe die Stämme der Wüste besucht auf meiner Reise und mehr Gerechtigkeit unter ihnen gefunden, als unter den stolzesten Faringis. Ich kann nicht wissen, was die Christin macht.«

»Ich weiß, Baber-Dutt, du liebst sie nicht, obgleich sie es um dich und alle, die ihr nahestehen, verdient. Aber sprich, welche Nachricht bringst du mir in der Sache, wegen deren du zum zweiten Male die Reise unternommen?«

»Lies selbst.« Der Bote reichte ihm ein Schreiben, mit dem großen Siegel des Staatssekretärs der Kolonien verschlossen.

Der Maharadschah erbrach hastig das Dokument und durchlas es. Je weiter seine Augen über die Zeilen flogen, desto finsterer zogen sich die Falten seiner Stirn, und seine Zähne bissen fest die untere Lippe, daß zwei große Blutstropfen über das glatte Kinn rollten.

»Worte – Worte! –« murmelte er, indem seine Hand krampfhaft das Schreiben zusammenballte und es weit von sich schleuderte. Ein Blitz dämonischen Grimms flammte aus seinen braunen Augen, aber mit einer Gewalt sondergleichen unterdrückte er den aufbrausenden Sturm der Leidenschaften, ergriff eine goldene Kapsel die er an einer Kette von gleichem Metall um die Brust trug und öffnete sie durch den Druck einer Feder. Die hohle Hand verbarg zwar den Inhalt, der sich allein seinen Augen zeigte.

Er bestand allein in einem kleinen Miniaturbild, das jene Kapsel umschloß. Aber der feurige, so oft von seinen Leidenschaften hingerissene Indier hat dem Wesen, das jenes Bild darstellte, geschworen, es jedesmal zu betrachten, wenn er fühlte, daß der ungestüme Zorn sich seiner bemeistern wolle.

»Es ist gut,« sagte der Maharadschah – »ich danke dir. Mein Vater hat recht gehabt mit seinen Zweifeln. Die Minister der Königin verweisen mich wiederum an den Rat zu Kalkutta und versprechen, mein gerechtes Gesuch zu unterstützen.«

Der Sirdar stampfte wild mit dem Fuß auf. »Ist denn der Löwe zum Lamm geworden, der Krieger zum Feigling, der die Rute küßt, die ihn schlägt? Wir glaubten einen Bundesgenossen in dir zu finden, nicht einen Verräter. Geh hin zu deinen weißen Freunden und verkünde ihnen den Blitz, der über ihrem Haupte schwebt. Vielleicht, daß sie dich zum Dank statt zum Peischwa, der dein Vater war, zum Aufseher ihrer Peons machen.«

»Deine Worte sind Lügen, alter Mann,« sagte er mit erzwungener Ruhe, »aber dein Haar ist weiß, und Nena wird seine Hand nicht erheben gegen den, unter dessen Dach er verweilt. Mögen die Götter die Beleidigung deines Gastfreundes dir vergeben. Der Sohn Bazie-Rûs ist ein Freund der Faringi und will seine Hand nicht in das Blut der Brüder seines Weibes tauchen. Was ihr sinnt, war mir längst kein Geheimnis; niemals aber wird Srinath Bahadur den weißen Männern verraten, was denen, die ihm vertraut, Verderben bringen müßte.«

Er wollte den Kreis verlassen und sich hinwegbegeben, aber der alte Mahrattenfürst warf sich ihm in den Weg. »Nicht beleidigen wollte dich, den Gastfreund, meine Zunge, edler Nena,« beteuerte der finstere Alte. »Bleibe bei uns, Nena, und höre, was beschlossen wird, denn ich hoffe, die Stunde wird kommen, wo du dich dessen, was du gehört, erinnern wirst und mit uns kämpfen gegen den gemeinsamen Feind. Wenn du bis dahin die Hand nicht erheben willst für die Sache des Vaterlandes, so gewähre wenigstens denen, die ihr Leben zu opfern bereit sind, deinen Schutz, verwende die fremden Schätze, die jetzt ungenützt liegen, zu ihrer Hilfe, und fördere damit die Rache eines Toten an seinen Verderbern.«

Der Nena war nach den ersten Worten seines Wirtes schweigend auf seinen Sitz zurückgekehrt und sah jetzt befremdet auf den Sirdar. »Was meinst du damit?«

»Ich meine das Erbe Dyce Sombres, des Enkels der großen Begum, dessen Besitz dir zusteht!«

»Ich besitze nur eine Kiste mit Edelsteinen und Dokumenten, die meinem Pflegevater von der Begum anvertraut war und die ihrem Enkel oder seinen Erben auf sein Verlangen gegen ein gewisses Zeichen ausgehändigt werden sollte. Der Auftrag ist an mich übergegangen, aber niemand hat sich bis jetzt zum Empfang gemeldet, und niemals hat meine Hand den Deckel des anvertrauten Gutes berührt.«

»Du selbst bist der Erbe der Schätze der Begum und all ihrer hinterlassenen Güter in Indien, die du den habgierigen Krallen der Faringi entreißen wirst. Hier« – er nahm die Papiere aus den Falten seiner Gewänder, – »ist das Testament meines unglücklichen Mayadars, das dich zum Erben einsetzt; und dieser Mann war Zeuge, daß Dyce noch auf seinem Totenbett diese Verfügung bestätigte.«

Der Nena empfing mit Erstaunen – denn bis jetzt hatte er durch die Intrigen der englischen Familie keine Silbe von seinem Anrecht auf die reiche Erbschaft erfahren – die Dokumente, die Walding mit gleichem Befremden in den Händen des Mahratten sah, da ihm doch bekannt war, auf wie seltsame Weise sie aus dem Totenzimmer verschwunden waren.

»Deine Sache ist es, edler Maharadschah,« fuhr der Sirdar fort, »jetzt von deinen Freunden, den Faringi, auch hierin dein Recht zu erstreiten. Doch wichtiger ist der Brief, den der Hatim dir auszuhändigen hat, und der die geheimen Zeichen enthält, welche die Begum bestimmt hat. Tritt vor, Franke, und übergib diesem Mann das Schreiben, das du fünf Jahre lang mit Gefahr deines Lebens und unter den Mißhandlungen deiner Feinde für diese Stunde aufbewahrt hast.«

So aufgefordert, trat der deutsche Arzt vor, zog aus seiner Brusttasche das wohlverwahrte Dokument und übergab es dem Maharadschah, der es sofort öffnete.

»Die Pergamente,« sprach der Sirdar weiter, »welche in jenem Kasten enthalten sind, sind wichtig für deine eigenen Ansprüche auf die Erbschaft, die Schätze aber, die er sonst birgt, gehören den beiden, die der Verstorbene dazu bestimmt hat, daß sie seine Leiden rächen im Kampfe gegen England!«

»Ich bin bereit, dem Franken das Erbe meiner Väter auszuhändigen, wenn er mich nach Bithoor begleiten will,« erklärte der Maharadschah. »Er steht von diesem Augenblick an unter meinem Schutz und ich bürge für jedes Haar seines Hauptes.«

Der Arzt ergriff froh die Gelegenheit. »Wenn du es erlaubst, Hoheit, schließe ich mich deinem Gefolge an. Aber ich kann nicht allein über den Schatz bestimmen, den mein verstorbener Freund hinterlassen. Gegründeter sind die Rechte eines Mannes darüber, der leider das Opfer eines traurigen Irrtums oder« – sein Blick traf den Sirdar – »eines Verbrechens geworden und wahrscheinlich den unverdienten Leiden an fremden Küsten erlegen ist.« »Wenn der weise Hakim Kapitän Ochterlony meint,« erwiderte der Sirdar, »so mag er ruhig sein. Er wird ihn wiedersehen, wenn die Zeit gekommen.«

Der geheime Leiter des furchtbaren Bundes der Rache neigte sich jetzt vor den Fremden. »Die Tapferen des großen Sultans in den Ländern, wo Brahma den ewigen Schnee geschaffen, haben gehört, wie die Söhne Hindostans bereit sind, ihr Blut gegen die Faringi, unsere und eure Feinde, zu vergießen. Der große Sultan, unser Freund, weiß um unsere Hoffnungen. Was gedenkt er zu tun?«

Der eine der beiden fremden Offiziere mit dem slavischen Gesichtsschnitt öffnete ein Portefeuille und nahm verschiedene Papiere heraus.

»Seine Majestät, der Kaiser,« sagte er mit einer ehrerbietigen Bewegung des Hauptes, »haben mit Schmerz die ungerechte Entthronung so vieler edlen Fürsten eines Landes gesehen, an dem ihr Herz innigen Anteil nimmt. England mit seiner unersättlichen Habsucht breitet seine Macht immer weiter aus – es müssen ihr Schranken gesetzt werden. Darum wird es unser Herr der Kaiser mit Beifall begrüßen, wenn die altberühmte Nation der Hindu ihre Freiheit gegen die britischen Eroberer verteidigt.«

»Dies Papier,« fuhr der Offizier fort, indem er es im Laufe seiner Rede übergab, »enthält eine genaue Übersicht der in ganz Indien stationierten militärischen Macht der britischen Krone und der Kompagnie, genauer, als sie deine eigenen Berichte würden zusammenstellen können, tapferer Sirdar. Sie kommt aus dem geheimen Kabinett des General-Gouverneurs in Kalkutta. Dies zweite Papier enthält den ganzen Stand der englischen Armee und ihre Stationierung in den verschiedenen Weltteilen. Die Entfernungen sind bei allen Positionen angegeben und die Zeiten berechnet, in welcher die Regimenter von entfernten Stationen nach Indien transportiert werden können. Unser Gesandter in Konstantinopel wird das seine tun, zu bewirken, daß der nähere Transport über Suez Schwierigkeiten und Hindernissen unterliegt. Dies dritte Papier enthält die Angabe der Vorräte von Munition und Geschütz, die an den persischen Grenzen zur Disposition bereit liegen, und die Namen von zwanzig Offizieren der kaukasischen Armee, die bereit sind, bei den indischen Truppen einzutreten.«

»Der Kaiser, unser Herr,« fuhr der zweite Agent fort, »wird eine Ursache haben, ein Truppenkorps an den Grenzen von Turkistan zusammenzuziehen, wenn ein Streit zwischen Persien und den Briten entsteht. Der wichtigste Schlag aber für den englisch-indischen Interessenten muß von Osten kommen!« Er deutete auf den Mandarin, auf den sich jetzt aller Blicke wandten.

»Der Gebieter des Weltalls,« erklärte der Chinese, »wird die rothaarigen Barbaren das Gewicht seines Zornes fühlen lassen und die Sonne seines Antlitzes vor ihnen verhüllen. Man wird die Faktoreien, welche unsere Großmut ihnen in Kuang-Tscheu gestattet hat, verbrennen und ihnen die Leiber aufschneiden. Die Schiffe der Barbaren sollen das Wasser des Sikiang nicht länger beschmutzen.«

»Maschallah,« schwor der Afghane – »Dost Mohammed Khan ist bereit, das Blutbad von Kabul zu wiederholen. Wenn man uns Peschaur, das uns der Faringi gestohlen, wiedergibt, werden unsere Krieger bereit sein, über den Sindh zu gehen!«

»Die Kinder des Propheten sind in unserem Bunde,« erklärte Baber-Dutt, der Bruder des zögernden Peischwa, ein leidenschaftlicher Gegner der Engländer. »Nicht vergeblich hat der Freund des tapferen Kur-Singh den Weg durch die arabische Wüste gemacht! Wo der Koran gepredigt wird, ist blutiger Haß gegen die Faringi! Die Türken sehen in ihnen allein die Ursache vom Verfall ihres Reiches. In Ägypten und ganz Arabien gärt und kocht der Zorn gegen die falschen Christen. Von Kahira bis Maskat lautet ein Ruf: Tod den Faringi!«

Und »Tod den Faringi!« hallte der Ruf der Versammlung in der Pagode der indischen Thur, der Ströme von Blut und Entsetzen über Millionen Menschen und ein weites herrliches Land ergießen sollte.

»Die Frage, deren Entscheidung uns hier vor allem zusammengeführt,« begann der Sirdar aufs neue – »ist jene: wann soll der Streich geführt werden auf das Haupt der Faringi und wo soll der Ruf der Freiheit und Rache zuerst die Hindostani aus ihrem Schlafe erwecken?«

Jetzt erhob sich ein lebhafter Streit zwischen den Mitgliedern der Versammlung.

Lucknow, als die Hauptstadt des Audh, und Delhi und Mirut wurden als die Punkte bestimmt, an denen der Aufruhr zunächst ausbrechen sollte, und als Zeit dafür das Moharrem-Fest der Muselmänner im nächsten Jahre festgesetzt, bis wohin alle Vorbereitungen zu dem gewaltigen Kampf vollständig beendet und die Sepoy-Regimenter in ganz Indien durch die Agenten des Bundes zur offenen Erhebung vorbereitet sein sollten.

Im Laufe der Debatte, an der der beleidigte Erbe des Peischwa von Bithoor absichtlich keinen Anteil genommen, hatte sich auf seinen Wink der deutsche Arzt ihm genähert und hinter ihm Platz genommen. In dem Gewirr der streitenden Stimmen befragte Srinath Bahadur den Boten seines unglücklichen Verwandten um Nachrichten von dem Verstorbenen.

Diese Gelegenheit hielt Walding für günstig, um seinem neuen Beschützer das Papier zuzustellen, das die Bajadere ihm zu diesem Zweck gegeben hatte.

»Hoheit,« sagte er während einer Pause des Gesprächs, »der Brief meines unglücklichen Freundes ist nicht das einzige, was ich dir zu überreichen habe. Du hast mich deines Schutzes versichert – darf ich auf denselben in jedem Falle für mich und ein anderes Wesen, das ich zu verteidigen habe, bauen?«

»Srinath Bahadur ist gewohnt, sein Wort mit seinem Leben zu lösen!«

»Dies Blatt,« fuhr der Deutsche fort, »ist mir anvertraut worden, es dir zu übergeben.«

Der Indier nahm es und warf einen gleichgültigen Blick darauf. Aber plötzlich, bei dem Anblick eines dem Überbringer unverständlichen Schriftzeichens auf dem Umschlag, begannen seine Augen zu funkeln, er riß es hastig auseinander und überflog die wenigen Zeilen, die es enthielt.

»Wer gab Ihnen das Blatt, Sir? – Antwort, bei allem, was Ihnen heilig und teuer ist!« zischte die Stimme des Maharadschah in französischer Sprache.

»Um des Himmels willen, beruhigen Sie sich, Hoheit! Ziehen Sie nicht unnütz die Aufmerksamkeit der anderen auf uns, oder ich müßte schweigen!«

»Sprechen Sie, Sir, – Sie sehen, ich kann alles ertragen!«

»Ein Weib – eine Bajadere gab es mir!«

»Wo ist sie?«

Walding zauderte mit der Antwort.

»Hören Sie mich an, Herr,« fuhr der Indier in den tiefen, seine innere Erregung verkündenden Gutturaltönen seines Landes fort. »Dies Blatt benachrichtigt mich in geheimnisvollen Zeichen, die mir für die Wahrheit bürgen, daß dem Schatz meiner Seele und meiner Gedanken, eine schreckliche Gefahr droht! Jetzt, Herr, urteilen Sie, daß ich um jeden Preis die wahre Überbringerin dieser Zeilen sprechen muß.«

»Ich kann Ihnen nur weniges mitteilen, Hoheit, das Sie auf die Spur leiten kann, und ich fürchte, auch dieses wird Ihnen nicht helfen. Die Bajadere hat bereits diesen schrecklichen Ort verlassen.«

»Wann?«

»Diesen Morgen. – Sie sahen ihre leichte Gestalt, nur noch ein Punkt, verschwinden am Rande der Wüste.«

»Wie – jene beiden Flüchtlinge, welche die Reiter des Sirdars verfolgen?«

»Möge der Himmel sie beschützen! Aber still, um Gottes willen. – Niemand, am wenigsten unser Wirt, darf ahnen, wer jene Flüchtige war.«

»Aber warum entfloh die Bajadere?«

»Das hängt mit einem Geheimnis zusammen, das ich nicht enthüllen darf. Nur soviel kann und muß ich Eurer Hoheit vertrauen, daß die Person, für die ich Ihren Schutz angerufen, die Stelle Anarkallis vertritt und von ihr aus einer furchtbaren Gefahr errettet worden ist.«

»Anarkalli – die berühmteste Tänzerin Indiens?«

»So ist ihr Name. Sie selbst vertraute mir, daß sie die Tochter Tukallahs sei, obschon er es nicht ahnt.«

»Auch ist in diesen Zeilen davon die Rede, daß der Eilbote, dem sie anvertraut worden, mir nähere Kunde geben würde. War der Mann, der mit ihr entflohen, vielleicht dieser Bote?«

»Nein, Hoheit, es ist ein englischer Offizier, der ihr das Leben verdankt.«

»Und können Sie mir gar keine Andeutung geben, was aus dem wahren Boten geworden ist, wo ich ihn finden kann?«

Der Arzt schwieg, – er kämpfte mit sich und überlegte, wie weit er seine Vermutungen enthüllen dürfe, ohne seinen Tukallah und der Bajadere geleisteten Eid zu brechen.

»Hoheit,« sagte er endlich, »als ich von dem englischen Schiff am Ufer des Sindh entflohen war und den Weg einschlug, Sie aufzusuchen, wurde ich am Rande der Thur von zwei jener indischen Mörder, die gleich Schlangen im Verborgenen ihr furchtbares Handwerk treiben, überfallen.«

»Sie waren in den Händen der Thugs, wenn ich Sie recht verstehe, und leben noch?« fragte mit offenbarem Erstaunen der Prinz.

»Ein Wunder rettete mich – die Dazwischenkunft des Herrn dieser Burg. Könnte nicht auf gleiche Weise der Eilbote an Sie in die Hände der Mörder gefallen und ihm jenes Papier geraubt worden sein?«

»Aber wie kommt dann die Tänzerin in dessen Besitz?« –

»Sie sagten soeben, Sir, daß Tukallah, oder Tantia-Topi, wie die Hindu ihn nennen, Sie aus den Händen der Mörder befreit hat. Geschah es durch Überfall und Gewalt?«

»Tukallahs Ansehen,« erwiderte zaudernd der Deutsche, »scheint so groß in diesen Gegenden, sein Wort so gefürchtet, daß seine Gegenwart allein hinreichte, mich zu retten.«

»Und Anarkalli ist die Tochter Tukallahs und rettete den Engländer?«

»Sie liebt ihn und hat ihn unglücklicherweise in Gefahr gebracht. Doch, Hoheit, das ist alles, was ich Ihnen sagen darf – fragen Sie nicht weiter, ein doppelter Eid verschließt meine Lippen.«

»Ich weiß genug, Herr. Treffen Sie Ihre Anstalten, um mich sofort zu begleiten, – ich werde Sorge tragen, daß die Haudah eines meiner Elefanten für Sie und die Person, die Sie aus dieser Burg entfernen wollen, bereit ist. Diese Männer haben ihre Beratung beendet – ich muß sogleich meinen Entschluß verkünden.«

In der Tat schien der Derwar jetzt zur Einigkeit in den wichtigsten Beschlüssen gekommen und der Maharadschah nahm eine Pause wahr, um sich zu erheben und zu dem Herrn der Burg zu treten.

»Mögen die Geister der großen Krieger Hindostans aus vergangenen Jahrhunderten Euch beistehen, tapferer Sirdar,« sagte er, »Srinath Bahadur ist ein Sohn Indiens und wird glücklich sein, das Land seiner Väter frei zu sehen, wenn er auch die weißen Faringi seine Freunde nennt. Damit er wisse, ob er es noch ferner tun kann, muß er sofort deine Burg verlassen und eilig seinen Weg nach Bithoor richten.«

Der Sirdar sah ihn befremdet und mißtrauisch an: »Du willst uns so plötzlich verlassen – jetzt und in dieser wichtigen Stunde?«

»Eine böse Ahnung ruft mich fort von hier – ich bitte dich, tapferer Sirdar, laß meine Leute benachrichtigen, daß sie sich bereit halten, binnen einer Stunde aufzubrechen. Das Feuer brennt die Sohlen meiner Füße, bis ich meinen Palast zu Bithoor erreicht habe.«

Die Ankündigung dieses plötzlichen, unter den obwaltenden Umständen so eigentümlichen Entschlusses rief eine allgemeine Bewegung unter den Mitgliedern des Derwar hervor. »Tod dem Falschen, der uns zu verraten wagt!« ertönte es aus dem Kreise, der sich um Wirt und Gast drängte.

Da warf sich der Mahratte zwischen die Streitenden.

»Zurück!« schallte seine mächtige Stimme, »niemand soll sagen, daß Tukallah unter seinem Dach den Gast beleidigen ließ oder seinen Willen beschränkte. Die Faringi mögen das Gastrecht schänden, nicht der freie Mahratte. Nena Sahib hat das Recht zu gehen, wie er gekommen und wird unser Vertrauen mit sich nehmen.«

Der Blitz in den Augen des Maharadschah verschwand, seine Hand ließ den Schwertgriff fahren. »Ich danke dir, tapferer Sirdar,« sagte er kalt, »daß du Srinath Bahadur Gerechtigkeit widerfahren läßt. Was mich so eilig von dir treibt, hat nichts mit den Dingen zu tun, die ihr hier verhandelt. Tantia-Topi hat selbst so viele Geheimnisse, daß er auch die seiner Freunde achten wird! – Laß den jungen Khan der Shiks und den Franken Hakim sich bereit halten, mich zu begleiten, denn ich schwöre der edlen Maharani, daß ich selbst ihr Werk fördern will. Der Sohn soll der Mutter zurückgegeben sein als Beweis, daß Srinath Bahadur es treu mit Hindostan meint, noch ehe der Mond zweimal gewechselt, oder ich will den Tilluk von meiner Stirn reißen und der Hund eines Paria werden.«

Die Nachricht, daß der Maharadschah noch am selben Abend aufbrechen und seine Reise fortsetzen wollte, verbreitete sich schnell und seine Begleiter eilten herbei, die Befehle des Gebieters in Empfang zu nehmen.

Rasch hatte der Sirdar eine kurze Beratung mit der Königin von Lahore und den Vornehmsten des Derwar gepflogen, und der Beschluß lautete, daß der Khan und der Deutsche den Maharadschah begleiten sollten, um mit seiner Hilfe das Werk der Befreiung des jungen Prinzen zu unternehmen.

Sobald die Abreise des Nena entschieden war, hatte Walding die Miß davon in Kenntnis gesetzt und durch Kassim einen weiten verhüllenden Überwurf herbeischaffen lassen. Vergeblich aber war seine Hoffnung, sich des unheimlichen Dieners selbst bei dieser Gelegenheit zu entledigen. Der Thug erklärte, daß es seine Pflicht geböte, ihm bis ans Ende der Welt zu folgen und bis der Tod seinen Eid löse.

An seinen Armen verließ das zitternde Mädchen, in die langen Feredschis oder orientalischen Obergewänder gehüllt, den Kiosk und betrat den unteren Hof der Würgerburg, wo deren Bewohner und Gäste in dem bunten Treiben der Abreise versammelt waren.

Der Peischwa bewies, daß er trotz der Aufregung seiner Seele und der Besorgnis, die sie erfüllte, an den Arzt und seinen Schützling gedacht habe; denn kaum hatte er den Hof betreten, als der Wink Nena Sahibs ihm den Elefanten zuwies, dessen Haudah sie aufnehmen sollte.

Auf das Zeichen seines Mahoud beugte das mächtige Tier die Knie der plumpen Vorderfüße, die Leiter wurde angesetzt, und von dem Arzt unterstützt, bestieg Miß Editha die Haudah.

In diesem Augenblick kam der Sirdar heran und winkte ihr zu verweilen.

Das Herz in der Brust des Arztes hörte auf zu schlagen – ein Wort, ein Blick konnte ihr Verderben werden.

»Die Granatblüte,« sagte er zu dem zitternden Arzt, »soll nicht bloß die Freude deines Leibes, sondern wird auch die beste Helferin eures Unternehmens sein. Sie ist schlau und gewandt und kennt meinen Willen.

Nimm diesen Beutel mit Gold, Weib, und tue, wie dir's befohlen.«

Zu Waldings Erstaunen und Freude hatte die junge Engländerin die Geistesgegenwart, nach der Sitte der Indier den Salem vor ihrem Gebieter zu machen, indem sie die Hand an die Brust und Stirn legte, um sie dann auszustrecken zur Empfangnahme des Geschenks.

Da ließ ein tückischer Zufall, ein wehender Luftzug die Falten des weiten Feredschi von dieser Hand und dem Vorderarm gleiten.

Der Blick des Sirdar fiel auf deren blendende Weiße – befremdet, mißtrauisch, trat er zurück und öffnete den Mund zu dem Befehl an die Bajadere, sich zu entschleiern.

Der Maharadschah sah, daß irgendeine Gefahr drohte und rasch die silberne Pfeife ergreifend, gab er mit schrillem Ton das Signal zum Aufbruch.

Die Geistesgegenwart der Lady hatte im Augenblick die verräterische Hand wieder unter den Falten des Gewandes verborgen, und den Salem wiederholend zog sie sich zurück in das Innere der Haudah. Das mächtige Tier erhob sich und der Sirdar trat zurück, im Glauben, daß das zitternde Licht der Fackeln seine Augen getäuscht.

Durch die Wölbungen des Tores, über die Balken der Zugbrücke donnerten die schweren Tritte der gewaltigen Tiere, die Hufschläge der Rosse.

Aber erst als die Felsenwände des Passes hinter ihnen lagen, fühlte des Deutschen Herz sich der schweren Last entledigt und der Gefahr entronnen.

 

Der nächtliche Weg, den die kleine Karawane des Maharadschah durch die Wüste nahm, erstreckte sich in derselben Richtung, welche am Morgen die beiden Flüchtlinge eingeschlagen hatten.

Bald hatte die Bajadere, durch die warnenden Schüsse des Khans aufmerksam gemacht auf die Rückkehr des Sirdars und seiner Gäste, bemerkt, daß schon nach kurzer Zeit Anstalten zu ihrer Verfolgung getroffen wurden.

Der Vorsprung, den sie bereits gewonnen, war indes bedeutend. Anarkalli wußte, daß ihre Pferde mindestens das Gleiche zu leisten vermöchten, und sie sah ein, daß die Jagd daher eine sehr langwierige werden würde, und erst im Dunkel der Nacht sie Hoffnung hätten, ihren Feinden zu entkommen.

Ein Manöver ihrer Verfolger nötigte sie jedoch, von der Richtung, die sie anfangs direkt nach Osten genommen, abzuweichen, und sich weiter nach Süden hin in die traurigen Einöden der Thur oder Thul zu vertiefen. Den ganzen Vormittag ging, trotz der steigenden Sonnenglut, ihr Ritt in jener Richtung, und der Scharfsinn des Mädchens fand Mittel, schützende Hüllen für sich und den Geliebten gegen den Sonnenstich zu bereiten. Mit Schrecken jedoch bemerkte sie, daß dieser bald nur mit Mühe sich im Sattel zu halten vermochte.

Die Leiden der vorhergegangenen Tage und Wochen hätten auch eine kräftigere Natur als die des jungen Offiziers überwältigen müssen. Trotz seiner Anstrengungen, sich aufrecht zu erhalten, schwankte er auf dem edlen Pferde, und die Bajadere sah voraus, daß er nicht lange mehr sich würde aufrechterhalten können, wenn es nicht gelänge, ihm Ruhe und Erfrischung zu schaffen.

In diesem Augenblick fielen ihre Augen auf ein niederes Gestrüpp, an dem sie eben vorbeijagten, der Gebirgskette zu, die sich bereits vor ihnen erhob. Mit einem Freudenruf hielt das Mädchen ihr Roß an, sprang aus dem Sattel und rief ihrem Begleiter zu, inne zu halten. Dann half sie ihm vom Pferde, legte ihn sanft auf den heißen Erdboden und bereitete von den Resten ihres Schleiers ihm eine Schirmwand gegen die Sonnenstrahlen. Der Blick auf das Gestrüpp hatte ihr gezeigt, daß hier jene Kaktusart wuchs, welche die Eigentümlichkeit hat, in ihren großen kelchartigen Blättern den Nachttau des Himmels und die Feuchtigkeit der Luft aufzufangen, und zu einem reinen, süßen und stärkenden Saft destilliert, tagelang in ziemlich bedeutender Menge zu bewahren.

Indem die Tänzerin bei der Entdeckung dieses wie von Gott gesandten Hilfsmittels ihre Augen zugleich über den Horizont schweifen ließ, erkannte sie, daß sie wohl eine Stunde Zeit vor sich hatten, ehe ihre Verfolger nahe genug herankommen konnten, um ihnen gefährlich zu werden.

Rasch entschlossen entschied sie sich dafür, hier eine notwendige Rast zu machen, um ihnen dann mit den einigermaßen ausgeruhten Pferden aufs neue zu entfliehen.

Sie öffnete daher diesen den Zaum und ließ sie an den Stauden der Kakteen sich Nahrung suchen, während sie eine Anzahl der Blätterkelche mit der tauigen Flüssigkeit sammelte, um den Erschöpften damit zu stärken.

Nicht eher, als bis dies vollständig geschehen, gestattete sie ihren eigenen Lippen, gleichfalls sich zu erfrischen. Sie bat den Offizier, sich der Ruhe zu überlassen und setzte sich an die Seite des fast im Augenblick Entschlafenen, das Näherkommen ihrer Verfolger zu beobachten.

Es mochte eine volle Stunde verflossen sein, als Anarkalli ihren Schützling weckte und die Pferde herbeiführte. Die Reiter des Sirdars waren kaum noch eine englische Meile entfernt und kamen nur so schnell heran, als es der Zustand ihrer abgetriebenen Pferde erlaubte, da sie jetzt wieder ihre Opfer entdeckt hatten.

Ein verächtliches Schwingen ihrer Hand in der Luft gegen die Verfolger wurde von diesen mit wildem Geschrei und dem nutzlosen Abfeuern mehrerer Flinten- und Pistolenschüsse erwidert, dann ließen sie ihre Rosse die Zügel fühlen und jagten aufs neue davon.

Aber sie hatten noch kaum hundert Schritt zurückgelegt, als die Bajadere mit Entsetzen bemerkte, daß ihr Pferd stark auf dem einen Fuß lahmte.

Leutnant Sanders hielt sogleich sein Pferd an und fragte nach der Ursache des Verweilens.

»Ein böser Geist ist in dem Fuß meines Rosses,« erklärte die Tänzerin, – »sein Huf muß verletzt sein und einen der großen Dornen der Dschungel oder einen spitzen Stein eingetreten haben.« Sie war bereits am Boden und überzeugte sich von der Richtigkeit der ersten Vermutung, aber zugleich auch, daß die Verwundung so bedeutend war, daß das Tier den Lauf nicht weiter fortsetzen konnte.

»LakschmiDie Göttin des Glücks ist wider uns,« sagte sie hastig, »wir müssen uns trennen! Fliehe, o Faringi, dem Aufgang der Sonne zu und gedenke des Hindumädchens, das dich geliebt bis zum Tode!«

»Nicht ohne dich, Anarkalli,« erklärte der junge Mann mit ritterlichem Entschluß. »Schwinge dich auf die Kruppe meines Pferdes, es ist stark genug, uns beide zu tragen. Weigerst du dich, bei meiner Ehre! so fliehe ich keinen Schritt weiter!«

Eine Flintenkugel, die über sie hinwegstrich, verstärkte seine Worte, – das Triumphgeschrei der Verfolger tönte laut in ihren Ohren.

Da sprang die Tänzerin mit einer raschen Bewegung auf das Pferd. »Fort! Fort! und Cartikaia möge uns helfen!«

Von neuem begann jetzt die wilde Hetze. Von den zehn Reitern Tukallahs vermochte nur noch die Hälfte die Verfolgung fortzusetzen, die jetzt in gerader Linie den emporsteigenden Bergwänden zuging.

Anarkalli erkannte jetzt die Absicht, in der ihre Gegner sie nach dieser Richtung gedrängt hatten. Ein Zweig des Arawalligebirges erhob sich vor ihnen, und am Fuß dieser Berge dehnten sich die Moräste und Sümpfe aus.

Schon geraume Zeit wand ihr Lauf sich zwischen diesen Sümpfen hin, und wie ermüdet auch die Pferde ihrer Verfolger, erkannte das Mädchen doch, daß auch ihr Turkomanenhengst nicht länger die doppelte Last zu tragen vermöge und die Entscheidung herannahe.

Endlich erblickten sie sich auf einer schmalen Felsenenge, die zwischen tiefen Sümpfen zu einer breiten Lagune und über diese hinweg zu einer hohen Bergwand führte, vor der sich eine mit indischen Fichten bewachsene Strecke Landes im Halbkreis ausdehnte, so daß sie von Sumpf und Bergen eingeschlossen und kein Ausgang sichtbar war. Umzukehren und einen anderen Weg zu suchen, war nicht mehr möglich, denn zwei der Reiter des Sirdar folgten ihnen jetzt in der Entfernung von etwa fünfzehnhundert Schritt.

In die mit wildem Gebüsch und Schlingpflanzen bewachsene Bergwand schien eine enge Schlucht oder Spalte zu führen und am Eingange derselben erkannten sie jetzt die große Gestalt eines Mannes mit langem weißen Bart, phantastisch in Lumpen und Tierhäute gekleidet. Seine Füße waren nackt und in der Hand hielt er einen großen keulenartigen Ast oder Baum.

»Lakschmi sei gelobt!« rief das Mädchen, indem es das Roß auf die seltsame Erscheinung zutrieb. »Das muß Fair-Eddin, der heilige Einsiedler der Sümpfe sein, der Raô der Krokodile! Laß uns seinen Schutz erflehen!« Sie warf sich von dem wankenden Pferde, half ihrem Gefährten herunter und zog ihn nach dem Bewohner dieser Wüstenei hin.

Der Greis hatte mit wilden Blicken die Szene und die Herankommenden betrachtet. Ein unheimliches fanatisches Feuer glühte in seinen geröteten Augen, als er jetzt mit nerviger Faust die Keule durch die Luft schwang.

Jetzt erst konnte der Offizier bemerken, welche furchtbare Waffe dieselbe abgab. Das untere Ende des jungen Baumes, denn aus einem solchen bestand die Keule des Fakirs, bildete noch der dicke Wurzelknoten, durch den lange, starke Eisenspitzen geschlagen waren, so daß er dem Kolben eines altertümlichen Morgensterns glich, nur fester und noch gefährlicher, als ein solcher.

»Fluch über dich, Tochter des bösen Geistes. Weißt du nicht, daß kein Weib sich der Hütte Fair-Eddins, des Einsiedlers, nahen darf? Entweiche zur Stelle mit dem Ungläubigen von hier, ehe meine Keule euer Hirn verspritzt, oder die Stimme meine Kinder ruft, daß sie euch verschlingen!«

Der Engländer wollte seine treue Gefährtin aus der gefahrbringenden Nähe des wahnwitzigen Fanatikers hinwegziehen, aber Anarkalli riß sich von seiner Hand los, flog furchtlos auf den Grimmigen zu und umfaßte seine Knie.

»Vater,« rief sie, »Wischnu ist gnädig, der mich in meiner höchsten Not dich, den Totgeglaubten, Verlorenen, finden läßt! Rette mich und jenen Mann, dem meine Seele gehört, vor unseren Verfolgern!«

Der Fakir ließ bei diesem Anruf die erhobene Keule sinken. »Wer nennt mich Vater mit einer Stimme, die aus dem Grabe vergangener Zeiten tönt?« fragte er mit melancholischem Ausdruck. »Wer bist du, Weib, – die mich an Vergangenes mahnt?«

»Bei dem Andenken deines Weibes, meiner Mutter, – obschon sie deine Liebe nicht verdiente! Du bist Araban, der Brahmine, und ich bin Anarkalli, das Kind, das du auf deinen Armen getragen und das die Freude deines Herzens war, bis zu jenem Tage, da die Faringi dein Weib beschuldigten, eine Thug zu sein und sie hinrichteten. Willst du mich sterben sehen zu deinen Füßen?«

Fair-Eddin, der Einsiedler, strich mit der Hand über seine Stirn, gleich als wolle er seine Gedanken sammeln. »Deine Stimme ist die des Kindes der Falschen und deine Augen leuchten wie die Blüte der Granate. Aber Araban, der Wächter des Tempels von Hadramaut, ist tot, und Fair-Eddin allein weilt unter den Lebendigen! Willst du dein Leben von dem, der seit langen Jahren selber mit Sehnsucht des Todes harrt? Ich habe andere Kinder als dich, und sie sind gehorsam meiner Stimme, während du flohst aus der Hütte dessen, der dich genährt mit seinem Herzen.«

Das Herbeikommen der Reiter Tukallahs unterbrach seine Rede. Sie stürmten mit wildem Geschrei, den Säbel schwingend, heran.

»Fort mit euch in jene Höhle und schließt hinter euch die Tür. Nehmt euer Roß mit euch – meine Kinder sind hungrig!«

Ohne ein Wort weiter zu entgegnen, zog Anarkalli, den Zügel des Rosses haltend, dieses und den Offizier nach dem Eingang der Höhle, die sich in die Bergwand öffnete.

Stuart Sanders, der sich des Dolches der Tänzerin bemächtigt hatte, blieb an der Tür stehen, die Szene vor dem Eingang zu beobachten, und entschlossen, den ersten, der es versuchen würde, mit in die Höhle einzudringen, niederzustoßen.

»Was wollt ihr auf der Insel Fair-Eddins?« fuhr der Einsiedler die heranstürmenden Reiter rauh an, indem er wiederum seine mächtige Keule schwang. »Wer wagt es, mein Gebiet in solcher Weise zu betreten?«

»Heiliger Mann,« sagte der Schobedar – »verzeih' unsere Eile, aber wir sind auf Befehl unseres Herrn, des mächtigen Sirdars der Malangher-Burg, Tukallahs, des Mahratten, in der Verfolgung zweier flüchtiger Verbrecher begriffen, die deinen Schutz nicht verdienen. Gib sie heraus, frommer Einsiedler, und kein Haar auf deinem Haupte soll gekrümmt werden.«

»Fort mit dir, feiler Sklave eines blutigen Gebieters. Kehre zurück zu deinem Herrn und sage ihm: wer das Kleid des Königs der Gepanzerten berührt, stehe unter seinem Schutz.«

»Fakir – widersetze dich nicht vergeblich unserm Willen,« sprach der Anführer der Reiter, deren Zahl bereits auf vier angewachsen war. »Du bist ein Greis und kannst die Flüchtlinge nicht gegen eine überlegene Zahl verteidigen.«

»Der Fluch Yamas über dich, wenn du es wagst, meinem Worte ungehorsam zu sein! Die Folgen kommen über dich!«

»Was sollen wir uns mit dem alten Toren streiten,« rief einer der Reiter, ein Mahomedaner und der wildeste von allen. »Vorwärts, Brüder, und seine Schuld ist es, wenn ihm Unheil widerfährt.«

Während die anderen noch zauderten, Hand an den durch ihren Glauben geheiligten Fanatiker zu legen, sprang der Moslem vorwärts.

Der Fakir schwang mit einem grimmigen Rufe seine Keule. Zugleich brachte er eine kurze Rohrpfeife, die er im Gürtel trug, an die Lippen und blies einen schrillenden, lang gezogenen Ton darauf.

Aus den Schlammkreisen erhoben sich sechs scheußliche Riesenhäupter, schlugen die langen, spitzen Kinnladen mit jenem Geräusch aufeinander, und stierten mit den großen, gläsernen Augen umher.

Wiederum scholl, während der Angreifer erstarrt zurückwich, der schrille Ton der Rohrpfeife in anderer Modulation.

Das schlammige Wasser spritzte empor, während sechs gewaltige Leiber herausschossen und auf den kurzen breiten Schwimmfüßen wie auf gemeinsames Kommando ans Ufer rannten.

Sechs riesige Krokodile öffneten ihre gewaltigen Zahnreihen gegen die Feinde ihres Gebieters.Man beschuldige uns hier nicht etwa einer phantastischen Übertreibung. Es existiert in der Tat in Indien ein solcher Teich, dessen scheußliche Bewohner auf das Zeichen der an seinem Rande wohnenden Fakirs ans Ufer kommen, wie Hunde zu gehorchen gewöhnt sind, und häufig Fremden gezeigt werden.

Der unglückliche Moslem sah zu spät die furchtbare Gefahr ein, in die er sich gestürzt, und suchte vergeblich sein Pferd zu erreichen. Die nächste der riesigen Eidechsen verrannte ihm den Weg, ein Schlag mit dem schuppigen Schwanz traf ihn und warf ihn zur Seite, im nächsten Moment hatte sich das Krokodil gewandt, sein langer Rachen schnappte nach dem Unglücklichen, und unter dem Jammergeschrei des Mannes verschwand das Ungeheuer mit seiner Beute in der trüben Flut der Lagune.

Die fünf anderen Krokodile, als sie sahen, daß die nächste Beute ihnen entgangen, hockten auf den Ton der Pfeife wie Hunde umher und ließen ihre Kinnladen mit jenem scheußlichen Ton auf- und niederklappen. Der Einsiedler holte von dem Stamm einer Fichte mehrere dort aufgehängte halb verweste Stücken Fleisch und warf sie den grimmigen Eidechsen zu, die wild durcheinanderschossen und um die Nahrung sich balgten und bissen.

Mit Staunen und Entsetzen hatte der britische Offizier dies Schauspiel durch die Spalten der Tür mit angesehen, und konnte sich des Schauders nicht erwehren, obschon ihre Rettung dadurch gesichert ward.

Der Abend war unterdes herangekommen. Der Fakir öffnete die Tür der Hütte und betrat die Höhle, die ihm zur Wohnung diente.

»Eine Lüge würde über die Lippen Fair-Eddins gehen,« sagte er finster, nachdem er eine große eherne Lampe von antiker Form angezündet, »wenn ich, gleich wie der Wirt den Gastfreund, dich willkommen heißen wollte, o Faringi! Doch hast du dich in meinen Schutz begeben, und er soll dir und jenem Mädchen werden. Nehmt das wenige, was an Speise und Trank vorhanden ist, indes ich dein Lager bereite. Für diese Nacht seid ihr sicher, denn die Kinder des Sumpfes bewachen den Eingang, und wehe dem, der sich ihnen im Dunkeln zu nahen wagt.«

Die Bajadere war indes auf alle mögliche Weise bemüht, die Lage ihres Geliebten zu erleichtern. Sie untersuchte seinen Arm, befestigte den Verband aufs neue und kühlte die Geschwulst mit Wasser. Der Fakir sah ihr schweigend zu, dann erhob er sich, ging hinter den Vorhang am Ende der Höhle und kam mit einer Flasche zurück, die mit einer hellen durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt war.

»Es ist töricht, daß ich das Wasser des Lebens verschwenden will an einen Ungläubigen. Feuchte das Tuch mit diesem Wasser, das von der Hand guter Geister in der Nacht des Wischnufestes aus der heiligen Quelle auf der Höhe des Dhawalagiri geschöpft ist. Jeder Tropfen des kostbaren Naß ist wie der Tau des Himmels und heilt die Wunden.«

Das Mädchen tat, wie der Greis befohlen, und befeuchtete den kranken Arm. Dann goß der Einsiedler noch einmal von dem Wasser in die Schale und streute ein Pulver hinein, das ein leichtes Aufbrausen verursachte.

»Trink,« sagte er, indem er dem Engländer die Schale reichte, »und mit Wischnus Segen wird morgen jede Spur des Fiebers gewichen sein. – Trink, Hund von einem Faringi!« wiederholte er wild und griff nach seiner Keule, als der Leutnant einige Augenblicke mißtrauisch zauderte. »Trink, oder ich zerschmettere deinen Kopf! Wagst du es, den heiligen Zauber zu verachten, der in dem Wasser wohnt, übermütiger Christ?« Seine Augen glühten in wahnwitzigem Zorn auf, so daß der Offizier auf jede Gefahr hin sich beeilte, den Trank zu verschlucken.

Sogleich legte sich der Zorn des Fakirs, und er zeigte sich bemüht, für seinen Gast ein Lager zu bereiten. Einige Tierfelle wurden in einer Seitenhöhle – wohin auch das Pferd gebracht worden, nachdem es getränkt und mit Maiskörnern gefüttert war, – ausgebreitet, und hier hieß der Herr der Höhle seinen Gast Platz nehmen. Eine kurze Zeit noch, nachdem er sich auf dem Lager ausgestreckt, horchte er auf das klagende Geräusch der Kinnladen der Krokodile sowie auf die Rede des Fakirs, der in einem ihm unbekannten Dialekt in der größeren Höhle mit der Tänzerin sprach, und ein tiefer, wohltätiger Schlaf überwältigte seine erschöpften Sinne.

Es war bereits mehrere Stunden nach Sonnenaufgang, als ihn die Berührung der Hand Anarkallis weckte.

Er fuhr aus seinem Schlafe empor und fühlte sich überaus wohl und gekräftigt, die Schmerzen an seinem Arm waren wunderbar verschwunden, und er sprang rasch von seinem Lager.

»Es ist Zeit, daß wir uns zum Aufbruch rüsten,« sagte die Bajadere, »neues Unglück ist auf unseren Fersen, und Krischna möge uns Kraft und Mut geben, ihm zu widerstehen.«

Erst jetzt, als er sie näher betrachtete, bemerkte der Offizier, daß das Mädchen Männerkleidung trug. Ein Turban verhüllte ihre schönen Haarflechten und in ihrem Gürtel steckten Pistolen und Dolch. Gleiche Waffen hielt sie für ihn in der Hand und auf dem Boden lag eine ähnliche orientalische Kleidung wie die ihre.

»Was ist geschehen? Wie kommst du zu diesen Kleidern?« fragte der Engländer.

»Die Reiter Tukallahs,« berichtete die Bajadere, »haben sich um den Ausgang der Moräste verteilt und bewachen ihn auf allen Seiten, um unsere Flucht zu hindern, denn sie wissen, daß diese Felsen unübersteiglich sind. Sie haben zwei der ihren zurück in die Wüste gesandt, um Hilfe herbeizuholen. Ehe diese zurückkehren, müssen wir noch einmal der Kraft unseres Pferdes und der gütigen Göttin vertrauen. Fair-Eddin, der Einsiedler, ist mein Vater, wenn auch nicht mein Erzeuger! Meine Bitten haben sein Herz gerührt, und er hat versprochen, unsere Flucht zu sichern. Diese Waffen und diese Kleider hat er uns aus den Vorräten gegeben, welche die wandernden Stämme, die ihn verehren, in diesen unterirdischen Höhlen niedergelegt haben. Lege die Gewänder so rasch wie möglich an, indes ich das Pferd, welches uns tragen muß, bereit halte.«

Als sie sich hierauf entfernt, vertauschte der Offizier nicht ungern seine Kleidung, die sich infolge der Abenteuer, welche ihn betroffen, in einem höchst traurigen Zustande befand, mit den bequemen orientalischen Gewändern, und stand bald in der kleidsamen Tracht eines Wüstenreiters da.

So trat er in die größere Höhle, wo Anarkalli seiner harrte mit einem Brei von Mais, den sie ihn rasch zu sich zu nehmen bat. Der Engländer hatte kaum sein kärgliches Mahl vollendet und Zügel und Gurt seines Pferdes untersucht, als der Einsiedler hereinstürzte.

»Fort mit euch!« rief er – »warum zögert ihr, wenn das Unheil auf euren Fersen ist? Eure Feinde haben Beistand gefunden in der Wüste, und kommen heran, euch zu fangen! Fort, ehe sie jeden Weg durch die Sümpfe versperrt haben!«

Anarkalli eilte ihm voran zum Eingang und warf einen Blick über die Gegend umher.

»Es ist bereits zu spät,« sagte sie – »die Reiter haben den Zugang des Dammes besetzt und breiten sich nach allen Seiten aus. In wenigen Augenblicken werden sie vor der Tür und wir dennoch verloren sein, wenn du uns nicht nochmals errettest, Vater.«

In der Tat hatte einer der ausgesandten Boten in der Wüste einen Trupp umherschweifender Beludschen angetroffen und die wilden Krieger durch Versprechungen bewogen, ihnen Beistand zu leisten.

»Rufe die Krokodile, alter Mann, oder es wird zu spät,« flehte die Tänzerin. »Schon haben sie die Hälfte des Weges erreicht!«

»Was hilft es, daß ich meine Kinder auf die Verfluchten hetze,« murrte der Greis. »Der Knall der Feuerwaffen in ihrer Hand wird sie erschrecken und zurück in die Sümpfe jagen! Indes gelingt es vielleicht, sie aufzuhalten; denn ich möchte nicht das letzte Mittel anwenden, das mir bleibt, obschon ihr mein Brot gegessen habt und ich euch retten muß um jeden Preis.«

Er ergriff seine Keule und verließ wiederum die Höhle, wo der Leutnant unterdes, so gut der Gebrauch des einen Armes es ihm erlaubte, die erhaltenen Waffen zum Kampf instandsetzte. – Gleich darauf hörten sie die Rohrpfeife des Fakirs seine furchtbaren Wächter herbeirufen, und das klappernde Geräusch ihrer Kinnbacken verkündete alsbald, daß die grimmigen Eidechsen auf ihrem Posten waren.

Auch die Reiter hatten ihre Feinde erblickt und rückten, schußfertig, die Flinten in der Hand, mit Geschrei heran, während Fair-Eddin die Keule um sein Haupt schwang und mit lautem Geheul einen wilden Tanz begann, gleich als wolle er die Bestien dadurch zum Widerstande ermuntern.

Der Offizier und das Mädchen beobachteten die furchtbare Szene durch die Spalten der Tür.

»Söhne unreiner Tiere,« heulte der Fakir – »wollt ihr es nochmals wagen, die Wohnung des Friedens zu verletzen?

»Wir wollen nichts von dir und haben nicht im Sinn, dich zu kränken,« rief der Schobedar, »aber sei weise, wie dein weißes Haar es gebietet, und gib uns die Fremdlinge heraus, die gestern bei dir Schutz gefunden.«

Der Fakir stieß ein höhnisches Gelächter aus. »Schau auf die Wolke, die über den Himmel zieht. Weißt du, woher sie gekommen und wohin sie geht? Ein Narr ist, wer die Fährte seines Feindes kalt werden läßt.«

»Deine Ausflüchte helfen dir nichts,« erwiderte unwillig der Mahratte. »Wir haben den Fels und die Sümpfe bewacht, und wissen, daß sie nicht entflohen sein können. Aber wir wollen deine Hütte untersuchen und uns überzeugen, daß die Flüchtlinge nicht mehr darin verborgen sind.«

»So kommt herbei und seht!« höhnte der Fakir, indem er aufs neue den wilden Tanz begann.

»Die Sache muß ein Ende haben,« rief der Schobedar. »Schont den alten Toren, denn es ist ein heiliger Mann, und dann gebt Feuer auf die Bestien.«

Die Kugeln prasselten auf den dicken Schildern der Rieseneidechsen, ohne ihnen weiteren Schaden zu tun, als sie zu erschrecken. Nur eine der Bestien hatte durch ihre zufällige Lage eine Kugel in den Unterleib, den allein verwundbaren Teil, erhalten und stürzte sich mit einem wütenden Sprunge ins Wasser. Augenblicklich folgte ihr die ganze Schar und verschwand in der trüben Flut.

Als sich der Pulverdampf verzogen, war jedoch auch der Einsiedler verschwunden. Er hatte die Gelegenheit benutzt, um sich in das Innere seiner Höhle zurückzuziehen und war jetzt bemüht, die Haltbarkeit der Tür durch das Vorschieben großer Steine und eines mächtigen Balkens zu verstärken.

Die Mahratten machten sich bereit, den Eingang zur Höhle zu erzwingen.

Unterdes hatte der Einsiedler zwei Fackeln aus einer Felsspalte hervorgeholt, zündete die eine an und gab sie der Tänzerin. »Wenn du ein Krieger der Faringi bist,« befahl der Greis, »so tue einen Schuß durch die Tür unter den Haufen dieser Söhne der Finsternis; es wird sie abhalten und uns Zeit gewähren. Du Tochter, nimm den Zügel des Pferdes und ziehe jenen Vorhang zur Seite.«

»Steht, Söhne des Teufels!« schrie der Greis. »Das Verderben ist vor euch und hinter euch, ihr Verächter der Heiligen. Schaut um euch und ihr werdet das Nahen derer sehen, die uns zur Hilfe eilen.«

Der Schobedar blickte sich um und sah mit seinen Genossen in der Tat jenseits der Sümpfe eine Staubwolke herankommen, die eine große Reiterschar zu bergen schien.

»Vorwärts, Freunde, erbrecht die Tür!«

Die Reiter machten einen Anlauf.

»Nimm den Vordersten der Schurken aufs Korn,« flüsterte der Fakir. »Dann wirf dich rasch zur Seite, denn sie werden uns ihre Kugeln senden.«

Der Beludsche berührte fast die Tür, als ihn der Pistolenschuß des Offiziers mitten in die Brust traf.

Die Angreifenden wichen bestürzt zurück und begannen jetzt aus einiger Entfernung den Zugang der Höhle mit ihren Flinten zu beschießen. Die beiden Verteidiger derselben hatten sich jedoch längst zurückgezogen.

Jetzt bemerkte der Offizier, was er am Abend vorher geahnt, daß der Vorhang im Hintergrund nur den Zugang weiterer unterirdischer Räume verbarg. Der Fakir winkte zu folgen und schritt ihnen rüstig voran in ein Labyrinth von Gängen und Windungen, das immer tiefer in das Innere des Berges hineinführte. Der Weg war oft holprig und uneben von Felsstücken unterbrochen, und von so niederen Wänden und Decken, daß kaum das Pferd hindurchzubringen war.

Sie konnten noch keine zehn Minuten vorwärtsgedrungen sein, da verkündete ihnen das im Echo der Felsengänge sich fortpflanzende Geräusch das Stürzen der Tiere und das Triumphgeschrei ihrer Feinde, daß diese in die Höhle eingedrungen waren.

Das stärkere Rufen und Lärmen zeigte ihnen bald, daß jene den Weg ihrer Flucht entdeckt und auf ihrer Verfolgung begriffen waren.

»Die Dämonen mögen ihre Schritte irreleiten!« rief der Greis. »Vorwärts, vorwärts, sonst erreichen sie euch, ehe wir in Sicherheit sind.« – –

Unter den Pinien vor dem Eingang der Berghöhle hielten jetzt mehrere Reiter von jener Karawane, welche das scharfe Auge des Einsiedlers durch die Wüste herankommen gesehen, deren größerer Teil aber jenseits der Sümpfe zurückgeblieben war.

Einige Fragen, die der Anführer der Fremden an die Diener Tukallahs getan, überzeugte ihn, daß er auf der richtigen Spur sei.

»Tausend Rupien!« rief der vornehme Fremde mit erhobener Stimme, »wenn ihr das Weib lebendig aus der Höhle bringt. Aber der Tod dem, der ihr ein Haar zu krümmen wagt!«

Durch die Aussicht auf die Belohnung angefeuert, drangen die wilden Bewohner der Wüste mit verdoppeltem Eifer in die finsteren Windungen der Höhle ein, aus denen ihnen der ferne Schein der Fackel wie ein Leitstern leuchtete.

Im Umschauen bemerkte der Offizier, daß die Feinde immer näher kamen und kaum hundert Schritte noch von ihnen waren. Auch der Fakir hatte die Nähe der Gefahr bemerkt, drängte jedoch noch immer zum Vorwärtseilen.

»Nur wenige Augenblicke noch,« mahnte er, »und nicht die Macht Akhbars in seinem Glanze sollte imstande gewesen sein, euch zu erreichen. Nimm die Fackel, Tochter, und gehe voran, du aber, Christ, bleibe bei mir, und wenn sich einer der Verfluchten naht, so schieße ihn nieder.«

Der Gang hatte sich jetzt zu einer weiten Wölbung mit flachem Boden erweitert. Der Fakir deutete nach der gegenüberliegenden Wand, wo zwei kolossale Felsklumpen, gegeneinander geneigt, kaum Raum ließen zu einem schmalen Gang.

»Dort hinein, Anarkalli, und vorwärts! Vor dir sei der Tag, hinter dir die Nacht. Hinein in den Gang mit dir, Christ, und tue, wie ich dir befohlen.«

Der Greis schwang sich auf einen Stein im Eingang der Schlucht und steckte seine Keule gleich einem Hebel unter den riesigen Felsblock, der auf seiner Unterlage nur mit scharfer Kante schwebend, gleichsam wie ein Schlußstein, die ganze Last des hängenden Gewölbes zu tragen schien.

Die Mahratten Tukallahs und die Beludschen drangen mit Triumphgeschrei in den offenen Raum und eilten der Bajadere nach, die mit Mühe das Pferd vorwärts zog.

Leutnant Sanders legte die zweite Pistole auf den Vorsprung eines Steins, zielte bedächtig und sein Schuß warf den Vordersten zu Boden.

»Nieder mit den Hunden,« schrie der Schobedar, in dem Zorn die Drohung des Nena vergessend, »laßt uns sie töten, wenn sie sich nicht ergeben wollen!«

Eine Flintensalve krachte durch das Gewölbe und gleich einem gigantischen Echo des die Luft erschütternden Knalls rollte es wie tausend Donner durch die Gänge und Klüfte. Der urweltliche Fels schien zu erbeben, der mächtige Berg aus seinen Fugen zu reißen und sich zu bewegen. Ein erstickender Staub benahm für einige Augenblicke dem Offizier und der Tänzerin die Luft und verlöschte die Fackel. Ihre Hände tasteten verzweifelt in der furchtbaren Dunkelheit umher, dann rang ein Schrei der Verzweiflung sich aus der Brust des Mädchens.

Der Ruf des Offiziers und ein klagendes Stöhnen antworteten ihr.

»Wo bist du, Anarkalli, meine Tochter?« fragte eine leise Stimme. »Komm her zu mir, daß ich dich segne, ehe Yama mich zu dem Reiche der Schatten ruft. Nimm diesen Stein und schlage mit der Klinge deines Dolches Feuer, daß ich noch einmal dein Antlitz sehe.«

Die Tänzerin hatte sich zu dem Ort hingetastet, von dem die Stimme herkam, und Stein und Zunder gefunden, den ihr der Fakir reichte. Wenige Augenblicke nachher verbreitete die Fackel wieder ihr Licht und zeigte die furchtbare Zerstörung, welche sie gerettet.

Die Kraft des Fanatikers hatte den Felsblock am Eingang der Schlucht von seiner Unterlage gehoben und mit ihm die ganze Decke des Gewölbes zusammengestürzt. Der Weg, den die Laune der Natur vor Jahrtausenden geschaffen, war für die Ewigkeit geschlossen. Die Mehrzahl ihrer Verfolger lag unter den Trümmern begraben, nur wenige, die das Gewölbe noch nicht betreten, erreichten wieder das Tageslicht und verkündeten dem harrenden Peischwa das furchtbare Ereignis, von dem sie natürlich auch die Flüchtlinge vernichtet glauben mußten.

Der Greis selbst lag am Boden, ein Stein hatte seine Brust getroffen und ihn tödlich verletzt.

»Tretet her zu mir,« sagte der Sterbende, »daß mein Wort euch den Weg der Rettung zeigen möge. Schiwa ruft mich zu den heiligen Wandlungen,« flüsterte der Brahmine. »Zieht den Gang weiter – er führt euch an die andere Seite des Gebirges – sie müßten zehn Stunden reiten, wollten sie jene Stelle erreichen.« Seine Augen nahmen plötzlich einen seltsamen Glanz an. »Doch warum fliehen den Tod? Steht nicht Bhawani hinter euch und legt die Hand auf euer Haupt? Ströme von Blut! Ströme von Blut! Und er – dessen Leben du jetzt wie deinen Augapfel schirmst – er muß sterben von deiner eigenen Hand! Das Blut einer Thug rollt in deinen Adern! – Weh mir – tötet das Krokodil nicht! tötet das Krokodil nicht – meine Seele ist in ihm!«

Die Gestalt des Greises streckte sich und er hatte ausgelitten.

Der Offizier schauderte zusammen, als er die kalte Hand der Tänzerin auf der seinigen fühlte – sie, die ihm nach der Prophezeiung des Toten dennoch den Tod bringen sollte.

»Laß uns aufbrechen, das Licht des Tages zu finden,« tönte die zitternde Stimme des Mädchens. »Unser Weg ist weit, und er hat den seinigen begonnen.«

Sie deckte ein Tuch über das Gesicht des Toten und ging mit der Fackel voran, den Pfad zum Leben zu suchen.


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