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Das Fürstentum Dschansi oder Jhansi gehörte noch zu den unabhängigen Staaten.
Der letzte Ranee von Jhansi war gestorben, und es handelte sich um die Frage der Erbschaft.
Nach den indischen Sitten erbt die Rani, die erste Gattin des Verstorbenen, die Regierung, wenn kein majorenner, wirklicher oder Adoptivsohn vorhanden ist. Die Adoption verleiht in Indien die unbeschränkten Kindesrechte.
Wir haben bereits vernommen, daß diese, statt die Erbschaft anzutreten, den Opfertod der Sotti vorgezogen hatte.
Es war eine Stunde vor Sonnenuntergang, als der Zug des Scindia, mit seinen am Nachmittag in seinem Lager eingetroffenen englischen Gästen an den Toren von Jhansi anlangte.
Die Verwandten des verstorbenen Ranee und Vornehmsten des Landes waren zwei Meilen weit dem Oberherrn entgegengegangen und geleiteten ihn mit all dem Gepränge, welches die indischen Aufzüge begleitet, in die Stadt.
Kein Zeichen verriet unter dieser Pracht und diesem Glanz den traurigen und entsetzlichen Zweck des Besuchs.
Fünfzehn- bis zwanzigtausend Menschen mindestens bedeckten die Umgebungen des Tores, schlossen sich dem Zuge an und drängten sich mit ihm nach dem Platz vor der Burg, auf welcher das traurige Schauspiel vor sich gehen sollte.
Der Platz bildete ein großes Halbrund vor dem Tor der auf einer ziemlich steilen Anhöhe liegenden Zitadelle oder Festung. Dem Tor gegenüber waren zwei große Prachtzelte aufgeschlagen, aus baumwollenen Stoffen gefertigt und mit kostbaren Teppichen behangen.
Zwischen den Zelten, die zur Aufnahme des Scindia und des Residenten der Kompagnie bestimmt waren, befand sich eine Estrade, auf welcher zur Linken, dem Ehrenplatz, ein Thron stand. Auf diesem sollte der Scindia während der Zeremonie Platz nehmen, indes ein Armsessel für den Vertreter der Kompagnie bestimmt war.
Der Estrade gegenüber erhob sich ein anderer Thron von künstlichem Schnitzwerk und reichen Vergoldungen. Auf diesem, dessen Sitz noch Raum hatte für eine zweite Person, saß der einbalsamierte Leichnam des verstorbenen Radschah, in der Mitte des riesigen Scheiterhaufens von Bambusstäben.
Zwei schwarze Sklaven mit blankem Säbel bewachten den Zugang zum Scheiterhaufen, während eine Anzahl von Brahminen, in ihre weißen Gewänder gehüllt, um den äußeren Rand desselben kauerten und Gebete murmelten.
Der Scindia setzte sich auf seinen Thron, der Resident nahm, nachdem er seinem Schobedar einige Worte zugeflüstert, auf dem Sessel Platz, und um ihn her gruppierten sich seine europäischen Begleiter.
Es waren dies übrigens nicht die einzigen Europäer. Verschiedene andere schien das Gerücht von der Sotti gleichfalls herbeigelockt zu haben.
Einer dieser Europäer, ein Reisender oder Kaufmann, stand nicht weit von der Estrade mit einem Mann in der Tracht eines arabischen Seefahrers.
Der Fremde war eine stattliche Gestalt mit einem stolzen Gesicht und einem Adlerblick, der Mut und Energie verkündete.
»Sieh, Kapitän,« sagte der Seemann, »mit welcher Behaglichkeit dieser Wehrwolf von einem Engländer sich vorbereitet, der Verbrennung von Weibern zuzuschauen. Ich hätte Lust, ihm eine Kugel durch seinen Schädel zu jagen. Vielleicht ist es einer seiner Verwandten gewesen, der meine arme Tartane an der italienischen Küste verbrannte!«
»Torheit, Danilos. Wir sind die Feinde der Nation, aber nicht die Mörder des einzelnen. Deine Freundschaft hat dich in den Strudel von Unglück mit hineingerissen, der mich verschlungen. Suchtest du mich damals nicht in den Schluchten der Apenninen auf, so strichst du wohl noch heute auf dem Deck der ›Schwalbe‹ durch die blauen Wellen des Adriatischen Meeres und lebtest mit Weib und Kind zufrieden in deiner rauhen, aber nichts weniger dem Herzen teuren Heimat.«
»Ich denke mich nicht wieder von dir zu trennen, Markos Grimaldi,« sagte der Seemann. »Meine Praua kann ebensogut die Wasser des Ganges befahren, als ihre Segel auf dem Indischen und Arabischen Meere entfalten, und ich werde bei der Hand sein, deine Pläne und Absichten zu unterstützen.«
»Du siehst, daß eine meiner sichersten Hoffnungen vereitelt ist,« sagte der Jonier, indem er nach der Leiche des Radschah wies. »Dieser Mann war ein Tapferer, wenn auch ein Greis, und ein Feind unserer Feinde. Der Nena, dem unsere Reise galt, ist noch nicht zurück.«
»Still, Capitano – da kommen sie.«
Der Scindia hatte das Zeichen gegeben, daß das schreckliche Schauspiel beginnen könne. Sogleich sprangen die Flügel des gegenüberliegenden Tores auf und die Prozession, welche die Witwen zu dem furchtbaren Sterbelager begleiten sollte, begann auf den Platz zu treten.
In der Mitte der Brahminenschar schritten die drei Frauen, deren Glauben und Mut groß genug gewesen war, vor dem Feuertode nicht zurückzubeben. Sie wurden an langen goldenen Bändern von den ältesten Brahminen geführt und waren von ihren Verwandten und den anderen Frauen des Haushalts des verstorbenen Radschah umgeben, die Blumen auf ihren Weg streuten und in begeisterten Worten den Mut und die Aufopferung priesen, die jenen die Freuden der Seligen verschaffen sollte.
Die beiden ersten Frauen, die nebeneinander gingen, waren fast noch Kinder, und während die eine bleich und verstört, sichtlich mit der Todesangst rang, schien die andere keinen Gedanken zu haben, als die Lust befriedigter Eitelkeit, die ihre Schönheit zum erstenmal vor dieser Menge von Männern unverhüllt zeigen und bewundern lassen durfte.
Hinter ihnen kam die Lieblingsfrau des Verstorbenen, die Rani selbst. Älter als ihre Gefährtinnen, mochte sie vielleicht zwei- bis vierundzwanzig Jahre zählen und war in vollkommen entwickelter Blüte ihrer Schönheit. Sie war in weiße Gewänder und Schleier gehüllt, die nur das Gesicht, den Hals und den Unterarm bloß ließen. Sie verachtete es offenbar, mit ihrer Schönheit vor der Menge zu prahlen.
Nur als ihr erhobenes Auge auf die Gruppe der Europäer fiel, zeigte sich Bewegung und Interesse, eine leichte Röte färbte ihr Gesicht, ein Strahl des Hasses und stolzer Verachtung brach aus ihren Augen, und sie wickelte sich fester in ihre Schleier.
Jedesmal, wenn die Opfer an dem improvisierten Throne des Scindia vorüberkamen, verneigten sie sich mit gekreuzten Armen vor ihm, wobei die kokettierende, dem Feuertode gewidmete Schöne den Engländern, herausfordernde Blicke zuwarf.
Die Rani allein schien mit Widerwillen und Zwang ihre stolze Stirn vor dem Lehnsherrn und Gebieter zu neigen.
Die Blicke des Kapitän Delafosse hatten zuerst mit großer Teilnahme und Bedauern auf den Opfern eines rohen, aber heroischen Fanatismus verweilt, nach und nach aber begann diese Teilnahme immer wärmer zu werden; seine Augen blieben an der eigentümlichen Schönheit der Rani haften, und ein warmes, inniges Interesse, wie es ihn seit dem Tode des schönen Kaffernmädchens für keine Frau mehr erwärmt, regte sich in ihm.
Als der Zug zum drittenmal an dem Thron vorüberkam, veranlaßte eine zufällige Bewegung die Rani, ihre Blicke zu erheben – sie begegneten den unverwandt auf sie gerichteten Augen des Offiziers.
Anfangs wollten sie sich rasch wieder zu Boden senken, aber der Ausdruck aufrichtiger, warmer Teilnahme schien sie zu fesseln. Ihr strenger Blick wurde sanfter und milder, er schien gleichsam zu danken für das unerwartete Gefühl, das er in dem Herzen eines Fremdlings, eines Tyrannen und Unterdrückers ihrer Nation gefunden. ,
Jedesmal, wenn die dem Tode Geweihten von da ab an der Gruppe des Scindia und der Europäer vorüberkamen, erhob das majestätische Antlitz dieser Frau das große ausdrucksvolle Auge und traf den Europäer.
Mit jedem Mal dieses lebendigen Grabzuges schien die Angst, die ihn erfaßt, zu wachsen. Seine Hand preßte den Arm des Oberstleutnants, der zwischen ihm und dem Residenten saß. »Dürfen wir es zugeben, Oberst, daß ein solches Verbrechen, ein so empörender Mord in Gegenwart britischer Offizier verübt wird?«
Auch der Kommandeur hielt es für seine Pflicht, wenigstens einen Versuch zu machen. »Sie haben recht, Kapitän, es ist eines Mannes und Offiziers nicht würdig, diesen hilflosen, von den heuchlerischen Schurken betörten Geschöpfen nicht wenigstens zu Hilfe zu kommen. Wir müssen den Versuch machen, Major Rivers, ihnen das Törichte ihres Schrittes vorzustellen, und wenn sie es wünschen, sie in unseren Schutz nehmen.«
Der Resident lächelte spöttisch. Vertrauter mit den Sitten und der Denkungsart der Eingeborenen als seine Begleiter, wußte er, wie wenig ein solches Zureden fruchten würde. Da jedoch sämtliche Offiziere darauf bestanden und er außerdem eigene Pläne hegte, deren Verzögerung ihn schon einige Male mit Besorgnis hatte umherschauen und nach der Gegend des Tores von Cawnpur hin horchen lassen, – wünschte er selbst, die Zeremonien aufzuhalten und wandte sich deshalb an den Scindia.
»Meine Freunde, Hoheit,« sagte er in der ihm vollkommen geläufigen Marathi-Sprache, »wünschen dringend, sich zu überzeugen, daß diese Frauen zu dem Opfertod, den sie erleiden wollen, nicht durch Drohungen gezwungen sind, und daß sie freiwillig ihn wählen. Sie wünschen den Versuch zu machen, sie von diesem Schritt abzubringen, und du wirst nichts dagegen haben, daß ich die Frauen befrage und ihnen einige Worte sage.«
Der Scindia erwiderte gleichgültig, daß seine Gastfreunde tun möchten nach ihrem Belieben; er selbst habe der Rani angeboten, sie zu heiraten und in seine Zenanah aufzunehmen, aber sie habe es ausgeschlagen.
Auf seinen Wink hielt der Zug, als er vorüber kam – es war das siebente Mal – an.
»Dame,« sagte der Resident mit schmeichelnder Stimme, indem er sie höflich grüßte, zu der Rani – »wir haben erfahren, daß die Brahminen dich und diese Frauen bewogen haben, den Schmerz um den Tod eures Gatten durch die schlimme Sitte der Sotti zu bezeugen. Die Faringi bedauern gleich euch den Tod ihres Freundes und Bundesgenossen, und sie sind hierher gekommen, um seine Witwe vor Zwang und vor dem Einfluß der Priester zu schützen und sie zu bitten, nicht selbst ein so kostbares Leben zu opfern, das dem Toten nichts nützen kann, und dessen Vernichtung er sicher nicht billigen würde.«
Ein leichter Spott zuckte um den Mund der Rani, als der Resident von der Freundschaft des verstorbenen Radschah für die Engländer sprach, und sie sah ihm fest und kalt ins Auge.
»Brahma hat dem Menschen eine Seele gegeben, damit er weiß, was er tut,« sagte sie ruhig. »Der Sahib möge diese Mädchen fragen, warum sie den Scheiterhaufen besteigen, und wer sie gezwungen hat!«
Der Resident wandte sich an die beiden jungen Frauen, die Hindu-Odalisten, und suchte sie zu bereden, von ihrem Vorhaben zurückzutreten. In der Tat schien die eine zu schwanken und ihre Blicke richteten sich mit flehendem Ausdruck auf die Gebieterin, gleich als wolle sie diese auffordern, das Beispiel zu geben.
»Der Schmerz des Feuertodes ist furchtbar,« fuhr der Major fort – »ihr wißt nicht, was ihr tut und werdet es zu spät bereuen. Haltet ein einziges Mal den Finger an das Licht und seht, wie schmerzhaft schon die geringe Wunde ist.«
Ohne ein Wort zu sprechen, riß die Rani ein Stück von ihrem Schleier, tauchte es in das Öl der heiligen Lampe, welche einer der Brahminen trug und wickelte es um den Zeigefinger ihrer linken Hand. Dann näherte sie den Finger der Flamme der Lampe, brannte die Leinwand an und hielt ihn hoch in die Luft.
Das Zeug brannte lichterloh und bald verbreitete sich ein schwälender Geruch wie von versengendem Fleisch.
Die Rani ertrug das Verbrennen des Gliedes, ohne eine Muskel ihres Gesichtes zu verziehen, ohne mit den Wimpern zu zucken.
Unter den versammelten Tausenden erhob sich ein Gemurmel des Beifalls über die heroische Handlung, das zu einem wilden Jauchzen stolzen Triumphes anschwoll.
»Sie werden jetzt glauben, Sahib,« sprach sie stolz, »daß der Schmerz mich nicht bewegen kann, meine Pflicht zu tun. Es war im Buche des Schicksals geschrieben, daß ich sein Weib sein sollte, und ich will ihm eine treue Gattin bleiben auch im Tode. Geben Sie sich keine Mühe mehr in dieser Sache und lassen Sie mich meinem Schicksal folgen.«
Trotzig sich in ihren Schleier hüllend, gab sie das Zeichen zur Fortsetzung des Zuges und die Brahminen führten die geschmückten Opfer nach dem Scheiterhaufen.
Am Eingang der schrecklichen Rundung nahmen diese den letzten Abschied von ihren Freunden und Verwandten. Darauf konnte man sehen, wie die drei Frauen den Holzstoß in der Mitte bestiegen, der mit den flüchtigsten Zündstoffen ganz umgeben war.
Kapitän Delafosse hatte das Gesicht in die Hände verborgen, um der langsamen Marter dieses Anblickes zu entgehen. Er bemerkte nicht, wie der Resident, aufrecht stehend, eifrige, sehnende Blicke nach der Gegend des Tores warf, und dann wieder besorgt aus diese wogende, fanatisierte Menge und das kleine Häuflein der Europäer warf, gleich als fürchte er, einen notwendigen Entschluß zu fassen.
Während dessen hatte die Rani ihren erhöhten Platz auf dem Scheiterhaufen eingenommen und das Haupt ihres toten Gatten in ihren Schoß gelegt. Die beiden jüngeren Frauen waren auf einem niedern Sitz zu beiden Seiten gebracht worden.
Dann nahte der erste Priester und begann, unter den gleich dem Rauschen des Meeres anschwellenden Gebeten der Menge, die Leiche und die drei Frauen mit dem heiligen Wasser des Ganges zu besprengen.
In diesem Augenblick sah Major Rivers über den Köpfen der Menge ein weißes Tuch wehen und erkannte seinen Schobedar hinter den Reihen der Soldaten.
Jetzt schien er plötzlich zu einem Entschluß gekommen, und indem er das Zeichen des Dieners erwiderte und sah, wie dieser sich eilig wieder entfernte, beugte er sich zurück zu den Offizieren und flüsterte diesen etwas zu.
Erstaunen, Überraschung – zum Teil Besorgnis bei einem Blick auf die zahllose Volksmenge zeigte sich auf den gespannten Gesichtern.
Zugleich sah man den Brahminen, welcher die heilige Lampe trug, dem Zugang des Scheiterhaufens sich nähern.
Plötzlich erscholl ein mächtiges, gebietendes »Halt!« über den weiten Platz und das Summen und Brausen der Menge.
Alle Augen wandten sich nach der Estrade des Scindia und der Europäer, von woher die Stimme erklungen war.
Der Resident stand am Rande des Gerüsts, ein Papier in der Hand, seine Rechte winkte gebietend Schweigen.
»Im Namen Seiner Herrlichkeit, des Lord-General-Gouverneurs von Indien, gebiete ich Einhalt der Sotti. Die Verbrennung darf nicht stattfinden und ich mache jeden, der die Hand dazu leiht, für die Folgen verantwortlich.«
»Verrat! das Feuer! das heilige Feuer!« gellte die Stimme der Witwe über den Platz.
Die Brahminen, erbittert, ihre Zeremonie unterbrochen zu sehen, umdrängten die Estrade. »Fluch den Faringi! Was haben sie zu gebieten im Lande der Hindu? – Schlagt sie nieder, die Söhne unreiner Tiere!«
Der Scindia hatte die Hand an den Griff seines Säbels gelegt. »Wischnu, der Erhalter, möge den Lord-Sahib beschirmen,« sagte er erregt, »aber diese Leute haben recht, Jhansi gehört nicht zum Gebiet der Kompagnie. Nur der Fürst von Gwalior hat hier zu befehlen.«
»Du irrst, Hoheit,« unterbrach ihn mit lauter Stimme der Resident. »Das Fürstentum Jhansi gehört mit dem Tode des verstorbenen Radschah Lutfullah zu den Schutzstaaten der Kompagnie. Lies und überzeuge dich.«
»Lüge! Lüge!« kreischte die Rani, »herbei mit dem Feuer, wenn euch eure Freiheit lieb ist!«
»Das sich keiner zu rühren wage, diese Frau weiß, daß ich die Wahrheit spreche. Lutfullah hat seit zehn Jahren die Kompagnie Zum Vormund seiner Erben bestimmt, und die Rani hat nicht das Recht, sich zu töten und unserm Schutz zu entziehen.«
Man sah, wie die stolze und kühne Frau – die mit der begangenen Schwäche ihres Gatten bekannt, das eigene Leben opfern wollte, um damit die Bedingung des erschlichenen geheimen Vertrages zunichte und das Gebiet an Gwalior zurückfallen zu machen – verzweifelnd ihr Haupt beugte. Aber ein Brüllen fanatischer Erbitterung und wütenden Hasses erhob sich in der Menge lauter und lauter, die Brahminen schürten den entfesselten Grimm, Waffen blitzten in der Luft und einer der Priester entzündete die Lunte an der heiligen Lampe und stürzte damit durch die sich öffnende Menge nach dem Holzstoß.
Im Nu schlug eine Flamme und eine dichte Dampfwolke in die Höhe und ein Jauchzen und Heulen der Volksmenge, mit der betäubenden Fanfare aller Instrumente vermischt, antwortete diesem Signal der gelungenen Grausamkeit und erstickte den gellenden Schrei der Todesangst, der von den Lippen des jüngsten der drel Opfer brach.
Aber ein anderer Ton, kräftiger als der Hilferuf eines armen Weibes, schmetterte in den scheußlichen Jubel der Menge. Trompeten- Fanfaren klangen vom Cawnpur-Tore her und im gestreckten Galopp, alles vor sich niederwerfend, jagte eine Abteilung britischer Lanziers herbei, Kapitän Mowbray an ihrer Spitze.
Dennoch wäre diese Hilfe zu spät gekommen, wenn nicht von einer anderen Seite her eine Tat tollkühnen Mutes die Rettung gewagt hätte.
Kapitän Delafosse hatte sich von der Estrade herabgeworfen und, den Degen in der Faust, versuchte er, sich einen Weg durch die bei dem Klang der britischen Signale verwirrte und auf allen Seiten davonstürzende Menge nach dem Scheiterhaufen zu bahnen, von dem die Glut bereits hoch emporwirbelte.
Plötzlich, dicht vor dem halbverbauten Zugang der flammenden Hölle, sah er eine fremdartige Gestalt mit Riesenkräften bemüht, das Holz und die Bambusstäbe zur Seite zu schleudern. In diesem Augenblick erschien in dem Zugang zwischen dem Qualm und den züngelnden Flammen, aus dem Innern dieses Feuerberges kommend, ein anderer Mann, eine Last, eine Gestalt auf seinen Schultern, die in einen großen arabischen Mantel gehüllt war.
Ein Freudengeschrei des ersten begrüßte diese Erscheinung, aber zugleich schien er zur Seite eine neue Gefahr entdeckt zu haben, und wie der Wolf auf seine Beute, stürzte er mit einem Sprunge dahin.
Und auch der Kapitän hatte diese neue Gefahr erblickt, die unfehlbar den Retter vernichten mußte, ehe er die aufgehäuften Balken übersteigen konnte, und rascher entschlossen, als vorhin, fuhr sein Revolver in die Höhe und knallte sein Schuß.
Die Kugel hatte den Brahminen getroffen, der fanatisch beschäftigt war, die Stütze des Scheiterhaufens auf dieser Seite fortzuhauen, um die Last des brennenden Holzes fallen zu machen und die unglücklichen Frauen zu begraben. Die Kugel traf ihn, noch ehe Danilos, der Korsar, ihn erreichen gekonnt.
über die Trümmer und Ballen sprang Maldigri, der angebliche sardinische Offizier, ins Freie, und hinter ihm her stürzten von der anderen Seite die Holzwände des feurigen Berges zusammen, alles in ihrer Glut begrabend.
Der kühne Retter warf mehr, als daß er sie legte, seine Last in die Arme der herbeieilenden britischen Offiziere, dann erst versuchte er mit Hilfe der Nächststehenden die Flammen zu ersticken, die an seinem eigenen Leibe emporloderten.
Wer diese war – Delafosse zitterte, es zu erfahren, als er den halbverbrannten Mantel des Seemanns auseinanderschlug.
Triumph – es war die Rani, die nur non wenigen leichten Brandwunden entstellt, vor ihnen lag!
»Grausamer Christ,« sagte die Fürstin heftig, »warum hinderst du mich, für meinen Glauben und mein Volk zu sterben? Tragt mich zurück in die Flammen, damit nicht Schmach falle auf Xarias Namen.«
»Du irrst, Fürstin,« entgegnete beschämt der junge Offizier, »nicht ich hatte das Glück, dein Retter zu sein, obschon ich es versuchte – der Fremde dort trug dich mit Gefahr seines Lebens aus den Flammen.«
»Schlagen Sie Ihre Tat nicht geringer an, als sie war, Herr,« sprach Maldigri. »Nur der Zufall, daß ich den Luftzug beobachtet und von der flammenfreien Seite den Holzstoß erstieg, ließ mich die Fürstin befreien. Sie aber haben durch ihren raschen Schuß unser beider Leben gerettet, das sonst die stürzenden Balken vernichtet hätten.«
Die Rani schaute finster auf den Mann und dann auf die glühende Lohe des in sich selbst zusammengestürzten Scheiterhaufens, der ihre beiden Gefährtinnen begraben, während ihr höherer Sitz auf dem Holzstoß sie einige Augenblicke länger vor den Flammen geschützt und dadurch ihre Rettung möglich gemacht hatte. Doch bevor sie noch einen Entschluß aussprechen konnte, trat der Resident in Begleitung des Scindia zu der Gruppe.
Die britischen Reiter, die nur wenig Widerstand trotz der fünfzigfachen Zahl der Überraschten gefunden, hatten sich schnell des Zugangs der Zitadelle oder Burg bemächtigt.
Zur Unterdrückung jedes Widerstandes war die Abteilung britischer Reiter heimlich nach Jhansi beordert, und zugleich hatte das wohlverwahrte Geheimnis des Plans jede zeitige Gegenmaßregel des ursprünglichen Schutzherrn, des Scindias, verhindert. Wäre der Opfertod beschleunigt worden und erfolgt, ehe der Resident der Kompagnie Einspruch dagegen erhoben, so wäre allerdings kein Erbe mehr vorhanden gewesen, dessen Vormundschaft oder Schutzrecht die Kompagnie hätte in Anspruch nehmen können und das Fürstentum wäre nicht ohne offene und jedes Scheins von Recht entbehrende Gewalt dem Scindia streitig zu machen gewesen. Dieser selbst war aber nur durch die Gunst der Engländer eingesetzt worden und zu sehr davon abhängig, um – so überrascht – einen Widerstand zu leisten.
Mit der heuchlerischen Verstellung, welche die orientalische Diplomatie charakterisiert, verlor daher der Scindia keinen Augenblick länger die zuvorkommende Höflichkeit des Wirtes, die er bisher bewiesen, und in alle Wünsche des Residenten eingehend, gab er den Befehl, daß die Vornehmsten und die Würdenträger von Jhansi sich um ihn und die aus den Flammen gerettete Fürstin zu versammeln hätten.
»Krone der Frauen, ein Meer von Tugend und ein Schatz an Treue,« redete er in der blumenreichen Sprache des Orients die Rani an – »Wischnu, der göttliche Erhalter, will nicht, daß du die Erde verläßt, ehe du noch viele und lange Jahre dein Volk glücklich gemacht hast. Edle Maharani, du hast die Probe des Mutes bestanden – Schiwa ist versöhnt und dein Gatte wird nicht allein sein in den Gefilden der Seligen, denn zwei seiner Frauen sind ihm gefolgt. Dir aber, der ersten und schönsten, der Perle seines Herzens und dem Schmuck seines Trones, befehle ich als dein oberster Sultan, abzulassen von dem Opfer der Sotti und kröne dich als die Rani und Herrscherin dieses Landes!«
Damit nahm er den Turban mit der weißen und grünen Binde von seinem Haupt, setzte ihn auf das der Rani, und heftete dann den Fleck von rotem Tuch, den er selbst auf der linken Seite der Brust trug – das Zeichen der fürstlichen Gewalt – auf die ihre.
Auf seinen Wink warfen sich die Vornehmen des Landes und die Hauptleute der Leibwache vor ihr nieder, und brachten unter dem Schall der Zymbeln und Trommeln der neuen Fürstin ihren ersten Salem, worauf der Scindia sie zu seinem Sitze führte, sie darauf niedersetzen ließ, und die Ausrufer dem Volke die Thronbesteigung der neuen Rani verkündeten.
Die junge Frau hatte alles starr und teilnahmlos mit sich machen lassen, ihr Auge blickte finstern Trotz, ihr Mund war fest geschlossen. Als der Resident mit den britischen Offizieren sich ihr nahte, um ihr seinen Glückwunsch darzubringen, schien sie aus ihrem finstern Starren zu erwachen und richtete ihren strengen Blick auf den Scindia.
»Du bist der Sultan, mein Gebieter,« sagte sie ernst, »und ich werde dir gehorchen und leben. Aber jetzt sage mir, soll die Rani von Jhansi künftig wirklich die Sklavin der Faringi sein?«
»Die hohe Kompagnie,« beruhigte schmeichelnd der Scindia, »wird deine Beschützerin sein. Sie wird die Stelle deines Freundes einnehmen und dir Rat und Hilfe gewähren, wo du sie bedarfst.«
»Kapitän Mowbray, Hoheit,« erklärte der Resident, »wird zu deinem Schutz mit seiner Schwadron in Jhansi bleiben. Ich selbst werde in jedem Monat einige Tage hier weilen und mit deinen Räten den Tribut und das Verhältnis zum General-Gouvernement ordnen.«
Die Fürstin wandte sich von ihm ab zu dem Kapitän Delafosse. »Wo ist der Faringi, der mich aus den Flammen geholt? Führen Sie ihn zu mir, Sahib, damit er nicht sagen möge, Xaria habe ihn ohne Belohnung gelassen.«
Der angebliche Sardinier hatte unterdes von der Hilfe des Arztes Gebrauch gemacht und seine Brandwunden verbinden lassen, als ihn die Botschaft der Fürstin traf und ihn Delafosse zu ihr führte.
Er verneigte sich mit Anstand vor der Fürstin, und erwartete dann ruhig ihre Anrede, während der arabische Seemann, sein Begleiter, neben ihm stand.
»Sie sind es, der mich von dem Scheiterhaufen getragen?« fragte die Rani, nicht ohne Interesse das Äußere ihres Retters betrachtend.
»Wenn Sie sich dessen erinnern wollen, Hoheit – so mag es sein!«
»Sie sind ein Faringi – ein Engländer?«
»Nein, Dame – ich stamme aus einem anderen Lande als England!«
Bei dieser Mitteilung wurde der Resident aufmerksam und betrachtete mißtrauisch den Fremden, den er bisher wenig beachtet, worauf er für gut fand, sich selbst ins Gespräch zu mischen und die Rolle des Fragenden zu übernehmen.
»Wer sind Sie, Sir?«
»Ein Fremder, wie Sie sehen, ein Reisender!«
»Das genügt uns nicht – wir wollen wissen, wer und was Sie sind und wie Sie hierher kommen!«
Der Befragte verneigte sich spöttisch. »Ich habe nicht gewußt,« sagte er im gleichen, leichten Ton, »daß Oberstleutnant Rivers auch die Polizei-Kontrolle führt! Hier ist mein sardinischer Paß, aus dem Sie das nötige ersehen mögen, Sir!«
Er nahm das Papier aus seiner Brieftasche und übergab es ihm.
»Der Zweck Ihrer Anwesenheit, Sir?«
»Ich hatte Handelsgeschätfe mit dem verstorbenen Radschah und überdies die Absicht; in seinen Dienst zu treten. Als ich heute eintraf, hörte ich die Nachricht von seinem Tode.«
Major Rivers hatte den Paß entfaltet. »Wie – Sie sind Militär – Offizier von der sardinischen Armee?«
»Ich war es, Sir, ich habe bereits vor sechs Jahren den Dienst verlassen und betreibe seit etwa vier Jahren eine Handelsagentur in Indien.«
Der Resident lächelte mißtrauisch. »Der Tod des Radschah überhebt mich der Verlegenheit, Herr Major, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß ohne besondere Erlaubnis des General- Gouverneurs keiner der indischen Fürsten europäische Offiziere in seine Dienste nehmen darf.«
»Ich kann Ihre Besorgnis beruhigen, Sir,« beharrte der Sardinier, indem er ein zweites Papier aus seinem Portefeuille nahm. »Diese Bescheinigung Sir Lytton Mallinghams, des Mitglieds des geheimen Rates von Indien und Kanzlers der Präsidentschaft Madras, bürgt für meine Unverdächtigkeit und gestattet mir, mit den indischen Fürsten jeden Verkehr zu treiben, oder beliebig in ihre Dienste zu treten.«
Rivers gab die Papiere mit einer kalten Verbeugung zurück; die feste und selbständige Haltung des Fremden schien ihm nicht besonders zu behagen. »Ich bedauere, daß Sie zu spät gekommen, aber ich werde nicht ermangeln, dem Gouverneur über den Dienst zu berichten, den Sie der Kompagnie durch die mutige Errettung der Rani geleistet haben.«
»Was ich getan, war nur die Pflicht eines Mannes. Der Tod des Radschah ist ein ungünstiges Geschick, das mich trifft. Ich kann nichts tun dagegen und will nur, wie es der höfliche Brauch des Landes von dem Fremden heißt, die Tschotschakana, die dem Toten bestimmt war, zu den Füßen seiner Witwe niederlegen.«
Auf seinen Wink wickelte sein Begleiter aus einem Tuch ein Paar schöne mit Silberbeschlag verzierte Pistolen und eine kleine Zahl der Chupattin oder heiligen Kuchen, die später als geheimes Kennzeichen der Verschworenen eine so bedeutende Rolle in dem indischen Aufstand gespielt haben, zu den Füßen der Fürstin.
Die Rani hatte während des Gesprächs lange und aufmerksam den Fremden betrachtet. Die stolze und energische Art, mit welcher er dem hochmütigen Wesen des Residenten entgegentrat, schien ihr gefallen zu haben, denn plötzlich, als sie den heiligen Kuchen erblickt, erhob sie sich und sagte mit einem gewissen entschlossenen Ausdruck zu dem Sardinier: »Du bist willkommen in dem Haus des Verstorbenen, und wenn du es zu deiner Heimat wünschest, soll es dir eine solche werden. Die Rani von Jhansi, Sahibs, betrachtet euch von diesem Augenblicke an als ihre Gäste und bittet euch nur, den heutigen Tag ihrer Trauer zu gönnen. Von morgen ab wird sie alle Pflichten der Wirtin erfüllen.«
Der Resident trat ihr galant entgegen. »Deine Hoheit möge uns gestatten, uns bei dir zu beurlauben, wir werden uns vor Aufgang der Sonne in den Wildnissen von Kurreira befinden, um Tiger zu jagen.«
»Ich werde bei Ihnen sein, Sahib, ich fürchte weder die Tiger der Städte noch die der Wälder.«
Majestätisch wie eine Königin, die sie war, verließ sie die Estrade und schritt, von ihren Frauen und Würdenträgern umgeben, dem Tore der Festung zu.
Major Rivers sah ihr lange sinnend nach. »Ich fange an zu glauben,« murmelte er, »ich hätte der Kompagnie einen größeren Dienst erwiesen, wenn jene Brahminen dort mit der Asche des Radschah und seiner Odalisken auch die ihre gesammelt hätten. Indes – sie ist in meiner Gewalt, und Widerstand hat auch seinen Reiz. Ihre Zeit wird kommen, für jetzt gilt es einer anderen Beute.«
Die Beamten und Jäger des Sultans hatten ihre Aufgabe sorgsam ausgeführt. Nachdem sie die Ryots eines ganzen Bezirks aufgeboten, war es ihnen gelungen, die Dschungel, in welcher ein kolossales Königstigerpaar hauste, zu umstellen, und der oberste Jäger konnte dem Scindia bei der Ankunft der Jagdgesellschaft melden, daß sich das Wild dort befand.
Die Rani hatte noch im Laufe des Abends die Jagdequipage ihres verstorbenen Gatten nach dem Ort des Rendezvous voraussenden und neben den bereits von den Leuten des Scindia aufgeschlagenen Zelten drei neue errichten lassen, indem ihre Beamten die Erklärung wiederholten, daß von diesem Augenblick an der Sultan selbst und die englischen Offiziere die Gäste ihrer Gebieterin wären.
Die Fürstin, die noch am Abend Major Maldigri hatte zu sich bescheiden lassen, war noch vor den Europäern aufgebrochen, so daß bei deren Ankunft in der Gegend von Kurreira sie selbst die Gäste empfing.
An ihrer Seite befand sich der Sardinier, in der zierlichen Tracht der berittenen Leibwache des verstorbenen Radschah, zu deren Führer und Instrukteur die Fürstin ihn bereits ernannt hatte.
Die Sache schien keineswegs den Beifall des Residenten zu haben, der immer mehr einzusehen begann, daß die Kompagnie hier auf einen entschlossenen und selbständigen Charakter gestoßen war.
Die Rani empfing die Ankommenden an der Spitze ihres Gefolges.
Der Empfang der Rani vereinigte alle Etikette und Würde einer indischen Herrscherin mit der leichten Grazie und Gewandtheit einer europäischen Dame.
Die Fürstin lud die Gesellschaft nach einer kurzen Rast in den Zelten zu der Tafel ein, die mit Erfrischungen der mannigfachsten Art bedeckt, unter dem Schatten eines riesigen Pingalabaumes aufgeschlagen war, und an dem sie mit der Würde einer geborenen Königin Platz nahm.
Trotz der Anstrengungen, die diese Art der Jagd verursachen mußte, hatte der erfahrene Oberjäger des Scindia, in Verbindung mit seinem Kollegen aus dem Gefolge der Fürstin von Jhansi, zum Angriff gegen die Tiger die Zeit des Vormittags gewählt, zu welcher der bereits hohe Stand und die glühenden Strahlen der Sonne die Raubtiere träge in ihrem Lager zurückhalten. Es würde den Erfolg der Jagd bedeutend gefährdet haben, wenn man versucht hätte, in der Stille des Abends oder frühe des Morgens ihnen auf ihrem Weg nach Beute oder auf der Rückkehr von ihrem Raubzug zu begegnen.
Seit der Tafel im Meß-Bungalow zu Cawnpur war von der tollen Wette des jungen Irländers mit keiner Silbe mehr die Rede gewesen.
Eduard O'Sullivan schien sie vergessen zu haben oder vergessen zu wollen, und keiner der Offiziere, selbst sein Gegner nicht, war herzlos genug, ihn daran zu erinnern.
Aber nicht ohne Besorgnis bemerkte Kapitän Delafosse, daß der junge Irländer seltsamerweise durchaus nicht zur Jagd gerüstet erschien.
Außer Delafosse hatte noch ein anderer diese Bewegung beobachtet, ein tückisches Lächeln spielte um seinen Mund.
»Es ist schade, Ned,« sagte der Resident, als er an O'Sullivan vorüberkam, »daß der hagere Schotte – Mac Scott heißt er ja wohl – der Leibjägermeister des Nena, nicht hier ist; er würde Ihnen guten Rat geben können für Ihr Unternehmen.«
Der junge Mann wechselte die Farbe und preßte die Lippen aufeinander, aber er antwortete nicht.
Die Rani gab jetzt das Zeichen zum Aufbruch, und der ganze Zug setzte sich in Bewegung.
Zuerst rasch, dann immer langsamer und vorsichtiger, je näher er dem bestimmten Orte kam, rückte der Zug vorwärts.
Eine halbe Stunde weiter lichtete sich der Wald und wurde zu einem mächtigen Dschungelgestrüpp, in dessen Mitte sich ein niederer Hügel erhob, gekrönt mit den Ruinen eines uralten Tempels.
Diese Trümmer sollten das Lager der Tiger sein.
Am Ende des Waldes machte der Zug Halt und begann sich in langer Reihe auszudehnen. Vor ihnen lag die Dschungel – ein wohl zwei bis drei englische Meilen breites und langes Dickicht von häuserhohem Bambus, Böre und Kamelkraut, mit dem langen, scharfen Schilfgras vermischt, das selbst einen Reiter zu Pferde überragt.
Das Gesicht der Rani war von dunkler Glut gefärbt, ihr Auge warf förmlich Blitze; die Gefahr, die Aufregung schien alle Lebenskräfte dieser merkwürdigen Frau zu stählen und zu höherer Tätigkeit zu erwecken.
Delafosse verließ dieses Antlitz nicht mit seinen Augen. Der Kampf, dem sie entgegengingen, ließ ihn gleichgültig, und er war allein bemüht, sich in der Nähe ihres Elefanten zu halten, so daß der erste Jäger ihn zweimal erinnern mußte, auf den Posten in der zweiten Linie zurückzukehren, den er angewiesen erhalten hatte.
Jetzt begann man in der Ferne das Geschrei der Treiber zu hören, das Schlagen der Metallbecken, das Läuten ihrer Glocken, mit dem sie die Tiger aus ihrem Versteck scheuchen sollten.
Die Rani gab das Zeichen zum Vorrücken, und die Mahouds stachelten ihre Tiere.
Die fünfzehn Elefanten begannen in einer Reihe von etwa fünfzehnhundert Schritten in die Dschungel langsam einzudringen.
Hinter den Elefanten, in den Zwischenräumen als zweites Treffen, kamen die Reiter, teils mit Lanzen, teils mit Gewehren bewaffnet.
Das dritte Treffen, die letzte Reihe, bildete die große Zahl der Fußgänger, der Jäger, Diener und Soldaten, sämtlich mit langen und starken Speeren bewaffnet.
Es war ein Heer, das gegen die beiden Könige der Wildnis anrückte, und das in seiner dreifachen Reihe ihnen den Durchweg sperrte.
Schritt vor Schritt drang man im brennenden Strahl der Sonne in das Dickicht. Die Elefanten traten mit ihren plumpen Füßen das Geröhr zusammen und rissen mit ihren Rüsseln die Büsche aus dem weichen, feuchten Boden. Aber sie begannen immer unruhiger zu werden und stießen trompetenartige Töne aus.
Die Pferde schnaubten mit wild in die Luft geworfenen Nüstern und mußten durch Spornstöße von ihren Reitern vorwärts getrieben werden.
Plötzlich hörte man in einer kurzen Pause des Geschreies der Treiber ein dumpfes Knurren, und gleich darauf erzitterte die Luft von einem heiseren Gebrüll.
Ein anderes, nur wilder, kräftiger, wütender als das erste, antwortete diesem.
Die Tiger schienen, nach den Tönen zu urteilen, die selbst die mutigsten Herzen rascher schlagen machten, sich nur in geringer Entfernung voneinander, wenn nicht dicht beisammen zu befinden.
Der Ruf des ersten Jägers: »Aufgepaßt! – Haltet fest zusammen, Sahibs, und zielt gut!« ermahnte zur Vorsicht.
Ein Gebrüll, näher als das erste, von zwei Kehlen zugleich ausgestoßen, erschütterte Menschen und Tiere.
Zwei der Elefanten, noch junge, an den Kampf nicht gewöhnte oder in einem solchen verwundete Tiere vermochten diese gefährliche Nähe, diese furchtbaren Töne nicht mehr zu ertragen. Sie wandten um und rannten, trotz aller Anstrengungen ihrer Mahouds, die Linien der Reiter und Fußgänger durchbrechend, davon.
Der Ruf der Rani »Ram! Ram!«, mit dem sie ihren Mahoud befeuerte, – die Salve von zwanzig, dreißig Schüssen, die meisten aufs Geratewohl getan, vermischten sich mit dem Geschrei der Jäger, dem Wiehern der Pferde und dem Schmettern der Elefanten.
Der Elefant der Rani war der nächste und vorderste. Der weibliche Tiger warf sich mit mächtigem Sprung auf ihn, aber von dem Schlage des Rüssels getroffen, flog er hoch in die Luft und rückwärts über zurück in das Röhricht. Diesen Augenblick schien der Königstiger wahrgenommen zu haben, denn statt an einer anderen Stelle seinen Durchbruch zu versuchen, sprang er von der Seite dem Elefanten an den Kopf, schlug seine Pranken tief in das Fleisch des edlen Tieres, das linke Auge desselben damit zerreißend, und begrub sein fürchterliches Gebiß in den Rüssel des Elefanten, wo dieser am Kopfe aufsitzt.
Der Mahoud, schwer verwundet, stürzte auf der anderen Seite hinab.
Die Rani ließ in dieser entsetzlichen Lage keinen Ruf des Schreckens oder um Hilfe vernehmen. Sie hatte sich aufgerichtet in der Haudah, deren Wand sie allein von dem grimmigen Raubtier schied, und indem sie kaltblütig ihre Flinte erhob, deren Mündung fast den Kopf des Tigers berührte, entlud sie dieselbe.
Der Schuß hätte in dieser Nähe tödlich sein müssen, aber leider verrückte eine Bewegung des vor Schmerzen hin und her springenden und ausschlagenden Elefanten das Ziel, und die Kugel streifte nur den Pelz der Bestie.
Der Tiger, festgeklammert auf seinem blutigen Sitz, richtete sich nun gegen die Fürstin, seine gefährlichere Gegnerin.
Vergeblich hatte diese die Hand rückwärts gestreckt, ohne die Augen von der Bestie zu lassen, um ein zweites Gewehr von ihrem Büchsenspanner in Empfang zu nehmen, – der Mann war bei den entsetzlichen Bewegungen des leidenden Tieres längst herabgeschleudert und lag zertreten unter seinen Füßen.
Man sah die Fürstin, bleich, aber funkelnden Auges, in ihrer Haudah aufrecht stehen, weit über den hinteren Rand derselben zurückgelehnt, mit der Linken sich festklammernd, während die Rechte dem Tiger den Dolch entgegenhielt.
Von zwei Seiten flog ein Retter herbei, aber selbst diese gaben sie verloren.
Major Maldigri hatte an dem Jagdzug, in der Haudah des Elefanten zur Linken mit dem Oberstleutnant Stuart sitzend, als bloßer Zuschauer teilgenommen, da die Verletzungen seiner noch mit Bandagen umwickelten Hände ihm noch nicht gestatteten, sich einer Flinte zu bedienen.
Trotzdem hatte er sich in diesem Augenblicke der Gefahr über den Rand der Haudah geschwungen und eilte seiner neuen Gebieterin zu Hilfe.
Von der anderen Seite sprengte Kapitän Delafosse heran, indem er mit rasenden Sporenstößen sein Pferd nähertrieb.
Das arme, zerrissene Tier, das die Rani getragen, warf sich im wütenden Schmerz zur Erde, um den grausamen Feind zu erdrücken, und Elefant, Tiger und Fürstin wälzten sich auf dem Boden der Dschungel.
Bevor sie sich noch emporraffen konnte, war der neue Führer ihrer Leibwache, Major Maldigri, schon an ihrer Seite und warf sich zwischen sie und den Tiger.
Bis zur äußersten Wut gereizt durch den Lärm umher, schickte der Tiger sich an, auf diese seine sicheren Opfer loszustürzen.
Er kauerte sich nieder und zog den Vorderkörper zurück zum gewaltigen Sprung. Sein Rachen war geöffnet und stieß mit dem dumpfen Brüllen den heißen Brodem aus, seine blutige Zunge streckte sich weit hervor.
Eine Bewegung – ein Sprung –
Aber noch ehe das Untier sich auf den kräftigen Muskeln seiner Hinterbeine emporschnellte, krachte ein Schuß.
Der Tiger stieß ein Geheul aus und rollte um sich selbst. Seine gewaltigen Glieder zuckten, die scharfen Pranken hieben im Todeskampf wild umher – dann streckten sie sich lang aus, und – der furchtbare Feind war verendet.
Ein Jubelgeschrei erfüllte die Luft: alles stürzte herbei, die Geretteten zu begrüßen.
Aber wer war der glückliche Sieger, dem es gelungen, in diesem letzten und gefährlichsten Augenblick die Hilfe zu bringen?
Auf die dampfende Büchse gelehnt, stand er da, die Augen auf die schöne Fürstin gerichtet, der zehn Hände aus dem Dickicht der Gräser emporhalfen.
Kapitän Delafosse hatte sich im letzten Augenblick mit Blitzesschnelle vom Pferde geworfen und war hinter den Tiger gesprungen. Mit Kaltblütigkeit und Sicherheit setzte er dem Untier den Lauf seiner Büchse an den Kopf und zerschmetterte seinen Schädel.
Eine tiefe Röte der Freude und eines anderen höheren Gefühls dunkelte jetzt sein schönes Gesicht, als die Rani zu ihm trat.
»Die Hand eines Faringi hat sich in zwei Tagen zweimal für das Leben einer Hindufrau erhoben,« sagte sie langsam und ausdrucksvoll. »Wischnu hat es so gewollt, und sein Wille ist heilig. Ich danke dir und möchte dich lieben dafür, wenn du nicht der Feind meines Volkes wärest.«
Der junge Offizier erbebte vor diesen halblaut gesprochenen Worten. Jede Entgegnung wurde jedoch durch Maldigri abgeschnitten, der freundlich ihm die verbundene Hand bot.
»Es ist das zweite Mal, Sir,« sagte er herzlich, »daß Sie zwischen mich und den Tod treten. Wie gering ich auch das Leben selbst achte, ich schulde es Ihnen, und wenn Ihnen an dem Dank eines Fremden etwas gelegen ist, so nehmen Sie diesen und die Versicherung, daß, wenn das Schicksal es erlaubt, ich die Schuld abtragen werde.«
Kapitän Delafosse schüttelte ihm die Hand – sie waren Freunde oder mindestens einander achtende Feinde fürs Leben.
Die Rani wandte sich zu den Offizieren und dem Gefolge zurück, das sich um sie versammelt hatte.
»Was soll das bedeuten, Sahibs, daß Sie Ihre Posten verlassen? Beunruhigen Sie sich nicht um mich; ein Unfall, wie er bei jeder Jagd vorkommt, nichts weiter, und Sie sehen, ich habe tapfere Ritter an meiner Seite. Wo ist der zweite Tiger? Hat er Ihre Reihen durchbrochen?«
Alles sah sich nach dem anderen Feinde um, dessen Nähe man ganz über den gefährlichen Kampf vergessen hatte.
»Der Schelm hat Furcht,« sagte der Resident mit großer Ruhe von seiner Haudah herab, »ich sah ihn sich in das Dickicht zurückziehen.«
Gleich als wolle sie ihre Anwesenheit bestätigen, hörte man aus der Dschungel die Tigerin mit mächtigem Gebrüll den Gefährten rufen.
Die Entfernung, in der sie sich danach befand, mochte etwa noch zwei- bis dreihundert Schritte betragen. Man konnte in dem Röhricht den Pfad bemerken, den sie sich gebrochen hatte.
Rivers klopfte die Asche von seiner Zigarre. »Ned, mein Junge, Sie werden leichteres Spiel mit der Bestie haben, als ich gefürchtet. Der Schlag mit dem Rüssel des Elefanten hat ihr vielleicht eine oder zwei Rippen zerbrochen, und Hallidays Chancen sind um zwanzig Prozent gesunken.«
Diese boshafte, wohlüberlegte Anspielung traf alle wie ein kalter Schlag.
»Unsinn, Major,« rief der Oberst, »Sie werden doch nicht denken, daß Master O'Sullivan töricht genug ist, den Narrenstreich zu wagen? Die Wette konnte von vornherein keine Geltung haben.«
»Das ist eine Sache, die mein Freund Ned mit Halliday abzumachen hat,« sagte kalt der Resident. »Mich geht die Sache nichts an, ich hätte höchstens auf O'Sullivan gewettet.«
Die Hauptperson, um deren Leben es sich handelte, Eduard O'Sullivan, war bei dem ersten Wort des Residenten von seinem Elefanten gestiegen.
»Ich danke Ihnen für die Erinnerung, Herr Major,« sagte er fest, »und Sie, Halliday, bemühen Sie sich nicht – ich denke, meine Verpflichtung zu lösen und habe mich vorbereitet dazu.«
»Ah, bravo,« klatschte der Resident. »Ich wußte es im voraus, Ned hält auf sein Wort und läßt nie eine Schuld unbezahlt.«
»Um Gottes willen,« mahnte ernstlich besorgt der Oberstleutnant, »helfen Sie mir lieber, den jungen Toren von seinem Entschluß abzubringen, statt ihn noch mehr durch solche Worte zu reizen.«
Delafosse hatte auf seine Frage Major Maldigri die Umstände der Wette mitgeteilt.
Der junge Mann zog aus der Tasche seines Reitfracks das Tischmesser, das er an der Tafel der Offiziersmesse an sich genommen, und bat Kapitän Delafosse, es mit dem Tuch, mit dem er soeben die Stirn getrocknet, in seiner Hand festzubinden.
Der Kapitän tat es ernst. »Haben Sie irgendeine Bestimmung zu treffen, Herr O'Sullivan, für den Fall – daß ...«
Er brach ab. Der junge Irländer drückte ihm die Hand.
»Ich weiß, Sie sind ein Ehrenmann, Kapitän, und werden meine Bitte erfüllen. In diesem Portefeuille –« er zog es aus der Brusttasche und legte es nieder auf das Gras, »befindet sich ein Brief an meine Schwester Margarete, die Gattin – verstehen Sie wohl: die Gattin – des Maharadschah Srinath Bahadur. Sie werden ihn, wenn ich nicht zurückkehre, derselben persönlich überbringen und – es würde mich sehr glücklich machen, hätte ich Ihr Versprechen, der Freund meiner Schwester bleiben zu wollen.«
»Verlassen Sie sich darauf, Ned. Ich will alles, was Sie wünschen, aufs gewissenhafteste besorgen,« rief der Resident.
»Ich habe Kapitän Delafosse mit meinem Willen beauftragt, Sir,« entgegnete O'Sullivan kalt.
»Und seien Sie versichert, daß er erfüllt werden soll,« erklärte dieser mit einem festen Blick auf den Residenten.
Ein erneuertes Brüllen aus der Dschungel schien gleichsam das Opfer zur Eile zu mahnen.
Auf ein Zeichen der Rani hatte der Mahoud ihren Elefanten näher getrieben. Die kühne Frau, die den Mut an anderen zu würdigen verstand, riß sich den kostbaren Schal von der Schulter und warf ihn dem jungen Manne zu. »Nimm, Sahib,« sagte sie, »und wickle ihn fest um deinen linken Arm; die Zähne des Tigers vermögen das Gewebe von Kaschmir nicht zu durchdringen.«
O'Sullivan befragte mit einem Blicke den Kapitän, gleichsam als Ehrenrichter, ob er die Hilfe annehmen dürfe: Delafosse nickte schweigend, und Mickey sprang herbei, ihm den Schal um den Arm zu wickeln.
»Fassen Sie die Bestie fest ins Auge, Sir,« flüsterte Maldigri dicht neben ihm; »weichen Sie keine Linie breit von ihrem Blick, das Katzengeschlecht fürchtet die Macht des menschlichen Auges; die heilige Jungfrau nehme Sie in ihren Schutz!«
Eine tiefe, beklommene Stille lag über der ganzen Jägerschar, keiner wagte zu sprechen.
Es vergingen fünf Minuten; fünf Minuten der ängstlichsten, peinigendsten Erwartung.
Ein langanhaltendes, wütendes Gebrüll drang aus der Gegend der Ruinen.
»Jetzt sind sie aneinander,« sagte scharf hinhorchend der Resident.
Der Oberstleutnant fuhr ihn barsch an: »Schweigen Sie, Sir! – Hören Sie nicht – es kommt etwas heran – die Büchsen fertig, daß wir wenigstens den armen Jungen rächen an der Bestie!«
»Nein – es kommt nicht von dort – es nähert sich aus dem Wald,« rief Follington, der Quartiermeister.
In der Tat, unter den Bogengängen der Fichten zeigten sich zwei Reitergruppen: Kapitän Lowe und Doktor Brice auf ihrem herantrabenden Elefanten, den sein Mahoud endlich auf der Flucht zum Stillstehen und zur Umkehr bewogen hatte, und ein Reiter nebenher galoppierend.
Verschiedene der Anwesenden schienen ihn zu kennen.
»Was zum Henker, Herr Mac Scott, führt Sie in diesem Augenblick von Bithoor hierher?« rief der Oberstleutnant. Für sich setzte er brummend hinzu: »Ich wollte, der alte Bursche wäre eine halbe Stunde früher angekommen.«
»Ihr Diener, Oberst! Ihr Diener, Gentlemen!« sagte der alte Mann, sein Pferd parierend und sich mit den ihm trotz seiner wilden Beschäftigung gebliebenen aristokratischen Manieren rings verbeugend. »Ein dringendes Geschäft, eine unglückliche Nachricht führt mich hierher. Darf ich Sie bitten, mir zu sagen, wo ich Master O'Sullivan, den Bruder meiner Herrin, finden kann? Die Sache hat Eile.«
Ein allgemeines Schweigen erfolgte, niemand wagte zu antworten.
Aber die Antwort kam von einer anderen Seite her.
Ein grimmiges, die Nerven erbeben lassendes Gebrüll drang aus der Dschungel herüber und erscholl in einzelnen Stößen immer wütender und heftiger.
»Ah,« sagte Mac Scott, der vom Pferde gestiegen war, indem er sich behaglich auf den hageren Leib schlug, »da ist ja noch eines meiner Lämmchen! Der Stimme nach muß es ein stattlicher Bursche sein.« Er warf einen Blick umher auf die toten Körper des Elefanten, des Tigers und des Büchsenspanners und auf den schwer verwundeten Mahoud. »Ich sehe, es ist scharf hergegangen. Aber wo ist Master O'Sullivan?«
Kapitän Delafosse wies nach der Dschungel hin, von wo das Brüllen, jetzt zu einem Geheul geworden, herüberdrang.
»Dort!« sagte er aufgeregt.
Der alte, abgehärtete Schotte fuhr zurück, die Lederfarbe seines Gesichtes erbleichte. »Machen Sie keinen Scherz, Sir! Wo ist Eduard O'Sullivan?«
»Und ich wiederhole Ihnen, Sir – Master O'Sullivan befindet sich dort, im Dickicht dieser Dschungel, am Fuße jener Ruinen, im Duell mit einem Tiger, und Sie selbst hören sein Totenlied.«
Ein schwächeres, halbersticktes Brüllen drang aus der geheimnisvollen Tiefe der Wildnis herüber.
»Das ist unmöglich – da ich hier so viel Gentlemen müßig versammelt sehe.«
Die erhabene Einfalt dieser Worte jagte Schamröte auf die Gesichter der britischen Offiziere.
»Sie haben recht, Herr Mac Scott,« sagte der Kapitän entschlossen, »es war eines Mannes unwürdig, hier zu warten. Die Pflicht des Nächsten steht höher als der Dünkel einer mißverstandenen Ehre!«
Und er folgte dem greisen Tigerjäger, der, ohne eine weitere Antwort zu erwarten, die Büchse von der Schulter genommen hatte und in das Dickicht der Dschungel vorangeschritten war.
Ein mächtiger Impuls schien alle Anwesenden ergriffen zu haben, indem sie, ohne sich weiter zu verständigen, sich ausbreiteten und vorwärts drangen.
Von dem ersten Schritt in das Gebüsch an verkündete jede Bewegung, man möchte sagen: jeder Atemzug an dem Schotten den erfahrenen Jäger, den Kämpfer in den Wildnissen gegen den grausamen König derselben.
Die Kapitäne Delafosse und Lowe waren abgestiegen und folgten, ihre Büchsen schußfertig in der Hand, zu Fuß; hinter ihnen drein kamen der Elefant der Rani und mehrere Reiter.
So drangen sie vorwärts, während die anderen, langsam folgend, das Dickicht bewachten.
Kein Laut, kein Ton mehr zeigte den Beginn, die Fortdauer oder das Ende jenes entsetzlichen Zweikampfes an.
An einer Stelle lag ein Handschuh – O'Sullivan mußte ihn im Vorüberkommen hier verloren oder fortgeworfen haben. Es war der Beweis, daß sie sich auf der richtigen Spur befanden.
Plötzlich stieß der Schotte einen lauten Ruf aus und sprang vorwärts.
Sie eilten ihm nach.
Vor ihnen erhoben sich die von Jahrtausenden zerbröckelten Marmorsäulen eines Tempels oder eines Grabmals.
Am Schaft dieser Säulen, am Fuß dieser gigantischen Trümmer, war das hohe Dschungelgras, das Gestrüpp und Rohr im ziemlich weiten Kreis zu Boden getreten.
Die Stelle glich einem Kessel, einem Nest in dieser Wildnis morastiger Vegetation.
Es war auch ein Nest – das Nest, die Lagerstätte der Tigerfamilie.
Am Rande des freien Raumes sah man Mac Scott stehen, die Büchse an der Wange, den Finger am Drücker. Der Elefant der Rani stieß ein schmetterndes Geschrei aus.
In der Mitte des Platzes lag eine ungestaltene, verworrene Masse von Kleidern, Blut und Fleisch.
Quer über dieselbe her sah man die Tigerin ausgestreckt.
Zwei junge, höchstens zwei Wochen alte Tigerkatzen spielten im Grase umher und leckten das Blut.
Aber der Tiger machte keine Bewegung – er regte sich nicht, trotz der Nähe der Menschen.
Plötzlich kam es aus dieser entsetzlichen Gruppe von Blut und Fleisch wie der leise Seufzer einer menschlichen Brust, wie ein schmerzliches, klagendes Stöhnen.
Der alte Tigerjäger ließ sein Gewehr fallen, faßte sein Jagdmesser und sprang vorwärts.
Im nächsten Augenblick kniete er in der Blutlache neben dem Tier und dem Menschen.
Der Tiger – war tot, kein Glied, keine Sehne rührte sich mehr.
Der Mensch – – – Hier endet das Manuskript, oder es war unleserlich oder die Beschreibung war zu grauenvoll.
Die Offiziere, der Schotte, die herbeieilenden Jäger legten Hand an, den Leichnam des Untiers aufzuheben und zur Seite zu werfen.
Der Anblick, der sich nach der Entfernung des Tigers bot, war wahrhaft erbarmungswürdig.
Kaum daß die verstümmelte Gestalt, die hier lag, noch die menschliche Form hatte.
Jedes Glied schien gebrochen, zerfleischt von den grimmigen Bissen der Bestie.
Die Brust war von einem Krallenhieb aufgerissen, der Unterkiefer von den Zähnen zermalmt.
Aber die rechte Hand hielt noch krampfhaft das blutbedeckte Messer fest, mit dem O'Sullivan den unerhörten Kampf ausgefochten.
Trotz der entsetzlichen Verwundungen schien noch Leben in diesem menschlichen Körper, diese Nerven regten sich noch, diese zerfetzten Glieder zuckten noch von Zeit zu Zeit unter den gräßlichen Schmerzen.
Auf den Ruf und das Geschrei der zuerst Angekommenen eilten die Nachfolgenden von allen Seiten rascher herbei. Einer der Vordersten war Doktor Brice, er übernahm sogleich die Leitung aller Anstalten zur Rettung des Verstümmelten, kniete neben ihm nieder und legte die Hand auf sein Herz.
»Es ist wirklich noch Leben in ihm!« sagte er nach einer kurzen Pause der Untersuchung.
»Goddam!« meinte herzlos der Resident, indem er den toten Körper des Tigers betrachtete – »die Bestie hat nicht weniger als acht Stichwunden und einige so groß, daß man die Hand darin umkehren könnte. Ich hätte Ned gar nicht so viel Kraft zugetraut.«
Delafosse warf ihm einen verächtlichen Blick zu, aber über das Gesicht des Sterbenden zuckte es wie ein Lächeln stolzen Triumphes.
»Was ist zu tun, Doktor? Vielleicht ist dem Unglücklichen noch zu helfen?«
»Ich muß versuchen, ihm auf der Stelle einen Verband anzulegen und die Blutungen zu stillen. Aber ich fürchte, daß menschliche Kunst hier ihr Ende erreicht hat.«
Alle waren zwar derselben Ansicht, aber sie bemühten sich, indem sie sich, mit Ausnahme des Residenten selbst, Vorwürfe machten, daß sie nicht auf jede Gefahr hin diese rasende Tat verhindert hätten, – nach Kräften zur Beschleunigung der Hilfe beizutragen.
Während so alle, teils mit der Betrachtung der verendeten Tigerin und ihrer Jungen, teils mit dem Leidenden selbst beschäftigt waren, dem der alte Schotte stumm und düster Hilfe leistete, trat Major Rivers zu diesem. »Nun, Herr Mac Scott,« sagte er, möglichste Unbefangenheit erkünstelnd – »wir wissen noch immer nicht, was Sie so eilig von Bithoor hierhergeführt hat. Oder ist es vielleicht ein Geheimnis?«
»Nein, Sir,« antwortete der Jäger rauh, – »was ganz Cawnpur bereits weiß, ist kein Geheimnis mehr. Der Tod ist ein Glück für diesen Mann hier; denn sein Leichtsinn hat das Unheil verschuldet. Mistreß Margaret, seine Schwester, ist plötzlich spurlos verschwunden, wir fürchten, gemordet oder entführt von unbekannten Räubern und Feinden!«
Ein Seufzer – der erste Laut, seit sie ihn gefunden, – quoll aus dem blutenden Munde des Ärmsten, seine Augen öffneten sich und starrten mit Schreck und Entsetzen den schlimmen Boten an.
»Unvorsichtiger!« rief Delafosse, »wie konnten Sie so grausam sein, dieses neue Unglück in seiner Gegenwart zu verkünden? Die Nachricht wird ihm den Tod bringen, wenn die Wunden es nicht tun.«
»Ich wiederhole,« entgegnete der Jäger finster, »es ist ein Glück für ihn, wenn er stirbt. Der Zorn des Nena wird ihn und uns vernichten!«
»Zum Henker,« befahl der Oberstleutnant, »da Sie Unglücksrabe einmal die Botschaft ausgeplaudert, so erzählen Sie wenigstens, wie es gekommen und was geschehen.«
Die Augen des Verstümmelten hingen starr an den Lippen des Schotten – kein Zucken des Schmerzes in ihnen, während doch die Sonde des Arztes zwischen seinen Nerven wühlte, und Messer und Nadel des unbarmherzigen Äsculap in seinem Fleische wirtschafteten.
Der Tigerjäger schüttelte finster das Haupt. »Ich fürchte, es ist alles vergeblich, die das Verbrechen begangen, haben ihre Maßregeln so schlau genommen, daß keine Spur von ihnen aufzufinden war. Mistreß Margaret erhielt gestern morgen einen Brief, und ohne mir ein Wort zu fügen und meine Rückkehr abzuwarten, der ich zwei Stunden früher nach einer entfernten Plantage des Srinath Bahadur geritten war, ließ sie ihren Pony satteln und jagte, von einem einzigen Diener begleitet, nach Cawnpur. Erst um Mittag brachte ein wandernder Krämer ihr Pferd zurück – er hatte es angebunden in den Mangrovebüschen am Wege in der Mitte zwischen Bithoor und Cawnpur gefunden, den Diener, mit einer Schlinge erdrosselt, daneben. Dieser Umstand, so traurig er an und für sich scheint, ist das einzige, worauf ich noch meine Hoffnung baue. Die Thugs können die Tat nicht verübt haben, sie hätten nach ihrer unveränderlichen Gewohnheit den Leichnam des Dieners, wie den der Herrin vergraben. Selbst, daß der Mord von gewöhnlichen Phansigars verübt worden, ist mir zweifelhaft geworden. Warum findet sich dann der Körper der Maharani nicht neben dem des erwürgten Dieners? Es galt also, sich ihrer lebendigen Person zu bemächtigen. Aber damit schließt leider jede weitere Vermutung.«
»Und das ist alles, was Sie zu ermitteln vermocht haben, Master Mac Scott?« fragte der Resident. »Sie haben keine Ahnung, was jener Brief enthielt oder wer ihn geschrieben?«
»Doch, Sir – der Brief ist hier! Die Dienerinnen fanden ihn in der Mistreß Schlafzimmer.«
»Zeigen Sie her!« Der Resident langte nach dem Schreiben, aber Delafosse kam ihm zuvor, nahm das Billett aus der Hand des alten Jägers und entfaltete es.
»Bei Gott – es ist von Master O'Sullivan selbst. Hören Sie, wie es lautet!«
Rivers biß sich auf die Lippen, indes der Kapitän den Brief vorlas. Er enthielt nur die wenigen Worte:
Eile angesichts dieser Zeilen zu mir nach Cawnpur. Aber im geheimen! Tod und Leben hängt davon ab.
Dein sonst verlorener Bruder
Eduard O'Sullivan.«
»Ich weiß nicht, ob dies die Handschrift Herrn O'Sullivans ist?« fuhr der Kapitän fort, den Brief umherzeigend.
»Es ist seine Schrift,« sagte der Jäger, »ich kenne sie wohl. Oder sie wäre teuflisch gut nachgemacht!«
»Und dieser Brief ist wahrscheinlich die Ursache, daß Sie uns nachfolgten?«
»Ja, Sir. Ich vernahm in Cawnpur, daß Master Eduard mit dem Major und den Offizieren, seinen Freunden, in der Nacht nach Jhansi aufgebrochen war, und ich ritt ein Pferd tot, um ihm zu folgen und Aufklärung von ihm zu holen, die unsere weiteren Nachforschungen leiten könnte.«
Aller Blicke wandten sich hier natürlich auf den Verstümmelten und nun bemerkten sie ein eigentümliches Schauspiel.
Die Stirn und die Augen waren beinahe die einzigen Teile dieses Körpers, die unverletzt aus den Klauen des Tigers davon gekommen waren.
Auf dieser Stirn lag jetzt eine dunkle Falte, diese Augen waren mit einem ingrimmigen Ausdruck des Abscheus, des Hasses, der Drohung, auf einen Gegenstand gerichtet.
Dieser Gegenstand – war der Resident.
Der Verstümmelte machte eine gewaltige Anstrengung, zu sprechen, aber es kam nur ein unverständlicher, gurgelnder Laut aus der blutenden Kehle, und der Doktor mußte ihm auf das Strengste jede Anstrengung verbieten.
Dafür schienen die Augen O'Sullivans Blitze zu flammen! Mit Erstaunen wandten sich die Umstehenden nach dem Residenten, die Deutung dieser Erscheinung von ihm zu erfahren. Rivers hatte jedoch vollkommen Zeit gehabt, sich zu fassen.
»Sie haben recht, Ned, daß Sie Ihre Hoffnung auf mich setzen,« sagte er mit zuversichtlichem Ton. »Es ist nicht nur meine Pflicht als Vertreter der Regierung, sondern auch als persönlicher Freund dieses armen jungen Mannes, und gewissermaßen als unschuldige Ursache seines Unglücks, werde ich alles, was in meinen Kräften steht, dazu aufbieten, den Schleier zu lüften, der dieses seltsame Ereignis verhüllt, und die Dame aus den Händen der Räuber befreien. Zur Verfolgung der Verbrecher werde ich auf der Stelle nach Cawnpur zurückkehren und Ihre Hoheiten, der Scindia und die Rani, werden darum gestatten, daß ich meinen Besuch abkürze und an den Jagden nicht weiter teilnehme.«
Diese Worte erreichten vollkommen den Zweck, die Aufmerksamkeit von dem Kranken ab und auf den Sprecher zu lenken.
Als man sich wieder nach jenem wandte, bemerkte man, daß er vom Schreck oder Schmerz wieder in Ohnmacht gefallen war.
Der Doktor erklärte dies jedoch als einen glücklichen Umstand, um den Patienten fortschaffen zu können.
Der Kapitän Delafosse, dessen Blicke sorgfältig und mißtrauisch den Residenten beobachtet hatten, erklärte energisch, daß er Herrn Mac Scott nach Bithoor begleiten wolle, um seine Hilfe ihm für weitere Nachforschungen, so lange sein Urlaub noch daure, zur Disposition zu stellen.
Der Zug setzte sich langsam und mit aller Vorsicht für den Zustand des Kranken in Bewegung.
Noch ehe sie die zurückgebliebenen Elefanten und Pferde am Rande der Dschungel wieder erreicht hatten, wußte der Resident es so einzurichten, daß er neben Doktor Brice herging.
«Ist Hoffnung vorhanden, Doktor, daß unser Freund davon kommt? Sprechen Sie aufrichtig und nicht mit den Winkelzügen eines Mediziners.«
»Wenig oder gar keine, Major – obschon ich sie nicht ganz absprechen möchte. Es ist noch Lebenskraft in ihm, und der Schal der Rani hat den tollen Burschen wunderbar beschützt. Er ist zwar furchtbar zugerichtet, aber wenigstens kein unbedingt für das Leben notwendiges Organ verletzt.«
»Hm! aber sein Gesicht – der Unterkiefer ist ja halb herausgerissen?«
»Er wird niemals wieder die Sprache erlangen.«
»Und die Arme, die Hände – wird er sich ihrer bald wieder bedienen können?«
»Kein Gedanke daran. Ich werde beide Arme noch heute im Gelenk ihm amputieren.«
Der Resident blieb zurück.
Als er später seinen Elefanten bestieg und noch einen letzten Blick auf die Bahre des Kranken warf, lag ein boshafter Triumph in den Falten seiner Mundwinkel.
Major Rivers und Kapitän Delafosse waren bereits mit einem Teil der Begleitung abgereist, als die Rani den neuen Führer ihrer Leibgarden in das für sie aufgeschlagene Zelt rufen ließ.
Maldigri mußte ihr alles, was in dem Vorgang und den Erzählungen des schottischen Jägers ihr infolge der nur mangelhaften Kenntnis des Englischen noch unklar geblieben war, berichten.
Die Rani wiegte nachdenkend das Haupt.
»Du hast den Faringi beobachtet, welcher sich den Residenten nennen läßt?« fragte sie.
»Zuverlässig. Hoheit!«
»Was hältst du von ihm, Sahib?«
»Ich muß gestehen, ich traue ihm nicht.«
«Deine Gründe?«
»Ich kann keinen bestimmten Grund anführen, indes sein ganzes Benehmen in dieser Sache gefiel mir nicht. Wenn er den unglücklichen Vertrag deines Gatten kannte, der Jhansi unter den Schutz der Kompagnie stellt und der ihm nur durch List und Verrat entlockt sein kann, warum machte er nicht eher Gebrauch davon, als im letzten Augenblicke, wo die Zögerung ein kostbares Leben verderben konnte? – Der Überfall seiner Reiter war wohlüberlegt. Er war es zugleich, der mit kaltem Spott den jungen Toren zur Ausführung dieser wahnsinnigen Wette veranlaßt«, obschon er sich rühmt, sein Freund zu sein.«
»Hast du bemerkt, was er tat, als der Jäger des Nena den Raub seiner Gattin erzählte?«
»Nein, Hoheit – erst der starre Blick des Verwundeten lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn.«
»Wohl! Wir Frauen sehen schärfer, als ihr Männer; – meine Augen haben ihn nicht verlassen! Ich bin überzeugt von einem.«
»Und wovon, Hoheit?«
»Er weiß um den Raub der Frau. Die Nachricht überraschte ihn nicht, er erwartete sie. Er selbst ist der Räuber!«
»Aber er ist nicht von unserer Seite gewichen.«
»Pah! hat nicht auch das Laster treue und eifrige Diener? Der Faringi steht im schlimmen Ruf in Cawnpur, er ist ein Tyrann, ein Wüstling und ein Habgieriger. Er hat jene Frau gestohlen, deren Liebe alle Manneskraft des Nena gebrochen und ihn vollends in die Arme der Faringi geführt hat. Aber wehe ihm, wenn dem so ist! Der Nena ist ein schlummernder Tiger, eingelullt von den Blumen der Liebe und des Vergnügens. Ich will diesen Tiger auf ihn Hetzen, tausendmal blutiger als der, welchen der Falsche auf den eigenen Freund gehetzt hat.«
Der Ionier hatte mit Erstaunen die scharfe Beobachtung vernommen; jetzt kam er selbst zu dem Schluß.
»Du könntest recht haben, Hoheit – aber was ist zu tun? Der Resident ist bereits fort und der Schotte, der Freund und Diener des Maharadschah, ist mit ihm zurückgekehrt. Wir haben niemanden, als den Sterbenden.«
»Er wird nicht sterben,« sagte die Rani mit Bestimmtheit. »Die Rache hält den Faden seines Lebens fest – an seinem Auge sah ich, daß er den Verräter erkannt hat. Ehe wir handeln, ehe der Nena zurückkommt, müssen wir alles wissen und die Mittel zu dem Verderben des Räubers in Händen haben. Ich will einen Spürhund auf die Fährte des Raubtieres hetzen, der es bis in seine geheimsten Schlupfwinkel verfolgt. Du selbst sollst es sein, denn du verstehst die Sprachen der Franken und ihre Sitten.«
Major Maldigri dachte nach. »Verzeih, Hoheit, daß ich deiner Absicht widerspreche,« sagte er dann, »aber ich fürchte, es würde zu viel Aufmerksamkeit erregen, wenn ich mich jetzt in Cawnpur zeigen wollte, und den Residenten ahnen lassen, daß er uns zu fürchten hat. Einen offenen, mutigen Gegner unter seinen eigenen Landsleuten besitzt er bereits, wenn mich nicht alles täuscht, in dem Kapitän, der uns beiden zweimal das Leben gerettet. Dieser hat dem alten Diener des Nena seine Hilfe zugesagt. Aber ich will dir einen bessern, geeigneteren stellen, den wir nach Cawnpur senden und heimlich auf jenes Fersen setzen können.«
»Wen meinst du? Einen meiner Diener?«
»Nein, Hoheit, ich meine meinen Milchbruder Danilos, den Kapitän der arabischen Praua. Er ist ein Sohn meiner heimatlichen Gebirge, schlau und kühn. Auf ihn kann keinerlei Verdacht fallen, er ist wenig oder gar nicht beachtet worden und keiner der Briten kennt ihn.«
»Du hast recht, Freund – führe ihn zu mir, damit ich mit ihm rede. Ich werde ihm eine Botschaft geben an Tippo Singh, den Babu zu Cawnpur, der mir ergeben und ein geheimer Feind der Faringi ist. Er wird ihm behilflich sein.«
Die Rani wußte noch nicht, daß den Genannten bereits ein ähnliches Schicksal getroffen, daß er selbst persönliche Rache brütete gegen den Räuber seines Kindes und seines Geldes.
Der Resident mit seinen Begleitern hatte in der Kühle des Abends noch keine zehn Meilen weit von Ihansi, wohin er zunächst zurückgekehrt war, um Kapitän Mowbray weitere Instruktionen zu geben, auf dem Wege nach Cawnpur gemacht, als der Uskoke bereits mit Geld und Anweisungen für alles Verhalten wohl sehen, auf seiner Verfolgung war.