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Wir sind in Afrika! – Nicht in den schrecklichen Wüsten, denen Tau und Regen, die süße Träne Gottes, fehlt, nicht in den weitgestreckten Ländern, die der Fuß des gierigen Europäers noch nie betreten – sondern auf einem der wenigen Flecke in diesem Meere von Felsen und Sand, die Gott lieb gehabt: an der äußersten Grenze der britischen Eroberungen im Süden – in Kaffaria.
Auf einem Felsen, der auch vom Lande aus steil emporsteigend seinen flachen Gipfel in einer Höhe von wohl 50 Fuß, gleich einer Warte, hinüberstreckt über den Spiegel des Om-Kai, ruhen drei Männer, höchst verschieden in ihrem Aussehen und in ihrem Wesen. Zwei davon scheinen eben aus dem Schlaf erwacht, der dritte Wache gehalten zu haben.
Dieser ist offenbar ein britischer Soldat, dahin deuten die an vielen Stellen von den Dornen des Weges zerrissenen Leinenhosen, die schmutzig-rote, mit Militärknöpfen versehene Jacke und das Kommisgewehr mit dem Bajonett, das neben ihm liegt. Seine Augen liegen tief in den Höhlen, von dunklem Rand umgeben, und blicken mit einem düstern, starren Ausdruck vor sich hin.
Der Mann, der neben ihm liegt, ist ein Kaffer. Ein Carroß, der Mantel aus Tierhäuten, den der Kaffer um die Schultern trägt, am Hals mit den Vorderklauen verschlungen, ist seine Hauptbekleidung. Daß sein Karroß aus einem prächtigen Tigerfell besteht, statt der gewöhnlichen Leopardenhaut, beweist, daß er ein Häuptling ist.
Die Züge dieses Wilden zeigen fast gar keine Spur des Negerartigen, ja sie nähern sich der Reinheit der klassischen Linien, in Nase und Stirn, und nur die breiteren Backenknochen und die volleren, wenn auch keineswegs unschönen Lippen, verraten den afrikanischen Ursprung.
Es ist Tzatzoe, der kühne und von den Briten gefürchtete Gaika-Häuptling, der eine liberale Erziehung in England genoß, und dort eine geraume Zeit ganz nach europäischer Weise lebte. Er spricht fertig die französische, englische und holländische Sprache, und ist mit vielen Künsten der Zivilisation wohl vertraut; aber bei der Rückkehr in die Heimat warf er alles europäische von sich und nahm mit dem Carroß wieder die wilde Majestät eines Häuptlings an.
Das dritte Mitglied der kleinen Gesellschaft ist ganz sein Gegenteil. Es ist ein breitschultriger, kräftiger Boor, dessen zähe Stärke und Tätigkeit das Alter von 60 Jahren noch wenig gebeugt hat. Es ist Andries Pretorius, der berühmte Führer der Booren in der Boomplaats-Schlacht am 22. November 1845, in der die Ausgewanderten noch einmal für ihre Freiheit gegen britische Willkür kämpften.
»Nimm die Decke, Neef Piet,« sagte der Alte, und hülle dich hinein. Der kalte Tau macht die verwöhnten Stadtleute frieren, selbst in den heißen Monden, überdies ist dein roter Rock unseren Augen nicht angenehm.«
»Fluch ihm und allen, die ihn tragen!« rief der junge Mann mit einem Ausdruck wilden Grimms.
»Doch ich glaube, es ist Zeit, daß wir aufbrechen,« sagte der Alte, »die Sonne wird uns jetzt die Fährte wieder zeigen, die wir bis hierher verfolgt.«
Aber der Kaffer hielt ihn zurück, indem er die Hand auf seinen Arm legte und sprach: »Der Inkosi Inculu der DütchmenGroßer Häuptling der Holländer (Deutschen – wie der Wilde alle Europäer, außer den Engländern benennt). wird wohltun zu warten. Die Büffel sind noch nicht zur Tränke gekommen, und die Büsche jenes Rohrs wehen Übles.«
Der Holländer sah augenblicklich die Richtigkeit der Bemerkung ein und begnügte sich mit der Frage: »Wie lange werden wir warten müssen?«
»Das Gestirn des Tages muß eine Stunde lang am Himmel stehen, ehe der Büffel sich zeigt,« antwortete der Häuptling.
»Sie werden ihre Fährten verwischen, Tzatzoe?«
»Die Büffel kommen vom Morgen – die Spuren unserer weißen Feinde wenden sich gegen Niedergang.«
»So haben wir noch eine halbe Stunde Zeit, Neef Piet,« meinte der Boor, die kurze Pfeife aus seiner Ledertasche stopfend, »und du magst uns jetzt ausführlich berichten, was dich hierher und in unsere Gesellschaft gebracht; als wir dich gestern abend fanden, war keine Zeit zu langem Gespinnst.«
»Du sollst alles erfahren, Om Andries,« sagte der junge Mann aufgeregt, »meine Schmach und Schande, und die Glut der Rache, die mich verzehrt!« Er riß die alte Uniform vom Leibe und ließ das Hemd über die Schultern fallen – ein schrecklicher Anblick zeigte sich den Augen seiner beiden Gefährten – der Rücken des jungen Mannes war mit einer Unzahl von langen, meist nur halb oder schlecht geheilten Wunden bedeckt, die offenbar durch die Schläge eines Züchtigungsinstruments veranlaßt worden, und von denen viele so tief waren, daß man die Finger bequem in die halb offenen Narben legen konnte.
Der alte Boor schauderte zurück und fragte den Neffen, der sein erglühendes Gesicht in den Händen verborgen hielt, kurz und rauh: »Wer tat dies?«
Der Gaika sah ihn mit höhnischem Blick an: »Warum fragt mein Bruder? Der Amakosa tötet seine Söhne, wenn sie unrecht getan, aber er entehrt sie nicht! Tzatzoe hat gar viel Male gesehen, als er im Lande der großen Mutter war, wie die Krieger, die dieses Kleid trugen, geschlagen wurden, wie Hunde.«
»Die Engländer also? – Rede Neffe – welches Verbrechens hast du dich schuldig gemacht?«
Wieder lachte der Wilde höhnisch auf. »Alter Häuptling,« sagte er bitter – »warum fragst du diesen da, was er verbrochen? – Was hatten die Kinder meines Volkes getan, das friedlich wohnte an den Quellen des Nicokamma, bis er sich mischt mit dem großen Salzsee gen MittagIn der Delagoa-Bai; – die von dem Wilden erwähnte scheußliche Handlungsweise des britischen Gouvernements ist leider historisch und ereignete sich 1812., als die Englishmen ihnen befahlen, binnen zwei Mondenfristen das Land zu räumen, das ihre Väter besessen, ehe der Abalungo kam an unsere Küsten. Was hatten sie getan, daß Greise, Männer, Weiber und Kinder niedergeschossen wurden, wie die Hyäne der Felsgebirge, alle, die man noch nach der festgesetzten Frist im Lande fand; bloß weil sie sich nicht so leicht von den Gräbern der Ihren trennen konnten!«
Nach diesen mit tiefem Ausdruck gesprochenen Worten verließ der Häuptling seinen Platz und verschwand, ohne zu sagen, wohin er sich begeben wolle, von der Felsplatte, seine Waffen dort zurücklassend.
»Neef Piet,« sagte der tapfere Anführer der Booren, »wir sind jetzt allein. Dein Vater war mein Bruder, aber er ward einer von den Studierten, und schied aus den Reihen seines Volkes, als er die Engländerin, deine Mutter, heiratete.«
»Ich weiß, Oom, daß mein Vater unrecht tat, von den alten Gebräuchen der Familie zu weichen, und ich glaube, er hat es späterhin vielmal bereut, obschon er meine Mutter herzlich geminnt hat.«
»Laß gut sein, Piet,« meinte der andere, »er war ein unruhiges Blut, volle zehn Jahre jünger als ich, und ruht auf dem Kirchhof am Kap. Ich bot deiner Mutter an, als ich vor acht Jahren, nach meines Bruders Tode, zur Kapstadt kam, dich mit mir zu nehmen und in unserem Stande zu erziehen. Sie weigerte es und wollte, daß du ein Bücherwurm würdest, wie dein Vater. Vielleicht war es gut für dich, denn zwei Jahre später setzte Sir Harry Smith 1000 Pfund auf den Kopf deines Ooms.«
»Meine Mutter starb,« erzählte finster der Neffe; »wir hatten mancherlei Anfeindungen auszustehen, Oom Andries, zu jener Zeit, weil wir deinen Namen trugen. Ich wollte nach England gehen, um meine Studien fortzusetzen. Ich gedachte Advokat zu werden, Oom Andries, um die Sache meiner unterdrückten Landsleute vor den Schranken der Gerichtshöfe führen zu können; denn ich fühlte das Blut meines Vaters in mir und war stolz, als ich von euren tapferen aber unglücklichen Kämpfen um die neue Heimat hörte, die ihr euch erworben. Da trat das unglückliche Ereignis ein, das mich zum elendesten der Menschen machte.«
»Wie kamst du zu diesem Rock, Neef Piet?«
»Höre weiter. Ich liebte eine Fremde; die Tochter eines deutschen Missionars. Louise hieß das Maidje und ich glaube, sie liebte mich wieder. Aber ins Haus ihres Vaters, der noch längere Zeit in Kapstadt bleiben wollte, ehe er nach der Grenze zog, kam ein englischer Kapitän, Sir Hugh Rivers, vom 93. Linien-Regiment. Was soll ich weiter sagen, wir waren Nebenbuhler, er der wohlhabendere, mächtigere, von der Mutter unterstützt – ich auf das Herz der Geliebten vertrauend. Er haßte mich, ich wußte es, aber sein Zorn war mir gleichgültig – ich ahnte nicht, daß er mir eine tückische Schlinge gelegt hatte. Eines Abends war ich mit mehreren Gefährten in einer fröhlichen Gesellschaft gewesen, wo der Constantia-Wein nicht geschont wurde. Schon halb berauscht, ließ ich mich verleiten, noch eine Schenke zu besuchen, in der Soldaten und Matrosen ihr Wesen trieben. Ein Mann, den ich oft gesehen im Gespräch mit den Offizieren der Stadt, machte sich an mich, er trank mir zu, und als ich am anderen Morgen erwachte, lag ich in der Wachtstube der Kaserne; man sagte mir, ich hätte das Werbegeld genommen und sei Rekrut!«
»Schändlich!« murrte der Boor – »und dennoch – magst du dich bedanken, daß sie nach dem menschenfreundlichen Recht ihrer Gesetze dich nur zum Soldaten geworben und dich nicht als Matrosen gepreßt und nach entlegenen Meeren gesandt haben.«
»Ich wollte, es wäre geschehen!« stöhnte der junge Mann. »Schreckliches wäre mir erspart worden. Ich ward dem Regiment, ja der Kompagnie meines Nebenbuhlers zugeteilt, und bald erfuhr ich durch einen mitleidigen Sergeanten, daß alles das, ja meine Anwerbung selbst, sein Werk sei. Ein Leben voll Höllenqualen begann für mich, Rivers wußte täglich Gelegenheit zu finden, mich zu demütigen und mit Strafen zu belegen.
»Zwei Dinge hielten mich damals nur noch aufrecht – das war der Schutz und Trost, den mir ein junger Leutnant unserer Kompagnie, Edward Delafosse, wo er nur konnte, zuteil werden ließ, und ein Zettel, den mir eines Abends, als ich vor der Kaserne auf Posten stand, ein Knabe in die Hand steckte. Er kam von ihr, es waren Worte des Trostes, der Hoffnung und der Liebe in meinem Elend, sie selbst sprach sich aus und gelobte mir Treue. Aber es war zugleich der Abschied, ich sollte sie nicht mehr sehen – sie zog mit ihrem Vater nach einer Missionsstation an den Grenzen des Kafferngebietes.
»An der steigenden Bosheit des Kapitäns konnte ich sehen, daß seine Bewerbungen um Louise fruchtlos ausgefallen. Alle frühere Leiden wogen nichts gegen die Peinigungen, denen ich jetzt unterworfen wurde, denn Rivers, von seinem Rechte Gebrauch machend, wählte gerade mich aus der ganzen Kompagnie zu seinem persönlichen Diener.
»Das Regiment war nach Fort Beaufort beordert und man sprach bereits viel von einem Zuge gegen die Kaffern. Es war vor vierzehn Tagen, als bei einem Rekognoszieren an den Ufern des Katzenflusses Rivers mir befahl, mit einem Handpferde nach dem andern Ufer überzusetzen. Das Tier war unbändig und wild, in der Mitte des Stromes scheute es und riß sich los, ich vermochte es nicht zu halten. Das Pferd wurde von der angeschwollenen Flut erfaßt und stromabwärts gerissen, alle Versuche, es zu retten, waren vergebens. Rivers hielt zornrot am Ufer, als ich es erreichte. Ich wollte mich rechtfertigen, daß mich keine Schuld traf, aber er hieb mich mit der Reitgerte in das Gesicht, daß das Blut herabfloß und rief: »Schurke – Du hast mein bestes Pferd mutwillig verloren!« – Das Blut kochte in meinem Innern, aber ich dachte der Disziplin und – Louisens, und schwieg. Ein zweiter Hieb folgte, ein dritter – da war ich meiner nicht länger mächtig, ich drückte dem Pferde, das ich ritt, die Sporen in den Leib und warf mich auf ihn – er hielt dicht am Rande des Stromes – der heftige Anprall warf ihn samt dem Roß in die Wellen.
»Ein Schrei des Schreckens kam von aller Lippen, dann schoß der Gedanke an die Folgen wie ein Blitz durch mein Gehirn, ich sprang vom Pferd und ihm nach in das Wasser. Das seine hatte sich bereits emporgearbeitet – mein Feind aber war versunken, nur die Hand noch, die mich eben geschlagen, tauchte aus den Wellen. Einen Moment lang dachte ich daran, mit meinem Peiniger zu sterben – im nächsten aber war ich bei ihm, tauchte unter und brachte ihn mit unerhörter Anstrengung Zur Oberfläche. Gott lieh mir Kraft, und die eigene Lebensgefahr nicht achtend, gelang es mir, den Bewußtlosen ans Ufer zu bringen. Dort fiel ich, selbst zu Tode erschöpft, in Ohnmacht. Als ich wieder zu mir kam, stand Rivers neben mir, bleich, triefend – mit boshaft funkelnden Augen. »Diesmal, Bursche,« sagte er mit dem Tone erbitterten Hasses, »sollst du dem Verbrechertode nicht entgehen, bindet ihn!« und seine Kreaturen warfen sich auf mich und schnürten mir die Arme auf den Rücken, daß mir die Stricke tief in das Fleisch einschnitten.
»Laß es mich kurz machen, Oom. Der Mann, den ich mit Gefahr meines Lebens wieder aus den Wellen geholt, übergab mich einem Kriegsgericht und ward mein erbitterter Ankläger. Ich wünschte den Tod, er wäre mir willkommen gewesen; wegen meines sonstigen guten Betragens ward ich begnadigt – begnadigt zu dreihundert Peitschenhieben.«
Der Unglückliche bedeckte das Gesicht mit den Händen – der Boor schwieg, stumm vor sich hinschauend.
»Die Exekution wurde vollstreckt,« fuhr jener eintönig fort. »Als der Schambock mein Fleisch in blutige Fetzen riß, sah ich meinen Peiniger wenige Schritte von mir stehen und mit gleichgesinnten Genossen höhnisch lachend eine Wette schließend, wie viele Streiche ich aushalten würde. Da, Oom Andries, biß ich die Zähne zusammen und schwor, daß kein Laut des Jammers sein teuflisches Herz erfreuen sollte, aber tat auch einen anderen Eid, den Eid – wenn ich lebendig davon käme, mich blutig an ihm zu rächen und ihn zu töten, wie die Bestien der Wüste.«
»Frevle nicht, Neef Piet,« sagte der Alte mit Würde – »für das Vaterland und deine Brüder magst du kämpfen, aber »die Rache ist mein«, sagt der Herr, und er allein hat sie sich vorbehalten.«
»Der junge Abalungo fühlt seine Wunden,« sprach die Stimme des Wilden neben ihm, »und jede ruft ihm zu, daß er seinen Feind töten müsse. So will es das Gesetz der Wüste und der tapferen Männer, wenn auch JankannaDer Kaffernname eines unter den Stämmen vielgeehrten holländischen Missionars, Dr.van Kemp. anders lehrt. Ich bitte dich, junger Freund, laß deinen schwarzen Bruder die Wunden heilen, welche deine weißen Brüder dir geschlagen haben.« Damit legte der Wilde ihm heilende Kräuter auf den Rücken, die er soeben an den Felsen gesucht und zwischen zwei Steinen zerrieben hatte, und bekleidete ihn dann sorgsam wieder mit Hemde und Jacke.
Der junge Mann drückte ihm dankbar die Hand; ein Blick des Einverständnisses, den die beiden tauschten, zeigte zur Genüge, daß sie über das Gefühl persönlicher Rache einverstanden und anderer Ansicht waren als der Boor. Dann fuhr der Soldat in seiner Erzählung fort:
»Meinen Feind sah ich nicht wieder, ebenso den Leutnant nicht, der mir allein Wohlwollen bezeigt, es hieß, sie wären auf einem Posten weiter hin am Amatola-Gebirge. Mein Schicksal war allgemein bekannt, ich las es in jedem Blick; aber ich war auch entschlossen, die erste Gelegenheit, die sich bot, zu benutzen, um die Fesseln meiner Knechtschaft zu brechen und zu den Feinden meiner Tyrannen zu fliehen.«
»Aber wie erfuhrst du, daß ich in der Nähe weilte und den Ort unseres Verstecks?«
»Es trieb sich ein trunkener Kaffer in der Umgebung unseres Lagers umher, ein Mensch, den der Branntwein entnervt und zum Spott der Engländer gemacht hatte. In allen Kantenen war er zu finden; man sagte, er sei fürstlicher Abkunft, und deshalb behandelte man ihn mit desto größerem Hohn. Als ich das erste Mal wieder auf Posten stand, taumelte er betrunken in meiner Nähe zu Boden. Ich kümmerte mich nicht um ihn, denn meine Seele hatte nur Raum für einen Gedanken. Plötzlich hörte ich meinen Namen nennen, und zu meinem Erstaunen blickten seine Augen mich listig und verständig an, sein Finger lag auf den Lippen zum Zeichen des Schweigens. ›Wenn der junge Abalungo,‹ flüsterte jener, ›eine Stunde vor Sonnenaufgang seinen Posten verlassen will und immer in der Richtung jenes Berges fortgeht, dessen Spitze sich dort erhebt, gleich dem Haupt eines Kriegers, wird er am Abend an die Quelle des Bolo kommen, der seine Wasser in den Kai ergießt. Dort, wo drei mächtige Dattelpalmen ihre Federn in die Luft strecken, möge er das Wort rufen, das ich ihm sagen werde, und er wird einen Blutsfreund finden.‹ Ich überlegte, hin und hergehend die Worte des Mannes, und als ich zu ihm zurückkehrte, war ich entschlossen, seinem Rat zu folgen. Ich sagte es ihm. ›Möge der junge Krieger unbemerkt sich zu mir bücken,‹ sprach er weiter, ›und was ich ihm geben werde in die Hand des Mannes legen, den er bei seinem Verwandten finden wird. Der Name ›Macomo‹ wird ihm Schutz und Beistand sichern, wenn er einem schwarzen Mann begegnet.‹ Ich stolperte wie zufällig über den Trunkenbold und ließ mein Gewehr fallen. Indem ich mich schmähend bückte, es aufzuheben, drückte er mir das Stückchen Haut in die Hand, das ich dir gestern gab, Häuptling. Bald darauf taumelte der seltsame Mensch, der sich mir als Freund erwiesen, der nächsten Branntweinschenke wieder zu und gab vor zwei jungen Fähnrichen für ein Glas Rum den Kriegstanz seines Stammes zum Besten, die Zielscheibe des brutalen Hohns aller Umstehenden, bis er seiner Sinne gänzlich beraubt nochmals zu Boden fiel!«
Der Gaika-Häuptling lächelte ernst. »Der junge Abalungo,« sagte er, »sieht mit dem Auge seiner Kameraden. Wenn Macomo, der Sohn der großen Frau der Gaikas, auf seinen Tamtam schlägt, werden tausend Krieger zu Fuß und eine gleiche Zahl auf schnellen Rossen seinem Rufe antworten. Mein Bruder hat wohlgetan, ihm zu folgen.«
Gaika erhob sich und kündigte seinen beiden Gefährten an, daß die Zeit zum Übersetzen gekommen.
Tzatzoe ging eine kurze Strecke am Ufer entlang, und ein mißvergnügter Ausruf verkündete bald, daß er sich in seinen Erwartungen getäuscht. »Macomo sprach die Wahrheit,« sagte er, »der schwarze Mann, der die weißen Späher begleitet, führt nicht ohne Grund das Bild der Schlange. Es ist Congo, der Fingoe, und verflucht sei sein verräterisches Geschlecht. Die Bambus, welche zum Floß dienen, sind alle fort. Er hat sie mit zum andern Ufer genommen oder sie den Strom hinabtreiben lassen.«
Der Fluß war hier etwa dreißig bis vierzig Schritte breit. Der Gaika, seine Büchse, sein Pulverhorn und den Karroß zurücklassend, schritt, nur mit dem Assagai bewaffnet, sogleich in das Wasser, das ihm während des größten Teiles des Überganges bis an die Brust ging, nur in der Mitte brauchte er eine kurze Strecke zu schwimmen. Bald hatte er das Ufer erreicht und rief seinen Freunden zu, herüber zu kommen. Rasch wurden Bambusstöcke ins Kreuz gebunden und an diese der Karroß des Wilden in der Art befestigt, daß er eine hohle Mulde bildete, die breit und leicht auf dem Wasser schwamm. In diese wurden die Gewehre und alle sonstigen Gegenstände gelegt, die man nicht durchnässen lassen wollte, und dann machten sich die beiden Holländer, den improvisierten Kahn vor sich herschiebend, daran, ihren Übergang in gleicher Weise wie der Wilde auszuführen.
Sein Ruf führte die beiden zu ihm.
»Möge mein weißer Vater die Eindrücke dieser Hufe in dem Boden betrachten,« sagte er, »es sind die beiden Pferde der Weißen, und hier daneben laufen die Spuren vom Mocassin, dieses Hundes von Fingo.«
»Der Tau der Nacht steht in den Eindrücken der Pferde.«
»Meint der Häuptling, daß unsere Feinde die ganze Nacht fortgezogen sind, oder daß sie in der Nähe gerastet haben?«
Tzatzoe wies nach einem etwa eine halbe Meile entfernten, von einigen Zypressen besetzten und von Büschen umgebenen Hügel. »Mein Vater wird dort die Antwort finden.«
Nach einem raschen Marsch waren die drei Männer zu der Stelle gelangt, die sich etwa eine englische Meile von dem Flußufer befand, von diesem aber durch die zwischenliegenden Felsen nicht zu sehen war. In der Tat hatten sie auch unter vorsichtiger Annäherung den Raum kaum betreten, als unzweifelhafte Zeichen ihnen bewiesen, daß die Gesellschaft, welche sie verfolgten, die Nacht hier zugebracht hatte. »Kennt der junge Krieger dieses?« Er zeigte dem jungen Holländer einen Bleiknopf, auf dem sich eine Zahl befand.
»Es ist ein Knopf von meiner eigenen Kleidung, ein Kamaschenknopf mit der Nummer meines Regiments.«
»Wenn der junge Krieger die Knöpfe seines Anzugs zählt, wird er finden, daß sie alle an ihren Stellen sind. Diesen hat einer verloren, der vor wenig Stunden hier an diesem Orte schlief.«
»So sind die beiden Weißen Leute meines Regiments?«
Der Wilde nickte. »Erzählte mein Bruder nicht, daß er zwei seiner Offiziere im Lager nicht gesehen habe? Erinnert sich der junge Krieger vielleicht, ob diejenigen, welche er meint, in fremden Zungen sprechen können?«
»Bei Gott im Himmel, Häuptling, du könntest recht haben. Kapitän Rivers versteht die holländische Sprache und auch etwas vom Kafferndialekt.«
»Kennt mein Bruder etwas Besonderes am Gange seines Feindes?«
Der Soldat dachte nach und erinnerte sich des ihm beim Reinigen der Stiefeln aufgefallenen Umstandes, der durch einen Knochenbruch in der Jugend veranlaßt worden war, und sagte dies. Der Wilde führte ihn zu jenem Baum, in welchem zwei Fußspuren deutlich zu erkennen waren. Die linke war um etwa einen Viertelzoll breiter als die rechte; das scharfe Auge des Kaffers hatte diesen einem gewöhnlichen Beobachter gewiß unbemerkt gebliebenen Unterschied sogleich entdeckt.
»Es ist Rivers,« rief der Gemißhandelte. »Kein Zweifel! Fluch ihm und mir selbst, wenn ich diese Gelegenheit nicht benutze, mich zu rächen.«
Nach einer kurzen Verständigung mit dem alten Boor machten sich die drei auf den Weg zur weiteren Verfolgung der Spur –
Die Nachmittagssonne sandte ihre heißen Strahlen bereits in schiefer Richtung auf die weite Ebene von Sand und Lehmboden, die sich zwischen dem Kai und Somo bis zu den Umtata-Bergen erstreckt, als in dieser Richtung eine andere Gesellschaft von drei Personen rüstig zuschritt. Zwei weiße Männer, ihrer Kleidung nach Tochtgänger, schritten neben starken Pferden her, denen durch das bloße Auflegen einer Decke statt des Sattels und einige andere Veränderungen das Aussehen von Saumrossen gegeben und deren Rücken mit verschiedenen Paketen und Fäßchen beladen war. Namentlich bestand die Belastung aus einem Dutzend alter Kommißflinten, ebensolchen Kavallerie-Pistolen, einem Fäßchen Pulver, zwei kleinen Fäßchen Branntwein, Glasperlen und englischen Schnittwaren. Jeder der drei Tochtgänger trug außerdem ein altes Gewehr auf der Schulter, doch hätte ein scharfes, waffenkundiges Auge leicht bemerkt, daß die beiden Flinten der Weißen keineswegs so schlechter Beschaffenheit waren, als ihr Äußeres schließen ließ. Der dritte war ein Wilder, halb Hottentott, halb Kaffer, in zerlumpten Linnenhosen und gleicher Bluse, mit einer Miene voll List und Verschlagenheit.
Die englische Sprache, deren sie sich bedienten, und manche andere Anzeichen, auf die sie bei der Abwesenheit aller Gefahr jetzt weniger achteten, verrieten leicht, daß sie diejenigen waren, welche von dem Gaika und seinen Gefährten verfolgt wurden.
»Die Fabel, daß wir unsere Ochsenwagen am Kai zurückgelassen haben, weil das Vieh an der KlaauwzinkteKlauenfäule, eine bei den schwierigen Transporten durch das Innere des Kaplandes häufig vorkommende Krankheit der Zugochsen, die sich auf dem steinigen Grund das Horn der Füße durchlaufen. erkrankt, ist nicht übel,« sagte der Ältere der beiden Weißen, »sie wird uns für ein paar Tage helfen, und während dieser wird es uns hoffentlich gelingen, über die Resultate der Versammlung dieser schwarzen Schufte ins klare zu kommen. Wie weit ist es noch bis zum Kraal, Congo?«
»Zehn Meilen, Herr, dann werden wir vor dem Wigwam Sandilis stehen. Es ist Zeit, Herr, daß dein Mund die Sprache der Inglishmen verlernt, denn die Bäume und Büsche, denen wir nahe sind, können das Ohr eines Amatosas verbergen.«
»Du bist also gewiß, daß eine Versammlung der Häuptlinge im Werke ist?« fragte der Kapitän wiederum den Spion.
»Um die Zeit des Vollmonds ist der große Runlho des Stammes, Herr,« berichtete der Fingoe, »und es ist nicht ungewöhnlich, daß der Amapahati zur selben Zeit mit den Jünglingen und Jungfrauen des Volkes die Häuptlinge und Krieger dann zur Beratung zusammenruft.«
Sie nahten jetzt dem Ziel ihrer Reise, und als sie aus den dichten Gebüschen hervortraten, bot sich ihren Augen ein ebenso unerwartetes als belebtes Bild.
Vor ihnen lag, von der Abendsonne beleuchtet, ein großes, etwa zwei englische Meilen langes Bergplateau, auf dem Amatata, die große Stadt der östlichen Gaikas, stand. Die Hütten, vielleicht dreihundert an der Zahl, lagen um einen sanft aufsteigenden Hügel, auf dessen Spitze ein Kreis riesiger Korkeichen den großen Beratungsplatz des Stammes umgab. Rauchwolken stiegen von den vor jeder Hütte angelegten Feuerungsplätzen empor, um die sich Männer, Frauen und Kinder versammelt hatten. Scharen von jungen Männern und Mädchen, mit den Blüten des Granatenbaumes geschmückt, Zweige in den Händen, zogen zwischen den Wigwams umher unter dem Ruf: »Runlho! Runlho!«, ohne daß jedoch die beiden Geschlechter dabei sich untereinander mischten.
Andere Gesellschaften von Kriegern und jungen Männern belustigten sich auf der Ebene, teils auf den kleinen, den schottischen Ponys ähnlichen Pferden des Kaplandes umherjagend, teils im Wettwerfen mit dem Assagai, oder im Schießen mit Pfeil und Flinte, denn die Holländer und Franzosen, und selbst die eigene Habsucht der Engländer, haben bereits dem Kaffer ziemlich zahlreich die Feuerwaffe in die Hand gegeben und ihn ihren tödlichen Gebrauch gelehrt, überall war Jubel, Geschrei, Leben und Bewegung.
Die falschen Tochtgänger waren kaum aus dem Dickicht des Waldes getreten, als sie auch sofort von einer jeden Augenblick wachsenden Menge umgeben wurden, die sie zwar nach dem Innern des Kraals zu drängte, jedoch keineswegs feindlich gegen sie verfuhr. Der Anblick der Flinten, welche die Hauptladung der Pferde ausmachten, war unter den obwaltenden Umständen besonders geeignet, die Aufmerksamkeit zu erregen. Man führte sie zu einer der ersten Hütten und reichte ihnen sofort Milch und Fleisch zum Zeichen der Gastfreundschaft. Der Fingoe, vollkommen mit den Dialekten der Stämme vertraut, übernahm alsbald das Amt des Dolmetschers und verbreitete die Nachricht, daß die Bagagewagen der Tochtgänger eine Tagereise weit zurückgeblieben, die Händler aber auf die Nachricht von der Volksversammlung mit einigen Waren vorausgegangen seien. Der Führer benahm sich dabei mit großer Gewandtheit und Kriecherei, denn die freien Kaffern verachten den Fingoe, obgleich er zu ihrem Volk gehört, und betrachten den Stamm als Sklaven der Engländer.
Währenddessen hatten Rivers und der Leutnant ihre Tiere abgeladen und begannen ihre Packen zu öffnen und den Handel mit allerlei Kleinigkeiten anzufangen. Während Rivers mit großer Sicherheit die Manieren und Ausdrucksweise eines holländischen Tochtgängers nachahmte, wußte der Leutnant mit gleicher Gewandtheit den Franzosen zu spielen, und das Gemisch von französischen, englischen und nationalen Worten, in denen er sich ausdrückte, hätte wohl selbst einen schärferen Beobachter getäuscht, als es diese Naturkinder waren.
Das Gerücht von der Ankunft der Tochtgänger hatte sich bald durch das ganze Dorf verbreitet, als sie durch zwei Krieger auf den Versammlungsplatz der Amapahati und vor den berühmten ersten Häuptling der Gaikas, Sandili, beschieden wurden, der, an Stelle seiner Mutter, der alten Königin Suta, die Herrschaft über die Stämme führte und der erbittertste und gefährlichste Feind der Engländer war.
Die Abenteurer hatten rasch ihr Gepäck wieder zusammengerafft und auf die Pferde geladen und folgten ihren Führern zu dem Hügel, wo die Vornehmen und Weisen des Volkes versammelt waren.
Es war unterdes Abend geworden, und die kurze Dämmerung der Tropen ging rasch in das Dunkel über, das jedoch von hundert Feuern erhellt wurde.
Ein solches brannte in der Mitte des Platzes, aus dem sie jetzt erschienen, und beleuchtete die dunklen Gesichter der Männer, die in einem großen Kreise umhersaßen und lagen. Es waren zum Teil Männer, die in dem ausbrechenden Kriege eine große Rolle spielen sollten: Umhala, das mächtige Oberhaupt der H'Llambins, mit seinen Unterhäuptlingen Pato und Siwani, die beiden Söhne Macomos: Kona und Namba, Kreli, der Führer der Tamboolies, und die Häuptlinge der Gaikas: Stoch, Thlathla, Zana und Faudala. Nicht ohne einige Gefühle neuer Besorgnis bemerkten die Offiziere unter den Wilden mehrere weiße Männer mit entschlossenen Gesichtern und einen ganz von diesen verschiedenen Mann, dessen ganze Haltung und Aussehen, der scharfe, entschlossene Blick der Augen und der wohlgestutzte Schnurr- und Knebelbart ihn jedoch als Soldaten und Europäer erkennen ließen.
Die Führer der Tochtgänger geleiteten sie nach dem anderen Ende des Kreises.
Sie standen vor Sandili, dem Oberhäuptling, und der Königin Suta. Die greise, achtzigjährige Frau, von Alter und Krankheit gebeugt, kauerte auf einer mit Matten bedeckten Erderhöhung, den Rücken an ein Felsstück gelehnt. Neben ihr kniete ein überraschend schönes Kaffernmädchen in der Urnatürlichkeit der Volkstracht, aber Arme, Brust und Knöchel reich mit goldenen Ringen und bunten Glasperlen geschmückt, in dem wohlgeflochtenen Haar einen Kranz von Granatblüten und um die Hüfte eine Lendenschürze von weißer Wolle, das Zeichen, daß sie heute zum ersten Male dem Runlho bestimmt sei.
Das schöne, große, ausdrucksvolle Auge richtete sich beim Erscheinen auf die Fremden, begegnete dem Blick des Leutnants und blieb mit dem Ausdruck des wachsenden Erstaunens auf ihm haften. Edward erbebte – er erkannte sofort in dem Mädchen Gulma, die schöne Kafferin, und fühlte, daß auch er, trotz seiner Entstellung und Verkleidung, von ihr erkannt sein müsse. Er sah, wie die Lippen der Kafferin sich zum Ruf an ihre Umgebung öffneten, wie ihre Hand sich hob, auf ihn zu deuten, und unwillkürlich, von der furchtbaren Gefahr überwältigt, faltete er die Hände und heftete einen bittenden, flehenden Blick auf das Mädchen.
Einen Augenblick schwankte er in bangem Zweifel – dann sah er, wie ihr Mund sich schloß, ein Finger sich an die Lippen hob und ihr hübsches Gesicht sich senkte.
Sandili, der Vater Gulmas, war eine hohe Gestalt mit einem männlich schönen Gesicht, auf welchem die ruhige Würde eines großen Häuptlings lag.
In der Nähe Sandilis standen die weißen Männer. Sein forschendes, stolzes Auge heftete sich fest auf die Ankömmlinge; er wartete einige Augenblicke, ehe er das Schweigen brach.
»Fliegen die weißen Raben durch die Wüste der schwarzen Männer, wenn der Sturm weht?« fragte er in der bilderreichen Sprache seines Volkes in gebrochenem Englisch. »Wissen die Händler der Abalungos nicht, daß Streit ist zwischen meinem und ihrem Volk?«
Der Kapitän war jedoch zu gewandt und wohlvorbereitet, um in die Falle zu gehen, und antwortete in holländischer Sprache mit einer anderen Frage: »Hat der Incosi Inculu der Gaikas die Smause je als Feinde auf seinem Wege gefunden? – Sie hassen die Rotröcke wie du und bringen seinem Volke das Pulver und die weittragenden Flinten.«
Der Kapitän nahm zum Beweise seiner Worte einige der Gewehre und legte sie vor dem Häuptling nieder; dieser aber tat einen Schritt vor, hob das Fell, das einen der Packen bedeckte, auf und zeigte auf die Branntweinfäßchen.
»Ist dies das Pulver, das die Smause den Gaikas bringen will?« Der scharfe Geruchssinn des Wilden hatte ihm das Gift verraten, das schon so viele seines Volkes verderbt hatte. Im ersten Augenblick war der Kapitän verdutzt, dann aber antwortete er rasch: »Der Incosi Inculu weiß, daß eine arme Smause mit allem handelt; der Feuertrank ist für die Ooms aus ihrem Volke bestimmt, denen er auf seinem Trekken begegnen wird. Das Pulver ist das Eigentum dieses französischen Händlers. Der Häuptling weiß, daß die Rotröcke den Dütchmen nicht gestatten, damit zu handeln.«
Das Auge des Oberhauptes wandte sich lebhaft auf den jungen Mann bei der Erwähnung der Eigenschaften desselben als Franzose.
»Wenn mein Sohn von dem Volke stammt, das der Feind der Inglishmen ist, so wird er seine Sprache verstehen?«
Der junge Mann bejahte es.
»So möge die junge Smause mit ihrem Bruder reden und ihm sagen, woher sie kommt und was sie weiß von den Feinden der schwarzen Männer.« Der Häuptling winkte zugleich den fremden Weißen, dessen militärisches Aussehen den verkleideten Offizieren schon früher aufgefallen war, heran. »Mein Bruder Tzatzoe, der seine Sprache redet, ist mit dem weisen Vater der Dütchmen noch auf dem Kriegspfad und fehlt am Beratungsfeuer. Möge der weiße Krieger, der unser Freund ist, prüfen, ob diese Smause von seiner Nation ist?«
Delafosse stammte aus einer Emigrantenfamilie, die sich in England niedergelassen, und sprach das Französische als zweite Muttersprache. Er erzählte daher geläufig nach dem vorher besprochenen Plan, daß er der Kommis einer französischen Handlung auf Sankt Mauritius sei, die, trotz der strengen britischen Aufsicht, einen ausgedehnten Schmuggelhandel an den Ostküsten Afrikas treibe und holländische Händler mit den verbotenen Waren versorge. Es sei ihnen kürzlich gelungen, eine Ladung in die Mündung des Kai zu schmuggeln, und mehrere französische und holländische Tochtgänger wären in diesem Augenblicke damit beschäftigt, sie durch das Land zu verbreiten.
Der Dialekt des jungen Mannes war so unverfälscht, der Schmuggelhandel und Tochtgang eine so häufig vorkommende Sache, daß der Franzose keineswegs Verdacht schöpfte und jedes Mißtrauen des Häuptlings beseitigte.
Während dieses Gesprächs war auch Rivers nicht müßig gewesen und hatte sich in ein solches mit den drei oder vier Booren eingelassen, die in der Versammlung der Wilden anwesend waren, und sich ohne weiteres jetzt zu ihm drängten, um das willkommene »Gut«, den Branntwein, zu probieren. Das Holländisch, welches Rivers sprach, genügte vollkommen, sie zu überzeugen, daß er, wenn ihnen auch persönlich unbekannt, ein echter Tochtgänger sei, denn selten versteht ein Engländer die Sprache der unterdrückten Kolonisten. Er gab, um sich das Vertrauen zu sichern, eine Menge teils wahrer, teils falscher Nachrichten von der Stellung der englischen Streitmacht jenseits des Kai und hörte dafür von den arglosen Booren, daß sie die Abgesandten der in der Boomplaatsschlacht zerstreuten Kolonisten und der Ansiedler im Viktoria-Lande (Port Natal) seien, die sich mit den Kafferstämmen in dem drohenden Kriege diesmal gegen ihre englischen Unterdrücker zu verbinden gewillt wären.
Diese verschiedenen Umstände hatten den Verdacht der Kaffern ganz beseitigt, und es hatte sich bereits ein lebhafter Handel entsponnen, während dessen Sandili und der französische Agent bemüht waren, noch Nachrichten über die feindliche Stellung einzuziehen.
Der Fingoe besorgte unterdessen den Handel mit den Kaffern. Der Kapitän hatte an die einzelnen Häuptlinge und deren Weiber einige kleine Geschenke von Tabak, Ringen und Glasperlen verteilt, wobei es ihm gelungen war, mit einem bedeutsamen Blick dem Medizinmann ein Päckchen mit Gold in die Hand zu drücken; Edward aber hatte zwei schöne Schnuren von Bernsteinperlen genommen und diese der alten Königin und deren Enkelin übergeben. Die Augen begegneten sich dabei, und er glaubte in den ihrigen das Versprechen des Schweigens mit der Mahnung zur Vorsicht zu lesen.
Der Name »Tzatzoe!« und »Oom Pretorius!« lief durch die Menge; der Kreis, der sich um die Händler gebildet, gab Raum, und hindurch auf die Hauptgruppe zu schritt der Häuptling der westlichen Gaikastämme, dem wir zu Anfang unseres Kapitels an der Furt des Kai begegnet sind, mit dem Anführer der aufständischen Booren.
Sandili bewillkommnete mit großer Freude die Angekommenen, denn auf sie hatte man gewartet, um die Beratungen zu beginnen.
»Wenn es der Incosi Iculu aller Gaikas gestattet,« sagte Tzatzoe in der Sprache seines Volkes, »möchte ich diese beiden Männer noch um einiges fragen, bevor sie ihr Wigwam suchen für die Nacht, die unserer großen Mutter geheiligt ist. Tzatzoe ist gewohnt, den weißen Gesichtern nicht zu trauen, wenn er sie nicht viele Sommer kennt.«
»Tzatzoe ist ein großer Häuptling,« erwiderte Sandili, »aber wir haben diese Männer geprüft und nichts Verdächtiges an ihnen gefunden.«
»Vielleicht vermögen sie uns eine Nachricht zu bringen von Macomo,« beharrte der Häuptling. »Erlaubt mein Bruder, sie danach zu fragen?«
Der Oberhäuptling nickte ungeduldig Gewährung, denn es drängte ihn, zu dem wichtigen Geschäft des Abends zu kommen.
Rivers hatte mit Ungeduld und Besorgnis die neue Gefahr gesehen, und man mußte ihr kühn die Stirn bieten. Dabei aber gefiel ihm weder das Aussehen des Häuptlings, noch des Boors, und seine Besorgnis wurde noch gesteigert, als er sich niederbückte, um ein Paket zusammenzubinden und der Fingoe ihm dabei ins Ohr flüsterte: »Hüte dich und eile zu den Pferden!« Im nächsten Augenblick bemerkte er, daß der schwarze Führer durch eine geschickte Bewegung von seiner Seite glitt und in dem Gedränge verschwand.
Er hatte weder Zeit noch Gelegenheit, dem Leutnant einen Wink zu geben und versicherte sich nur durch einen raschen Griff, daß der Revolver unter seinem Jagdhemd handgerecht lag.
»Haben die Smause der weißen Männer gehört, wie es einem Häuptling meines Volkes, Namens Macomo, geht, der bei ihren Brüdern in der festen Stadt am Keiskamma wohnt, und bringen sie uns vielleicht Botschaft von ihm?«
Rivers schüttelte den Kopf. »Wir haben Fort Cox schon vor zehn Tagen verlassen,« sagte er in holländischer Sprache. »Damals trieb sich allerdings ein trunkener Kaffer dort umher, der sich Macomo nannte, aber wir kennen ihn nicht weiter.«
»So hab' ich kürzere Botschaft,« sagte der Häuptling mit einem scharfen Blick. »Macomo hat uns dies gesandt, und der Bote verließ das Fort der weißen Männer vor zwei Nächten.« – Er reichte an Sandili die Haut mit den Hieroglyphen. »Ich höre, die Smause haben ihre Wagen auf dem Wege hierher zurückgelassen,« wandte er sich dann in französischer Sprache an Delafosse. »Will mein junger Bruder mir sagen, wo er ihre Spur verloren hat?«
»Am Bolofluß beim Übergang über den Kai,« sagte der junge Mann rasch.
»Die Smause wird sich irren, oder ihr Gedächtnis ist zu kurz,« bemerkte mit spöttischem Lächeln der Kaffer. »Tzatzoe und der Vater der Booren sind an den Ufern des Bolo und des Knebia umhergestreift seit vier Sonnen, doch sie haben keinen Tochtwagen gesehen. Aber sie haben die Spuren zweier weißer Hunde gefunden und eines braunen, die nach dem Lager der Gaikas gingen, um die Dienste des Schakal zu verrichten, der nach der Beute des Löwen späht. Die Smause hebe ihr Angesicht in die Höhe und sage mir, ob sie jenen Fremdling kennt?«
Seine ausgestreckte Hand zeigte nach einer Stelle, von der Pretorius, der Boor, zurückgetreten war. Der Blick des Kapitäns wandte sich dahin, und sein Auge erkannte den Todfeind.
Mit der Schnelle des Gedankens hatte er den Revolver aus der Bluse gerissen, und der Schuß krachte nach dem jungen Holländer hin. Aber eine rasche Bewegung, die dieser gemacht, um sich auf den Feind zu werfen, rettete ihn, und die Kugel schlug in die unbeschützte Brust eines grimmigen Kaffernkriegers.
Die unerwartete Entwicklung war so plötzlich gekommen, daß Rivers wirklich den dichten Kreis der Kaffern hinter sich durchbrach, ehe diese noch zur Besinnung gekommen waren. Dennoch wäre er gewiß nicht dem raschen Zuspringen des Kaffernhäuptlings und der Verfolgung des jungen Holländers entgangen, wenn Delafosse nicht mit edelmütiger Preisgebung des eigenen Lebens seine Flucht gedeckt und sich Tzatzoe entgegengeworfen hätte, den Wurf seines Assagai zur Seite lenkend. Im nächsten Augenblick war er zu Boden gerissen, und über ihn hinweg stürmten die rasenden Häuptlinge und Krieger dem Flüchtigen nach.
Dieser hatte jedoch schon den Fuß des Hügels erreicht, wo er zwei dunkle große Gestalten im Schein der Feuer halten sah. Es war Congo, der Fingoe, der die beiden Pferde rasch hierher geleitet hatte und bereits auf einem saß. Der Kapitän legte die Hände auf den Hinterteil des Rosses und sprang mit einem Satz auf den Rücken desselben, und im nächsten Augenblick sprengten die beiden Rosse in rasendem Lauf über die Hochebene mitten durch die Feuer des Kraals hindurch.
Der Tumult war schrecklich. Zahllose Pfeil- und Flintenschüsse folgten alsbald den Flüchtigen, aber Entfernung und Dunkelheit schützten sie bereits. Wild rannte alles durcheinander, und eine Zahl von etwa zwölf Kriegern mit Tzatzoe und Pieter Pretorius folgten den Fliehenden.
Während der ersten Verwirrung hatte sich niemand um den zweiten Engländer gekümmert, der halb betäubt dalag und erst wieder zum vollen Bewußtsein seiner Lage kam, als Gulma auf einen Wink des Medizinmann ihn ergriff und zu den Füßen ihrer Großmutter schleppte, so daß seine Hand deren Mantel berühren konnte. Dies rettete ihn vom augenblicklichen Tode; denn nach der Sitte der Stämme kann ein Verbrecher, dem es gelungen, die Person der Königin oder »großen Frau« zu berühren, nur auf den Beschluß der Amapahati getötet werden.
Mitten zwischen den wütenden Lärm und diesen weithin übertönend dröhnte der majestätische Klang eines riesigen Tamtam in drei langverhallenden Schlägen. Gleich als übe der mächtige Klang eine Zauberwirkung aus, so folgte plötzlich eine allgemeine Stille und Bewegungslosigkeit dem Ton; und dann erklang eine gewaltige Stimme von der Spitze des Hügels her in dem Ruf: »Runlho! Runlho!«
Das ganze Volk hatte sich auf den Boden geworfen und stimmte einen Gesang an zu Ehren Atalmas, der Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit. Dann sammelten sich die jungen unverheirateten Männer und die Mädchen und stellten sich getrennt voneinander zum Zuge nach dem Beratungshügel auf. Die Mitglieder des Amapahati mit den Häuptlingen stellten sich zur rechten Seite der alten Königin, die andere blieb frei. Noch immer, von den Kriegern mit finsteren Blicken bewacht, stand Edward Delafosse, sein Schicksal erwartend, in der Nähe der alten Frau.
Jetzt nahte unter den Klängen unsichtbarer Tamtamschläger der Zug der Mädchen dem Ort, Gulma an ihrer Spitze, und stellte sich auf der anderen Seite der Königin auf, zunächst, mit der weißen Schürze geschmückt, die Jungfrauen, die zum erstenmal zum Opfer des Runlho bestimmt waren.
Auf ein Zeichen des Tsanuse, des Medizinmannes, begann der langsame Zug der jungen Männer. So wie sie einzeln an dem Sitz der alten Königin vorbeigingen, beugten sie sich, und eines der weißgeschürzten Mädchen trat hervor und gab dem Manne ihrer Wahl den Granatenzweig aus ihren Haaren, worauf dieser sie hinwegführte. Die Jungfrauen des Stammes, die zum erstenmal das Runlho feiern, genießen das Recht, den Gefährten zu wählen.
Jüngling auf Jüngling zog vorüber, aber noch immer nicht hatte sich Gulma, die Tochter des Oberhäuptlings, von ihrem Platz gerührt.
Ein allgemeines Schweigen herrschte in dem Kreise, abseits standen noch mehrere der jungen Männer, die übrig geblieben waren, darunter die Gebrüder Kona und Namba, als sich Sandili jetzt mit strenger Miene an seine Tochter wandte.
»Es ist ungewöhnlich und gegen das Gesetz Atalmas,« sagte er, »daß eine Jungfrau bei dem Runlho zurückbleibt, ohne den Mann zu wählen, um die Pflicht gegen ihr Volk zu erfüllen.«
Sie hob langsam das Haupt und nahm die Granatblüte aus ihrem Haar. »Befiehlt der Häuptling, mein Vater, daß ich wähle nach meinem Willen?« fragte sie mit leiser Stimme.
»Ich befehle es!« rief ungeduldig Sandili. »Das Kind meines Blutes darf die Sitten seines Volkes nicht gering achten.«
Das Mädchen trat verlegen einen Schritt vor, dann blieb sie vor dem jungen Engländer stehen, reichte ihm den Granatenzweig und kreuzte die Arme über ihre Brust zum Zeichen des Gehorsams.
»Hat meine Tochter das Licht des Geistes verloren,« schrie der stolze Oberhäuptling, »oder wagt sie es, ihr Volk zu verhöhnen, daß sie seinen Feind wählt?«
Er wollte sie fortreißen, aber das Mädchen klammerte sich an die alte Königin an. »Schütze mich, Mutter, um der Liebe Utikas willen, schütze das Recht Gulmas!«
Die alte Frau richtete sich halb empor und streckte die Hand aus. »Wer wagt es, den Frieden des Runlho zu stören, nachdem das Gesicht Atalmas über die Berge emporgestiegen ist? Möge mein Kind ihn zu ihrer Hütte nehmen und ihn morgen, wenn die Sonne aus dem großen Salzsee steigt, hierher zurückführen, daß ihm geschehe, wie der Amapahati mit ihm beschlossen haben wird. Utika, der Schöne, segne deinen Schoß in dieser Nacht!«
Keiner der Häuptlinge und Krieger hätte es nach dieser Entscheidung gewagt, hindernd dazwischen zu treten.
An der Hand des jetzt in Verwirrung und Scham zitternden Mädchens schritt Edward willenlos immer weiter hinein in die vom Mondstrahl mit seinem bleichen, alle Farben aufsaugenden Licht überzogene Fläche.
Auf dem Wege kamen sie an einer Menge von Hütten oder Lauben vorüber, die aus Zweigen und Ästen flüchtig erbaut und über die ganze Ebene zerstreut, unter ihrer dichten Blätterhülle ein süßes Geheimnis zu verbergen schienen.
Leises, zärtliches Flüstern – süßes, schwellendes Seufzen aus wild erregter Brust: – im Nachthauch, der aus den Schluchten des Gebirges strich, erstarben die leisen, leidenschaftlichen Laute.
Sie stand still; eine Laubhütte, von Ästen und Zweigen des Orangenbaumes gebildet, war vor ihnen und zeigte ihre dunkle Öffnung.
Die junge Wilde hatte das Haupt gesenkt, sie wagte nicht, den Blick emporzuschlagen. »Wir sind zur Stelle, Herr,« flüsterten die roten Lippen. »Verzeihe, aber es war das einzige Mittel, dich zu retten, der so freundlich und gütig zu dem armen Kaffernmädchen sprach, als sie auf das Geheiß ihres Vaters mit den Frauen ihres Volkes im Lager der weißen Krieger war. Utika streckt die Hand über alle guten Menschen. Meint der junge Krieger der Abalungos, daß Gulma ihn hierher geführt hätte, wenn sie nicht wenigstens versuchen wollte, ihn zu retten vor schlimmem Tode? – Aber Atalma mit seinem bleichen Gesicht steht hoch am Himmelsdom und wirft seinen verräterischen Strahl über die Wigwams der Gaikas, und ihr Auge ist scharf, ihr Ohr wachsam für die Tritte des Feindes. Erst wenn das bleiche Gesicht hinter der Spitze des Pavian-Berges steht und seine Schatten über die Ebene wirft, wird Gulma versuchen, ob sie einen Pfad frei findet für ihren weißen Freund.«
»Und bis dahin...«
»Muß der junge Krieger sich gedulden und den Platz einnehmen in dieser Hütte, damit die Leute meines Stammes denken, daß er sich ihrer Sitte gefügt und kein spähendes Auge ihn entdeckt und bewacht.«
Höher und höher stieg das bleiche Gesicht Atalmas am glänzenden Nachthimmel – eine Stunde war verronnen – durch die Blätter der Kork-Eiche, in den Zweigen und Blumen der Laubhütte rauschte der Wind des Gebirges und flüsterte seltsame Fragen und Melodien – drüben am Kraal erloschen die Feuer der Kaffern.
In das Flüstern des Nachtwindes, in das Rauschen der Blätter und den leisen, klagenden Ton des Spottvogels mischte sich ein anderer Laut – leise – schmerzlich verhalten, mühsam unterdrückt. – –
»Gulma – du weinst?«
Da brach es wie ein gewaltiger Strom, der im mächtigen Drang die Dämme überflutet und alle Ordnung des gewohnten Zwanges hinwegreißt, aus den dunklen Augen des dunklen Kaffernmädchens in vollen, heißen Tränen, und der jugendliche Marmorbusen hob sich wie stürmische See in schmerzlichem Stöhnen eines tiefverwundeten Herzens.
»Gulma!«
Seine ausgestreckte Hand traf die Locken des Mädchens, ihre Wange, ihren Mund, und wurde von ihr stürmisch an diesen gedrückt und geküßt. Dann glitt sie fieberzitternd weiter über weiche, reizende Formen und umschlang das weinende Mädchen und zog sie näher und näher, und die heißen Tränen des Schmerzes wurden süße, selige Ströme und das Schmerzensstöhnen des Busens zum Klagelaut des Entzückens! – –
Runlho! – Runlho!
Mitternacht war vorüber, als eine dunkle, schlanke Gestalt aus dem Schutz der mächtigen Korkeichen glitt und gleich dem flüchtigen Windhauch über die Ebene dahineilte.
Plötzlich aber stockte ihr Fuß, denn vor ihr erhob sich wie aus dem Boden gestiegen ein anderer dunkler Schatten.
Das Mädchen – denn Gulma war die Eilende – erschrak; im nächsten Augenblick aber erkannte sie auch die Gestalt: es war der Tsanuse – gerade der Mann, den sie suchte.
»Wohin eilt die Tochter des Häuptlings,« fragte der Zauberer, »in der Nacht, da sie an der Seite dessen weilen darf, den sie liebt?«
»Eben weil ich ihn liebe,« sagte das Mädchen entschlossen, »suchte ich dich auf. Höre mich an,« sagte das junge Weib, »ich weiß, du liebst das Gold über alles, und mein scharfes Auge hat heute abend einen Umstand bemerkt, der, wenn ich ihn morgen dem Rat der Häuptlinge erzähle, dich verderben muß. Ich sah, wie du heimlich etwas nahmst, das dir der entflohene Inglishman zusteckte. Rette seinen Gefährten, den Jüngling, der an meinem Herzen gelegen, und du sollst die Spangen haben, die meinen Arm und Fuß einschließen.«
»Laß mich mit dem Inglishman selber sprechen,« erwiderte klug der Zauberer. »Mein Ohr ist offen, und deine Worte sind nicht vergeblich hineingefallen. Führe ihn vorsichtig an den Stamm jenes Baumes, wo uns niemand belauschen kann.«
Gulma entfernte sich so eilig, als sie gekommen war, und bald darauf brachte sie mit gleicher Vorsicht Edward Delafosse herbei.
»Meine Tochter möge aufpassen, daß uns kein Späher belausche,« sagte der Tsanuse, welcher nicht wünschte, daß das Mädchen von seiner geheimen Verbindung mit den Engländern Kenntnis erhielte. »Hat der junge Krieger von dem roten Golde der Inglishmen bei sich, was er an seine Befreiung setzen kann?« fragte er.
»Ich habe zwanzig Guineen bei mir,« erwiderte der junge Mann, »und bin bereit, sie dir zu geben, wenn du mich aus dieser verdammten Lage befreien willst, Mann. Vermagst du mir Nachricht zu geben, ob meine entflohenen Gefährten glücklich entkommen sind?«
»Man hat sie bis zu der Affenschlucht verfolgt, wo die Ebene des Kraals endet, und die Tollkühnen sind mit ihren Rossen da hinuntergejagt, wo selbst der kühne Jäger des Springbocks beim Lichte des Tages nur mit Gefahr einen Weg zum Niedersteigen findet. Man sah sie am Rand verschwinden, und ihre Leiber müssen zerschmettert in der Tiefe liegen. Wenn das große Gestirn des Tages emporgestiegen, wird eine Schar ausziehen, die Toten zu suchen. Der junge Abalungo muß bis dahin fern sein von dieser Stelle.«
»Aber wie soll ich entkommen?«
»Mein Sohn öffne seine Ohren, ehe wir das Mädchen zurückrufen, das sein Lager geteilt hat. Sie liebt meinen Sohn und wird uns helfen. Wenn der junge Krieger zu den Seinen kommt, möge er dem großen Führer berichten, daß der Amapahati aller südlichen Kaffernstämme einen großen Krieg beschlossen hat. Auch die Zulus und die Dütchmen werden in Haufen herbeiziehen, und sie werden die Dickichte des Kai verteidigen mit ihren Leibern. Sandili ist ein großer Häuptling, und seinem Ruf folgen zehntausend Krieger. Der Sohn des großen Königs, den die Inglishmen getötet haben auf dem Eiland im Meer, in das die Sonne am Abend sinkt, hat den Kaffern seine Hilfe zugesagt. Sein Bote ist unter ihnen, und viel Pulver und Flinten lagern verborgen am Strande des Meeres. In der vierten Nacht von heute wird Sandili mit seinen Kriegern über den Kabusi gehen und die festen Städte der Inglishmen am Büffelgebirge angreifen.«
Der Offizier hatte aufmerksam den in gebrochenem Englisch ihm gegebenen Mitteilungen zugehört. »Das sind wichtige Nachrichten,« sagte er, »indes wie soll ich sie dem General überbringen?«
Der Tsanuse rief leise das Mädchen, das sogleich herbeikam.
»Die sämtlichen Ausgänge der Ebene sind von deinem Vater mit Wachen besetzt,« berichtete er. »Der Tsanuse hat jedoch ein Mittel, ungesehen den jungen Krieger an den Fuß der Felsen zu bringen. Aber dieser ist ein Kind in der Wildnis. Wie soll er zu seinen Landsleuten kommen, ohne daß ihn am Morgen unsere jungen Männer fangen?«
»Ich werde ihn geleiten,« sagte einfach das Mädchen.
»Bedenkt aber meine Tochter, welcher Gefahr sie sich aussetzt, wenn am Morgen der Oberhäuptling sie nicht findet?«
»Ich werde da sein, wenn die Nacht wiederum auf den Kral der Gaikas sinkt. Der weise Mann möge mir dann ein Mittel gewähren, in den Schutz der Königin zu gelangen. Gulma kann für den Mann sterben, dessen Weib sie geworden.«
»So höre mich an, Kind, aber gelobe mir zuvor, wenn du zurückkehrst, keinem zu sagen, was du gesehen.«
»Ich schwöre es bei Utika, dem Schönen.«
»Du kennst meinen Wigwam an der Wand des Paviansberges. Du mußt den Abalungo heimlich dahin bringen, indes ich Namba, der am Fuß des Berges Wache hält, beschäftige. Meine Tochter möge dreist durch den Wigwam schreiten und an seinem Ende die Büffelhaut heben, die sie dort finden wird.«
Nach wenigen Fragen noch über die Richtung, welche sie in die Höhle, von deren Dasein sie das erste Mal hörte, zu nehmen habe, erklärte sich das Mädchen bereit zu dem gefährlichen Wege.
Delafosse hielt noch einen Augenblick den Zauberer an. »Ich bin nur ungenügend bewaffnet. Wenn wir verfolgt werden, vermag ich mich nur schlecht zu verteidigen.«
»Der junge Krieger,« sagte der Betrüger leise, »möge mir sein Gold geben. Wenn er auf die andere Seite dieser Eiche tritt, wird er an ihrem Stamme seine Flinte finden. Das Pulverhorn trägt er noch an seinem Gürtel.«
Damit machte er sich eilig in der angedeuteten Richtung davon.
Der junge Offizier fand, wie es ihm der Tsanuse versprochen, das von diesem bei Seite gebrachte Gewehr hinter dem Stamme. Das Kaffernmädchen ergriff die Hand des jungen Mannes und schlug mit ihm vorsichtig die Richtung nach dem Paviansberge ein. Als sie im Schutz der Felsen und in gebückter Stellung näher schlichen, hörten sie die Stimme ihres Verbündeten, der mit Namba und zwei älteren Kriegern der Gaikas sprach.
Das Mädchen voran, begannen sie die Bergklippe zu erklimmen, welche den Wigwam des Zauberers etwa 100 Fuß hoch über der Ebene trug. Nach einem mühsamen und gefährlichen halbstündigen Klettern erreichten sie endlich die Felsenplatte, auf welcher der Wigwam des Tsanuse stand.
Nachdem beide durch den Eingang, der, wie bei allen Wigwams der Kaffern, zum Schutz gegen den Besuch wilder Tiere sehr niedrig war, hineingekrochen waren, diesmal der Engländer voran, machte er mit einem Feuerzeug, das er in seiner Jagdtasche bei sich trug, Licht und zündete ein kleines Stück Kerze an, das ihnen hinreichend die Umgebung erhellte.
Das Innere des Wigwams bot übrigens einen seltsamen und auf ein dem Aberglauben offenes Gemüt wirkenden Anblick dar. Ringsumher an der Wand waren gebleichte Tierschädel befestigt, zwischen dem riesigen Kopf des Elefanten und Rhinozeros mit den langen Stoßhörnern die Schädel von Antilopen, Alligators, Springböcken, wilden Hunden, Panthern und Löwen. Dazu hingen von der Decke große getrocknete Schlangenhäute und Eidechsen mit Bündeln von Straußenfedern und allerlei Kräutern der Wüste.
Beide sahen sich nach dem geheimen Ausgang um und fanden ihn nach kurzem Suchen. Hinter einer großen Löwenhaut trafen sie einen, wohl mannshohen, ziemlich engen Felsenspalt, der sich aber, als sie hineinleuchteten, in kurzer Entfernung schon breiter erwies und in sanfter Abdachung tief in das Innere des Berges zu führen schien. Nachdem sie sich mit mehreren der Kienspäne, die am Eingang der Höhle aufgehäuft waren, versehen und einen derselben angezündet hatten, traten sie ihren Weg eilig an, denn sie wußten, daß die Schwierigkeit der Flucht mit jedem Augenblick wuchs. Die Wölbung wurde schon nach fünfzig Schritten so hoch und geräumig, daß das Licht ihrer Fackel deren Umfang nicht mehr erleuchtete: die Fußspuren in dem weichen Sande des Bodens zeigten ihnen die Richtung, die sie zu verfolgen hatten. Sie hatten den dritten Span in Brand gesetzt, als sie den frischen Hauch der Nachtluft sich entgegenwehen fühlten und, nachdem sie um eine Wendung der Höhle geschritten waren, durch eine Öffnung zwischen Gesträuch und langen Kaktusgewinden den hellen Strahl des Mondes leuchten sahen. Sie begriffen sogleich, daß sie auf der Südseite des Berges und außerhalb des Plateaus des Gaika-Krals standen.
Vorsichtig schritten sie, nachdem die Fackel ausgelöscht war, bis an den Rand des Ausganges und sahen hier zu ihrem neuen Schrecken den Felsen etwa 40 Fuß senkrecht abfallen. Bei Überlegung jedoch, daß der Tsanuse selbst hier irgend ein Hilfsmittel besitzen müsse, um diesen Ausgang benutzen zu können, und nach sorgfältigem Umhertasten fanden sie auch an einem Felsvorsprung im Innern befestigt ein langes Seil von Aloefasern, in das auf jede Armeslänge ein kurzer Stab von hartem Holze eingeknüpft war. Der Gebrauch lag nahe, und als sie es über den Rand der Felsenöffnung geworfen, überzeugten sie sich, daß es bis zum Ende der Felswand reichte, wo diese in eine schmale Regenschlucht auslief. Rasch stiegen sie hinab, das Mädchen zuerst, und folgten dann der Schlucht, die sie nach einem mühsamen Wege ins Tal führte. Hier machten sie einen Augenblick Halt, um sich auszuruhen.
»Durch des Himmels und deine Hilfe, Mädchen,« sagte der Offizier, »bin ich einem schrecklichen Tode von der Hand deiner Landsleute entgangen. Wo aber sollen wir uns nun hinwenden?«
»Kennt der junge Krieger die Station des weißen Vaters mit dem schwarzen Gewande, der von eurem Gotte erzählt, an den Ufern des Somo?«
»Du meinst das Haus des Missionars? Ich hörte davon.«
»Es ist der nächste Ort, wo der weiße Mann wohnt. Wenn der junge Krieger befiehlt, wird ihn Gulma dahingeleiten. Ehe die Sonne im Mittag steht, werden wir dort sein.«
»Wohlan, Mädchen – ich vertraue mich ganz deiner Leitung, und wenn du es willst, sollst du mich nicht wieder verlassen.«
Er hatte ihre Hand gefaßt, zog sie an sich und küßte sie auf die züchtig errötende Stirn, und dann setzte das junge Paar seinen Weg fort.
Der Mond war untergegangen und die erste Dämmerung begann eben das Tal, durch das sie schritten, zu lichten, als das Mädchen plötzlich den Arm ihres Begleiters faßte und, ihn festhaltend, nach einer Seitenöffnung des Grundes deutete, aus der zwei dunkle Gestalten emporstiegen.
Im Nu hatte Edward die Flinte an der Wange, aber auch die Fremden hatten ihn erblickt, und beide, mit Gewehren bewaffnet, richteten die tödliche Mündung auf sie.
»Tritt hinter mich, Mädchen,« sagte der junge Mann. »Sie sollen mich wenigstens nicht lebendig wieder fangen.« Er nahm fest den größten der Gegner aufs Korn und legte den Finger an den Drücker. Im nächsten Augenblick – – – – –