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Ein Brautritt in der Steppe.

Die Tungusenstämme, Fremdlinge, teilen sich in die Wald- oder Renntier-Tungusen und in die Steppen- oder Pferde-Tungusen – die einen wohnen im Norden des Gebirges, die anderen im Süden am Baikalsee und der Lena und besitzen große Herden von Pferden, Rindern und Schafen, die sie auf den weiten Steppen der chinesischen Grenze werden. Das Volk der Öwöenki war einst mächtig und groß, und zahlte seinen Tribut nur dem großen Kaiser im Reiche der Mitte. Das geschah, bis die Russen kamen und sagten: das Land ist unser! Von da ab mußte jeder Donk Donki, ein anderer Name der Tungusen. dem Oprawitel Distriktsamtmann. in der Tributhütte als Deleur Tribut. zwei Zobel steuern.

Als ich ins Land kam, – ich werde Ihnen später erzählen, wie es geschah – war das Gebiet jenseits der Schilka noch nicht in den Händen der Russen, und sie durften ohne Erlaubnis der Langzöpfe auch nicht den Amur hinabfahren; denn überall waren chinesische Wachhäuser und wer die Grenzrechte brach, dem wurde auf derselben Stelle der Leib geschlitzt.

Zur Zeit aber, als Scheminga noch jung war, kümmerte sich niemand um die Grenze und die Tagauns zogen weit umher auf den Steppen am Amur, so weit die Kraft ihres Bogens und der Huf ihrer Rosse reichte.

Damals lebte am Argun Urkundu, der Vater Schemingas, der Tojon des Geschlechts der Dulegat, und war ein gefürchteter Häuptling. Doch der Name seines Sohnes Scheminga war es noch mehr. Sein Luk Pfeil. traf den Vogel im Flug, und seine Gidda Jagdspieß. durchbohrte die Brust des Bären in den Erzgebirgen von Nertschinsk. Er ritt den wildesten Hengst der Steppe und liebte es, auf dem Gebiet der Manshus zu jagen und den Falken mit ihnen steigen zu lassen von seiner Faust, oder den Omul Lachse, salmo gregarius. zu fangen, wenn er aus dem Baikal in die Flüsse steigt.

Jenseits des Argun wohnte damals als der reichste der Manshufürsten Tolga. Er besaß mehr als 3000 Pferde, 10 000 Rinder und Schafe und viele Kamele. Sein bestes Gut aber war Tungilbi, seine Tochter. Sie ritt wie ein Mann, warf den Speer wie ein Krieger und war schön wie Ilkun, der Blumenmonat. Tolga-Khan war sehr stolz auf die Tochter und hatte sie selbst den Gesandten des Kaisers der Mitte verweigert, der von ihrer Schönheit gehört.

Scheminga war ein Gastfreund in dem Lager des Khans, während dessen Herden auf den Sommerweiden trieben, und ritt häufig mit ihm auf die Jagd. Aber der Magnet, der ihn anzog, waren nicht die Rosse und die Falken Tolgas, sondern die schwarzen Augen seiner Tochter Tungilbi. Diese Augen hatten sich nicht vergeblich auf den jungen Tojon gerichtet, er gefiel auch ihnen wohl, und bald waren beide ein Liebespaar.

Aber ein großes Hindernis stellte sich der Erfüllung der Wünsche der Liebenden entgegen. Der Vater des Mädchens war, wie erwähnt, reich, der Vater Schemingas, wenn auch der mächtigste Häuptling seines Stammes, doch bei weitem nicht so begütert, und sein Besitz beschränkte sich hauptsächlich auf einige Pferdeherden. Es war vorauszusehen, daß der Khan einen sehr hohen Schurun Schurun heißt der Brautpreis. Wie bei vielen andern unzivilisierten Nationen werden die Töchter der Familie nur gegen Erlegung einer Brautgabe dem Bewerber überlassen. Bei den Nomadenvölkern Asiens bildet dieser nach der Schönheit und dem Range des Mädchens sich richtende oft sehr hohe Preis aber weniger eine den Eltern zufallende Kaufsumme, als die bei ihnen verwahrte Sicherung für die Braut, wenn es dem Ehemann etwa einfallen sollte, – was auch mitunter geschieht, – sie nach kürzerer oder längerer Zeit zurückzuschicken. Die mongolischen Schönen stehen sich also eigentlich nicht so schlecht und jedenfalls sicherer, als die europäischen! – Der vierte Teil des Schurun bildet gewöhnlich das Ischi (Tungusisch die Mitgift) der Braut. fordern würde, den der ganze Stamm der Dulegat nicht zu erschwingen vermöchte.

Die Tungusen – überhaupt die Nomadenvölker des Ostens – zählen das Jahr doppelt; sie teilen es in das Sommer- und Winterjahr, die zusammen dreizehn Legas oder Mondläufe haben. Es war im Blumenmonat, als der junge Tojon Melilbi seine Stute sattelte und mit sechs seiner Gefährten wieder einmal den Weg durch die Manshu-Steppe antrat, um das Lager des Khans aufzusuchen. Denn da dieser keinen festen Wohnsitz hatte, sondern mit seinen Herden umherzog, und selbst sein nächster Standplatz fünf bis sechs Tageritte von den Jurten des Tungusenhäuptlings entfernt lag, brauchte es Zeit, um ihn auf die kargen Nachrichten einiger Hirten hin zu finden. Scheminga hatte seine geheimen Absichten bei diesem Besuch und deshalb die kühnsten und tapfersten seiner Gefährten ausgesucht. Jeder von ihnen führte ein lediges Pferd an der Hand, um durch ihren Wechsel den Ritt so rasch wie möglich fortzusetzen; denn die Gegenden, durch die ihr Weg führte, waren der Aufenthalt der Grenzräuber, der entflohenen russischen Katorgis und der chinesischen Verbannten, die in ganzen Banden, oft von mehr als hundert Mann, umherziehen, die Karawanen plündern und die Nomadenlager überfallen, um zu rauben und zu plündern. Die Spur der Wanderer wird von ihnen tagelang verfolgt, um zuletzt die Pferde als Beute zu erhalten und die Menschen als Sklaven verkaufen zu können.

Der erste Tageritt brachte die Reiter bis an das Ufer des Argun. Hier nahm man Nachtlager, denn am Morgen mußte der breite und tiefe Strom durchschwommen werden. Die Reiter zogen deshalb ihre Kleider aus, banden sie zu einem Bündel zusammen und befestigten es auf ihrem Kopf. So schwammen sie ohne Unfall hinüber, passierten den breiten Streifen Buschdickicht, das den Argun einsäumt, und ritten frischen Mutes den Bergen zu.

Am Nachmittag kamen sie an eine Bergschlucht, in der frische Pferdespuren sichtbar waren.

Die Tungusen sind nach den Rothäuten Nordamerikas die besten Spurfinder der Welt. Sie erkennen und verfolgen die Spuren des Wildes am niedergedrückten Moos und Gras oder an Zeichen auf bloßer Erde, wo kein anderes Auge das geringste unterscheiden würde. Die leicht erkennbaren Abdrücke der Pferdehufe waren ihnen also eine sehr verständliche Sprache, daß Feinde sich in der Nähe befanden. In der Tat sah man auch weiter hin in der Schlucht Rauch aufsteigen. Es ward daher Halt gemacht, zwei Mann saßen ab und schlichen unter dem Schutz der Felsklippen bis zu einem vorstehenden Block, von dem aus sie einen unbemerkten Blick ins Tal hatten. Es war eine grasreiche, mit frischem Wasser und Brennholz versehene Stelle, die Scheminga zu ihrem eigenen Nachtlager ausersehen hatte. Aber andere waren ihnen zuvor gekommen, denn die Späher entdeckten dort einen Trupp von mehr als hundert Männern, alle gut bewaffnet. Die einen saßen vor den errichteten Jurten, die andern beschäftigten sich mit den Pferden, noch andere bereiteten Speisen an den Feuern. Es war kein Zweifel, daß man hier auf eine Bande stieß, die eben auf einem Raubzug begriffen war. Während die Kundschafter noch lauschten, sahen sie zwei Reiter in das Lager einsprengen und bei ihrer Ankunft den ganzen Trupp in Aufregung geraten. Die Angekommenen deuteten unverkennbar nach dem Versteck der Fremden – es war sicher, daß man sie auf dem Wege entdeckt hatte und Jagd auf sie machen werde. In möglichster Eile ritten die Tungusen daher auf ihrem Weg ein Stück wieder rückwärts und bogen dann nach einem Seitental ein, das sie in die höheren Teile des Gebirges brachte. So lange es das Tageslicht irgend gestattete, ritt man scharf vorwärts und wechselte häufig die Pferde. Erst bei völliger Dunkelheit ward Halt zum Nachtlager gemacht, in einer geschützten Schlucht Feuer angezündet und abwechselnd Wache gehalten, nicht bloß wegen der Räuber, sondern auch wegen der Tiger, die nicht selten bis hierher streifen. Die Nacht ging jedoch ohne Störung vorüber, mit dem Grauen des frühesten Morgens waren die sieben Genossen wieder im Sattel und zogen eilig weiter. Sie fürchteten, die Räuber möchten ihre Anwesenheit durch Boten der benachbarten Gegend mitgeteilt haben und diese auf allen Seiten ihnen den Weg verlegen. Der ganze Tagesritt ward glücklich zurückgelegt und abends das Nachtlager wieder durch Wachen gesichert. Aber mitten in der Nacht wurden die Pferde unruhig, ihr Schnauben ließ mit Bestimmtheit schließen, daß andere Pferde in der Nähe waren. Am Morgen bei der Weiterreise fand man auch am nächsten Felspaß Spuren von Pferdehufen und sah deutlich, daß hier während der Nacht zwei Rosse angebunden gewesen, deren Reiter bis in die Nähe des Lagers geschlichen sein mußten. Sie waren also aufs neue entdeckt.

Scheminga traf demnach seine Vorsichtsmaßregeln. Er ließ einen seiner Gefährten voran traben und folgte vorsichtig nach, während ein anderer Mann die sämtlichen ledigen Pferde leitete. Schon bei der nächsten Wendung der Schlucht gab der Vorposten durch Zeichen kund, daß Feinde in der Nähe wären. Der junge Tojon sprengte hinzu und sah, daß eine kleine Strecke entfernt vier bewaffnete Reiter hielten und den Weg verlegten, während aus einer Seitenschlucht zahlreiche Bewaffnete herabkamen und ihr wildes Kriegsgeschrei anstimmten. Hier galt es raschen Entschluß. Scheminga rief den Seinen zu, sich wacker zu halten, schwang seine kurze Streitaxt, die die östlichen Nomaden von den Kirgisen angenommen, und sprengte gegen den vordersten der Feinde an. Ein gewaltiger Hieb der Axt spaltete den Schädel des Manshu, so daß das Eisen noch in das Genick der Stute drang, die sich mit ihrem toten Reiter überschlug. Zwei andere der Räuber verloren unter den Speerstößen der Gefährten des tapfern Tungusen ihr Leben, der vierte entkam mit genauer Not in die Seitenschlucht. Scheminga hatte mit seinen Leuten freie Bahn; die Räuberschar folgte ihnen zwar schreiend und drohend mehrere Stunden lang, aber bald merkten sie, daß die Pferde der Fremden schnellfüßiger und ausdauernder waren, als die ihren, und sie ließen von der weiteren Verfolgung ab.

Am sechsten Abend fand der Tojon das Lager seiner Geliebten auf. Er wurde wie immer freundlich von dem Khan empfangen und zum Verweilen mit seinen Gefährten eingeladen. Nichts gab ihm eine Veränderung kund, bis es ihm gelang, Tungilbi allein zu sprechen.

Da enthüllte sich ihm die Größe seines Unglücks und die Nähe der drohenden Gefahr.

Während des Winters, zur Zeit als der Khan mit seinen Herden nach den Ebenen gezogen, war ein junger Mongolenfürst in das Lager des Khans gekommen und hatte um Tungilbi geworben. Der Khan forderte einen hohen Schurun, aber der Mongole war der Herr unermeßlicher Herden und versprach, ihn zu zahlen. In wenig Tagen sollte er auf den Weideplätzen Tolgas eintreffen, den Schurun überliefern, und die Braut in Empfang nehmen.

Die Liebenden berieten lange, was zu tun sei, um das drohende Geschick abzuwenden. Tungilbi erklärte, daß sie bereit sei, sich von ihrem Geliebten entführen zu lassen, wozu dieser schon in der Heimat den Plan entworfen und seine Gefährten mit sich genommen hatte. Aber Schemingas Charakter widerstrebte es, die Gastfreundschaft zu brechen, so lange er sie genoß und der Khan ihm vertraute, und er beschloß trotz seiner Kenntnis der Sitten der Steppe, am andern Morgen vor ihn zu treten und seine älteren Rechte an Tungilbi geltend zu machen.

Am andern Morgen, als der Khan vor seiner Jurte saß, umgeben von seinen angesehensten Kriegern und Dienern, trat Scheminga, gefolgt von seinen Begleitern, zu ihm, setzte sich auf seine Einladung auf die Filzdecke an seiner Seite und rauchte mit ihm die Pfeife.

Erst nachdem dies geschehen, erhob sich der Älteste der Tungusen, machte das Zeichen der Begrüßung vor ihrem Gastherrn und sagte, auf seinen jungen Freund deutend:

»Der große Khan der Manshu öffne sein Auge und sein Ohr. Dies ist Scheminga Tojon, der Sohn Urkundus, aus dem Tagaun der Dunegat.«

»Ich sehe es!«

»Der Name seines Vaters ist berühmt durch das ganze Gebirge, er ist ein weiser und tapferer Mann, selbst die Moskows ehren und fürchten ihn und ihr General hat ihm eine Medaille von reinem Golde gegeben, damit er sie auf seiner Brust trägt.«

Der Khan begnügte sich, zur Anerkennung der Eigenschaften seines alten Bekannten mit dem Kopfe zu schütteln.

»Scheminga Tojon,« fuhr der Sprecher fort, »ist der Erbe seines Vaters. Er wird über die Dulegat gebieten, und das Volk nennt ihn den tapfersten Krieger zwischen dem Baikal und dem großen Meer. Er besitzt viele Pferde und Schafe, aber seine Jurte ist leer. Niemand bewillkommnet ihn, wenn er heimkehrt von der Jagd. Der Khan der Manshu hat eine Tochter. Sie kann das Lager eines Mannes teilen. Urkundu Tojon wirbt bei seinem Freunde um die schöne Tungilbi für seinen Sohn Scheminga.«

Der Khan schüttelte den Ärmel. »Du hast viel Staub aufgewühlt auf deinem Wege hierher! Aber du hast noch nicht von dem Schurun gesprochen, der für ein so seltenes Mädchen wie Tungilbi ist, geboten wird.«

»Der Tojon besitzt Pferde und Schafe. Sein Lager ist voll von den Fellen des Zobels und Hermelins und neben seinen Arans liegen Haufen von Erz. Der große Khan der Manshu möge den Schurun bestimmen.«

Der große Khan nahm sich gewaltig Zeit. Dann tat er seine Pfeife aus dem Mund und sprach: »Der junge Tojon der Dulegat hätte eher sprechen sollen. Meine Tochter ist nicht für alle, ich kann sie nur einem geben. Ich habe sie dem Sultan der Chalchas versprochen, er zahlt einen guten Schurun, tausend Pferde, tausend Rinder, fünftausend Schafe und tausend Kamele. Wenn der junge Tojon der Donki dasselbe gibt, soll er Tungilbi haben, denn ich liebe ihn, und er ist ein guter Jäger und Krieger!«

Der Ausspruch hatte eine sehr niederschlagende Wirkung, denn er war so gut wie völlige Abweisung. Jedermann wußte, daß, wenn es auch dem ganzen Stamm gelänge, die verlangten Pferde, Rinder und Schafe zusammen zu bringen, – eine Sache, die an und für sich sehr zweifelhaft war – doch von einer Beschaffung der Kamele nicht die Rede sein konnte, da diese nur die Nomaden der unteren Steppen besitzen.

Der Brautwerber Schemingas versuchte daher, hiergegen Einsprache zu erheben. »Der große Khan der Manshu hat zahlreiche Herden – er braucht sie nicht zu vermehren! Die Donki haben Pferde – sie werden ihm Zuchtstuten geben! auch Rinder und Schafe, wenn er es verlangt. Aber sie besitzen keine Kamele. Tolga ist ein weiser Häuptling, er möge andere Dinge an ihrer Stelle verlangen.«

Der Khan machte jedoch das Zeichen der Verneinung. »Die schwarze Krankheit hat im vorigen Winter meine Herden heimgesucht und fast alle meine Kamele sind ihr Opfer geworden. Ich muß Kamele haben. Oder ist die Tochter Tolga Khans nicht tausend Tiere mit Höckern wert? Um es kurz zu machen, Tungilbi ist dem jungen Fürsten der Chalchas zugesagt, der sich mit Freuden zu dem Schurun erboten. Er wird in drei Tagen mit den Herden eintreffen und Tungilbi in sein Lager holen!«

Bis hierher hatte Scheminga nach der Landessitte schweigend der Verhandlung beigewohnt. Als jedoch der Khan jetzt das Zeichen machte, daß die Unterredung zu Ende sei, erhob er sich.

»Mein Vater hat gesprochen,« sagte er. »Tungilbi ist tausendmal mehr wert, als tausend Kamele. Ich liebe sie. Wenn Scheminga Tojon in drei Tagen dem großen Khan der Manshu tausend Kamele als Schurun bringt, wird dieser ihm seine Tochter geben?«

»Ich werde es tun!«

»Es ist gut! Laßt uns zur Jagd auf die wilden Pferde aufbrechen!«

Es wurde kein Wort weiter gesprochen, die ganze Gesellschaft setzte sich zu Roß und galoppierte davon.

Die Jagd auf die wilden Pferde ist eine sehr mühevolle, denn die Tiere sind überaus scheu und haben eine sehr scharfe Witterung. Es ist selbst für den schlauesten Jäger ungemein schwer, sie zu überlisten, und lange und eifrig muß er spähen, bis er den Paß ermittelt, durch den sie vom Gebirge in die Ebene niedersteigen und wieder in die Berge zurückkehren. Wenn dies gelungen, warten die Jäger den Augenblick ab, wo die Tiere sich möglichst weit in die Ebene gewagt haben; ein Trupp sucht dann in ihrem Rücken zu dem Paß zu gelangen und verbirgt sich hier, während die anderen eine meilenweite Chaine im Halbkreis bilden, die sich nach und nach verengt und die Tiere nach dem Gebirge zu treibt. Dann, auf ein Zeichen des Anführers, brechen die Reiter gegen ihre Beute vor, die edlen Rosse flüchten nach dem Paß zurück, stürzen sich blindlings hinein und sehen sich plötzlich von vorn und im Rücken angegriffen. Nun entsteht ein wildes Getümmel, in das der Jäger, das Beil oder die Schlinge in der Hand, je nachdem er töten oder fangen will, nur mit Lebensgefahr sich hinein stürzt; denn, verliert er seinen Sitz und gerät unter die Hufe der bäumenden, beißenden, schlagenden Rosse mit den fliegenden Mähnen und den glühenden Augen, so ist ein schmerzvoller Tod ihm gewiß.

Aber die Nomaden der Steppe und des Gebirges sind eben so kühne wie sichere Reiter. Ihre kurzen Beile fallen wuchtig nieder auf die Köpfe der edlen Tiere, und in wenig Minuten hat das Gemetzel ein Ende; was nicht durchgebrochen und entflohen ist, liegt erschlagen am Boden oder kämpft sich müde in den Schlingen und Banden, die bereits seine Glieder fesseln. Das Fleisch der wilden Pferde gilt den Jägern als ein Leckerbissen.

In gleicher Weise verlief auch diesmal die Jagd, nur daß der Khan dabei von einem der wilden Hengste einen Schlag gegen das Bein erhielt, der ihn zwang, nach seinem Lager zurückzukehren und mehrere Tage auf seiner Filzdecke still zu liegen, bis die Quetschung geheilt war.

Am Abend, als die ersten Sterne funkelten, kamen die Liebenden an einem einsamen Ort zusammen und besprachen ihr Unglück. Tungilbi gelobte ihrem Geliebten mit dem Adakatschan, dem Eide, daß sie eher sterben, als die Frau des fremden Mannes werden wolle, und Scheminga verschwor sich, gleichfalls sein Leben einzusetzen, um sie zu erwerben. Dann nahm er, unter dem Vorwand, ihre Flucht vorzubereiten, Abschied von ihr, nachdem er sich noch sorgsam erkundigt hatte, in welcher Richtung man den neuen Bräutigam mit seinen Herden erwartete.

Am nächsten Morgen war Scheminga aus der Jurte, die er mit seinen Gefährten teilte, nebst einem derselben verschwunden; die andern erklärten, daß er zur Jagd auf das Rehwild ausgeritten sei, und da dies häufig vorgekommen, kümmerte sich der Khan in seinen Schmerzen nicht weiter um seinen jungen Gast, sondern sah mit desto größerem Eifer der Ankunft seines neuen Schwiegersohns entgegen.

Erst gegen Abend des dritten Tages verkündeten herbeisprengende Hirten, daß sie in der Ferne den aufwirbelnden Staub einer mächtigen Herde gesehen hätten.

Unter reichlichen Tränen wurde Tungilbi von den Frauen ihres Vaters genötigt, ihre besten Gewänder anzulegen. Filze wurden vor den Jurten des Khans auf den Boden gebreitet, um sich darauf niederzulassen und mächtige Feuer angezündet, um mehr als ein Schaf zu Ehren der Ankunft des Chalchas-Fürsten zu rösten.

Bald auch hörte man in der Ferne das Geräusch der herbeiziehenden Herde und erblickte, am Abendhimmel sich abzeichnend, die langen Hälse der Kamele!

Tungilbi verhüllte das Gesicht in ihre Gewänder!


Scheminga Tojon hatte auf seiner flüchtigen Stute Melilbi unterdes mit seinem Gefährten den Weg nach Süden genommen. Er beabsichtigte, dem Mongolenfürsten zu begegnen und ihn zum Zweikampf zu fordern, um so die Geliebte von dem Bewerber gänzlich zu befreien oder wenigstens Zeit zu gewinnen.

Solche Zweikämpfe auf Pfeil und Bogen sind in der Steppe sehr gewöhnlich. Die Tungusen nennen sie Kutschigeras, und sie wurden gleich den Turnieren des europäischen Mittelalters in früheren Zeiten unter den Augen ihrer Stammeshäupter und Ältesten abgehalten.

Am ersten Tage ritten die Reiter acht Meilen weit und lagerten gegen Abend an dem nördlichen, mit Gestrüpp und Rohr umzogenen Ufer eines kleinen Sees.

Die innere Unruhe, die ihn verzehrte, ließ den jungen Tojon nur wenig schlafen.

Mit dem ersten Morgengrauen legte er auf Melilbi, seine Stute, den kleinen Sattel aus Renntierrippen, befahl seinem Begleiter, seiner an der Stelle ihres Nachtlagers zu harren, und ritt auf Kundschaft aus.

Er nahm feine Richtung am Ufer des Sees entlang, weil er dachte, daß zu diesem auch die Herden des Mongolenfürsten ihre Richtung nehmen würden, um die Tiere zu tränken.

Er war etwa eine halbe Stunde langsam vorwärts geritten, als er plötzlich einen lauten gellenden Hilferuf vernahm und im nächsten Augenblick einen Reiter in blinder Hast auf sich zu galoppieren sah.

Der Reiter hing waffenlos an dem Halse seines Pferdes, und es dauerte einige Sekunden, ehe es ihm gelang – obschon er ein junger und stattlicher Mann war, – in den Sattel zu kommen, ohne daß er jedoch damit seines Pferdes Herr werden konnte, das in toller Flucht dahin jagte. Das lange kaftanartige Obergewand des Reiters flatterte zerrissen im Luftzug.

Die Furcht des Reiters und seines Pferdes war nicht unbegründet. Scheminga, der unbeweglich auf seiner Stute hielt, die sich begnügte, die Ohren zu spitzen und gegen das Gebiß zu schnauben, übersah mit einem Blick das Geschehene und die Gefahr, in welcher der Fremde schwebte.

Dieser mußte aus der entgegengesetzten Richtung gekommen sein und mit einem zweiten Pferde an der Hand wahrscheinlich versucht haben, die Rosse an einer offenen Buchtung des Sees zu tränken, als aus dem Rohrdickicht ein gewaltiger Tiger sich auf ihn gestürzt hatte. Der Reiter hatte kaum Zeit gehabt, sich mit Zurücklassung eines Teils des Gewandes und einer leichten Wunde von seinem bäumenden Rosse auf den Nacken seines Handpferdes zu werfen und sich von diesem in wilder Flucht davon tragen zu lassen, da an einen Kampf nicht zu denken war, weil seine Waffen am Sattel des Pferdes hingen, in dessen Brust der Tiger seine Krallen geschlagen hatte. Aber die Bestie, die wahrscheinlich schon Menschenblut gekostet hatte, begnügte sich nicht mit dem zu Boden gerissenen Tier, sondern verfolgte den Fliehenden in mächtigen Sprüngen.

Noch hatte dieser den Tungusen nicht bemerkt, sondern war in blinder Hast an ihm vorüber geschossen, als Scheminga mit der Schnelle des Blitzes den Bogen von der Schulter riß, die Sehne bis an sein Ohr zurückzog und einen Pfeil auf das in wilder Blutgier hinter seiner Beute herstürzende Ungetüm abschnellte.

Der Pfeil traf das Tier in die Flanken und drang mit seiner scharfen, mit Widerkerben versehenen Eisenspitze wohl über eine Handbreit ein.

Der Tiger fiel im Sprunge nieder, kauerte am Boden und warf dann seine glühenden Augen umher, den neuen Feind zu suchen. Sein weithin schallendes, heiseres Gebrüll mischte sich in den gellenden Jagdruf, den der junge Tonjon ausstieß, und der verkündete, daß er diesen Feind entdeckt hatte.

Es war das erstemal, daß der Tunguse Aug' in Aug' dem furchtbaren Könige der Wildnis gegenüber stand. Er hatte zwar schon an Jagden auf das blutdürstige, Herden und Menschen gleich gefährliche Ungetüm teilgenommen, aber noch nie war er ihm allein so nahe gekommen, um es selbst bekämpfen zu können. Trotz der ersten Verwundung des Tigers war seine Situation eine sehr bedenkliche, denn der wohlgezielte Pfeil vermochte keineswegs das Tier kampfunfähig zu machen und hatte seine Wut wohl abgelenkt, aber auch verdoppelt. Der geringste Widerstand seines edlen Pferdes mußte den kühnen Jäger in die größte Gefahr bringen.

Scheminga hatte jedoch in dieser bedenklichen Lage nicht einen Moment seine Geistesgegenwart verloren.

Der Tiger war kaum niedergekauert, um zu einem Sprung auf seinen neuen Feind anzusetzen, als bereits ein zweiter Pfeil ihn am Halse traf. Dann gab der Tojon seiner Stute die Fersen und ließ sie einen weiten Sprung zur Seite machen, der sie aus dem Bereich eines ersten Angriffs des Ungetüms brachte.

Mit Staunen sah der Fremde, der durch den Jagdruf Schemingas erst von seiner Nähe Kenntnis erhalten hatte, und der nunmehr, da der Tiger seine Verfolgung aufgegeben hatte, seines eigenen Pferdes Herr geworden war und es zum Stehen zwang, wie der Tungusen-Reiter im Kreise um die sich windende Bestie her galoppierte, allen ihren Sprüngen und Angriffen geschickt auswich, oft im entscheidenden Augenblick über den Tiger selbst hinweg setzend, und währenddessen mit Pfeilen seinen Körper förmlich spickte. Die scharfen Eisen hingen in den Weichen und in der Brust des Tieres, sie hatten seinen Hals und seine Beine durchbohrt, und während das wütende Tier sich vergebens bemühte, sie herauszureißen, durchschnitten immer neue Geschosse sein Fell, ließen sein Blut aus zehn Wunden sprudeln und hinderten durch ihre Schäfte seine Bewegungen.

Zuletzt hielt der Tiger in seinen ihn erschöpfenden Angriffen inne, kauerte sich in der Mitte des von seinem Blute bezeichneten Kreises nieder und versuchte noch einmal, sich von den Pfeilschäften durch Zähne und Tatzen zu befreien.

Diesen Moment schien der kühne Jäger erwartet zu haben. Mit einem Satz drängte er die treue Stute so nah wie möglich zu dem Feind, und während das edle Roß sich auf den Hinterbeinen erhob, beugte er sich, die Sehne des Bogens bis hinter das Ohr spannend, aus dem Sattel nieder, zielte einige Sekunden lang, und ließ dann seinen letzten Pfeil gegen den Kopf des Ungetüms sausen.

Der Tiger stieß ein wütendes Gebrüll aus, sprang in die Höhe und versuchte seine blutigen Krallen in die Brust der Stute zu schlagen. Aber der Tojon drehte sie mit fester Hand auf ihren Hinterhufen zur Seite, ließ sie einen mächtigen Sprung tun und schoß aus des Gefährlichen Nähe.

Es war die letzte Kraftanstrengung der Bestie gewesen. Der wohlgezielte Pfeil war ihr gerade ins Auge und durch dieses bis ins Hirn gedrungen, sie fiel jetzt auf die Seite und bald streckte sich der mächtige Körper in den letzten Todeszuckungen.

Scheminga näherte sich vorsichtig dem verendenden Tiger, denn er wußte sehr wohl, welche zähe Lebenskraft dieser grimmigste Vertreter des Katzengeschlechtes besitzt, und daß oft ein letzter Tatzenhieb des schon verendet geglaubten Tiers das Leben des Jägers genommen hat. Der Stolz über die glückliche Tat schwellte seine Brust, und er gedachte dabei kaum, daß er einem andern damit zugleich das Leben gerettet hatte, da er sich während des Kampfes um den Flüchtling nicht weiter gekümmert hatte und denselben längst entfernt glaubte. Endlich überzeugte er sich, daß die Bestie wirklich verendet sei, und indem er sein Messer zog, um das pfeildurchbohrte Fell von dem Rumpfe zu lösen, setzte er den Fuß auf den Kopf des Tiers und brach – an den Zweck seines abenteuerlichen Zuges sich erinnernd, – unwillkürlich in die Worte aus:

»Besser wäre es für mich, Sultan Timur, der Reiche, wäre von diesen Pfeilen durchbohrt und läge an deiner Stelle!«

Eine Hand legte sich auf seine Schulter, und eine freundliche Stimme sagte zu ihm in der Sprache der Steppen, die an Verbreitung der Lingua franca des südlichen Europas und des Orients gleichkommt:

»Warum wünscht ein Tapferer den Tod eines andern Tapfern?«

Der Tojon sah sich erstaunt um und bemerkte, daß der Flüchtling, den er an der zerrissenen Kleidung wieder erkannte, jetzt an seiner Seite hielt und ihn angeredet hatte.

Es war ein junger Mann etwa in seinem eigenen Alter, von echt mongolischer, aber keineswegs unedler Physiognomie mit langherabhängendem sorgfältig gepflegtem, pechschwarzem Schnurrbart und gleichem Scheitelzopf von dem sonst glatt rasierten Schädel. Der Fremde betrachtete ihn mit sichtlicher Bewunderung und Teilnahme.

»Wer bist du?« fragte der Tojon.

»Ich bin dein Sklave, dem du das Leben gerettet hast, das dir dafür gehört. Es würde verloren gewesen sein, wenn Buddha nicht deine tapfere Hand gesendet hätte.«

»Ich sollte meinen,« sagte der Tunguse verächtlich, »dein Buddha hätte dir selbst Hände gegeben, um dein Leben zu verteidigen, statt es auf die flinken Beine eines Tiers zu setzen!«

Der Mongole zuckte mit freundlicher Miene die Achseln, anscheinend ohne sich verletzt zu fühlen. »Warum sollte ein vernünftiger Mensch nicht ein unvernünftiges Tier opfern, wenn er sein Leben dadurch retten kann? Meine Waffen waren mit meinem Pferde in die Klauen des Tigers gefallen.«

Der Tojon schwieg einigermaßen beschämt, dann wiederholte er seine Frage, wer der Fremde sei, indem er fortfuhr, das Fell des erlegten Tiers abzuziehen.

»Ich bin ein Chalchas. Die Tungusen und die Mongolen des Ostens entstammen demselben Vater. Der Khakhan Großhan, Kaiser. Dschingiskhan hat beide groß gemacht. Warum wünschte der tapfere Donk den Tod eines Freundes an Stelle dieses Tigers?«

»Timur Khan ist nicht mein Freund – er ist mein Todfeind. Gehörst du zu seinem Khanat?«

»Ich stehe dem jungen Sultan sehr nahe, und weiß alle seine Geheimnisse. Er ist wie ein Bruder für mich! Aber ich habe niemals gehört, daß er einen Feind unter den Tungusen hätte.«

Ohne auf den Einwurf zu antworten, wandte sich der Tojon hastig zu dem Mongolen. »Wenn du Timur Sultan so nahe stehst, so gehörst du wahrscheinlich zu seinen Begleitern, und er ist in der Nähe?«

Der Mongole wies nach dem Südende des Sees.

»Der Sultan lagert dort mit seinen Dienern und Herden. Ich habe vor zwei Stunden noch sein Zelt gesehen.«

»Wohlan denn, Chalchas,« sagte der Tunguse, indem er das blutige Tigerfell über die Kruppe seiner Stute warf, und wieder in den Sattel stieg, »wenn du, wie du dich rühmst, hoch in der Gunst Timur-Sultans stehst, so kannst du mir einen Dienst dafür erweisen, daß ich dir das Leben gerettet habe.«

»Ich will einen Hund mit dir schlachten und sein Blut trinken,« Sitte der nordöstlichen Nomaden bei Ableistung eines feierlichen Schwurs. sagte feierlich der Mongole, »wenn ich dir nicht mein Wort halte. Was du auch von Timur begehrst, ich werde sorgen, daß er deinen Wunsch erfüllt!

»Ich danke dir! – So wisse denn, ich bin …;«

Der Chalchas unterbrach ihn. »Du bist Scheminga, der Tojon der Dulegat!«

Der Tunguse sah ihn erstaunt an. »Woher kennst du mich?«

Lächelnd wies der Mongole auf den Tiger. »Welcher andere Pfeilschütze hätte dies zu tun vermocht? Es gibt nur einen Krieger in der Mitte des Weltalls, der besser schießt als Scheminga, der Tojon der Dulegat.«

»Und der wäre?« fragte eifersüchtig der Tunguse.

»Timur Sultan, mein Herr!«

»Ah – also auch hier! Nun wohl, ich komme, um mich mit deinem Gebieter im Bogenschießen zu messen, und wenn du wirklich den Einfluß besitzest, dessen du dich rühmst, und mir Dankbarkeit zeigen willst, so bewege ihn, daß er sich mir zur Kutschigera Zweikampf mit Bogen und Pfeil. stellt.«

»Timur,« sagte der Mongole stolz, »hat noch niemals einen Zweikampf ausgeschlagen. Aber ich muß ihm einen Grund dazu sagen.«

»Einen Grund? Nun wohl – ich hasse ihn! oder besser, ich muß die tausend Kamele haben, mit denen er herbeikommt, um die Tochter Tolga-Khans einem zu rauben, der ein Recht auf sie hat.«

Der Mongole sah Scheminga, während sie langsam in der Richtung zurückritten, woher dieser gekommen, etwas erstaunt an. Dann sagte er lächelnd:

»Scheminga Tojon liebt die Tochter des Manshu?«

»Ich denke, das kümmert dich nicht. Willst du meinen Auftrag ausführen?«

»Bei meinem Haupte. Aber Timur Sultan besitzt der Herden genug. Was sind ihm tausend Kamele gegen das Leben eines Freundes? Er würde sie dir mit Freuden geben, wenn ich ihn darum bitte.«

»Nein, Chalchas,« sagte der Tojon finster, »ich nehme von meinen Feinden keine Geschenke. Ich fordere ihn zum Kampf.«

»Aber – wenn du einen Preis auf deinen Sieg setzest, welchen bietest du?«

»Mich selbst zu seinem Sklaven und – und Melilbi, meine Stute. Sie hat nicht ihresgleichen zwischen den Bergen von Nertschinsk und denen von Kurdistan!«

Es war ihm schwerer angekommen, sein geliebtes Roß einzusetzen als seine eigene Person.

Der Mongole dachte einige Augenblicke nach, dann wiegte er zustimmend den Kopf. »Es sei,« sagte er. »Ich werde den Khan zur Annahme deines Vorschlags bewegen, wenn du mich entlassen willst. Wohin soll ich dir Botschaft senden?«

Der Tojon wies nach der Stelle seines Nachtlagers, der sie sich jetzt genähert, und wo sein Gefährte bereits sein Pferd aufgezäumt hatte.

»Atunga, mein Pfeilbruder,« sagte er, »wird mit dir gehen und mir Botschaft bringen. Möge der Kampf stattfinden, wenn die Sonne über unserm Scheitel steht, dann sind die Schatten gleich. Lebe wohl und erfülle dein Wort.«

Der Mongole, der von dem zerrissenen Pferde seine eigenen Waffen wiedergewonnen, schwang das Messer nach der Sitte der Steppe gegen die Sonne und beteuerte: »Die Sonne lasse Krankheiten wie dieses Messer in meinen Eingeweiden wüten, wenn ich es nicht tue! Lebe wohl, Tojon, und möge Buddha dich segnen für das, was du diesen Morgen an mir getan!«

Er wandte sein Roß, und bald galoppierte Atunga, den wenige Worte über seinen Auftrag verständigt, an seiner Seite dem Lagerplatz des Mongolenfürsten zu, während Scheminga seine edle Stute abzäumte und an den Kohlen des Feuers seine Jukolas röstete.


Der Tojon wartete drei Stunden, dann kam sein Gefährte zurückgejagt. Er hatte das Lager des Mongolenfürsten bereits in vollem Aufbruch gefunden, den Sultan selbst zwar nicht gesprochen, aber von dem Krieger, den er begleitet, und der nach der allgemeinen Achtung, die man ihm bewies, ein Günstling des Sultans sein mußte, die Mitteilung erhalten, daß Timur Khan mit Vergnügen einwillige, sich mit dem berühmtesten Pfeilschützen des Nordens zu messen, und auf die gestellten Forderungen eingegangen sei.

Es war das Abkommen getroffen worden, daß jeder der Kämpfer drei Pfeile gegen den andern abschießen und dabei ganz nach der Kampfsitte seines Stammes verfahren dürfe. Werde keiner der Krieger lebensgefährlich verwundet, so solle ein Rat der drei ältesten Zeugen des Kampfes entscheiden, wer den Sieg davon getragen. Der Zweikampf solle um die Mittagsstunde und zwar in der Nähe der Stelle vor sich gehen, an der Scheminga den Tiger erlegt hatte.

Die beiden Tungusen brachten die Zeit bis zu ihrem Aufbruch mit Vorbereitungen zum Kampfe zu. Da er seinen Köcher in dem Kampf mit dem Tiger vollständig geleert, wählte Scheminga aus dem seines Freundes die drei schwersten Pfeile, schärfte ihre Spitzen und glättete die Flugfedern. Er rieb und spannte die Sehne seines Bogens und wusch Melilbi, seine Stute, der er selbst das Futter zusammentrug. Endlich, eine Stunde, ehe die Sonne im Zenith stand, machten sich beide auf den Weg.

Sie fanden den Platz bereits von der Gegenpartei besetzt und zwar war das ganze Lager des Khans dahin verlegt. Unübersehbare Scharen von Rindern, Schafen und Kamelen lagerten in der Hitze der Julisonne. Krieger und Hirten ritten umher oder lungerten müßig im Schatten der Bäume, Sklaven kochten und brieten an den Feuern oder schleppten Wasser herbei, um die Tiere zu tränken.

An dem einen Ende eines ziemlich geräumigen, freigelassenen Platzes war das Zelt Timur Khans aufgeschlagen. Es war nicht wie die gewöhnlichen Wanderzelte der Nomaden von Filzstücken, sondern von chinesischen Seidenstoffen und reich mit bunten Fähnchen und Decken behangen. Scheminga Tojon biß finster die Zähne zusammen bei diesem Anblick, denn er bewies ihm den Reichtum seines Gegners, und er wußte, daß die kostbare Wohnung zum Brautgemach bestimmt war.

Es blieb ihm jedoch wenig Zeit zu solchen Gedanken, denn als er sich im Galopp dem Lager näherte, kam ihm der Mongole, dem er das Leben gerettet, mit einer Schar von Kriegern und Dienern des Khans entgegen, begrüßte ihn in dessen Namen und lud ihn ein, in einem zweiten Zelt, das er an dem entgegengesetzten Ende des Platzes hatte aufrichten lassen, bis zum Beginn des Kampfes zu verweilen.

Dies Zelt war zwar nur von Filz und Leinen, aber nicht, ohne sich im Innern tief geschmeichelt zu fühlen, sah der Tojon aus einer hohen Stange vor dessen Eingang den Schädel des erlegten Tigers aufgespießt.

In dem Zelt fanden die beiden Tungusen Diener bereit, ihnen die Füße zu waschen und sie dann mit Tee und allerlei Speisen zu bedienen. Es wurden hierauf noch einmal die Bedingungen des Kampfes besprochen und die Zeugen und Richter desselben bezeichnet. Dann verließen die Mongolen sämtlich das Zelt.

Die ganze Art, wie der junge Sultan die Herausforderung des fremden, so allein stehenden Gegners behandelte, hatte etwas so Ritterliches, daß der Tojon bei allem Groll gegen seinen Nebenbuhler sich doch dem Einfluß desselben nicht entziehen konnte. Er war daher um so gespannter auf die Erscheinung des Khans, den er bisher nie gesehen und von dessen Reichtum und Waffengeschicklichkeit ihm nur der Ruf erzählt hatte.

Scheminga Tojon war ein tapferer Krieger und Jäger und hatte oft genug Beweise seines Mutes und seiner Todesverachtung gegeben. Dennoch fühlte er wohl die Schwere der Stunde, die ihm bevorstand, denn er wußte, daß der Sultan nicht bloß sein Rival in der Liebe war.

Der weithin tönende Schlag eines chinesischen Gongs gab das erste Zeichen.

Auf dieses trat der junge Tojon aus seinem Zelt, vor dessen Eingang Atunga sein Roß Melilbi hielt.

Er wußte, daß in demselben Augenblick ihm gegenüber sein Gegner dasselbe tat. Aber die Sitte verhinderte ihn, neugierig nach ihm hinüber zu schauen; er beschäftigte sich mit der Untersuchung des Sattels und Zaumes. An dem ersteren hing eine kleine Tasche von doppeltem Walroßfell, Köcher und Bogen trug er auf dem Rücken weiter hatte er keine Waffen.

Ein zweiter dröhnender Schlag des Gong, und die beiden Kämpfer schwangen sich in den Sattel.

Jetzt erst warf der Tojon den ersten Blick auf seinen Gegner.

Der Sultan ritt einen prächtigen turkestanischen Hengst von schwarzer Farbe. Er selbst saß auf dem reichverzierten Sattel als wären Roß und Reiter ein Leib. Timur Khan war von schlanker Gestalt und in weite bunte Gewänder gekleidet. Er trug das weite bis an die Knie reichende Beinkleid von gelbem Seidenstoff und ein weißes fliegendes Obergewand. Seine Linke hielt einen kleinen runden metallnen Schild, der im Sonnenschein wie poliertes Gold funkelte, die Rechte trug den langen tatarischen Bogen. Das Antlitz seines Feindes jedoch konnte der Tojon nicht erkennen, da von der turbanartigen Kopfbedeckung desselben die Enden des dieselbe umwindenden blauen Schleiers über sein Gesicht niederhingen. Ein prächtiger hoher Busch von Reiherfedern erhob sich über den Turban des Sultans.

Timur Khan begrüßte seinen Gegner, indem er durch den Druck seiner Schenkel sein wohldressiertes Roß sich strecken ließ und den Bogen vor ihm neigte.

Scheminga erwiderte das Reiterstück in gleicher Weise mit seiner Schimmelstute Melilbi.

Dann erklang der dritte Schlag des Gong, das Zeichen zum Beginn des Kampfes, und die Reiter setzten ihre Rosse in Galopp und umsprengten in gleicher Entfernung voneinander den Kampfplatz.

Dieser bildete einen Kreis von etwa hundert bis hundertzwanzig Schritten im Durchmesser. Rund um ihn her standen und lagerten die zahlreichen Diener und Begleiter des Khans.

Nachdem die beiden Reiter in verschiedenen Wendungen und Künsten die Gewandtheit ihrer Rosse und ihre eigene Geschicklichkeit in deren Leitung gezeigt hatten, schoß plötzlich der Tojon in die Mitte des Kreises, spannte mit Blitzesschnelle den Bogen und schoß seinen ersten Pfeil auf den Gegner. Timur Khan hatte mit einem gewaltigen Ruck seinen Hengst angehalten und fing mit einer gleich schnellen Bewegung den anzischenden Pfeil, der sonst seine Brust durchbohrt hätte, mit dem goldenen Schild auf. Ein heller Klang der Eisenspitze aus dem Metall bewies die Kraft der Sehne und der Hand, die sie gespannt hatte, und ein lauter Beifallsruf über die Geschicklichkeit ihres eigenen Fürsten brach aus dem Kreise der Zuschauer.

Scheminga wandte seine Stute zur Flucht, wie die Regel dieser Kämpfe vorschreibt, und der Khan verfolgte ihn, um seinerseits ihm einen Pfeil zu senden.

Von diesem Augenblick an war der Kampf ein Wettspiel, das nicht allein mit der Fertigkeit der beiden Kämpfer in der Handhabung des Bogens, sondern auch mit der Sicherheit und Gewandtheit ihrer Pferde ausgefochten wurde. Jeder der Kämpfer suchte in hundert Windungen und Künsten die unbeschützte Seite des Gegners zu gewinnen und hier seinen Schuß anzubringen. Während der Tojon floh, das Gesicht – nach dem Ausdruck der Steppen – auf dem Rücken, tat der Khan seinen ersten Schuß. Aber der Tunguse warf sich lang zur Seite seines Pferdes nieder, bloß im Steigbügel und an den Mähnen hängend, und der Pfeil sauste unschädlich zwischen den Ohren der Stute durch.

Ein gellendes Triumphgeschrei Atungas beantwortete den ersten Beifall der Mongolen. Der wackere Tunguse strengte seine Kehle doppelt an, um die Minderzahl seiner Partei möglichst auszugleichen.

Es war Scheminga, der zuerst seinen zweiten Pfeil versandte. Durch die Gewandtheit seiner Stute hatte er dem Gegner die rechte Seite abgewonnen, und indem er vorübersagte, schoß er den Pfeil in solcher Nähe auf ihn ab, daß – wenn er ihn voll traf – die tödliche Wirkung zweifellos sein mußte.

Der Khan hatte nicht mehr Zeit, sich mit dem Schilde zu decken. Er sah das tödliche Geschoß daher schwirren und machte eine Bewegung, es mit der Hand aufzufangen oder zu parieren. Es war dies ein überaus schwieriges Manöver, das nur in der größten Gefahr versucht werden konnte und nur selten gelingt. Auch dem Khan trotz seiner großen Gewandtheit gelang es nur halb; denn indem er sich rückwärts beugte, vermochte er doch nur, dem Pfeil eine Richtung zur Seite zu geben. Die Spitze fuhr zwischen Arm und Leib durch und die roten Blutflecken, die augenblicklich das weiße Obergewand färbten, bewiesen, daß der Sultan nicht unverwundet dem Schuß entgangen war.

Ein lautes Klage- und Rachegeschrei der Seinen erfüllte bei diesem Anblick die Luft, aber ehe es noch zur Hälfte verhallt, schnellte der Khan in den Sattel zurück, stieß einen gellenden Schlachtruf aus und spornte seinen Hengst zu einem gewaltigen Satz, der ihn fast mitten in die Bahn und seinem Feinde gerade entgegen trug.

Das edle Roß stand zitternd von der gewaltigen Anstrengung wie in den Boden gewurzelt, als der Khan blitzschnell seinen Bogen hob und seinen zweiten Pfeil abschnellte, dem er rasch den dritten und letzten folgen ließ.

Der Tojon hatte die Stute pariert, als er sich seinem Gegner aus kaum fünfzehn Schritte gegenüber sah. Der erste Pfeil kam so schnell, daß er den Schild nicht mehr zur Abwehr zu erheben vermochte. Er sah ihn gegen sein Haupt fliegen und glaubte sich verloren.

Aber der Pfeil durchbohrte keineswegs seine Stirn, sondern war so geschickt abgeschossen, daß er nur den eigentümlichen helmartigen Kopfputz des Tungusenhelden, das Rehhaupt mit dem Gehörn traf und ihn herunterriß.

Der dritte Pfeil des Sultans aber traf voll die Brust des Tojons und mit solcher Gewalt, daß er ihn niederwarf auf die Kruppe der Stute. Im ersten Augenblick glaubte Scheminga sich durchbohrt und faßte nach dem Schaft, um die Spitze aus seiner Brust zu reißen. Aber zu seinem Erstaunen fühlte er im nächsten Augenblick, daß er frei und unbehindert atmete und unverwundet sei. Er stieß einen Siegesruf aus, denn er wußte, daß sein Gegner jetzt wehrlos in seine Hand gegeben sei, und indem er seinen eigenen dritten Pfeil auf den Bogen legte, wollte er den des Mongolen von sich werfen, als sein Auge zufällig auf das Geschoß fiel.

Im Moment war ihm das Rätsel seiner Rettung gelöst – dem Pfeil fehlte die eiserne Spitze, es war ein einfacher Holzstab mit abgestumpftem Knopf, wie solche bei den Scheingefechten der Steppenkrieger gebraucht werden. Der Mongolen-Sultan hatte gegen ihn nur mit stumpfen Waffen gekämpft, während er selbst sich wider den Gegner der tödlichen bedient hatte.

Erstaunt blickte er empor auf diesen – Timur Khan hielt noch immer bewegungslos auf der Stelle, von der aus er die beiden Pfeile entsandt. Er hatte die Arme über die Brust gekreuzt, nachdem er mit einer raschen Bewegung den Turban von seinem Haupte geschüttelt, – und sah ihn mit festem, ernstem Auge an.

Der Tojon erkannte dies Auge, dies Gesicht, es war der Mann, den er wenige Stunden vorher aus den Klauen des Tigers gerettet hatte.

Jetzt war dem Tungusen das ganze ritterliche Benehmen seines Nebenbuhlers klar. Eine gewisse Beschämung überkam ihn, dann erhob er den Blick, als suche er einen Gegenstand, an den er sich dafür halten könne.

Von dem Lärm des Kampfes aufgescheucht, hatte sich von einem der nächsten Bäume eben ein Rabe erhoben und flog krächzend über den Platz. Obschon der Vogel in ziemlicher Höhe, weit über die gewöhnliche Grenze eines Pfeilschusses hinaus, die Luft durchschnitt, hob der Tojon doch seinen Bogen nach ihm, zog die Sehne bis über die Schulter an und ließ seinen Pfeil dann fliegen.

Trotz der Entfernung durchbohrte das Geschoß die Brust des Vogels, und krächzend taumelte er aus der Höhe nieder auf den Boden.

Ein weithin schallender Jubelruf aller Zuschauer, in den sich das Brüllen und Blöken der erschreckten Herden mischte, galt nicht allein diesem Meisterschuß, sondern auch der hochherzigen Tat, da niemand aus dem Gefolge des Sultans wußte, wie edelsinnig dieser seinem Herausforderer gegenüber getreten war.

Der Tojon sah kaum den Vogel fallen, als er aus dein Sattel sprang. Aber so rasch er auch gewesen, war ihm der junge Khan doch zuvorgekommen und schritt auf ihn zu, ihm die Hand entgegenstreckend.

»Warum sollen die Söhne Dschingis-Khans sich bekämpfen,« sagte er laut, »wenn sie Freunde sein können? Mein Bruder hätte nur nötig gehabt, zu Timur zu sagen: ich brauche deine Herden, und der Sultan der Chalchas würde sie dem Retter seines Lebens gegeben haben.«

»Nein, Khan,« antwortet? der Tunguse, »ich will nicht deine Dankbarkeit für einen zufälligen Dienst mißbrauchen, den ich ebenso willig dem geringsten deiner Sklaven geleistet hätte. Ich habe dich zum Kampf gefordert, weil ich eher mein Leben lassen, als dulden will, daß du Tungilbi zum Weibe erhältst!«

»Der Tojon der Dulegat,« sagte der Khan lächelnd, »möge die Blume der Steppe in seine Jurte führen. Was ist ein Weib gegen das Leben eines Mannes? Was sind zehn solcher Herden gegen das Leben eines Sultans? Mein Bruder möge sie nehmen und damit dem geizigen Manshu den Schurun bezahlen. Uns aber lasse er Freunde und Waffenbrüder sein.«

Der Tojon reichte ihm die Hand. »Mit Freuden, tapferer Khan,« beteuerte er. »Aber dennoch kann ich dein Anerbieten nicht annehmen. Wir haben nicht mit gleichen Waffen gekämpft. Ich habe also keinen Anspruch auf den Preis.«

»Sollte ich Eisen auf das Herz des Mannes schießen, dem ich mein Leben verdanke?« fragte ungeduldig der Sultan. »Timur Khan hatte seinem Freunde zu beweisen, daß er nicht aus Feigheit vor dem Tiger geflohen, und das Blut, das er vergossen –,« er deutete auf die Streifwunde, die ihm der Pfeil des Tungusen geschlagen, »hat ihn als Tapfern erwiesen. Zwei Krieger haben um den besten Schuß gefochten, meine älteren Männer entscheiden, wer von uns ihn getan!«

Der Tojon begriff, daß er sich diesem Ausspruch unterwerfen mußte. Er erfolgte aber nicht sogleich, vielmehr lud der Khan jetzt seinen neuen Freund ein, mit ihm und seinen Kriegern, die ihm das Ehrengeleit auf dem jetzt gestörten Brautzug gegeben, zu tafeln. Nach der Sitte der Steppe waren bereits alle Anstalten zu einem solchen Mahl getroffen worden, ein Rind und zwei Schafe brieten an großen Feuern, und Kessel und Schläuche mit starkem Tee und Kuhmiß standen bereit für das Gelage.

Erst als dieses im besten Gange war, brachte der Khan die Frage zum Vortrage und seinem sichtbaren Wunsche gemäß erklärten die drei Ältesten der Gesellschaft, daß der ungewöhnlich weite und sichere Schuß auf den Raben als der beste der getanen anerkannt werden müsse.

Aber vergeblich versuchte der Khan seinen neuen Waffenbruder zu bewegen, den ganzen Schurun anzunehmen, indem er ihn versicherte, daß er mindestens noch zehnmal so viel Tiere auf seinen ungeheuren Steppen habe; der Tojon blieb fest dabei, daß er nur um die von Tolga-Khan verlangten Kamele gefochten habe, und so mußte Timur zuletzt nachgeben und den Hirten der Zweihöcker befehlen, die gewaltige Herde vorwärts zu treiben, während die andern Herden wieder ihren Rückweg in südlicher Richtung einschlugen.

Als die Sonne unter den Horizont sinken wollte, rüsteten sich der Tojon und sein Gefährte zum Aufbruch, um der Kamelherde zu folgen.

Timur Khan mit allen seinen Dienern gab ihm das Geleit bis über die Grenze des Lagers hinaus. Es ist Brauch bei dem Schluß einer Waffenbrüderschaft, daß beide Teile einander ein Geschenk machen. Als sie daher an der Stelle angekommen waren, wo sie sich trennen sollten, bat der junge Sultan seinen Freund um den Bogen, mit dem er den Tiger erlegt hatte, und gab zugleich seinen Begleitern ein Zeichen, worauf zwei Sklaven den prächtigen kostbar aufgezäumten turkemanischen Hengst herbeiführten, den der Sultan bei dem Zweikampf geritten.

»Mesrur,« sagte der edle Chalchas, »hat zum letztenmal einen Besiegten getragen, er gehöre fortan dem Sieger. Möge dir die Erde unter seinen Hufen verschwinden! Wenn Scheminga Khan je einen Freund braucht, um seine Feinde schlagen zu helfen, möge er Timur Khan nicht vergessen.«

Die beiden jungen Krieger reichten sich die Hand, dann galoppierte der eine nach Norden, der andere nach Süden.


Am Abend des dritten Tages hatte man im Lager des Manshu-Khans das Herannahen der Herden bemerkt, und Tolga machte sich bereit, den Mongolen-Sultan als seinen Eidam willkommen zu heißen und ihm die Braut gegen den reichen Schurun auszuhändigen.

Tungilbi war in Verzweiflung, die mit jedem Schritt, den die Herden näher kamen, wuchs. Vergeblich hatte sie Rat und Trost bei den Jagdgefährten ihres verschwundenen Anbeters gesucht, diese wußten ebensowenig, wo ihr Tojon geblieben, und hatten nur den Befehl erhalten, vier Tage seiner zu harren, und dann nach ihrer Heimat zurückzukehren. Das Mädchen hatte ein kleines japanisches Messer mit zierlichem Perlmutgriff, daß Scheminga ihr früher geschenkt, im Busen verborgen, entschlossen, davon gegen sich selbst Gebrauch zu machen, ehe sie sich dem fremden Bewerber überliefern ließe.

Solche Beispiele treuer und aufopfernder Liebe sind bei der Erziehungsweise der Frauen des Ostens und der Stellung, welche die Weiber in dem Leben der Nomaden einnehmen, zwar selten, aber sie kommen doch vor und geben den Beweis, daß das Frauenherz selbst unter den ungünstigsten Verhältnissen des Heroismus der Liebe fähig ist!

Endlich erhoben sich aus den Schatten der Dämmerung und den Wolken von Staub die zahllosen langen Hälse der Kamele und schlossen unter dem Zuruf und Geschrei ihrer berittenen Treiber einen weiten Halbkreis um die Jurten des Khans.

Aus dem Kreis der Herde kam langsamen Schrittes ein Reiter – er ritt auf einem schwarzen Hengst und führte eine milchweiße Stute am Handzügel.

Es war bereits zu dunkel, um in einiger Entfernung den Reiter selbst zu erkennen, aber das Auge der Liebe war wenigstens scharf genug, das Roß Melilbi an der Hand des Reiters zu unterscheiden! Es konnte kein Zweifel mehr sein – der Tojon war im Kampf gegen seinen Nebenbuhler gefallen, und der Sultan kam, in grausamen Triumph mit seiner Beute prahlend, um sein Opfer zu holen. Mit einem Schrei fiel sie ohnmächtig in die Arme der sie umgebenden Frauen.

Als sie wieder erwachte, kniete Scheminga vor ihr und bedeckte – der Sitte der Steppen trotzend, welche die Berührung unverheirateter Frauen streng verbietet – ihre Hände mit Küssen. Aber nur schwer konnte er ihr verständlich machen, daß er wirklich mit dem von ihrem Vater verlangten Schurun zurückgekehrt sei und sie von der Bewerbung des Calchas-Khans befreit habe.

Während die Liebenden sich ihres Glückes erfreuten und die Weiber bereits einen Kur – einen Gesang – auf die Heldentaten des jungen Tojon dichteten, war der alte Manshu beschäftigt, mit einigen seiner Diener die Kamelherde zu zählen. Unglücklicherweise erfuhr er dabei von den das Lob ihres Sultans preisenden Treibern, daß dieser sich erboten hatte, nicht bloß die Kamele, sondern die sämtlichen zum Schurun mitgeführten Herden dem Tojon zu schenken, und daß nur der Eigensinn desselben diese Reichtümer zurückgewiesen habe.

Tolga-Khan hegte in Wirklichkeit eine gewisse Neigung für den ritterlichen Tungusen, aber sein Geiz war doch überwiegend, und der Gedanke, welcher Gewinn seiner Tochter oder vielmehr ihm selbst durch die alberne Großmut des Tojon entgangen, zeigte nur allzubald seine Wirkung.

Scheminga sah sich schon am nächsten Tage auffallend kühl behandelt; der Frage nach der Zeit der Übergabe der Braut wurde ausgewichen, und schließlich deutete ihm der Khan an, daß die Herde Kamele ihm zwar sehr willkommen gewesen, daß er aber keineswegs gesonnen sei, um einer generösen Laune seines künftigen Schwiegersohnes willen Rinder und Schafe einzubüßen, und daß er erst diese herbeischaffen möge, ehe er an die Heimführung seiner Tochter denken könne.

Vergebens berief sich der Tunguse auf das Wort des Khans, das ausdrücklich nur die Kamelherde von ihm verlangt habe, und erbot sich, die schon früher angebotene Pferdezahl zu senden, – der Manshu behauptete mißverstanden zu sein, bestand im Bewußtsein seines Wortbruchs immer eigensinniger auf seiner Forderung, und der Tojon mußte zu seinem Schrecken von der Geliebten hören, daß der alte Geizhals bereits heimlich Boten an Timur-Sultan abgesandt hatte, um das abgebrochene Verlöbnis wieder zu erneuern.

Unter diesen sie aufs neue bedrohenden Umständen zögerten die Liebenden nicht, einen raschen Entschluß zu fassen.

Noch an demselben Abend sandte Scheminga seine sämtliche Begleiter unter Atungas Führung aus dem Manshu-Lager fort, angeblich, um bei seinem Vater für die Vervollständigung des Schurun zu sorgen, in Wahrheit aber, um ihre Flucht über das Gebirge vorzubereiten. Zum Glück war der Verkehr zwischen dem Tojon und seiner Geliebten unbehindert, denn der Khan, obschon selbst wortbrüchig, glaubte doch nicht an einen Bruch der Gastfreundschaft seitens seines jungen Gastes. Dieser aber, der früher den Vorschlag der Geliebten zur Flucht abgewiesen, – glaubte sich jetzt durch das Verfahren des Khans jeder Rücksicht enthoben.

Es galt für das Paar, eine Zeit zu wählen, in der sie einen genügenden Vorsprung erreichen konnten, ehe sie verfolgt würden; denn daß eine solche Verfolgung auf Tod und Leben eintreten würde, war vorauszusehen. Die Umstände waren ihnen auch insoweit günstig, als ein Aufbruch des ganzen Lagers zur Aufsuchung neuer Weideplätze bereits am zweiten Tage erfolgen sollte und in der Verwirrung desselben jeder so mit seinen Angelegenheiten beschäftigt sein mußte, daß ihre Abwesenheit nicht sogleich bemerkt werden konnte.

Scheminga wußte, daß auf die Schnelligkeit und Ausdauer ihrer Pferde, auf die Benutzung der richtigen Pässe über das Gebirge und der Furten über die zwischenliegenden Ströme alles ankommen würde, und deshalb hatte er eben seine Begleiter mit genauen Instruktionen vorangesandt. Er hatte in den letzten Tagen mehrfach das Geschenk des Sultans, den Hengst Mesrur, erprobt und sich überzeugt, daß er an Schnelligkeit seiner berühmten Stute Melilbi gleich kam, wenn auch nicht an Sicherheit und Ausdauer. Deshalb hatte er auch die letztere für Tungilbi bestimmt, sich selbst den Rappen vorbehaltend, den er nur mit der Tigerdecke beschwerte.

Die Liebenden waren in den letzten Tagen mehrfach unbehindert mit einigen Manshus auf die Jagd geritten. Tungilbi liebte es, einen kleinen See am Gebirge aufzusuchen, und dort ihren Falken auf die zahlreichen Reiher und Enten stoßen zu lassen, die im Geröhr hausten. Am Morgen des Aufbruchs, während jedermann mit dem Einpacken der Jurten, dem Beladen der Tiere und dem Treiben der Herde beschäftigt war, erklärte Tungilbi, noch einmal nach dem See reiten zu wollen, forderte den Tojon auf, sie zu begleiten, und ritt, gefolgt von einem der Diener ihres Vaters, davon.

Der Mann wußte sehr wohl, in welchem Verhältnis das junge Paar zueinander stand, kümmerte sich daher wenig um dasselbe, und erst, als er es an den Ufern des Sees eine ganze Zeit aus den Augen verloren hatte, und der Falke Tungilbis suchend zu ihm niederflatterte, wurde er unruhig und umritt das Ufer des Sees. Am andern Ende desselben angekommen, sah er schon in weiter Ferne zwei dunkle Punkte, die sich mit Windeseile über die Ebene dem Gebirge zu bewegten. Es waren die beiden Reiter. Im Nu begriff er alles, wandte sein Pferd und jagte dem Lager zu, um Lärm zu schlagen. Zum Glück für die Liebenden war der Khan mit einem Teil seiner Jäger aufgebrochen und mußte nun erst mit der unangenehmen Botschaft zurückgeholt werden.

Die Liebenden setzten unterdes mit unverminderter Eile ihren Weg fort, um zunächst einen möglichst großen Vorsprung zu gewinnen. Es galt, da sie einen Umweg nehmen mußten, um den Räuberhorden möglichst auszuweichen, einen Ritt von mehr als einer Woche, über mehrere Gebirgszüge, die nur durch wenige gefährliche Pässe zu passieren waren, und über Ströme, die nur in einzelnen Furten den Übergang ermöglichten.

Scheminga hatte sich zwar bemüht, von den Hirten Erkundigungen über den nächsten Weg einzuziehen, allein das Ergebnis war so ungenügend, daß der beste Teil der Entscheidung seinem eigenen Scharfsinn überlassen blieb. Nach den Mitteilungen der Hirten war der ihnen nächste Paß so schwierig zu finden und so unzugänglich, daß es nur wenigen der kühnsten Jäger gelungen war, ihn zu passieren. Mit seiner Stute Melilbi allein würde Scheminga es dennoch versucht haben, aber aus Rücksicht auf das Mädchen mußte er den mehrere Meilen östlich entfernten zweiten Paß wählen.

Weder er noch Tungilbi kannten denselben, und sie mußten daher am Saum des Gebirges entlang reiten, um ihn zu suchen.

Hierin lag eben die Gefahr, daß es ihren Verfolgern gelingen könne, sie zu erreichen und abzuschneiden.

Der erste Tag verlief jedoch, ohne daß etwas von denselben zu merken gewesen wäre. Am Abend lagerten die Flüchtlinge am Feuer, das sie in einer geschützten Schlucht angezündet hatten. Tungilbi entschlief zum erstenmal in dem Arm ihres Gatten.

Mit dem ersten Morgengrauen brachen die Flüchtlinge auf, sie mußten jetzt in der Nähe des Passes sein, und Scheminga entdeckte in der Tat bald die Öffnung eines Tals, das bergauf in das Innere des Gebirges zu führen schien. Sie galoppierten in diesem wohl eine Stunde fort, als sie den Weg plötzlich durch eine Klippenwand gesperrt fanden. Dennoch mußte das Erklimmen derselben versucht werden, denn den Weg zurück zu nehmen hätte sie wahrscheinlich in die Hände ihrer Verfolger geliefert, die jetzt ohne Zweifel auf ihrer Spur sein mußten.

Tungilbi mit ihrer Stute begann den gefährlichen Ritt, der Tojon folgte ihr. In der Tat konnte auch das Wagnis nur zwei so ausgezeichneten Pferden wie den ihren gelingen, denn es war ein Klettern von einer Felsstufe zur andern, bei dem jeder Schritt Tod und Verderben drohte. Nach zwei Stunden der Anstrengung und der Gefahr gelang es ihnen endlich, die Höhe zu erreichen, von der herab sie einen Blick rückwärts ins Tal warfen.

Sie gewahrten in der Mitte desselben einen großen Schwarm Reiter, den sie offenbar, nach ihren drohenden Gebärden zu schließen, auf der Höhe entdeckt haben mußten. Zu ihrem Schrecken nahmen aber nur drei oder vier von ihnen ihren Weg nach der so schwierig zu erklimmenden Felswand, um ihnen den Rückweg abzuschneiden, die andern bogen in einen Seitenpaß des Tals, den die Flüchtigen in ihrer Eile nicht beachtet hatten, und der, wie sie jetzt erkennen mußten, mit weniger beschwerlichem Wege in die Höhe führte und es den Verfolgern möglich machte, ihnen zuvorzukommen.

So ermüdet ihre Rosse durch das Ersteigen der Bergwand auch waren, sie konnten ihnen doch nur eine geringe Rast gewähren und mußten sie aufs neue zu wildem Rennen spornen.

Ihr Weg ging ziemlich eben auf einer Grasfläche bergab, – während in der Entfernung von etwa drei oder vier Werst der höchste Kamm des Gebirges sich hob, durch den eine schmale Schlucht führte. Es war, wie der Tojon von den Hirten erfahren, der einzige Weg, und es galt daher, den Eingang vor ihren Verfolgern zu erreichen. Aber als sie eben um ein kleines Gehölz von Lärchenbäumen bogen, das ihnen die Aussicht versperrt, sahen sie links aus dem Grunde die Schar ihre Verfolger hervorkommen. Ein Teil derselben suchte den Eingang der Schlucht zu erreichen, der größere aber sperrte in einer Reihe ihnen den Weg.

Einige Worte Schemingas verständigten rasch die junge Frau über das, was sie zu tun hatte. In gestrecktem Galopp jagte die Tochter des Khans auf die Mitte der Reihe zu, mehrere der Reiter verließen ihren Platz und eilten herbei, sie aufzuhalten, da wandte sie wenige Schritte vor ihnen ihr Pferd zur Linken und entschlüpfte durch die entstandene Lücke, während der Tojon auf der andern Seite dasselbe Manöver vollführte und den einzigen Manshu, der Zeit hatte, sich ihm entgegenzustellen, über den Haufen ritt.

Es galt nun, im verzweifelten Wettritt den Eingang der Schlucht vor der zweiten Abteilung ihrer Verfolger zu erreichen, und beide Parteien machten die größten Anstrengungen.

Die Stute Melilbi erreichte mit ihrer schönen Last in demselben Augenblick den Eingang, als ihr Herr kurz vor demselben mit dem Anführer der Manshus zusammentraf. Ein furchtbarer Hieb der Streitaxt des Tungusen spaltete die Brust seines Feindes, dessen Leichnam von dem Pferde noch eine Strecke weit fortgetragen wurde. Dann schoß der Tojon mit einem Triumphgeschrei die blutige Waffe schwingend in die Schlucht, an deren Eingang die Verfolger Halt machten.

Die Pferde des Paares waren indes so erschöpft, daß sie jetzt nur langsam weiter konnten. Zum Glück trat bald die Dunkelheit ein und in ihrem Schutz erreichten die Liebenden ein kleines Seitental, in dem ein Quell lustig aus dem Gestein sprang. An seiner Flut konnten sie sich und die Pferde erquicken und ruhten dann bis zum ersten Tagesgrauen.

Der Tojon wußte, daß er auf der dritten Tagereise seine Freunde in der Nähe eines kleinen Flusses finden würde, der in den Argun sich ergießt. Es war die Stelle, die er ihnen zum Rendezvous bestimmt hatte und wo sie eine Furt suchen und ihm frei halten sollten.

Die Sterne flimmerten noch am Himmel, als das Paar aufbrach. Sie sahen in der Tiefe der Schlucht das Wachfeuer ihrer Verfolger, aber es dauerte keine Stunde, da hörten sie diese bereits hinter sich.

Scheminga wußte sehr wohl, daß der Befehl des Khan weder Roß noch Reiter schonte und die Verfolgung auf Tod und Leben ging. Nachdem er ihren ersten Anführer erschlagen, würde bei einer Gefangennahme der Tod wahrscheinlich gleichfalls sein Los gewesen sein, mindestens die Sklaverei. Er war entschlossen, nicht lebend in die Hände seiner Feinde zu fallen.

So dauerte die Hetzjagd den ganzen Tag. Um Mittag hatten die Fliehenden das Gebirge verlassen und waren in eine Ebene getreten. Die Zahl ihrer Verfolger hatte sich bis auf etwa zwanzig der bestberittenen vermindert, die andern Manshus waren zurückgeblieben. Zweimal tränkten die Fliehenden und ihre Verfolger zugleich ihre Tiere an einem und demselben Back, kaum eine halbe Meile voneinander entfernt. Die Lage des jungen Paars war jetzt schlimmer als im Gebirge, denn es konnte sich vor den Augen der Feinde nicht mehr verbergen, und alles kam jetzt auf die Ausdauer der Pferde an.

Die Jagd ging jetzt an dem Ufer des nicht breiten, aber reißenden und wegen seiner schroffen Ufer schwer passierbaren Flusses entlang, den der Tojon seinen Genossen zum Rendezvous bezeichnet hatte. Die beiden edlen Tiere begannen nach dem dreitägigen Lauf Spuren der Ermattung zu zeigen und mit Besorgnis blickte Scheminga nach einem Anzeichen aus, das ihm die Nähe seiner Freunde zeigen konnte.

Endlich sah er in der Ferne am Ufer des Flusses Rauch aufsteigen.

Dort mußte also die Furt, dort mußte das Lager der sechs tungusischen Jäger sein.

Der Anblick gab ihnen neue Kräfte und schien selbst ihre Rosse zu beleben. Aber auch ihre Verfolger verdoppelten ihre Anstrengungen.

Je näher sie dem Rauch kamen, desto sicherer wurde Scheminga ihrer Rettung. Plötzlich sah er zu seiner Freude, als sie einer Biegung des Flusses folgten, hinter einem Hügel seine sechs Genossen, Atunga an ihrer Spitze, ihnen entgegen kommen.

Aber das Gefühl der Freude sollte sich bald in neue Besorgnis verwandeln.

Mit wenigen Worten berichtete ihm Atunga, daß an der einzigen Stelle, wo der Übergang über den Fluß möglich war, eine ansehnliche Schar chinesischer Soldaten unter dem Befehl eines Mandarins auf einem Streifzug vom Amur her lagerten.

Die Tungusen sowohl wie die Manshus waren allerdings dem Kaiser von China tributpflichtig und gehörten somit zu seinen Schutzbefohlenen. Aber die chinesischen Statthalter mengten sich selten in die innern Angelegenheiten oder die Streitigkeiten der Nomadenstämme, es sei denn etwa in der Rolle des Adlers, der die Beute der streitenden Falken für sich nimmt, und niemand konnte wissen, wessen Partei sie in dem vorliegenden Fall ergreifen würden. Es war daher am besten, den Streit auszumachen, ehe man in den Bereich ihrer Entscheidung kam.

Die kurze Beratung führte zu einem einstimmigen Entschluß.

Die Manshu-Reiter kamen nicht in einem geschlossenen Haufen, sondern je nach der Güte und Ausdauer ihrer Pferde einzeln, oder zu zweien und dreien herangejagt. Es galt, sie aufzuhalten, bis das junge Ehepaar den Fluß passiert oder die Zusage des Schutzes von dem Anführer der chinesischen Streifkorps erlangt hatte.

An der Spitze der Manshus ritt ein einzelner Krieger, drei Reiter folgten ihm in der Entfernung von etwa fünfhundert Schritten.

Von der kleinen Schar der Tungusen trennten sich zwei, während die andern den Tojon und sein junges Weib, die ihre Pferde in langsamerem Gang verschnaufen ließen, weiter in der Richtung des chinesischen Lagers begleiteten.

Die beiden Tungusen, den gespannten Bogen in der Hand, stellten sich dem heransprengenden Manshu in den Weg und geboten ihm Halt. Doch der Mann war ein mutiger und kräftiger Krieger, er schwang drohend seinen Speer und galoppierte weiter, bis ein Pfeil den Hals seines Pferdes durchbohrte und dieses ihn zu Boden warf. Alsbald waren seine zwei Genossen an seiner Seite, und es entstand, halb zu Pferde, halb zu Fuß ein Handgemenge zwischen den fünf Kriegern, bei dem die drei Manshus schwer verwundet, der eine der Tungusen aber erschlagen wurde. Der zweite, mit mehreren leichten Wunden bedeckt, flüchtete, verfolgt von den zunächst ankommenden Reitern, seinen Gefährten nach.

Auf einen Wink Atungas lösten sich nochmals zwei der jungen und entschlossenen Dongis von der kleinen, ihren Weg unbeirrt verfolgenden Gruppe und eilten ihrem verwundeten Kameraden zu Hilfe.

Die Zahl der herbeisprengenden und sich zum Angriff auf sie sammelnden Manshus betrug gerade das Doppelte, sechs, aber ihre Rosse waren ermattet und ungelenk, und als daher, nachdem man in kurzer Entfernung Pfeile gewechselt und gegenseitig zwei oder drei Verwundungen an Leuten und Pferden erzielt hatte, die Tungusen mit ihren frischen und ausgeruhten Pferden sich auf ihre Gegner warfen, trieben sie diese trotz ihrer Überzahl in die Flucht und kamen erst ihrerseits ins Gedränge, als der Haupttrupp der Nachzügler seinen Gefährten zu Hilfe kam.

Damit war freilich ihr Schicksal entschieden, denn nachdem sie zwei ihrer Gegner getötet und vier andere kampfunfähig gemacht hatten, unterlagen sie der Übermacht und wurden alle drei erschlagen.

Der Kampf hatte jedoch nicht allein dem Tojon und seinen Gefährten Zeit gegeben, vorwärts zu kommen, sondern auch die Aufmerksamkeit der Chinesen erregt; denn man sah etwa dreißig wohlbewaffnete Reiter derselben von ihrem Lagerplatz aufbrechen und langsam näher kommen.

Ihre Ankunft mußte freilich dem ungleichen Kampf und der Verfolgung ein Ende machen, aber die Entfernung war doch noch zu groß, als daß die Tungusen eher mit ihnen hätten zusammentreffen können, als die wieder auf der Verfolgung begriffenen Manshus sie erreichen mußten.

Der Tojon übersah die Gefahr, und sein Entschluß war gefaßt. Indem er das Anerbieten seiner beiden letzten Genossen, allein sich nochmals den Feinden gegenüber zu stellen, verwarf, umarmte er neben ihr her sprengend die junge Frau, empfahl ihr, vorwärts zu reiten und auf die Ausdauer der Stute sich verlassend die Furt und das andere Ufer zu gewinnen, wo sie in Sicherheit sei, und ermunterte seine beiden Gefährten alsdann, mit ihm den ungleichen Kampf zu wagen.

Die Manshus, noch zehn kampffähige Männer, zauderten, sich auf die drei Kämpfer zu werfen, da sie die furchtbare Kraft der Streitaxt des Tojon bereits erfahren; aber der Gedanke an den Schimpf, der sie erwartete und die Besorgnis, von den chinesischen Soldaten sich ihre sichere Beute entrissen zu sehen, ließ sie selbst die Furcht vor dem jungen Helden überwinden, und mit wildem Kampfgeschrei stürzten sie sich auf die drei Reiter, die nun allein auf die Gewandtheit ihrer Pferde und die Kraft ihrer Arme sich angewiesen sahen.

Der Tojon hatte keine Zeit, sich um seine Gefährten zu bekümmern, denn er allein sah sich sofort von fünf Reitern angegriffen.

Da er nicht mehr im Besitz seines Bogens war, hatte er keinen derselben aus der Entfernung unschädlich machen können und mußte nun ihren Anprall aushalten. Die einzige Waffe, die er führte, da er auf der Flucht selbst den Jagdspeer von sich geworfen, war die treue Streitaxt. Indem er sich selbst auf den nächsten Reiter warf, trennte er mit einem einzigen Hieb seiner Axt den erhobenen Vorderarm desselben von dem Ellbogen, daß die Schneide noch tief in den Oberarm drang.

Er selbst erhielt dabei durch einen der Speere eine Streifwunde am linken Oberschenkel.

Als Antwort tötete er das Pferd seines Gegners. Von diesem Augenblick an wußte er kaum, was geschah. Er fühlte, daß er in dem Knäuel von Menschen und Rossen, in dem er sich befand, wie ein Rasender um sich schlug, und daß er selbst mehr als einmal verwundet wurde. Dann erhielt er mit dem stumpfen Ende einer Axt einen Schlag gegen den Kopf, der ihm die Sinne schwinden machte und ihn vom Pferde warf.

Als der Tojon wieder zum Bewußtsein kam, sah er Atunga, seinen Pfeilbruder, neben sich knien, und mit Hilfe eines Schamanen mit der Anlegung eines neuen Verbandes um seinen Kopf beschäftigt. Er lag auf einem Binsenlager vor einer Filzjurte, um ihn her bewegten sich mehrere fremde Tungusen, Männer und Weiber, und unter ihnen erblickte er zwei seiner andern Gefährten bei dem gefährlichen Brautritt, gleich ihm in allerlei Binden von Tier- und Schlangenhäuten gewickelt und mit Amuletten zur Heilung ihrer Wunden behangen.

In einiger Entfernung weideten unter andern Pferden die Stute Melilbi und Mesrur, das Geschenk des Mongolen-Khan. Auf seinen unwillkürlich ausgestoßenen, ihr wohlbekannten Ruf kam die Stute herbeigetrabt und leckte ihm das Gesicht.

Aber vergeblich schaute er sich nach einem Zeichen von der Anwesenheit Tungilbis, seines Weibes, um.

Ohne eine Frage an seinen Waffengefährten zu tun, versuchte er sich aufzurichten, aber ein stechender Schmerz in Arm und Bein belehrten ihn, daß er hier verwundet und hilflos sei.

Atunga richtete ihn empor, während auf seinen Wink der Schamane sich entfernte.

Jetzt, da der Platz, auf dem er lag, eine erhöhte Lage hatte, bemerkte er, daß er sich an dem linken Ufer des Abagitu befand, desselben Flusses, dessen Furt sie gesucht hatten und zwar der Stelle gegenüber, an dem die chinesische Streitmacht gelagert und in deren Nähe der letzte Kampf stattgefunden hatte.

Aber der Platz war leer, keine Spur mehr von den Chinesen zu sehen – ebensowenig von seinen Feinden, den Manshus.

Er wandte fragend das Haupt nach dem Freunde.

»Wo sind die Langzöpfe?«

»Fort!«

»Und die Krieger Tolga Khans? Hat mein Bruder sie alle erschlagen?«

»Die Langzöpfe haben zehn von ihnen nach ihrer Heimat zurückgeschickt. Damit sie ihre Wunden heilen und dem Khan erzählen, wie schwer die Hand Schemingas fällt.«

»Allein?«

»Allein!«

Der Tojon zögerte offenbar, nach dem Gegenstand zu fragen, der ihm doch am meisten am Herzen lag. Endlich ermannte er sich.

»Rufe Tungilbi, mein Weib, zu mir!«

Der Tunguse wollte die Frage nicht hören.

»Scheminga Tojon,« sagte er – »hat viel Blut verloren; er hat lange geschlafen. Mein Bruder weiß vielleicht gar nicht, daß wir heut den sechsten Tag zählen, seit wir uns mit den Manshus geschlagen.«

Aber einmal entschlossen, sein Schicksal zu, erfahren, wiederholte der Tojon nur seine Frage: »Wo ist Tungilbi, mein Weib?«

Diesmal war die Aufforderung zu direkt, um unbeachtet bleiben zu können.

Der Tunguse wies traurig nach Osten. »Fort – die Tergezin Tungusische Benennung der Chinesen. haben sie mit sich genommen!«

Der Tojon stieß ein Gebrüll aus, wie der Tiger, den er vor kaum zehn Tagen getötet.

»Wie? die Hunde haben es gewagt?«

»Sie hatten die Übermacht. Die Khanum selbst, als sie dich in Gefahr sah, hat ihre Hilfe und ihr Einschreiten angerufen. Die Reiter des Langzopfs trennten uns, als wir um unser Leben fochten, und führten uns vor den Mandarin. Er entschied, daß die Dolgi über ihr Gebiet, die Manshu über das Gebirge in die Steppe zurückkehren sollten. So hat man alle hierher gebracht, zu denen der Todesgott noch nicht getreten war. Ich war der einzige der unverletzt geblieben.«

»Aber mein Weib?«

»Die Manshuri Manshuris: Manshus. haben geklagt, daß Scheminga Tojon sie ihrem Vater gegen seinen Willen geraubt. Der Mandarin habe sie mit sich genommen, bis das Recht des Gatten oder des Vaters entschieden sei.«

»Aber du hast ihre Spur verfolgt und weißt, wo sie geblieben sind?«

»Atunga kannte seine Pflicht,« sagte einfach der Tunguse. »Sind wir nicht Pfeilbrüder? Was ist das beste Weib gegen das Leben eines Mannes wie Scheminga Tojon. Im schlimmsten Fall kann der Langzopf sie in die Jurten Tolga-Khans zurückgesandt haben, und die jungen Krieger der Dulegat werden sie wieder holen. Ich habe die Wunden meiner Freunde gepflegt, bis am dritten Tage Donki vom Tagaun der Kutschida in diese Gegend kamen und mir beistanden. Wenn der Tojon geheilt ist, werden wir die Spur seines Weibes suchen.«

In der Tat hatten die Chinesen sorgfältig alles vermieden, was als ein Eingriff in die Rechte einer oder der anderen Völkerschaft hätte betrachtet werden können, und die Eigentumsrechte selbst so weit geachtet, daß auch das Roß der Khanum den Tungusen zurückgegeben wurde. Nur die junge Frau selbst hatten sie mit sich geführt, wie der Mandarin erklärte, bis zur Entscheidung des Anrechts auf sie.

Der Tojon mußte sich damit trösten, daß er nach seiner Genesung sein Anrecht auf sie geltend machen werde. Aber leider vergingen Wochen, ehe er unter den Beschwörungen des Schamanen und den besser wirkenden gewöhnlichen Heilmitteln seines Freundes von den schweren Wunden so weit hergestellt war, daß er seine treue Stute wieder besteigen konnte. Dann versäumte er keinen Augenblick, um nach den chinesischen Grenzforts aufzubrechen und nach dem Schicksal seines Weibes Erkundigungen anzustellen.

Doch vergeblich war alles Bemühen, niemand wollte von einer gefangenen Frau etwas wissen und selbst die Anwesenheit jenes Streitkorps wurde mit den tausend Ausflüchten und Winkelzügen geleugnet, welche die chinesische Politik im Großen wie im Geringen kennzeichnen. Vergebens zog er monatelang in den Grenzgebieten umher – selbst die Hoffnung, daß Tungilbi ihrer Familie zurückgegeben worden oder freiwillig zu ihr zurückgekehrt sei, erwies sich als trügerisch; denn der in das Lager Tolga-Khans abgesandte Späher brachte die Nachricht zurück, daß dieser ebensowenig von seiner Tochter wußte, und diese vielmehr in der Jurte des Tungusenhäuptlings glaubte.

Zuletzt blieb nichts übrig als die Überzeugung, daß die schlauen und hinterlistigen Chinesen absichtlich jede Spur ihrer Gefangenen unterdrückt und sie wahrscheinlich als Sklavin in das Innere des unermeßlichen Reiches geschleppt hatten.

Von dieser Zeit an wurde der Tojon ein erklärter und gefährlicher Feind der Chinesen und schloß sich den Moskowiten an, die schon damals ihr Gebiet immer weiter nach Süden und Osten auszudehnen suchten.

Er nahm im Laufe der Zeit andere Weiber und zeugte mit ihnen Söhne und Töchter, aber die Erinnerung an Tungilbi Khanum blieb immer wach in seinem Herzen. Das erste Füllen, das Melilbi, die Stute, die sie auf der Flucht getragen, von dem turkistanischen Hengst warf, sandte er mit sicheren Boten als Geschenk an den hochherzigen Sultan der Chalchas und erhielt von ihm mit dem Beklagen seines Unglücks ein reiches Gegengeschenk von kostbaren tibetanischen Waffen und Stoffen – aber von Tungilbi Khanum fehlte jede Nachricht.

Siebenzehn lange Jahre waren vergangen seit jenem Brautritt, als die Hand Gottes mich, den Fremdling, der in weitentlegenem Lande geboren war, an die Ufer des Schilka führte und in wunderbarerweise dem gereiften Manne das Glück seiner Jugend noch einmal zurückbringen ließ.

Wéra Tungilbi, mein süßes Kind, reiche mir die Teeschale, denn meine Kehle ist trocken von der langen Erzählung.«


Der Tungusengreis war, obschon der Holowa französisch gesprochen, doch dem Heldengesange seiner Jugend mit Verständnis gefolgt und hatte die einzelnen, ihm durch die Namen bezeichneten Stellen mit Nicken und Handbewegungen begleitet.

Während der Erzähler sich an der ihm von seiner Enkelin, der Namensschwester der unglücklichen Khanum gereichten Teeschale erquickte und der Gelehrte mit seinem jungen Freund und dem Verbannten einige Bemerkungen über die eben gehörte abenteuerliche Erzählung und Sittenschilderung austauschte, benutzte die junge Sibirianka die Unterbrechung zur weiteren Verfolgung ihrer Absichten.

»Ich fühle, daß ich das Blut Tungilbi-Khanums, deiner tapferen Geliebten in mir habe, Amenikan,« sagte sie schmeichelnd zu dem Greise, »und nicht zögern würde, mit dem Mann meiner Wahl einen gleich gefährlichen Weg zu machen. Aber Christenmädchen, Väterchen, verkauft man nicht gegen einen Schurun. Es ist Sitte, daß sie selbst dem Mann den Ischi, die Mitgift bringen, und ich habe noch immer keine solche. Deine Herden gehören deinen Enkeln von den andern Frauen.«

Der Greis spielte mit zitternden Fingern in ihren Locken. »Hab' ich dir nicht das Erbe deiner Mutter gegeben, die bunten Steine, nach denen die Langzöpfe so lüstern sind?«

»Du hast sie mir versprochen, aber sie gehören mir noch nicht. Ich kann nicht nehmen, was nicht mein ist. Warum schenkst du mir sie nicht, wie die Sachen da, die du mir mitgebracht hast?«

»Ich bin gekommen, sie dir zu geben. Scheminga wollte das junge Angesicht Tungilbis noch einmal sehen, ehe er sein Haupt unter die Gräser der Steppe legt. Das nächste Juani Angani Sommerneujahr. wird einen alten Tojon nicht mehr unter den Lebenden finden!«

»So schenkst du mir den Beutel mit den Steinen?«

»Ich schenke ihn dir! er ist dein eigen!«

Die Augen der jungen Sibirianka funkelten, und sie warf einen spöttischen stolzen Blick auf den Verbannten, der diesen Wohl sah, obschon er noch nicht wußte, um was es sich handle, da die Schmeicheleien des Mädchens an den Greis in tungusischer Sprache gemacht waren, die es jedoch jetzt wechselte.

»Ich danke dir, Väterchen. Mögest du noch lange zur Freude meiner wilden Vettern auf der Steppe wandeln, statt unter ihrem Rasen zu ruhen. Wéra Tungilbi wird deiner nicht vergessen. – Siehst du, Diadiuszki,« wandte sie sich zu dem Holowa, »Väterchen hat mir meinen Ischi geschenkt – nun sei auch du artig, und gib mir etwas, das mir einen Mann verschafft.«

»Närrisches Kind! als ob dir nicht ohnehin alles gehörte, was ich besitze!«

»Nein, ich will ein ausdrückliches Geschenk!«

»Was denn?«

»Gib mir den alten Elefantenkopf da oben?«

»Den Mammutschädel? Schau, das Mädchen ist nicht dumm! Der Uprawitel hat mir schon hundert Rubel dafür geboten.«

»Hundert Rubel?« rief eifrig der Professor. »Der Kerl ist ein Spitzbube, ich gebe mit Vergnügen fünfhundert!«

»Nein, gelehrter Herr,« sagte Wéra in komischem Zorn. »Sie dürfen mir den Handel nicht verderben. Nun, Väterchen?«

»Wenn es dir Freude macht, Wéra, mein Liebling, mit Freuden!«

Das Mädchen küßte ihn. »Sie haben es alle gehört,« sagte sie mit spöttischem Triumph, indem sie eine rundgefüllte Ledertasche aus ihren Kleidern zog und zugleich auf den Mammutschädel wies, »meine Väterchen haben mir dies als Heiratsgut geschenkt! Nun, gelehrter Herr, wenn Sie den Schatz da oben haben wollen, müssen Sie mich heiraten!«

Der Gelehrte starrte die kecke Brautwerberin verblüfft über die Brille an und wurde puterrot im Gesicht, während die andern in ein heiteres Lachen ausbrachen. Nur der Verbannte warf ihr einen ernsten Blick zu, denn er kannte jetzt den kostbaren Inhalt des Ledersacks und begann das kecke Spiel zu ahnen.

»Unsinn! was redest du da, Wéra Tungilbi! weißt du nicht, daß sich das nicht schickt für ein Mädchen? – Sie setzen den Herrn da in Verlegenheit.«

» No! Michael Iwanowitsch, kümmern Sie sich nicht um mich. Ich fürchte, ich weiß manches durch Sie, was sich für ein Mädchen nicht schickt. Warum wollen Sie mich hindern, eine gute Partie zu machen, da Sie ja doch selbst verheiratet sind?«

Der Verbannte zuckte zusammen bei diesem Stich. Er hatte bisher nicht gewußt, daß dieser Umstand aus seinem Leben seiner kecken Schülerin bekannt sei, und ihn vorhin nur flüchtig im Gespräch gegen den Lord in englischer Sprache erwähnt, die das Mädchen doch nicht verstand.

»Sie werden Ihren Großvater unnütz besorgt machen, Wéra Tungilbi,« sagte er mit gerunzelter Stirn. »Es ist besser, Sie lassen ihn uns noch seine zweite Geschichte erzählen, die mich bekehren soll! Nach dem ›Brautritt in der Steppe‹ zu schließen, können wir vielleicht ganz Interessantes zu hören bekommen. Wie nennst du deine zweite Geschichte, Gospodin?«

»Wenn sie einen Namen haben soll,« sagte der alte Franzose höflich aber ernst, »so könnte ich sie vielleicht nennen:

»Die Russen am Amur –.«

Der Professor, der sich noch immer von seiner Verlegenheit nicht ganz erholt und in der Stille verschiedene, fast verliebte Seitenblicke bald auf das junge schöne Mädchen, bald auf den alten kahlen Mammutschädel geworfen hatte, zog geschwind wieder seine Schreibtafel, um sich Notizen zu machen.

Aber es sollte heute nicht zu der Erzählung der Geschichte kommen; denn ehe der Holowa sich noch bereit machte, zu beginnen, wurde die Tür hastig aufgerissen, und Wind und Schneeflocken mit sich bringend, trat, in seine Pelze gehüllt, einer der Katorgi herein.

»Was ist's, Iwan, was willst du ungerufen?« fragte streng der Holowa.

Der Verurteilte, der, wie man bei dem Lichte sah, den furchtbaren blauen Stempel auf Stirn und Backenknochen trug, grüßte demütig.

»Gott und die Heiligen seien mit dir, Väterchen! Du mußt eilig kommen mit deiner Medizin. Der Schweigende hat seinen Unfall wieder, und ich fürchte, er vergeht ohne die heiligen Sakramente.«

Die Mitglieder der kleinen Kolonie sprangen erschrocken empor.

»Nummer Neunhundertundachtzig, sagst du?«

»Ja, Väterchen. Er rollt die Augen, wie ein gestochenes Renntierkalb, und der Schaum steht ihm wie Schnee vor dem Mund!«

»Der Unglückliche!« Der alte Franzose lief rasch nach seiner Kammer und kam bald mit einem kleinen Medizinkasten unter dem Arm zurück, während Wéra Tungilbi seinen Renntierpelz vom Holzpflock an der Wand genommen hatte und ihn jetzt darin einhüllte.

Der Verbannte hatte sich gleichfalls erhoben und den Lord bedeutet, dasselbe zu tun.

»Dürfen wir mitgehen, Holowa?«

»Du weißt, daß es verboten ist, Fremde zu den ›Unglücklichen‹ zu lassen.«

»Aber dieser Herr ist ein Arzt, er hat Medizin studiert auf den deutschen Universitäten, und kann vielleicht besser helfen, als deine einfachen Hausmittel; denn viel Gescheites gibt die Regierung nicht.«

Der alte Kolonievorsteher bedachte sich einen Augenblick, aber der Fall war dringend.

»Dann mag es geschehen – ich will die Verantwortung auf mich nehmen, denn ich möchte dem armen Mann gern helfen. Kommt!«

»Sie werden eine interessante Persönlichkeit sehen,« flüsterte der Verbannte dem Engländer zu. »Tun Sie wenigstens, als wären Sie Arzt, und Sie dürften einiges hören, was Sie über die russische Justiz aufklären wird.«

Er folgte mit dem jungen Viscount dem bereits eilig Vorangegangenen.

Der Professor befand sich jetzt mit dem alten Tungusenhäuptling und dem schönen Mädchen allein an ihrem Tischende und bereitete sich auf eine galante, seine Gelehrsamkeit in das beste Licht stellende Anrede vor. Aber Wéra achtete seiner nicht, sondern schien in tiefem Nachsinnen, aus dem sie plötzlich emporfuhr.

»Meinen Baschlik, Mutin! er hängt hinter dir.«

Der junge Kosak, der schon zu viel getrunken, starrte sie mit gläsernen Augen an.

»Aber Herrin, Goldengel, wo willst du hin?«

Sie stampfte ungeduldig mit dem Fuß. »Kümmert's dich? Gehorche!«

Der junge Unteroffizier brachte schwankenden Schrittes demütig den pelzgefütterten Baschlik.

»Öffne die Tür!«

»Gospodina, bedenke, – das Wetter!«

»Paszol!«

Er öffnete die Pforte – draußen tobten Wind und Schnee – in ihre Renntierfelle gehüllt, von den Flocken überweht, schliefen an den Wänden wie Murmeltiere die Jakuten.

Das Mädchen huschte hinaus in Eis' und Schnee, während der gelehrte Professor ihr mit offenem Munde nachstarrte. – – – – – – – – – – – – – –


Eine Tranlampe verbreitete ein mattes Licht in der engen schmutzigen Jurte.

Auf einem Lager von festgestampfter Erde mit einer alten Filzdecke belegt, halb von einem Bärenfell verhüllt, lag in den Zuckungen der schrecklichen Krankheit der Unglückliche, der am Morgen des Tages so traurigen Abschied von dem wandernden Geistlichen genommen hatte.

Mit den geringen Erfahrungen, die ihnen zu Gebote standen, versuchten der Holowa und der Warnak die Gewalt des Anfalls zu brechen, indem der erstere dem Leidenden, der mit weitaufgerissenen starren Augen in Krämpfen zuckte, ein Fläschchen Salmiakgeist unter die Nase hielt und einige Tropfen Rum ihm durch die festgeschlossenen Zähne einflößte, der andere ihm mit Gewalt die krampfhaft geschlossenen Hände und gebogenen Glieder zu öffnen und zu biegen suchte, wobei er seine Bemühungen von Zeit zu Zeit mit dem Schlagen des griechischen Kreuzes über sich und den Leidenden unterbrach.

»Der Teufel soll meine Mutter reiten,« sagte der Warnak, der sich vergeblich in Schweiß gearbeitet, endlich mit einem jener schrecklichen russischen Flüche, die nicht allein von dem rohen Volk, sondern selbst von den Gebildeten ohne Bedenken gebraucht werden – »ich könnte einen Bären erwürgen, und der Kerl, der sich nur in Haut und Knochen noch schleppt, läßt sich nicht einmal einen Finger biegen. Aber er ist ein Schismatiker, ein Ketzer, er hat heute von dem falschen Weihwasser getrunken, und der Teufel ist mächtig in ihm!«

»Schäme dich, Iwan,« zürnte der alte Holowa, »den Unglücklichen mit Teufelswerk in Verbindung zu bringen, nur weil er ein Katholik ist. Bin ich's etwa nicht auch? Aber da sind Sie ja – wenn Sie wirklich ein Arzt sind, Herr, so helfen Sie, denn unsere gewöhnlichen Mittel wollen diesmal nicht verfangen, der Anfall ist zu stark und wird ihm das Leben kosten!«

Die Anrede galt dem jungen Engländer, der mit dem Verbannten bereits seit mehreren Minuten hinter ihnen stand und schaudernd die Szene betrachtete.

Der Lord nahm bei der Anrede mit Gewalt seine Fassung zusammen und riet, was Verstand und Beobachtung ihm sagten.

»Lösen Sie dem Unglücklichen vor allem die Halsbinde, Sie sehen ja, daß das Gesicht ganz blau von dem Blutandrang geworden ist. Haben Sie Senfspiritus zur Hand?«

»Senfspiritus? – nein, Herr! Hier ist Salmiakgeist, ein Brechmittel, Rhabarber und Fieberinde, das ist alles, was die Regierung liefert oder was wir haben.«

»So geben Sie den Salmiakgeist her. Wir müssen den Unglücklichen auf Brust und Rücken damit einreiben. – Sie tragen ein schwarzes Seidentuch um den Hals, Sir! wollen Sie es mir erlauben, um einen Versuch damit zu machen?«

Der junge Lord hatte sich erinnert, von diesem Hilfsmittel gelesen zu haben.

Der Verbannte nahm sein Tuch ab, während der Katorgi dem Kranken das Hemd von grobem Wollenzeug herunterzustreifen suchte.

Der Anblick, der sich darbot, war grauenvoll.

Der Leib des unglücklichen Verurteilten war hager und glich eher einem mit Haut überspannten Skelett. Aber diese Haut zeigte, Streif an Streif, auf Brust und Rücken in tiefen Vernarbungen die Spuren einer jener schrecklichen Mißhandlungen, wie sie in der russischen Justizpflege noch heute gesetzlich sind.

Der Lord begriff erst nicht, was diese tiefen roten Narben zu besagen hatten.

»Um Himmelswillen, der Ärmste sieht aus wie tätowiert!?«

Der Verbannte lachte. »Wie, Mylord, Sie waren ein Jahr Gesandtschaftsattaché und sollten nicht wissen, was diese Zeichen bedeuten?«

»Unmöglich! – es sind doch nicht – – –«

»Stockprügel und Knutenhiebe! nun ja, was sonst? Der Bursche ist ein Pole und wird sie sich wahrscheinlich als Lohn einer Meuterei geholt haben!«

Der Lord wandte sich mit Unwillen von dieser kalten Gleichgültigkeit. Er nahm das schwarze Seidentuch und deckte es über das Gesicht des Leidenden. Zugleich strich er sanft über die Pulse seiner Handgelenke.

Schon wenige Augenblicke daraus zeigte sich eine fast wunderbare Wirkung. Die Zuckungen ließen nach und hörten allmählich ganz auf, die Glieder erhielte ihre natürliche Biegsamkeit wieder, und es gelang dem Katorgi, die Hände des Kranken zu öffnen.

Die eine hatte krampfhaft in der Höhlung einen kleinen Gegenstand verborgen, der bei der Öffnung auf den Boden rollte. Nur der Verbannte und der Engländer bemerkten es; der erstere setzte den Fuß darauf und hob ihn dann auf, während der Holowa und der Wornik sich mit dem Kranken beschäftigten.

Dann winkte er den Lord zu der Lampe und betrachtete an ihrem Licht den Gegenstand.

Es war ein eiserner Siegelring.

»Lassen Sie uns sehen,« sagte der Russe, »ich glaube, wir werden hier die Lösung des Rätsels und der Nummer finden. – Richtig – das ist die Umschrift » Królestwo polskie« – Königreich Polen! – mit dem trotzigen einköpfigen Adler, und darunter – ha! fast dachte ich mir's! Kommando des 9. Regiments – und hier im Innern die Buchstaben P.W. – so wahr der Teufel meine Seele holen möge – es ist der Oberst Wysocki, von dem man nichts wieder gehört, seit er nach der Festung Akatuga – gebracht wurde!«

»Wysocki – ich erinnere mich dunkel des Namens! – War er nicht ein tapferer Offizier und einer der Führer des Aufstandes von 1830?«

»Sagen Sie, der Revolution! So ist es! Peter Wysocki war vor 1830 Leutnant und Vorsteher der Divisionsschule zu Warschau und eines der Häupter der Revolution. Als Oberst des 9. Regiments wurde er im Sturm von Warschau am 7. September 1831 bei Verteidigung der Schanzen von Wola verwundet, geriet in russische Gefangenschaft und wurde nach Petersburg gebracht. Hier wurde er nach langer Untersuchung zum Tode verurteilt, durch die Gnade des Zaren aber zu lebenslänglicher Arbeit in den Minen von Nertschynski bestimmt. Ich habe dort gehört, daß er 1833 dahin kam, mit ihm mehrere der anderen polnischen Narren, die glaubten, ihre Sensen könnten den russischen Kanonen Trotz bieten, oder Frankreich und England hätten etwas anderes für sie, als Versprechungen! Genug, man ging mit ihm in den Bergwerken nicht schlimmer um, als mit andern, ja, ich habe mir sagen lassen, daß man ihn selbst mit Rücksicht für seinen Rang und seine Persönlichkeit behandelte. Aber für Wysocki war die Lage dennoch unerträglich, und da keine andere Aussicht war, sie zu ändern, so dachte er an Flucht. Die Schwierigkeiten einer solchen sind aber, namentlich für politische Gefangene, fast unüberwindlich, und nicht jeder hat das Glück und die Ausdauer Piotrowskis. Anspielung auf die berühmt gewordene Flucht, die der polnische Emigrant Rusin Piotrowski aus der Jekaterynstischen Kolonie im Gubernium Tobolsk im Juli 1845 unternahm, und die derselbe über Archangel und Petersburg, fast ganz zu Fuß bis Königsberg in Preußen, wo er nach Jahresfrist eintraf mit einer übermenschlichen Ausdauer ausführte. Indessen fand er Gesinnungsgenossen, die das Wagnis teilen wollten, und da niemand die Wege durch die Gebirge kannte, so vertrauten sie sich einem Bauer an, der sie für eine gute Belohnung zu führen versprach, sie auch abholte und an einen bestimmten Ort brachte, dann aber umkehrte, sie verriet und Soldaten herbeiführte. Nach einem wütenden Kampfe, in dem Wysocki verwundet wurde, wurden sie alle gefangen zurückgebracht. Wysocki, als der Anführer, erhielt 1500 Stockhiebe. Ein Augenzeuge der scheußlichen Exekution erzählte mir, daß man ihn leblos ins Lazarett getragen. Nun, hat doch der Priester Sierocinski bei der Exekution in Omst bei viertausend noch geatmet, und erst die letzten dreitausend zählte man seinem Leichnam oder vielmehr den fleischentblößten Knochen auf! Wysocki wurde wirklich geheilt und nach seiner Genesung brachte man ihn nach der Festung Akatuga, wohin nur unverbesserliche Verbrecher geschickt werden, und wo man aufs grausamste mit ihnen verfährt. Hier mußte er die schwersten Handarbeiten leisten. Oft erkrankte er, wie ich hörte und mich jetzt überzeugt habe, an der Epilepsie, die ihn infolge jener Mißhandlung befallen; er sprach nie ein Wort, war düster und finster, vermied selbst die Gesellschaft der andern Gefangenen, und Mißtrauen gegen die ganze Welt beherrschte seine Seele. Sein stolzes, feuriges Herz war gebrochen, nicht durch die Verbannung nach Sibirien, sondern durch die entwürdigenden Stockschläge.«

»Und wann wurde das entsetzliche Verbrechen an einem tapfern Mann verübt?«

»Verbrechen?« sagte höhnisch lachend der Verbannte. »Sibirien würde niemals bevölkert werden, wenn nicht die strengsten Strafen auf jedem Fluchtversuch ständen. Aber, um Ihre Frage zu beantworten, Mylord, es muß im Jahre 1837 oder 38 gewesen sein.«

»Barmherziger Gott, – so hat er seine Leiden 23 lange Jahre mit sich herumgetragen? Aber wie kam er hierher?«

»Ich hörte vor dreizehn oder vierzehn Jahren, daß er nach Irkutsk versetzt sei. Er muß seitdem in die Posilinie begnadigt worden sein, und hier treffen wir mit ihm zusammen. Schade, daß ich nicht eher die Überzeugung gewann, aber wie gesagt, er sprach nur selten ein Wort und hielt sich von allem fern.«

Sie hatten das an der andern Seite der Jurte in englischer Sprache verhandelt; ihre Aufmerksamkeit wandte sich jetzt wieder dem Leidenden zu.

Der Anfall schien vorüber; als der Holowa das Tuch erhob, sah man die Augen des Dulders geschlossen, die bläuliche Farbe des Gesichts wich einer dunklen Röte und dicke Schweißtropfen perlten von seiner Stirn. Dem Krampf war nicht die gänzliche Erschlaffung der Kräfte, sondern, gefährlicher als das, ein Fieberparoxismus gefolgt.

Der Mund hatte sich geöffnet, der Kranke streckte, wie befehlend, die rechte Hand vor.

»Dort – dort – aus dem Pulverdampf! da kommen sie! Vorwärts, brave Kassyniere, mäht sie nieder, wie die Halme der Ernte, die sie zertreten. Feuer, Bursche – Feuer auf sie! Da – der Grünrock dort auf dem Pferd – Dummkopf, daß du fehlst! – Mir her die Büchse! – Ich kenne ihn Wohl, den Teufel – Oberst Apraxin, der Helena verführte! – Fahre zur Hölle, Schurke! – Zgie Polska

Der gellende Ausruf des Phantasierenden machte die Hörer erbeben. Die Glut des Fiebers hatte den Ärmsten zurück auf die heldenmütig verteidigten Schanzen von Wola geführt. Aber ebenso rasch wechselte in seinen wüsten Träumen das Bild.

» Bes poszczadi! Ohn' Erbarmen – zuweilen der furchtbare Beisatz der Urteile. – ja, ich kenne das Wort,« brüllte er. »Schlagt zu – trinkt mein Blut – armweit auseinander, der rechte Fuß vor! armselige dumme Schergen der Tyrannen, die ihr nicht einmal zu schlagen versteht! Pokrepsze! pokrepse! Stärker! stärker! Schurken!«

Er schwieg erschöpft – ein Schauer überrieselte die verkümmerte Gestalt, dann wich die Röte, und eine tiefe wachsartige Blässe überzog das eingefallene Gesicht.

»Heilige Jungfrau,« flüsterte der Holowa, »so hab' ich ihn noch nie gesehen; nach den Anfällen trat sonst jedesmal eine tiefe Ruhe ein – er lag wie tot!«

»Mir scheint, er wird bald auch jetzt so liegen,« flüsterte der Verbannte, »aber in Wirklichkeit. Sehen Sie, – er kommt zu sich!«

Der Kranke öffnete die Augen und sah um sich. Aus seinem Blick war die gräßliche Starrheit des Krampfes verschwunden, aber auch nicht Fieberglut belebte ihn, er war nur unendlich matt und anfangs erstaunt.

»Wo bin ich? – was ist geschehen? – ich – ich war krank, sehr krank!«

»Du hast deinen Anfall gehabt, brat,« sagte mitleidig der Holowa, »ungewöhnlich stark diesmal, aber es ist, Gott und den Heiligen sei Dank, glücklich vorbei und du wirst dich bald erholen. Wéra Tungilbi soll dir ein Süppchen kochen – ich befreie dich für die nächste Woche von jeder Arbeit!«

Der Pole lächelte schmerzlich. »Gott wird es tun – ich fühle es in meiner Brust – aber Dank dir, Holowa, du bist ein braver Mann, auch wenn du ein Russe geworden bist!« Er reichte ihm mühsam die abgezehrte Hand.

»Schlaf, brat!« bat freundlich der alte Franzose, »wir wollen gehen, damit du die nötige Ruhe findest. Iwan soll bei dir wachen. Das ist ein englischer Doktor hier – ein vornehmer Herr – er wird dich morgen wieder besuchen.«

Der Unglückliche schüttelte leise den Kopf. »Sein Gang wäre vergeblich,« flüsterte er, ich fühle, daß es vorbei ist mit mir, ich sterbe!«

»Das wolle Gott nicht! Aber es ist doch ein Trost für mich, daß der heilige Mann gestern bei uns war. Hast du die Absolutton empfangen und den heiligen Leib?«

»Den Leib des Herrn? – nein, nur denen, die vergeben, wollte er ihn reichen,« rief heftig der Kranke, indem er sich auf seinen Arm aufzurichten versuchte, »und ich sollte vergeben meinen Henkern, ich, dem Russenzar mein zertretenes Vaterland? – niemals!«

»Um der Heiligen willen, Mann, sprich nicht so!« bat der Holowa. »Es sind fremde Ohren hier, und du weißt, daß schlimme Strafe steht auf solcher Schmähung.«

Der Pole lachte bitter. »Ihre Strafe? was kümmert sie mich noch? aber sagtest du nicht, daß ein Engländer hier sei – ich hörte von dem Fremden –«

»Dieser Herr, den Wéra mit Gottes Hilfe aus dem Buran gerettet, ist ein vornehmer Herr, ein Lord!«

»Dann schnell, schnell! – hier – Iwan, Mensch, scharre die Erde weg unter meinem Kopf. Sie ist gefroren, nimm dein Beil!«

»Was soll das?«

Der Kranke achtete der Frage des Vorstehers nicht, während der Wornik in der Tat seiner Anweisung folgte; er wandte sich zu den beiden andern Männern.

»Wer will einem Sterbenden den letzten Dienst leisten?« fragte er französisch.

»Ich!« sagten beide.

»Nein – du nicht, Nummer Zwölfhundertvier! – du bist ein Russe, du verrätst dein eigen Vaterland und hast kein Gewissen. Ihr Name, Herr?«

»Frederik Walpole, Viscount von Heresford!«

»Sie kehren nach Europa zurück?«

»Ich bin auf dem Wege dahin!«

Der Kranke stieß mit ungewöhnlicher Kraft den Wornik zurück, der die Erde aufgebrochen und in dieser zu wühlen begann.

»Nein – nicht du!« Er griff mit seiner hagern zitternden Hand hinein und zog nach einigen Momenten ein kleines briefförmiges Paket, in Renntierhaut gehüllt, hervor.

»Wollen Sie das Testament Peter Wysockis, des Obersten des 9. Regiments, an die polnischen Emigration in Paris bringen?«

»Halten Sie ein, Mylord, ich darf es nicht leiden!« rief der Holowa, »und du, Unglücklicher, schweig! Wie kannst du wagen, vor allen deinen Namen zu nennen?«

»Die Stunde ist da, wo ich ihn vor dem Throne Gottes deinem Zaren entgegendonnern kann! Zurück, Holowa! – Wie ich vor zehn Jahren von einem unglücklichen Landsmann hörte, lebt ein Sohn meiner jüngsten Schwester, Graf Oginski! – also ihm oder dem Fürsten Czartoryski! – Wollen Sie schwören, Herr?«

Der Lord zögerte einen Augenblick. »Wenn es die Behörden dieses Landes mir nicht mit Gewalt entreißen – mein Wort darauf!«

»Klauseln! Klauseln! und ich habe es mit meinem Blute geschrieben – ein Geheimnis – das Vermächtnis an mein Land – –« stöhnte der Kranke, das Päckchen krampfhaft an seine Brust pressend, als wolle er es dort schützen.

»Gib es mir, Oberst Wysocki!« sagte eine feste frische Stimme. »Ich schwöre dir, meine Hand wird es an seine Adresse geben oder vernichten!«

»Du?«

Der Sterbende sah mit funkelnden Augen auf die Sprecherin, zu der erstaunt sich die Zeugen des Auftritts gewendet.

Es war die junge Sibirianka, die zwischen ihnen stand.

»Du – Wéra – wie kannst du? – – –«

»Ich schwöre es dir, Oberst Wysocki – ich werde in Paris sein, ehe ein Jahr vergeht, und das Testament in ihre Hände geben!«

Der alte Holowa brach stöhnend zusammen auf einen Schemel und streckte die Hände aus, »Kind, unglückliches Kind – du willst mich verlassen?«

»Ich werde! – willst du?«

Der Pole reichte ihr mit schwerem Arm das Paket. »Ich kenne dich – du wirst deinen Eid halten! Gott segne dich!«

»Ich glaube nicht an ihn! Frage dein Vaterland – dein eigen Los!«

Der Sterbende richtete sich krampfhaft empor und streckte den Arm nach oben. »Und dennoch lebt er – dort! dort! Seine Hand wird kommen, wenn auch noch so spät! – Zgie Polska! zgie PolskaEs lebe Polen!

Der letzte Ruf erstarb zwischen seinen zuckenden Lippen – er fiel schwer zurück auf das Bett von gefrorener Erde – er war tot!



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