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Erste Abteilung.
Masken ab!


Castelfidardo!

Eine der infamsten politischen Handlungen der neuern Zeit, ein Bruch des Völkerrechts, wie ihn nur die krasseste Willkür des ersten Napoleon gezeigt, war begangen: der Einbruch der sardinischen Armee ohne jede Ursache, ohne Kriegserklärung in das päpstliche Gebiet, das heißt in den geringen Teil, der aus dem Kriege und den Revolutionen von 1859 dem Oberhaupt der katholischen Kirche noch geblieben war.

Ganz Italien befand sich in wilder Aufregung. Die Revolution unterm Schutz des königlichen Purpurs und im Kleide des roten Hemdes war überall Sieger. Graf Cavour hatte mit Geschick und Erfolg die sardinischen Millionen ausgestreut und Nizza und Savoyen unter der Farce eines Plebiscit dem großen Spekulanten in Volkssouveränität und gloire verschachert! – Der geheime Besuch in Chambery am 16. September hatte die Komödie geordnet und das Reugeld für den Wechsel Orsini: »Frei bis zur Adria!« gezahlt. Der großen Liga der Revolution war durch plevin pouvoir auf Neapel und Warschau eine Tätigkeit angewiesen, die das Pariser Kaisertum in Ruhe sich kräftigen ließ und für die Armee fand man einstweilen, bis die große Frage der » Revendication« oder der »natürlichen Grenzen« des alten napoleonischen Reiches am Rhein verhandelt werden könnten, Beschäftigung in der wenig ehrenvollen Besiegung der Langzöpfe am Peyho und in der Expedition nach Syrien, um Fuad Pascha zu zwingen, zweihundert gläubige Muselmänner einen Kopf kürzer zu machen, als Genugtuung für fünfzigtausend am Libanon und in Damaskus ermordete Christen!

Seit dem Jahre 1848 war kaum eines wieder so reich an verschiedenen blutigen und politischen Ereignissen gewesen, wie das Jahr 1860. Spanien hatte bei Tetuan und Marokko gesiegt, und des kühnen Ortega wahnwitziger Handstreich zugunsten der verlorenen und ihres Vaters unwürdigen Bourbons war am 22. April in Tortosa mit christinischen Kugeln bezahlt worden.

Die Verständigung der deutschen Fürsten in Baden-Baden (18. Juni) war durch das drastische Erscheinen des französischen Kaisers vereitelt; im Norden störte der dänische Übermut selbst die Schlafmützen des deutschen Bundestags aus ihrer Ruhe; England hielt Revuen über seine Milizen gegen französische Landung; Preußen begann das mächtige Werk seiner neuen Armee-Organisation, und der Regent schickte seinen Feldjäger nach Cassel, um die Verfassungswirren zu schlichten; Österreich erfand seinen Reichsrat und ließ seine Generäle und Minister sich den Hals abschneiden zur Sühne für die Betrügereien im lombardischen Feldzuge; Rußland vergaß die Wiener Sünden, und der Kaiser von Japan und der Fürst von Montenegro wurden ermordet. In Amerika bereitete sich der blutige Sezessionistenkrieg, und selbst die kleine Schweiz schlug die Kriegstrommel gegen die französischen Gelüste, während in Mittel- und Norddeutschland der National-Verein eine zweite Regierung im Staate etablierte.

Der Schauplatz der Haupttragödie war Italien. Was je ein Land an Schmach, Treubruch, Verrat und Jämmerlichkeit geleistet, das war hier in dem kurzen Zeitraum eines Jahres überboten. Die Erbärmlichkeit der Regierungen wetteiferte mit der Freiheit der Regierten. Was Wunder, daß die Revolution überall offene Türen und Herzen fand. Kaum hätte es geschadet, daß ihr Orkan die Luft reinigte, wenn eben nur nicht die dynastische Spekulation im Hintergründe gestanden, und das schöne Land und der ehrliche Kämpfer dafür zum Spielball zwischen Mazzinismus, piemontesischem Großmachtskitzel und napoleonischer Politik geworden wäre!

Öffentlich mit der schamlosesten Stirn von dem sardinischen Gouvernement desavouiert, im stillen unterstützt, dampfte als Pionier des künftigen Königreichs Italien Garibaldi, der enthusiastische und kühne Vorkämpfer der italienischen nationellen Selbständigkeit und Freiheit, der Held von Rom, und der sardinische General von Como und Varese – noch erbittert über die Verschacherung seiner Geburtsstätte! – nach Sizilien und landete am 11. Mai in Marsala unterm Schutz der Korvetten Englands, das überall die Freiheit zu fördern liebt, mit Ausnahme seiner eigenen Länder. Am 27. war er mit seiner kleinen Truppe in Palermo eingedrungen und hatte, unterstützt von der jämmerlichen Feigheit und dem Verrat im Lager der Königlichen, innerhalb zweier Monate Sizilien erobert – für wen? das wußte er selbst kaum, aber Graf Cavour hatte ihn darüber nicht lange in Zweifel gelassen.

Am 9. September war die Avantgarde der Rothemden unter Major Missori nach dem Festland übergesetzt, am 19. folgte Garibaldi nach Reggio und rückte gen Neapel. Sein Zug dahin war eine Reihenfolge von schimpflichen Verrätereien und von Handlungen der Feigheit und Treulosigkeit auf seiten der Königlichen Truppen, wie sie die Geschichte keiner Nation – mit Ausnahme der schottischen im Verkauf Carl Stuarts! – befleckt hat.

Welche Sünden und Beweise von Unfähigkeit auch die Bourbonen der Neuzeit auf den verschiedenen Thronen, die sie inne hatten, sich haben zu schulden kommen lassen – den Treubruch der großen Masse des neapolitanischen Heeres gegen seinen jungen König, die Verräterei seiner nächsten Verwandten und Diener, – die lang vorbereitete, nicht auf das Wohl der Nation, sondern auf die Erwerbung neuen Gebietes und Machtvergrößerung gerichtete Intrige des piemontesischen Hofes wird kein rechtliches Herz billigen, und die Geschichte wird später, wenn jene Flackerfeuer politischer Leidenschaften verglüht sind, den wahren Richterspruch darüber tun.

Dem Papst waren also von seinem weltlichen Gebiet außer Rom und der Campagna nur noch die Provinz Umbrien und die Marken geblieben. Wenn auch nicht Pius IX., der Mann mit dem freundlichen, wohlwollenden Herzen, so besaßen doch die Staatsmänner des heiligen Stuhles, vor allem der Kardinal-Sekretär Antonelli Scharfblick genug, um zu wissen, daß die Politik Cavour nicht Lust hatte, sich mit dem Raube und der Annektierung der Legationen zu begnügen, und daß die Revolution im Kirchenstaat fortwährend geschürt wurde.

Daß die päpstliche Regierung einen Angriff von außen, dem Kriege mit einer größeren Macht nicht gewachsen war, wußte man sehr gut. Sie mußte sich in dieser Beziehung auf den Schutz einer Großmacht verlassen, und hatte die gefährliche Wahl zwischen Frankreich und Österreich. Das letztere hatte seine Besatzungen aus den Legationen bei dem Feldzuge von 1859 zurückgezogen – Frankreich dagegen Rom und Civitavecchia besetzt gehalten; – was blieb also übrig, als sich auf jede Gefahr hin dem französischen Schutz anzuvertrauen. Aber der Kaiser Napoleon verstand seinen häuslichen Frieden, das heißt die Beschützung Roms, mit seinen Konzessionen an die italienische Revolution zu vereinigen, und begnügte sich zu dem Zweck, die Agitation in Rom und seiner Landschaft im Zaum zu halten. Die Sicherung des übrigen Gebiets gegen die Rebellion im Innern und den Angriff von Freischaren sollte der päpstlichen Regierung selbst und ihren Truppen überlassen bleiben.

Nun befand sich aber das päpstliche Militär in einem so kläglichen Zustande, daß es diese Aufgabe in keiner Weise erfüllt hätte. Konnte es doch schon – obgleich damals noch die Schweizer Regimenter in ihrer festen Nationalität bestanden – nicht der Revolution von 1849 Herr werden, und der Papst mußte nach Gaëta flüchten.

Der Beschluß der Eidgenossenschaft vom Jahre 1849, der ihren Untertanen den ferneren Eintritt in fremde Kriegsdienste versagte, hatte in der Zusammensetzung der bisherigen Soldtruppen von Rom und Neapel eine sehr unvorteilhafte Veränderung hervorgerufen. Aus den zuverlässigen Korps, die bisher in Sold genommen worden, um der Unlust der Mittel- und Süditaliener, selbst Soldaten zu werden, Rechnung zu tragen – war eine Fremdenlegion von Abenteurern und verlorenen Söhnen aller Nationen geworden, der die notwendige scharfe Zucht der Fremdenlegion von Algerien mangelte, und deren Elemente jeder Verführung der revolutionären Propaganda zugänglich waren. Die Indigeni, die einheimischen römischen Truppen waren noch kläglicher, und eine energische Reorganisation daher dringend notwendig.

Die Wahl der Person eines Oberfeldherrn, der dies schwere Werk ausführen sollte, fiel durch die Bemühungen des neuen päpstlichen Kriegsministers, Monsignore Graf Merode, auf den französischen General Lamoricière, den Helden von Constantine, den Louis Napoleon bei dem Staatsstreich mit andern Gegnern hatte verhaften und verbannen lassen.

Der Papst hatte seinen Protektor in Paris um die Erlaubnis zu dieser Wahl ersucht, und diese war in Gnaden erteilt worden – das weitere behielt man sich jedoch vor. Lamoricière hatte mit einer Proklamation am 8. April das Kommando übernommen und in fünf Monaten bei den tausend Hindernissen, die ihm überall durch alte Mißbräuche und den Modus der römischen Verwaltung im Wege standen, das mögliche geleistet.

Aber mitten hinein in seine Bemühung schob plötzlich das Turiner Kabinett seinen Gewaltakt.

Während Garibaldi Italien von Süden her revoltierte, und das bourbonische Königtum zu vertreiben suchte, sollte die sardinische Armee ihm von Norden her darin zu Hilfe kommen, indem sie die neue päpstliche Armee verhinderte, sich mit dem jungen König und dem treugebliebenen Teil seines Heeres an der Volturno-Linie oder in Gaëta zu verbinden und gemeinsam die Freischaren wieder zurückzuwerfen, und indem man zugleich allen Verträgen zum Hohn das Gebiet des Kirchenstaats bis auf den Rayon der französischen Besatzung von Rom dem neuen Italien des Königs Victor Emanel einverleibte. Graf Cavour durfte nicht länger zögern, seine Hand auf die Eroberungen seiner Avantgarde, der Freischaren, zu legen, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, daß der alte Republikaner Mazzini, der sich mit Ledru Rollin bereits in Neapel eingefunden, ihm die Beute entreiße.

Mitten im Frieden, ohne jede Berechtigung, allem Völkerrecht und aller souveränen Selbständigkeit ins Gesicht schlagend, den Vertrag von Zürich gänzlich ignorierend, forderte plötzlich das Kabinett von Turin, nachdem die Armee Re gentiluomo im stillen an die Grenze des päpstlichen Gebiets gerückt war, am 7. September die römische Regierung auf, sofort alle fremden, in päpstlichem Dienst stehenden Truppen zu entlassen, und General Fanti mußte Lamoricière erklären, daß er Befehl habe, sofort in die päpstlichen Staaten, einzurücken, wenn die Truppen des Papstes es wagen sollten, in irgendeinem Ort des eigenen Gebiets eine revolutionäre Bewegung zugunsten der sardinischen Annektierung zu unterdrücken.

Die Forderung war eine offenbare Verhöhnung alles bisherigen Rechtes, und Kardinal Antonelli hatte natürlich im Namen seines Souveräns dieses Verlangen zurückgewiesen.

Diesem empörenden Akt revolutionärer Willkür sahen die Monarchen von Gottes Gnaden, die legitimen Besitzer der europäischen Throne, schweigend zu; der Kaiser Napoleon und der Vertrag von Zürich hatten ja die Nichtintervention proklamiert.

Was tat es zur Sache, daß sie auch den italienischen Fürsten ihren Thron garantiert hatten!

Nur der Kaiser von Österreich antwortete der Infamie mit einem Manifest an seine in päpstlichen Diensten stehenden Untertanen, indem er sie aufforderte, treu und mutig gegen die Revolution anzukämpfen.

Am 10. September machte eine Bande von 600 Freischärlern von der Romagna aus einen Einfall in das päpstliche Gebiet und plünderte Fossombrone.

Oberst Zambelli sandte zwei Kompagnien und ließ die Freischärler hinaus und über die Grenze zurück jagen.

Infolgedessen rückte ohne Kriegserklärung die ganze piemontesische Armee in das päpstliche Gebiet ein, überfiel die kleinen päpstlichen Abteilungen und Garnisonen und zwang sie, zu kapitulieren.

Nur mit Mühe gelang es einigen größeren Kolonnen, sich nach Arcona zurückzuziehen.


Das alte Leben von Loreto – das Getriebe aus der Zeit, als noch jährlich weit über hunderttausend Pilgrime zu seinem Heiligtum strömten, bevor es die frevle Hand der Franzosen von 1797 seiner Schätze beraubt, – schien wiedergekehrt und füllte die lange Straße des freundlichen Städtchens der Macerata.

Aber statt der Muschelhüte sah man nur die Kaskets der Cacciatori oder die Helme der Dragoner und Bärenmützen der Gendarmen, statt der langen Pilgerstäbe rasselten die Säbel und Kolben der Gewehre auf den breiten Marmorstufen des prächtigen Domes, der die casa santa – das Haus der heiligen Jungfrau – in seinen Mauern birgt.

Offiziere und Soldaten der Linien- und Schweizer-Regimenter, der Franco-Belgischen und Irischen Legion, die Bersaglieri und Guiden, Artillerie, Gendarmen und Chevaulegers tummelten sich bunt durcheinander, das gewöhnliche Straßenleben der italienischen Orte verdoppelnd.

General Lamoricière war am Abend vorher, den 16. September, in Loreto mit dem Reservekorps auf dem Weg nach Ancona eingerückt, nachdem Graf Palffy mit den Guiden und einer Eskadron Gendarmen die piemontesischen Dragoner, die sich bereits der Stadt bemächtigt hatten, hinausgeworfen. Loreto, ein Städtchen von etwa 8000 Einwohnern, liegt auf einem baumreichen Hügel und bildet eine einzige lange Straße. Von der Höhe sieht man das etwa 3 Miglien entfernte adriatische Meer. Die Piemontesen, in bedeutender Übermacht, sperrten im Tal des Musone den Weg nach Ancona.

Es war etwa 6 Uhr nachmittag, als eine Gesellschaft von Offizieren in der Nähe des Domes unter und vor den Arkaden einer Locanda plaudernd und trinkend stand und saß. Es waren ältere und jüngere Männer von den verschiedenen Waffengattungen und Nationalitäten, die das Korps des Obergenerals bildeten.

Die zahlreichste Gruppe umstand einen jungen Offizier in der kleidsamen Uniform der franco-belgischen Legion, dessen Schärpe den Adjutanten, und dessen noch dampfendes, von einer Ordonnanz umhergeführtes Pferd den zurückgelegten scharfen Ritt erwies. Er mochte etwa vierundzwanzig Jahre zählen, hatte eine feste mittelgroße Figur, und fein offenes Gesicht zeigte bei einem gewissen Phlegma doch große Willenskraft.

»Ich kann Sie versichern, Messieurs,« sagte der Offizier, ein Weinglas in der Hand, »ein Ritt von Macerata über Lupone und Montesanto in vier Stunden hierher, ist kein Spaß; aber Sie haben ja gestern den Marsch selbst gemacht und können daher beurteilen, was Coeur de lion, mein wackerer Brauner, geleistet hat. Auf Ihr Wohl, meine Herren, daß ich Ihnen ein unnützes Ausrücken erspart habe. Wir werden morgen alle Kräfte brauchen.«

Er leerte das Glas, das einer der Offiziere sogleich wieder füllte.

»Unser Bataillon war bereits zum Abmarsch angetreten,« bemerkte ein Kapitän des Schweizer-Regiments, »und hier Leutnant Uhde mit zwei Geschützen sollte uns begleiten, um eine Diversion gegen Recanatti zu machen, als Sie mit der Nachricht eintrafen. Cialdini muß geglaubt haben, daß General Pimodan auf der geraden Straße von Macerata marschieren werde.«

»In einer halben Stunde werden Sie die Spitze unserer Kolonne auf den südlichen Höhen an der Küste sehen.«

»Dann werden die Sardinier erkennen, daß sie genarrt sind, und ihre Schlachtstellung bei Recanati vergeblich ist,« sagte Major Bell. »Wie stark ist Ihr Korps noch, Herr von Merode

»Das erste und zweite Bataillon Caccciatori, Jäger. die zwei Bataillone Carabinieri und Bersaglieri und das meine, Monsieur.«

»Und Kavallerie?«

»Die deutschen Chevaulegers und zwei Eskadrons Dragoner; die Batterie ist leider ziemlich schlecht bespannt. Der Teufel hole Graf Cotodon für seine Fahrlässigkeit in der Absendung der Pferde von Triest. Der General hätte lieber einen Offizier senden sollen, statt des Stallmeisters Seiner Heiligkeit, der nichts kennt, als die gemästeten Wallache, die alle Woche einmal die Staatskutsche vom Vatikan bis zum St. Peter ziehen!«

Ein alter Kapitän zuckte die Achseln. »Das kommt von dem leidigen Nepotismus. Wenn er sich nur darauf beschränkte, könnten wir von Glück sagen. Aber er erstreckt sich in einem so gefährlichen Augenblicke, wie der gegenwärtige, selbst auf die Besetzung der Offizierstellen in der Armee.«

Der junge Belgier richtete sich straff in die Höhe. »Wie meinen Sie das, Herr Kamerad?«

»Nichts für ungut,« entschuldigte der Deutsche. »Es fällt mir nicht ein, brave Leute, wie Sie, zu meinen, ob Sie nun ein Vetter des Kriegsministers sind oder nicht, der ja selbst unter Lamoricière in Algerien den Kugeln gestanden. Aber wenn Sie nach jenem Tisch blicken, werden Sie selbst zugestehen, daß ich nicht so unrecht habe.«

»Wen meinen Sie?«

»Nun, die beiden Herren dort, die unter dem Halunken Vial vor Neapel davon gelaufen sind, direkt bis Rom, und von denen der eine, weil er eine Principe ist, vor drei Tagen uns als Major oktroyiert wurde und der andere morgen einen Zug Geschütze führen soll.«

»Das ist freilich eine schlechte Empfehlung. Aber welche Nachrichten haben Sie von Ancona, und wie ist es dem General mit der Kriegskasse ergangen? Wir hörten nur, daß er aus Besorgnis um diese den Umweg an der Küste genommen.«

»Quatrebarbes, der brave Weißbart,« berichtete der Major der Schweizer, »hat am 12. den Belagerungszustand in der Festung proklamiert. Sie wissen von dem Unheil bei Fanno?«

»Nein, Major, nichts näheres!«

»Nun, nachdem unsere Leute die eingedrungenen Freischärler aus Fossombrone geworfen, schickte am Dienstag der Delegat von Urbino die Nachricht, daß die Piemontesen ohne Kriegserklärung über die Grenze gedrungen seien. Ihre Lanziers überfielen das Detachement kurz vor Fanno und versprengten es. Die Besatzung von Fanno mußte kapitulieren, wie die von Perugia, Pesaro und Orvieto, dem Rest der Kolonne gelang es, sich mit Brigade de Courten zu vereinigen und am 14. Ancona zu erreichen. Leutnant von Falckenstein und Kapitän v. Einem deckten den Rückzug und haben sich vortrefflich gehalten. In Ancona selbst arbeitet man Tag und Nacht an den Befestigungen, die leider sehr vernachlässigt sein sollen.«

»Und die sardinische Flotte?«

»Der St. Paolo, der kleine päpstliche Dampfer, den wir zum Glück in Porto di Recanati auf Rekognoszierung trafen, während die Barken zum Transport des Geldes für die Festung ausgeblieben waren, wußte noch nichts von ihr. Aber es geht das Gerücht, Fischerbarken hätten gestern draußen auf der Adria sechs Kriegsdampfer in der Richtung nach Norden gesehen.«

»Hoffentlich waren es französische Schiffe. Sie wissen, daß heute General Goyon mit 25 000 Mann und 48 Geschützen in Rom eintreffen muß.«

»Glauben Sie wirklich daran?« sagte hinter dem Offizier eine klangvolle Stimme.

Alle wandten sich um – ein Offizier der Guiden aus dem Stabe des Ober-Generals war zu der Gruppe getreten.

»Ah, Marmont, Sie sind es! ich sah mich vorhin beim General vergeblich nach Ihnen um.« Der Belgier reichte dem Angekommenen die Hand, die der junge Herzog von Ragusa mit Wärme schüttelte. »Aber was soll das heißen? Glauben Sie nicht, daß der Kaiser Wort hält?«

»Grammont Herzog von Grammont war damals französischer Gesandter in Rom. hat es dem Kardinal versichert, und Ihr Onkel hat die Depesche dem General mitgeteilt,« sagte der Guide spöttisch; »aber glauben Sie wirklich, daß Louis Napoleon den Widerstand des 2. Dezember vergessen hat? Es dürfte ihn kitzeln, dem Ruf seines alten Gegners einen Streich zu versetzen. Ein Desaveu des Gesandten wird ihn weniger kümmern, als die Gardinenpredigt von Madame Eugénie.«

»Es wäre schändlich!« rief Graf Palffy, der Kommandant der Bersaglieri. »Das Versprechen lautet ausdrücklich, daß der Kaiser sich jeder piemontesischen Invasion in dem Kirchenstaat widersetzen werde. Nur darauf hin hat Österreich sich aller Interventionen enthalten.«

Der Herzog lachte. »Lieber Kamerad,« sagte er, »begnügen Sie sich mit dem Ruhm Ihrer gestrigen kühnen Rekognoszierung, bei der die Kartätsche Ihnen den schönen Rappen unterm Sattel tötete – viel andere Lorbeeren dürften uns nicht grünen. A propos – was macht Ihr Begleiter, der tolle Irländer mit seiner Kopfwunde?«

»Der hat einen so harten Schädel, daß ich glaube, selbst ein Zwölfpfünder würde daran abprallen,« meinte Major Bell. »Dort drüben sitzt er und trinkt mit den Italienern und würde selbst das Tuch schwerlich um den Kopf gebunden haben, wenn seine schöne Schwester ihn nicht dazu beredet hätte. Kommen Sie her, O'Donnell – es ist die Rede von Ihnen!«

Der Irländer, der mit einem Teil seiner Kompagnie vor der Kapitulation des Generals Schmidt in Perugia sich durchgeschlagen und die Kolonne des Obergenerals erreicht hatte, erhob sich auf den Ruf und trat zu der Gruppe. Er war ein großer athletischer Mann mit dem Aussehen eines irischen Gentleman. Denn er war ein solcher, obwohl er nicht Offizierrang bekleidete und nur als Freiwilliger diente.

»Den Teufel auch, meine Herren,« sagte er, »es muß eine wichtige Sache sein, um die Sie den Sohn meines Vaters bei einer Fogliette dieses prächtigen Traubengewächses stören. Was beliebt?«

»Wir wollten nur wissen, lieber Kamerad,« sagte einer der Offiziere, »ob Ihnen die Kartätsche gestern abend nicht geschadet hat?«

»Beim heiligen Patrik, Sir, nennen Sie das Ding, was mir am Kopf vorbei schrammte, eine Kartätsche? Ich will keine Fuchsjagd in Galway mehr mitmachen, wenn eine irische Kartoffel nicht härter ist.«

»Dennoch, Monsieur O'Donnell,« sagte der Guide, »hat Sie der Obergeneral für diese Kartoffel zum Leutnant bei den Dragonern ernannt.«

»Bah, – im Ernst, Acuschla, mein Liebling?«

»Auf Wort, Ihr Patent wird noch diesen Abend unterzeichnet.«

Der Irländer mochte einen lustigen Sprung und riß das schwarze Tuch von seiner Stirn, die noch eine tüchtige Schramme zeigte.

»Den Teufel auch, dann ist es um so notwendiger, daß ich es mit einigen Flaschen begieße, ehe Mary mir eine Predigt des Anstandes hält. Der alte Geizhals, mein Onkel, muß mir einige seiner marokkanischen Millionen zur Equipierung leihen!«

»Der Herzog Von Tetuan ist Ihr Verwandter?« fragte der Belgier.

»Zum Teufel ja, obschon er nichts wissen will von mir, weil er behauptet, ich hätte das Vermögen der O'Donnells in Sherry und Pferden durchgebracht, und sei ein Taugenichts. Als ob ein ehrlicher Bursche, wenn er auch noch so kräftige Hände hat, einer ganzen Armee von Konstablern und Sheriffs Widerstand leisten könnte, wenn sie sich in den Kopf gesetzt haben, sein Erbe in Beschlag zu nehmen?!«

»Und deshalb haben wir das Vergnügen, Sie in unseren Reihen zu sehen, Leutnant O'Donnell?« fragte lachend der Guide.

»O heiliger Patrik, nein – es war noch ein anderer fataler Umstand dabei. Die Sheriffs hätten mich wenig geniert, aber ich mußte einer Lady aus dem Wege gehen, die sich mit Gewalt in den Kopf gesetzt hatte, ihre zwanzigtausend Pfund Einkünfte mir an den Kopf zu werfen.«

»Wie – eine Dame mit zwanzigtausend Pfund wollte Sie heiraten, und Sie weigern sich?«

»Den Teufel auch, 's ist ne Engländerin mit Schmachtlocken, und Mary würde sich im Leben nicht mit ihr vertragen! Sie wissen, die Engländerinnen haben alle einen Strich«

Das Gelächter der Offiziere war allgemein und hatte den Kreis vergrößert.

»Sie sind ihr also durch Ihre Flucht aus England glücklich entgangen?« fragte der Guide.

»Entgangen? Zum Henker, da kennen Sie den Eigensinn der Weiber schlecht. Sie verfolgte mich nach Madrid und Paris, wo ich ihretwegen zwei Duelle an einem Tage hatte, und ich wette hundert Pfund, wenn sie gewußt hätte, wohin wir gegangen, sie wäre uns sicher nach Rom nachgereist.«

»Monsieur O'Donnell,« sagte der Belgier lächelnd, »ich glaube, ich habe eine schlimme Nachricht für Sie.«

»Was beliebt?«

»General Pimodan ist Ihnen übrigens zu Dank verpflichtet, denn durch Sie haben wir mindestens eines unserer Geschütze weiter gebracht.«

»Ich verstehe Sie nicht, Sir.«

»Hören Sie. Auf dem Marsch, kurz vor Macerata, trafen wir einen Reisewagen mit vier Pferden bespannt, der von Rom kam und nach Ancona wollte. Der Vetturin hatte vortreffliche Pferde, und der General besann sich nicht lange, sie in Beschlag nehmen und vor unsere herzlich schlecht bespannten Geschütze legen zu lassen.«

Der Irländer sah den Sprecher noch immer mit erstaunter Miene an. »Der Teufel soll mich zu Frikassee hacken, wenn ich begreife …;«

»Nun, parbleu, ich dächte, die Sache ist ziemlich klar! Der Wagen gehörte einer Engländerin, die mit Paß und besonderen Empfehlungen des britischen Konsuls, nur von einem alten Diener und ihrem Kurier begleitet, reist.«

»Von einem alten Diener, einem Kerl, dürr und lang wie eine Hopfenstange, mit weißem Haar?«

»Akkurat gezeichnet, und ich erinnere mich, daß die Dame durch ihren Kurier beim Kommando nachforschen ließ, ob sich ein Landsmann von ihr, Herr O'Donnell oder O'Connell – ich verstand nicht recht – bei den Truppen befände.«

Der Unglückliche fiel unter dem schallenden Gelächter der Offiziere wie ein leibhaftiges Bild des Jammers auf den nächsten Stuhl und starrte geistesabwesend bald auf den einen, bald auf den andern.

»O Jammer, Jammer,« stöhnte er, die Hände abwechselnd auf die Knie schlagend, »ich bin ein verlorner Mensch! Bitten Sie den General, daß er mich an die äußerste Spitze der Avantgarde schickt – aber Gott soll meine Seele verdammen, ich glaube, sie holt mich aus einem Kanonenfeuer heraus, wenn sie erst eine Ahnung hat, daß ich hier bin. Um Himmelswillen, geben Sie mir einen Rat, was ich tun soll?«

»Aber zum Henker, ist denn die Miß so alt und häßlich?«

»Häßlich? Sie ist das hübscheste und beste Mädchen, das ich kenne, und gerade zweiundzwanzig alt! Das ist es ja eben – sie ist die beste Partie in ganz Irland. Wenn nur das verdammte Testament nicht wäre!«

»Was für ein Testament?«

»Nun – von dem alten Wucherer, ihrem Vater! Er war der Hauptgläubiger und hat uns ruiniert. Rein um etwas eher aus dem Fegefeuer zu kommen, hat der Kujon auf dem Totenbette verordnet, daß seine Tochter mit all dem Geld mich heiraten soll. Aber ich will den Teufel tun und ihn erlösen, und soll es mir das Herz abstoßen!«

Das Gelächter verdoppelte sich bei dem naiven Geständnis. »Hören Sie, Herr Kamerad,« sagte der italienische Artillerieoffizier, der gleichfalls herangetreten, in schlechtem Französisch, »ich bin bereit, Sie von Ihrer Qual zu befreien und die Lady mit all ihrem Geld zu heiraten.«

»Den Teufel werden Sie!« knurrte Paddy mit einem Blick wie ein bissiger Bullenbeißer auf die hagere kleine Figur des Neapolitaners. »Ich schlüge Ihnen alle Knochen im Leibe entzwei! Heiliger Patrik, was sollte Miß Judith auch mit einem Haut- und Knochenmanne, wie Sie, anfangen?«

»Signor …;,« brauste der Italiener auf.

»Frieden, meine Herren!« sagte der alte deutsche Major, »dort kommt der Obergeneral.«

General Lamoricière kam mit seinem Stabe von der Rekognoszierung, die er gegen Castelfidardo unternommen.

Der General zählte 54 Jahre – er war am 5. Februar 1806 in Nantes geboren und der Sohn einer legitimistischen Familie; – aber weder die achtzehn Feldzüge in Algerien, mit deren letztem er Abd-el-Kader zwang, sich dem Herzog von Aumale zu ergeben, noch die Deputierten-Kampagne von 48 bis 51, während der das dankbare Volk von Paris ihm das Pferd unterm Leib erschoß und der purpurlustige Präsident den Freund und Kriegsminister Cavaignacs nach Ham und in die Verbannung sandte, noch die Gicht hatten seine Haltung gebeugt. Der General saß legere im Sattel und unterhielt sich mit dem Obersten Blumenstiel, dem Chef der Artillerie.

Die Offiziere hatten sich sämtlich erhoben und salutierten den Oberst-Kommandierenden. Der Herzog von Ragusa nickte seinen Gefährten im Stabe zu; die ersten Namen Frankreichs und Belgiens waren unter diesem und den Guiden vertreten. Der Führer der letzteren, Graf Bourbon Chalus, blieb hinter der Suite zurück und hielt bei den Offizieren.

»Sie haben die Zeit richtig bestimmt, Herr Kapitän,« sagte er zu dem Belgier, »die Spitzen der Kolonnen des General Pimodan sind seit fünf Minuten auf den Höhen sichtbar, in zwei Stunden kann das Gros in Loreto sein. Leider mangelt es an Proviant für die arme Bursche – die Santa Casa hat sich nicht auf so vielen unheiligen Besuch eingerichtet. Marmont, ich habe einen Auftrag für Sie.«

Der junge Herzog trat näher an den Sattel, von dem herab der Major leise mit ihm sprach. Marmont wandte sich zu der Gesellschaft zurück, sein Blick schien nachdenkend die einzelnen zu mustern.

»Der Einzige, der das Stück ausführen könnte, ist Palffy,« sagte er kopfschüttelnd, »aber der General wird ihn morgen besser brauchen. Wollen Sie mir freie Hand geben in der Wahl?«

»Ich vertraue Ihnen; es muß ein Mann sein, der lieber das Genick bricht, als sich einholen läßt und – gerade heraus – an dessen Leben nicht viel gelegen ist. Sobald Pimodan hier ist und die Dunkelheit eintritt, kann er seine Instruktionen in Empfang nehmen. Der General hat eines seiner eigenen Pferde für ihn bestimmt und der Führer wird bereit sein!«

»Ich hoffe, ich schaffe Ihnen den richtigen Mann. Wenn ihn ein Unglück trifft, wollen wir für seine hübsche Schwester sorgen.«

»Wen meinen Sie?«

»Den Irländer, der von Perugia zu uns stieß. Der Bursche warf gestern bei dem Angriff, als die Gendarmen sich weigerten, im Trabe vorzugehen, einen Sergente aus dem Sattel, sprang hinein, ohne den Bügel zu berühren, und zwang den wilden Hengst, als hätte er ihn ein Jahr lang in der Manege geritten. Da hat er gleich Gelegenheit, sein Leutnantspatent einzuweihen.«

»Ich habe ihn auch bemerkt, aber ich dachte, er wäre verwundet. Eh bien, sprechen Sie mit ihm. Um 8 Uhr ist Kriegsrat bei dem General – wir werden alle Hände voll zu tun haben! Addio!«

Als der Herzog sich nach dem Legionär umsah, den er soeben zu einem Abenteuer auf Tod und Leben empfohlen, sah er ihn im Gespräch mit zwei Frauen, oder vielmehr mit einer derselben; denn die zweite, eine Nonne vom Orden des heiligen Franziskus, stand mit einem Geistlichen einige Schritte von den Sprechenden entfernt.

Die Dame, mit welcher der Irländer sprach, war jung und von einer gewissen anmutigen Frische. Sie trug ein kurzes schottisches Kleid und eine helle Reitjacke darüber, die von dem blau- und grünkarierten Stoff des Kleides und der Weste gefällig abstach. Ein einfacher weißer Kragen ließ den schön geformten vollen Hals sehen, und ein niederer grauer Filzhut mit blauer Feder saß auf dem üppigen kurz geschlungenen Haar von blonder Farbe, wie sie in dieser Nüance eben nur der Norden hervorbringt. Strahlende Augen blickten unter dem Hutrand munter und doch züchtig aus dem runden freundlichen Gesicht mit dem zierlichen kecken Stumpfnäschen. Familienähnlichkeit bewies, daß die junge Dame die Schwester des Irländers war, auf den sie eifrig einsprach.

Eine ganz andere Erscheinung war die Nonne, obschon ihr Alter nur um wenige Jahre höher sein konnte, als das der Irländerin. Sie war von hoher, und soweit es das plumpe Klostergewand von grobem schwarzen Tuch zu erkennen gestattete, schlanker Gestalt. Ein blasses Gesicht, von edler Regelmäßigkeit und dem feinsten Teint, zeigte sich in der helmartigen Umhüllung der weißen, glatten Stirn- und Wangengebinde unter dem schwarzen Kopftuch, wie sie die Schwestern vom Orden des heiligen Franziskus von Assisi tragen, die sich der Krankenpflege gewidmet haben. Die zarte aristokratische Hand, die das Gebetbuch hielt, barg sich unter dem rauhen Ärmel, und die Augen der Nonne waren fest auf den Boden geheftet.

Neben ihr wartete mit einer gewissen Ungeduld ihr geistlicher Begleiter auf die Beendigung der Unterredung der jungen Irländerin. Er war eine grobe knochige Gestalt mit gleichen Gesichtszügen von finsterem Ausdruck, den die buschigen Brauen über der plumpen plebejischen Nase noch unangenehmer machten. Die Farbe seines Teint war durchgängig rot, wie bei Menschen von brutalen Begierden, und obschon er nicht viel mehr als fünfunddreißig Jahre zählen konnte, fehlte ihm doch alle Elastizität, und sein ganzes Wesen war barsch und abstoßend.

»Nun, Liebling,« sagte endlich der neue Leutnant, indem er statt des irischen Dialekts, in dem sie bisher gesprochen, sich wieder der französischen Sprache bediente, »wenn du darauf bestehst, mag's sein. Ehrlich gestanden, ist es vielleicht das Gescheiteste, was du tun kannst; denn schau, Mary, ich kann wegen deines hübschen Gesichtes doch nicht täglich einem ehrlichen Burschen eine Kugel in die Rippen schießen, und bin augenblicklich selber so in der Klemme, daß ich am liebsten davonliefe. Weißt du, wer uns auf den Fersen ist?«

»Wer denn? die Piemontesen!«

»Hol' der Teufel die Piemontesen und ihren Musjöh Garibaldi dazu. Um die ganze Sippschaft kümmere ich mich nicht. Aber Judith Hoghborn ist keine zwanzig Meilen von hier, ich habe die verdammte Gewißheit erhalten!«

»So mache ein Ende und heirate sie!«

Terenz O'Donnell starrte seine muntere Schwester fast ebenso verblüfft an, als vorhin den Grafen Merode bei der Nachricht, daß die Tochter des Wucherers in der Nähe sei.

»Nun, bei Sankt Patrik und dem Riesen Fingal,« meinte er endlich, »das hättest du auch früher sagen können. Jetzt ist's freilich zu spät; denn ich kann mich doch unmöglich von den Weibern zwingen lassen! Wenn man so einfältig ist, euch nachzulaufen, zieht ihr einen ehrlichen Burschen bei der Nase herum, und wenn man sich nichts aus euch macht, wißt ihr nicht, wie ihr scharwenzeln sollt. Hol' mich der Teufel, ich wünschte, ich hätte meines Vaters Tochter auch erst glücklich unter die Haube, und wenn's denn keine andere ist, so mag's vorläufig die Nonnenhaube sein. Ein Kobold, wie du, wird sich gut darin ausnehmen.«

Sie schlug ihn mit der Reitgerte, die sie in der Hand trug, über die Finger. »Ungezogener Mensch,« sagte sie lachend, »was soll der ehrwürdige Herr da denken und Schwester Regina, die eine wahre Heilige ist und ein wahres Glück für mich; denn hätte ich sie nicht gefunden, ich hätte wahrhaftig das Reden verlernt, da hier kein Mensch mich versteht, wenigstens kein Frauenzimmer. Ich gehe jetzt mit ihnen nach dem Lazarett, um zu sehen, was Frauenhand helfen kann. Aber wenn ihr die Fahnen holt, obschon es nur alte zerfressene Roßschweife sein sollen, muß ich dabei sein, ob Nonne oder nicht!«

Die lustige Schöne machte ihrem Bruder einen zierlichen koketten Knix, der zur größeren Hälfte dem Guidenkapitän galt, der sich eben dem Irländer näherte und sie galant salutierte, und hüpfte zu der ersten Nonne und dem Geistlichen zurück, der ihrem weltlichen muntern Gebahren unverwandt mit finsterem Blick gefolgt war, in dem zuweilen ein ganz anderer unheimlich flammender und verzehrender Ausdruck Momente lang loderte, aber immer sogleich wieder beherrscht und unterdrückt wurde.

»Verzeihen Sie, Schwester Regina,« sagte die junge Irländerin, die von dem Geistlichen wenig Notiz nahm, »daß ich Sie so lange aufgehalten, aber ich mußte doch meinem Bruder sagen, daß Sie mich unter Ihren freundlichen Schutz nehmen wollen; und nun lassen Sie uns weitergehen, wenn es Ihnen gefällig ist.«

Die barmherzige Schwester nickte ihr freundlich zu und setzte sogleich ihren Weg die Straße entlang fort, ohne auf die kriegerische Umgebung auf beiden Seiten auch nur einen Blick zu werfen. Erst jetzt konnte man sehen, daß der aristokratische Fuß, der sich im Gehen zuweilen unter dem schwarzen Gewande vorstahl, nackend war und sie also – wahrscheinlich infolge eines Gelübdes oder einer Buße, denn die Regel des Ordens schreibt dies nicht vor, – barfuß den Weg machte.

Sie waren, verfolgt von den Lorgnons und den Bemerkungen der Offiziere noch keine fünfzig Schritt weitergegangen, als ihnen eine Kompagnie des Fremdenregiments im Anmarsch begegnete.

Es waren zum großen Teil wilde bärtige Gestalten der verschiedensten Nationalität, aus allen Ländern Europas, Knaben oft von höchstens sechzehn Jahren und Veteranen, die auf allen Schlachtfeldern der verhängnisvollen letzten zwölf Jahre gekämpft hatten – Taugenichtse und Vagabunden, die um ihr Leben zu fristen, oder Gelegenheit zu Raub und Plünderung zu haben, oder um irgendeiner Strafe in der Heimat zu entgehen, in die päpstliche Legion eingetreten waren, und wiederum brave kühne Soldaten und begeisterte Kämpfer der von der Revolution bedrängten Kirche, die auf den Notruf des heiligen Vaters herbeigeeilt waren, bereit, Blut und Leben zu opfern für den hohen Zweck.

Leider war es noch nicht gelungen, diese heterogenen Elemente genügend zu verschmelzen, um ein tüchtiges Korps daraus zu bilden, und die Offiziere waren gezwungen, manche Nachsicht zu üben.

Der geistliche Herr trat mit seinen beiden Begleiterinnen zur Seite und ging weiter, als der Blick des führenden Kapitäns auf die Nonne fiel.

Er senkte betroffen, bestürzt den Degen. »Comteß Amalie – um Himmelswillen …;«

Die barmherzige Schwester hatte den Ruf gehört, einen Moment zuckte ihr Auge empor, dann heftete es sich wieder fest auf den Boden, eine dunkle Röte überzog das blasse leidende Gesicht und sie schritt hastig vorwärts.

Der Offizier hatte den Degen eingesteckt und seinem Leutnant einen Befehl gegeben, dann eilte er hastig den dreien nach, die bereits den Eingang des Klosters der heiligen Klara erreicht hatten, in dem sich das schnell errichtete Lazarett befand: denn selbst die kirchlichen Gebäude waren mit Truppen belegt.

Die Hand der Nonne, die vorausgeeilt, streckte sich bereits nach dem Glockenring, als der Offizier ihr zuvorkam.

»Comteß Amalie – sind Sie es wirklich? wie kommen Sie hierher – und in diesem Gewande?« fragte er in deutscher Sprache.

Die Nonne wurde totenbleich und zitterte heftig. Nur mit Mühe konnte sie die innere Bewegung so weit bemeistern, um endlich zu antworten.

»Es ist das Gewand meines selbstgewählten Standes, Herr,« flüsterte sie, »mein Name ist fortan allein: Schwester Regina.«

Der Vikar war herangetreten. »Ich muß Sie bitten, mein Herr,« sagte er gleichfalls in deutscher Sprache, da er die Anrede gehört, »die fromme Schwester nicht weiter zu belästigen, oder wenn Sie ihr eine Mitteilung zu machen haben, dies an dem Sprachgitter des Klosters zu tun.«

Der Offizier sah ihn vornehm und kalt an. »Wenn ich nicht irre, Herr Vikar Tangerfeld

Der Geistliche verbeugte sich leicht.

»Der Sohn eines Häuslers meines Oheims, des Grafen Wunster, der ihn auf seine Kosten ins Priesterseminar schickte?« fuhr der Kapitän mit Härte fort. »Dann werden Sie auch wissen, daß diese Dame meine Verwandte ist, und es mir – auch wenn sie die Gelübde abgelegt – nicht verboten ist, mit ihr zu sprechen. Ein Soldat im Felde ist nicht Herr seiner Zeit – unsere Unterredung kann überdies nur kurz sein, da ich meiner Kompagnie folgen muß! – Treten Sie also zurück oder ein, wie es Ihnen beliebt, und stören Sie mich nicht weiter.«

Die rote Gesichtsfarbe des Vikars wurde noch dunkler bei dem rauhen Verweis, aber er unterdrückte mit klerikaler Selbstbeherrschung die heftige Antwort und begnügte sich, einige Schritte zurückzutreten und die junge Irländerin auf die Schönheit der Aussicht aufmerksam zu machen, die von der Pforte des Klosters her über die mit Obstbäumen und Weingeländen bedeckten Hügel hinweg Aussicht gegen das adriatische Meer hin bot.

Die Nonne war zitternd und erschöpft auf die Steinbank zur Seite der Pforte niedergesunken, ihre Hände ruhten gefaltet über dem Rosenkranz in ihrem Schoß.

Der Offizier stand vor ihr.

Er war mittelgroß, das aufgeregte Gesicht zeigte sonst Freundlichkeit und Ruhe und wies auf ein Alter von 25 Jahren.

»Cousine Amalie, liebste Comtesse, wie kommen Sie hierher? in diesem Kleide, in dieser Begleitung, barfuß – Sie, noch vor wenigen Jahren die gefeierte Schönheit der ersten Cercles, selbst des Hofes in Hannover?!«

»Ich wiederhole Ihnen, Baron Kerßen, ich bin nichts als die demütige Schwester Regina. Ein Gelübde hat mich nach Assisi, zum Grabe des heiligen Stifters unseres Ordens geführt. Ich darf und will nichts von den Weltlichkeiten hören, denen ich entsagt!«

»Und der Prinz – und – – Hermann?«

Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen, ein krampfhaftes Schluchzen erschütterte ihre Brust.

Der Vikar bemerkte es nicht – er sprach mit der Irländerin.

Einige Minuten kämpfte die Klosterfrau mit den Erinnerungen, die so plötzlich in ihr geweckt worden – sie wäre ihrem Zauber, ihren Schmerzen vielleicht erlegen, wenn ihr nicht ein Engel von oben Hilfe gebracht.

Die Glocken des Abendsegens erklangen.

Der milde Ruf zum Abendgebet, der in allen katholischen Ländern noch sorgsam und gläubig beobachtet wird, verbreitete über die bewegte Menge eine tiefe feierliche Stille. Die meisten sanken in die Knie, andere begnügten sich, das Kreuz zu schlagen.

Das stille Gebet hatte auch das Herz der Nonne gestärkt. Als sie sich vom Boden erhob, schwebte der Friede heiliger Entsagung auf ihrem Antlitz. Sie reichte dem Verwandten gefaßt die schmale Hand.

»Ich hätte gleichfalls nicht erwartet, Sie hier zu sehen, Vetter,« sagte sie, »ich glaubte Sie in Berlin.«

»Ich habe schon vor vier Monaten meinen Abschied genommen. Haben Briefe oder wenigstens die Zeitungen Ihnen nicht meine Angelegenheit gemeldet?«

»In den Frieden des stillen Schwesterhauses zu Münster dringen nur wenige weltliche Nachrichten; es scheint, Sie wußten ja auch nicht von der Bestimmung meines Lebens. Es freut mich, wenn es Ihnen und alten Freunden wohl geht – –«

»Er steht seit dem Winter bei einem Linienregiment in Posen,« unterbrach er sie hastig.

»Still – nichts mehr davon! Die Sehnsucht, am Altar der gnadenreichen Mutter aller Schmerzen meine Andacht zu verrichten, hat mich vor acht Tagen von Perugia hierher geführt. Der ehrwürdige Herr Tangerfeld hat mich auf meiner Pilgerfahrt begleitet. Der plötzliche Ausbruch des Krieges hat uns hier zurückgehalten, indem er uns den Weg nach Ancona und Triest versperrte.«

»Und kann ich nichts für Sie tun, Cousine – Schwester Regina?«

»Ich freue mich, Sie unter den Streitern Christi zu sehen. Vielleicht können wir unter ihrem Schutz Ancona erreichen. Das junge Mädchen dort, die einen Bruder im Heere hat, will uns begleiten. Die Arme schloß sich mir an, weil keine der Frauen weiter hier Englisch verstand. Dürfen wir auf Ihren Schutz rechnen?«

»Gewiß – nur – –«

»Sie zögern?«

»Der Ausgang des morgenden Tages liegt in Gottes Hand – der Feind hat dreifache Übermacht.«

»Der Herr ist auch in den Schwachen stark! Jedenfalls werde ich Gelegenheit haben, auch hier meine Pflicht zu üben. Leben Sie wohl! ich muß zu meinen Kranken.«

Sie machte das Zeichen des Kreuzes und zog die Glocke. Die Pforte öffnete sich, ohne sich umzuschauen trat sie in den Klosterhof.

Als der Geistliche an dem Offizier vorüber ihr nachfolgte, verbeugte sich dieser kurz. »Wenn Sie meiner bedürfen, Herr Vikar, so senden Sie nach dem Quartier der Fremdenlegion.«

Der Geistliche begnügte sich mit einem bejahenden Zeichen – die Pforte schloß sich wieder hinter ihm und dem Mädchen. – – –


Der Herzog von Ragusa hatte mit jener chevaleresken Kordialität, welche die französischen Offiziere auszeichnet, den neuen Leutnant untergefaßt und führte ihn die Straße entlang.

»Herr Kamerad, ich habe einen Auftrag an Sie!«

»An mich? Goddam! ich errate – von der kleinen italienischen Vogelscheuche dort?«

Der Guide lachte. »Nein – Sie irren! Diese Herren ziehen einen Messerstoß durch einen andern, einem Degenstich von ihrer eigenen Hand zur Reparierung ihrer Ehre vor. Nein – er kommt direkt, oder vielmehr indirekt vom Obergeneral.«

»Den Teufel auch! was wünscht er? soll ich eine Batterie mit meinen Landsleuten nehmen? Mit Vergnügen!«

»Das ist es nicht, obschon, parbleu! nicht viel leichter. Sie sind ein guter Reiter?«

»Passable! Eine Steinmauer müßte schon über Ellen hoch sein, wenn ich's nicht wagen sollte, und auch da riskiert man doch eben nur das Genick. Aber der Teufel hole hier allen Sport – ich habe hier noch nichts zwischen den Beinen gehabt, als elende Kracken.«

»Wir haben uns überzeugt, was Sie leisten können. Ich bin beauftragt, einen Offizier zu suchen, der sich das beste Pferd des Obergenerals wählen mag, um eine Depesche zu überbringen.«

»Teufel! das ist verführerisch – der Kastanienbraune mit dem weißen linken Vorderfuß –«

»Er steht Ihnen zu Diensten! ich dachte an Sie – ehrlich gestanden, weil ich glaubte, mit der Entfernung Ihnen einen Dienst zu leisten.« Er sah ihn lächelnd an.

»Gewiß, Herr Kapitän, nur – – –«

»Ich meine die Engländerin mit den Schmachtlocken und den 2000 Pfund Sterling!«

»Gott verdamm' mich – ja, das ist wahr! Wenn sie mich hier erwischt, bin ich geliefert. Ich finde nicht einmal Mitleid mehr bei Mary, obschon sie meine leibliche Schwester und sonst ein ganz verständiges Kind ist, die über jeden Graben bis zu zehn Fuß im Fluge setzt!«

»Ich erkenne vollkommen diese vortrefflichen Eigenschaften an, aber es handelt sich jetzt um Ihren Auftrag. Sie sollen nach Ancona!«

»Nach der Festung? Aber zum Henker, ich bin kein Vogel, der durch die Luft fliegt, und auf der Erde steht dieser Herr Cialdini zwischen uns und der Stadt.«

»Wenn Sie auch kein Vogel sind, Monsieur O'Donnell, so sind Sie doch ein vortrefflicher Reiter, und das ist fast eben so viel. Der General wird morgen versuchen, den Feind zu durchbrechen. Wie und auf welchem Wege, das wird der Kriegsrat entscheiden, der nach Ankunft des Generals Pimodan stattfinden soll. Wenn unser Angriff aber bei der großen Übermacht des Feindes gelingen soll, muß zu gleicher Zeit ein Ausfall der Garnison von Ancona ihn unterstützen und die Piemontesen im Rücken fassen. Die Nachricht und die Order dazu sollen Sie überbringen.«

»Verdammt, ich möchte es gern – aber ich kenne den Weg und das Terrain nicht.«

»Man hat dem Obergeneral einen Menschen aus Loreto vorgeschlagen, einen ehemaligen Schmuggler oder Banditen, der die Gegend zu kennen behauptet und das Unternehmen wagen will. Aber der Obergeneral traut den Italienern nicht besonders und bei den meisten mit Recht. Darum soll ein kühner und entschlossener Mann aus unseren Reihen ihn begleiten, ein Mann, der die Depesche trägt, bei dem geringsten Beweis von Verrat den Führer über den Haufen schießt und dann Kopf und Kragen daran setzt, die Posten der Piemontesen zu durchbrechen oder die Depesche hierher zurückzubringen. Der Weg am Meer über Umana soll von dem Feind noch nicht, oder doch nur mit wenigen Posten besetzt sein. Er führt fortwährend an der Küste entlang bis Umana. Haben Sie glücklich diesen Ort erreicht, so sind Sie über die feindlichen Linien hinaus, und es gilt dann nur noch einen Ritt von acht bis zehn Miglien, 4 italienische Miglien = 1 deutsche Meile. der aber unmöglich einem Italiener anvertraut werden kann; denn sie sind fast alle schlechte Reiter, wie Sie gestern bei dem Angriff der Gendarmen auf Loreto selbst gesehen haben. Ich würde das Abenteuer selber unternehmen, aber der Obergeneral hat mir eine andere Aufgabe bestimmt. Nun sagen Sie mir offen, haben Sie Lust und Kraft, den Dienst zu leisten, oder muß ich mir einen andern suchen?«

»Ich werde jeden über das Schnupftuch fordern,« beteuerte der Irländer, »der es wagte, mir den Auftrag wegzunehmen. Wann soll ich abreiten?«

»Sobald es Nacht ist. Sie haben sich in einer Stunde im Hauptquartier einzufinden und bei dem Major der Guiden zu melden. Keine schwere Bewaffnung, sichere Pistolen finden Sie in den Halftern des Pferdes. Also höchstens Ihren Säbel und Ihren Revolver und dunkle Kleidung.«

»Ich werde zur Stelle sein!«

»Der Führer erwartet Sie an der Ecke des Klosters der Franziskanerinnen. Bis dahin also – Parbleu! Da ist Graf Pimodan selbst mit seinem Stabe!«

Der sehnlichst Erwartete kam mit mehreren Offizieren, darunter dem Fürsten Odescalchi, dem Kommandanten der Kavallerie der Armee, und dem tapfern Major Vecdelièvre, dem Führer des Bataillons Franco-Belgier, im scharfen Trab die Straße vom südlichen Eingang der Stadt her. Der Herzog eilte den Ankommenden entgegen.

Die Offiziere, die Soldaten sammelten sich freudig um sie, während der General vor dem Tor des bischöflichen Palastes, der zum Hauptquartier diente, vom Pferde sprang.

» Buona sera, Guten Abend! Messieurs! guten Abend, Merode!« sagte der tapfere Führer, indem er dem letzteren die Hand reichte. »Sie sehen, ich habe mich daran gehalten, denn Sie können mir höchstens zwei Stunden Vorsprung abgewonnen haben. Meine Avantgarde wird in einer halben Stunde hier sein – ich komme doch hoffentlich noch zur rechten Zeit? – Aber wo ist der Obergeneral?«

»Hier, lieber Graf! Sie sind bestens willkommen!«

Lamoricière war die Stufen herabgekommen, er bewillkommnete herzlich den Kriegsgefährten und führte ihn die breiten Marmorstufen hinauf.

Der General verfehlte die erste, indem er noch rückwärts seinen Begleitern einen Befehl erteilte, und wäre stolpernd beinahe gefallen.

» Mort de Dieu! da sehen Sie, Lamoricière,« sagte er lachend, »mit welchem schlimmen Omen Sie mich empfangen. Aber es tut nichts, wenn wir nur nach Ancona kommen!«

Die kommandierenden Offiziere, die zum Kriegsrat berufen waren, eilten nach dem Hauptquartier, die Adjutanten und Fouriere hatte alle Hände voll zu tun, um für die erwarteten und nach und nach eintreffenden Kolonnen der zweiten Brigade Unterkommen und Proviant anzuschaffen, an welchem es sehr mangelte. Vor dem Hauptquartier lagerte es von allen Truppengattungen, große Biwakfeuer waren in der Straße und in den Gärten angezündet, und die Bewohner des Ortes bewegten sich angstvoll und aufgeregt zwischen den Soldatengruppen, in denen man in vier oder fünf Sprachen fluchte, lachte, scherzte und zankte.

Wohl anderthalb Stunden waren so vergangen, die Nacht – das durchsichtige Dunkel der Nächte des italienischen Spätsommers – bereits über die Hügel und das Meer gesunken, als der junge irische Offizier an dem Marmorbecken der sprudelnden Fontäne im Vorhof des bischöflichen Palazzo lehnte und auf weitere Order wartete. Vor der Tür marschierte eben die Musik des Linienregiments der Brigade Courten mit den Fahnen-Kommandos aller Truppenteile auf – das ganze versammelte kleine Heer schien vor dem Hauptquartier zusammen zu strömen und bildete eine breite Gasse nach dem Hauptportal des Doms.

Die beiden italienischen Offiziere, die am Nachmittag mit dem Irländer an einem Tisch gesessen, gingen eben an ihm vorüber.

»Darf ich Sie fragen, mon Prince,« sagte der junge Leutnant höflich, »was da eben geschehen soll?«

»Ei, wissen Sie nicht, daß Seine Heiligkeit den Delegaten beauftragt hat, die Fahnen, die Don Juan d'Austria in der Türkenschlacht bei Lepanto zu Ehren der Christenheit eroberte, und die in der santa casa aufbewahrt werden, dem Bekämpfer des ›neuen Islamismus‹ zu übergeben, damit sie vor seinem Quartier aufgepflanzt werden und die Kämpfer der heiligen Kirche begeistern? Sie sollen soeben mit aller Feierlichkeit aus der Kathedrale geholt werden.«

Es lag ein gewisser Hohn in der Mitteilung des Principe, den jedoch der ehrliche Sohn Erins nicht begriff; er erinnerte sich wohl kaum aus dem Dubliner College, wer Don Juan d'Austria gewesen war.

»Meinetwegen,« murrte er, »eine gute Brigade Paddys wäre mir lieber, als der alte Plunder, und wahrscheinlich auch wirksamer. Doch, Achtung, meine Herren, da kommt der Obergeneral!«

Der Feldherr erschien in der Tat auf den Stufen des Palazzo, gefolgt von den sämtlichen Mitgliedern des Kriegsrats. Die Musik spielte das » Pio nono«, und die Fahnen-Kompagnien setzten sich in Marsch.

»Leutnant O'Donnell?« rief eine Stimme durch die Gruppen im Hofe.

»Hier, Kapitän!«

Der Herzog von Ragusa kam hastig heran. »Major Bourbon schickt Ihnen hier die Depesche – er muß mit der Generalität nach dem Dom. Sie kennen Ihre Instruktion. Gehen Sie an die nördliche Ecke des Klosters – dort wird der Führer Sie erwarten. Die Parole ist: San Pietro in montorio. In zehn Minuten wird man das Pferd dahin bringen. Haben Sie wegen der Signora, Ihrer Schwester, die nötigen Anordnungen getroffen?«

»Ja, Herr Kapitän.«

»Schön – sonst hätte ich mich Ihnen zur Disposition gestellt. Noch eines – sollte ein Unglück passieren, so sorgen Sie mit Ihrem Leben dafür, daß die Depesche nicht in Cialdinis Hände fällt. Nun Gott befohlen! Der Himmel bringe Sie glücklich durch alle Gefahren, auf Wiedersehen in …;«

Er erblickte den Principe und seinen Begleiter, die einige Schritte abseits standen, legte dem Irländer gegenüber bezeichnend den Finger auf den Mund und entfernte sich mit kurzem Gruß.

Auch der Irländer nahm seinen Säbel unter den Arm und verließ den Hof. Der Principe holte ihn jedoch nach den ersten hundert Schritten ein.

»Sie müssen noch in der Nacht hinaus, Herr Kamerad?«

»Dienst, mon Prince

»Ach – eine Order an die Vorposten! ich hätte Lust, statt des Fahnenspektakels hier mit Ihnen zu sehen, ob die Herren Piemontesen gute Wache halten.«

»Ich bedauere,« sagte der Irländer trocken, »ich muß meinen Weg allein machen! Auf Wiedersehen!«

»Morgen?«

»Wenn uns nicht der Teufel bis dahin eine sardinische Kugel geschickt hat, hoff' ich es. Addio, Signor!«

Er wandte sich kurz ab und schritt über die Straße.

»Haben Sie gehört, Negroni,« sagte der Principe, den Arm des Artilleristen nehmend, »der Bursche soll nach Ancona – es ist kein Zweifel, obschon es der Franzose verschluckte, als er uns sah. Was ist zu tun?«

»Leider nicht viel, da er in zehn Minuten aufbricht. Wir müssen darauf rechnen, daß sie ihre Augen offen und gute Wache halten. Jetzt gilt es vor allem den Beschluß des Kriegsrates zu erfahren. Das ist Ihre Sache, Fürst, indes ich den Pater aufsuche, damit er den Boten bereit hält.«

Sie waren dem Irländer in einiger Entfernung bis zum Franziskaner-Kloster nachgegangen und sahen ihn dort an der Ecke der Mauer zu einem bei einem Maultier stehenden Mann treten.

Der Irländer hatte ihn gleich gesehen und war auf ihn zugegangen.

» Buona sera, Signore,« sagte er, seine wenigen italienischen Floskeln zusammen nehmend.

» Gracia, Excellenza

»Ich hoffe, Ihr seid der rechte Mann,« fuhr der Leutnant französisch, der einzigen ihm geläufigen fremden Sprache, fort, »aber ich verstehe herzlich wenig Italienisch.«

» Le mot, monsieur

»Ah, das ist vortrefflich. San Pietro in montorio!«

»Gut, Signor – ich bin der rechte. Ich bin mit den Herren Franzosen oft genug in Rom zusammengekommen und verstehe deshalb etwas von Ihrer Sprache. Man hat mir gesagt, daß Sie ein vorzüglicher Reiter wären – aber ich sehe Ihr Pferd nicht?«

»Es wird sogleich kommen.«

Die beiden Gefährten benutzten die Pause, um sich gegenseitig etwas näher zu betrachten. Der Führer war ein Mann von untersetzter Gestalt, soviel die Helle der Nacht und das Licht der zahlreichen Biwakfeuer zu sehen gestattete, noch in den kräftigsten Mannesjahren, etwa vierzig alt. Ein schwarzer krauser Bart bedeckte den ganzen untern Teil des Gesichts, über der schmalen Habichtsnase und unter dem spitzen grünen Hut, wie ihn die Landleute in den Apenninen tragen, funkelten zwei scharfe dunkle Augen. Der Mann war in einen weiten braunen Mantel gehüllt, dessen Öffnung die Tracht der Gebirgsbewohner zeigte. Auf seinem roten Brustlatz hing ein Kruzifix, in der bunt seidenen Schärpe, die seine Hüften umschloß, steckten Pistolen und ein neapolitanisches Messer.

Die kurze Prüfung schien beide Parteien ziemlich zu befriedigen. »Sie sollten den Sarras da ablegen, Signore,« sagte endlich der Fremde, »sein Klirren kann uns leicht eine der Schildwachen auf den Hals hetzen, die uns sonst nicht bemerkt hätte.«

»Sie mögen recht haben – indes ist es zu spät, und ich kann ihn aufhängen, Signor. Wollen Sie mir Ihren Namen sagen, damit ich weiß, wie ich Sie nennen soll, wenn wir miteinander sprechen?«

»Meinen Namen? Per Bacco – auf unserm Wege werden wir nicht besonders viel plaudern können. Indes – jeder Mensch muß eine Handhabe für den anderen haben, und so kann ich Ihnen den meinen immerhin nennen. Ich heiße Antonelli!«

»Teufel – ein Namensvetter des Kardinals?«

»Ein wirklicher Vetter, Signore, wenn's Ihnen nichts verschlägt! Wir sind beide aus Terracina, und Giacomo, hätte gewiß auch ein vortrefflicher Brigante oder Schmuggler werden können, wie sein Bruder, wenn er nicht zufällig geistlich geworden wäre. Da ich aber nicht stolz bin auf Verwandtschaften und sie mir lieber aufspare, wenn ich wirklich einmal in die Gefahr der Garotte Die römische Hinrichtungsmaschine. käme, nennen ich und meine Freunde mich lieber Tonelletto.«

»Tonelletto?«

» Si, Signore. Es ist ein Name so gut wie ein anderer!«

»Aber ich hörte in Rom diesen Namen von den Offizieren der Garnison als den eines der berüchtigsten Brigantenchefs des westlichen Apennin nennen?!«

Der Italiener zuckte die Achseln. » Cospetto – was kann ich dazu tun? Diese Froschfresser von Franzosen machen aus jeder Mücke einen Skorpion und gönnen einem armen Teufel nicht das geringste, während sie Briganti im großen sind! – Aber ich glaube, dort kommt Ihr Pferd.«

In der Tat näherte sich ein Gendarm mit einem einfach gesattelten Pferde von echt englischer Zucht von der Seite des Palazzo her.

Zugleich kamen Artillerie und mehrere Feldwagen der Kolonne Pimodan die Straße herunter gerasselt und durchbrachen die Zuschauermenge, die auf dem Platz der Kathedrale versammelt war. Eine Ordonnanz ritt ihnen voran und führte sie nach der Stelle unweit des Klosters, wo der Wagenpark und die Geschütze aufgefahren standen. Zwischen den Bagage- und Munitionskarren befand sich eine halbaufgeschlagene Reisekalesche. Auf dem Bock neben dem Vetturin saß die kurze bewegliche Gestalt eines Kuriers, den goldenen Windhund auf dem linken Ärmel der Jacke gestickt, zuweilen trotz aller Einsprache des Vetturins die Peitsche gegen die beiden müden Gäule gebrauchend, noch mehr aber seine Zunge, die unerschöpflich schien in Ausrufungen und Anordnungen, die sie in fünf verschiedenen Sprachen durcheinander mischte.

Auf dem Rücksitz der Kalesche saß eine lange hagere Gestalt mit weißem Backenbart und gelbem Rock, der bis an die Fersen reichte; im Fond eine in ihren schottischen Mantel gehüllte Dame, deren Gesicht der Schleier des Barets verdeckte.

Der Wagen hielt in der Mitte der Straße und war bald von Soldaten und Bettlern umgeben, deren es in Loreto eine Unzahl gibt. Der kleine Kurier war ganz Leben und Bewegung.

» Could you recommend me one good inn? Können Sie uns einen guten Gasthof zeigen?Aussitôt Madame, vous pouvez en reposer entièrement sur moi! Riposatevi sopra me!« Verlassen Sie sich auf mich. – Er winkte einem Burschen, der auf zwei Krücken humpelte und unter kläglichem Wimmern nach einer Gabe den zerlumpten Hut hinhielt. » Avvicinatevri di me! Das dumme Volk hier versteht seine eigene Sprache nicht! Der Kerl sieht zwar wie der ärgste Vagabond aus, aber lo tengo por hombre de bien! Ich halte ihn für einen rechtschaffenen Kerl. et nous avons besoin de trouver un hôtel pour Mylady et we want to sup!«

Den mezzofantischen Übungen des kleinen Mannes wurde ein Ziel gesetzt durch den langen Kammerdiener der Dame, dem dieselbe einige Worte in englischer Sprache gesagt hatte.

Der Lange packte den Kleinen ohne weiteres am Kragen und hielt ihn fest.

» Master Jean!«

» Master Wilkens?«

»Mylady sagt, Sie möchten die Soldaten fragen, ob sie einen Gentleman kennen, namens Terenz O'Donnell?«

» Nonavete ch'a comandare! Messieurs, avez-vous compris?« Er wiederholte die Frage der Dame in französischer und italienischer Sprache.

Mit Gelächter wurde sie wiederholt. Jedermann beeilte sich zu rufen: »Wo ist Monsieur O'Donnell? Wer kennt Signor Terentio O'Donnell?«

Unterdes hatte der Gendarm das gesattelte Pferd zu den beiden seiner Harrenden gebracht. Als er die Zügel dem Offizier reichte, erkannte er den Gefährten desselben.

» Per Baccho – Tonelletto, bist du es wirklich?«

» Si, Signore sergente! in ganzer Person!«

»Aber Bursche, du weißt doch, daß hundert Scudi auf deinem Kopf stehen?«

» Si, si! Was ist da weiter! Aber die Zeiten haben sich geändert und ich stehe jetzt im Dienst Seiner Heiligkeit, so gut wie Ihr! Sieh da, mein hübscher Offizier karessiert mit einer Klosterfrau und versäumt die Zeit damit.«

Der Irländer war mit dem Pferd am Zügel an den Torweg des Klosters gegangen, hatte geschellt und der Pförtnerin eine Bestellung gemacht. Gleich darauf war ein Mädchen mit dem Obergewand der Laienschwestern bekleidet herausgekommen und hatte ihm die Hand gereicht.

»Was willst du, Terenz?« Es war die junge Irländerin.

»Liebling,« sagte der Offizier, »ich habe nur wenige Augenblicke Zeit und wollte dir Adieu sagen. Ein Auftrag entfernt mich für diese Nacht, wahrscheinlich auch für morgen. Du bleibst auf jeden Fall hier im Kloster, bis ich dir Botschaft sende, es müßte denn sein …;«

»Was, Bruder? Du ängstigst mich!«

»Bah – nichts! Laß noch diesen Abend die wenigen Sachen aus meinem Quartier holen. In dieser Brieftasche sind die Papiere über das kleine Kapital, das wir bei dem Bankier in Rom deponiert, und hier« – er drängte ihr seine Börse auf – »ich habe redlich geteilt.«

»Terenz – wohin gehst du?«

»Wohin mich die Pflicht ruft. Das ist das Los des Soldaten, und nun, sei ein starkes Mädchen, du weißt, daß wir allein in der Welt stehen. San Patrik und die heilige Jungfrau mögen dich in Schutz nehmen! Holla – wer ruft da meinen Namen?«

Es war der Augenblick, in dem auf die Frage des Kuriers die um den Wagen versammelte Gruppe von Bettlern und Soldaten sich beeilte, nach Signor O'Donnell zu schreien.

» Hell and Damnation!« fluchte der Irländer, auf die von dem nächsten Feuer und einigen Fackeln hell erleuchtete Gruppe starrend – »San Patrik soll meine Seele tausend Jahre im Fegefeuer lassen, wenn das nicht Miß Judith selber ist!«

Er faßte den Zügel des Pferdes und setzte den Fuß in den Steigbügel.

Der Wagen der Lady wurde von der Schar der Bettler fast erstürmt, die sich mit hundert Eiden verschworen, den Signore sofort zu suchen und herbeizuschaffen, wenn Ihre Exzellenza nur die Gnade haben wolle, ihnen einige Bajocchi auf Abschlag zu geben. Das Mittel der erschreckten Dame, eine Handvoll Münzen aus ihrer Börse unter die Menge zu werfen, machte das Übel noch ärger, denn alles balgte sich nun um den Wagen her; der Vetturin brauchte vergeblich seine Peitsche, um vorwärts zu kommen, der Kurier schimpfte nutzlos in fünf oder sechs Sprachen auf die lachenden Soldaten, die einen Kreis um die Reisenden bildeten und nicht wichen und wankten, bis boshaft der Principe, der noch immer in der Nähe stand und das Tun des Offiziers beobachtet hatte, die Nächsten darauf aufmerksam machte, daß der Gesuchte an der Pforte des Klosters eben zu Pferde steigen wolle.

Der Ruf: » Arrestate Signori! Ferma! Ferma! eine Dame will Sie sprechen!« verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und die Blinden und die Lahmen machten sich eiligst mit gesunden Augen und Füßen auf den Weg, den Entdeckten herbei zu holen.

Der unglückliche Freier hörte mit wahrem Entsetzen die Rufe, wenn er sie auch nicht verstand – aber er sah die Dame im Wagen sich vorbeugen und ihrem alten Diener mit der Hand den Platz zeigen, wo die Geschwister standen. Mit einer lästerlichen Verwünschung sprang er in den Sattel. » Fare well, Mary!« Die Sporen bohrten sich in die Flanken des edlen Renners, der vorwärts schoß, ein halbes Dutzend Männer und Weiber über den Haufen werfend. Von Gelächter, Schimpfworten und Verwünschungen verfolgt, jagte der Irländer davon und die Straße hinab, indem er sich kaum Zeit nahm, dem Führer zuzurufen. Der Menschenhaufe und das aufgestellte Gefährt versperrten ihm den Weg – gerade vor ihm hielt einer der eben mit dem Train des Generals angekommenen Munitionskarren. Ein Schnalzen der Zunge, die Sporen in die Weichen, und mit gewaltigem Satz flog das edle Pferd mit seinem tollen Reiter über den Karren hinweg.

Lauter Jubel, Händeklatschen und Evvivas folgten ihm, als er wie eine Windsbraut im Laufe der Gasse verschwand. Der würdige Schmuggler und Brigante, der Vetter der allmächtigen Eminenz, beeilte sich, ihm zu folgen.

Von dem großen Portal der vom Papst Paul II. 1467 erbauten, unter Julius II. 1503 vollendeten Kathedrale klang lustig und anregend die Militärmusik herüber. Aus den weit geöffneten Bronzetüren mit den Reliefs von den Brüdern Lombardi und Tiburzio Vercelli drang ein Strom von Licht bis zur ehernen Statue Papst Sixtus' V. von Calcagnis Meisterhand. Die Soldatenreihen schlossen sich – das Kommandowort der Offiziere klang laut über den Platz.

»Achtung! Präsentiert das Gewehr!«

Der Handschlag rasselte an den Kolben – die Tambours schlugen –

Aus dem Portal der Kathedrale schritten paarweise zwölf Chorknaben, brennende Wachskerzen in den Händen, und reihten sich auf den Stufen.

Dann kamen die Diakone und die Vikare der Santa Casa und stellten sich zu beiden Seiten des Portals, aus dem jetzt die zehn Träger der Flaggen und Roßschweife schritten, welche die päpstlichen Galeeren am 7. Oktober 1571 unter dem tapferen kaiserlichen Bastard dem Türkenadmiral Ali am Golf von Patras (Lepanto) abgenommen, dessen Wasser vom Blute von 15 000 Ungläubigen gerötet war.

Umgeben von den Kanonicis, den Generalen und Stabsoffizieren folgte der Delegat, die von Diamanten und funkelnden Edelsteinen strahlende Monstranz in den Händen.

Unter dem Portal des mächtigen Doms blieb er stehen, während die Fahnenträger sich vor der Statue Sixtus' V. aufstellten.

Der Strom der Menge hatte die junge Irländerin von dem Eingang des Klosters fortgedrängt – auch die verzeihliche Schaulust und Neugier des Weltkindes mochte das Ihrige dazu beigetragen haben. Das Klostergewand war etwas zu Gewöhnliches, als daß es Aufsehen erregt hätte, namentlich in einer Zeit, wie die gegenwärtige; dennoch strebte sie vergeblich, aus dem Gedränge zu kommen, bis eine helfende Hand sie unterstützte und unter die einsamen Arkaden der geschlossenen Kaufhallen mehr zog als führte.

Die junge Irländerin erkannte die Uniform eines höheren Offiziers und wollte eben für den freundlichen Schutz danken, als sie sich überzeugte, daß dieser keineswegs so uneigennützig geleistet worden, denn der Ritter der Kirche versuchte, sie an sich zu ziehen und zu umschlingen.

»Sträube dich nicht, Kind,« flüsterte der Offizier frivol in italienischer Sprache – »ich kenne das von Neapel her! Cospetto – wenn Ihr kleinen heiligen Hexen einmal eurem Gewahrsam entwischt seid, dann treibt ihr's toller als die wildeste Ballerina von San Felice!«

Obgleich das Mädchen nicht genug Italienisch verstand, um die Infamie seiner Worte ganz zu fassen, begriff sie doch leicht ihre Absicht. »Lassen Sie mich los, Herr,« sagte sie französisch, – »oder ich muß um Hilfe rufen! Ihr Benehmen ist eines Offiziers unwürdig!«

» Demonio! – Wahrhaftig – es ist die schöne Irländerin oder Pariserin!« rief der Bedränger, »desto besser, meine kleine Schönheit! Ihr sogenannter Bruder ist auf und davon und Sie sind also frei! Kommen Sie mit mir, ich bin nicht geizig, und es soll dein Schade nicht sein!«

Diesmal hatte sie die französisch gesprochenen Worte verstanden. Ihre Antwort war trotz des Kleides der Sanftmut und Demut, das sie trug, von dem heißen hibernischen Blut diktiert: ein Schlag ins Gesicht und der Ruf nach Beistand.

»Kanaille! mir das?!«

Er hob die geballte Faust zur brutalen Mißhandlung; aber eine starke Hand faßte seinen Arm und hielt ihn zurück.

»Sie benehmen sich wie ein Schurke, Signor!« sagte eine strenge Stimme. »Entfernen Sie sich sogleich, oder ich wiederhole die wohlverdiente Züchtigung, die Ihnen diese Dame erteilt hat.«

Der Italiener schäumte vor Zorn. »Was mengen Sie sich in Dinge, die Sie nichts angehen? Wissen Sie, mit wem Sie reden?«

»Mit einem Elenden, der ein schutzloses Weib mißhandeln will, weil es seine schmutzigen Anträge zurückwies.«

»Ich bin der Principe Caracciolo! Da ich sehe, daß Sie Offizier sind, werden Sie mir Genugtuung geben für Ihre Beleidigungen! Auf der Stelle!«

Der Offizier hatte den Arm der Dame unter den seinen gezogen. »Ich bin der Freiherr von Kerssen,« sagte er stolz, »aber ich duelliere mich nicht mit Ihnen.«

»Ah – ich verstehe!« sagte der Neapolitaner höhnisch, »der ehrenwerte Kavalier, der schon einmal wegen feiger Verweigerung der Genugtuung aus der preußischen Armee fortgejagt wurde!«

»Wer von uns beiden der Feigling ist, wird sich morgen auf dem Schlachtfelde zeigen, dem unser beider Leben gehört. Dorthin allein nehme ich Ihre Forderung an: denn ich habe nicht die erste Armee Europas verlassen, um hier einem Genossen des Verräters Vial zuliebe meine Grundsätze zu verleugnen. Kommen Sie, Madame, Sie sollen sicher unter meinem Schutz nach dem Kloster zurückkehren!«

Ohne das mindeste Zeichen der Beachtung an seinen zähneknirschenden Gegner zu verschwenden, führte er das Mädchen fort.

Wieder wirbelten die Trommeln, schwangen die Weihkessel, und die ganze vor der Kathedrale versammelte Menge, Soldaten und Volk, sank andächtig vor dem erhobenen Allerheiligsten auf die Knie.

Der Delegat des Heiligen Vaters segnete die Krieger der Kirche für den bevorstehenden Kampf!



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