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Zwölftes Capitel.
Es kommt anders.

Eine Stunde später rasselten die Trommeln durch die Straßen. Es wurde Generalmarsch geschlagen.

Der Rath Giseke war wie vom Donner gerührt, als er den Spectakel vernahm.

Er dachte an Dora. Bis dahin hatte er im Stillen die Hoffnung gehegt, daß der General du Marlé seinen Consens zu der Frivolität nicht ertheilen werde, die Leclaire, seiner angebornen Hartnäckigkeit folgend, auszuführen verheißen hatte. Es erfüllte ihn mit steigender Erbitterung, daß so wenig dazu gehörte, um einen Befehlshaber der Armee zu überreden, seine Macht zu so albernen Dingen zu verwenden. Daß es vom Publikum als ein Streifzug, unter dem Scheine des Rechtes ausgeführt, betrachtet wurde, machte ihn nicht irre. Er kannte den Colonel in seiner ganzen Unverschämtheit, die er als kleiner Gewalthaber zu entfalten pflegte, wenn man ihm Widerstand zu leisten Miene machte.

Unruhig warf er sich in seinem Bette, das er nur seiner Wächter wegen nicht verlassen sollte, hin und her. Er wartete mit Schmerzen des Augenblicks, wo der Sergeant oder der Gendarm sich nach ihm umgesehen haben würde, um dann sogleich Schritte zu seiner Freilassung zu thun. Die gleichmäßigen, kurzen Wirbel der Trommeln, die von der leichtfertigen Gassenjugend mit dem Singsang: »Camerad komm, Camerad komm, Camerad komm mit Sack und Pack«, begleitet wurden, drohten ihn zur Verzweiflung zu bringen. Und der Scandal auf den Straßen wurde immer toller. Reiter sprengten vorüber. Fouragewagen jagten durch die Stadt und hielten vor den Bäcker- und Fleischerläden an. Alles, was eßbar war, wurde aufgepackt. Geschrei ertönte. Klagen und Verwünschungen wurden laut. Es entwickelte sich ein Höllenlärm. Die friedlichen Unterthanen des Königreiches Westphalen wurden wie Feinde behandelt und ihrer Habe beraubt. Verwirrung überall. Der Schrecken betäubte jeden Einzelnen, so daß selbst die Klügsten mit ihrem oft schon erprobten Muthe rathlos dastanden und nicht wußten, was sie denken sollten. Dazu der betäubende Trommelwirbel, der jede Lust an Gegenwehr darniederschlug.

Giseke rief seinem Wächter zu. Er bekam keine Antwort. Schnell sprang er nun aus dem Bette. Er hatte kaum die nöthigen Kleidungsstücke übergeworfen, so stieß Jemand hastig seine Thür auf. Es war der Präfect mit geisterbleichem Gesichte.

»Ich kann's nicht mehr allein ertragen!« rief er voller Verzweiflung. »Sie rücken wirklich aus, um zu fouragiren. Ob sie Dora suchen werden? Ob Dora's Versteck sicher genug sein wird? O, ich kann mich der Verzweiflung nicht erwehren, Ludwig, wenn ich bedenke, daß die Folgen meiner Missethaten mein geliebtes Weib treffen sollten.«

»Wie bist Du hereingekommen, Markland?« fragte Giseke endlich dazwischen.

Markland sah ihn groß an.

»Ließ Dich die Wache einpassiren?« setzte Ersterer lächelnd hinzu. »Ich bin Gefangener seit gestern Abend.«

»Wache? Gefangener? Du hast wahrscheinlich Fieber, lieber Bruder. Ich habe keine Wache gesehen.«

Giseke eilte zur Thür. Sein Wächter war verschwunden. Kurz und eilig benachrichtigte er seinen Schwager von den fatalen Ereignissen, die ganz unerwartet die Flamme des Mißtrauens gegen ihn angefacht hatten.

Markland sah sehr bestürzt aus. Er wußte, was ein Verdacht, was ein Mißtrauen zu bedeuten hatte.

»Wäre es nicht gut, Du benutztest den unbewachten Augenblick zu einer Flucht?« raunte er ihm leise und scheu zu.

Giseke bewegte abwehrend sein Haupt.

»Durch eine Flucht spielte ich Denen Rechte zu meiner Verurtheilung in die Hände, die jetzt noch unter der Macht des Gesetzes stehen, wenn sie gegen mich verfahren wollen. Ich bleibe und erwarte ruhig die Beweise meiner Schuld.«

Markland sah die Richtigkeit dieser Behauptung ein.

»Hast Du Alles vertilgt, was Dich verrathen könnte?« fragte er besorglich.

»Alles bis auf ein unglückseliges Couvert, das mit der Chiffre G. M. U. versiegelt gewesen ist. Ein Franzose kann und wird diese Buchstaben nicht entziffern können, um daraus das Motto unseres Bundes zu bilden; aber freilich es giebt unter den Deutschen so viel käufliche und verrätherische Seelen, daß ich fürchten muß, der richtige Sinn der Buchstaben kommt an's Tageslicht.«

Der Präfect, welcher während dieser Rede an's Fenster getreten war, fuhr plötzlich zurück und sagte:

»Sieh' doch, Ludwig, das ist nicht richtig! Das sind nicht Anstalten zu einem Streifzug um die Stadt, sieh'! sieh'! Die Soldaten stürmen den Bäckerladen, sie fouragiren in der Stadt; beim Himmel, Ludwig, das bedeutet mehr, als einen knabenhaften Alarm um eine Frau.«

»Dann haben die Regimenter Marschordre bekommen!« rief Giseke, freudig bewegt zum Fenster eilend. »Gott sei Lob und Dank! Es wäre für mich der beste Beweis, daß unser König dem Dringen seiner Rathgeber nachgegeben und sich entschlossen hat, das Bündniß mit Napoleon zu brechen. Verschaffe mir Gewißheit, bester Schwager. Ich selbst kann und werde mein Ehrenwort nicht verletzten, welches mich mindestens so lange an mein Zimmer fesselt, wie das französische Commando hier ist.«

Markland eilte hinab und zog vorsichtig Erkundigungen ein. Richtig! Es war eine Ordre eingetroffen, die einen beschleunigten Aufbruch der Truppen anordnete. Man munkelte stark von einem Bündnisse Preußens und Rußlands. Die Hiobspost von dem Brande der Czarenstadt hatte sich seit dem frühen Morgen verbreitet, und war blitzschnell bis in die untersten Volksschichten gedrungen. Dort brach der schadenfrohe Jubel am ersten heraus, während die Gebildeteren der Bürger noch zaghaft mit der Kundgebung ihrer wahren Meinung zauderten. Sie wollten sich nicht preisgeben, indem sie voreiligen Gerüchten Glauben schenkten und daran Hoffnungen knüpften. Behutsam schlich Einer zum Andern, als die Regimenter sich plötzlich rüsteten; furchtsam ging man den aufgeregten Soldaten aus dem Wege, und bedachtsam erwog man die Wahrheit und Haltbarkeit der schwebenden Gerüchte. Eine Thatsache war und blieb es, daß die Heeresmassen zusammengezogen und nach der russischen Grenze geführt werden sollten.

Mit diesen Nachrichten kehrte der Präfect zu seinem Schwager zurück. Sie bestätigten dessen Hoffnungen, und ehe der Abend hereinbrach, war die Stadt vom französischen Militair verlassen.

Giseke athmete froh auf. Sein erster Gedanke war der Bote, welcher durch ein wunderbares Verhängniß auf seinen Lebensweg geschleudert worden war. Er beeilte sich, ihn mit einer kleinen Summe Geldes für die ausgestandene Angst zu entschädigen, fand es aber doch der Sicherheit wegen für gut, seine fernere Bekanntschaft nicht zu suchen. Der Mann wohnte in einer entlegenen Vorstadt, und er konnte schon am Abend ungehindert zu den Seinen zurückkehren, die von seinem Unfalle noch gar nichts vernommen hatten.

Von Blanchard sah und hörte an diesem Tage Niemand etwas. Im Gerichtslokale erschien er nicht. In seiner Wohnung war er nicht aufzufinden, aber seine Sachen, bis auf die kleinsten Garderobegegenstände, befanden sich dort; also abgereist war er nicht, wie man, nach dem Aufbruche der französischen Regimenter, zuerst zu glauben geneigt war.

Der Rath Giseke verhielt sich in den ersten Tagen nach diesem unerwarteten Ereignisse ganz passiv, da er der festen Meinung war, beobachtet zu werden. Erst späterhin gewann er die Ueberzeugung, im Gewirre des Aufbruchs vergessen worden zu sein. Seine ganze Thätigkeit wendete sich nun dem Bunde zu, dem er in glühender Begeisterung für das Gemeinwohl anhing und diente.

Er erhob die bedrückten und verzagten Herzen seines Vaterlandes durch die Hinweisung auf ihre endliche Befreiung, wenn sie muthig und herzhaft jetzt an's Werk gingen. Er erließ Schreiben an die verschiedenen Verbindungen auf den Universitäten, ermunterte sie zur That, suchte die Werkstätten auf und flößte den Gesellen Muth ein. Genug, er setzte sich nun tollkühn jeder Gefahr aus, da er glaubte, es sei die rechte Zeit. Aber er stieß auf viele Bedenken. Es liegt einmal in der Natur des Menschen, daß er nicht geneigt ist, an ein unverhofftes Glück zu glauben. Die Trübsal hatte sich allmälig so fest auf die Gemüther gedrückt, daß es Verwunderung erregte, als man von einer Lösung dieses Druckes zu sprechen begann. Ehe die Freude in die wunden Herzen eindringen konnte, mußte das Mißtrauen und die Furcht daraus entfernt werden. Der einzelne Mann kann aber das nicht bewirken, und der Rath Giseke mußte für's Erste die Erfahrung machen, daß man seine Begeisterung im Allgemeinen mehr belächelte, als bewunderte. Ihn kümmerte dies wenig. Er stand mit den Staatsbeamten, die in unmittelbarer Nähe des Königs von Preußen dasselbe Ziel verfolgten, in sicherer und eifriger Correspondenz, und die Schritte, welche dort während der letzten Tage des Jahres 1812 und der ersten Wochen des Jahres 1813 vorbereitet wurden, erhielten sein muthiges Vertrauen.

Unter diesen Umständen hatte Giseke wenig Zeit und wenig Interesse für das Häuschen auf der Bleiche. Er war nicht wieder hinausgekommen, wohl aber Markland, der sich nach Leclaire's Abzug beeilte, seine Dora zu besuchen und sie nach einigen Tagen, als Alles sicher und ruhig blieb, wieder in sein Haus zurückzuführen.

Dora schied mit fröhlichem Herzen von dem würdigen Calculator und seiner hübschen Tochter. Die tragischen Ereignisse, die sie in diese eng begrenzte Häuslichkeit geführt hatten, waren nicht ganz ohne Einwirkung auf ihr Gemüth geblieben und die Lehren, welche sie bei ihrem Eintritt dort empfangen, vollendeten den Eindruck, der sie zur Besserung führen konnte. Es war der Liebenswürdigkeit dieser jungen Frau gelungen, die Vorurtheile des Calculators zu entkräften, und da sie systematisch in das felsenfeste Herz desselben einzudringen versucht hatte, so fühlte der steife Mann zu seiner unendlichen Verwunderung einen leichten Schmerz, als die Dame zum Abschiede ihre kleine Hand in seine Rechte legte und liebkosend zu ihm hinaufschaute. Dora benutzte schlau diese sichtbar weiche Stimmung, um von ihm die Erlaubniß zu erschmeicheln, daß Marie sie besuchen dürfe. Sie erhielt die Zusage dieses Wunsches, und nun schied sie mit fröhlichem Herzen. Ihr Plan in Bezug auf eine Verheirathung ihres Bruders mit Marie war längst fertig, und sie blickte mit Zuversicht darauf hin. Allein sie sollte erleben, daß derselbe für für den Augenblick an den Gesinnungen ihres Bruders scheiterte.

Der Rath Giseke hatte durchaus keine Lust zu Liebesträumereien. Seine Seele glühte nur in Begeisterung für die Freiheit seines Vaterlandes, und sein Herz klopfte nur stärker bei den günstigen Nachrichten, die er von Breslau erhielt, wohin der König von Preußen, zur Sicherung aller Pläne, übersiedelt war.

Dora sah ein, daß sie die Erfüllung ihrer Wünsche vertagen und eine günstigere Zeit dafür erwarten müsse.

*


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