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Zweites Capitel.
Blanchard.

Zu derselben Stunde finden wir den Präfect Markland in seinem von Wohlgeruch durchdufteten Zimmer in einer mehr als nachdenklichen Stimmung. Eine rosenrothe Ampel, an vergoldeten Kettchen von der Decke herabhängend, verbreitete ein wunderbar mystisches Licht im ganzen Gemache, das nur durch zwei Wachskerzen auf dem Schreibtische des Präfecten etwas materielleres erhielt.

Es sah aus, als hätte Markland wohl Veranlassung gehabt, nicht trägen Muthes den Kopf in die Hand zu stützen und über Dingen zu grübeln, die sich kaum noch ändern ließen, wenn er nicht geisteskräftig die Fesseln des Leichtsinnes abzustreifen Lust hatte. Große Actenstöße, Berge von kaum eröffneten Briefen lagen vor ihm und wurden von dem scharfen Lichtstrahle der Kerzen mahnend beleuchtet. Aber Markland ließ seelenruhig die Berge der Briefe wachsen und die Actenstöße gedeihen. Was ihn für den Augenblick beschäftigte, betraf keinesweges pflichtschuldige Ueberlegungen, sondern persönliche Interessen.

Wie Markland zu dem Posten eines Präfecten gelangt war, das war Allen ein Geheimniß. Markland war jung und hübsch. Er war gewandt und schlau. Er setzte sein Licht nie unter den Scheffel, sondern wählte stets den günstigsten Punkt, wo es strahlenden Glanz verbreiten konnte. Nimmt man zu diesen Eigenschaften die oft geübte Kunst, den Mantel nach dem Winde drehen zu können, so wird es vielleicht erklärlich, daß man von oben herab keine bessere Wahl treffen zu können glaubte, als Herrn Philibert Markland, indem man sich nach einem passenden Präfecten für die Stadt umsah.

Im Allgemeinen wäre die Wahl auch nicht verfehlt gewesen. Markland wußte genug, kannte alle Verhältnisse hinreichend gut und hatte so viel Unterscheidungsvermögen, wie er brauchte. Dabei hatte sein Wesen ganz das Anziehende, welches für einen Beamten seiner Stellung fast nothwendig erscheint. Er war beliebt, trotz seines leichtfertigen Lebenswandels und man war stets geneigt, seine Thorheiten zu entschuldigen.

So lange er sich in den Kreisen der noblen Beamten, die sich mit dem vornehmen Bürgerstande mehr, als mit der ärmlichen Aristokratie verbunden hatten, bewegte, so lange hielt er sich, obgleich man ihn als Spieler der schlimmsten Art bezeichnete. Allein Markland bewies ebenfalls, wie alle Männer, die sich willenlos in den Strom dieses Lasters ziehen lassen, daß die Grenze der Moralität für die Spieler von Profession nicht besteht, sobald sie von ihrer Leidenschaft hingerissen werden. Er suchte in kurzer Zeit die noblen Cirkel, wo ein gewisser Umstand ihn genirte, zu meiden und warf sich mit voller Begier Denen in die Arme, die noch schlechter waren als er.

Sein bester Freund in der neuen Verbindung war der General du Marlé, und da der General du Marlé ohne den Obersten Leclaire nicht zu denken war, so bildete er sehr bald in diesem Bunde den Dritten. Leclaire war unbedingt eine gemeinere und niedrigere Natur, als du Marlé. Du Marlé gehörte zu den Kriegern, die dem Kaiser Napoleon schon als Consul zu Kampf und Sieg gefolgt waren, und sein Stern war mit dem Sterne dieses Welteroberers zugleich gestiegen, während Leclaire schnell die Stufenleitern des Avancements durchgemacht und nicht Zeit gehabt hatte, die Rohheit des Sergeanten nur abzuschleifen, als er schon den Obersten vorzustellen gezwungen war. Er liebte den Wein, er liebte die Frauen und er liebte die Karten. Alle drei Leidenschaften schweiften bis zur Brutalität aus, wenn er Widerspruch fand. Er spielte nie höher und verwegener, als wenn man ihn ermahnte: er wurde nie zärtlicher, als wenn man ihm jede Liebkosung verweigerte und er trank nie toller, als wenn man ihm bewies, daß er nicht trinken dürfe.

Leclaire war durch diese Eigenschaften ein fürchterlicher Mensch, und diesen Mann hatte der Präfect Markland als Freund in seinem Hause eingeführt. Selbst der General du Marlé ließ sich herab, dem Präfecten eine leichte Warnung zuzuflüstern, als das Bündniß zwischen ihm und Leclaire noch nicht ganz so weit gediehen war. Er deutete darauf hin, daß er sich der festen Treue seiner schönen, jungen Frau versichert halten müsse, wenn er es wagen wolle, den Oberst Leclaire ihr zuzuführen.

Der Präfect lachte mit deutscher Ehrlichkeit über diese Warnung. Er meinte sich mit dem französischen Obersten in Reihe und Glied stellen zu können, wenn es gälte den Preis der Liebenswürdigkeit zu erringen.

»An diesem selbstüberschätzenden Glauben sind schon manche Ehen gescheitert,« sprach der General achselzuckend, »und je fester die Liebe Ihrer schönen Gattin für Sie ist, mein Herr Präfect, um so sicherer fällt sie als Opfer der Leclaire'schen Leidenschaft.«

Markland stutzte einen Augenblick, lächelte aber dann sehr stolz.

»Nehmen Sie mindestens meine Warnung nicht so leicht,« schloß der wohlmeinende General. »Machen Sie Ihre schöne Frau aufmerksam auf die Gefahr, der sie sich aussetzt, wenn sie die kleinste Huldigung des Colonel zurückweiset. Hören Sie, mein Herr Präfect?«

Der Herr Präfect hörte, aber lächelte abermals stolz, denn in diesem letzten Theile der freundschaftlichen Warnung lag ein lächerlicher Widerspruch. Seine Theodora sollte die kleinen Huldigungen des Colonels nicht zurückweisen? Thörichte Warnung! Gerade zurückweisen mußte sie seine Huldigungen! Er war auch überzeugt, daß sie dies thun würde. Sie liebte ihren Gatten schwärmerisch und blieb ihm selbst im Strudel der Weltfreuden unwandelbar ergeben. Der Präfect wußte das. Sein stolzes selbstgefälliges Lächeln hatte es verrathen, daß er es wußte, und daß er es insgeheim schätzte. Darum also schwieg er von der Warnung des Generals du Marlé und überließ seine schöne Theodora getrost ihrer eigenen Weisheit.

Hätte er doch nur mit einer Sylbe dieser Warnung erwähnt! Die weibliche Klugheit würde den sich widersprechenden Inhalt derselben wohl erkannt und besser benutzt haben, als der Präfect in seiner Sorglosigkeit meinte. Es waren aber Tage, ja Wochen darüber verstrichen, Leclaire ging, fuhr und ritt mit dem Ehepaare Markland aus, wurde heiter und freundschaftlich empfangen und traulich entlassen. Von gefährlichen und verfänglichen Huldigungen schien gar nichts zu fürchten zu sein. Die beiden Gatten gingen sorglos am Rande des Verderbens entlang, ohne die Tigernatur Desjenigen zu erkennen, der neben ihnen wandelte.

Kehren wir nun zu dem Zimmer des Präfecten zurück. Er wurde aus seinem brütenden Sinnen durch das Oeffnen der Thür aufgestört. Leise drehte sich dieselbe in den Angeln, als wolle man behutsam erspähen, ob der Bewohner dieses Gemaches allein sei.

Nach der gewonnenen Ueberzeugung dieses fraglichen Umstandes glitt eine Gestalt von so überraschendem Liebreize herein, daß selbst der Stoicismus des Ehemannes einen Augenblick zum Wanken gebracht wurde.

»Dora!« rief der Präfect aufspringend. »Mein Gott, was bist Du schön!«

Die junge Frau lachte hell auf, tanzte graciös auf den Gatten zu und warf sich mit einem sehr wohlgelungenen Entrechat an seinen Hals.

»Gefalle ich Dir, Philibert?« fragte sie kosend. Ihre Augen leuchteten dabei mit bräutlicher Zärtlichkeit.

»Du bist bezaubernd, Liebchen!« entgegnete er aufgeregt. »Dies weiße, durchsichtige Kleid, diese Tunica mit der feinen Roseneinfassung und dies prächtige Rosendiadem geben Dir das Ansehen eines Engels. Dora, Du wirst wieder die Schönste auf dem Balle sein!« fügte er mit der Eitelkeit des Weltmannes hinzu.

Dora legte ihr rosenbekranztes Köpfchen einen Moment an des Gatten Wange und dachte es sich süßer, sein theuerstes Kleinod zu sein, als die Schönste auf einem Balle. Aber schnell heiterte sich ihr Blick wieder und sie fragte lebhaft, »ob er sie begleiten werde?«

»Nein, Liebchen,« entgegnete er mit dem Tone des Bedauerns und eine dichte, schwarze, schwere Wolke des Verdrusses verdrängte die heitere Zufriedenheit, womit er sein schönes Weib umfangen gehalten. »Ich bin dem General Revanche schuldig, und wir haben auf heute ein Spielchen verabredet. Es kommt mir nicht gelegen, das kannst Du glauben!«

»O!« rief die junge Dame lebhaft. »Mit dem General mache ich das aus, Lieber! Komm nur und begleite mich! Der General ist mein Freund.«

»Nein, nein!« fiel Markland hastig ein. »Ich hoffe auch, heute Glück zu haben, Dora, und mich dadurch aus einer fatalen, drückenden Verlegenheit zu reißen.«

»Du hast Spielschulden?« forschte Dora plötzlich ernst. »An wen?«

»An Leclaire,« sagte Markland verdüstert. »Es ist mir fatal. Morgen versprach ich zu zahlen, gewinne ich heute wieder, so kann ich das. Verliere ich, so ist meine Klemme um so größer.«

»Zeigt sich Leclaire ungroßmüthig?« forschte Dora weiter.

»Das nicht. Er hat aber ein unverschämtes Lachen, das ich hasse.«

Die junge Frau schüttelte mißmuthig das rosenbekränzte Köpfchen.

»Schade, daß Du mit Unglück spielst,« sagte sie bedauernd. Sie war schon so tief in den Netzen der Weltlichkeit verstrickt, daß sie keinen Tadel mehr für die Spielsucht des Gatten hatte.

»Laß Dich nicht davon verstimmen, Liebchen,« erwiederte eilig und tröstend der Präfect. »Heute mir, morgen dir! Das Glück wechselt und Leclaire meinte: mein Glück in der Liebe sei der triftige Grund meines Unglücks im Spiel.«

Dora lächelte sehr glücklich, aber der Präfect schob sie in der Zerstreuung weit von sich und sagte:

»Nun geh, mein Liebchen! Amusire Dich! Ich muß fort!«

Gleich darauf rollte der Wagen mit der schönen Frau Markland die Straße hinab und ihr Herr Gemahl eilte, im Mantel gehüllt, der Wohnung des Generals du Marlé zu. Beide hatten sie die Männergestalt nicht bemerkt, die im Begriff war, die Treppe zum Quartier des Präfecten hinaufzusteigen, um noch eine dienstliche Meldung zu machen. Es war Blanchard, der Spion aller in der Stadt wohnenden Franzosen, der zugleich als Greffier die rechte Hand des Präfecten war.

So wie der Wagen der Dame fortgerollt und der Herr Präfect in einer Nebengasse verschwunden war, trat Blanchard mit unbefangener Miene in das erleuchtete Portal des Hauses ein und ging ohne Scheu und unaufgehalten gradezu die Treppe hinauf, in das Zimmer des Präfecten hinein. Ein Packet Acten, die er frei in der Hand trug, schien ihm als Paß dienen zu sollen, im Falle irgend ein Bedienter sich seinem Vorhaben hinderlich zu zeigen Lust gehabt hätte.

Es kam ihm aber kein Mensch entgegen. Er erreichte des Präfecten Zimmer, das sich noch in derselben Verfassung befand, wie vorhin. Schleunigst setzte sich Blanchard am Schreibtische nieder und entwickelte eine bei Weitem größere Thätigkeit, die Briefe durchzusehen und die Actenstücke zu durchblättern, als der Herr Präfect. Das Licht der Kerzen beleuchtete bald ein schadenfrohes, bald ein sehr erfreuliches Lächeln seines Gesichtes, und als er, nach einigen Minuten aufstand, da trug er ebenfalls ein Packet Schriften in der Hand, das aber anders aussah, als vorher.

Blanchard war ein Mann von ungefähr dreißig Jahren mit einem Gesichte, dem man eigentlich die Schlauheit und List auf der Stelle ansah. Aber daß seine sonst harmlose Miene eine bodenlose Verderbtheit des Herzens verbarg, davon überzeugte man sich gewöhnlich erst dann, wenn es zu spät war. Blanchard war zu Allem fähig. In der Revolution Frankreichs groß geworden, wo Menschenblut nicht mit instinctmäßigem Abscheu betrachtet wurde, war ihm ein Menschenleben von so geringem Werthe, daß er nicht anstand, dasselbe mit derselben Gleichgültigkeit zu vernichten, wie er eine Fliege todtgeschlagen haben würde, die ihm im Wege war. Man sagte ihm heimlich die schrecklichsten Mordthaten nach, aber es wagte Niemand als sein Ankläger aufzutreten. Er hatte die Eroberungswuth des Napoleon Bonaparte benutzt, um seinen Lebenszwecken nachzugehen, die darin bestanden, daß er eines Tages als reicher Mann zwischen Denen auftreten wollte, die ihn als arm verachtet hatten. Vorsichtig und wohl überlegt folgte er den siegreichen Truppen seines Empereurs Schritt auf Schritt, oft die Schlachtfelder zum Schauplatze seines habsüchtigen Planes benutzend, oft als Spion, oft als Verräther nach Gewinn haschend. Was seinem Vorhaben irgendwie hinderlich war, das entfernte er höchst eigenmächtig ganz in aller Stille und je größer der Gewinn zu werden versprach, desto kaltblütiger opferte er das Dasein Derjenigen, die den Gewinn hätten beeinträchtigen können. Nachdem er seinen Kaiser auf dem Gipfelpunkt seiner Macht angelangt sah, veränderte er den Entwurf seiner Laufbahn. Er stellte sich dem Ministerium des neuen Königreichs Westphalen zur Disposition und bat, unter Hinweisung auf seine Sprachvollkommenheit in Deutsch und Französisch, um eine Anstellung, die seinen übrigen Kenntnissen angemessen war. Solche Männer konnte man brauchen. Die Sprachverwirrung in den Gerichtslokalen war bisweilen entsetzlich und nur Zeit und Gewohnheit ließen eine Abhülfe mancher Uebelstände erwarten. Für den gegenwärtigen Zeitpunkt waren also befähigte Dollmetscher unerläßlich. Man gab dem Monsieur Blanchard ohne große Prüfung den Titel Greffier und benutzte ihn überall zur Verständigung.

Jetzt fühlte sich Blanchard in seinem Elemente. Morden und rauben brauchte er nicht mehr, um zu erwerben. Seine Betriebsamkeit fand andere Felder, um reich zu werden. Nachdem er einige Jahre in der Hauptstadt des Königreichs Westphalen mit glänzendem Erfolge gearbeitet hatte, zog er sich den Unwillen oder die Ungnade eines hochgestellten Mannes zu und er wurde unverzüglich nach der Stadt versetzt, wo Markland Präfect war.

Blanchard zeigte sich sehr bald ganz zufrieden mit der Veränderung seines Wohnorts. Markland war ein Mann, wie er ihn haben wollte. Faul und nachlässig im Dienst, dabei in steter Geldverlegenheit, sorglos bis zur Sündlichkeit und leichtsinnig bis zur Bösartigkeit. Was der Greffier Blanchard that, war ihm genehm. Was er ihm vorschlug, das prüfte er gar nicht. Verlangte Blanchard seine Unterschrift, so verweigerte er sie nie, fragte auch gar nicht darnach, was er unterschreiben solle. Es war wahrhaftig eine Wirthschaft wie zu Sodom und Gomorrha, und den größten Vortheil hatte Monsieur Blanchard davon.

Sein Weg zum Glücke erschien so geebnet und die Gegenwart war so zufriedenstellend, daß Monsieur Blanchard unter dem besondern Schutze der Vorsehung zu stehen glaubte. Alles glückte, was er anfing. Seine List überwältigte die Gewissensfurcht Derer, die sich seinetwegen Pflichtverletzungen erlaubten, und seine Schlauheit machte die Ehrlichen dumm und verdreht. Nur an dem eisenfesten Charakter des Calculators Rüdiger scheiterte seine Raffinerie. Dieser bezopfte Rechenkünstler malte seine Zahlen mit so bedeutsamer Deutlichkeit, addirte, subtrahirte, multiplicirte und dividirte mit so pflichtmäßiger Gelassenheit, daß ihm nirgends anzukommen war.

Monsieur Blanchard gerieth zuletzt in Wuth, als er sah, daß eher Felsen einstürzen und Welten aus ihren Angeln zu heben sein würden, wie diesen Mann seiner Pflicht und seiner pedantischen Genauigkeit untreu zu machen.

Jedem andern Menschen, wie Blanchard, hätte diese felsenfeste Ehrlichkeit eine gewisse Achtung eingeflößt, die man immerhin berücksichtigt und schont, wenn auch nichts erlangt werden kann; aber in ihm regte sie nur einen persönlichen Haß auf, der darauf sann, sich kleinlich an ihm zu rächen. Die erbärmliche erste Rache bestand in dem Befehle, den Zopf abzuschneiden.

Wir wissen, was der Calculator darauf zu thun beschlossen hatte, und wir sehen ihn am nächsten Morgen mit einer gewissen Sorgfalt die Zierde seines Hinterhauptes glätten und säubern, um sich dann damit zu seiner eigenen Genugthuung auf den Weg zu machen. Noch stolzer, noch gravitätischer, noch steifer als sonst schritt der Calculator im türkblauen Rock dahin und die fest eingekniffenen Mundwinkel zeigten den trotzigen Muth, womit er das Gerichtslokal zu betreten sich beeilte.

Marie stand am Fenster und sah ihm nach. Eine trübe Ahnung wollte sich durchaus nicht aus ihrer Brust verbannen lassen, und daher mußte es wohl kommen, daß der Blick ihrer hübschen Augen traurig war, als sie sich endlich hinauslehnte, um die Schwenkungen des väterlichen Zopfes so lange zu beobachten, wie sie nur konnte.

Tief aufseufzend trat sie dann zurück. Hätte sie heute wie gestern den schüchternen Blick nach des vornehmen Nachbarn Fenster hinübergesendet, so würde sie gewiß einem eben so theilnehmenden und ehrerbietigen Gruße des Raths Giseke begegnet sein, wie Tags zuvor. Aber wir kennen ihre Vorsätze, »nie wieder vermessene Gedanken in sich aufkommen zu lassen«, und Marie hatte etwas vom Charakter ihres Vaters in sich, das sie kühl und fest erhielt.

Giseke sah also Marie vom Fenster verschwinden, ohne einen Blick des schönen Kindes zu erhaschen. »Was ihr nur fehlen mag?« fragte er sich unruhig. »Sie sah so traurig aus. Ob der Zorn von gestern dem Vater geschadet haben mag und sie für seine Gesundheit sorgen läßt?«

Das patriarchalische Stillleben des Calculators Rüdiger mit seiner Tochter, inmitten der täglich steigenden Demoralisation hatte längst sein Interesse für beide Leute in ihm rege gemacht, und wie es Tags zuvor nur eines kleinen Anstoßes bedurfte, um die Ruhe der Theilnahme in eine leidenschaftliche Wärme zu verkehren, so war jetzt auch nur eine kleine Besorgniß nöthig, um den Rath zu veranlassen, sich selbst in die Calculatur zu begeben, bevor er zum Sessionssaale hinaufschritt, um den Vater Mariens nach seinem Gesundheitszustande zu befragen.

Der Rath beeilte seine Schritte, denn die Zeit drängte. Schon bei dem Eintritte in das düstere, von Corridoren durchschnittene alte Schloß, das zum Gerichtslokale umgeschaffen war, schallte ihm aus dem Hintergrunde desselben ein überlautes Gelächter entgegen. Befremdet blieb er stehen und sah sich nach allen Seiten um. Ein solcher Ausbruch von guter Laune war eigentlich im Bezirke dieser Mauern verpönt. Das Gelächter wiederholte sich und zwar auf eine so überhandnehmende, rohe Weise, daß die Seele des Horchers von einem Schauer überlaufen wurde.

»Wenn Männer so lachen, dann ist der Teufel nicht weit,« murmelte er, mit Eile vorschreitend. Ihm schien es, als dringe das Gelächter aus der Calculatur. Richtig. Jetzt sprach Jemand da drinnen. Es war die Stimme des Greffiers Blanchard.

»Nur zu, immer zu!« commandirte er, wie es schien mit boshafter Heiterkeit. »Hab' ich drei gezählt, muß vorüber sein die Execution! Eins –«

In zwei Sätzen war der Rath an der Thür und stieß sie auf, ehe Blanchard »Zwei« hatte sagen können. Ein sonderbarer Anblick wartete seiner. Das Zimmer war ziemlich groß und hell. Ein breiter Schrank nahm die Rückwand desselben ein, dicht dabei war ein Fenster nach dem Hofe hinaus und an diesem stand der Arbeitstisch des Calculators Rüdiger. Nun mußte man es durch irgend eine schlaue Vorkehrung dahin gebracht haben, daß Rüdiger aus dem großen Schranke ein Actenstück entnommen hatte und zwar eins, das in dem untern Fache gelegen, wobei er eine gebückte, halb knieende Stellung anzunehmen gezwungen war. Wie man es aber angestellt haben mochte, ihn bei dieser Gelegenheit zum Umwenden seines Kopfes zu bringen, das blieb für den Augenblick räthselhaft. Genug, der arme Calculator hatte sich gewendet und der Schrank war in demselben Momente ins Schloß geworfen, wo sich sein naseweiser, sehr langer Zopf zwischen die Schrankthüren begab. Durch diesen Streich des Muthwillens, der jedenfalls vorbereitet worden war, gerieth Rüdiger in eine verzweifelt demüthigende Stellung, die sich noch vermehrte, als Blanchard, der von Anfang im Zimmer verweilt hatte, mit lauter Stimme sämmtliche Subalternen der Canzlei herbeirief und sie aufforderte, mit ihm über den gesetzwidrigen Zopf des Calculators zu Gericht zu sitzen. Ein Höllengelächter belohnte diesen Witz und man ging ans Werk. Es wurde also in Pleno beschlossen, »der Zopf solle fallen und zwar durch des Delinquenten eigene sehr scharfe Papierscheere.« Ein zweites Höllengelächter brach los.

Blanchard trieb seinen Hohn mit Rüdiger bis auf's Aeußerste und nicht ein einziger der langjährigen Collegen erbarmte sich, um ihm mindestens eine Befreiung aus der unwürdigen Lage zu erwirken. Sie hielten es Alle für nothwendig, Blanchard zum Gönner zu behalten. Fand er seinen Spaß darin, den ganz unnützen Zopf des Collegen Rüdiger auf diese Manier aus der Welt zu schaffen, so hatten sie gar nichts dagegen einzuwenden. Wie tief dies alberne Verfahren den fünfzigjährigen ernsten Mann kränken mußte, darüber ließen sie sich keine grauen Haare wachsen.

Als der Rath Giseke Zeuge des Comödienspieles wurde, stand ein junger Schreiber, mit der großen Scheere bewaffnet, eben im Anschlage, um den Zopf vom Haupte Rüdigers zu trennen. Eine erwartungsvolle Stille herrschte und Aller Augen flogen von Blanchard zu Rüdiger hin, um das Commando sowohl, als die Execution nicht zu versäumen.

Der Calculator, von seinem Zopfe festgehalten, knieete auf dem Fußboden. Kein Laut rang sich von seinen Lippen und sein Gesichtsausdruck war noch fester, würdiger und ernster, als sonst, obwohl man die Sturmeswellen des Zornes blitzartig schnell über seine Stirn und durch den Blick seiner Augen rollen sehen konnte. Er beherrschte sich wahrhaft großartig, um seines Peinigers und Beleidigers Triumph nicht noch zu erhöhen. Ihm, wie allen Betheiligten entging das Eintreten des Rathes, der wie ein guter Engel erschien, um die Schlußscene dieser unerträglichen Demüthigung zu verhindern.

»Was geht hier vor?« rief dieser, indem er mit der ganzen imposanten Würde seines vornehmen Aeußern mitten in's Zimmer trat. Wie ein eisig kalter Schlagregen fiel diese kurze Frage auf die vom böswilligen und leichtsinnigen Uebermuth erhitzten Köpfe.

Unwillkürlich ließ der bewaffnete Schreiber die Scheere am Leibe hinabrutschen und eben so unwillkürlich krümmten sich aller Anwesenden Rücken im vorschriftsmäßigen Respecte. Schneller, als man es denken kann, war das Zimmer leer, nachdem noch Alle Zeuge gewesen waren, daß der Rath mit einem einzigen Rucke die Schrankthür aufgerissen hatte, um den Zopf des Calculators zu befreien. In Aller Mienen zuckte eine Furcht vor der Verantwortung ihres Muthwillens, nur Blanchard behielt die freche Keckheit seines Lachens und sah dem Rathe unverschämt ins Gesicht.

»Sie werden mir nachher Bericht über diesen Vorfall abstatten, Herr Greffier,« sprach dieser kurz und bestimmt. Dann wendete er sich zu Rüdiger, der sogleich aufgestanden war und sich, als wäre nichts geschehen, an seinen Tisch gesetzt hatte.

»Können Sie mir den Urheber dieses frechen Scandals namhaft machen, lieber Calculator?« sagte er sanften Tones, indem er die leicht zitternde Hand des Mannes ergriff und herzlich drückte. Rüdiger sah ihn an. Eine unerklärliche Sympathie fesselte den Blick beider Männer. Sie kannten sich schon lange, aber sie erkannten sich erst in diesem Momente.

»Nein,« antwortete der Calculator entschieden. »Ich danke Ihnen, Herr Rath! Sie haben mich auf ewig zu Ihrem Schuldner gemacht. Wollen Sie aber das Maß Ihrer Güte voll machen, so lassen sie den Schleier der Vergessenheit über diese Begebenheit breiten. Es nutzt nichts, daß man der Geschichte auf den Grund kommt. Mich wird und soll keine Macht der Erde zu Pflichtvergessenheiten verleiten und mein unschuldiger Zopf hat Niemandem etwas gethan. Ich danke Ihnen für Ihre Theilnahme!«

»Ich will Denjenigen bestraft wissen, der den Respect gegen Sie aus den Augen gesetzt hat!« rief der Rath mit einem flammenden Blicke auf Blanchard, der sich ganz harmlos anschickte, das Zimmer ebenfalls zu verlassen.

»Es nutzt nichts, Herr Rath!« erwiederte Rüdiger unerschütterlich.

»Vielleicht kommen Dinge dabei ans Tageslicht, die Manchem zum Reisepaß werden konnten.«

»Auch das nutzt nichts, Herr Rath. Was faul ist, verdirbt ohne unser Zuthun!«

»Gut! Ich gebe Ihnen dies Mal nach, lieber Rüdiger,« schloß der Rath die Verhandlung, »aber man möge sich hüten, Ihnen ein Haar zu krümmen! Wer es wagt, der hat es vor mir zu verantworten! Gehen Sie zu Haus, wenn Sie zu alterirt sein sollten.«

»Ich danke Ihnen! Ich fühle mich wohl genug, mein Tagewerk zu vollbringen!«

Der Rath verließ das Zimmer. Blanchard machte eine Grimasse hinterher. Dieser Vorgesetzte war der Einzige, vor dem er einen heillosen Respect hatte. Er fürchtete seine Klugheit, seine Redlichkeit und seinen Scharfblick. Die indirecten Drohungen, die in den Worten des Rathes lagen, verstand er sehr wohl zu deuten. »So – so!« dachte er, ihm nachsehend. »Also Er oder Ich! Wollen doch sehen!«

Mittags kam der Calculator zur gewöhnlichen Zeit zu Hause, aber sein Gesicht war aschfarbig und seine Stirn düster. Marie wagte nicht zu fragen und ihr Vater hatte keine Lust zu erzählen. Wer malt jedoch ihr grenzenloses Erstaunen, als plötzlich die Thür sich öffnete und der Rath Giseke eintrat. Keines Wortes mächtig, denn der Schreck raubte ihr den Athem, machte sie ihm einen allerliebsten Knix und wäre dann für's Leben gern weggelaufen. Das ging nur nicht. Der Rath faßte sogleich Posto neben dem grünbeschlagenen Lehnsessel des Calculators, rückte sich, ehe irgend ein Anderer sich rühren konnte, einen Stuhl heran und verschränkte dadurch die Thür zum Nebenzimmer total. Marie mußte bleiben, und sie fand kaum den Muth, ihre demüthig gesenkte Stirn nur auf Momente zu heben, um die stolze, glänzende Männererscheinung verstohlen zu mustern, die sich in der einfachen, aber netten Einrichtung ihres Stübchens königlich ausnahm.

»Ich muß mich selbst überzeugen, bester Calculator,« begann Giseke in so hastigem Tone, daß dem scharfsinnigen Beobachter die Symptome einer leichten Verlegenheit nicht entgangen wären, »ob Ihnen der abscheuliche Streich nichts geschadet hat.«

Marie horchte ängstlich und vergaß ihre Ehrfurcht vor dem vornehmen Herrn. Ihr Auge hob sich und heftete sich voll und groß auf das häßlich verunstaltete Gesicht des Rathes. Ob sie die Verwüstungen bemerkte, welche die Pocken darauf angerichtet hatten? Wir wissen es nicht zu sagen.

»Der Herr Rath sind zu gütig,« erwiederte Rüdiger unterdessen mit einem ehrerbietigen Tone. »Ich befinde mich wohl!«

»Sie sehen aber krank aus, bester Mann, und Sie sollen sich schonen, damit die Folgen des Aergers Ihnen nicht schaden. Ich habe Ihnen einen achttägigen Urlaub ausgewirkt.«

»Danke, Herr Rath! Ich werde keinen Gebrauch von diesem Urlaube machen!« fiel Rüdiger mit respectvoller Beugung des Kopfes ein. »So lange ich gehen, stehen, rechnen und schreiben kann, versäume ich meinen Dienst nicht. Ich danke Ihnen.«

»Aber mein Gott, was sind Sie für ein eigensinniger Mann,« rief der Rath halb scherzend. »Sehen Sie, liebe Demoiselle,« wendete er sich zu Marie, die beklommen auf jedes Wort gehorcht hatte, »ist der Papa nicht blaß? Helfen Sie mir doch ihn überreden, daß er einige Tage zu Haus bleibt!«

Marie trat mit lieblicher Verschämtheit näher und richtete ihre schönen Augen bittend auf den Vater.

Sonst that sie jedoch nichts zur gewünschten Ueberredung.

»Meine Marie weiß, daß ich meine Entschlüsse nie ändere, Herr Rath. Mich kann Niemand überreden, wenn ich eingesehen habe, was für mich gut ist. Ich gehe unveränderlich in's Gericht und thue meine Pflicht.«

Der Rath stand auf. Marie fürchtete, daß er böse sei. Kindlich neigte sie sich zu dem Gesicht ihres Vaters und flüsterte mit unnachahmlich sanftem, süßen Tone:

»Ach, wenn der Herr Vater aber kränklich sind? Der Herr Rath meinen es so gut!«

Diese Stimme! Diese Demuth! Diese hinreißende Milde und Unterwürfigkeit! Ludwig Giseke, der Stoiker athmete tief auf. Mein Gott, war es denn möglich, daß es in dieser verderbten Welt ein so unschuldvolles, vom Zeitgeiste unberührtes Wesen geben konnte? Er lächelte ihr gütig zu, als sie dabei ängstlich flehend zu ihm empor sah.

»Lassen Sie ihn, Marie,« sagte er schnell. Er hätte das bescheidene Kind nicht wieder mit dem ceremonieusen »Demoiselle« anreden können, ohne sich selbst den Vorwurf der Verhöhnung machen zu müssen. »Lassen Sie ihn, wenn er nicht will. Meine Achtung und meine Vorliebe für ihn erlaubt diesen Widerspruch sehr gern. Nur bitte ich Sie, mein bester Calculator, um eine bestimmte Antwort, wenn ich jetzt schließlich frage: Haben Sie Blanchard gegen sich?«

»Nicht, daß ich wüßte!« erwiederte Rüdiger ausweichend.

Mariens Augen aber antworteten dem Rathe ein stillschweigendes Ja. Sie trat mit diesem bejahenden Blicke in ein Einverständniß mit dem vornehmen Manne. Er fühlte dies. Sie aber nicht. Er dachte sogleich an die gestern belauschte Scene. Marie dachte auch daran. Er ließ mit bedeutsamem Winke verstohlen die Augen auf den Zopf des Calculators fallen, der sehr zierlich über die Lehne des Sessels gebreitet da lag. Sie schlug seufzend die Augen nieder.

Während dieses wortlosen Zwischenspieles sprach Rüdiger, sichtlich bemüht, jedes anklagende Wort zu vermeiden:

»Sie wissen, andere Länder, andere Sitten. Ich bin etwas aus der Mode gekommen. Ich denke aber, dem Gesetze und der Ordnung gerecht sein, hilft über solche Klippen hinweg.«

Der Rath erwiederte:

»Blanchard hätte den Scandal heute nicht unterstützen sollen! Es zeigt sein Benehmen eine unstatthafte Rancune. Wenden Sie sich direct an mich, wenn sich dergleichen wieder zeigen sollte. Dem Manne ist nicht zu trauen, allein es ist ihm auch nicht beizukommen. Es würde mir sehr lieb gewesen sein, wenn der vorliegende Fall mir irgendwie den Beweis geliefert hätte, daß deutsche Redlichkeit ihm ein Gräuel ist.«

Mariens Blick leuchtete so treuherzig zustimmend, daß der Rath nun wußte, worüber die gestrige Scene, die er belauscht hatte, hergekommen sei. Rüdiger aber antwortete mit Ehrerbietung:

»Es kann den Herren Vorgesetzten gar nicht schwer werden, sich Beweise über das schlechte oder gute Verhalten eines Subalternen zu verschaffen, wenn schon Verdachtsgründe vorliegen. Als Ankläger oder Verräther gegen einen Collegen auftreten, heißt dem Teufel einen Finger reichen.«

»Ist es aber nicht eine Sünde der Verheimlichung, wenn sich die Collegen nicht verrathen wollen?« warf der Rath hastig hin.

»Wenn die Verheimlichung persönliche Verhältnisse und Privatgespräche betrifft, so fällt jede Sünde weg,« entgegnete der Calculator mit unerschütterlichem Gleichmuthe.

»Gut! Ich gebe Ihnen nach, liebster Rüdiger!« rief der Rath herzlich. »Wir scheiden als Freunde. Ich verreise auf einige Wochen. Ihnen will ich es anvertrauen, ich reise zu meinem Könige, zu dem schwer gekränkten und schwer geprüften Könige von Preußen, ich muß ihm wichtige Nachrichten überbringen. Wenn ich wiederkomme, sprechen wir weiter über diese Angelegenheit. Leben Sie wohl unterdessen!«

Er reichte ihm seine Rechte und verbeugte sich mit wahrhafter Huldigung vor dem hübschen Mädchen, das ihm als das reizendste erschien, was die Erde an Frauenzimmern aufwies.

An diesem Abende ließ Marie die Gardine nicht herab. Es war ihr zu Muthe, als könne sie Jemandem eine große Freude dadurch bereiten, wenn sie sich wie sonst von drüben beobachten ließ, und zweimal hob sie mit einer Manier, die man hätte kokett nennen können, wenn sie nicht so sehr naiv gewesen wäre, den dunkelnden Schirm von der grünen Lampe, um das nöthige Licht im ganzen Zimmer zu verbreiten.

Am Morgen lauschte sie am Fenster, bis der Wagen vorfuhr. Vorsichtig schlug sie die strahlenden Augen auf, um zu sehen, ob der Herr Nachbar denn nicht einen Abschiedsblick für sie haben würde. O, wie fuhr sie zurück! Da stand er und blickte fest und unverwandt zu ihr hinüber, als wolle er sich für die Dauer seiner Trennung ihr Bild einprägen.

Ja, sie fuhr zurück, aber kehrte mitleidigen Herzens sogleich wieder an ihren Platz zurück. Er grüßte nicht! Er sah nur zu ihr hin, als könne er sich schwer von der unschuldigen Freude trennen, sie zu sehen. Er dachte dabei an sein pockennarbiges Gesicht und grüßte nicht. Er hatte kein Recht, sie zu grüßen, die ihm als ein Ideal von Frauenschönheit erschien. Da blickte sie so traurig auf den Reisewagen und dann so seelenvoll traurig wieder zu ihm auf, daß sein Herzblut hochauf wallte und schäumte und wogte, als wolle es seine Brust zersprengen.

»Thorheit! Thorheit!« murmelte er, eilte die Treppe hinab und warf sich in den Wagen.

Marien aber war es, als hätte ihr Leben Friede und Freude verloren, nun sein Auge sie nicht mehr behütete. Sie wußte es nicht, daß der vornehme Nachbar Wohlgefallen an ihr gefunden hatte, und sie hatte es bis dahin nicht gewußt, daß die Ruhe ihres Herzens durch seine Nähe bedingt werden könne. Jetzt fühlte sie den Einfluß seiner Blicke. Die Träume von jenem Abend kamen zurück und bemächtigten sich mit Gewalt ihrer Seele. »Er kommt zurück,« tröstete sie sich, »und wenn er zurückkommt?«

»Der Herr Rath Giseke ist eben nicht anders, wie alle Vorgesetzte,« sprach in diesem Augenblicke, aus seinen Gedanken auffahrend, der Calculator. »Er gedachte, mich zu seinen Zwecken zu benutzen. Daraus wird aber nichts!«

Marie senkte das Köpfchen und seufzte demüthig:

»Der Herr Vater können Recht haben!«

*


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