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Am Donnerstagabend war Prinzessin Chanda, die sonst so ruhige und beherrschte Frau, in großer Aufregung. Prinz Murapong hatte ihr mitgeteilt, daß der König kurz nach neun zum Palais Akani kommen würde: über den Grund des Besuches hatte er keinerlei Andeutungen gemacht, sondern sich geheimnisvoll ausgeschwiegen.
Der Eingang und die Empfangshalle prangten in festlichem, überreichem Blumenschmuck, denn die hohe Ehre eines königlichen Besuches war dem Hause seit vielen Jahren nicht mehr zuteil geworden.
Chanda dachte nach, welchen Grund das Kommen des Königs wohl haben könnte, und sie vermutete, daß er sich wahrscheinlich nach ihrem Bruder erkundigen wolle.
Leider hatte Akani nur sehr kurz und unbestimmt auf ihren Brief geantwortet. Sie konnte Sich aber nicht vorstellen, daß er ein Leben als Mönch in Ceylon einer großen, unumschränkten Machtstellung in Siam vorziehen würde.
Wiederholt las sie sein Schreiben durch und versuchte, sich an seine Stelle zu versetzen und seine Absichten und Pläne zu erkennen. Als erfahrener Diplomat würde Akani sicher nickt mit fliegenden Fahnen in dem Augenblick zum König zurückkehren, in dem man ihn dringend brauchte, sondern seine Zeit abwarten.
Chanda gab ihrem Bruder innerlich recht, denn man hatte ihn früher zu tief verletzt und gekränkt. Unter der Regierung des letzten Königs hatten seine Feinde ihn schwer verleumdet und das Gerücht ausgesprengt, daß er von Frankreich bedeutende Summen für die Einräumung großer Vorteile beim Abschluß des letzten Vertrages erhalten hätte.
Es war kurz vor halb acht. Prinzessin Chanda saß erwartungsvoll auf der großen Veranda, als Amarin plötzlich in einem einfachen, siamesischen Straßenkostüm zu ihr trat. Verwundert und betroffen sah sie ihre Nichte an.
»Aber Kind, wohin willst du denn gehen? Du kannst doch jetzt nicht fort!« sagte sie bestürzt. »Du weißt doch, daß der König kommt!«
»Ich wollte zum Tempel Sutat – ich höre am Wan Pra immer die Predigt dort.«
Chanda glaubte nicht recht zu hören. Wenn der Besuch des Königs erwartet wurde, mußte doch selbstverständlich alles andere zurückstehen! Wie durfte jemand es wagen, dem Willen des Königs auch nur den geringsten eigenen Wunsch entgegenzusetzen!
Amarin hatte sich für acht Uhr mit Warwick in der Villa verabredet und keine Möglichkeit mehr gehabt, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Erst am Nachmittag hatte sie erfahren, daß der König kommen würde. Verschiedene Male hatte sie Me Kam zum nächsten Postamt geschickt, damit sie an Warwick telefonieren sollte, aber dreimal hatte sie ihn nicht erreichen können. Es blieb auch keine Zeit mehr, sie zu seiner Wohnung gehen zu lassen. Am hellen Tage wäre das außerdem zu gefährlich gewesen.
Natürlich wußte Amarin, was ein Besuch des Königs bedeutete, aber ihr erschien es unwichtig, und sie wollte sich die wenigen glücklichen Stunden des Zusammenseins mit Warwick nicht nehmen lassen. Sie versprach ihrer Tante, um neun Uhr wieder zu Hause zu sein.
Prinzessin Chanda versuchte mit allen Mitteln, sie zurückzuhalten und ihr begreiflich zu machen, daß sie nicht fortgehen dürfe.
Amarin wurde immer unruhiger, da kostbare Minuten vergingen, aber sie blieb hartnäckig.
»Predigten kannst du noch oft genug hören, aber der Besuch des Königs im Hause deines Vaters ist eine so seltene und hohe Ehre, daß du als seine Tochter unbedingt anwesend sein mußt.«
»Ich glaube nicht, daß das notwendig ist«, erwiderte Amarin nervös.
Chanda war entsetzt über eine derartige Auffassung und schaute sich ängstlich um, ob etwa eine der Dienerinnen etwas gehört haben könnte. Aber es war niemand in der Nähe.
»Ich erwarte doch vom König nichts«, fuhr Amarin etwas gereizt fort. »Es genügt mir, wenn ich ungestört und in Frieden leben kann. Bei Hofe möchte ich möglichst wenig verkehren. Mein Vater hat doch wirklich genug unangenehme und bittere Erfahrungen machen müssen. Er hat oft mit mir darüber gesprochen und immer gesagt, daß stille Zurückgezogenheit besser sei als eine glänzende Stellung in der Regierung.«
Chanda seufzte. Sie kannte den Standpunkt ihres Bruders nur zu gut.
Schließlich ging Amarin gegen den Willen ihrer Tante, nachdem sie wiederholt versprochen hatte, um neun Uhr zurück zu sein.
Me Kam wartete schon ungeduldig im Wagen, und Chanda schüttelte traurig den Kopf, als sie vom Balkon aus sah, wie das Auto davonfuhr.
Noch vor zwanzig Jahren hatte das Volk den Herrscher wie einen Gott angebetet und verehrt – war er doch die Verkörperung des Gottes Wischnu auf Erden. Jetzt aber war die Achtung vor der absoluten Gewalt des Königs im Schwinden begriffen. Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß eine Volksvertretung gewählt wurde, die seine Rechte schmälerte und beschränkte? In der letzten Zeit war es sogar zu Zusammenstößen zwischen dem Willen des Königs und den Beschlüssen der Kammer gekommen. Wenn nun aber die Mitglieder seiner eigenen Familie die gebührende Ehrfurcht vor der höchsten Person des Landes nicht mehr zeigten, was sollte man dann vom Volk erwarten?
Schließlich beruhigte sie sich etwas bei dem Gedanken, daß der König wahrscheinlich mit ihr über Prinz Akani sprechen wolle, und sie überlegte noch einmal alles genau, was sie in dieser Angelegenheit Sagen konnte und durfte. Sie schätzte ihren Bruder sehr und wünschte seine Rückkehr auch aus persönlichen Gründen dringend, um ihn öfters sehen und sprechen zu können.
Häufig erhob sie sich und trat erwartungsvoll auf den großen Balkon hinaus, aber noch verriet kein Anzeichen, daß der hohe Besuch kam. Wenn sie dann nach der Uhr sah, mußte sie feststellen, daß wieder erst ein paar Minuten vergangen waren.
Endlich schlug es Viertel vor neun, und nun hätte Chanda am liebsten die Zeiger angehalten, denn Amarin war trotz ihres Versprechens noch nicht zurückgekommen. Sie schickte eine Dienerin zum Dachgarten hinauf, um Ausschau nach dem König und der Prinzessin zu halten.
Unten in der Halle war die Dienerschaft unter der Leitung des Hausmeisters Kun Anchit vollzählig versammelt. Die Portale standen weit offen, und der große Purpurteppich war zum Empfang auf dem Boden ausgebreitet.
Aufregende Minuten vergingen. Jeden Augenblick mußten nun die Hofwagen vorfahren. Prinzessin Chanda gehörte noch zu der Generation, die streng am alten Zeremoniell festhielt, und sie fühlte sich tief beschämt. Sie wußte, daß Amarins Abwesenheit den König schwer verletzten würde. Wenn sie doch endlich auftauchen möchte...
»Sie kommen!« rief die Dienerin und eilte hastig nach unten.
Taghell fiel das Licht der großen Bogenlampen auf den runden Platz vor dem Haupteingang. Von weitem ertönte das bekannte Hupensignal des Königs, und kurz darauf fuhren zwei schnittige Wagen in schnellem Tempo durch das prächtige Parktor ein.
Bevor Prinzessin Chanda zur Besinnung kam, stand der König schon vor ihr. In seiner Begleitung befanden sich nur der Palastminister und einige Herren des Gefolges, die sich im Hintergrund hielten.
König Rama war selbst für einen Siamesen ziemlich klein und schmächtig. seine zierliche Gestalt zeigte aber gute Proportionen, und seine gleitenden, geschmeidigen Bewegungen sprachen von verfeinerter asiatischer Kultur. Durch seine Liebenswürdigkeit hatte er sich wahrend seiner noch nicht langen Regierungszeit allgemein beliebt gemacht, und auch heute schien er in ausnehmend guter Stimmung zu sein.
Chanda faßte sich wieder.
Auf ihren Wink knieten Dienerinnen vor ihm nieder, nahmen ihm den Hut ab und überreichten ihm Blumen, die er jedoch gleichgültig auf einen Seitentisch legte.
Halbgesenkte Lider verdeckten häufig seine dunklen, anziehenden Augen, und zuweilen zeigte sich ein herber, bitterer Zug um seinen Mund, der hohes Wollen und enttäuschte Hoffnungen verriet. Trotz aller Beweglichkeit lag etwas Vornehm-Müdes in dem Wesen dieses Abkömmlings der alten Herrscherfamilie Siams.
Durch dauernde Ehen innerhalb der Familie waren die Mahachakri in dem Kampf um ihre Vormachtstellung fast zu feinnervig geworden.
Das Gesicht des Königs hätte man nicht schön nennen können, aber es zeigte alle Merkmale geistiger Schärfe und diplomatischer Veranlagung.
Er begleitete die Prinzessin auf die obere Veranda, wo eine kühle Abendbrise wehte, und er sagte ihr viel angenehme und schmeichelhafte Worte über den wundervollen Blumenschmuck zu seinem Empfang und über die gute alte Tradition, die sichtlich in dem Hause herrsche.
»Wo ist denn eigentlich die hübsche Amarin?« fragte er nach einer Weile unvermittelt, bevor Chanda ihre Nichte hatte entschuldigen können.
»Sie muß jeden Augenblick vom Wat Sutat zurückkommen«, erwiderte sie in größter Verlegenheit. »Seit ihrer Rückkehr aus Europa besucht sie eifrig die Predigten, und sie ist auch heute dorthin gefahren. Aber es muß sich etwas Außergewöhnliches ereignet haben, sonst wäre sie langst wieder hier. Ich bin in großer Sorge um sie, denn vor einer halben Stunde wollte sie spätestens zurück sein.«
Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte es wie ein Wetterleuchten in den Augen des Königs auf, aber sein Unmut verflog sofort wieder. Vielleicht war es nur gut, wenn er die Sache zuerst mit Prinzessin Chanda allein besprach. Er war im Grunde moderner als sein Hof und haßte die einengende Etikette.
»Ich kam eigentlich her, um Prinzessin Amarin wiederzusehen und sie nach dem Ergehen ihres Vaters zu fragen. Außerdem hat mein Besuch aber noch einen ganz besonderen Grund. Amarin ist Schon zwanzig Jahre alt, und es wäre gut, wenn Sie bald heiraten würde.«
Diese Wendung kam Chanda überraschend. Warum hatte ihr denn Murapong nichts davon gesagt, besonders da sie schon mehrmals mit ihm über Amarins Zukunft gesprochen hatte?
Sollte der Palastminister etwa Rama auf den Gedanken gebracht haben, Amarin zur zweiten Königin zu machen? Bisher hatte der König Streng an dem Prinzip der Einehe festgehalten und sich auch mehrmals in diesem Sinne geäußert. Murapong aber und die Altsiamesische Partei drängten ihn seit langer Zeit, den europäischen Standpunkt aufzugeben und nach altem Brauch vier Hauptköniginnen zu nehmen, besonders da seine Ehe kinderlos war.
Der Palastminister hatte Prinzessin Chanda gegenüber in der letzten Zeit mehrmals Andeutungen gemacht, daß der König nachgeben würde, um dem Land einen Thronerben zu sichern, und sie war nun überglücklich bei dem Gedanken, daß Amarin zu so hohem Rang aufsteigen sollte. »Mein Bruder Surja liebt Amarin«, fuhr der König nach einer kleinen Pause fort, »und ich wollte heute für ihn um ihre Hand anhalten.«
Er zögerte ein wenig und sah Chanda freundlich an, die ihre große Enttäuschung kaum verbergen konnte.
»Ich verstehe seine Wahl nur zu gut, und ich billige sie in jeder Weise. Surja mag ja ein etwas wildes Leben hinter sich haben, aber auf meine Vorhaltungen hin hat er sich in der letzten Zeit bedeutend gebessert.«
Chanda hatte sich bald wieder gefaßt und atmete auf. Es fiel ihr leichter, sich hierüber mit dem König zu unterhalten als über ihren Bruder Akani. Schnell überlegte sie, daß eine Heirat mit einem Prinzen für Amarin immerhin eine Auszeichnung bedeutete.
»Kürzlich hatte ich mehrfach Gelegenheit, mit Surja zu sprechen, und ich war von seiner Liebenswürdigkeit überrascht. Er hat sich sehr zu seinem Vorteil entwickelt«, pflichtete sie sofort bei.
»Es ist erfreulich, daß wir dieselbe Meinung über Surja haben. Ich wollte ein gutes Wort für ihn bei Amarin einlegen. Wie denkt sie denn über ihren Vetter?«
Chanda wußte es nicht. Sie wußte überhaupt nicht viel von Amarins Gedanken und Meinungen, denn die junge Prinzessin war verschlossen und sprach sich ihr gegenüber nicht aus. Aber ihrer Auffassung nach gab es auf die Frage des Königs nur eine Antwort. Und wenn Amarin nicht zugegen war, mußte sie eben für ihre Nichte handeln.
»Soviel ich weiß, stehen sie gut miteinander. Amarin wird sich durch die Gnade Eurer Majestät sehr geehrt fühlen. In ihrem Namen nehme ich die Werbung des Prinzen an.«
»Bist du denn auch gewiß, daß Amarin so denkt?«
Sie sah ihn betroffen an. War denn auch der König durch die moderne Zeit angekränkelt? Eine solche Frage hatte sie für unmöglich gehalten.
»Sie ist von Surja entzückt«, sagte sie in ihrer Verwirrung.
Er bemerkte ihre Aufregung, wußte sie aber nicht zu deuten.
»Dann kann ich ihm also sagen, daß seine Werbung vollen Erfolg hat? Nachdem sie neulich seinen Antrag nicht ablehnte und sich erst Bedenkzeit erbat, hatte ich im Grunde nichts anderes erwartet.«
Damit war das Thema abgeschlossen, und die Unterhaltung wandte sich nun allgemeinen Dingen zu. Der König sprach über die herrliche Lage des Palais und den künstlerisch hervorragenden Geschmack Akanis, der sich in jedem Stück der stilvollen Einrichtung äußere.
Als die prachtvolle Pariser Bouleuhr auf dem Ziertisch halb zehn schlug, erschien Prinz Murapong in der Tür. Das war das Zeichen zum Aufbruch. Der Palastminister wachte scharf darüber, daß das einmal festgesetzte Tagesprogramm durchgeführt wurde.
Der König runzelte die Stirn. Er hatte gehofft, daß Amarin noch rechtzeitig zurückkommen würde. Zu einer späteren Stunde hatte er Surja zur Audienz befohlen, dem er gern ein endgültiges Ergebnis mitgeteilt hätte. Er rechnete nicht auf eine Ablehnung, aber er wollte Amarin immerhin Gelegenheit geben, sich vorher selbst zu äußern.
»Die Predigt im Wat Sutat muß ja bald zu Ende sein«, sagte er in der Halle. »Es wäre mir lieb, wenn ich gleich nach Amarins Ankunft telefonisch verständigt würde, ob sie Surjas Antrag annimmt.«
Nach kurzer Verabschiedung stieg er in den Wagen, und gleich darauf fuhren die beiden Autos schnell davon, ohne daß Prinzessin Chanda noch die Möglichkeit hatte mit Murapong zu sprechen.