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Der Zufall wollte es, daß Surja auf dem Festplatz Warwick und Amarin immer wieder begegnet war. Der Prinz machte sich schwere Vorwürfe, daß er seine Kusine nicht im richtigen Augenblick aufgefordert hatte einen Rundgang mit ihm zu machen. Ärger und Wut packten ihn, wenn er daran dachte, wie die beiden miteinander getanzt hatten. Wie eng hatte sie sich an den Engländer angeschmiegt, wie beseligt hatte sie zu ihm aufgeblickt! Unerhört, was diese Farangs sich herausnahmen!
In seiner üblen Laune trank er mehr als gewöhnlich, um seinen Groll und seine Empörung zu betäuben. Er hatte eine dunklere Hautfarbe als die meisten Mitglieder der königlichen Familie, die sich durch helle Haut auszeichneten. Wenn Siamesen trinken, erröten sie nicht wie Europäer, sie werden nur dunkler im Gesicht, und ihre Lippen färben sich violettbraun.
Nach einer Weile kam ihm der Gedanke, daß er trotzdem zum Verkaufszelt Amarins gehen und mit ihrer Tante sprechen sollte.
Prinzessin Chanda fiel Surjas unvorteilhaftes Aussehen sofort auf. Glücklicherweise stand gerade Prinz Murapong, der Palastminister, bei ihr und unterhielt sich über die neuesten Hofereignisse und andere interessante Vorfälle. Die beiden kannten sich gut, und Chanda wandte sich wie alle anderen Damen des Königlichen Hauses stets an ihn, wenn sie Schwierigkeiten hatte und Hilfe brauchte.
Surja nahm sich zusammen und schwankte nicht, als er näher trat. Er machte eine etwas steife, förmliche Verbeugung und küßte seiner Tante nach europäischem Brauch die Hand.
Amarin beaufsichtigte in einer anderen Ecke die Dienerinnen beim Zusammenpacken der kostbaren Spitzentücher. Sie hatte Surja schon von weitem kommen sehen und wollte einer Unterhaltung mit ihm aus dem Wege gehen.
Murapong, der die Situation sofort überschaute, verwickelte seinen Neffen in ein Gespräch, denn er wollte unter allen Umständen verhindern, daß er sich in diesem Zustand mit Amarin unterhielt und sich von einer so ungünstigen Seite zeigte.
Amarin kam der Festtrubel nur noch lärmend und nichtssagend vor, nachdem sie sich von Warwich getrennt hatte. Während sie überlegte, wie sie am besten den Basar verlassen könnte, trat Chanda zu ihr.
»Ich habe Kopfschmerzen vom vielen Stehen – ich möchte nach Hause und mich ausruhen, wenn es dir recht ist«, sagte Amarin müde.
Ihre Tante hatte noch nicht die Absicht, das Fest zu verlassen, da sie noch wenig gesehen hatte. Eigentlich wollte sie sich von Amarin alles zeigen lassen. Aber dann überlegte sie, daß Prinz Murapong sie auch umherführen könne. Amarin sah wirklich abgespannt aus.
»Du kannst mit Me Kam den kleinen Wagen nehmen und nach Hause fahren«, erwiderte Chanda und verabschiedete sich von ihrer Nichte.
Dann wandte sie sich an den Palastminister und bat ihn um seine Begleitung bei der Besichtigung des Festplatzes und der Bauten.
Murapong hatte Surja einen Wink gegeben, sich unauffällig zurückzuziehen, aber der Prinz übersah das absichtlich. Er war fest entschlossen, diese Gelegenheit auszunützen und sich bei seiner Tante im besten Licht zu zeigen. Deshalb wich er nicht von ihrer Seite. Die frische Luft und der Spaziergang wirkten allmählich ernüchternd auf ihn. Lebhaft beteiligte er sich an der Unterhaltung und erklärte Prinzessin Chanda alles Wichtige in zuvorkommender Weise.
Es gelang ihm auch mit der Zeit, einen günstigeren Eindruck auf sie zu machen, und sie wunderte sich, daß Surja nach allgemeinem Urteil einen so schlechten Charakter haben sollte und so wenig beliebt war.
Nach einstündigem Umherwandern hatte sie genug gesehen. Sie dankte ihren beiden Begleitern und ließ sich von ihnen zu ihrem Wagen bringen.
Murapong und Surja sahen ihr noch nach, als plötzlich sämtliche Kapellen unvermittelt abbrachen und die Siamesische Nationalhymne zu spielen begannen. Das war das Zeichen, daß der König das Fest verließ.
Es bildete sich eine breite Gasse, und als der König mit großem Gefolge vorbeikam, schob Murapong seinen Neffen etwas mehr in den Hintergrund, damit dieser nicht gesehen werden sollte. Er selbst verneigte sich tief und atmete erleichtert auf, denn nun konnte auch er das Fest verlassen.
*
»Du mußt unbedingt sehen, daß du die Scharte wieder auswetzst und beim König aufs neue in Gunst kommst«, sagte Murapong energisch zu seinem Neffen. Er hatte es nicht für richtig gehalten, Surja allein auf dem Festplatz zurückzulassen, und ihn deshalb nach Hause begleitet.
Sie hatten sich in dem geräumigen und luftigen Gartenpavillon niedergelassen, der sich unter alten, stolzen Zuckerpalmen am Ende des Parks erhob. Im Palais selbst hatten alle Wände Ohren; dort mußte man sich hüten, über gewisse Dinge zu reden, und konnte sich nicht frei aussprechen.
»Das wird sehr schwer sein«, entgegnete Surja bedrückt. Er war inzwischen wieder vollkommen nüchtern geworden, aber sein Gesicht hatte sich noch mehr verdüstert.
»Man muß nicht gleich den Kopf hängen lassen«, munterte ihn sein Onkel auf. »In einigen Wochen läßt sich viel erreichen. Auf deinen Antrag hin sind dir doch in den letzten Tagen bedeutende Mittel vom Finanzministerium bewilligt worden. Führe also deine Vorschläge durch, du kannst damit etwas Glänzendes schaffen. Baue die Wetter- und die Nachrichtenstationen für den Flugdienst aus. Du sagtest mir doch neulich, daß du die dazu notwendigen Radiofunkapparate längst bestellt hättest, und daß sie in den nächsten Tagen geliefert werden müßten. Du weißt, daß der König für alle technischen Neuerungen begeistert ist. Wenn ich ihm morgen melden kann, daß du die Sache energisch in Angriff genommen hast, und daß die Neuorganisation in vier Wochen durchgeführt sein kann, wird er wahrscheinlich mit sich reden lassen. Das ist deine letzte Chance. Gelingt es dir, dann bist du noch einmal auf der sicheren Seite.«
Murapong wußte aus Erfahrung, daß Surja Außergewöhnliches leisten konnte, wenn er seine volle Tatkraft einsetzte, so unbeständig und wetterwendisch er auch sonst sein mochte. Nur zu gut kannte er die zwiespältige Natur des Prinzen.
»In spätestens vier Wochen kann alles fertig sein, wenn es darauf ankommt«, erwiderte Surja lebhaft. Sein Interesse war erwacht, denn der Plan leuchtete ihm sofort ein.
Der Palastminister nickte befriedigt.
»Diesmal kommt es mir darauf an«, fuhr Surja fort. »Es ist übrigens ein Jammer, daß die Regierung so lange Lieferungsverträge mit England abgeschlossen hat, und daß wir all die modernen Apparate noch von den Farangs beziehen. Wir wären längst in der Lage, sie selbst herzustellen, wenn wir beizeiten unsere Industrie entwickelt hätten. Die verdammten Kerle saugen uns das Mark aus den Knochen, bilden sich am Ende noch ein, daß wir sie brauchen, und machen sich obendrein über uns lustig! Es ist wirklich Zeit, daß dieses Theater aufhört!«
Er gehörte zu den Radikalen und war fest davon überzeugt, daß die Siamesen die weiße Rasse auf allen Gebieten einholen und übertreffen könnten. Deshalb kämpfte er für die Angleichung siamesischer Wirtschaft an den Weltmarkt. Bis dieses Ziel erreicht war, wollte er aber sämtliches Kriegsmaterial aus Japan beziehen.
Murapong war zwar ein Anhänger der nationalen Partei und bis zu einem gewissen Grad Chauvinist. Aber eine reiche Lebenserfahrung hatte seine Ansichten gemildert und ihn objektiv gemacht. Seit jeher hatte er das Land der aufgehenden Sonne für den Erbfeind Siams gehalten.
»Wir müssen dasselbe tun wie unsere Bundesgenossen, die Japaner«, fuhr Surja hitzig fort. »Wir müssen die ganze weiße Bande zum Teufel jagen! Japan fabriziert alles selbst, was im Lande gebraucht wird, und überschwemmt außerdem noch die Weltmärkte mit seinen Waren, so daß keiner dagegen aufkommen kann.«
Murapong schüttelte den Kopf. Er mißtraute all diesen modernen Einrichtungen. Besonders in der Einführung der Industrie sah er nur ein Unheil, das die Macht der Könige Siams zu vernichten drohte. Auf die Japaner hatte er mit Recht einen alten Groll. Er kannte die Geschichte Siams genau und wußte, daß die japanische Leibgarde der alten Könige in der früheren Hauptstadt Ayuthia mehrmals blutige Palastrevolutionen angezettelt hatte. Er wollte etwas erwidern, kam aber nicht zu Wort, da Surja, erfüllt von seinen Ideen, eifrig weitersprach.
»Überall tobt derselbe Kampf mit England. Gandhi, der alte Idealist, ist auf die verrückte Idee verfallen, wieder Handweberei einzuführen, um Indien von England wirtschaftlich unabhängig zu machen. Im Augenblick mag er ja einen Erfolg erzielen, aber die Entwicklung der Welt geht nickt in diesem Sinne. Wir Siamesen sollten energische Anstrengungen machen, unser Land in kürzester Zeit mit Japans Hilfe aufs schärfste zu industrialisieren. Haben wir so lange von den Farangs kaufen müssen, so sollen sie auch einmal von uns kaufen!«
»Aber sie nehmen uns doch schon den Überschuß der Reisernte und alles Teakholz ab. Unser Export übersteigt doch bei weitem den Import. Ich weiß nicht, was ihr Jungen immer von der verfluchten Industrialisierung redet. Wenn du in unserem Land eine Großindustrie mit japanischer Hilfe, das heißt mit japanischem Kapital, entwickelst, gehören nachher sämtliche Fabriken den Japanern, und den Vorteil davon haben nur sie. Sie verdienen das Geld, und aus unserer bisher loyalen Bauernbevölkerung wird ein unzuverlässiges Arbeiterproletariat. Es geht uns doch auch ohne das ganz gut. Sicher bin ich Nationalist, aber ohne eine Freundschaft mit England kommen wir nicht weiter. Wir brauchen sie auch als Gegengewicht gegen die Franzosen. Die Japaner verfolgen nur ihre eigenen Ziele. Ich halte es für das größte Unglück, daß wir uns ihnen in die Arme werfen.«
Erregt sprang Surja auf. Wieder war er mit seinem Onkel auf das alte Strittige Thema »Japan« gekommen, obwohl sich beide vorgenommen hatten, nicht mehr darüber zu sprechen.
»Ach, das sind laue, veraltete Ansichten. Was brauchen wir uns überhaupt um England und Frankreich zu kümmern! Beide sind unsere Feinde, beide haben uns die wertvollen Provinzen genommen. Nur hat es England etwas höflicher gemacht als Frankreich. Aber jetzt ist die technische Ausrüstung unseres Heeres auf der Höhe. Auch wir haben jetzt die modernsten Kampfmittel für den Gaskrieg, wir haben Tanks, wir haben Flugzeuge – Flugzeuge! In Japan wird eine neue große Flotte für uns gebaut, wir haben ein festes Schutz- und Trutzbündnis mit Japan, das uns den Bestand unseres Landes garantiert und darüber hinaus unsere Ansprüche auf alle Gebiete, die jemals unter unserer Herrschaft standen. Ich sage dir, es wird nicht eher Ruhe in Ostasien und Hinterindien geben, als bis wir die weißen Halunken alle zum Teufel gejagt haben!«
Surja ging erregt auf und ab, und Murapong betrachtete ihn mit ironischem Lächeln.
Eine große Tuke-Eidechse, die in den Dachsparren über ihnen saß, ließ ihren Ruf mehrmals ertönen. Murapong zählte mit, aber Surja lachte.
»Ach, jetzt haben wir uns doch wieder über das leidige Thema gestritten. Ich gebe ja zu, daß wir vor den tüchtigen Japanern auf der Hut sein müssen.«
Surja fiel plötzlich ein, daß er auf Murapongs Hilfe angewiesen war, wenn er Amarin gewinnen wollte. Deshalb lenkte er ein.
»Warum schimpfst du denn heute so furchtbar auf die Europäer?« fragte Murapong, der Surjas Gedanken zu erraten schien. »Mit hochtrabenden, großartigen Redensarten erreicht man gewöhnlich nicht viel. Wie im großen, so treibst du es auch im kleinen. Erst deklamierst du mir vor, daß du Amarin heiraten willst, und heute auf dem Fest kümmerst du dich überhaupt nicht um sie!«
»Das wollte ich doch tun, aber immer war dieser verfluchte Warbury hinter ihr her.«
»Bist du denn nicht selbst Manns genug, um deine Sache bei Amarin zu vertreten? Also deshalb willst du einen großen Krieg anzetteln und alle Engländer aus Siam hinauswerfen? Nur damit dir Warbury keine Konkurrenz mehr macht?«
Surja ärgerte sich, aber er beherrschte sich und unterdrückte eine scharfe Erwiderung. Auf keinen Fall durfte er sich jetzt mit seinem Onkel überwerfen. Er schüttelte nur den Kopf und schwieg.
»Du hättest eben gleich bei Beginn des Festes zu ihr gehen sollen. Wenn man wie du zu lange wartet und zuviel Sekt trinkt, darf man sich nachher nicht über einen Mißerfolg beklagen. Einer jungen Dame wie Amarin imponiert man dadurch sehr wenig. Aber du warst doch neulich bei ihr. Was hast du denn erreicht?«
Etwas trotzig erzählte Surja, was sich damals ereignet und wie Amarin seinen Antrag aufgenommen hatte.
»Na, da hast du wenigstens etwas erreicht«, meinte Murapong. »Das ist auch wieder so eine neumodische Einrichtung«, fuhr er dann mißbilligend fort, »daß sich die jungen Damen Bedenkzeit ausbitten. Ich war heute lange Zeit in ihrem Stand und habe mir die Prinzessin angesehen. Sie scheint ihren Kopf für sich zu haben. Wenn ich an deiner Stelle stünde, würde ich sie jetzt in Ruhe lassen, damit es nicht zu einer endgültigen Absage kommt. Einen Korb darfst du dir unter keinen Umständen bei ihr holen.«
»Aber wenn ich Sie jetzt in Ruhe lasse erwiderte Surja mißmutig, »dann verdreht ihr inzwischen am Ende dieser verwünschte Warbury den Kopf!«
»Da hört doch alles auf! Bist du denn ganz verrückt geworden? Eine Siamesische Prinzessin sieht doch einen Mann wie Warbury nicht an!« entgegnete Murapong empört.
»Wenn du dich nur nicht täuschst«, brummte Surja. »Durch die Erziehung in Paris hat sie schrullige Ansichten bekommen. Sie hat doch all den Klatsch über mich gehört und mir sogar die Geschichte mit der kleinen Bun Amat vorgeworfen – das hat mir die Sache außerordentlich erschwert.«
»Was du Klatsch nennst, sind doch Tatsachen. Du mußt dich eben zusammennehmen – es darf keinen Skandal mehr geben!«
Surja seufzte im stillen. Die vielen Ermahnungen waren ihm verhaßt. Sein Onkel war ein alter Schulmeister, der immer etwas an ihm auszusetzen hatte. Aber Surja hütete sich wohl, ihm zu widersprechen.
Beide schwiegen einige Zeit.
»Die Geschichte muß schlau eingefädelt werden«, begann Murapong nach einer Weile vertraulich. »Ich weiß einen guten Rat: Seit alten Zeiten gilt es als die vornehmste Art der Werbung, wenn der König für den Freier um die Hand des Mädchens anhält. Der König vollzieht dann in diesem Fall nach altem Gesetz auch selbst die spätere Trauung des jungen Paares.«
Murapong war in jeder Weise konservativ und trat für die Einhaltung alter Sitten und Bräuche ein, wann und wo sich ihm dazu Gelegenheit bot, selbst wenn sie in schroffem Gegensatz zu den milderen Anschauungen der neueren Zeit standen.
»Wenn es uns erst gelungen ist, den König wieder zu besänftigen, dann bitte ich ihn um die Gnade, daß er um Amarins Hand anhält. Einmal schmeichelt das seinem Selbstbewußtsein, und auf der anderen Seite kann Amarin nicht nein sagen. Wenn der König zu ihr kommt, ist das so gut wie ein höchster Befehl. Da helfen keine modernen Ideen, die sie in Paris aufgeschnappt hat.«