Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 6
Friedrich von Raumer

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II. Wissenschaft und Kunst.

Die gewöhnliche Annahme, daß die Zerstörung des weströmischen Kaiserthumes durch die deutschen Stämme, den Untergang der Wissenschaft und Kunst herbeigeführt habe, bedarf einer großen Berichtigung. Schon vor dem Einbruche der Deutschen war nämlich die Ausartung äußerst groß, und Schriftsteller, welche, wie Kassiodor, Ennodius und ähnliche, wähnten die Kunst und Wohlredenheit der alten großen Meister nicht bloß erreicht, sondern fortgebildet und erhöht zu haben, zeigen einen solchen Mangel an Geschmack, eine solche Unfähigkeit sich zweckmäßig auszudrücken, daß mehre Male die Albernheit und Sinnlosigkeit ganz unverhohlen vor Augen liegt. Gewichtiger ist also die Frage: ob ohne den Einbruch der Deutschen diese Zeit des Ungeschmacks nicht schnell würde vorübergegangen und eine Erneuung und Verjüngung eingetreten seyn? Wir möchten diese Frage verneinen: denn die Zeichen des Alters und der Ausartung sind zu zahlreich und durchgreifend; und selbst da, wo die wahre Jugend, und in höchster Beziehung mehr vorhanden war wie im Alterthume, bei den kirchlichen Schriftstellern, blieb doch die Form im ganzen sehr unvollkommen; ja die Kunst der Rede und Darstellung ward aus einseitigen, unzureichenden Gründen sogar verschmäht. Das oströmische 438 Reich, welches das weströmische fast um tausend Jahre überlebte, brachte in dieser ganzen Zeit kein einziges Werk der Wissenschaft oder Kunst hervor, welches man klassisch nennen könnte. Wenn also auch das Abendland vom fünften bis zwölften Jahrhundert im Verhältnisse mit der alten Zeit und den spätern Jahrhunderten unwissend und barbarisch erscheint: so erlosch die Theilnahme an den Wissenschaften doch nie ganz, und das zwölfte und dreizehnte Jahrhundert zeigt hierin einen Eifer, der im byzantinischen Reiche nicht gefunden wirdMan meinte, wie die Herrschaft, sey auch die Wissenschaft auf die Abendländer gekommen.  Alberic. 99, zu 1060. und, abgesehn von den dadurch hervorgetriebenen Ergebnissen, den wissenschaftlichen Eifer unserer Tage eher übertrifft, als ihm nachsteht. Ein tüchtiger Lehrer zieht z. B. jetzt Studenten auf eine Universität: würden diese ihm aber, wie einst dem AbälardSchröckh XXIV, 373., in die Wüste folgen, sich Hütten von Schilf bauen und von Wurzeln und Kräutern leben, um nur seiner Lehren nicht verlustig zu gehen? Man mag dies deuten und im Verhältniß zu unsern Zeiten beurtheilen wie man will; so viel steht durch eine solche und so viele andere Erfahrungen fest: daß man damals die Wissenschaft ehrte und mit Begeisterung ergriff. Die folgenden Abschnitte werden hiefür die nähern Beweise geben.

 
1) Von den Schulen.

Niemals fehlte es ganz an SchulenBisweilen wird unter schola aber auch eine Brüderschaft verstanden, die sich an eine Kirche oder an Geistliche anschloß, oder auch eine Genossenschaft von Handwerkern.  Dandolo 280. und Unterricht: allerdings aber war die Zahl der ersten geringer und der Kreis des letzten enger, als in spätern Zeiten. Das Verdienst der Gründung und Erhaltung von Schulen gebührt fast ausschließend der Geistlichkeit; und später erst entwickelt sich ein ähnliches Bestreben in den Bürgerschaften; woraus wiederum folgt, daß alle Schulen vorzugsweise die Bildung der Geistlichen bezweckten und andere Richtungen minder ins Auge gefaßt wurden. Hingegen lehrte das Leben in jener bewegten Zeit mancherlei, was in geordnetern Zeiten selbst demjenigen bisweilen fehlt, der bessere Unterrichtsanstalten besucht hat. Die ersten Anfangsgründe wissenschaftlicher Bildung, das Lesen und Schreiben, verstehn in unsern Tagen gewiß ohne Vergleich mehr Menschen, als im zwölften und dreizehnten Jahrhundert; und wir sehen darin allerdings einen Gewinn, welcher sich unbeschadet anderer guten Eigenschaften erwerben läßt: allein man darf deshalb nicht wähnen, jene Anfangsgründe der Schulbildung machten allein den Menschen zum Menschen. Manche der größten Könige, ja die ausgezeichnetsten DichterUlrich von Lichtenstein, von Tieck 33. konnten damals nicht schreiben, würden also jenem Maaßstabe zufolge hinter jedem Schulknaben zurückstehen.

Der Schulunterricht bezog sich fast allgemein auf die sogenannten sieben freien KünsteTirab. lett. III, 260.  Ginguené I, 149.  Brucker III, 597., von denen drei (trivium), nämlich Grammatik, Rhetorik und Dialektik die eine Hauptabtheilung; vier, nämlich Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie (quadrivium), die zweite Hauptabtheilung bildeten. Es ist klar, daß ein umfassender Unterricht hienach nicht ertheilt werden konnte; ja eigentliche Sprach- und Sach-Kenntniß trat allmählich in den Hintergrund, und um der Logik und Dialektik willen ward die Grammatik und Rhetorik vernachlässigt und gering geschätztSo insbesondere auf höhern Schulen.  Bulaeus II, 143.. Im dreizehnten Jahrhundert stellte man aus Verehrung des Aristoteles jene sieben freien Künste oft ganz zur Seite, insbesondere richtete sich der Widerspruch gegen die Grammatik, oder, wie wir jetzt sagen würden, gegen Philologie und Humaniora. Allerdings hatten diese bei der geringern Bekanntschaft mit dem Alterthume nicht den vollen Werth späterer Jahrhunderte, was sich indeß gleicherweise von der Philosophie und deren Behandlung sagen 440 läßt. In einem satyrischen Gedichte Heinrichs von Andeli, die Schlacht der sieben freien Künste genannt, treten ums Ende des dreizehnten Jahrhunderts für die in Orleans beschützte Grammatik auf: mehre lateinische Dichter, desgleichen Homer (den man aber in der Ursprache wohl nicht las), endlich spätere oder gleichzeitige Prosaisten, z. B. Sedulius, Kapella, Prudentius, aber kein alter Prosaiker. Auf der andern Seite, und für Paris, erscheinen die sechs übrigen freien Künste, Hippokrates, Galenus, Aristoteles und Platon. Zunächst geben sie sich Spottnamen und nennen die Orleanisten Autoriaux. die Pariser Quiquelique. Hierauf beginnen den Kampf: Donatus mit Platon, und Priscian mit Aristoteles. Als dieser seinen Gegner aus dem Sattel hebt, kommen die Dichter dem Priscian, der Baron Barbarismus aber dem Aristoteles zu Hülfe. Denn dieser Baron, obgleich ein Lehnsmann der Grammatik, hat seine Waffen gegen sie gewandt, weil ihm sehr große Besitzungen im Gebiete der Logik gehören. Nachdem das Glück lange geschwankt hat, bringt Logik den Frieden in Antrag; allein ihr Abgesandter macht so viel Sprachfehler, daß niemand ihn hören will. Darauf schlägt Astronomie ungeduldig mit dem Donnerwetter drein, was die Dichter einstweilen zurücktreibtNotices et extraits V, 496. u. s. w.

Niemand sollte ohne des vorgesetzten Prälaten Erlaubniß eine Schule gründen, und dieser seine Zustimmung nur nach gehöriger Prüfung und unentgeltlich ertheilenConcil. XIII, 829, No. 20.  Martene coll. ampl. III, 853.. Bisweilen erhielt der Stifter zugleich das Versprechen: es solle niemand ohne seine Zustimmung innerhalb eines gewissen Bezirks eine zweite Schule anlegenMiraei op. dipl. II, Urk. 64; III, Urk. 128.  In Lübeck stand die Stadtschule unter Aufsicht des Scholastikus der Stiftsschule.  Hüllmann Geschichte der Stände III, 159.; bisweilen ward ein solches Schulzwangsrecht von den Päpsten gemißbilligtConcil. XIII, 148.. Hinsichtlich aller Kirchen-, Stifts- und Kloster-Schulen nahm man als Regel an: daß die Kosten des Unterrichts aus deren Vermögen bestritten würden, und der Lehrer durch seine Stelle und Pfründe hinreichend entschädigt sey; mithin galt das Nehmen von Schulgeld, oder gar das Verpachten der Schulen an andere, für strafbarConcil. XII, 1495, No. 17; XIII, 426, No. 18: Sancimus, ut si magistri scholarum aliis scholas suas locaverint legendas pro pretio, ecclesiasticae vindictae subjaceant.  Schluß einer londoner Kirchenversammlung von 1138. – Bettinelli I, 41.  Würdtwein subsid. X, 26, 33, 36.. Nur in einzelnen Fällen und aus besondern Gründen erlaubten die Päpste ein Schulgeld zu verlangenConcil. XIII, 166, 250., und bei unzureichend begabten Stadtschulen mochte dies noch öfter nothwendig erscheinen, als bei den geistlichen SchulanstaltenBei der Kirche des heiligen Ambrosius in Mailand waren schon im eilften Jahrhunderte zwei Schulen für Einheimische und Fremde mit besoldeten Lehrern.  Tirab. III, 258.. Die Hauskapellane der Vornehmen und Edlen übernahmen oft die Erziehung ihrer Kinder; doch lautet der Schluß einer Kirchenversammlung zu Kompostella im Jahre 1114 dahinConcil. XII, 1208, No. 21.: Geistliche sollen nicht Pädagogen oder Erzieher von Kindern der Laien werden.

Es fehlte in jener Zeit nicht an Schulbüchern, Schulmethoden und an Vorschriften für die LehrerUms Jahr 1205 Petrus Pictavinus cancellarius Parisiorum excogitavit arbores historiarum veteris testamenti in pellibus depingere.  Alber. 442.. So sagt z. B. Bertold von Konstanz in seinem Buche, Bild der Welt genannt: »nur aus Liebe zur Weisheit lehre der Lehrer. Thut er es aus Ruhmsucht, so wird er den Schüler bisweilen beneiden und ihm das Beste vorenthalten; thut er es um Geldes willen, so wird ihm der Inhalt gleichgültig, und Possen gefallen dann oft mehr als Nützliches 442 und Verständiges. Andererseits widerstrebe der Schüler nicht der Lehre und denke nicht stolz: es sey schon etwas, wo noch nichts ist. Er liebe seinen Lehrer: denn die Worte dessen den wir nicht lieben, mißfallen uns oft und ermangeln der verdienten Wirkung. Arbeit überwindet alles, und erst der Tod macht der Lernzeit ein EndeNeugart episc. Const. I, 1, 505..« – Hieher gehört vor allen des Vincenz von Beauvais Hand- und Lehr-Buch für königliche Prinzen und ihre LehrerNeu herausgegeben und mit lehrreichen Zusätzen und Abhandlungen versehn von Schlosser.: ein merkwürdiges, verständiges, mit Stellen aus den Alten und den Kirchenvätern überall beglaubigtes Werk, dem man das Festhalten des Christlichen am wenigsten zum Vorwurfe machen darf, obgleich manches, z. B. das Lobpreisen des ehelosen Standes, die Zeichen der Zeit sehr an sich trägt.

Nach dem schwäbischen Landrechte durfte der Lehrer dem Schüler Ruthenstreiche, in einer Folge jedoch nicht mehr als zwölf gebenSchwäb. Landrecht 183–184.. Kam auch ein Junge mit blutiger Nase nach Hause, die Ältern konnten deshalb keine Klage erheben. Ein Priester in Rheims, welcher von seinen Schülern getadelt und ausgelacht wurde, weil er Aufzüge und Tänze angeführt hatteChoreas ducebat.  Conc. XIII, 152., gerieth darüber in solchen Zorn, daß er Thüren und Fenster einschlug und jene in den Bann that. Alexander III ließ den Hergang untersuchen und den Priester bestrafen.

Im Jahre 1246 beschloß eine Kirchenversammlung in Biterre: sobald die Knaben sieben Jahre alt sind, sollen sie an Sonn- und Fest-Tagen zur Kirche gesandt und im katholischen Glauben unterrichtet werdenConcil. XIV, 89.. Man lehre ihnen das Vaterunser, den Glauben und die Begrüßungen der Maria.

Die Schulordnung der Stadt Worms vom Jahre 1260 443 setzte fest: man soll niemand wegen Armuth aus der Schule weisen; findet sich aber, daß viele nur herzulaufen um ernährt zu werden, so mag man ihnen ein geringes Schulgeld abfordern. Wer acht Tage in der Schule bleibt, ist auf ein halbes Jahr verpflichtet; wer auf ungebührliche Weise Schüler anlockt, verliert sein Lehramt. Niemand soll, damit die Zucht nicht leide, weggejagte Schüler aufnehmen. Schlägt aber ein Lehrer Wunden, oder gar die Knochen entzweiOssium confracturae.  Schannat Worm., Urk. 147., so kann der Schüler, ohne Schulgeld zu bezahlen, zu einem andern übergehen!

Die Schulordnung der Stadt Bassano, ebenfalls von 1260, bestimmt: niemand darf Schule halten, der nicht vom Podesta bestätigt ist. Wer den angestellten Lehrer acht Tage besucht, zahlt Schulgeld für einen Monat; wer einen Monat kommt, entrichtet es für das ganze Jahr, und die Obrigkeit hält die Schüler zur Zahlung an. Wer Grammatik und den Catus hört, zahlt monatlich vierzig kleine Denare; wer den Donat hört, monatlich zwei Schillinge; wer aber in der Wohnung des Lehrers bleibt, giebt monatlich fünf SchillingeEs heißt: Scholaris audiens Catum et a Cato superius -; audiens Donatum et ab inde inferius -; si permanebit in hospitio cum magistro.  Verci Trivig. II, Urk. 98.. Ähnliche, oft bis zur Universität hinanführende Schulen, gab es in mehren italienischen Städten, z. B. in Parma, Treviso, RavennaTirab. IV, 65.  Fantuzzi IV, 323.  Zu 1188 geschieht der Schule in Reggio Erwähnung.  Memor. Regiens. 1077.  Schon im Jahre 1082 gab es in Mailand Lehrer der Philosophie, der freien Künste, der weltlichen und geistlichen Wissenschaften.  Bettinelli I, 41. – 1145 war ein Prior scholae militum, der gleich seinen Schülern eine Urkunde nicht unterschrieb, sondern nur ein Kreuz machte. Schola bedeutet hier gewiß nur eine Genossenschaft.  Nerini 396.. Zu den wichtigen Kloster- und Stifts-Schulen in Deutschland gehören die von Fulda, Reichenau, Korvei, Bremen, Hildesheim, 444 Lüttich, Augsburg, FreisingenSchröckh XXIV, 293.  Thomass. II, 1, c. 101.  Magistri scholarum bei Stiftern werden sehr oft erwähnt, z. B. Innoc. III epist. VI, 35, 116, 186, 189; VIII, 180; IX, 182, 264. u. a. m. Doch waren sie zunächst für Novizen, seltner schon für Laienbrüder und deren Kinder bestimmt; bisweilen erlaubte man aber, wie es scheint, auch Fremden welche Wissenschaft ehrten, den Besuch der KlosterschuleTunc temporis Heinricus studii causa scholas monasterii frequentavit.  Urk. des Klosters Oberaltach in Baiern.  Mon. boica XII, 46.. Den Bettelmönchen stand nach ihrer Regel frei, jedem ohne Ausnahme Unterricht zu ertheilen.

Der große Eifer jener Zeit und die preiswürdigen Bemühungen der Päpste für Verbreitung der Wissenschaft, reichten indeß nicht hin Unwissenheit und Gleichgültigkeit überall zu verbannen. Innocenz III z. B. verwarf den Kantor der Stiftskirche zu HydruntInnoc. epist. I, 291.  Memor. Reg. 1083., weil er nicht lesen konnte, und Honorius III entsetzte einen Bischof, der den Donatus nicht gelesen hatte. St. Gallen, wo früher so viel für Bildung geschah, war ums Jahr 1291 dergestalt ausgeartetArx I, 470, 476., daß der Abt und das ganze Kapitel nicht schreiben konnten; da mag denn auch der Knabenlehrer kaum die ersten Anfangsgründe verstanden und beigebracht haben.

In den für das Christenthum neu gewonnenen Ländern hatte man Grund, mit doppeltem Eifer für Schulen zu sorgen, so z. B. in Preußen. Mit der größten Schwierigkeit übersetzte der päpstliche Abgeordnete ums Jahr 1227 den Donatus für die LandeseinwohnerAlberic. 527.  Dreger cod., Urk. 221..

London hatte schon unter Heinrich II, drei wohlausgestattete öffentliche und mehre von einzelnen Lehrern gehaltene Schulen. Hier wurden auch weltliche Schriftsteller, Cicero und Quintilian gelesen, und Sonntag Nachmittags von den Geübtern kunstgerechte Disputationen gehaltenHeeren I, 212.. – Von Paris wird im nächsten Abschnitte die Rede seyn.

445 Wenn man die gelehrte Bildung hauptsächlich den Geistlichen überließ, so erstreckte sich die Schulbildung fast nur auf Knaben. Inwiefern die Mädchen durch dies Wegweisen aus öffentlichen Schulen verloren, oder gewannen, steht hier nicht zu untersuchen; wir bemerken nur als Thatsache: daß die prämonstratenser Nonnenklöster keine weltlichen Zöglinge weiblichen Geschlechts aufnehmen durftenLe Paige 826., und umgekehrt Honorius III verbot: daß weibliche Novizen weltliche Anstalten besuchten, oder GedichteTabulas poeticas.  Reg. Honor. III, Jahr I, Urk. 457. statt des Lebens der Heiligen läsen. Doch finden wir mehre Beispiele, daß Frauen aus den höhern Ständen Latein verstanden, sprachen und schriebenZ. B. Judith von Thüringen, welche den Herzog Wladislav von Böhmen heirathete.  Vinc. Prag. zu 1153..

Die noch unvollkommene Bildung der neuern Sprache und der Gebrauch des Latein beim Gottesdienste und zu allen öffentlichen Urkunden, verbreitete dessen Kenntniß ganz ausnehmendIm Jahre 1204 schickte der König Johann von Bulgarien, Knaben nach Rom um Latein zu lernen.  Epist. Innoc. VII, 230, 231., ob sie gleich nicht eine eigentlich gelehrte und philologische genannt werden kann. Wenigstens finden wir Klagen, daß es z. B. in Frankreich ums Jahr 1100 an guten Lehrern fehle, Klagen Innocenz des dritten, daß seine Schreiben oft falsch übersetzt und ausgelegt würdenPagi zu 1100, c. 12.  Innoc. epist. XII, 27.; und in manchen Urkunden ist das Latein so ausgeartet, daß es fast die Mitte zwischen Italienischem und Altrömischem hältSiehe z. B. Urkunden aus dem venetianischen Gebiete.  Vianelli I.. Indeß darf man überhaupt bei den Schriftstellern dieser Zeit nicht den Maaßstab der ciceronianischen Latinität anlegen, und sie überall im Verhältnisse zu den alten Sprachkünstlern verdammen. Das Latein des Mittelalters muß 446 für sich, ohne weitere Beziehung betrachtet und gewürdigt werdenv. Raumer Handbuch merkwürdiger Stellen aus den Geschichtschreibern des Mittelalters, Vorrede IX.: es ist eine eigenthümliche Sprache, die sehr viele Worte und Wendungen hat und haben muß, von denen das alte Rom nichts wußte. Wir finden in den Schriftstellern dieser Jahrhunderte Geschick und Ungeschick, Einfachheit und Schwulst, Natur und Künstelei; ja bei manchen ohne Zweifel jene Gabe der Natur, das mit einfachem klarem Gemüth Aufgefaßte, in ursprünglicher und angemessener Würdigkeit darzustellen: doch stehen in dieser Beziehung im ganzen die Philosophen allen andern nach, die Geschichtschreiber und Chronisten allen voran.

Griechisch lernten nur einzelne und es galt für eine Auszeichnung, dieser Sprache mächtig zu seyn; im untern Italien und in Sicilien ward es jedoch im dreizehnten Jahrhunderte an manchen Orten fast ausschließend gesprochen und geschriebenTirab. IV, 318.  Mongitor bullae 10, 29.  Jamsilla 530.  Hugo Falc. 281.  Bovo graecas literas coram Conrado I legendo factus est clarus.  Witich. III, 651.  Die Inschrift des Halsbandes von dem Hechte, welchen Friedrich II 1230 in einen Teich bei Kaiserslautern setzte, und der erst 1497 (?) gefangen ward, war griechisch.  Tolner 312., und dasselbe gilt für diese Gegenden und für manche Theile Spaniens hinsichtlich des Arabischen. Schon im zwölften Jahrhunderte übersetzte man aus beiden Sprachen ins LateinischeGerhard von Kremona, der 1187 starb, lernte in Spanien arabisch und übersetzte die Schriften des Avicenna, den Almagest des Ptolemäus u. a. m.  Pipin. c. 16.  Tirab. III. 350.  Murat. antiq. Ital. III, 938. Um 1120 ließ Peter von Clugni den Koran übersetzen.  Füßlin I, 109.  Im die Mitte des zwölften Jahrhunderts übersetzte Burgundio aus Pisa griechische Kirchenväter.  Corner 689. – Magister Moses von Bergamo kaufte um 1130 in Konstantinopel für drei Pfund Goldes griechische Bücher, die ihm aber auf der Rückreise verbrannten.  Lupi cod. II, 951.; noch weit häufiger geschah dies aber während des dreizehnten. Innocenz III schrieb dem 447 Erzbischofe von Athen: diese Stadt sey die Mutter der Künste und die Heimath der Wissenschaften, und die neue Blüthe solle den alten Ruhm nicht verdrängen oder vergessen lassen; ob es gleich erfreulich sey, daß die heilige Jungfrau an die Stelle der Pallas trete und der unbekannte Gott nun erkannt werdeInnoc. epist. XI, 256. Ähnliches schrieb er an die Universität Paris.  VIII, 71..

Die Kenntniß des Hebräischen war so selten, als die des Griechischen und ArabischenDer Magister Michael Skotus verstand arabisch und hebräisch, wofür ihm Honorius III erlaubte, mehr als eine Pfründe zu haben.  Reg. Hon., Jahr IX, Urk. 321, c.  Reg. Greg. IX, Jahr I, 141., und konnte um so weniger verbreitet werden, da man es, wenigstens in manchen Mönchsorden, für anstößig hielt diese Sprache von Juden zu erlernenHolsten. cod. II, 425, 24..

Griechische Schriftsteller kannte man also in der Regel nur aus lateinischen Werken und später aus Übersetzungen, wogegen der größte Theil der überbliebenen römischen Klassiker genannt wird und auch wohl gelesen wardOtto von Freisingen z. B. kannte Plato, Aristoteles, Horaz, Virgil, Lukan, Boethius. Ferner werden genannt: Ovid, Juvenal, Livius, Josephus (Wilh. Tyr. 729, 835, 1042), Statius (Helmold I, 42.  Brito Phil. I, 95), Persius (Wilh. Malm. de gest. poet. Angl. III, 273; IV, 283), Aurelians Bukolika (Mon. boica XIII, 139). Kanzler Konrad, der mit Heinrich VI nach Italien ging, wunderte sich, wie Lukan so viel Redens von der Schwierigkeit mache, über den kleinen Rubikon zu gehn.  Arnold. Lub. IV, 19..

Es scheint passend, an dieser Stelle folgende Bemerkungen über Bücher und Bücherwesen anzureihen.

Bei jedem Kloster oder Stifte war in der Regel eine BüchersammlungLang Jahrb. 341.  Compagnoni V, 82.  Hildesh. chron. 747.  Tirab. III, 263., obgleich sehr verschieden nach Zahl und Werth. Ums Jahr 1097 setzte man in Korvei festCorvej. ann.: daß jeder Neuaufgenommene dem Kloster ein nützliches Buch 448 schenke, und jedes von Korvei abhängige Kloster eine geschichtliche Chronik schreibe. Die Päpste gingen hierin mit gutem Beispiele voran: wenigstens finden wir schon im zwölften Jahrhunderte Kardinalbibliothekare des LateranSublac. chron. 952.  Ammirato vescovi 20.  Morign. chron. 370.  Thomassin. I, 2, c. 106.. Mit großem Eifer sammelte Ludwig IX BücherNotices II, 217. und trug Vincent von Beauvais auf, zu untersuchen, ob die Klöster in dieser Beziehung ihrer Verpflichtung nachkämen. Zunächst schrieb man hier freilich geistliche Werke ab; doch kam die Reihe dann auch an die Alten, und mehre Mönche wurden in jedem zahlreichen Kloster lediglich auf jenes Geschäft angewiesenWibaldi epist. 206.  Casaur. chron. 880.  Die Karthäuser erhielten zum Schreiben: scriptorium, pennas, cretam, pumices duo, cornua duo, scalpellum unum. Ad radendum pergamenum novaculas sive rasoria duo, punctorium unum, sabulam unam, plumbum, regulam, postem. Ad regulandum tabulas graphium.  Hulsten. cod. II, 322.. Sie banden auch die Bücher selbst. An einigen Orten las man das Bücherverzeichniß jährlich im Kapitel vor, und prüfte dessen RichtigkeitHarzh. III, 584.. Das war um so nöthiger, da manche, trotz entgegenstehender VerboteDoch ward ein Eid, keine Bücher an dürftige Personen zu leihen, untersagt.  Concil. XIII, 831, 876., Bücher ausliehen; ja einst hatte ein Stiftsherr die edlen Steine aus den Bücherbänden gestohlen und falsche eingesetztReg. Honor. III, Jahr II, Urk. 563.. Es finden sich mehre Beispiele, daß Laien und Geistliche Bücher an Schulen, Universitäten und Klöster vermachtenBelloloc. 457.  Duch. script. V, 438.  Leibn. cod, Urk. 12.  Tirab. IV, 54.  Monum. boica IX, 586. – Das Rastend. chron. 96, enthält ein merkwürdiges Bücherverzeichniß bei Gelegenheit eines solchen Vermächtnisses.: so z. B. Ludwig IX, die Gräfinn Johanna von Flandern, mehre Äbte, ein Mönch, der sich als Wundarzt Geld verdient hatte u. a.

449 Bisweilen verbot man auch Bücher: z. B. mehre Werke des Aristoteles, die Schriften Wilhelms von S. Amour gegen die Bettelmönche, das Buch des Johannes Skotus über die NaturAlberic. 515.  Concil. XIII, 303, 808.  Bullart. magn. I, 112.  Wadding IV, 30.  Rigord. 51. u. a. m. Mit dem Verbieten war gewöhnlich das Verbrennen aller Exemplare verbunden, deren man habhaft werden konnte, oder auch der Befehl, ein jeder Inhaber solle bei Strafe des Bannes dieses Verbrennen selbst vornehmen. Wir finden nicht, daß Maaßregeln dieser Art jemals von Seiten der weltlichen Macht in Antrag gebracht oder ausgeführt wurden. – Nach einem Schlusse der Cistertienser durfte kein Abt, Mönch oder Neuling ohne Erlaubniß der allgemeinen Ordensversammlung Bücher schreiben und herausgebenManrique I, 279..

Sowie jede Zeit, hatte auch die damalige gewisse Lieblingsgegenstände der Schriftstellerei, z. B. wider die Griechen, Ketzer, Juden u. a.

Die Preise der geschriebenen Bücher mußten natürlich viel höher seyn, als die der gedruckten, ohne daß man sagen könnte, es sey deshalb nur das Allervortrefflichste geschrieben, abgeschrieben und gekauft worden. Dazu kam die Kostspieligkeit des SchreibmaterialsTirab. IV, 75. Daher die codices rescripti. Die Erfindung und der Gebrauch des Lumpenpapiers wird von mehren schon ins eilfte Jahrhundert, von andern erst ins vierzehnte Jahrhundert gesetzt.  Ginguené I, 113.  Zu den trefflichen Nachrichten in Savigny III, 549 geben wir noch folgende kleine Zusätze: für das decretum Gratiani und die Dekretalen Gregors zahlte man im dreizehnten Jahrhunderte zehn Pfund Sterling.  Wadding I, 364. – Im Jahre 1219 kostete in Ravenna ein digestum vetus und novum dreißig Lire; 1232 ward daselbst ein Haus mit Garten, Hofraum und einem Stücke Landes nur für zwanzig Pfund und zehn Schilling verkauft.  Fantuzzi I, 166; II, 420. – 1274 ward die Summa Theologiae und die compilatio Sanctorum von Thomas von Aquino mit 40 bis 60 touronensischen Pfunden bezahlt.  Reg. Caroli I, Jahr III, 62. – 1136 giebt Markgraf Leopold von Österreich dem Kloster Formbach Zollfreiheit auf ein Schiff und noch andere Rechte für bibliothecam in tribus voluminibus und ein MissaleMon. boica IV, 310., die nicht selten bewundernswerthe Vollkommenheit der Abschriften, die gemalten und vergoldeten Buchstaben u. dergl. Es gab, so 450 wie bei unsern Drucken, mehre durch besondere Namen unterschiedene Schriftarten, und man schrieb, bestellte und kaufte nach Maaßgabe der Geschicklichkeit, Liebhaberei und des Geldvorraths.

 
2) Universitäten.

 
a) Gründung und Wesen der Universitäten, und ihr Verhältniß zu den Päpsten und der weltlichen Obrigkeit.

Wissenschaftliche Anstalten höherer Art haben dem christlichen Abendlande zwar nie ganz gefehlt, vor dem zwölften Jahrhunderte waren sie aber von so viel geringerem Umfange und so viel geringerer Bedeutung, daß man die Entstehung eigentlicher Universitäten erst in diese Zeit setzen kann. Und selbst dann hieß universitas oder studium generale keineswegs eine Anstalt, wo die Gesammtheit aller Wissenschaften gelehrt werden sollte (vielmehr fehlte einigen Universitäten wohl eine ganze Fakultät); sondern der Name universitasVor allem haben wir dankbar Savigny (Band III, 136 u. f. S) benutzt. bedeutete nach römischem Sinne eine Genossenschaft, oder corporatio, die sich bei Veranlassung des Lehrens und Lernens unter Lehrern und Schülern gebildet hatte; und der Ausdruck studium generale bezog sich wohl mehr darauf, daß jeder Einheimische und Fremde Zutritt hatte, und das Recht die Doktorwürde zu ertheilen, für ein ausschließendes Recht einer solchen Hochschule galt.

Nicht lange nach ihrem Entstehen erhielten die Universitäten schon die höchste Wichtigkeit und den größten 451 Einfluß: einmal, weil sie bei dem Mangel von Schulen, Büchern, wissenschaftlichem Verkehr u. s. w. fast alleiniges Mittel aller höheren Bildung waren und lange blieben; dann, weil die Theilnahme an den zeither vernachlässigten Wissenschaften doppelt lebhaft heraustrat; ferner, weil das Genossenschaftliche ihrer Einrichtungen ihnen eine ungemein große Kraft, einen engen Zusammenhang gab; endlich, weil Könige, Fürsten und Städte fast nur einen günstigen, sehr selten einen beschränkenden Einfluß auf dieselben ausübten, sie also der vollkommensten Freiheit genossen.

Insofern als mehre Universitäten ohne alles Zuthun von Staat und Kirche entstanden, und weder Papst, noch Könige, noch andere Obrigkeiten ein ausschließendes Recht des Gründens und Ordnens in Anspruch nahmen, entwickelte sich die Eigenthümlichkeit der Einrichtungen um so schärfer und die Selbständigkeit ward um so größer: allein auf der andern Seite mangelte es an sichern Anstellungen, Besoldungen, und die Lehrer sahen sich ganz auf die Einnahmen von ihren Schülern beschränkt. Erst im dreizehnten Jahrhunderte tritt der Einfluß des Papstes, besonders in Bezug auf die Stellung und die Wirksamkeit der theologischen Fakultät hervor, und seine Bestätigung der Universitäten wurde gesucht, damit niemand innerhalb der Christenheit an deren Tüchtigkeit, oder dem Promotionsrechte zweifele. Verwandte Gründe erhöhten die Aufmerksamkeit und Theilnahme der Könige; vor allen thätig und freigebig zeigten sich aber die italienischen Städte, und hielten es für geistigen und irdischen Gewinn, eine Universität in ihren Mauern zu haben.

Gerieth die Bürgerschaft desungeachtet einmal mit der Universität in Streit, so vermittelte der Papst und sorgte väterlich für die letzteSo mußte Bologna 1216 alle Statuten wider die Freiheit der Studenten auf Befehl Honorius III aufheben.  Regest. Jahr IX, Urk. 46, und Jahr I, Urk. 453, 454.; wie er den Besuch derselben sehr beförderte, indem er das Studiren auf einer Universität für einen ehrenvollen Grund der Abwesenheit von einer Pfründe 452 erklärte, und den Stiftsherrn oder andern Geistlichen ihre Einnahmen dahin verabfolgen ließReg. Honor. III, Jahr V, Urk. 208.  Innoc. epist. X, 185..

Die Kaiser blieben in dieser Sorgfalt nicht hinter den Päpsten zurück, und insbesondere gab Friedrich I bereits im Jahre 1158 auf dem ronkalischen Reichstage ein Gesetz zum Besten der Lehrer und der StudentenCodex IV, tit. 13, post. leg. 5.  Gatto 107.. Sie sollen, heißt es darin, überall sicher wohnen und reisen, und alle Obrigkeiten bei Strafe dafür sorgen, daß jeder ihnen angethane Schaden vierfach ersetzt werde. Die Studenten mögen wählen, ob sie im Fall angebrachter Klagen ihre Lehrer, oder den Bischof zum Richter haben wollen. »Denn,« fügt der Kaiser hinzu, »wir halten es für billig, daß, da alle guten Menschen unser Lob und unsern Schutz verdienen, diejenigen, durch deren Wissenschaft die ganze Welt erleuchtet wird, und die ihre Zöglinge zum Gehorsam gegen Gott und uns, dessen Diener, bilden, mit einer ausgezeichneten Sorgfalt wider alle Beleidigungen vertheidigt und geschützt werden.«

 
b) Von den Lehrern auf den Universitäten.

In den Zeiten wo die Lehrer auf Universitäten kein Gehalt aus öffentlichen Kassen bekamen, kümmerten sich die Obrigkeiten wenig um ihre Anstellung. Allmählich änderte sich dies jedoch aus mehren Gründen. Weil nämlich eine zahlreich besuchte Universität der Stadt nicht bloß Ehre, sondern auch viel äußere Vortheile brachte, so richtete man seine Aufmerksamkeit dahin, die besten Lehrer zu bekommen und für kein Fach eine Lücke entstehen zu lassen. Bisweilen machte man es den Berufenen zur Bedingung: sie dürften auf keiner andern Universität eine Stelle annehmen; welche freiwillige, oder auch mehre Male erzwungene Bedingung indeß nicht selten übertreten wurde, bis man erkannte, das beste Mittel zu den vorgesteckten Zielen sey: die Professoren auf alle Weise zu ehren, von mehren öffentlichen 453 Lasten und Abgaben zu entbinden, und durch Bewilligung eines Gehaltes an die Universität zu fesselnDie Modeneser gaben im Jahre 1260 dem Rechtslehrer Guido von Suzara Geld, sich im Stadtgebiete anzukaufen, aber nicht beim Leben wieder zu verkaufen. Man glaubte ihn so fester zu halten.  Murat. ant. Ital. III, 905.  Meiners II, 510.  In Bologna waren um 1242 alle Doktoren frei vom Kriegsdienste, nicht aber von allen Abgaben zu Kriegszwecken.  Ghirard. I, 164.  Eben so in Ferrara.  Tirab. IV, 64.. Dies war um so nothwendiger, da in jener Zeit Studirende einem berühmten Lehrer oft in sehr großer Zahl auf eine andere Universität folgten. Für das bewilligte Gehalt mußte der Professor bisweilen einige Vorlesungen, wenigstens für die Ortseingebornen, unentgeltlich haltenTirab. lett. IV, 56, 257.. Die Zahl der Lehrer war sehr verschieden, je nachdem die Universität mehr oder weniger Studenten zählte und die Vorlesungen sich auf mehr oder weniger Gegenstände erstreckten. Bei Gründung der Universität zu Vercelli im Jahre 1228 wurden angestellt: drei Lehrer des bürgerlichen, vier des kirchlichen Rechts, zwei Ärzte, zwei Grammatiker, zwei DialektikerTirab. IV, 53.. Außerdem hielt die Gemeine zwei Abschreiber, um die Studenten, nach der Taxe der Rektoren, mit Abschriften von Büchern zu versehen. In Padua finden wir ums Jahr 1262 (die Lehrer für die andern Fakultäten ungerechnet) drei Professoren der Naturwissenschaft, sechs für Grammatik und Rhetorik, einen für die LogikMurat. antiq. Ital. III, 910.. Einige Male setzte man, aus sachlichen oder persönlichen Gründen, die Zahl der Lehrer für ein bestimmtes Fach fest: so befahl z. B. Innocenz IIIInnoc. epist. X, 151., daß, ohne sehr erhebliche Gründe, nicht mehr als acht Professoren der Theologie in Paris seyn sollten, weil das Amt sonst an seiner Würde verlieren und in schlechte Hände kommen möchte. Sehr häufig veranlaßte die Universität, um Untüchtige abzuschrecken, strenge Prüfungen und vertheilte die Würden nach deren Ausfall; oder jenes 454 Prüfungs- und Bestätigungs-Recht ward durch die Stadt oder den Papst, dem Bischofe, oder erstem Geistlichen im Orte übertragenHonorius III z. B. verlieh dies Recht im Jahre 1219 dem Archidiakonus Tankred in Bologna, der zugleich ein großer Rechtsgelehrter war.  Ghirard. I, 128.  Reg. Hon. III, Jahr III, Urk. 510.. Erhoben diese indeß zu große Schwierigkeiten, so ging die Sache wohl bis an den Papst, der aus seiner Machtvollkommenheit entschiedSo entschied Honorius III gegen den Kanzler der Universität Paris (Reg. Jahr III, Urk. 113), als er dem Magister Matthäus de Skotia die Erlaubniß zum Lesen nicht ertheilen wollte. – Urban IV bestätigte 1263 dem Bischofe von Padua das Recht, veniam docendi zu ertheilen.  Lünig cod. diplom. Ital. II, 1961.. Ihm legte man auch einige Male Klagen über das Benehmen der Universitätslehrer vor, und er hielt es für seine Pflicht mit Warnung oder Strafe einzugreifen. So schalt z. B. Innocenz IIIInnoc. epist. XI, 274., daß die Magister der freien Künste in Paris unanständige Kleider trügen, den Begräbnissen der Geistlichen nicht beiwohnten, wie es gebührend und herkömmlich sey; endlich, daß sie von den Gesetzen in Hinsicht auf Vorlesungen und Disputationen abwichen. Er billigte die Maaßregeln, welche hiegegen von den Doktoren aller Fakultäten ergriffen wären.

Das Honorar für die Vorlesungen betrug so viel und wurde so streng beigetrieben, daß die Lehrer nicht selten reich wurdenTirab. IV, 49.. Ehe die Studenten nicht zahlten, pflegte niemand zu lesen.

Als Ausnahme verdient es Erwähnung, daß Bitisia Gozzadini (welche gewöhnlich in Mannskleidern ging) im Jahre 1236 Doktor in Bologna ward, und Vorlesungen über die Institutionen hieltGhirard. I, 159..

 
c) Von den Studenten.

Zu der Zeit wo die Universitäten emporkamen, fehlte es ohne Zweifel an Schulen, welche sich das Ziel gesetzt 455 hätten, wissenschaftlich für jene vorzubereiten. Allmählich aber entstanden, besonders in mehren italienischen Städten, (z. B. in Reggio, Parma, Treviso, Bassano) Anstalten, welche nicht volle Universitäten waren, indeß denselben nahe kamen; und im dreizehnten Jahrhunderte gab es wohl in jeder bedeutenden Stadt eine grammatische und geistliche SchuleTirab. lett. IV, 74.. Hiezu wirkten auf vortheilhafte Weise die Beschlüsse der lateranischen Kirchenversammlungen von 1179 und 1215. Jene setzte fest, daß taugliche Männer den Geistlichen Unterricht geben dürften, ohne für die Erlaubniß Geld zu bezahlen; diese befahl, daß bei jeder Kathedralkirche ein Lehrer der Grammatik, bei jeder Metropolitankirche ein Professor der Theologie angestellt werdeThomassin. II, 3, c. 71.. Im ganzen erlangten aber weder die vorbereitenden Schulen vollkommene Ausbildung, noch war der literarische Verkehr so lebhaft und der Unterricht aus Büchern so erleichtert, wie in unsern Tagen: daher studirte man in jenen frühern Jahrhunderten weit länger auf den Universitäten. So z. B. sehr oft fünf Jahre Logik und Philosophie, und dann noch vier Jahre TheologiePez thesaur. I, 1, 430.  Die Cluniacenser, welche in der Anstalt des Ordens zu Paris aufgenommen wurden, studirten zwei Jahr Logicalia, dann drei Jahr pro libris naturalibus et philosophicis, endlich fünf Jahre Theologie.  Marrier 1580.. Nach einem Beschlusse der Kirchenversammlung von Tours, sollte niemand das Amt eines Richters oder Sachwalters erhalten, der nicht fünf Jahre die Rechte studirt hätteConcil. XIII, 1369, No. 4, vom Jahre 1236.. Von vierundzwanzig Richtern in Verona durften sechzehn Laien seyn, acht hingegen mußten drei Jahre die Rechte studirt habenCampagn. 203..

Theils diese Forderungen und die Dauer des Aufenthalts, theils jener Umstand, daß die Schulen weder die Universitäten ersetzten, noch dazu immer hinreichend vorbildeten, 456 endlich die mit jugendlicher Kraft wieder hervorbrechende Liebe zu den Wissenschaften, verursachten, daß die Zahl der Studenten auf den berühmten Universitäten, besonders in Paris und Bologna außerordentlich groß warFür Paris bezeugt dies unter andern Alberic. 451, und in Bologna waren ums Jahr 1260, 10000 Studenten.  Murat. antiq. Ital. III, 899..

Man begünstigte sie ferner von Seiten der weltlichen und geistlichen Obrigkeit so viel als irgend möglich. Sie erhielten einen besondern Gerichtsstand, Freiheit von bürgerlichen Lasten, Ersatz dessen, was sie etwa in öffentlichen Unruhen ohne ihre Schuld einbüßten, ihre Beleidiger wurden hart gestraft und Maaßregeln getroffen daß sie bei Miethen und Ankäufen nicht unbillig übertheuert wurden. Schon dadurch daß man sie im ganzen den Geistlichen beizählte, entgingen sie mancher härtern weltlichen StrafeConcil. XIII, 787, No. 8.  Thomassin. II, 3, c. 112.  In Bologna konnten die Studenten einen andern für sich zu Kriegsdiensten stellen, einzelne Fälle ausgenommen, wo Ritterdienst von ihnen verlangt wurde.  Ghirard. I, 164.  Als alle Bürger daselbst den lombardischen Bund beschwören mußten, nahm man die (freilich großentheils fremden) Studenten davon aus.  Savioli I, 2, 188. – Als Parma 1247 vom Kaiser abfiel, wurden die Studenten aus dieser Stadt, welche sich in Modena aufhielten, gefangen genommen und an den Kaiser geschickt.  Tirab. IV, 69.; und überdies drangen die Päpste und ihre Gesandten darauf, man solle die Kirchengesetze nicht sogleich streng anwenden, sondern vorher warnen und belehren. Bisweilen zeigte sich indeß die eigene Obrigkeit der Studenten keineswegs ernst und thätig genug, um einreißenden Übeln vorzubeugen; weshalb die weltliche Obrigkeit einige Male mit verständigem Nachdrucke eingriff, andere Male mit Verletzung vorgeschriebener Formen und ohne genügende Rücksicht auf die für die Studenten gewöhnlich sprechenden Milderungsgründe. Zu den letztern darf man indeß die Jugend nicht in dem Maaße rechnen wie in unsern Tagen: denn ohne Zweifel 457 waren die Studenten des dreizehnten Jahrhunderts im Durchschnitt um mehre Jahre älter, als die des achtzehnten.

Schon damals verbanden sich die Studenten zu Landsmannschaften, oder gründeten engere Vereine anderer Art, was jedoch Papst Honorius III im Jahre 1216 mit dem durch die Erfahrung von Jahrhunderten bestätigten Zusatze untersagtReg. Hon., Jahr I, Urk. 453, 454.: daß guter Anfang der Art, in der Regel ein böses Ende nehme. In Oxford z. B. zogen die Landsmannschaften förmlich gegen einander zu Felde, wobei mehre Studenten erschlagen wurdenMath. Par. 660, zu 1258.. Noch öfter erhob sich Streit zwischen den Studenten und den Bürgern, oder anderen nicht zur Universität gehörigen Personen. Der Diener eines deutschen Studenten der Theologie in Paris, sollte Wein aus einem Weinhause holen, bekam aber Händel, wobei ihm das Gefäß zerbrochen und er selbst mißhandelt ward. Hierauf gingen die Studenten zum Wirthe und schlugen ihn so, daß das Volk sich zusammenrottete und die Wohnung (hospitium) der deutschen Theologen erstürmte. Hierüber beschwerte sich die Universität mit um so größerem Rechte, da einige Studenten hiebei ums Leben gekommen waren und Thomas, der Vorsteher (praepositus) von Paris, das Volk selbst angeführt hatte. Der König wollte ihn hiefür aufs härteste bestrafen, damit die Studenten nicht hinwegziehen möchten; diese aber schlugen, mitleidiger geworden, vor: man solle den Vorsteher und seine Mitschuldigen nach Weise der Schüler auspeitschen, dann aber in ihren Ämtern und Besitzungen lassenRoger Hov. 804, zu 1200.. Als der König hierauf nicht eingehen wollte, ließ sich Thomas an einem Seile aus dem Gefängnisse nieder, um zu entfliehen. Das Seil aber riß, und er kam ums Leben.

Im Jahre 1228 entstanden wiederum in Paris so große Unruhen, daß die Studenten fortzogen nach Rheims, 458 Orleans, Anjou, ja nach England, Italien und SpanienCluniac. chron., mscr., 22.  Reg. Greg., Jahr II, 324; III, 101.  Vitae Pont. 573.  Alb. Stad. und Simon. Montf. chron. zu 1229.  Guil. Nang. zu 1230.. Die Sache ging bis an den Papst Gregor IX, der sich zur Untersuchung und Beurtheilung alle kirchlichen und königlichen Freibriefe senden ließ, zugleich aber, und mit Recht, nach Paris schrieb: eine Theilung oder Verlegung der Universität würde den Wissenschaften nachtheilig seyn; sie sollten und müßten sich vertragen. In der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts führte der Streit zwischen der Universität und den Bettelmönchen bis zu Mord und TodschlagVitae Pont. 591.  Guil. Nang. 358, 361.  Gesta Ludov. IX, 397.  Guil. Montf. chron. zu 1251.; doch kam die Sache durch Vermittelung des Papstes und Ludwigs IX endlich wieder in Ordnung, und die zum Theil ausgewanderten Studenten kehrten zurück. Als manche es sonderbar fanden, daß Ludwig sie für erlittenen Verlust entschädigte, gab er zur Antwort: Weisheit ist mehr werth, als aller Reichthum. – Wenige Jahre nachher mußte indeß Papst Alexander IV den König ersuchen, daß er mit seinem weltlichen Arme den Bischof von Paris gegen die unruhigen Studenten schützeEpist. ad reg. Franc. 25.. Auch in Bologna reichte bisweilen die akademische Gerichtsbarkeit zum Festhalten der Ordnung nicht hin, und selbst Godofredus sagtTirab. lett. III, 396.: »durch die Herrn Doktoren werden die Frevel nicht genügend bestraft.« Zwischen Doktoren, Studenten und Geistlichen kam es mehre Male zu Fausthändeln, wofür nicht wenige gebannt wurden, ohne Lösung des Bannes abreiseten, die Weihe erhielten, und dann auf dem Todtenbette schwere Gewissensbisse bekamen. Papst Honorius  III erlaubte dem Archidiakonus von Bologna und dem Bischofe von Modena, zur Vermeidung dieser größern Übel, die Studenten vom Banne zu lösen, wenn ihr Vergehn nicht gar zu arg warAbsolvere - qui se leviter et sind livore percusserint.  Ughelli Ital. sacra II, 122.  Reg. Honor., Jahr III, Urk. 510 für Bologna..

459 In Oxford wollte der Kardinal Otto im Jahre 1239 die Sitten der Lehrer und Lernenden verbessern, fand aber manchen Widerspruch. Ja als seine Begleiter die Studenten unhöflich behandelten und sein Koch einen von diesen mit heißem Wasser begoß, entstand ein gewaltiger Auflauf: der Koch ward erschossen, der Kardinal floh auf einen Kirchthurm und ward nur durch des Königs Einwirkung gerettet und weggebrachtWikes chron. zu 1238.  Hemingf. III, 14.  Meiners II, 556.. Von Sittenverbesserung war nicht weiter die Rede. – Im Jahre 1244 plünderten oxforder Studenten die Juden; viele wurden eingesteckt, aber man konnte ihnen den Frevel nicht in aller Form beweisenWikes zu 1244..

Diese und ähnliche Beispiele zeigen, daß die Studenten selten Unruhen ohne Veranlassung begannen, aber nur zu oft über alles billige Maaß hinausgingen, und wohl strenger wären bestraft worden, wenn nicht Bürger und Obrigkeit ihr Auswandern befürchtet hätten. Und allerdings hatte dies in jenen Jahrhunderten, wo der Staat keine wissenschaftlichen Hülfsanstalten gründete und selten Lehrer besoldete, weit weniger Schwierigkeit, als in unsern Tagen, wo diejenigen Universitäten am sichersten blühen, welche am großmüthigsten begabt sind und sich von übertriebener Strenge und falscher Nachsicht gegen Ungebühr gleich fern halten.

Um solch Auswandern zu verhüten, forderten die Bologneser im Jahre 1220, die Studenten sollten schwören die Stadt nicht zu verlassen. Diese sahen aber hierin eine ungerechte Beschränkung ihrer Freiheit, und Papst Honorius III unterstützte sie, bis die Bürgerschaft von ihrem Verlangen abstehn mußteTirab. IV, 43.. Andererseits finden wir Beispiele, daß Landesherrn Studenten von fremden Universitäten zurückriefen. So z. B. Friedrich II, als er mit Bologna in Streit gerieth, und nach König Rudolfs I Thronbesteigung 460 mußten alle aus Österreich und Steiermark gebürtige Studenten Prag verlassenPez. thesaur. I, 1, 430.. Schon im dreizehnten Jahrhunderte gab es Leute, welche unter dem Namen fahrender Studenten bewaffnet im Lande umherzogen, sich oft bei den Geistlichen mit Gewalt einlagerten, in Schenken und Spielhäusern umhertrieben, Huren besuchten u. dergl. Weltliche und kirchliche Obrigkeiten eiferten sehr gegen diese Ungebühr und setzten fest: daß Personen solcher Art alle geistlichen Vorrechte verlieren und eingesperrt werden solltenÖsterreich. Statuten bei Pez. II, 526.  Lang Jahrb. 340.. Arme Studenten hingegen, welche die Noth zum Pilgern zwang, empfahlen mehre Kirchenversammlungen der geistlichen MildeHarzh. III, 600, No. 17..

Es finden sich Klagen über Theurung, besonders der Miethen auf der Universität ParisPez. thes. VI, 427, Urk. 151.  Rubeis 626.; wenn indeß die Studenten, wie nach dem Siege König Philipp Augusts bei Bouvines, Feste feierten welche sieben Tage dauerten, so stiegen die Ausgaben mehr aus freiem Entschlusse, als durch den Drang der UmständeAlberic. 451..

 
d) Von den Lehrgegenständen.

Der Zweck der Universitäten ging, wie wir schon bemerkten, keineswegs vorzugsweise dahin, über alle und jede Wissenschaften vollständigen Unterricht zu ertheilen; vielmehr hatte jede, besonders der berühmtern, ihren eigenthümlichen Charakter und eine Hauptrichtung, welche sich, selbst in spätern Zeiten, nicht ganz verlor. In Bologna z. B. lehrte man vorzugsweise die Rechte, in Paris Theologie, in Salerno Arzneikunde. Nur allmählich fanden sich Lehrer der Grammatik, Logik, Rhetorik, der sieben freien Künste einIn Bologna ward 1218 der erste Lehrer der Grammatik angestellt.  Ghirard. I, 124.  Murat. antiq. Ital. III, 899.  In Paris erklärte man keine alten Schriftsteller, höchstens den Priscian.  Heeren Geschichte des Studiums I, 239.  Zu 1111 findet sich folgende nicht ganz deutliche Stelle im Landulf. jun. 19: Jordanus de Clivi, prope lacum lucanum in urbe S. Aegidii, legebat lectionem auctorum non divinorum sed paganorum. Doch heißt dies wohl nicht klassische Schriftsteller, sondern nur Grammatik, oder Rhetorik., und es entstand eine Universität, mehr im neuern Sinne 461 des Worts. Bei der Gründung von Neapel scheint indeß Friedrich II sogleich eine Anstalt für alle Wissenschaften bezweckt zu haben. Beschränkung der Lehrart durch die Obrigkeit, trat höchstens in der Theologie ein; doch wies man einige Male die Lehrer der Arzneikunde in Padua an, nicht übereilt von Galenus, Hippokrates und Aristoteles abzuweichenTirab. IV, 56.. Bedenklicher erschien es den Päpsten, als in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts das römische Recht oft mit Zurücksetzung aller andern Wissenschaften getrieben, und Rechtskundigen manche geistliche Stelle verliehen ward. Innocenz IV verbot diese Neuerung und fügte hinzu: jeder künftige Geistliche müsse vollständig und gründlich erlernen die Theologie, welche den geraden Weg zum Heile zeige; dann aber auch die Philosophie in ihren verschiedenen Theilen, welche zwar der Heiligkeit ermangeltenPietate carent.  Math. Paris add. 124, zu 1254., aber doch zur Erkenntniß führten und die Begierden unterdrückten.

Die Abstufungen von Doktoren, Magistern, Bakkalaureen findet sich, den neuern Einrichtungen ähnlich, schon ziemlich frühRoland. Patav. XII, 19..

Alle diese vereinzelten Bemerkungen werden verständlicher werden und mehr Zusammenhang bekommen, wenn wir die zum Theil unter sich höchst abweichenden Einrichtungen verschiedener Universitäten nebeneinander stellen; und zwar treten Paris und Bologna, als die ältesten, wichtigsten und besuchtesten an die Spitze. 462

 
e) Von einzelnen Universitäten.

1. Paris. Die Schulanstalten in Paris lassen sich bis auf Alkuin zur Zeit Karls des Großen verfolgen, aber keine unmittelbare Verbindung zwischen diesem und der Universität erweisenPasquier III, c. 29.  Crevier I, 1-70.  Savigny III, 315.. Lanfrank, Bruno, Roscelin und Berengar waren keine Lehrer an derselben; mit Wilhelm von Champeaux (er starb 1121) änderte sich indeß wohl manches, und die Lehranstalt gewann allmählich ein solches Ansehn, daß im zwölften und noch mehr im dreizehnten Jahrhunderte Männer aus allen Ländern Europas daselbst studirtenEs studirten in Paris Römer (Cod. epist. Reg. Christ. 179, p. 214.  Epist. ad Lud. VII, 423), Venetianer (Foscarini 38), Lombarden (Land. jun. 13), Böhmen, Dänen, Ungern (Siloens. chron. 99.  Arnold. Lub. III, 5.  Erici reg. chron. bei Langeb. I, 168.  Engel Gesch. von Ungern I, 265), Deutsche, unter ihnen Bischof Otto von Freisingen, der Sohn Heinrichs des Löwen, Söhne des Grafen Adolf von Schaumburg, der Sohn Herzog Heinrichs des Frommen u. a.  Neuburg. chron. zu 1114.  Cod. cit. reginae Christ.  Ep. ad Lud. VII, 379, 401.  Corner 888.  Chron. episc. Hildesh. 795.  Thebesius Jahrb. XV, 81..

Grammatik und Rhetorik wurden wohl so früh gelehrt wie Philosophie und Theologie, und eher als Rechtswissenschaft und ArzneikundeIm dreizehnten Jahrhundert lehrte man Grammatik nach Priscian, dann nach dem Doktrinale Alexanders von Villedieu.  Crevier I, 307.. Im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts geschieht indeß all dieser Wissenschaften, des römischen und kirchlichen Rechtes, der Ärzte und Wundärzte ErwähnungAlberic. 451.  Bulaeus II, 572.. Den Geistlichen ward aber schon von Alexander III, obgleich ohne großen Erfolg, untersagt sich mit den beiden letztgenannten Beschäftigungen abzugebenCrevier I, 317.. Auffallender erscheint es, daß Honorius III gebot: man solle die Rechtswissenschaft gar nicht in Paris lehren. Er 463 betrachtete diese Universität vorzugsweise als eine theologische, wollte daß den Geistlichen keine Gelegenheit werde, ihr Hauptfach zu vernachlässigen, und traf wohl mit den Wünschen der theologischen Lehrer in Paris und der juridischen auf andern Rechtsschulen zusammenSavigny III, 339.. Ob man nun gleich jenes Verbot nicht ganz streng beobachtete, so blieb es doch keineswegs ohne Folgen, und ward erst nach manchem Zweifeln und Wechseln, im Jahre 1679 ganz aufgehoben.

Seit dem zwölften Jahrhundert durfte niemand ohne Erlaubniß lehren; doch sollte sie der Kanzler der Kirche notre dame an Würdige ohne Schwierigkeit und unentgeltlich ertheilen. Ein anderes aber war die Erlaubniß zum Lehren, ein anderes die Ertheilung akademischer Würden und die Aufnahme in die Körperschaft der UniversitätBulaeus II, 53, 430, 685.. Hierüber war oft Streit mit dem Kanzler, dem Bischofe und den Bettelmönchen, welche jedoch die Universität nicht ganz aus ihren Ansprüchen und Rechten verdrängen konnten. Insbesondere behielt diese die Aufsicht über die Studenten und entschied Streitigkeiten nach dem KirchenrechteBulaeus II, 500.  Crevier I, 291.. Weil man aber bei schwerern Vergehn der Studenten, die Lossprechung mit vielen Kosten und Zeitverlust vom Papste einholen mußte, so gab Innocenz III dem Abte von S. Viktor hiezu die nöthige VollmachtCrevier I, 333., wodurch indeß die Übel eher gemehrt, als gemindert wurden. Es kam zu den ärgsten Ausschweifungen, Schlägereien, gewaltsamen Entführungen von Frauen und Mädchen u. dergl.Crev. I, 334.  Schröckh XXIV, 307.  Bulaeus III, 140., weshalb allen Studenten das Tragen von Waffen untersagt wurde. Dies war ihnen so unangenehm, als umgekehrt die Vorschrift willkommen, daß man keinen von ihnen Schulden halber verhaften dürfe.

Überhaupt ergingen von Seiten der Päpste, als der 464 höchsten Obern der Universität, mehre Vorschriften, aus denen wir folgende ausheben. Kein einzelnes Mitglied der Universität darf ohne wiederholte Warnungen und Fristen, die ganze Universität nicht ohne päpstliche Vollmacht gebannt werdenCrevier I, 332, 367.. Lehrer der Theologie können Einnahmen von Pfründen so lange beziehen, als sie lehren, Studenten fünf Jahre lang. Diese sollen sich untereinander die Wohnungen nicht steigern oder daraus vertreiben. Wenn ein Wirth mehr Miethe nimmt, als die Abschätzung zweier Bürger und zweier Magister besagt, so verfällt er fünf Jahre in den Bann. Bei den Disputationen dürfen keine Gastereien statt finden. Wer Theologie lehren will, muß acht Jahre studirt haben und wenigstens 35 Jahr alt seyn1215 ward den Magistern eine bestimmte Kleidung vorgeschrieben.  Bulaeus III, 81.; ein Lehrer der freien Künste muß sechs Jahre studiren und sich ebenfalls prüfen lassen. Jeder Student soll sich zu einem bestimmten Lehrer halten.

Hieher gehören noch viele andere Vorschriften über die Anordnung und Zeit der Vorlesungen, über die Dauer der Ferien u. dergl. Niemand sollte z. B. die Stunden verdoppeln, oder vor der gesetzlichen Zeit schließen: doch war dies erlaubt, wenn die Studenten den Lehrer nicht mehr hören wolltenSi scholares eum amplius audire noluerint. – Die Sommerferien dauerten einen Monat. Bul. III, 194, 280.. Mädchenräuber, Diebe, Räuber, Todschläger (heißt es sonderbar genug in einer Vorschrift von 1251) sind nicht für Studenten zu halten und als solche zu behandelnBul. III, 240, 244.. Eben so wenig derjenige, welcher wöchentlich nicht zwei Vorlesungen besucht, oder trotz dreimaliger Warnung Waffen trägt. In der Regel war die Zucht streng, und Ruthenstreiche auf den bloßen Rücken wurden in Paris nicht selten ausgetheilt, während eine solche 465 Behandlung der Studenten auf italienischen Universitäten nie statt fandSavigny III, 334..

Überhaupt unterschied sich die Verfassung von Paris wesentlich von der in Bologna; jene wurde das Muster für England und Deutschland, diese für Italien, Spanien und selbst für das übrige FrankreichDies alles nach Savigny. Auch Pasquier hat in seinen recherches lib. IX viele brauchbare Nachrichten..

In Paris war nur eine ungetheilte Universität, und die Herrschaft allein bei den versammelten Lehrern, ohne Antheil der Schüler. Die seit alter Zeit bestehende Abtheilung in vier Nationen, die französische, die englische oder deutsche, die pikardische und die normannische, hob jene Eigenthümlichkeit nicht auf. Zur ersten Nation gehörte auch Spanien, Italien und der Orient, zur zweiten Ungern, Polen und die nordischen Reiche, zur dritten die Niederlande. Diese Eintheilung begriff Lehrer und Schüler, ohne Unterschied der wissenschaftlichen Fächer. In der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts sonderten sich aber, bei Gelegenheit des großen Streites mit den Bettelmönchen, erst die Theologen, dann auch die Juristen und Ärzte von der Universität und bildeten drei Fakultäten, welche mit den fortdauernden vier Nationen erst die ganze Universität ausmachten. Doch waren und hießen die vier Nationen die alte Universität, sie blieben im Besitze des Rektorats und der Gerichtsbarkeit; zu ihnen gehörten alle Lehrer und Schüler aller Fakultäten, bloß mit Ausnahme der Doktoren dieser Fächer. Erst allmählich entstand die Ansicht: jene vier Nationen bildeten zusammen eine vierte Fakultät, was freilich ihr ursprüngliches Verhältniß sehr änderte, sie aber doch im ausschließlichen Besitze des Rektorats ließ. Der Rektor, das Haupt der Universität konnte also weder von den drei andern Fakultäten, noch aus ihnen erwählt werden. Früher wechselte der Rektor wohl alle vier bis sechs Wochen, seit 466 1266 nur alle drei MonateCrevier II, 13, 56.  Bulaeus II, 661; III, 222, 380.. Bis 1280 wählten ihn die Vorsteher der vier Nationen; später einige zu diesem Geschäft ernannte Wähler. Der Rektor mußte ehelos seyn, der geistliche Stand ward aber nicht gefordert.

Unter den Studenten verschiedener Nationen gab es nicht selten Streit, und sie sagten sich mancherlei böses nach: die Engländer, so hieß es z. B., trinken übermäßig; die Franzosen benehmen sich stolz, weichlich und weibisch; die Deutschen sind jähzornig und führen bei Festen unanständige Reden; die Poitouer leben verschwenderisch und auf gut Glück; die Burgunder sind dumm und albern; die Bretagner leichtsinnige Umhertreiber; die Lombarden zeigen sich geizig, boshaft und feige, die Römer heftig und aufrührisch, die Sicilier tyrannisch, die Brabanzonen als Blutmenschen, FriedensbrecherViri sanguinum, ruptarii, incendiarii, raptores.  Bulaeus II, 688., Brenner und Räuber, die Flandrer verschwenderisch, den Gelagen ergeben und so weichlich wie Butter.

Zur Unterstützung armer Studenten dienten mehre Stiftungen, welche den Namen Kollegien erhieltenBulaeus III, 223.; indeß benannte man auch Anstalten, worin Studenten für Geld aufgenommen und verpflegt wurden, mit diesem Namen. Die älteste jener Stiftungen machte Robert von Sorbon im Jahre 1250 für arme TheologenPasquier IX, c. 15.. Sie erhielt den Namen der Sorbonne, womit man später, obgleich mißbräuchlich, oft die ganze theologische Fakultät bezeichnete.

Fast alle ausgezeichneten Gottesgelehrte jener Zeit hatten länger oder kürzer in Paris studirt: so unter mehren Päpsten auch Cölestin II, Hadrian IV und Innocenz IIICrevier I, 170, 220.. Unter Abälards Schülern waren allein zwanzig Kardinäle und über funfzig Bischöfe. Nicht minder traten, nachdem die Bettelmönche in ihrem Streite mit der Universität 467 obgesiegt hatten, oft die gelehrtesten Männer beider Orden in akademische Würden.

Jener Streit, über welchen an anderer StelleGeschichte der Hohenstaufen, Band III, S. 615. schon das Wichtigste mitgetheilt ist, betraf hauptsächlich die Aufnahme von Bettelmönchen unter die Zahl der akademischen Lehrer. Wenn, so sprach manWadding zu 1257.  Crevier I, 397, 459., von zwölf Professoren der Theologie, drei Stiftsherrn, fünf aus den ältern Mönchsorden und zwei Bettelmönche sind, so bleiben für die Weltgeistlichen, diese eigentlichen Gründer und Erhalter der Universität, nur zwei Plätze übrig. Hiezu kommt, daß es widersinnig ist, zugleich Mitglied eines Klosters und einer Universität seyn und an den Vortheilen der letzten Theil nehmen zu wollen, während man, der Armuth halber, an den Lasten nicht Theil nimmt. Nun ragten aber die, ungeachtet päpstlicher Befehle von der Universität Zurückgewiesenen, Thomas von Aquino und Bonaventura, an Kenntnissen und Anlagen, vor allen Gliedern der Universität weit hervor, auf welchen Umstand der Papst, und noch mehr darauf Nachdruck legte, daß Ungehorsam gegen seine Befehle höchst anmaaßlich und verderblich sey. Itzt faßte die Universität den Beschluß: niemand solle als Lehrer aufgenommen werden, der nicht beschwöre, allen Einrichtungen und Gesetzen derselben Folge zu leistenWilh. S. Amoris opera, praef.. Doch fügte man, der Bettelmönche wegen, hinzu: daß jene Gesetze und Einrichtungen weder göttlichen, noch Ordens-Gesetzen, noch dem allgemeinen Besten zuwiderlaufen dürften. Als sich die Bettelmönche desungeachtet nicht fügen wollten, bevor man ihnen für alle Zeiten zwei Lehrstellen zusichere und einräume, wurden sie nach vergeblicher Warnung und Vorladung ganz von der Universität ausgeschlossen. Hierauf steigerte sich der Streit, bis es unter den Anhängern beider Parteien zu Schlägereien kam, und päpstliche Befehle hemmten das Übel um so 468 weniger, da sie bald günstig für die Universität, bald günstig für die Bettelmönche lauteten, bis diese zuletzt im wesentlichen obsiegten.

Bei Gelegenheit dieses Streits erging auch die Vorschrift: die Universität dürfe, um verweigerte Gerechtigkeit zu erzwingen, ihre Vorlesungen nur dann einstellen, wenn zwei Drittel von den Mitgliedern jeder Fakultät darüber einig seyenSchröckh XXIV, 309..

2. Die übrigen französischen Universitäten.

a) In Montpellier war eine hohe Schule für Arzneikunde, welcher Wilhelm, Herr von Montpellier, im Jahre 1180 versprach, er wolle keinem ein Recht ertheilen, daselbst ausschließend zu lehrenBei Savigny findet sich alles vollständiger.. Im Jahre 1220 bekam die Anstalt neue Gesetze durch einen päpstlichen Abgeordneten. Im Laufe des dreizehnten Jahrhunderts finden wir aber auch Rechtslehrer, Theologen und Artisten mit solchem Übergewicht der ersten, daß die beiden letztgenannten in die Fakultät der Juristen mit aufgenommen waren und als eine Hälfte der Universität, den Ärzten als der zweiten Hälfte gegenüberstanden.

b) In Orleans bestand schon in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts eine Rechtsschule, während die Eifersucht und das Ansehn der benachbarten pariser Universität das Aufkommen einer theologischen und philosophischen Fakultät verhinderte.

c) In Toulouse ward im Jahre 1233 durch Gregors IX Einwirkung eine Universität zur bessern Bekehrung der Albigenser errichtet. Sie erhielt die Vorrechte der pariser Universität und ward von aller weltlichen Gerichtsbarkeit befreitDachery spicil. III, 605.  Concil. XIII, 1174.  Regesta Gregor. IX, Jahr VII, Urk. 72.. Die Bürger sollten den Studenten Wohnungen überlassen, nach der Abschätzung zweier unbescholtenen Laien 469 und zweier Geistlichen; der Graf von Toulouse aber den Lehrern das zugesicherte Gehalt richtig auszahlen. Zur Zeit Ludwigs IX befanden sich daselbst folgende LehrerOrdin. Ludov. IX, 810.:

2 Theologen, jeder mit einem Gehalte von  50  Mark
2 Dekretisten —   —   — 30 
6 Magister der freien Künste —   —   — 20 
2 Grammatiker —   —   — 20 

Der Domkanzler sollte zugleich Kanzler der Universität seyn und eine allgemeine Aufsicht führen, die Tüchtigkeit der Theologen und Dekretisten aber genau prüfen. Aus dem Freibriefe Innocenz IV von 1245 heben wir noch folgendes aus. Geschieht der Universität Unrecht, so ist sie befugt ihre Vorlesungen einzustellen. Die Sommerferien dauern nicht über einen Monat, und gewisse Vorlesungen, z. B. über den Priscian, müssen regelmäßig gehalten werden. Wer keine Vorlesungen besucht, verliert alle Vorrechte eines Studenten. Diese dürfen nicht bewaffnet gehn und Schulden halber nicht verhaftet werden. Die Theologen sollen nicht als Philosophen glänzen wollen, sondern danach streben und sich damit begnügen, Gottesgelehrte zu werden; sie sollen nicht in der Volkssprache redenNon philosophos se ostendant, sed satagant fieri theodocti, nec loquantur in lingua populi.  Hist. de Langued. III, preuv. 272, 533..

3. Bologna. Die Universität Bologna ist höchst wahrscheinlich nach und nach aus den Kloster- und Stifts-Schulen hervorgewachsen, weshalb sich kein bestimmter Zeitpunkt ihrer Gründung und Entstehung nachweisen läßtSarti I, 1, 7, 26.. Schon in den Jahren 1067 und 1109 werden Doktoren der Rechte genannt; das lebendige Studium dieser Wissenschaft, das rasche Emporkommen der Universität verdankt man aber dem Bologneser Irnerius, welcher ums Jahr 1140 schon gestorben war. Ein öffentliches Zeugniß von der Wichtigkeit der Universität ist die Urkunde, wodurch Friedrich I 470 im Jahre 1158 den Studirenden seinen Schutz zusichert, und ihnen hinsichtlich der Gerichtsbarkeit die Wahl läßt zwischen ihren Lehrern oder dem Bischofe. Allmählich gestaltete sich aber die Sache so, daß die Scholaren auch noch den Rektor und die Stadtobrigkeit zu Richtern hatten. Über die Gränzen dieser Gerichtsbarkeit erhob sich nicht selten Zwist, und insbesondere suchte die Stadt, als manche Gewaltthätigkeiten der Studenten vorfielen, einen größern Wirkungskreis zu erlangen und härtere Strafen anzuwenden.

Im Jahre 1213 nämlich entstand zwischen den Lombarden und Toskanern nicht bloß Streit, sondern eine so blutige Fehde, daß die Universitätsobrigkeit sie nicht zu schlichten wagte, sondern die peinliche Gerichtsbarkeit dem Podesta überließ und sich nur die bürgerliche vorbehielt. Jener strafte aber sehr hart und verbot, daß die Studenten sich in Genossenschaften zusammenthäten und Rektoren wählten, worüber nicht wenige die Universität verließenSarti I, 1, 120, Urk. app. 57.  Savioli a. h. a.  Ghirard. I, 122.. Im Jahre 1215 kam es deshalb zu einem Vertrage, vermöge dessen Lehrer und Studenten schwören mußten, die Universität nicht zu verlassen, und die Wahl der Rektoren zwar von neuem zugestanden, aber die Bedingung hinzugefügt wurde: die Erwählten müßten sich binnen vierzehn Tagen vor dem Podesta stellen und alle Gesetze beschwören. Die römischen und tuscischen Studenten wandten sich, hierüber unzufrieden, an den Papst Honorius III, welcher sie zur Ordnung und Mäßigung ermahnte, zugleich aber dem Podesta schrieb: man möge das neue Gesetz aufheben, oder wenigstens nicht so streng anwenden daß Unruhen entständen, oder gar die Universität zu großem Nachtheile Bolognas sich auflöse. Als die Stadt hierauf keine Rücksicht nahm, weil der von den Studenten getriebene Unfug zu arg gewesen sey, erklärte Honorius die ergriffenen Maaßregeln für unzweckmäßig und befahl, alle Gesetze wider die 471 Freiheit der Lehrer und Studenten aufzuheben und durch angemessenere Mittel Ruhe und Ordnung herzustellenReg. Honor., Jahr IX, Urk. 46..

Im Jahre 1258 war ein Student aus Genua mit einem öffentlichen Beamten in Streit gerathen und hatte ihn niedergestoßenGhirard. I, 197  Savioli a. h. a.. Der Podesta ließ den Thäter sogleich verhaften, alle Versuche der Studenten, ihren Genossen zu befreien, hintertreiben und ihn selbst, unbekümmert um die Drohung jener daß sie hinwegziehen würden, am folgenden Tage hinrichten. Im nächsten Jahre vereinigte man sich indessen dahin: wegen peinlicher Vergehen sollen die Studenten in Gegenwart ihrer Lehrer verhört werden und diese ihre Vertheidiger seyn. Verwundung und Todschlag eines Studenten darf man ohne Genehmigung seiner Verwandten nicht erlassenGesetz von 1244.  Ghirard. I, 165.. Beleidigt ein Student Geistliche, so wird der Dechant des Stifts, nach einer Verordnung Papst Honorius III, die Sache milde und mehr polizeilich als nach strengem Rechte abmachen. Jeder Student läßt sich in das Verzeichniß derselben eintragen, und für gewisse Vergehen findet eine Wegweisung von der Universität stattSavigny III, 615–616..

Die juristische Fakultät war die älteste. Der erste Magister der Arzneikunde findet sichSarti I, 1, 433-438, 503: I, 2, 1., obgleich man diese Wissenschaft schon früher lehrte, nicht vor dem Ende des zwölften, der erste Doktor nicht vor der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts1298 findet sich ein Doctor Fisicae et Astrologiae.  Sarti I, 2, 161.. Auch Philosophie, Mathematik und Grammatik hoben sich um diese Zeit unter besonderen Lehrern; Theologie lehrte in Bologna schon der nachmalige Papst Alexander III; aber man machte keine DoktorenDoch bewirkte der heilige Franz, daß in Bologna noch ein tüchtiger Professor der Theologie eingestellt wurde.  Ghirdardacci I, 133. dieser Wissenschaft, und erst in der zweiten Hälfte des vierzehnten 472 Jahrhunderts erhielt die theologische Fakultät durch Innocenz VI ihre weitere Ausbildung nach dem Muster der pariser.

Volles Bürgerrecht auf der Universität hatten nur die fremden Studenten der RechteDie Studenten aus Bologna konnten weder in der Versammlung stimmen, noch Ämter auf der Universität bekleiden.  Savigny III, 166.  Savioli III, 2, Urk. 746.  Ghirard. I, 166.  Sigonius hist. Bon. zu 1190.. Diese zerfielen nämlich in die Citramontani und die Ultramontani, und jene bildeten wiederum siebzehn, diese achtzehn Nationen, obgleich Zahl und Benennung mehre Male wechseltenSchon hieraus ergiebt sich, wie viele überalpische Studenten in Bologna waren. Deutsche, Franzosen und Dänen werden z. B. erwähnt.  Halb erst. chron. 146.  Reg. Greg. IX, Jahr IV, 415.. An der Spitze einer jeden der beiden Hauptabtheilungen stand ein Rektor, welcher nach einer gewissen Reihefolge von den verschiedenen Nationen gewählt wurde. Später erhielten alle Juristen nur einen, und die Mediciner einen zweiten Rektor; in der theologischen Fakultät hingegen ging alle Regierung von den Lehrern aus. Bei den übrigen Fakultäten machte nämlich die vom Rektor berufene Versammlung der Studenten die eigentliche universitas aus. In dieser Versammlung wurde mit weißen und schwarzen Bohnen über Universitätsangelegenheiten abgestimmt, und auch eine gewisse Anzahl Wähler ernannt, welche nebst dem abgehenden Rektor und den Räthen oder Vorstehern der einzelnen Nationen, jährlich den neuen Rektor wählten. Der Rektor sollte seyn ein Mitglied der Universität (scholaris), unverheirathet, nicht Klostergeistlicher, wenigstens fünfundzwanzig Jahre alt und von hinreichendem Vermögen; er mußte wenigstens fünf Jahre lang auf eigene Kosten die Rechtswissenschaft studirt haben. Selbst die Lehrer und Professoren standen unter der Gerichtsbarkeit des Rektors, konnten von ihm gestraft werden, 473 mußten von ihm Urlaub einholen u. s. w.; hatten aber in der Versammlung der Universität keine Stimme, sofern sie nicht schon einmal Rektoren gewesen waren. Obgleich diese Einrichtung, wonach die Studenten eigentlich die Körperschaft bildeten, ihre Vorgesetzten wählten und mittelbar selbst über ihre Lehrer Gewalt ausübten, sehr seltsam erscheint; ist ihr Daseyn doch nicht zu bezweifeln und, alles in allem, daraus kein größerer Mißbrauch entstanden, als in Paris bei ganz entgegengesetztem Verfahren. Aber freilich muß man bedenken: daß die Studenten damals im Durchschnitt weit älter, und zum Theil Männer waren die in der Heimath schon Amt und Würden besaßen; daß sie nur aus Liebe zur Wissenschaft das ferne Bologna aufsuchten und große Begünstigungen erwarteten wie verdienten. Ferner stand die Stadtobrigkeit und die geistliche Obrigkeit den Rektoren zur Seite, und griff mit Nachdruck ein wenn diese etwa ihr Amt vernachlässigten, oder schreckte sie von solcher Vernachlässigung mit Ernst zurück.

Auch bei den Prüfungen und Promotionen übte der Archidiakonus von Bologna ein Recht der MitaufsichtGhirard. I, 119.  Sarti I, 2, 177.  Savioli zu 1259., und durfte Studenten wenn sie Geistliche geschlagen hatten, für mäßige Buße vom Banne lösen. Wir finden Vorschriften gegen ungebührliche Aufzüge, Schmausereien, übertriebene Kosten bei jenen Prüfungen und Promotionen; ferner über Zahl, Stunden und Dauer der Vorlesungen, über das Lehrgeld, die Sitze in den HörsälenTirab. IV, 247.  Wir müssen der Kürze halber über dies alles auf Savigny verweisen. u. dergl. Die Abschreiber, Verleiher und Verkäufer von Büchern standen, in Hinsicht der Richtigkeit der Schriften und der Preise, unter strenger Aufsicht und sollten die Bücher nicht nach fremden Orten verkaufen.

4. Die übrigen italienischen Universitäten.

a) In Arezzo war schon im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts eine Rechtsschule; desgleichen 474

b) in Ferrara, mit Einrichtungen welche den bolognesischen ähnlich sindMurat. antiq. Ital. V, 285, erwähnt zu 1230 einen Professor legum..

c) Padua entstand im Jahre 1222 durch Lehrer und Schüler, welche von Bologna dahin auswandertenGennari zu 1260.  Patav. chron. 1129.  Tirab. lett. IV, 44.. Im Jahre 1262 finden sich auch Lehrer und Schüler der freien Künste in nicht geringer Zahl, und das Recht der Schüler Rektoren zu erwählen und Innungsbeschlüsse zu fassen, wurde von der Stadt anerkannt. Überhaupt sind die Einrichtungen denen von Bologna nachgebildet.

f) In Perugia bestanden gelehrte Schulen schon seit früherer ZeitBini I, 14, 191.; eine Universität, deren Fortgang jedoch mit dem mancher ihrer Nachbaren nicht zu vergleichen ist, wurde 1276 gegründet.

e) Piacenza erhielt im Jahre 1243 von Innocenz IV alle Vorrechte der Universität Paris1243 sagt Johannes de Mussis. 1243 Campi II, 399..

f) In Pisa war im zwölften und dreizehnten Jahrhunderte, wie es scheint eine Rechtsschule, aber keine eigentliche Universität.

g) In Ravenna wurde zweifelsohne seit langer Zeit römisches Recht gelehrt und gelernt, aber nicht in dem Umfange und mit dem Erfolge wie später in BolognaTirab. III, 385..

h) In Reggio entstand schon im zwölften Jahrhundert eine Rechtsschule, sie blühte im dreizehnten.

i) In Rom eröffnete Innocenz IV eine Rechtsschule, und die Scholaren erhielten alle, auf Universitäten gewöhnliche VorrechteTirab. IV, 65.  Sext. Decret. V, tit. 7, c. 2..

k) In Siena wird gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts auf der Universität ein Professor der Grammatik 475 und einer der Arzneikunde erwähnt, welche Gehalt bezogen und von gewissen Abgaben befreit warenDella Valle lettere I, 139..

l) In Treviso erhielt der Podesta im Jahre 1260 den Auftrag eine Universität zu gründen, und anzustellen: einen Professor der Arzneikunde, einen der Physik und einen der Rechte, welcher zugleich Anwalt der Stadt warVerci stor. della Marca Trivig. I, 108.. Die Universität wurde ziemlich zahlreich besucht, und einige Vorlesungen durfte, wie es scheint, eine gewisse Anzahl von Studenten unentgeldlich besuchen.

m) In Vercelli gründeten die Bürger durch Anstellung von Lehrern, Bewilligung von Unterstützungen an arme Studenten, Festsetzung billiger Miethen, Ertheilung von Vorrechten u. dergl. im Jahre 1228 eine Universität. Dennoch gewann sie keine große wissenschaftliche Bedeutung. Die Universität in

n) Vicenza entstand im Jahre 1204, durch die Auswanderung bolognesischer Studenten und LehrerSavioli a. h. a.  Tirab. IV, 40., und soll sich bald nachher wieder aufgelöset haben. Doch wurden im Jahre 1261 nochmals Lehrer der Arzneikunde und der Rechte angestellt, und dem Magister Arnold jährlich 500 Pfund versprochen, wenn er Kirchenrecht, wenigstens vor zwanzig Zuhörern, ein Jahr lang leseWahrscheinlich mußte er für zwanzig unentgeldlich lesen.  Verci Trevig. II, Urk. 112..

Von allen diesen Universitäten unterscheidet sich:

o) Neapel sowohl in Hinsicht der Entstehung, als der Einrichtungen. Bei keiner ward ein für die Wissenschaft so umfassender Plan zum Grunde gelegt, keine so von oben herab unterstütztDas Nähere über Neapel s. Hohenst. Band III, S. 559.. Wenn sie desungeachtet hinter mancher von ihren Mitschwestern zurückblieb, so beweiset dies einerseits allerdings: daß der Wille und die Begünstigung selbst des größten Herrschers nicht zur Entwickelung 476 wissenschaftlicher Einsicht und Thätigkeit hinreicht, und manche beschränkende Einrichtung neben jenen Begünstigungen herlief; andererseits aber traten für Neapel auch gar viel Störungen ein, welche mit dem Bezeichneten in keinem Zusammenhange stehen, weshalb sich Fortschritte und Rückschritte noch aus verschiedenem Gesichtspunkte erklären und wenigstens zum Theil nachweisen lassen.

5. Die englischen Universitäten bildeten sich im ganzen nach der pariser, und hielten sich noch freier vom königlichen Einflusse als diese. Die Entstehung von Kambridge wird auf so fabelhafte Weise in das Alterthum zurückgelegt, daß im Jahre 375 vor Christus, Professoren aus Athen dahin gekommen seyn sollenHistory of the univers. of Cambridge 1–3, 34.. Etwas gewisser ist es, daß Sigebert König der Ostangeln daselbst eine Schule anlegte. Seit den normannischen Zeiten werden der Nachrichten mehre. Im Jahre 1231 schätzte man die Miethen ab, und allmählich wurden nun Gebäude (hostels, inns) angelegt, in welchen die Studenten beisammen wohnten und später auch verpflegt wurden. Die Entstehung der Universität

Oxford ist ebenfalls ungewiß. Im Jahre 1141, als König Stephan die Stadt mit Sturm eroberte, litt auch die HochschuleHistory of the univers. of Oxford I, XXII., wogegen sie von Heinrich II und Richard I mehre Vorrechte erhielt. Ums Jahr 1200 stand ein weltlicher Kanzler an der Spitze der Universität und außerdem werden zwei Prokuratoren erwähntBulaeus II, 545.: einer, wie es scheint für die Studenten, aus den nördlichen, der zweite für die aus den südlichen Landschaften. Um diese Zeit zählte man 4000 Studenten, unter ihnen auch NiederländerEmonis chron. 5.  Heeren Gesch. der Liter. I, 213.. Im Jahre 1209 tödtete ein Student zufällig eine Frau, worüber Unruhen entstanden, in welchen drei Studenten 477 ergriffen und hingerichtet wurden. Hiefür ward Oxford gebannt, Lehrer und Schüler zerstreuten sich, bis nach fünf Jahren Abbitte, und Herstellung der Universität auf günstige Bedingungen eintrat. Neue Streitigkeiten über die Miethen, beschleunigten die Gründung und Begabung der sogenannten Kollegien, in derselben Art wie zu Kambridge. Die älteste Universität

6. in Spanien war Salamanka. Sie stand unter Aufsicht des Domlehrers, welcher auch den Rektor und dessen Räthe aus den Studenten ernannteSavigny III, 379.  König Alfons X stiftete in Salamanka Lehrstühle für Musik und Naturlehre.  Schröckh XXIV, 288.. Der Rektor hingegen soll das Recht gehabt haben die Professoren zu berufen und ihr Gehalt zu bestimmen.

7. In Konstantinopel, wo noch so viele Reste und Denkmäler alter Wissenschaft und Kunst waren, hätten sich Abendländer in mancher Beziehung bilden können: aber Sprache, Kirchentrennung und manche andere Gründe hielten davon ab. Nur Venetianer studirten bisweilen daselbstFoscarini 38.. Bei aller Neigung das Byzantinische zu erheben, berichtet Anna Komnena: im zehnten und eilften Jahrhundert lag aller Fleiß in Künsten und Wissenschaften ganz danieder; die Jugend dachte allein an Vogelsang oder andere schändlichere Vergnügungen. Nur die Brüder des Kaisers Michael Dukas und ihre eigene Mutter rühmt Anna als Freunde der Wissenschaft, setzt aber naiv genug hinzu: der Lieblingsschriftsteller der letzten sey der heilige Maximus gewesen, dessen Werke ihr, der Tochter, beim Vorlesen den Kopf ganz drehend gemacht hätten. Kaiser Alexius drang darauf, zuvörderst die griechischen Kirchenväter, dann aber auch die altgriechischen Schriftsteller zu lesen: allein es zeigte sich sehr wenig Anlage und Eifer, und die Mehrzahl blieb, wie Anna sagt, in den aristotelischen Vorhöfen. Männer die, wie ein gewisser Italus, nicht grammatisch sprechen und 478 schreiben konnten, in barbarischer Darstellung Philosophie suchten, mit ungeschickter Sophistik ihre Gegner verwirrt machten, und zuletzt im Eifer des Streites mit Fäusten dreinschlugen und sich bei den Haaren zauseten, – fanden Ansehn und SchülerAnna 115-118. – Um 1070 hatte eine Frau Karina einen theologischen Lehrstuhl in Bagdad.  Abdulf. z. d. J.!

 
3) Von den einzelnen Wissenschaften.

a) Von der Theologie und

b) von der Rechtswissenschaft

ist bereits an andern Stellen das Nöthige beigebracht worden, weshalb wir uns sogleich

c) zur Philosophie wenden können. Über das Verhältniß derselben zur Theologie, über das Wesentliche und Unwesentliche des Bestrebens der Scholastiker, über ihre Stellung in Bezug auf die Mystiker und Ketzer u. a. haben wir bereits im neunten Hauptstücke des sechsten BuchesGesch. der Hohenst. Band III, S. 266. so umständlich gesprochen, als es der Zweck dieses Werkes erlaubt. Wir beschränken uns deshalb hier auf einige allgemeinere Zusätze, und auf kurze Nachrichten über die wichtigsten unter den Scholastikern, ohne auf eine Darlegung ihrer verwickelten Systeme einzugehen.

Kein einzelner, durch überwiegend große Anlagen und bewundernswerthe Werke hervorragender, Mann bezeichnet den Anfang des Zeitraums, welchen die Geschichte der scholastischen Philosophie umfaßt. Der Name scholastisch weiset ganz richtig darauf hin, daß es eine Philosophie der Schule war, von ihr ausging und in ihren Kreisen eingeschlossen blieb, ohne daß man je ihre Ergebnisse in ansprechender Form zusammenstellte um daraus eine Philosophie für das Volk zu bilden, oder dasselbe lebhaft anzuregen. Man hat gesagt: scholastisch sey diejenige Behandlung der Gegenstände a priori wo, nach Aufstellung der meisten für 479 und wider aufzutreibenden Gründe, in syllogistischer Form die Entscheidung aus Aristoteles, den Kirchenvätern und dem herrschenden Lehrgebäude hergenommen wirdTiedemann Geist der spekul. Philos. IV, 338.. Diese Erklärung deutet allerdings wichtige Punkte an, ohne jedoch das Wesentliche zu erschöpfen. Die unwandelbare Richtung der scholastischen Philosophie auf die höchsten Gegenstände, auf Gott und sein Verhältniß zu den Menschen und der Welt, ist ihre wesentlich vortreffliche Seite, und wir begreifen nicht wie eine völlige Trennung der Theologie von der Philosophie genügend und beruhigend zu Stande gebracht werden kann, da die wichtigsten Fragen und Lehrstücke beider Wissenschaften dieselben sind, wenn sie auch unter verschiedenen Namen und Standpunkten behandelt werden. Z. B. die philosophischen Lehren von der Freiheit, dem Verhältnisse des Einzelnen zum Ganzen, dem Guten und Bösen, haben ja ihre theologischen Gegenstücke in den Abschnitten von der Vorherbestimmung, Gnadenwahl, den beiden Naturen in Christus, der Sünde u. s. w. Nur eine schlechthin gottleugnende Philosophie wird in ihrem folgerechten Irrthum alle Theologie, nur eine vollkommen abergläubige Theologie allen Vernunftgebrauch verwerfen; auf jeder Stufe diesseit dieser äußersten Punkte kann man Wechselberührungen nicht leugnen und entbehren, man darf die Frage nach dem Verhältnisse der theologischen und philosophischen Wahrheiten und Ergebnisse nicht von der Hand weisen. Im zwölften und dreizehnten Jahrhunderte, wo das gesammte System der Kirchenlehre und Kirchenverwaltung als unantastbare höchste Wahrheit hingestellt wurde, geriethen aber die Scholastiker nicht selten in ein solches Gedränge, daß sie sich durch den Ausweg zu helfen suchten: manches könne in der Philosophie wahr, in der Theologie aber falsch seyn, und umgekehrt; wogegen die Theologen behaupteten, es gebe nur eine und dieselbe Wahrheit. Wenn z. B. die Philosophie herausgrübele, es gebe keinen Gott; und die Theologie den entgegengesetzten Satz an die 480 Spitze stelleUms Jahr 1220 ward zu großem Anstoß mehrer gestritten: de qualitate et certitudine propositionis, Deus est.  Wadding ann. I, 364.: so müsse doch eines von beiden in höchster Stelle wahr und das andere falsch seyn, und ohne Zweifel sey die göttliche Offenbarung diese höchste Stelle und der, allen Irrthum hinwegnehmende, Quell der Wahrheit. In der That kehren diese Fragen zu jeder Zeit wieder, und der Vorrang der Spekulation vor der Offenbarung ist z. B. in unsern Tagen so laut behauptet, als in jenen Zeiten geleugnet worden; und doch fühlt der Laie, was die Tiefsinnigsten unter den Theologen und Philosophen erkannten: es sey nicht Zwiespalt, sondern Frieden das wesentliche Verhältniß beider Ansichten, und sowie die Tiefen der Philosophie sich des festen Bodens der Offenbarung erfreuen, oder ohne Offenbarung des Schlußsteins ihres Gewölbes entbehren: so ist die Offenbarung etwas ganz sinn- und wesenloses, wenn sie nicht ihren Samen in dem mit Vernunft begabten, zum Gebrauch der Vernunft erschaffenen Menschen aussäen kann.

Allerdings ward im zwölften und dreizehnten Jahrhundert manche Menschensatzung für göttliche Offenbarung ausgegeben und in deren Namen bisweilen Tyrannei ausgeübt: aber diese Menschensatzungen wuchsen vor jener Verpflanzung gewöhnlich in den philosophischen Schulen empor, wo die Vernunft auf eitele Fragen und Abwege gerieth. Wenn z. B. die Offenbarung ganz einfach die Unsterblichkeit lehrte; so fragte, damit unbegnügt, mancher scholastische Philosoph: werden die Fetten fett, die Magern mager auferstehn? Werden die Auferstandenen alles was sie in diesem Leben verloren, z. B. Haare, Nägel, wieder bekommen? u. dergl. m.

Die Päpste, ob sie gleich Begünstiger der Wissenschaft und namentlich der Philosophie warenUrban IV z. B. nahm Philosophen an seinen Tisch, gab ihnen Aufgaben zu gelehrten Gesprächen, veranlaßte mehre Übersetzungen von Werken des Aristoteles.  Tirab. IV, 155., wurden doch 481 mehre Male über die Vorliebe für diese Richtung bange, und Gregor IX z. B. schrieb an die Lehrer der Theologie in ParisRegesta Greg. IX, Jahr II, 105–109.: »zieht nicht aus Eitelkeit die Philosophie eurer Wissenschaft vor, welche der wahre Geist des Lebens ist und vor Irrthum bewahrt. Trachtet nicht danach, Scheingelehrte, statt Gottesgelehrte zu seyn, und wendet euch nicht von den himmlischen zu den niedrigen und dürftigen Elementen der Welt und Natur, denen der Mensch nur in seiner Kindheit diente. Die, welche eure Schulweisheit über die natürlichen Dinge ergreifen, bieten ihren Zuhörern nur Blätter der Worte, nicht Früchte; ihr Geist, gleichsam nur mit Schalen genährt, bleibt leer und unfähig sich an größerer Fülle zu ergötzen. Irrig glauben jene alles ergründet zu haben, während man um so durstiger wird, je mehr man aus jener Quelle trinkt, die keine Quelle der Gnade ist. Nicht die magern Kühe sollen die fetten verschlingen, nicht die Königinn gezwungen werden, ihren Mägden zu dienen, nicht die schönste aller Frauen durch Freche mit erlogenen Farben geschminkt, nicht die von ihrem Bräutigam herrlich Geschmückte, mit dem schlechten zusammengeflickten Gewande der Philosophen bekleidet werden.«

Wie man auch hierüber denke, darin wirkten die Päpste gewiß heilsam, daß sie die Religion nicht wollten in eine unzugängliche Wissenschaft verwandeln lassen. Auch gewährte die Theologie in ihrer Grundlage, der Bibel, mehr Fülle und Weisheit, als das Schulgezänk mit seinen unzähligen Fragen, Gründen und Gegengründen, die gewöhnlich in höchst barbarischer Form vorgetragen wurden. Die Philosophie war ohne Theologie in Gefahr, sich einem leeren, gemüthlosen Skepticismus hinzugeben; und umgekehrt erkrankte die Theologie, als statt der Schrift, die Kirchenväter vorangestellt wurdenCrevier I, 100., und endlich auch mit Vernachlässigung der letzten, die Schreiber dogmatischer Handbücher 482 allein gelesen und geachtet wurden. Nicht ohne Grund bemerkten die PhilosophirendenSo schrieb Alanus von Ryssel dem Papste.  Schröckh XXIV, 399.: gegen Juden und Muhamedaner bedürfe man anderer, aus der Vernunft hergenommener Beweise für die Wahrheit der christlichen Lehren; auch ließ sich, bei der Vorliebe für das dialektische Verfahren, der Vernunftgebrauch keineswegs ganz umgehn oder beseitigen. Freilich fehlte es hiebei nicht an Mißbräuchen, die in der Schule oft als Scharfsinn bewundert wurden, den Laien aber sehr geringen Werthes zu seyn schienen. So gab König Konrad III dem Abte Wibald erst zu, daß er ein Auge, dann daß er zwei Augen habe, und sagte, als dieser ihm hierauf künstlich bewies, er habe drei AugenWibaldi ep. 147.: wahrlich die Gelehrten führen ein spaßhaftes Leben. Doch wollte jener in Geschäften sehr brauchbare Abt wohl ohne Schuleitelkeit nur zeigen: daß man aus beziehungsweise Wahrem, aber unbedingt Eingeräumtem, gar Sonderbares folgern könne. Der gemüthliche Reichthum der Mystiker bot ein Gegengift gegen die kalten, zuletzt fast ganz inhaltlosen Begriffe und Begriffsspaltereien; nur geriethen einige von ihnen auf dem ganz entgegengesetzten Wege in leere Grillen und bedurften der Hinweisung auf verständige Betrachtung und Mäßigung.

Weit weniger als die spekulative Seite der Philosophie wurde die Sittenlehre und die Politik bearbeitet; doch gab das Christenthum für dieselben einen neuen und ganz eigenthümlichen Standpunkt. Was hätte sich z. B. nicht daraus folgern, oder daran reihen lassen, wenn Albert der Große behauptete: Glaube, Liebe und Hoffnung sind die drei theologischen von Gott eingegebenen Tugenden, wogegen die vier erworbenen Kardinaltugenden nur die Gemüthsbewegungen regeln und ordnen.

Johann von Salisbury entwarf eine Art von Politik und Pflichtenlehre für die Fürsten, mit vielen Beispielen 483 aus dem Alterthume. Sie dringt indeß nicht sehr tief ein und nur der Lehrsatz verdient Erwähnung: man müsse den Herrscher ehren, selbst wenn er sich in tugendlicher Übung seiner Pflichten nachlässiger zeigePolicratic. Buch V, und VI, c. 24..

Am dürftigsten erscheint die Naturphilosophie jener Zeit. Ja man könnte sagen sie habe ganz gefehlt, da sich mit sehr wenigen Ausnahmen (Friedrich II, Albert der Große, Roger Bakon) niemand auf Beobachtung der Natur legte. Diese erschien als ganz untergeordnet und selbst die Einleitung zum Schwabenspiegel sagtSchwabensp. in Senkenb. corp. jur. Germ.  Einleit. No. II.: all diese Welt, Sonne, Mond und Sterne, die Elemente, Feuer, Wasser, Luft und Erdreich, die Vögel in den Lüften, die Fische im Wasser, die Thiere in den Wäldern, die Würmer in der Erde, Gold und Edelsteine, der edlen Gewürze süßer Geschmack, der Blumen lichte Farben, der Bäume Früchte und alle Geschöpfe: das hast du Herr alles dem Menschen zu dienen und zu nützen geschaffen, durch die Treue und durch die Liebe die du zu den Menschen hegst.

Die Scholastiker zeigen: daß Vielschreiberei kein zureichender Beweis einer großen Masse von Erkenntniß und gründlicher Gelehrsamkeit ist und zu künstlerischer Behandlung gewöhnlich in umgekehrtem Verhältnisse steht. Wer mag itzt noch die zwölf Folianten der Werke des Duns Skotus, die einundzwanzig Alberts des Großen, die dreiundzwanzig des Thomas von Aquino durchlesenBesonders schwerfällig klingt ihr Latein, obgleich man nicht leugnen kann, daß sie durch neue Wörter, bisher unbezeichnete Begriffe und Gedanken auszudrücken suchten: z. B. haecceitas, suppositalitas, potentia actuabilis, rectificativa potentia practicantis aliunde quam a se rectificabilis, respectus aptitudinalis ad praxin, si rectitudo entis fundatur in aliquitate, etc. Schröckh XXIV, 437.. Auch wir thun für das Verhältniß unsers Werkes eher zu viel als zu wenig, wenn wir aus so vielen Scholastikern einige namentlich 484 hervorheben und Proben ihrer Ansichten und ihrer Behandlungsweise mittheilen.

1. Anselm geboren 1033 zu Aosta, gestorben 1109 als Erzbischof von Kanterbury, verdient ohne Zweifel für diesen Zeitraum zuerst ErwähnungHist. litt. de la France IX, 398.. Folgendes ist seinen, verhältnißmäßig gut geschriebenen Werken, über das Wesen der Wahrheit, den freien Willen, die Vorherbestimmung und das Daseyn Gottes, entnommen.

Eine Untersuchung über das Wesen der Wahrheit ist um so nothwendiger, da dies Wort in sehr verschiedenartiger Beziehung gebraucht und z. B. eine andere Wahrheit gefunden wird in den Worten, den Meinungen, dem Willen, den Handlungen, den Sinnen, in GottAnselmi op. 109.. Die innere natürliche Wahrheit einer Rede beruht auf der richtigen Bezeichnung (so z. B. der Ausdruck: es ist Tag; ohne Rücksicht ob Tag oder Nacht sey); die zweite Frage geht dahin, ob auch vermittelte Wahrheit, das heißt Übereinstimmung mit dem Bezeichneten vorhanden sey. – Ohne zureichenden Grund nennt man die Sinne trügerisch: denn sie bieten nichts anders dar, als es ihre Natur oder die der äußern Dinge nach innerer Nothwendigkeit herbeiführt. Es ist nunmehr Sache des Verstandes, jene zweite Art der Wahrheit und Angemessenheit zu erzeugen und zu erkennen. Jede Angemessenheit bezieht sich nämlich auf ein anderes höheres, dem etwas angemessen ist, die vielfachen Angemessenheiten müssen aus einer höhern Wurzel hervortreiben, und so kommen wir zu einer Wahrheit, die in allen Dingen ruht, zu einer Angemessenheit, welche sich nur auf niedern Standpunkten spaltet und in scheinbar unlöslichen Gegensätzen hervortritt.

Man darf nicht sagenDe libero arbitrio 117.  De concordia praescientiae Dei cum libero arbitrio 123.: die freie Wahl sey das Vermögen zu sündigen, oder nicht zu sündigen: denn das 485 Vermögen zu sündigen ist nie die Freiheit, oder ein Theil der Freiheit. Diese erscheint vielmehr größer, wo von der Möglichkeit zu fehlen gar nicht mehr die Rede ist; und die Freiheit, oder die freie Wahl heißt richtiger: das Vermögen den Willen schlechthin auf das Rechte zu richten. Nur der Wille beherrscht und bestimmt den Willen; wo er den Versuchungen unterliegt, ist seine Kraft nicht angewandt. Der rechte Wille ist gleich dem Willen Gottes unzerstörbar, unabänderlich; der verkehrte Wille stammt aus der eigenen Macht und ist unstät und wandelbar, bis Gott, durch den jeder alles Wollen hat, ihn aufs neue richtet und befestigt. Gott weiß alles künftige vorher; aber er weiß auch, daß manches nicht nothwendig, sondern aus freier Wahl eintritt. Der Ausdruck: das Vorhergewußte geschieht dereinst nothwendig, heißt nur: was geschieht, kann nicht zugleich auch nicht geschehen, und bezieht sich auf die Ewigkeit, wo alles wahr, gegenwärtig und unabänderlich ist; nicht auf die Zeit, in welcher unsere Handlungen weder alle schon gegenwärtig, noch nothwendig sind. Unsere Freiheit zeigt sich nur in der Übereinstimmung mit dem Willen Gottes: von der Freiheit Gottes, der nicht sündigen kann, müssen wir aber freilich einen andern Begriff, als von der menschlichen zu fassen suchen.

Nur dem Wahren, dem Rechten kommt das Daseyn zu: das Unrechte hat weder eine Beschaffenheit, noch irgend etwas wesenhaftes. Jegliches Seyn, jegliches Rechte ist schlechthin von Gott: wir werden also, um unsere freie Willkür festzuhalten, nicht Gottes Gnade entfernen dürfen; sondern jene ist erst durch diese gegeben, und wir dürfen nicht den Willen recht nennen weil er das Rechte will, sondern weil er recht ist, will er das Rechte. Dieses Rechtseyn kann nicht vom Wollen abhängig gemacht werden: denn ohne es schon zu haben, kann man es nicht wollen. Dies Ursprüngliche, diese Richtigkeit des Wollens, welche wir vom Schöpfer bekommen haben, kann erhalten werden durch freies Beharren. Schwer ist dies Beharren allerdings, 486 jedoch nicht unmöglich, denn durch Gottes Gnade gestärkt ist der Wille unbesiegbar.

Über das Daseyn Gottes sagt Anselm im wesentlichen folgendesMonologium und Proslogium.. Hätte jemand von allem was wir durch den Glauben von Gott wissen, nichts erfahren; so müßte doch die eigene Kraft, wenn sie nur nicht ganz erschlafft ist, auf vielfache Weise zur richtigen Erkenntniß seines Wesens führen: – und welche Weise mir zur Klarheit geholfen hat, will ich euch nicht verhehlen. Ich sah um mich her Tausende von Geschöpfen, die mannigfachsten Erkenntnisse, die Zwecke verschieden wie die Wesen. Tiefer jedoch und dauernder als diese scheinbare Zerstreuung und Trennung, ergriff mich das Gemeinsame in allen, wodurch sie allein da, wodurch sie gut waren. Jede Güte, Größe, Ausdehnung u. a. mußte aus einer Wurzel entspringen; – kurz alles Daseyn ist durch ein Einiges. Denn daß etwas aus und durch nichts entstehe, kann als undenkbar bei Seite gesetzt werden, und es frägt sich nur: ob alles sey durch Eines, oder durch Vielfaches. Dies letzte wird entweder auf Eines bezogen, wodurch es ist; oder im Vielfachen sind mehre Einheiten für sich bestehend; oder die Einheiten sind durch sich selbst zur Vielheit gewordenPer se invicem sunt.. Im ersten Falle muß die höhere Einheit, durch welche das Vielfache erst geworden ist, an dessen Stelle gesetzt werden, und es verschwindet; im zweiten Falle erscheint die Kraft, welche das unabhängige Daseyn begründet, wieder als das Höhere, Gemeinsame; der dritte Gedanke, daß etwas dem andern Daseyn gebe und von diesem wiederum erst empfange, ist in sich unstatthaft: – es bleibt also die höchste Gewißheit, daß allem ein Einiges zum Grunde liege, was sein Daseyn durch sich hat, woraus sich alles abgeleitete Seyn als auf das Höhere bezieht, indem jede einzelne Bezeichnung einzelnen Daseyns, z. B. Güte, Größe u. s. w. im höchsten 487 Grade begriffen ist. So gelangen wir, von niedern Gedanken aufsteigend, endlich zu einem letzten höchsten Gedanken, der alle andern unter sich begreift und in sich schließt. Dieser höchste Gedanke kann nicht als undenkbar verworfen werden, ohne alles Denken mit zu verwerfen: dieser Gedanke ist der Gedanke Gottes; das Nichtseyn Gottes ist also undenkbar.

Wir dürfen außer Gott keinen Stoff annehmen, der, wir wüßten nicht woher entstanden seyn, und von ihm nur umgestaltet werden sollte. Sowie aber in unserm Geiste das Bild eines Menschen unendlich tiefer, lebendiger dasteht, als die Bezeichnung durch Name und Wort es ausdrückt; sowie jenes Bild für alle Menschen allgemein und nothwendig erscheint, ohne Willkür der Töne und Sprache: so ist, in unendlich höherem Grade, die innere Anschauung in Gott nichts anderes, als das Daseyn aller Dinge selbst. – Von Gott läßt sich nichts durch Beziehung auf ein anderes aussagen: er ist nicht groß in Beziehung auf ein Ausgedehntes, gerecht in Beziehung auf ein Gerechtes u. s. f, sondern unbedingt die Größe, die Gerechtigkeit u. s. w. selbst, und dennoch nur ein Einiges, nicht eine Anhäufung aus den Beschaffenheiten, die wir ihm, unserer Erkenntniß nach, beilegen.

Die Schwierigkeit sich von der endlichen Ansicht los zu machen, ist der Grund so vieler Fragen und Zweifel über die göttliche Natur, die sich, bei der wahren Ansicht, von selbst zerstören. Sonst würde z. B. bald klar werden, daß die Frage über Gottes Anfang und Ende keinen Sinn hat, daß die Frage über das was er kann oder nicht kann, sich nur aufwerfen läßt, wenn man vergißt, wie bei ihm Macht und Wesen niemals verschiedenes ausdrückt. Wie kann Gott, spricht ein anderer, zum Theil an einem Orte seyn, da er einig und untrennlich ist; wie kann er ganz dort seyn, ohne für alle übrigen Orte abwesend genannt zu werden? Wie ist in ihm kein Wechsel, da der Fluß der Zeit als ewiger Wechsel erscheint? – Also ihr wollt ihn, der außer 488 aller Zeit und allem Orte ist, durch Zeit und Ort beschränken und einschließen! Weil euer Daseyn euch nur in Raum und Zeit verständlich erscheint, wollt ihr dem ein Maaß anlegen, der dem Maaße Entstehung gab! Euer Daseyn, welches nur ein Hervorgehn aus dem Nichtseyn, ein Hingehn zu dem Nichtseyn ist und kaum ein Seyn genannt werden kann, wollt ihr dem Ewigen, Unveränderlichen gleich stellen! – Das Wort Gottes durch welches alle Dinge sind, ist nichts anderes als sein Wesen selbst, sein Denken schließt nothwendig das Seyn in sich. Wir erkennen nicht das Wesen, sondern nur die Bilder der Dinge. Je mehr indeß der Geist sich selbst und die Dinge zu erkennen strebt, um so mehr erkennt er von Gott; je mehr er Gott erkennt, desto seliger lebt er; je mehr er ihn liebt, desto fester wird die Überzeugung, daß dem Liebenden kein Untergang, kein Tod bereitet seyn könne. So hat die Liebe ihren Lohn in sich, und das Streben nach Gott ist der wahre Glaube; ohne den Glauben ist kein Streben, ohne dies Streben kein Glaube. Wem dies Streben, Lieben, Glauben fehlt, dem ist bleibende Vereinzelung und Elend so gewiß, als dem Besitzenden die Seligkeit.

Gegen diese Schlußfolgen Anselms machte ein Mönch Namens Gaunilo scharfsinnige Einwendungen, welche darauf hinausgehn: das Wesen Gottes sey zu verschieden von allen übrigen Gegenständen des Erkennens, als daß ein Übergang möglich bleibe. Für die Ungläubigen habe der Gedanke Gottes keine Nothwendigkeit, und aus dem Daseyn im Verstande folge nicht das Daseyn in der Wirklichkeit. Anselm hob in seiner Beantwortung dieser Einwendungen hervor: man könne bei dem höchsten Gedanken freilich nicht den ganzen Inhalt bei der Hand haben und auseinanderlegen, wie bei geringhaltigen Gegenständen: aber vom kleinsten Guten zum größten sey kein Sprung, sondern ein durchgehend Gleichartiges. Alles einzelne lasse sich hinwegdenken, und vom Denken eines einzelnen Dinges lasse sich allerdings sein Daseyn nicht folgern; wogegen 489 das schlechthin alles Begreifende, Uranfängliche, Unendliche auf keine Weise hinweggedacht werden könne, und das Seyn zweifelsohne das erste Erforderniß des höchsten Gedankens bleibe.

2. Abälard geboren im Jahre 1079 zu Palais in Niederbretagne, ein Mann von sehr großen Anlagen, aber auch von ungemäßigtem Ehrgeize und heftigen Leidenschaften, war der berühmteste Lehrer der Theologie in Paris; bis er wegen seiner Ansichten mit der Kirche und ihrem Vorfechter Bernhard von Clairvaux in Streit, und durch sein Verhältniß zu Heloise in neues Unglück gerieth. Er begab sich hierauf in das Kloster zu Clugni, lebte, nach Peters des Ehrwürdigen Zeugnisse, demüthig und starb im Jahre 1143 eines milden und schönen TodesPetri Vener. epist. IV, 21.. Sein Hauptbestreben ging dahin, die Offenbarung und Kirchenlehre mit der Philosophie in Übereinstimmung zu bringen, wobei man ihm aber Geringschätzung des Glaubens, Überschätzung der Verstandeskräfte und eine künstelnde Umdeutung mancher, besonders der Dreieinigkeitslehre vorwarf; so daß zuletzt keine christliche, sondern nur eine philosophische Theologie übrigbleibe. Eben so tadelte man, daß zufolge seiner Sittenlehre, der Mensch durch Werke weder besser noch schlechter werde, der Vorsatz schon der That gleich gelte, die göttliche Gnade entbehrlich, der freie Wille überall ausreichend sey u. dergl.Bulaeus II, 168.. Es ist hier nicht der Ort zu untersuchen, inwiefern man Abälard mißverstand oder verleumdete; es genügt zu bemerken, daß seine philosophischen Bestrebungen und Bernhards von Clairvaux Eifer für die christliche Kirchenlehre nicht ohne Folgen blieben, bis die nähere Bekanntschaft mit den Werken des

3. Aristoteles der abendländischen Philosophie einen neuen und kräftigen Anstoß gab. Allerdings war in ihm so manches mit dem Christenthume ganz unverträgliches, und mehr als einmal wurde der Gebrauch seiner Schriften, besonders der physikalischen von der Kirche untersagt, ja ihre 490 Verbrennung anbefohlenSchröckh XXIV, 417.  Alberic. 452.  Brucker III, 695.  Ob Hermann contractus einige Werke des Aristoteles übersetzt habe, ist zweifelhaft; gewisser, daß Jakob ein Geistlicher in Venedig unter anderem die Topik und Analytik ums Jahr 1128 aus dem Griechischen übersetzte. So führt auch Hugo von S. Viktor im zwölften Jahrhundert den Aristoteles gegen Petrus Lombardus an. Aber erst um 1230 wurden mehre Schriften, zum Theil durch Friedrichs II Bemühen, aus dem Griechischen wie aus dem Arabischen übersetzt und Aristoteles Ansehn wuchs nun von Tage zu Tage.  Jourdain traduct. d' Aristote.  Tirab. IV, 140, 153.  Arabische Handschriften fand man in Antiochien und übersetzte sie.  Murat. ant. Ital. III, 939.  Otto von Freisingen soll die erste Kenntniß aristotelischer Philosophie nach Deutschland gebracht haben.  Urstis. ad Otton. Fris.: allein dies Verfahren erregte eben Widerspruch, und innerhalb der kirchlichen Kreise erhoben sich so viele Vertheidiger desselben, daß sich die Ansicht umwandelte und Aristoteles das höchste Ansehn nicht bloß als Philosoph, sondern auch als Stütze des Kirchenglaubens gewann. Leider nahm man aber fast ausschließliche Rücksicht auf die dialektische und metaphysische Seite, ohne ihm nachzustreben in Hinsicht auf Gelehrsamkeit, Naturbeobachtung, Schärfe und Klarheit der Darstellung. Desungeachtet, und trotz aller Einseitigkeit und Nachbeterei war im Abendlande doch mehr Eifer und eigene Thätigkeit, als bei den Byzantinern, wo Aristoteles nicht minder unbedingt herrschte. Der seit Roscelin am Ende des eilften Jahrhunderts angeregte Streit: ob die allgemeinen Begriffe Wesenheit hätten, wie die Realisten behaupteten, oder nur Worte und bloß im Verstande vorhanden wären, wie die Nominalisten annahmen, trat itzt bei dem entschiedenen Übergewichte der ersten in den Hintergrund. Doch behielt auch Platon (obgleich man ihn weniger kannte) seine Verehrer, welche die zweite Hauptrichtung aller Philosophie nicht ganz untergehen ließen.

4. Albert der Große geboren zu Lauingen in Schwaben ums Ende des zwölften Jahrhunderts, studirte in 491 Padua, stieg im Dominikanerorden bis zum Landschaftsmeister von Deutschland, wurde 1260 Bischof von Regensburg, legte aber, nach tüchtiger Verwaltung, diese Würde aus Liebe zu den Wissenschaften nieder und starb im Jahre 1280. Niemand wirkte mit größerem Eifer für den Aristoteles als er, niemand richtete seine Thätigkeit so nach jeder Seite und fast auf jede Wissenschaft. Allein bei allem Fleiße und Verstande fehlte es ihm doch oft an Vorkenntnissen und Unbefangenheit. Daher seine astrologischen Lehren und z. B. die MeinungTennemann VIII, 2, 489.  Tirab. IV, 45. Über seine Verdienste in Regensburg.  Gemeiner Chron. 383.: Stoiker und Epikuräer hätten schon vor Sokrates gelehrt und die letzten ihren Namen entweder davon erhalten daß sie auf der faulen Haut (supra cutem) lägen, oder sich um unnütze Dinge bekümmerten (epicurantes).

5. Thomas von Aquino geboren im Jahre 1224, besuchte die Schule von Montekassino, studirte in Neapel, Paris und Köln unter Albert dem GroßenActa Sanct. vom siebenten März S. 655.  Tirab. IV, 120.  Paola Pansa 1.  Gattula II, 480., wurde gegen den Willen seiner Verwandten schon im neunzehnten Jahre Predigermönch, 1257 Lehrer in Paris, 1260 Lehrer in Rom und starb im Jahre 1274. Er erlangte allmählich den höchsten Ruhm und bildete eine zahlreiche, lang sich erhaltende Schule. In seinen Werken verarbeitet auch er hauptsächlich fremde Ansichten, jedoch nicht ohne Geist, Scharfsinn und eigene Thätigkeit; und obgleich das Theoretische bei ihm ebenfalls so vorwaltet, daß sich die ganze Sittenlehre daran reiht, hat er doch keine ausschließende Vorliebe für spitzfindige Spekulationenv. Eberstein Theol. der Scholast. 230, 243.. Er nahm an, Sünde und Unwissenheit gehe Hand in Hand, zwischen Erkenntniß und Sittlichkeit finde ein Wechselverhältniß statt, und sowie der Verstand nach dem Wahren strebe, so der Wille nach dem Guten. Überhaupt könne das dem Menschen inwohnende Verlangen nach Wissenschaft unmöglich etwas leeres 492 und grundloses seyn, und die Metaphysik, welche sich mit der höhern Erkenntniß abgebe, müsse die sicherste Wissenschaft seyn. Dennoch stehen ihm die Geheimnisse der geoffenbarten Religion überall obenan, und die stete Beziehung alles Denkens, Fühlens und Handelns auf Gott, giebt den einzelnen Theilen seiner Lehre Zusammenhang und Haltung. – Nicht mindern Ruhm als Thomas, gewann der Franziskaner

6. Johann Duns, nach seinem Vaterlande Skotus genannt, welcher begünstigt durch außerordentlichen Scharfsinn und vielleicht auch durch Eitelkeit verleitet, die Spitzfindigkeit der Scholastik auf den höchsten Gipfel trieb und eine Sehnsucht nach kernhafterer Nahrung, sowie ein Hinneigen zum Skepticismus hervorbringen mußte. Duns stellte Untersuchungen an über das Bedürfniß und die Nothwendigkeit einer höhern Offenbarung, er forschte nach einem letzten Grundsatze der Wahrheit, und seine Lehre von der unbedingt freien Bestimmbarkeit des Menschen ohne Bestimmungsgründe, war zuletzt nicht viel weiter vom Determinismus entfernt, als die seines Gegners Thomas, welcher überhaupt die Sittenlehre mit mehr Fleiß und Ausführlichkeit behandelt hatte. Die innern Widersprüche zwischen Duns und Thomas wurden bald in den Streitigkeiten ihrer Anhänger über das billige Maaß hinausgetrieben; besonders weil die Franziskaner sich ihres Ordensbruders Duns, die Dominikaner hingegen des Thomas annahmen und aus wissenschaftlichen Fragen Gegenstände des Ordenshasses machten, oder diesen auf jene übertrugen. – Der Mißbrauch scholastischer Spekulation und seine eigene Natur drängten

7. Johann Bonaventura auf die entgegengesetzte, die mystisch-religiöse Seite. Er war 1221 zu Bagnarea im Florentinischen geboren, stieg im FranziskanerordenÜber seine Verdienste im Orden.  Geschichte der Hohenst. Band III, S. 620.  Tirab. IV, 125. bis zum General, ward Kardinalbischof und starb 1274. Ihm 493 ist das theoretische Wissen dem Zwecke sittlicher Bildung untergeordnet, und er betrachtet die Liebe Gottes als das höchste Ziel aller vernünftigen Wesen. Die Seligkeit (so heißt es in seinem Wegweiser zu Gott) ist nichts anderes als der Genuß des höchsten GutesOpera VII, 125.. Da aber das höchste Gut über jedem ist, so kann er nur selig werden, wenn er auf geistige Weise über sich selbst hinaussteigt. Niemand aber kann sich über sich selbst erheben, ohne eine höhere Kraft, ohne Beistand Gottes. Das Gebet ist die Vorbereitung zur Erhebung durch Gott, das Mittel um auf den rechten Weg zu kommen. Dann folgen drei Stufen der Erhebung: die erste ist die Betrachtung des Einzelnen, Äußerlichen, Körperlichen und der sich hier offenbarenden Spuren der Gottheit; die zweite ist die Betrachtung unseres, nach dem Bilde Gottes erschaffenen Geistes; die dritte ist die Betrachtung der göttlichen Natur selbst. Ähnliches giebt die Betrachtung des Körperlichen, Geistigen und Göttlichen in Christus; ähnlich ist die dreifache Ansicht der Theologie. Die sinnbildliche bezieht sich auf das Sinnliche; die eigenthümliche (propria) auf die Erkenntniß (recte intelligibilia); die mystische erhebt zu dem Übermenschlichen. So zeigt die erste Betrachtung der Dinge nur Maaß, Gewicht, Zahl; eine höhere bedenkt Anfang, Fortschritt und Ende; nach der dritten scheint einiges nur zu seyn, anderes zu seyn und zu leben, noch höheres zu seyn, zu leben und zu erkennen. – Alle Erinnerung und Gedächtniß ist nur ein zerstückter Abschein aus dem ewigen Seyn, alles Erkennen nur möglich durch das Beziehen auf die ewige Wahrheit, alle Freiheit und Wahl begründet in dem Urguten und nur möglich in Beziehung auf dasselbe. Erkenntniß ist die Tochter des Gedächtnisses, und aus beiden entspringt die Liebe. – Das Licht der Natur und erlernter Wissenschaft gab die erste Leitung: allein das eigene Innere mit Licht zu durchdringen, sich selbst zu durchschauen und zu verklären, das ist erst 494 möglich durch Glaube, Liebe und Hoffnung, durch Christus, der da ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Wer die Spuren der Gottheit in der Welt erkennt, steht in der Vorhalle; wer ihr Ebenbild in sich erkennt, steht im Tempel; wer durch höhere Erleuchtung Gott erkennt, steht im Allerheiligsten. Das Seyn in Gott erkennen ist der niedere Grad, die Güte in ihm erkennen, der höhere; deshalb heißt es bei Moses: ich bin der ich bin; Christus aber sagt: niemand ist gut, als der alleinige Gott.

8. Raimundus Lullus, geboren 1234 auf der Insel Majorka, ward nach einem wilden Leben plötzlich bekehrt und ein Schwärmer, besonders für die Bekehrung der Ungläubigen. Auffallend ist es, daß ein, freilich im ganzen unwissender, Schwärmer auf das äußerlichste und bloß mechanische Mittel verfiel, Kenntnisse zu erzeugen und zu mehren. Unter allen Werken Raimunds ist nämlich keines berühmter geworden, hat mehr Erklärer und Verehrer gefunden, als die nach ihm benannte große lullianische Kunst. Sie war ihrem Erfinder die Wurzel, der Grund, der Inbegriff alles Wissens; mit ihr sollten alle nur möglichen Gedanken, Ansichten, Ideenverbindungen vollkommen verzeichnet und auf dem Wege der Form an die Hand gegeben seyn. Die Grundlage der lullianischen Kunst ist das untenstehende Alphabet, wobei Raimund voraussetzt: daß die in der Tafel aufgestellten Fragen, Tugenden u. s. w. den Kreis des Einfachen erschöpfen und durch die mannigfachsten Verbindungen derselben jede Idee u. s. w. zur Sprache gebracht werden müsse. Außer den Verbindungen, welche die Tafel selbst durch das Anreihen nach verschiedenen Richtungen ergiebt, werden die meisten dadurch herbeigeführt, daß man die Buchstaben als Zeichen der Subjekte, Prädikate u. s. w. betrachtet. Dann verknüpft z. B. eine Tafel zwei und zwei Buchstaben BC, CD u. s. w., eine andere drei Buchstaben und so fort. Endlich wurden die Buchstaben auf dem Umfange eines unbeweglichen Kreises verzeichnet, innerhalb desselben bewegte sich ein zweiter auf gleiche Weise 496 bezeichneter, wodurch die Buchstaben in die verschiedenartigste Verbindung kamen. Diese Verbindung, nach dem ausgedrückt was die Buchstaben bezeichnen, gab Sätze wie die folgenden: die Güte ist groß, die Güte ist verschieden, die Güte ist übereinstimmend, oder: was ist große Güte, wo ist große Güte u. s. w. – Allerdings bringt dies Verfahren eine erstaunliche Menge Sätze zum Vorschein: allein diese ohne Urtheil übereinandergestapelte, mechanisch erzeugte Menge erscheint um so unbrauchbarer und verwirrender, da die Bestandtheile des Alphabets mit loser Willkür nebeneinander gestellt sind, keineswegs das wahrhaft Einfache oder die höchsten Grundsätze enthalten, oder mit sinnvoller Kunst in eine ihrer Natur angemessene Wechselwirkung gebracht werden.

A B C D E F G H I K
Prädi-
kate
Absolute Güte Größe Ewigkeit
(Dauer)
Macht Weisheit Wille Tugend Wahrheit Ruhm
T Relatio-
nen
Verschie-
denheit
Überein-
stimmung
Entgegen-
setzung
Ursprung Mitte Ende Größe
majoritas
Gleichheit Kleinheit
minoritas
Q Fragen Ob
utrum
Was Woher Warum Wieviel Wie
quale
Wann Wo Auf welche
Weise
Womit
S Subjekte Gott Engel Himmel Mensch Vorstel-
lung
Empfin-
dung
Prinzip
des Pflan-
zenreichs
Das Ele-
mentari-
sche
Das Vermit-
telnde (Instru-
mente, Auge)
V Tugend Gerechtig-
keit
Klugheit Tapferkeit Mäßigkeit Glaube Hoffnung Liebe Geduld Frömmigkeit
W Laster Geiz Gefräßig-
keit
Wollust Stolz Verzagt-
heit
Neid Zorn Lüge Unbeständigkeit

Raimund schrieb eine Rhetorik, welche nicht bloß Regeln für bestimmte Arten der Reden, sondern (weil über alles geredet werden könne und solle) zum größern Theil eine Art von tabellarischer Encyklopädie enthielt. Wie oberflächlich und unzureichend diese aber ist, zeigen folgende Beispiele. Die Tugend des Mannes, so heißt es daselbst, ist, in seinen Geschäften fleißig zu seyn und Vorsicht zu gebrauchen; die Tugend der Frau, die häuslichen Angelegenheiten zu besorgen; die des Knaben, bescheiden zu seyn und gute Anlagen zu zeigen; des Alten, im Rathe durch guten Rath zu gelten. – Die bürgerliche Philosophie begreift drei Theile, sowie drei richtige und drei verderbte Arten. Der erste Theil bezieht sich auf die Vernunft, daher entstehen Philosophen; der zweite auf den Zorn, daher Soldaten; der dritte auf die Begierde (cupiditas), daher Handwerker. Die drei richtigen Arten sind: Monarchie, Aristokratie, Republik; die drei ausgearteten: Tyrannei, Oligarchie, Demokratie. Aus den Philosophen durch die Vernunft werden Bürgermeister, Rathsherrn, Magistratspersonen, Priester und Richter. Die Wissenschaft der letzten theilt sich in sieben Theile: Herkommen, Gerichte, Sachen, Hypotheken, Testamente, Besitz, Verträge. – Am Schlusse seiner Rhetorik giebt Raimund eine 497 Rede, welche ihm nach Form und Inhalt für ein Muster gilt und zwar über den Satz: die Accidenzen machen aus einen großen Theil von dem, was etwas ist! Anziehender als Proben aus derselben dürfte es seyn, das Wesentliche seiner Schrift: die Principien der Philosophie, mitzutheilenIn unserer Darstellung haben wir nur den Umfang verkürzt, und die Form zu verbessern gesucht, nicht aber am wesentlichen Inhalte etwas geändert..

Auf grüner Wiese, unter einem dichtbelaubten Baume, der von tausend Stimmen der Vögel ertönte, fand ich die Philosophie mit ihren zwölf Begleiterinnen, durch welche sie besteht, ohne welche sie nicht ist. Sie klagte, daß falscher Wahn sie für eine Feindinn der Theologie ausgebe, und forderte ihre Begleiterinnen auf, nach der Reihe zu sprechen. Da hub die erste an: ich bin Forma, die Gestaltende, ursprünglich, ohne Bedingung und Schranke. Ich gebe den Dingen das Seyn und bilde mit der Materie die eine, allgemeine Substanz des Universums. In mir ruht, durch mich besteht jedes Einzelne. Die Güte, Größe, Dauer, Macht, Wahrheit u. s. w. sind einzelne Strahlen, in denen sich mein Wesen abspiegelt. Nichts ist vergänglich an mir; was so erscheint, ist Wechsel und neue Bildung im Einzelnen durch neue Erzeugung. Ich bin die Gottähnliche, denn Gott ist das Gestaltende, Wirkende, nicht das Leidende. – Ich bin das Leidende, sprach Materia, die zweite Begleiterinn. Unbedingt unterwerfe ich mich dem Urquelle alles Bildens, dem Gotte, dessen Werk ich schlechthin bin. Dadurch werde ich überall theilhaft der Größe, der Güte, der Vollkommenheit. Mein Wesen vereinigt sich mit dem Gestaltenden zu einer Substanz, die unvergänglich und ewig ist. – Die dritte hub an: ich heiße die Zeugende. Aus dem Ursprünglichen, Einen, erscheint durch mich alles einzelne Daseyn auf dreifache Weise. Zuerst bin ich der Kraft nach vorhanden in der Substanz; dann trete ich durch die Kraft hervor in die Wirklichkeit; dann erhalte, nähre und 498 vermehre ich das Wirkliche. Der Zeugenden stehe ich entgegen, sprach die vierte, die Zerstörende: denn durch mich ist der Übergang von allem Daseyn zum Nichtseyn, und dreifach bin auch ich vorhanden. Ruhend der Kraft nach schon im Samen, hervortretend bei Abnahme jeglicher Lebenskraft, siegreich beim Dahinsterben. Und wie die Zeugende neu belebt und hinwegführt zu einzelnem Daseyn, so führe ich zurück zu dem großen Einen. Wechselnd erscheint Leben und Tod, feindlich wider einander gestellt: wer aber unsere Herrinn recht erkennt, wird einsehen, wie wir beide ihre Begleiterinnen seyn können und müssen. – Ich bin die Elementarische, sagte die fünfte: vierfach ist meine Gestalt, aber tausendfach wechseln und verknüpfen sich diese Grundbildungen. Das Feuer dringt zum Wasser, es erwärmt, es verdampft, in Wolken trägt es die Luft, auf die Erde stürzt es hinab zu neuem Vereine. – Durch mich, die Pflanzenbelebende, wird den Pflanzen die Seele eingehaucht; beim stillen Hinscheiden der einen, trage ich sie freundlich zur andern. Wie möchte eine auch nur ganz vergehn, da aller Leben in mir ruht, und ich sie liebe und durch ihr Daseyn wiederum nur selbst bin. Eines allein vermag ich anzunehmen von den unendlich reichen, ältern Schwestern, eines zu bilden, zu leiten: aber ich weiß in stillem Frieden, daß in der Wurzel alles Seyns, aus der auch ich entspringe, daß in Gott gleich groß ist das unendliche Daseyn, das unendliche DenkenEst in tanto magnus per suum intelligere, quantum est magnus per suum existere.  Vergleiche Spinozas Lehre.. – Sensitiva bin ich, sprach die siebente, durch mich entsteht alles Empfinden, aber es spaltet sich aus einem Mittelpunkte in viele Strahlen, damit man sehe, höre, rieche, schmecke, fühle. Leiden und Thätigkeit sind immer in mir zu einer ruhigen Wirkung vereint. – Ich gehe aus von der Schwester Sensitiva, sprach die achte, und kann mich nie ganz von ihr trennen: Imaginativa ist mein Name. Auch in mir 499 wohnen ursprüngliche Kräfte, ja ich stehe höher als Sensitiva: denn ohne Bande und Einschränkung gestalte ich das von ihr Gegebene, verknüpfe getrenntes, löse vereintes und bin so der Schwester Forma, sie der Materia ähnlich. – Ich bin die Bewegende, die neunte der Begleiterinnen, überall verbreitet und wenn auch nicht immer erscheinend, doch der Kraft nach vorhanden. Jede einzelne Bewegung gehört zu mir, bezieht sich auf mein einiges Wesen, sie sey im Elemente, der Pflanze, im Empfinden, in der Fantasie. Ich erscheine bewegend und bewegt: das Schiff wird vom Winde durch die Fluthen getrieben, es scheint selbst ruhig, im Schiffe bewegt sich die Mannschaft, der Steuermann gedenkt wie er lenken möge, er fürchtet Gefahr, er hofft Rettung. Überall bin ich, unter vielfacher Gestalt. – Wenn ich mich, sprach die zehnte, zu den Schwestern geselle, welche im Menschen als körperliche Kräfte wirken, so geht erst ein höheres Ganzes hervor: denn ich bin die Geistige, Wissende, Verstehende, unmittelbar entsprossen aus göttlichem Wesen. Alles Geistige, Wissende, gehört zu einem einzigen Geistigen, Allwissenden: die Spaltungen entstehen scheinbar durch Vereinigung des einzelnen Geistigen mit einzelnen Körpern, damit so die tiefere Wurzel in mannigfachen Zweigen desto herrlicher erkannt werde. Meinem Wesen nach würde ich ohne Fehl erkennen: da ich aber nur ein Theil des Menschen, nicht seine unbedingte Herrscherinn bin, so werde ich von ihm gelenkt und getrieben. Wo ich nicht zum Erkennen hindurchzudringen, die Zweifel nicht ganz zu lösen vermag, da wähle ich den Glauben; doch ist dieser nur zufällig in mir, das Wissen hingegen meine eigenste Natur. Richte ich meine Kraft und Thätigkeit auf Gegenstände, die Sensitiva oder Imaginativa mir bieten, so entsteht nur niederes Wissen von mechanischem und künstlerischem Bemühen, von sittlichem und unsittlichem Thun: das wahre höchste Wissen ist aber die Erkenntniß Gottes, und obgleich ich ihn nicht ganz zu erkennen vermag, da er unendlich ist und alles in sich faßt, so kann und will ich 500 doch ihm immer mehr angehören, da ich von ihm bin und nur durch ihn. – Sowie meine Schwester zweifaches Wissen bildete, so ich, die Wollende, zweifaches Wollen: einmal geleitet durch Sinn und Einbildungskraft, zum Frommen oder auch zum Schaden des Körpers dem ich inwohne; dann gerichtet zum höchsten Zwecke, zur himmlischen Liebe. Bald beherrsche ich die Erkennende, daß sie den gewünschten Gegenstand mir darstelle; bald bin ich wiederum durch sie bestimmt. Wenn wir beide in Eintracht dem höchsten Gute nachstreben, ist es schon offenbart. Die Erkennende kann in Trägheit versinken, nicht aber gleich mir sich zum Bösen wenden, wozu ich als Dienerinn des Menschen oft gezwungen bin, weil dessen freie Wahl der göttlichen Gerechtigkeit erst den Weg zur Beseligung oder zur Strafe eröffnet. – Zu der Erkennenden und Wollenden geselle ich, die zwölfte der Begleiterinnen, mich als die Erinnernde. Voran geht die Erkennende neues erschaffend, begreifend; in der Mitte steht die Wollende bald nach dem Neuen, bald zurück nach mir gewendet: denn ich sammele die Schätze und halte sie bereit zu jeglichem Gebrauche. Wenn wir drei im innigsten Verhältnisse stehen, ist nicht nur der Augenblick der Gegenwart und der Fortschritt in die Zukunft aufs trefflichste begründet; sondern auch das Vergangene reihet sich als Gutes an, alles ein Einiges in steter Beziehung auf das unendliche Gute. – So sprachen die Begleiterinnen der Philosophie, und ich will das Gehörte verkünden, und wie zwischen ihr und der Theologie nie kann Friede und Eintracht seyn, wenn jene nur eine Magd heißen soll, wohl aber dann, wenn beide als Schwestern zu einander kommen: denn Gott ist das Ziel der einen, und der Gegenstand der andern.

9. Roger Bakon, geboren 1214 in Sommersetshire, später Mitglied des Franziskanerordens, war einer der ausgezeichnetsten Männer seiner Zeit, ja er erhob sich in sehr vieler Hinsicht über seine Zeit. Unbegnügt mit der so beschränkten Schulweisheit, war er zugleich bewandert in der 501 Theologie, Rechtsgelahrtheit und Arzneiwissenschaft, kundig mehrer Sprachen und wohl unterrichtet in der Geschichte. Vor allem aber legte er sich auf Mathematik und die damals vernachlässigte Beobachtung der Natur, und machte dabei so glückliche Entdeckungen und zog so scharfsinnige Folgerungen, daß manche ihn für einen Zauberer hielten, ja selbst sein Orden ihn verurtheilte und lange in gefänglicher Haft hielt. Grade das worin Bakon irrte, sein Glaube an Astrologie und den Stein der Weisen, ward in jener mitirrenden Zeit nicht gerügt; die Andeutungen und Erfindungen womit er der Entwickelung der Wissenschaften vorausgriff aber, unbeachtet gelassen oder mißverstanden. Am anstößigsten mochte es erscheinen, daß er dem ganzen Studiren eine andere, inhaltsreichere Bahn vorschreiben wollte: doch stand ihm bei aller Begeisterung für die Natur, die höchste Sittlichkeit so als Zweck alles Strebens vor Augen, daß er jede theoretische Wissenschaft, welche damit in keine Verbindung trete, für nutzlos erklärte.

d) Von der Mathematik.

Seit Gerbert, dem Papste Silvester II, welcher im Jahre 1003 starbMontucla I, 481-526., bis zur Mitte des eilften Jahrhunderts geschah fast gar nichts für die Mathematik. Zuerst zeichnete sich wiederum aus, Hermann contractus, Mönch in St. Gallen, welcher im Jahre 1050 mehre mathematische Werke schrieb und einzelne Nachfolger fand. Ihre Kenntniß war gewöhnlich arabischen Schriftstellern, oder arabischen Übersetzungen der Griechen entnommen. Ein englischer Mönch Adelard übersetzte im zwölften Jahrhundert zuerst den Euklid aus dem Arabischen, ein anderer, Platon von Tivoli, das Werk des Theodosius über den Kreis u. s. w. Im dreizehnten Jahrhunderte finden wir Schriften über die meisten Theile der Mathematik, doch hatte sich selbst in diese strengste aller Wissenschaften mancher Aberglaube, insbesondere astrologischer, eingemischt. Nicht bloß die Mönche (denn aus 502 ihrem Stande sind fast alle mathematischen Schriftsteller jener Zeit), sondern auch die größten Beförderer dieser Wissenschaft, wie Friedrich II, welcher die Übersetzung des ptolemäischen Almagest veranlaßte, und Alfons X, von welchem die merkwürdigen astronomischen Tafeln ihren Namen tragen, waren nicht frei von diesem Irrthume. Viele Verdienste hatte, wie gesagt, Roger Bakon um die Mathematik; und wenn auch nicht zu erweisen ist, daß er die Brillen und Fernröhre erfunden, so deutete er doch darauf hin, und sprach sich ganz deutlich über die Zusammensetzung und Wirkung des Schießpulvers aus. Wer desungeachtet findet, daß die theoretischen Fortschritte in der Mathematik nicht so groß und rasch waren, wie in manchen andern ZeitenDandolo 298 über die Errichtung der großen Säulen auf der Piazzetta in Venedig., wird indeß nicht leugnen, daß manche Theile, z. B. die Mechanik, bei den außerordentlichen Kirchen- und Thurm-Bauen in der Anwendung mit ungemeiner Geschicklichkeit geübt und vervollkommt wurden.

Die Richtung der Magnetnadel gegen Norden kannte man schon im zwölften Jahrhundert; aber erst später und nur allmählich erkannte man ihren großen Nutzen für die Schiffahrt und machte davon Gebrauch. Die Ansprüche der Amalfitaner, hier zuerst Bahn gebrochen zu haben, sind nicht ohne Grund in Zweifel gezogen worden. Abt Wilhelm von Hirschau erfand eine Uhr, durch welche die Bewegungen der Himmelskörper dargestellt wurdenNaturale horologium ad exemplar coelestis haemisphaerii excogitavit. Naturalia solstitia sive aequinoctia et statum mundi certis experimentis inveniri monstravit.  Berth. Const. zu 1091.. Zur Zeit Kaiser Friedrichs II brachte der Pisaner Leonhard Fibonacci die arabischen Ziffern und die erste Kenntniß der Algebra nach ItalienGassarus 1446.  Tirab. IV, 160, 179.  Bettinelli I, 111.. In einem Werke, Bild der Welt (imago mundi) genannt, geschrieben im dreizehnten Jahrhunderte von Omons, 503 findet sich die Lehre, daß die Erde rund sey, und die Berge der Rundung so wenig Eintrag thäten, als Haare auf einem Apfel. Auch die Lehre von den Gegenfüßlern ist bestimmt ausgesprochen, und hinzugefügt: jeder Körper strebt gegen den Mittelpunkt der Erde, und um so mehr, je schwerer er ist. Grübe man ein Loch durch die Erde, so würde der hineingeworfene Körper bis zur entgegengesetzten Seite fallen, dann sich in Schwingungen hin und her bewegen, und endlich in der Mitte festsetzenNotices V, 260, 264..

e) Von der Arzneikunde.

Die wissenschaftliche ArzneikundeSprengels Geschichte der Arzneikunde, Band II.  Orderic. Vital. 644. war fast ganz untergegangen, als im eilften Jahrhunderte Konstantin, ein geborner Afrikaner, durch große Reisen und fleißiges Lesen arabischer Schriftsteller ungewöhnliche Kenntnisse erwarbWir finden aber auch christliche Ärzte bei Sultanen.  Abulf. zu 1164, 1241.. Er ließ sich in Montekassino nieder, und bald nachher hob sich Salerno zur ersten ärztlichen Schule in Italien, sowie Montpellier in Frankreich. Trotz aller Kirchenverbote waren die Ärzte meist Geistliche, oder JudenUnter Wilhelm II war z. B. der Erzbischof von Salerno ein großer Arzt.  Testa 25.  Ein jüdischer Arzt.  Guil. Neubr. IV, 8.Johannes religione abbas, medicinae praesumtiosior quam petitior professor, kurirt König Waldemar I zu Tode.  Saxi Gramm. XVI, 581.; und Aberglauben, Sterndeuterei, WunderkurenÜber den Wundsegen, den man über die Wunden als heilend sprach, Ludwigs von Thüringen Thaten, Vers 1532., spielten eine eben so große Rolle, als die arabischen und die allmählich auch bekannt werdenden griechischen Ärzte. Im dreizehnten Jahrhundert entwickelten sich in Italien schon entgegengesetzte Systeme ärztlicher Behandlung, obwohl die Beobachtungen noch höchst dürftig waren. Die Ärzte selbst wurden im 504 ganzen sehr geehrt und gut bezahlt, aber auch dafür gesorgt daß sie gehörig studirten, ehe sie ihre Wissenschaft anwandten. Die merkwürdigen Gesetze Friedrichs IIGesch. der Hohenst. Band III, S. 531. für die Ärzte und Apotheker sind bereits an anderer Stelle mitgetheilt worden. Im zwölften Jahrhundert besoldeten mehre italienische Städte einen Arzt und machten ihm zur Pflicht, die Armen unentgeltlich, andere Personen nach einer Taxe zu heilen, oder den Kriegern ins Feld zu folgenSo in Bologna, Perugia u. Verona.  Ciatti 327.  Sarti I, 2, 146.  Ghirard. I, 117.  Carli III, 25.  Campagn. 186.  Tirab. IV, 200.  In Mailand war seit 1228 ein collegium medicorumBettinelli I, 116.. Schon Friedrich I hielt sich einen Leibarzt, der ihn überall begleiteteGrummedyk 396.. Wir finden Beispiele, daß zu hohe Forderungen der Ärzte durch die Obrigkeiten ermäßigt wurdenVerci Eccl. III, Urk. 175.. – Auch in jener Zeit waren gewisse Krankheiten besonders häufig oder gefährlich: so z. B. das heilige FeuerÜber das heilige Feuer siehe Alberic. 209, 257.  Über die Pest bei Damiette.  Math. Par. 210 zu 1219.  Über die Heilung des Quartanfiebers.  Bernhardi Clarav. apol. ad Wilh. abbat. c. 4.  Über den Stich der Tarantel.  Gaufr. Malat. II, 36. und der Aussatz, welches letzte Übel indeß nicht zuerst durch die Kreuzzüge nach dem Abendlande gekommen ist.

 
4) Von der Kunst.

a) Von der Dichtkunst.

Vor der Ausbildung der neueuropäischen Sprachen, schrieb und dichtete man nur in der lateinischen. Es findet sich jedoch seit der Völkerwanderung kein episches oder dramatisches Werk von künstlerischem Werthe; wohl aber zeigen unter sehr vielen elenden, angeblich lyrischen Gedichten, einzelne eine solche Vortrefflichkeit, sowohl nach der scherzhaften als nach der ernsthaften Seite, daß man sie dem 505 Höchsten was überhaupt in dieser Gattung geleistet worden ist, zugesellen kann. Wir erinnern beispielsweiseBerington 329.: an das mihi est propositum welches der oxforder Stiftsherr Walter Mapes im zwölften Jahrhundert dichtete, und das so lange jung und frisch bleiben wird, als es lebenslustige Menschen giebt; an das in zarter Wehmuth nicht übertroffene stabat mater des Franziskaners JacoponusRambach Anthologie christlicher Gesänge I, 321, 348.  Wiener Jahrb. 1819, I, 198.; an das furchtbar erhabene dies irae des Franziskaners Thomas von Celano. Eine wahrhaft neue, vollgewichtig der alten entgegenzustellende Dichtkunst entsteht aber erst mit der Entwickelung der neuern Sprache; und wiederum hat zu dieser Bildung und Entwickelung nichts mehr beigetragen, als eben die überall hervorbrechende Liebe zur Dichtkunst.

Am genausten dürfte sich unter den romanisirenden Sprachen der Übergang zu neuen Formen im Italienischen nachweisen lassen, weshalb scharfsinnige Männer behaupten: schon zur römischen Zeit habe die Masse des Volks kein reines und in allen Theilen Italiens gleichartiges Latein gesprochenAuf die hierüber erneuten Streitigkeiten können wir uns nicht einlassen.  Murat. della perf. Poesia I, 6.  In einer sardinischen Urkunde von 1195 heißt es: ego Berusone Darbaree et uxore mia donna, cun boluntade di deus et di omnes sanctos suos, fazo custa carta; - pro remissione de sus peccados meos, dolli sa domo di Sevenes cun serbos et ankillas.  Opera di primaz. di Pisa.  Ähnliches bei Gattula I, 343, 424, 427; III, 237.. Vor der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts wurde die lingua vulgare, die neue Volkssprache, in Urkunden und Geschichtswerken nicht gebraucht, und noch itzt gilt Malespini für den ältesten Zeitbuchschreiber in italienischer Sprache; wogegen keineswegs Villani, vielleicht aber ein anderer angeführt werden kann, dessen in sicilischer Mundart verfaßte ChronikChr. mscr., No. 911.  Sie geht bis zum Tode Konradins. – Murat. antiq. Ital. II, 1047.  Signorelli II, 314. noch ungedruckt in der 506 barberinischen Bibliothek zu Rom liegt. Einige noch vorhandene Proben provenzalischer Gedichte werden für älter gehalten, als die frühsten italienischenTirab. III, 331; IV, 353.  Dante de vulg. eloq. I, c. 2.  Crescimb. III, 24.  Giunti 219.  Münter Reise 543.; indeß kann das allerälteste von diesen verloren gegangen seyn und auf keinen Fall ist anzunehmen, daß die Italiener, ohne ursprüngliche Anregung, nur Schüler und Nachahmer der Provenzalen gewesen wären. Um das Ende des zwölften Jahrhunderts finden sich schon Spuren italienischer Gedichte, und der Sicilianer Ciullo di Alcamo mag das älteste verfertigt haben was noch vorhanden ist. Unleugbar aber entstand zur Zeit Friedrichs II ein verdoppelter, bis dahin nie gesehener Eifer. Er selbst, sein Kanzler Peter von Vinea, sein Sohn Manfred waren, wie wir anderwärts sahen, Dichter und Beschützer von DichternTirab. IV, 364.  Spinello zu 1258. Hornek 17. Das älteste italienische Sonett ist von Peter von Vinea und trefflicher als tausend spätere. Wir theilen es nach Leonis Allacci poeti 503 mit einigen Berichtigungen einer Handschrift in der Bibl. Riccardiana zu Florenz mit.
    Però ch'amore no si può vedere
    E no si tocca corporalemente
    Mossi ne son de si fole sapere
    Che credono ch'amore sia niente.
    Ma po' ch'amore si faze sentere
    Dentro dal cor signorezar la gente
    Molto mazore pregio de' avere
    Che se'l vedesse visibilemente.
    Per la vertute de la calamita
    Come lo ferro attrae, non si vede
    Ma si lo tira signorevolmente;
    E questa cosa a credere m'invita
    Ch'amore sia, e da me grande fede
    Che tutt'or sia creduto fra la gente.
. Der Kaiser krönte die, deren Werke sich auszeichneten, und Manfred ging in schönen Nächten oft von Musikern und Sängern begleitet ans Meeresufer, mit Gesang 507 und Tonspiel sich ergötzend. Die Tyrannei Karls von Anjou zerknickte im südlichen Italien diese zarten Blüthen; und auch im mittleren und nördlichen war der Noth und Verwirrung so viel, daß für heitere Lieder die natürliche Stimmung in der Regel fehlte, und eine erkünstelte nicht zu höhern Zielen hinleiten konnte. Doch erfreut sich Italien eines Glückes, das die Provenzalen, und wie viele andere damals sangreiche Stämme entbehren. Die Noth und die Verwirrung der Zeiten veredelte sich in Dantes Gemüth zu dem erhabensten Ernst, und statt des kleinen Kreises von Gedanken, welcher alle Lieder jener Zeit ausfüllt, umfaßt er Hölle, Fegefeuer und Himmel, die ganze Welt des Geschichtskundigen, des Dichters, des Gläubigen. Wir wollen nicht leugnen, daß die scholastische Ansicht der Zeiten in das Gedicht hineingreift, daß stellenweise das Herbe zu schneidend heraustritt, daß rascher Wechsel der Gestalten eine Entwickelung der Charaktere und Begebenheiten, welche im Homer und den Nibelungen so sehr anzieht, hier unmöglich macht, und manches uns fremder und erzwungener zu seyn scheint, als in den genannten Heldengedichten: andererseits aber soll ein Mann wie Dante nur mit eigenem Maaße gemessen werden, und sein Maaß ist das eines Riesen der seiner Zeit wahrlich nicht schmeichelt, aber dennoch ein vollgültiges Zeugniß ablegt für ihren Reichthum und ihre Größe.

Beweglicher, verbreiteter, bunter zeigt sich das dichterische Leben in der Provence, als in Italien. Jeden, von dem Höchsten bis zu den Geringsten, ergriff diese BegeisterungGinguené I, c. 5., alles ertönte vom Frühlinge, den Blumen, Vögeln, Quellen, vor allem von der Liebe und den Frauen; ja zuletzt wollte man selbst von Staat, Krieg und Kirche nur in Versen reden, in denen man große Kunst und Mannigfaltigkeit anzubringen lernte und verstand. Wie ein Zauber, wie eine fata morgana erschien und blendete dies plötzlich 508 und allgemein hervorbrechende dichterische Leben: aber es artete auch bald aus und verschwand so schnell als es entstanden war. Wenn wir schon nicht tadeln wollten, daß religiöse Gegenstände äußerst selten, und dann fast eher spottend als verehrend berührt wurden, daß die Moral nur als schlecht bekleidete Allegorie (mercy, pudeur etc.) hervortritt, oder einzelne aus angeblich dichterischer Begeisterung zu Narren wurdenPeter Vital bekleidete sich zu Ehren einer Frau, die Wölfinn hieß, in Wolfsfelle und ließ sich mit Schäferhunden jagen.  Sismondi litt. I, 173.  Par che costoro altra occupazione non avessero che amare e cantare, e cantando impazire.  Tirab. IV, 327.: so mußte es doch zerstörend wirken, daß es auch innerlich nur zu oft an Würde der Sitten und wahrer Liebe fehlte. Neben Gefühlen, die aus übergroßer Verfeinerung fast allen Inhalt verlieren, stehen plumpe Zoten, oder künstliche Liebeleien, wo selbst Frauen nicht verschmähten, gleichzeitig ihre Gunst dem einen mit dem Auge, dem zweiten mit der Hand, dem dritten durch den Fuß zu bezeugen; ja man gerieth in Unsittlichkeiten, wo der freche Reiz des Ungewöhnlichen das Gewissen betäubte und die Reinheit des Gemüths befleckteMillot I, 7; II, 129, 149, 390, 400, 409.. Ehebruch und Verrath ward nicht bloß entschuldigt, sondern als trefflich und in einem falschen Glanze dargestellt, mit Zurücksetzung wahrer Liebe und Treue und aller höhern Gebote des Christenthums. Selbst Geistliche gaben sich dazu her, von Eiden zu entbinden, welche man Frauen geleistet hatte, oder lasen Messe und zündeten Kerzen an, um an heiliger Stätte zu bitten, daß Liebesanträge Gehör finden möchten. Mit Recht stellte sich die Kirche all diesen Ausgelassenheiten entgegen, hielt aber dabei kein vernünftiges Maaß, sondern steigerte ihre Mittel bis zu wilden Verfolgungen, wobei neubekehrte Dichter sich oft am leidenschaftlichsten zeigten und dringend ermahnten, die Ketzer zu verbrennen. – So sank auf jene Weise die edle heitere Kunst, die gaya ciencia allmählich zu Bänkelsängerei und Taschenspielerei hinab, und statt auf 509 Reinigung und Veredlung hinzuwirken, verbreiteten die Kreuzzüge wider die Albigenser im südlichen Frankreich eine allgemeine Zerstörung. Karl von Anjou, der, als diese Stürme vorüber waren, zur Erneuung des Guten hätte wirken können, bedrückte seine Unterthanen mit Abgaben, kränkte die Rechte der Barone, schleppte alle Kriegsfähigen nach Italien und ließ nur Elend zurück, oder brachte es in andere Länder. Und doch machte dieser finstere Frevler, – so sehr war es zur bloß äußerlichen Mode geworden –, auch LiebesliederSismondi I, 221.! Selbst die bessern Gedichte blieben nicht lebendig im Volke, die damals so ausgebildete Sprache sank zurück, oder ward von andern überflügelt, und in der Provence stand kein Genius wie Dante auf, der all die kleinern Dichter vertreten, erhalten und einen größern Gesichtskreis eröffnet hätte.

Die zweite Hauptgattung der französischen Dichtkunst, im Gegensatze zu der provenzalischen, entwickelte sich dem Germanischen verwandter in Nordfrankreich, besonders in der Normandie. So ähnlich manche Verhältnisse auch waren, z. B. Lebensweise, Hoffeste, Ritterthum, Kenntnisse u. s. w., so verschieden sind doch die provenzalischen Troubadours von den nordfranzösischen Trouveres. Bei jenen nämlich ist fast alles lyrisch, bei diesen fast alles epischUnter allen Handschriften der pariser Bibliothek findet sich kein episches Gedicht der Provenzalen (Schlegels Europa I, 2, 69). Siehe jedoch le Grand in der Vorrede und Frisi III, 214 welcher letzte ein handschriftlich in Monza aufbewahrtes Gedicht von Florimund erwähnt, das provenzalisch und wahrscheinlich episch ist.; und wenn auch hier die Dichter selbst weniger vornehm und bekannt sind, so erscheint doch das dargestellte Ritterthum größer, eigenthümlicher, mannigfacher, umfassender. Schon zum Jahre 1130 wird ein verloren gegangenes Gedicht: die Einnahme von Jerusalem erwähnt, und in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts wurden entworfen der Roman du Brut über die ältesten fabelhaften Könige 510 Englands, das Gedicht von Iwain, das Buch von Raoul über die Ansiedlung der Normannen in Frankreich. Noch mehr Aufsehn machte das große Gedicht von Alexander dem Macedonier, welches unter der Regierung Philipp Augusts mag erschienen seyn.

Die älteste französische Urkunde ist wahrscheinlich von 1133, aber ein häufiger Gebrauch dieser Sprache zu jenem Zwecke tritt erst im dreizehnten Jahrhundert einSchönemann I, 277, Urk. von 1208 und 1215, siehe in Hist. de Lang. III, 88.  Dachery spic. III, 579.. Französische Predigten mag im zwölften JahrhundertHist. liter. IX, 148. unter andern schon Bernhard von Clairvaux gehalten haben, sowie um dieselbe Zeit manches in den Kirchen französisch nachgesungen wardBurney II, 249. – Wenn es heißt: Magister Lambert aus Lüttich 1177 vitas Sanctorum etc. de Latino vertit in Romanum, so ist wohl normannisches Französisch gemeint.  Alberic. 359., nachdem es lateinisch war vorgesungen worden. Villeharduin und Joinville können als Geschichtschreiber füglich dem Malespini und Villani gegenübergestellt werden; jener erste schrieb aber schon am Anfange des dreizehnten Jahrhunderts, mithin früher als irgend ein Italiener.

Die Deutschen, denen das Latein keineswegs so verständlich war als den südlicheren Völkern, mußten nothwendig eher und öfter zu Übersetzungen ihre Zuflucht nehmen, und dem amtlichen Gebrauche jener Sprache für Geistliche und Gelehrte, den ihrer Muttersprache für Laien und Ungelehrte gegenüberstellen. Dennoch besitzen wir keine deutsche Urkunde, die älter wäre, als das dreizehnte JahrhundertSollte man die deutsche Urkunde von 1217 in Hergott gen. Habsb. II, 273, für eine spätere Übersetzung halten, so dürfte sich doch gegen eine von 1221, die Herr Schultheiß von Müllinen in Bern besitzt, kein Einwand machen lassen. – Gatterer comment. Götting., Jahr 1779, S. 2.  Schönemann I, 290. Die älteste deutsche Urkunde im baierschen Archive ist von 1231 (Wiener Jahrb. 1818, IV Anzeigebl. 3); die erste triersche von 1248 (Honth. hist. Trevir. I, Urk. 493). – In Schöpfl. Als. dipl. I, ist Urk. 686 deutsch und von 1202, aber vielleicht übersetzt. Eine von 1225 in Stromers Gesch. des Reichsschultheißamtes in Nürnberg., und die erste Bekanntmachung eines Reichsschlusses in deutscher Sprache fällt auf das Jahr 1235. Lange 511 vorher und immerdar mußten aber Gesetze, Verträge, VergleicheSo heißt es in einem Vergleiche zwischen Zeitz und Naumburg: primum in scripto publicato, deinde vulgari sermone laicis ad intellectum expositis.  Arndt Archiv II, 279. den Laien verständlich gemacht werden, wenn man auch nicht die Übersetzung zu Papiere brachte. Dasselbe gilt hinsichtlich der Bibel und geistlicher Schriften; ja es gab ums Jahr 1202 schon so viel deutsche Werke dieser Art, daß der päpstliche Gesandte Guido von Präneste befahl, sie sollten beim Bischofe eingereicht und nicht ohne seine Erlaubniß zurückgegeben werdenOmnes libri Romane vel Teuthonice scripti de divinis scripturis in manus tradantur Episcopi; et ipse quos reddendos viderit, reddat.  Miraei op. dipl. I, 564, Urk. 83.. Dennoch waren im Jahre 1231 Übersetzungen der heiligen Schriften in den Händen angeblicher KetzerHarzheim III, 359.  Konrad IV ließ durch Rudolf von Hohenems das alte Testament in deutsche Verse übersetzen.  Schröckh XXVIII, 13..

Wann man sich der deutschen Sprache zuerst für geschichtliche Werke bediente, steht nicht genau fest. Sollte David, der Kapellan Heinrichs V dies schon im Anfange des zwölften Jahrhunderts gethan haben, wie sich aus einer Stelle der ursperger Chronik schließen läßtDavid beschrieb des Kaisers Zug stilo tam facili, qui paene nihil a communi loquela differat - consulens in hoc etiam lectoribus laicis, vel aliis minus doctis, quorum haec intellectus capere possit.  Ursp. chron. zu 1110.; so wurde doch sein Beispiel nicht befolgt, sondern erst später nehmen die geschichtlichen Reimchroniken überhand, und die Bildung deutscher Prosa blieb lange vernachlässigt. In den deutschen 512 Predigten zeigt indeß die Sprache schon während des dreizehnten Jahrhunderts große Kraft und VollendungNeander Beiträge II, 303.. Am glänzendsten endlich ist die Entwickelung der deutschen Dichtkunst. Weil aber hierüber in gelehrten Werken erschöpfend gehandelt, durch anziehende Übersichten für das Bedürfniß der Liebhaber gesorgt ist, und die Meisterwerke allen zugänglich gemacht werden, so begnügen wir uns hier mit wenigen allgemeinen Bemerkungen.

Früher, und zugleich großartiger und mannigfaltiger als bei andern Völkern, entwickelte sich bei den deutschen diese Zeit dichterischer Jugend. Was zuvörderst die lyrische Seite, die Minnelieder anbetrifft, so gehen hier der Zeit nach die Provenzalen nicht voranAls Graf Egbert (Hohenst. II, 90) 1158 vor Mailand umkam, besang man seinen Tod in Liedern. 1156 auf dem Mordgastmahl Suenos in Roschild cantor Germanicus fugam Suenonis exiliumque cantilena complexus, varias ei contumelias formatis in carmen conviciis objectabat.  Saxo Gramm. XIV, 430 und 436.  Und zu 1104 sagt das Chron Ursp.: Erbonem Noricum in venatu ab insonte bestia confossum, vulgares adhuc cantilenae resonant. – Auch ist ja schon zur Zeit Ludwigs des Frommen von deutschen Minneliedern die Rede.  Schlegel Vorles. über die Liter. I, 283., und die Stimmen mögen vielleicht getheilt seyn, wo sich die größere Mannigfaltigkeit finde: aber an Zartheit, Gedankenreichthum und besonders an Sittlichkeit, scheinen uns die Deutschen den Vorzug zu verdienen. Daß ferner in der Provence fast jeder ohne Ausnahme Verse machte, selbst die trockensten, kältesten Naturen, halten wir für keinen Vorzug, sondern für einen Mißbrauch und Beweis bloß äußerlichen Verfahrens; dadurch daß in Deutschland eben die mehr und vorzugsweise dichterischen Naturen dichteten, mußte langweiliges und unsittliches zurückgedrängt werden. Wir wollen zwar nicht leugnen, daß itzt, nach langer Vernachlässigung, auch mit dem Mangelhaften bisweilen Götzendienst getrieben werde: allein in noch größerem Irrthume sind die befangen, welche 513 leugnen, daß damals eine wahre Begeisterung, eine ächte Jugend vorhanden gewesen sey, welche überall nur leere Künstelei, Erheucheltes und Geschminktes zu sehen glauben. Wenn wir ferner zugeben, daß die Darlegung einer einfachen Empfindung, wie sie das Lied ausspricht, ja daß die ganze Lyrik, sofern sie sich nicht auf göttliche Dinge bezieht, weder der größte, noch der wichtigste Kreis der Dichtkunst sey; so muß man andererseits einräumen: daß diese zarte Blüthe, oder dieser kühne Aufschwung ärmern Jahrhunderten durchaus gefehlt hat, und selbst das reichste und gebildetste solchen Schmuckes nicht entbehren darf. Der deutsche Adel, von dem die Dichtungen hauptsächlich ausgingen, konnte wahrlich nicht so roh und ungeschlacht seyn, als manche mit Überschätzung der neuesten Bildung behaupten; und eben so irrig ist es, aus einseitiger Vorliebe für das Bürgerthum, zu verkennen, daß der bürgerliche Meistergesang, in den der adliche Minnegesang allmählich überging, hinter diesem zurücksteht. Andererseits waren diese Meistergenossenschaften nie eine eigentliche HandwerksinnungBouterwek Gesch. der deutschen Poesie I, 272.; ja es bleibt, trotz aller Mängel, eine in ihrer Art einzige, bei keinem andern Volke wiederkehrende Erscheinung, daß die Dichtkunst, oder was man dafür hielt, so lange ein höchst wirksamer Mittelpunkt so zahlreicher Vereinigungen seyn konnte.

Daß Friedrich II, Manfred, Enzius und Konradin in damaliger Weise ausgezeichnete Dichter waren, ist erwiesen, und wahrscheinlich sind auch von Kaiser Heinrich VI Gedichte auf uns gekommenWir würden glauben, das erste Gedicht in der manesseischen Sammlung sey von Heinrich, dem Sohne Friedrichs II, wenn der Verfasser nicht ausdrücklich Kaiser genannt würde.; daß aber ein Gedicht, das man gewöhnlich Friedrich I zuschreibt, vielmehr Friedrich II beizulegen sey, möchten wir aus Gründen der Sprache, des Charakters und Inhalts, noch immer behauptenMailly I, 588.  Quadrio II, 111.  Ginguené I, 265.  Sismondi hist. de la litt. I, 102.  Schlegel sur la littér. prov. 75.  Crescimbeni II, 16..

514 Bei so allgemeinem Eifer konnten Wettkämpfe der Dichter nicht ausbleiben, unter welchen der auf der Wartburg am berühmtesten geworden istRohte 1697.  Doch ist die jetzige Form vielleicht jünger..

Großartiger indeß und noch wichtiger als die lyrische, entwickelte sich unter den Deutschen die epische Dichtkunst. Denn ob wir gleich von vorn herein zugeben: unter der sehr großen Zahl von hieher gehörigen Werken seyen manche leer und langweilig; so verdient doch diese Überzahl, diese große Quantität, neben dem Inhalte und der Qualität, als eine merkwürdige Thatsache unsere Aufmerksamkeit. Noch mehr aber, daß selbst die Dichtungskreise, welche nicht, oder nur zum Theil auf deutschem Boden wurzeln, z. B. die von Artus, Tristan, Karl dem Großen, Titurel, durch Dichter wie Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg u. a., mit der größten Kraft und Eigenthümlichkeit behandelt, dadurch wiedergeboren und ganz eigentlich deutsch geworden sind. Endlich, wenn auch dies alles geleugnet, verkannt, vernichtet würde, so bliebe doch ein Nationalepos von solcher Vollkommenheit übrig, daß es (welchen Anstoß auch Philologen daran nehmen mögen) nur mit Homer und mit keinem geringern verglichen werden kann. So wie dieser (und sein Name wird fortleben) aus den alten Sagen und Erzählungen seine Werke auferbaute, so der große aber ungenannte Dichter das Lied der Nibelungen. Hundert Jahre vor Dante war dieses Riesenwerk schon vollendet, an Hoheit und Milde, an innerer Einheit und tragischer Kraft seitdem unerreicht und nur demjenigen ein Geheimniß, welcher aus das Erlernen der frühern Sprachweise seines Volkes nicht den zehnten Theil der Mühe wenden will, welche ihm das Erlernen fremder Zungen kostet. Wären auch alle lyrischen und epischen Gedichte jener Zeit verschwunden, wäre von der gesammten Geschichte nichts auf 515 uns gekommen; das Lied der Nibelungen allein wäre vollgültiges Zeugniß, daß eine Zeit, die so großes erzeugen konnte, überhaupt eine reiche und große gewesen sey: welches zu leugnen und sie als jämmerliche Ausartung der alten Welt darzustellen, nur denen einfallen kann, deren Anmaaßung mit ihrer Unwissenheit gleichen Schritt hält.

In England wurde das Angelsächsische schon während des achten Jahrhunderts zu öffentlichen Urkunden und gewiß auch zu Gesängen gebrauchtMonast. Angl. an vielen Orten.. Das letzte dürfte sich ebenfalls hinsichtlich des Galischen behaupten lassen, selbst wenn man den Ossian in der jetzigen Gestalt nicht für ächt hält. Die normannische Eroberung drängte aber das Englische und Angelsächsische dergestalt in den Hintergrund, daß die Kinder wohl eher normannisch-Französisch, als ihre Muttersprache erlerntenWarton hist. of english poetry.. Mehre Dichter des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts bedienten sich jener Sprache; doch finden sich auch Proben sächsischer und eigentlich englischer Gedichte aus dieser Zeit, z. B. Heiligenleben und biblische Geschichten in Versen, Spottgedichte auf Mönche, und seit dem dreizehnten Jahrhundert Liebesgedichte und Bearbeitungen geschichtlicher Sagen. Dem Umfange und dem Werthe nach steht indeß alles weit hinter dem Deutschen zurück. Daß Heinrich III sich einen Hofpoeten (versificator) hielt, konnte die Dichtkunst nicht eben fördernAnderson II, 93..

Am meisten ward in jenen Zeiten die dramatische Dichtkunst vernachlässigt, oder sie war vielmehr im höhern Sinne noch nicht vorhanden. Denn die Spieler, Sänger, Tänzer, Musiker haben wohl mancherlei miteinander gesprochen, gesungen und dargestellt, schwerlich aber eine zusammenhangende, ineinandergreifende Handlung. Eben so bleibt es zweifelhaft, inwieweit die Fest- und Heiligen-Spiele, die Darstellungen des Leidens, Sterbens und der 516 Auferstehung Christi bloß mimisch waren und inwiefern dabei gesprochen wurdeTirab. IV, 390.  Hist. littéraire IX, 171.. Das letzte ist uns wahrscheinlicher, obgleich daraus noch nicht folgt, daß alles ineinander griff und die Monologen, nach Maaßgabe der einzelnen Charaktere, in Gespräche und Handlungen übergingen. Die dramatischen Versuche der RoswithaSie lebte in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts. bleiben, ob sie gleich wenig Nachfolger fanden und vielleicht nie aufgeführt wurden, eine merkwürdige Erscheinung. Dasselbe gilt von dem lateinischen Osterspiele über die Ankunft des Widerchrists, welches der Herausgeber Pez ins zwölfte Jahrhundert setztThesaur. II, 3, 187. – Bei Darstellung der Verkündigung in Venedig war ein Priester als Engel, ein zweiter als Maria gekleidet und sie hielten die bekannten biblischen Anreden.  Mart. da Canale 88-90, von der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts. Zu 1298 war in Forumjulii: repraesentatio ludi Christi videlicet passionis - honorifice et laudabiliter per Clerum.  Murat. antiq. Ital. II, 849.. Zuerst werden alle christlichen Könige von dem deutschen Kaiser nach freiem Beschlusse abhängig, der von Frankreich aber dazu gezwungen. Hierauf besiegen Deutsche die Heiden, und stellen den König von Jerusalem her. In diesem Augenblick erscheint der Widerchrist und verführt alle Völker, nur die Deutschen widerstehn und überwinden ihn. Als indeß jener viel falsche Wunder thut, wird der König der Deutschen erst zweifelhaft, dann gläubig, bis der Himmel den Teufel zu Boden stürzt und die siegreiche Kirche alle wieder in ihren Schooß aufnimmt.

Über die Geschichtschreiber jener Jahrhunderte bemerken wir an dieser Stelle folgendes. Von historischer Kunst, welche einen großen abgeschlossenen Gegenstand auswählt, nach einem allgemeinen Gesichtspunkte zu einem harmonischen Ganzen verarbeitet und durch die Kraft des Geistes und der Ideen in ein neues Licht stellt, ist damals nicht die Rede, und nach Männern wie Thucydides und 517 Tacitus fragt man vergebens. Andererseits ist der Inhalt jener Zeiten, Gesinnung, Liebe, Haß, Thätigkeit u. a. auch so ganz von demjenigen verschieden, was sich zur Zeit des einbrechenden Verfalls von Griechenland und Rom entwickelt, daß man kaum eine Äußerung, ein Motto aus den genannten Geschichtschreibern benutzen, viel weniger ihre Behandlungsweise nachahmen und ihre Grundstimmung übertragen kann. Näher stehen manche Geschichtschreiber des Mittelalters dem einfachern Verfahren Herodots und Xenophons; und wenn wir sie auch diesen nicht gleich setzen wollen, so verdienen die bessern unter ihnen doch keineswegs die Geringschätzung, mit welcher Unkundige von ihnen zu sprechen pflegen. Zuvörderst nehmen wir auch die minder vorzüglichen Quellen, die Klosterchroniken, in Schutz: denn es war auf jeden Fall ein achtungswerther Gedanke und eine heilsame VorschriftMöser osnabr. Geschichte II, 49., daß jedes Kloster sein Zeitbuch, seine Geschichte, seinen Geschichtschreiber haben solle. Wir finden in diesen Chroniken eine sehr große Zahl wichtiger Thatsachen, welche sonst ganz würden vergessen und verloren seyn; und wenn uns darin manches weniger anspricht, langweilig oder im einzelnen gar lächerlich erscheint, so sollten wir billig seyn, jene Zeiten und Ansichten mit ihrem eigenen Maaßstabe messen und den nächsten Zweck, welcher dabei obwaltete, nicht ganz übersehen. Oder würde etwa, wenn itzt jede Schule, jedes Regiment, oder jede Freimaurerloge ihre Chronik schriebe, den künftigen Geschlechtern nicht auch Stoff zum Tadel und zum Spotte dargereicht werden?

Umfassender ward der Inhalt des Geschichtswerkes, wenn Fürsten (wie die normannischen in Italien, wie Kaiser Friedrich I u. a.) dazu ermunterten, oder Freistaaten Befehl gaben. So ließ z. B. Venedig seine Geschichte durch Marsilia Georgi, schreiben und der Senat von Genua prüfte die Werke seiner amtlich beauftragten Geschichtschreiber und ließ sie im Archive niederlegenBettinelli I, 109.  Caffari 247.  Lanfranci Pignoli zu 1264.. – Gingen die 518 Darstellungen, wie sehr häufig, bis auf die ältesten Zeiten zurück, so fehlte es freilich oft an aller Kritik, und selbst Papst Kalixtus II setzte im Jahre 1120 fest, das Leben Karls des Großen vom Bischofe Turpin sey ächtAuthenticum. Belg. Chron. magn. 163.  Alberic. 367.. Für die Wahrheit der Gegenwart hatte man aber damals nicht weniger Sinn als in andern Zeiten, obgleich man allerdings fragen muß (wenn man es sonst nicht merkte), zu welcher Partei, ob zu den Guelfen oder Ghibellinen, ein Schriftsteller gehört; sowie man später fragen mußte, ob er katholisch oder protestantisch war, oder itzt ultraliberal oder ultraroyalistisch sey.

Die Zahl der in Hinsicht des Inhalts lehrreichen, in Hinsicht der Darstellung ausgezeichneten Geschichtschreiber ist keineswegs klein: wir erinnern nurUm auf bequeme Weise einige nähere Bekanntschaft mit diesen und andern zu machen, empfehle ich mein Handbuch merkwürdiger Stellen aus den lateinischen Geschichtschreibern des Mittelalters. an die Deutschen, Lambert von Aschaffenburg, Otto von Freisingen und Helmold, den Dänen Saxo Grammatikus, an mehre Geschichtschreiber der Kreuzzüge, vor allem an Wilhelm von Tyrus, an den Engländer Matthäus Paris, die Franzosen Villeharduin und Joinville, die Neapolitaner Hugo Falkandus und Jamsilla, den Venetianer Dandolo, die Florentiner Malespini und Villani u. a.Wenn etwas recht merkwürdiges oder zierliches gesagt werden soll, gehen manche Chronisten aus der Prosa in Verse über..

Eine andere sehr wichtige Quelle der Geschichte sind die Urkunden, welche in diesen Jahrhunderten sich noch nicht zu der ermüdenden Langweiligkeit späterer Zeiten ausspinnen, und der Sprache nach meist über die der früheren Jahrhunderte erheben; endlich geben die Staatsschriften, besonders der Päpste, ungemein reiche Ausbeute. Die Briefe Innocenz des dritten können, sofern sie Rechtsfragen abhandeln, noch itzt für Muster der Entwickelung und Darstellung gelten; und auf welch eine kräftige gehaltreiche Weise 519 der diplomatische Briefwechsel Friedrichs II und seiner Gegner geführt ward, davon haben wir Proben gegeben, im Vergleich mit welchen manche spätere Staatsschrift gedehnt, oder leer, oder gar bloß erlogen ist. Einzelne Wendungen und Ausdrücke klingen allerdings hart: sie beziehen sich jedoch immer auf biblische Stellen, und weder zur Zeit der Reformation, noch der Revolution sprachen die Parteien höflicher oder gründlicher.

 
b) Von der Musik.

Der Gebrauch der Musik verschwand nie ganz, sie schien zum Gottesdienste immerdar unentbehrlich, und weltlich heitere Veranlassungen drängten nicht minder zu ihr hin. Karl der Große, nach allen Richtungen thätig, verschrieb Kunstverständige aus Rom für den Kirchengesang. Allein sie waren, – ein uraltes Übel –, unter einander eifersüchtig, sangen an jedem Orte anders, auch wohl vorsätzlich falsch; so daß der Kaiser Geistliche nach Rom schickte und sie gründlich unterrichten ließMon. S. Gall. I, 11; II, 10.. Aus Griechenland erhielt er Orgeln, deren eherne Röhren durch Blasebälge gefüllt wurden und abwechselnd sehr sanft und wiederum gewaltig wie der Donner ertönten. Allmählich wurde der Gebrauch der Orgeln immer allgemeiner1135 organa elegantissimae modulationis in Petershausen und Konstanz erbaut.  Petersh. chron. 377.Fridericus cellerarius novum organi instrumentum fecit, vetus enim incendio ecclesiae periit.  Chron. mont. ser. zu 12o7. – Orgeln in Beauvais (Innoc. epist. VII, 197), in Erfurt (Erf. chron. S. Petrin. zu 1226). 1291 das Fest des heiligen Kilian in Mainz peragatur solemnis cum organis.  Würdtw. subs. IX, 120., nur blieben sie beschränkt in Hinsicht der Zahl der Töne und der Art der Behandlung. Außerdem werden viele Instrumente genannt, deren Beschaffenheit näher zu ermitteln wir außer Stande sindBurney II, 264.  Sanutus 59, 73.  Nibel. V. 3236.  Dulaure II, 231.; doch mögen Harfen, Geigen und kriegerische Blasinstrumente am 520 häufigsten vorgekommen seyn. Der Kriegsgesänge geschieht öfter Erwähnung, sie waren aber mehr furchtbar denn künstlerisch und wohllautend; wenigstens spricht Suger zu 1110 von dem schrecklichen Geschrei der in Rom singenden DeutschenAlemannorum cantantium terribilis clamor.  Suger vita Ludov. VI, 290.. Obgleich die Priester vorzugsweise den Kirchengesang anstimmten und leiteten, war doch die Gemeine nicht von aller Theilnahme ausgeschlossenClericorum plenum venerationis concentum populus ingenti plausu tripudians sacro cantilenae genere aemulabat, gloriosis clericorum vocibus aliquid honorificae modulationis adjicere gestiendo, personantibus aliis deformem sibi taciturnitatem existimans.  Saxi Gramm. XIV, 556, etwa zu 1120 über die Bischofswahl in Lund.. Bei jeder Stiftskirche sollte ein Lehrer des Gesanges, ein Kantor seyn, dem man gewöhnlich auch das Spielen der Orgel übertrug1244 hatte der cantor beim Stifte in Bremen regimen in cantando, psallendo, item regnum et provisionem organorum.  Lünig Reichsarchiv, Th. XXI, S. 953, Urk. 64.  1130 magister puerorum canentium in Mailand.  Land. jun. 41. Nach Innoc. III epist. I, 46, der ordinarius im Kapitel temperabit officia divina in ecclesia et qua voce utendum sit servato moderamine providebit.. Schon im Jahre 1081 bewilligte König Kanut der Heilige bei Stiftung einer Kirche Gehalt für den KantorSaxo Gramm. zu 1081, p. 337.; und zur Zeit Honorius III finden wir in Rom eine Schule der SängerSchola cantorum.  Reg. Honor. III, Jahr III, Urk. 407., woraus die Sorgfalt der Päpste für diesen Zweig des Gottesdienstes hervorgeht. Zu den Festen der vornehmsten Heiligen berief Ludwig IX bisweilen die gut singenden GeistlichenGuil. Nang. 369., um ein stärkeres und vorzüglicheres Chor zu bilden.

Wie bei andern religiösen Gegenständen, warf man auch hier die Frage auf: inwiefern der Kirchengesang unabänderlich sey, oder nicht; und es fanden sich lebhafte Vertheidiger 521 nicht minder des Beharrens, wie des Neuerns. So wurde z. B. im Jahre 1111 in Mailand große Klage über einen gewissen Jordanus erhoben, daß er durch seine Neuerungen alles in Verwirrung gebracht habeLandulf. jun. 19.  Simeon dunelm. de gest. reg. Angliae, Bromton 978.; und im Jahre 1083 kam es in der englischen Abtei Glaston zu gewaltigen Schlägereien, weil der Abt nebst einigen Mönchen den gregorianischen Gesang abschaffen und den eines Tonkünstlers Wilhelm einführen wollte. Wie nothwendig aber manche Besserungen waren, geht z. B. daraus hervor, daß Peter der Ehrwürdige, Abt von Clugni, festsetzte: alle im Chore sollten gleichzeitig pausiren und (wie beim Schlusse einer Zeile oder eines Verses unserer Choräle) sich erholenMarrier bibl. Clun. 1355, 1462.. – Zeither hatte man wohl so lange pausirt, daß sich einige Vaterunser dazwischen beten ließen, oder einer hörte früher, der andere später auf.

Durch das Entstehen und die Aussicht der Kongregationen kam mehr Ordnung und Übereinstimmung in den KlostergesangDie Cistertienser warfen den Cluniacensern vor: tenulae et eviratae voces, quas vos graciles vocatis, et succo liqueritii et sumtuosis electuariis acuere soletis.  Marth. thes. V, 1586.  Emon. chron. 13., und der römische Stuhl wirkte nicht minder hinsichtlich der Stifter und Weltgeistlichen. Doch war das Anfertigen und Singen neuer geistlicher Tonstücke nicht verbotenOrderic. Vital. zu 1060, p. 485 über die neuen antiphonae et responsoria des Mönchs Witmund.  Alberic. 197 zu 1105., und wenn die Kirche sich auch langsamer zu Veränderungen entschloß, so gab sie doch der Musik, wie jeder Kunst, die würdigste und erhabenste Grundlage; wogegen durch den Ritter- und Minne-Gesang allmählich mehr Mannigfaltigkeit und Beweglichkeit in die Melodien kamBurney II, 242, 275, Hawkins, Forkel in den zweiten Bänden. Manfred Maletta, der Kämmerer König Manfreds, war unvergleichlich im Erfinden schöner Gedichte und im Spielen der Instrumente.  Salimb. 407. – Schon um 1215 sang man am Hofe Bertolds V von Zäringen gaudium mundi, ad vocem organi. Also ward diese nicht bloß in der Kirche gebraucht.  Schöpfl. hist. Zaring. Bad. V, 148., 522 und auch manche Instrumente zur Begleitung gebraucht wurden, die in der Kirche keine Anwendung fanden. Dennoch erscheinen die auf uns gekommenen Proben der geistlichen und weltlichen Musik jener Zeit so unvollkommen, daß man die gewaltige Wirkung, welche sie bisweilen gemacht haben sollGesch. der Hohenst. Band I, S. 358., eher jeder andern persönlichen Ursache, als dem Wesen der Kunst zuschreiben muß.

Die Hindernisse, welche ihrer Entwickelung entgegenstanden, waren hauptsächlich folgende:

Erstens, kannte man nur lange und kurze Noten, wie lange und kurze Sylben, und über diese einfache Messung der Laute, dies Verhältniß von eins zu zwei, sollte die Musik nicht hinausgehn. Daraus folgte, daß fast immer Note auf Note gesungen und alle größere Mannigfaltigkeit, Verknüpfung und Lösung unmöglich wurde.

Zweitens, bezog sich jene prosodische Messung nur auf die Theile der Melodie; es fehlte aber, gleichwie bei den Alten, neben der Rhythmik der Melodie, das überall hindurchgehende Grundmaaß des Taktes. Mithin ließ sich bei der höchsten Ausbildung auf diesem Wege immer nur das taktlose Recitativ, oder der schlechthin gleichförmig fortschreitende Choral auffinden und erreichen.

Drittens, fehlte die gehörige Einsicht in das Wesen und die Behandlung der Konsonanzen und Dissonanzen, und zur Harmonie und mehrstimmigen Musik hatte man so lange fast noch keinen Schritt gethan, als höchstens die Stimmen in Quinten oder Oktaven gleichen Schritts nebeneinander hergingenVon der Musik in Konstantinopel sagt Wilh. Tyr. 990: cantus admirandae suavitatis consonantiis, distinctos artificialibus.  Doch möchten wir aus diesen zierlichen Worten höchstens herleiten, daß die Stimmen bisweilen in Konsonanzen nebeneinander herliefen; von mehrstimmiger Musik und Behandlung der Dissonanzen ist gewiß nicht die Rede..

523 Viertens, war die musikalische Schreibkunst so unvollkommen, daß man kaum das damals überaus Einfache, keineswegs aber Verwickelteres ausdrücken konnte.

Der erste erhebliche Schritt zur Abstellung dieser Mängel geschah um die Zeit Heinrichs V durch Guido von Arezzo, indem er die musikalische Schrift verbesserte, die Schlüssel zur Anwendung brachte, die Zwischenräume zwischen den Linien benutzte u. dergl. Andere Veränderungen die man ihm lange zugeschrieben hat, z. B. die Solmisation, rühren nicht von ihm her.

Ohne Vergleich wichtiger für die Geschichte der Musik ist Franko aus Köln, ein Zeitgenosse Kaiser Friedrichs IDie Beweise in Forkel, Burney u. a.. Denn so unvollkommen auch das von ihm praktisch Geleistete klingen mag, so verdient doch die Erhöhung der Zahl der Noten auf vier, von verschiedener Länge, und die weitere Verbesserung der Notenschrift großes Lob. Vor allem aber muß Franko als Begründer des Mensuralgesanges, des Taktes genannt werden. Dies ist der archimedeische Punkt, von dem aus die musikalischen Kunstmittel sich buchstäblich ins unendliche vermehren lassen. Nun erst lösete sich die Musik von dem höchst beschränkenden Zwange des bloß prosodischen Maaßes, von dem mechanischen Schritte der eins und zwei, von der trockenen Einstimmigkeit oder dem langweiligen Mehrklange der Quinten und OktavenAuch Salimbeni erwähnt S. 286 zu 1248 den melodiatus sive fractus.. Melodie und Harmonie fanden seitdem ihre Entwickelung; Taktarten, Perioden, Nachahmungen, Fugen entspringen unaufhaltsam aus jenem Boden. So hat die Zeit der Hohenstaufen nicht bloß eine neue Baukunst, Dichtkunst und Malerei hervorgebracht, sondern in noch umfassenderem Sinne den Grund gelegt daß die Musik eine eigene, unabhängige, allen Nachrichten zufolge von der antiken ganz verschiedene Kunst geworden ist. 524

 
c) Von der Baukunst.

Wie im Alterthume, so entwickelte sich auch im Mittelalter unter den bildenden und zeichnenden Künsten zuerst die Baukunst; mit welcher jedoch die Bildhauerei sehr bald in Verbindung trat.

Die alte Baukunst befolgte so manche dergestalt natürliche und nothwendige Regeln, daß sie auf keine Weise verletzt und versäumt werden dürfen, wenn irgend ein Gebäude zu Stande kommen soll. Sie zeigte in ihren Werken eine solche Größe, Schönheit und Anmuth, daß man auch diese nicht unbemerkt lassen konnte. Es war aber schon im sechsten Jahrhundert, zur Zeit der Regierung Theodorichs in Italien, nichts weniger als auf eine unbedingte Wiederholung und Nachahmung des Antiken abgesehen; vielmehr zeigen die Gebäude jener und der spätern Zeiten einen eigenthümlichen, mehr oder weniger abweichenden Charakter. Wohl aber blieb in Italien der Einfluß der alten Baukunst größer, als in irgend einem andern Lande, so daß sich die neuen Grundsätze daselbst nicht zu einem eigenen, lückenlosen geschlossenen Ganzen entwickelten, vielmehr eine Mischung des Antiken und Mittlern, selbst in den gerühmtesten und bewundernswürdigsten Gebäuden dieser Jahrhunderte statt findet. Die Kirche des heiligen Antonius zu Padua hat z. B. eine, alten Ansichten sich nähernde Kreiskuppel, zur Seite aber kleine Thürmchen, Spitzbogen neben den Kreisbogen der Hauptthüren und eine antike Attika. Eine ähnliche Mischung zeigt der Dom und das Taufgebäude in Pisa. S. Petronio in Bologna weicht mehr vom Alterthümlichen ab, allein viereckige Felder auf der Vorderseite, Säulenfüße, Wandpfeiler und einige Kreisbogen beweisen die Verbindung beider Bauarten. Dasselbe gilt hinsichtlich des florentiner Doms, und selbst der so gothische Dom von Mailand neigt sich in den Fenstern der Vorderseite, den Thüren und Säulenstühlen zum AlterthumeDiese Beispiele begreifen auch spätere Jahrhunderte..

525 Besser also als irgendwo, läßt sich in Italien der Übergang aus der alten Baukunst in eine neue verfolgen und darlegen; allein weniger als in Deutschland, Nordfrankreich und England, ist dort die neue zu einer wahrhaft selbständigen Kunst emporgestiegen. Wie könnt ihr, so lautet die uns nicht unbekannte Einrede, diese Zeiten und Werke der Barbarei so thöricht lobpreisen, in dieser kläglichen, gesetzlosen Ausartung der antiken Kunst ein eigenthümliches, geschlossenes System suchen, und in unwissender Träumerei zu finden glauben! Was dabei noch irgend löblich ist, oder auf etwas besseres hinweiset, ist, wenn nicht von den Arabern, doch von den Byzantinern zu den rohen Abendländern gekommen! – Zur Antwort: die Barbarei, dessen ihr das zwölfte und dreizehnte Jahrhundert anklagt, ist die der großen, wenn auch nicht völlig ausgebildeten Kraft, des tiefen Gemüthes, des kühnen Strebens; wie viel schlechter ist dagegen die Barbarei der einbrechenden Schwäche, des abgestorbenen oder verzärtelten Gemüthes, des vornehmen Müßigganges und anmaaßlichen Absprechens. Dort ist der Geist stark, wenn ihm auch noch nicht alle Mittel zur Hand sind; hier hat sich manche äußere Fertigkeit fortgepflanzt, aber der Geist ist unter das Mechanische hinabgesunken. Dort bricht der Tag, hier die Nacht an und ihr sucht das Licht, wo die Finsterniß waltet. Den kölner Dom, den straßburger Münster eine Ausartung des Antiken zu nennen, steht aus gleicher Linie mit der Ansicht, welche die Nibelungen eine Ausartung des Homer, den Shakspeare eine Ausartung des Sophokles, oder gar das Christenthum eine Ausartung des Heidenthums nennt; ja wer das eine behauptet, darf folgerecht das übrige nicht leugnen.

Lange Zeit hieß die großartige Baukunst des Mittelalters eine maurische, bis neuere UntersuchungenLaborde voyage pittor. d'Espagne. erwiesen haben: daß diese allerdings in Spanien einwirkte, aber fast gar nicht in den übrigen Ländern, ja daß sie in 526 Hauptgrundsätzen von jener abweicht und hinter ihr zurückbleibt. Die Araber haben z. B. hauptsächlich drei Arten von Bogen: hufeisenförmige , senkrecht verlängerte und breit gezogene . Diese sehen alle drei häßlich ausSpitzbogen gab es schon in Indien; wenn dies entschiede, könnte man auch die deutsche Baukunst eine indische nennen. – 1130 waren schon Spitzbogen in der Abtei zum heiligen Kreuze bei Winchester.  Götting. Anzeig. 1816, No. 152.; Spitzbogen aber sind nichts weniger als maurisch. Eben so stehen die Säulenköpfe an Schönheit und Mannigfaltigkeit zurück, während die Zierrathen überladener, kleinlicher, willkürlicher, unregelmäßiger, mit einem Worte minder schön sind, als an den deutschen Kirchen und Prachtgebäuden.

Nachdem diese Lehre von der maurischen Baukunst ihr Ansehn verloren hat, ist eine neue Meinung von der byzantinischen Baukunst aufgekommen. Sofern darunter eine Einwirkung der alten Baukunst zu verstehen ist, haben wir bereits den, unseres Erachtens richtigen Gesichtspunkt festgestellt. Diese alten Denkmäler standen aber nicht in Konstantinopel, die Nachahmung und Mischung bezog sich nicht auf Konstantinopel, die Baumeister kamen nur selten aus dieser Stadt, und am allerwenigsten wahrhaft neuer Geist, neue Ideen und neue Kunst. Wenn der Unterrichtete an die widerwärtige Krankheitsgeschichte der Byzantiner denkt, ihre Ausartung in jeder Beziehung, ihren elenden Staat, ihren lasterhaften Hof, ihre kirchliche Abgestorbenheit; so kann er nicht begreifen, wie dort der Sitz der Wissenschaft und Kunst habe seyn können. Allein es fehlt dafür auch an Beweisen. – Unter allen aufgestapelten Schätzen der Kunst und Wissenschaft achtete man fast nichts als das typisch Unvollkommene, und, anderer Künste hier nicht zu erwähnenComment. Götting. 1791, p. 51. In Süditalien und Sicilien gab es noch viele Einwohner griechischen Stammes, die wir aber nicht Byzantiner nennen möchten.  Gattula II, 477., ist seit Justinians Bau der Sophienkirche von keinem großen Werke mehr die Rede. – Wollt ihr, hören wir 527 einwenden, diese Einwirkung leugnen, vergeßt ihr, um nur an eines zu erinnern, die Markuskirche in Venedig? Zur Antwort: noch mehr Kirchen im Abendlande als nach der Sophienkirche, sind nach der Auferstehungskirche gebaut, so daß man auch von einer jerusalemischen Baukunst sprechen müßte. Aber gerade Venedig, wo der Zusammenhang mit Konstantinopel am größten, die Einwirkung am stärksten war, zeigt ja die allereigenthümlichste Baukunst und beweiset, wie die eigene Kraft der rechte Born der neuen Entwickelung warCicognara I, 498. Zu 1250 beschreibt Martin da Kanale S. 44 den Markusplatz und die Piazzetta ganz so wie sie heut zu Tage sind, nur waren es freilich zum Theil andere Gebäude. – Daß einzelne Werkmeister und Gesellen aus Konstantinopel kamen, ziehen wir gar nicht in Zweifel, wohl aber, daß der neue belebende Geist daher stammt..

Nicht minder unpassend ist es, die Baukunst des Mittelalters eine gothische zu nennen, und am wenigsten angemessen die des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts so zu bezeichnen im Gegensatz einer vorgothischen, welche etwa vom zehnten bis zwölften statt gefunden haben soll. Es bleibt also nichts übrig, als die Baukunst des Mittelalters in ihrer höchsten Vollendung, die deutsche (oder wenn dies im Andenken an Nordfrankreich und England zu parteiisch erscheint), die germanische zu nennen. – Gleichwie die Tempel in der alten Baukunst den Gipfel der ganzen Richtung bezeichnen und darstellen, so die Kirchen in der germanischen; und es spricht sich in beiden der Gegensatz der heidnischen und christlichen Religion so bestimmt aus, daß man wohl ohne Ziererei von deutsch-christlicher Baukunst reden und behaupten kann: das Pantheon z. B. trage noch immer seinen heidnischen Charakter, und die Stephanskirche in Wien könne man nie in einen Tempel der Venus verwandeln.

Schon zur Zeit Kaiser Friedrichs I kam neuer Geist und neue Bewegung in die Baukunst, wie z. B. die Kapellen in Eger, die Unterkirche in Freisingen, der Palast in 528 Gelnhausen u. a. m. deutlich beweisen; doch zeigt sich bis dahin noch einige Mischung der Grundsätze und Behandlung, wenn auch in geringerem Grade als jenseit der AlpenSolche Mischung zeigt z. B. der Dom und die Michaeliskirche in Bamberg: dort auswendig runde, inwendig spitze Bogen; hier inwendig runde, auswendig spitze. Siehe Moller über die Kirche in Marburg.. Unter Friedrich II steht aber Theorie und Ausführung in einer solchen Vollendung da, (wir erinnern an die Kirchen in Freiburg und Straßburg, den vollständigen Entwurf des kölner Doms u. a. m.), daß in ächt künstlerischer Hinsicht kaum ein Fortschritt möglich blieb und nur die Masse der Gebäude sich mehrte. Doch finden wir allerdings einen Übergang aus strenger Behandlung in einen geschmückteren Styl, der dann zur Überladung und endlich nochmals in eine falsche Mischung des alten und neuen führte. Jener Fortschritt zur Vollendung ist ein großer, rascher, bewundernswürdiger, er war nur möglich durch Künstler im allerhöchsten Sinne des Wortes, und Erwin von Steinbach, der Baumeister des straßburger Münsters, mag statt aller genannt und verherrlicht werden, da die Zeit uns die Namen anderer, gleichwie den Namen des Dichters der Nibelungen, entzogen hat. Zu glauben, daß, ohne solche Meister und Genien, die Zimmer- und Maurer-Gesellen das alles so nach und nach zu Stande gebracht hätten, ist so verkehrt, als anzunehmen, daß das Nibelungenlied von einem Rudel von Bänkelsängern zusammengeleiert worden sey.

Dasselbe gilt von den herrlichen Kirchen EnglandsHier finden sich fast gar keine Spuren irgend eines byzantinischen Einflusses, wohl aber der oft erwähnte Übergang, bis im dreizehnten Jahrhunderte auch der Gipfel der Vollendung erreicht wird. Der geschmückte Styl ward bis Heinrich VII fast noch mehr ausgebildet, als in Deutschland.  Britton archit. of Great-Britain.  In dem Monastico Anglicano finden sich viele höchst merkwürdige und höchst mannigfaltige Abbildungen alter Gebäude, nur fehlen kritische und chronologische Nachrichten., 529 und auch für Frankreich führen gründliche Untersuchungen zu denselben ErgebnissenLaborde monum. Discours prélimin.  Für das östliche Frankreich ist mancherlei gesammelt in der Hist. de Bourgogne. Siehe z. B. daselbst (I, 511) das Portal der Kirche der heiligen Benigna in Dijon aus dem eilften Jahrhunderte, welches dem von S. Jakob in Regensburg sehr ähnlich ist..

Nach Italien kam deutsche Baukunst um die Zeit Friedrichs I; bis dahin waltet überall das System der Kreisbogen und Mischungen vorKreisbogen z. B. finden sich in S. Ambrosius in Mailand aus dem zehnten Jahrhunderte, am Dome zu Pisa und S. Martino in Lukka aus dem eilften Jahrhunderte, am Dome zu Ferrara von 1135 u. s. w.  Carli IV, 267.  S. Maria della Brera in Mailand von 1229 hat schon eine deutsche Vorderseite und runde und spitze Bogen an Thüren und Fenstern abwechselnd.  Giulini 428.. Im dreizehnten Jahrhunderte und bis auf die Zeit des mailänder Dombaues finden wir sehr oft Deutsche den Italienern zugesellt, oder ausschließlich die Unternehmungen leitend. So ward z. B. beim Kirchenbau in Assisi ums Jahr 1228 der Plan eines Deutschen Jakob allen übrigen Entwürfen vorgezogenCicognara I, 345, 368.  Die Zweifel in della Valle I, 185 sind unerheblich.. Um dieselbe Zeit bauten Deutsche eine Marienkirche in Bologna, ein Deutscher Wilhelm aus Inspruck leitete mit Bonanno den Thurmbau in Pisa u. s. w.Ghirard. I, 139.  Morrona I, 251; II, 35.  Tronci zu 1154.. Ob Buschetto, der erste Baumeister des 1063 in Pisa gegründeten Domes, ein Grieche gewesen sey, wie einige meinen, ist unerwiesen; der Name deutet keineswegs darauf hin, und das Gebäude hat nicht die mindeste Ähnlichkeit mit byzantinischen Kirchen. Viele Säulen nahm man von alten Gebäuden (dies geschah öfter) und brachte sie aus mehren Ländern, aus Afrika, Ägypten, Palästina, Sardinien zusammen; manche sind indeß auch einheimischen Ursprungs. Auswendig finden sich an der Vorderseite 70 Säulen, an den Mauern 124, an 530 der Kuppel 48, zusammen 242. In der Kirche sind aufgestellt unten 70, an den Altären 70, auf den obern Gängen und als Träger 106, zusammen 246. Die Kirche hat die Gestalt des lateinischen Kreuzes, fünf Schiffe in der Länge, drei auf der kürzern Seite; die Länge beträgt 293⅓ pariser Fuß, die Breite 98⅔. Jede Familie gab jährlich bis zur Vollendung des Baues einen GoldguldenOpera della Primaziale di Pisa.  Cicogn. I, 179, 188. (oder zwanzig Schillinge) und man zählte, vielleicht mit Hinzufügung des Weichbildes, 34,000 Familien. Es fehlte nicht an säumigen Zahlern, ja an Widerspenstigen und solchen, welche die Arbeiter beleidigten; sie wurden aber vom Erzbischofe, mit Beistimmung des Podesta gebannt. Andererseits gingen große Geschenke, selbst ansehnlicher Grundstücke für den Kirchenbau ein, und die Schenker erhielten zum Andenken einen goldenen Ring, einen Fuchspelz u. dergl. Außerdem gaben die öffentlichen Kassen bedeutende Summen her, und die mit dem mächtigen Pisa in Verkehr stehenden Herrscher, z. B. die Könige von Sicilien, die byzantinischen Kaiser, ließen es an reichen Gaben nicht fehlen. So hatte der Dom eigene Verwalter seiner Güter in Konstantinopel, und die abendländischen nahm Kaiser Friedrich I in besondern Schutz. Nach einem Vertrage mit den Baumeistern Wilhelm und Riccius vom Jahre 1165, erhielt jeder von ihnen acht Monate lang wöchentlich 22 Denar, vier Monate lang 29 Denar, und am Schlusse eines fleißig durchgearbeiteten Jahres jener noch 25, dieser 15 Schillinge. An hohen Festtagen wurden gewisse Geschenke an Gelde, Wein und Lebensmitteln vertheilt, wogegen im Fall einer Krankheit oder sonstigen Feierns, gewisse Abzüge eintraten.

In Padua wurden im Jahre 1265 für den Bau und die Ausschmückung der Kirche des heiligen Antonius 4000 Lire angewiesenGennari ann., welche jährlich bis zur Vollendung des Ganzen ausgezahlt wurden, und worüber ein Minorit und zwei Bürger Rechnung führten und ablegten.

531 Überhaupt erregt es Erstaunen und verdient Bewunderung, daß die italienischen und deutschen Städte, trotz so vieler Störungen, Kriege und Verwüstungen, in jener Zeit mindern Reichthums, durch Thätigkeit, Begeisterung und Beharrlichkeit so viele und so große Bauwerke zu Stande brachtenGesch. der Hohenst. Band V, S. 268 über die bolognesischen Bauwerke.. Wurden doch in Rom, welches damals weder am mächtigsten, noch am lebendigsten warVasi itinerar., zur Zeit der Hohenstaufen an zwanzig Kirchen erbaut oder hergestellt, während itzt in hundert Jahren ungemeinen Steigens, in Berlin nicht eine gegründet ward. Allerdings beruht dies zum Theil in den veränderten Ansichten über Religion, zum Theil aber auch in dem erschöpfenden Kriegssysteme unserer Zeit, in der damals aufs Öffentliche gerichteten Thätigkeit, welche den Genuß und die Bequemlichkeit des Einzelnen in den Hintergrund stellte, in der Liebe zu der sich selbständig entwickelnden Vaterstadt, in dem Wetteifer mit den Nachbaren u. a. Wie die Sachen itzt stehen, hat das Königreich Frankreich keine Kräfte und Mittel einen Münster zu bauen wie damals die Stadt Straßburg, und eben so wenig bringt Preußen einen kölner Dom, oder Österreich eine St. Stephanskirche in Wien zu Stande. – Auch wäre es irrig zu meinen: man habe damals gar nichts anderes als Kirchen gebaut. Krankenhäuser, Waisenhäuser, Burgen, Brücken, Klöster, Rathhäuser, Paläste entstanden in großer Zahl und von solcher Schönheit, Festigkeit und Eigenthümlichkeit, daß wir sie oft noch in den Ruinen bewundern müssen. Die Paläste der Päpste in Rom, des Doge in Venedig, Friedrichs I in Hagenau und GelnhausenCrusius schwäb. Chron. I, 625.  Hundeshagens Gelnhausen, der Palast in Achen.  Alberic. 561.  Bonon. hist. misc. zu 1190.  Gemeiner Urspr. von Regensb. 48., Friedrichs II in Fondi, Foggia und andern Orten, die Brücken in Regensburg und Venedig, die Rathhäuser der meisten deutschen und italienischen Städte, und wie vieles andere, ließe sich 532 als Beispiel anführen. Selbst die Wohnhäuser wurden nicht überall so ganz vernachlässigt, als man anzunehmen geneigt ist, da z. B. die meisten Häuser in Florenz und Bologna vorn mit Bogengängen versehenLami memor. II, 1085.  Gesta Trevir. Mart. 204.  Vom Markusplatze sagt Sanuto vite 506 zu 1160–1170: der Doge Vitale fece fare attorno la piazza case con colonne alle finestre, dove si andava attorno come a un teatro., und in Trier dreistöckige Häuser vorhanden waren.

Über all diese Dinge in nähere Untersuchungen einzugehen, ist hier um so weniger erlaubtAuch über die Gesellschaften der Steinmetzen, die so viel zur Vervollkommnung der Baukunst beitrugen, kann hier nicht umständlich gesprochen werden.  Stieglitz altdeutsche Baukunst 177., da wir nicht einmal über das Wichtigere, den Kirchenbau, etwas gründlicheres sagen durften und zum Schlusse nur noch eine Bemerkung hinsichtlich der Thürme vorlegen. Mit Recht hat man diese, den Alten fast ganz unbekannten Kunstwerke, mit der christlichen Religion in Verbindung gestellt, und in der himmelanstrebenden Richtung ein Sinnbild gefunden, welches das, auf die Erde angewiesene, Heidenthum nicht hatte und nicht haben konnte. Dann gehören aber die Thürme auch zu den Kirchen, und das deutsche Verfahren ist richtiger als das der Italiener, welche jene fast immer getrennt aufbauten und nie verstanden sie mit diesen in Verbindung zu bringen. So stehen z. B. die Thürme in Pisa und Florenz vereinzelt neben den Domen, und eben so der in Venedig neben der Markuskirche; an andern Orten fehlen sie ganz. Ferner haben die Italiener die Kunst des allmählichen Abnehmens und Zuspitzens nicht verstanden: vielmehr ist der Thurm von Pisa nur eine runde, hohle Röhre mit außen umherlaufenden Säulen und Gängen; der in Florenz geht vierseitig in die Höhe und schneidet mit einer ebenen Fläche oder Platte ab; der in Venedig ermangelt der schönern Verhältnisse beim Einziehen, und steht weit hinter dem zurück was in Deutschland geleistet ist. Und doch fand hier 533 keineswegs eine, alle Eigenthümlichkeit hemmende unbedingte Vorschrift statt; vielmehr haben wir Ursach die große Mannigfaltigkeit des Verfahrens zu prüfen und zu bewundern. Bisweilen steht ein Thurm an der kürzern Hauptseite, so z. B. in Freiburg, Bern, Ulm; oder es sind deren zwei, wie in Köln, Straßburg; oder der Plan ist angelegt auf vier Thürme auf den vier Ecken, wie in Bamberg; oder auf zwei Thürme an den Enden des schmalern Kreuzes, wie St. Stephan in Wien; oder auf zwei Thürme an der Vorderseite und eine Kuppel über dem Kreuze, wie in Regensburg; oder auf einen Thurm mitten über dem Durchschnitte der Kreuzlinien, wie in Mailand; oder die längere Seite der Kirche erscheint als Hauptseite und ein Thurm erhebt sich über den mittlern Eingang, wie in manchen englischen Kirchen u. s. w. Die Vorzüge und Nachtheile eines jeden Verfahrens mögen Sachverständige entwickeln; auf keinen Fall aber dürfte es angemessen seyn aus Vorliebe für eine Form alle übrigen zu verdammen. Wer endlich mit antikem Maaßstabe diese Wunderthürme zu Grunde zu richten sucht, ist nicht klüger als die straßburger Jakobiner, welche den ihrigen als anmaaßlichen überragenden Aristokraten niederreißen, und mit ihrer Länge und Weisheit en niveau setzen wolltenBisweilen deutete man, so Durante, alle Theile der Kirchen mystisch: z. B. die Kirchenwände bedeuteten die Juden und Heiden, die von allen Seiten zu Christus kämen, der Kalk die brennende Liebe u. dergl.  Schröckh XXVIII, 290..

 
d) Von der Bildhauerei.

Die menschliche Gestalt giebt der Bildhauerei für ihren Hauptzweck eine so bestimmte Regel an die Hand, daß Mißgriffe und Ausartungen weit weniger möglich zu seyn scheinen, als bei der Baukunst und Malerei; wenigstens ist das Häßliche leichter vom Schönen zu unterscheiden, und der Abstand zwischen dem Urbilde und dem Geleisteten muß 534 zu größern Fortschritten nachdrücklichst antreiben. Dazu kam, daß in Italien wenigstens manche Werke der alten Bildhauerei belehrend und begeisternd zur Seite standen. Desungeachtet zeigt die Geschichte, daß ganze Völker nie den Gedanken dieser Kunst erfaßten, und den Italienern war die Antike so todt, so wenig ein Vorbild, daß sie keineswegs den Deutschen in dieser Beziehung zuvoreilten, sondern das Allerroheste und Häßlichste noch im eilften, ja im zwölften Jahrhunderte bildeten und als öffentliches Denkmal aufstelltenZ. B. die halberhabenen Arbeiten von 1095 am Grabmahle des heiligen Albert, die Werke zum Andenken der Herstellung Mailands von 1171.  Giulini zu 1095 und 1171.. Die alten Kunstwerke wurden nur zu oft mit Gleichgültigkeit behandelt, ja zerstört; und von den angeblich gebildetern Byzantinern nicht minder, als von den AbendländernNicetas 359.. Allmählich aber fing man an sie zu benutzen, das heißt z. B. heidnische Darstellungen die auf Bacchus und Venus Bezug hatten, an christlichen Kirchen anzubringenCicognara I, 180., oder vornehme Personen (z. B. die Mutter der Markgräfinn Mathilde, Papst Innocenz IV) in alten Sarkophagen beizusetzen. Hieraus entstand Liebhaberei bei einzelnen für alte Kunstwerke: so legte der Kardinal Orsini schon zur Zeit Friedrichs I eine Sammlung derselben anCardella I, 129., und Friedrich II that in dieser Beziehung mehr als viele Fürsten späterer Zeit. Im Jahre 1162 befahl der römische Senat, die Säule Trajans auf jede Weise zum ewigen Andenken römischer Größe zu erhaltenVitale I, 57., und bedrohte Übertreter dieser Vorschrift mit Einziehung der Güter, ja mit dem Tode. Ein ähnliches Gesetz, daß kein altes Kunstwerk oder Gebäude zerstört werden solle, erging in RavennaFantuzzi IV, No. 348.; und im Jahre 1228 verwandte man in Verona 500 Pfund zur Herstellung der alten ArenaSie hatte schon 1117 sehr durch ein Erdbeben gelitten.  Vedriani II, 80.  Campagnola c. 162.  Verona illustr. I, 131..

535 Bis in das dreizehnte Jahrhundert läßt sich kein regelmäßiges Fortschreiten der Bildhauerei nachweisen; aber Nikola der PisanerCicognara I, 200, 343, Tafel 8, 17. ein Zeitgenosse Friedrichs  II und lange bei ihm in Neapel, hob plötzlich diese Kunst auf eine solche Höhe, daß alles was seit dem Verfalle der alten Welt gebildet war, hinter seinen Arbeiten weit zurücksteht, und niemand von seinen zahlreichen Schülern ihm gleich kommt. Aus keiner Künstlerfamilie entsprossen, erhob er sich frei durch eigene Kraft und aufmerksame Betrachtung des Schönen und der Kunstwerke, welche allmählich dem Schooße der Erde wiederum entstiegen.

Aber wie viele haben Augen und sehen nicht, wie viele Hände und bilden nicht. Sowie Dante ein Riese unter den kleinen Dichtern dasteht, so Nikola unter den Bildhauern. Seine Arbeiten am Grabmahle des heiligen Dominikus in Bologna, an den Kanzeln in Siena und Pisa u. a. O. werden zu jeder Zeit für treffliche Kunstwerke gelten und erweisen was ein hochbegabter Genius vermag. Trefflich ist Anordnung und Ausdruck an der Gruppe des gefallenen Jünglings in Bologna, bewundernswürdig das jüngste Gericht und der Sturz der Verdammten in Siena. Bei diesem Gegenstande wo später Dante zu einer falschen Nachahmung verleitete, wo man bis auf Michel Angelo so oft Mäßigung und Schönheit hintansetzte, hat er alles Übertriebene, Häßliche, Fratzenhafte, unbeschadet der Wirkung, weise vermieden. Wie leidet z. B. die spätere Darstellung am Dome zu Orvieto an diesen Mängeln, wenn man sie mit dem Werke Nikolas vergleicht; ja sein eigener Sohn Giovanni, so viel er auch vom Vater lernte, wie steht er ihm nach an Erfindung, Ausdruck und Künstlersinn überhaupt. Auch als Baumeister verdient Nikola unter allen Italienern jener Zeit die erste Stelle: von ihm, oder nach seinen Zeichnungen sind z. B. der schöne Thurm bei St. Nikola in Pisa, die Kirchen St. Antonio in Padua, dei Frati und 536 S. Giovanni und Paolo in Venedig, und andere gebautCicogn. I, 429.  Moschini II, 169.  Morrona 62.  Zwischen Nikola und der Stadt Siena ward über Bildhauerarbeiten ein umständlicher Vertrag geschlossen. Täglich erhielt er acht Solidi, es war bestimmt, auf wie lange er nach Pisa reisen dürfe, und daß er vor Vollendung der Arbeiten auswärts keine andern übernehmen dürfe.  Della Valle I, 180; II, 121.  Über Nikolas Schüler siehe Cicogn. I, 373, 390, 438.; sowie das Kastell in Kapua, welches zugleich eine Burg und ein Palast war. Endlich halten wir es für wahrscheinlich, daß die, alle andern Münzen dieser Zeit weit übertreffenden, Augustalen Friedrichs II unter seiner Leitung geprägt sind.

Abgesehen von Nikola dem Pisaner, war die deutsche Bildhauerei, gleich der deutschen Baukunst, den Italienern zuvorgeeilt; wer aber persönlich jenem gegenüberzustellen sey, würde man kaum wissen, wenn nicht bezeugt würde, daß die Kanzel zu St. Giovanni in PistojaVasari II, 217.  Cicogn. I, 368.  Hagen Briefe IV, 363.  Büsching wöch. Nachrichten.  An der Kirche von Orvieto arbeiteten um 1250 viele Deutsche. Vasari II, 209. um dieselbe Zeit von einem Deutschen gefertigt sey, die an Vollendung den Arbeiten Nikolas vollkommen gleich stehtDie Bildsäulen in Welsheim hat Prescher (Beschreibung von Limpurg I, 423) wohl etwas zu sehr gerühmt, und ohne genügenden Beweis für Kaiser und Kaiserinnen aus der hohenstaufischen Familie ausgegeben..

Die Kunst Metalle zu schmelzen und zu gießen, sowie Arbeiten der Goldschmiede von der mannigfachsten ArtWir wollen einige Beispiele anführen: Erzbischof Willigis von Mainz ließ zur Zeit Ottos III ein goldenes Kreuzbild machen.  Dodechin zu 1160.  Um 1080 wird in den Niederlanden erwähnt diverticulum iconiis insculptum et imagines ligneae auro et argento desuper fabrefactae.  Iperii chron. 588.  Fecit iconam rotundam (sic) ex argento et auro miro opere laboratam, in Subiako um 1090.  Sublac. chron. 938.  Um 1117 ließ Gertrud von Braunschweig ein Kreuz fertigen und mit Steinen, Arabesken und Figuren schmücken. Eben so war ein Kästchen zu Reliquien mit Bildwerken umgeben.  Orig. guelf. II, 335.  Um 1125 in Speier: die Bildnisse Heinrichs III, IV, V, in porticu templi super januam in suis majestatibus opere aereo, desuper deaurato exaratae et expolitae sunt.  Mutterstadt 175.  Chron. Praes. Spir. 2265.  Auf der Altartafel in Petershausen wurden 1126 die Bildnisse Mariens und der Apostel sehr schön in Gold und Silber gearbeitet.  Petershus. chron. 371.  Bischof Otto von Bamberg († 1139) fand bei Bekehrung der Pommern in Stettin sculpturae et de parietibus prominentes imagines hominum et volucrum et bestiarum, tam proprie suis habitudinibus expressas, ut spirare putarentur et vivere.  Ottonis vita 70. – Um 1130 in Hildesheim vas crismatum argenteum et dorsale valde bonum. Desgleichen Topase und Hyacinthe in Ringe gefaßt und mit Perlen besetzt.  Hildesh. chron. 747. – Um 1140 in S. Denys: Valvas principales accitis fusoribus (aus Lothringen) et electis sculptoribus, in quibus passio Salvatoris et resurrectio, vel ascensio continetur - ereximus.  Suger de admin. sua, c. 27, 32.1154 schenkte Friedrich I einer Stiftung in Ravenna die Bildsäule der heiligen Jungfrau von Silber mit zwei fackeltragenden Engeln zur Seite.  Fantuzzi II, 124.  Heinrich der Löwe ließ einen Löwen von Erz gießen und in Braunschweig aufstellen.  Corner zu 1168.  Zu derselben Zeit war in der Abtei S. Albans: vas mirificum per modum scrinii compositum, cujus aream schema quadrat venustissimum. Culmen vero per modum feretri surgendo coarctatur, et undique circulis elevatis orbiculatur. In quibus historia dominicae passionis imaginibus fusilibus figuratur etc.  Math. Par. vitae Abb. S. Alb. 61.  Die Cista bipedalis mensurae der Geliebten Heinrichs II von England war: admirabilis architecturae, in qua conflictus pugilum, gestus animalium, volatus avium, saltus piscium absque hominis impulsu quasi movere conspiciuntur.  Bromton p. 1151.  1197 in Venedig cupa sculpta cum apostolis.  Argelat. III, app. 5.  Um dieselbe Zeit ließ Heinrich der Löwe in einem Kloster aufstellen: imaginem Christi cum aliis imaginibus, miro et decenti opere, crucem auream opere fabrili etc.  Stederb. chron. 867.  Gerhard 435.  Innocenz III ließ im Lateran drei lastre d'argento figurate zum Schmuck der Tafel anfertigen, welche das angeblich ächte Bild des Heilandes enthielt.  Marangoni istor. dell'orat. S. Lorenzo. Er schenkte einer Kirche crucem auratam, nobiliter operatam, cum lapidibus pretiosis.  Inn. Gesta, Breq. 145.  Die Krone Friedrichs II hatte multas imigines fabrefactas et elevatas, ut caelatam putares.  Salimb. 294.  Sein Thronsessel (facistorium) war mit Goldarbeiten und Perlen geschmückt.  Malasp. II, 14. – 1220 vultus seu statua pectoralis S. Martini ex argento deaurato fabrefacta, im Kloster Weingarten.  Hefs prodr. 69, 73.  Ludwig IX ließ zum Andenken seiner Rettung aus Sturmsgefahr ein Schiff von Silber machen, worin er, seine Kinder, die Masten, Steuer, Stricke, kurz alles in Silber nachgebildet und dargestellt war.  Joinville 114 zu 1254. – Das erzene Pferd, das Klemens III 1190 vor dem Lateran aufstellen ließ, war vielleicht antik.  Bonon. hist. misc.  Belg. chron. magn. 222.  Dasselbe gilt wohl von den Gefäßen und Christbildern, welche nach Conradi chron. Mogunt. 762, 767, um die Mitte des zwölften Jahrhunderts in der mainzer Kirche vorhanden waren. Zu dem goldenen Christbilde waren über 1200 Mark verwandt, es hatte mehr als menschliche Größe, statt der Augen zwei Karfunkeln, und konnte an allen Hauptgelenken auseinandergenommen und zerlegt werden. – Geschnittene Steine wurden bisweilen aus Konstantinopel mitgebracht (Günther hist. Const. XVI): z. B. ein sehr großer Jaspis, worin das Leiden Christi, Maria und Johannes dargestellt war., 537 finden wir in mehren Ländern und verhältnißmäßig mit großer Geschicklichkeit ausgeführt. Wenn man die gegen das 538 Ende des zwölften Jahrhunderts von Bonanno in Italien und Sicilien gegossenen Kirchthüren und die daran befindlichen Gestalten mit denen vergleichtLello zu 1196.  Cicogn. I, 308, 329., welche um dieselbe Zeit aus Konstantinopel für die Kirche St. Paolo nach Rom kamen, so stehen die letzten weit hinter jenen zurück, und in dem Buche des wahrscheinlich lombardischen Mönches Theophilus finden wir sehr lehrreiche Dinge über das Schmelzen der MetalleCicogn. I, 331., die dazu nöthigen Werkzeuge, die Art und Weise, Teller, Kelche, Rauchfässer u. a. m. zu fertigen.

Auch der Arbeiten in Elfenbein und allerhand künstlicher Glassachen, z. B. Fische von Glas, geschieht ErwähnungChron. Cavense 951.  Murat. antiq. Ital. VI, 285.  Candelabra ex crystallo et auro.  Sublac. chron. 938.. Landkarten und Erdkugeln waren nicht 539 unbekannt: König Roger von Sicilien ließ eine 800 Mark schwere Erdkugel von Silber verfertigen; der mainzer Domherr Heinrich zeichnete für Kaiser Heinrich V eine WeltkarteSprengel Gesch. der geogr. Entdeckungen 149, 222., und der Verfasser der Annalen von Kolmar entwarf eine andere auf zwölf Pergamenthäuten. Als die Flotte bei der Überfahrt Ludwigs IX nach Tunis in Gefahr gerieth, ließ er die Karte bringen, woraus sich ergab daß man in der Nähe des Ufers seyGuil. Neubr. 385..

 
e) Von der Malerei.

Nach der gewöhnlichen, jedoch erst durch Vasari aufgekommenen AnsichtNon é piu antica di Vasari.  Memor. istor. d'illustri Pisani I, 250.  Tiraboschi IV, 458, äußert in dem Abschnitt über die Malerei im dreizehnten Jahrhunderte im wesentlichen dasselbe., war die Malerei Jahrhunderte lang im christlichen Abendlande ganz verschwunden und außer Gebrauch; bis Cimabue, durch Griechen belehrt, ihr plötzlich einen ganz neuen Schwung gab und sie zu einer vorher ungekannten Höhe emporbrachte. Diese Ansicht ist falsch, denn:

erstens, finden wir, daß in jedem Jahrhunderte gemalt wurde, und insbesondere mehren sich im zwölften und dreizehnten Jahrhundert die Beispiele (welche älter sind als Cimabue) zusehr, als daß sie hier vollständig aufgeführt werden könntenWir geben Proben für Italien und Deutschland: König Heinrich I aus dem sächsischen Stamme, ließ seinen Sieg über die Ungern (934) im Speisezimmer malen.  Luitpr. III, 9.  Malereien in Hildesheim um 1027.  Menzel Gesch. II, 701. – 1090 die Kirche in Subiako auro coloribusque pulchre depicta.  Sublac. chron. 937, 938. – 1091 der Abt von Tegernsee pavimentum ecclesiae vario lapidum artificio decoravit; laquearibus picturis etc.  Monach. Tegur. 71.  1105 Grimoaldus (abbas Casauriensis in Abruzzo) palatium variis picturis et quibusdam historiis de veteri testamento decoravit. Crucem magnam quam Gilebertus abraserat argento, imagine ac passione salvatoris depingere simul et decorare fecit.  Casaur. chron. 877.  1120 linteamina depicta pro ornatu parietum templi im Michaeliskloster zu Hildesheim.  Chron. mon. S. Mich. 519.  1121 der Gegenpapst Burdinus in Rom abgemalt, wie er dem Papste Kalixtus zu Füßen 1iegt.  Suger. vita Ludov. VI, 310.  1124 wird die Kirche in Minden mit Gemälden verziert.  Lerbecke Mind. episc. 175.  Im Jahre 1278 wollte man die 1125 erbaute Matthäuskirche in Genua abreißen und in der Nähe eine neue erbauen. Quumque dolerent destrui sanctorum figuras veteres pictas arcu super magnum altare, illam muri arcus compaginem cum figuris habito ingenio illaesam per brachia XXV duxerunt, et ubi nunc est soliditate firmarunt.  Stella 974.  Um 1140 alte Gemälde und Mosaiken in Treviso.  Memor. Trevig.  Um dieselbe Zeit ließ Suger die Kirche von S. Denys mit Gold und andern kostbaren Farben ausmalen und dazu Künstler aus verschiedenen Gegenden kommen. Suger de administr. sua, c. 24. – 1146 wohnt der pictor des Klosters Weihenstephan in Freisingen.  Mon. boica IX, 503.  1148 unterschreibt Bentivegna pictor, eine römische Urkunde.  Vitale I, 43.  Gemälde in Handschriften dieser Zeit zu Montekassino.  Gattula II, 469. 1167 die Hauptkirche in Salzburg pictura, caelatura - elegantissima.  Mon. boica XIV, 378.  Ähnliche Nachrichten über die Kirchen in Padua, Montekassino.  Roland. Patav. IX, 2.  Cassin. mon. 76.  Desgleichen 1170 in Kanterbury.  Gervas. de combust. Cantuar. eccles. 1294.  Um 1188 ließ Klemens III den Lateran mit Gemälden zieren.  Ricob. hist. Pont. 178.  1213 Guilfredus pictor in Tortona.  Chart. Derton. 152.  1222 eine Maria im Rathhause in Bologna gemalt.  Ghirard. I, 141.  1224 das Chor in Diessen mit Gemälden geschmückt.  diess. mon. 648.  1230 viele Gemälde im Kloster S. Albans in England.  Math. Par. vitae abbat. 71. – Mehr Beweise finden sich in Lanzis und Fiorillos Geschichte der Malerei..

540 Zweitens, einige Vorgänger Cimabues, z. B. Giunta der Pisaner und Guido von Siena, stehen keineswegs an Vollkommenheit hinter ihm zurück. Entweder muß man diese, wegen theilweisen Verlassens der alten überkommenen Weise, an die Spitze der neuern Kunstgeschichte stellen, oder Cimabue als Schluß der frühern Zeit betrachten, und Giotto für seine ohne Vergleich größeren Fortschritte hervorheben 541 und als den wichtigern Anfangspunkt eines neuen Kunstlebens betrachten.

Drittens, mögen gewisse unwandelbare typische Bildungen, z. B. Christi, der Maria, des Johannes, ursprünglich durch griechische Künstler schon in frühen Jahrhunderten aufgestellt seyn; bald aber wurden sie ein christliches Gemeingut, zu dem die spätern Byzantiner gar nichts hinzuthaten. Überhaupt malten sie so schlecht, daß, wären auch alle abendländischen Künstler bei ihnen in die Schule gegangen, sie allein dadurch keine neue und taugliche Kunstbahn gewonnen hätten. Wenn man also Cimabue und die Byzantiner in Verbindung setzt, so kann dies fast nur heißen: er verließ noch nicht die herkömmliche Weise; daß er aber griechische Lehrer gehabt, ist nicht erwiesen, und viel wahrscheinlicher daß seine nächsten Nachbarn, die pisanischen und sienensischen Künstler, welche besser malten als die Bzantiner, auf ihn den größten Einfluß hattenSiehe über dies alles die Memor. d'illustri Pisani I, 221-285, Lanzi, Fiorillo und Tiraboschi. – Erst nachdem ich dies niedergeschrieben, erhalte ich den lehrreichen Aufsatz des Herrn von Rumohr (Kunstblatt 1821, No. 7-12) über altitalienische Malerei, nach dessen Inhalt ich manches näher bestimmen und ausdrücken sollte. Indeß scheint es mir fast gerathener nichts zu ändern, da wir im wesentlichen übereinstimmen und das ursprüngliche Ergebniß unabhängiger Forschungen in seinem Werthe oder Unwerthe stehen bleiben mag..

Viertens, finden sich Beweise, daß schon im zwölften Jahrhunderte nicht bloß christliche Bilder mit feststehender Behandlungsweise, sondern auch geschichtliche, sehr zusammengesetzte Gemälde gefertigt wurden, wofür griechische Vorbilder anzunehmen es an allen Thatsachen fehlt. Ja diese Gemälde weichen in der Behandlungsart schon früher von der schlechten, das heißt hier byzantinischen Weise ab, als die kirchlichen Bilder; wo man es für Sache der Religion und des Gewissens halten mochte, nicht zu neuernDie Hauptbeweise für das Gesagte ergeben sich aus der aufmerksamen Betrachtung der Kunstwerke jener Zeit. Wer sich näher überzeugen will, den verweisen wir auf Lanzi, della Valle lettere, I, 217-249; II, 9, 241, Memorie Trevigiane, Signorelli II, 348, 484.  Selbst dem Vasari heißt eigentlich maniere greca nichts als schlecht und steif malen. – Che le arti liberali non mai siano mancate totalmente in Italia, può dirsi teorema ormai dimostrato. Chi ha creduto Constantinopoli una nuova Atene delle arti in quei secoli, ha mostrato di non avere un' adequata idea dell' istoria dell' impero Orientale.  Memor. d'illustri Pisani I, 233, 250.  Schon 1177 malte Guido aus Bologna in Bassano Scenen aus dem Leben Ezelins des Stammelnden.  Verci Ecel. I, 55.  1239, ein Jahr vor Cimabues Geburt, wurden die Rebellen im Rathssaale von Verona abgemalt.  Maffei Verona III, 142.  1205 ließ der Doge Ziani die Geschichte seines Vaters in Gemälden darstellen.  Sanuto vite 538.  Im zwölften Jahrhunderte waren schon im Kloster Benedikt-Beuern viele zusammengesetzte Gemälde aus der Geschichte der Heiligen.  Meichelb. chron. Bened. Buran. I, 97..

542 Die Frage: inwiefern man, wie einige Italiener behaupten, die Ölmalerei schon im zwölften und dreizehnten Jahrhundert gekannt habe, läßt sich hier nicht untersuchenDaß der Mönch Theophilus die Öl- und Glas-Malerei gekannt habe, geht aus dessen Abhandlungen, wie es uns scheint, deutlich genug hervor. Aber wann er lebte und ob er ein Lombarde war, bleibt zweifelhaft.  Cicognara I, 331.  Wahrscheinlich spricht Tentori (saggio II, 112) von demselben Werke und setzt es mit Morelli ins zwölfte Jahrhundert. Marin. III, 223 behauptet, in Treviso befinde sich ein Ölgemälde von 1177: allein wie viel gegen den frühern Gebrauch des Öls zu sagen ist, zeigt unter andern Lanzi I, 68, ed. Bassano.. Gewöhnlich malte man auf Holz, bisweilen auf Leinwand oder Pergament, das über Holz gezogen wurde. Die Holztafel bedeckte man mit einem Gipsgrunde, überzog sie mit rothem Bolus und setzte dann Gold oder Mennig daraufMorrona I, 158-166.  Eine salzburger Handschrift aus dem zwölften Jahrhunderte beschreibt die Bereitung der Farben mit Wasser, Gummi u. s. w.  Westenrieder Beitr. VI, 204.. Die Wasserfarben mögen mit Mastix und ätherischem Öle vermischt worden seyn, wodurch sie ihren kalten 543 Ton verloren, und glänzender und wärmer wurden. Bisweilen gab man den Gemälden einen feinen Wachsüberzug.

Es giebt Mosaikmalereien aus allen Jahrhunderten, Zahl und Vorzüge mehren sich aber im zwölften und dreizehntenLanzi im 1sten Kap.  Agincourt an vielen Orten.; und wenn auch das kirchlich Feststehende hier vorwaltete, so fertigte doch um 1225 der Florentiner Mino Arbeiten, welche die am ersten mit Konstantinopel in Verbindung stehenden in Venedig, ohne Zweifel übertreffen. Im eilften und zwölften Jahrhundert war eine eigene Schule von Mosaikern in Rom, und 1141 fertigte ein italienischer Künstler Fußböden von Mosaik in TrevisoCicogn. I, 163.  Reineri chron. zu 1163 über die Mosaik in der Kirche zu Lüttich.. Auch in Deutschland fehlte es um diese Zeit nicht an Arbeiten derselben Gattung. Die Glasmalerei war damals in vollem Gange: so ließ, um wenigstens ein Beispiel anzuführenSuger de administr. sua, c. 32.  Mailly Gesch. der Kreuzzüge I, 109.  1215 im Kloster Weingarten fenestrae cum tabulatis et picturis.  Hess prodr. 69.  Holst. cod. II, 401, No. 11, zu 1182., Suger um 1140 in der Abtei St. Denys die vornehmsten Ereignisse der Kreuzzüge auf zehn Fenstern darstellen.

Es finden sich nicht bloß Beispiele, daß auf geistlichen Kleidungen, Vorhängen u. dergl. Bildnisse und Maiereien angebracht wurden, sondern auch eingewebte Malereien und HeiligengeschichtenAls Papst Innocenz IV 1251 nach Mailand kam, gingen ihm tausend pueri mitrati entgegen, et in qualibet mitra depictus erat Papa.  Mediol. ann. – Im Jahre 1200 Tapeten mit Bildern aus der Offenbarung Johannis in Baiern gewebt.  Lang Jahrb. 342.  Dorsalia contexta Leben von Heiligen darstellend, und andere künstliche Webereien erwähnt um 1180.  Mindens. chron. 563.. – Die Miniaturmalerei diente hauptsächlich zur Ausschmückung vieler Handschriften und die Emailmalerei war ebenfalls bekanntFiorillo III, 52..

544 Im dreizehnten Jahrhunderte war die Zahl der Künstler so groß, daß sie in Genossenschaften zusammentraten, welche thätiger waren als manche spätere Akademie, und geistreicher als die Zünfte bloßer Handwerker. An der Spitze standen gewöhnlich die geachtetsten Meister, welche nach bestimmten Vorschriften Streitigkeiten schlichtetenCicogn. I, 364.  Della Valle I, 143; II, 13., gewisse Einnahmen und Ausgaben besorgten, darüber Rechnung ablegten, die Aufnahme neuer Mitglieder leiteten und überall heilsam auf die Schwächern wirkten. In den Gesetzen der Maler zu Siena aus dem dreizehnten Jahrhunderte heißt es: »aller Anfang ist zu machen mit Gott und göttlichen Dingen, da ohne Macht, Wissen und Liebe (die sich in der Dreieinheit abbilden) nichts vollbracht werden kann. Der unsichtbare Beschützer der Malerei ist der heilige Lukas. Alle Glieder der Gesellschaft sollen unter sich in Einigkeit leben, und keiner des andern Arbeit wegnehmen. Fremde die arbeiten wollen, zahlen ein Gewisses für die Erlaubniß. Niemand darf ein Amt in der Gesellschaft ablehnen; dem erwählten Oberhaupte stehen mehre Rechte, Prüfungen, Entscheidungen zu, und insbesondere müssen sich die Lehrlinge allen Vorschriften genau unterwerfen. Wer ein Glied der Gesellschaft verklagt, legt ein Pfand nieder, welches verfällt sobald er Unrecht bekömmt. Keiner darf die Geheimnisse der Gesellschaft ausplaudern, oder gegen übernommene Verpflichtung, falsches Gold und Silber oder schlechte Farben nehmen.«

Ein ausschließliches Recht Kunstwerke zu verfertigen, widerspricht so sehr der Natur der Dinge, daß man es zu keiner Zeit hat durchsetzen können. Wenn der Peterskirche in Rom allein das Recht zugetheilt wurde, die Bildnisse der Apostel Petrus und Paulus zu bilden und zu gießen; so bezweckte man vielleicht die unveränderte Festhaltung der Gesichtszüge und eine, aus dem Verkaufe an die Pilger entstehende, Einnahme zur Erhaltung der KircheVitale I, 104.  Inn. III ep. I, 536..

545 Noch größere Wichtigkeit legte man darauf ächte Bildnisse von Christus und Maria zu bekommen, konnte aber hierüber schon damals Zweifel und Widersprüche nicht beseitigen. So brachte z. B. im Jahre 1160 ein griechischer Einsiedler das angeblich vom Evangelisten Lukas gemalte Bildniß der Maria nach BolognaSavioli I, 2, Urk. 173.; und 1207 stritten sich Venetianer und Griechen über ein, ebenfalls für ächt ausgegebenes, Bild derselben in Konstantinopel dergestalt, daß Papst Innocenz III zum Frieden ermahnen mußte und dabei äußerte: die Griechen schienen die im Bilde ruhende Kraft zu überschätzen, was er als abergläubisch sehr mißbilligeInnoc. epist. IX, 243.. Im Jahre 1249 schenkte der Kapellan des Papstes ein Christusbild einem französischen Kloster und schrieb dabei: wundert euch nicht, daß es bleich und gelb aussieht: denn Christi Angesicht ist durch die Sonnenhitze und die Leiden so geworden, wie das hohe Lied bezeugtUt habetur in canticis.  Gallia chr. X, 198..

In welch engem und nothwendigem Verhältnisse die Kunst zur Religion stand, wie sehr sie von der gesammten kirchlichen Seite, PäpstenDie Päpste verwandten z. B. viel zum Baue von Kirchen und Palästen.  Renazzi 16.  Bon. hist. misc. zu 1190., Prälaten, Stiftern und Klöstern gefördert ward, ist schon an mehren Stellen bemerkt. Es galt als Regel, daß es angemessen sey Kirchenvermögen hiezu anzuwenden, und wo Zweifel entstanden, ertheilten die Päpste besondere ErlaubnißRied. cod. I, Urk. 451, 462.  Reg. Hon. III, Jahr V, Urk. 205, 206, 507.. Oft waren Bischöfe und Geistliche selbst Künstler, vor allem geschickte Baumeister, wie die Gebäude augenscheinlich erweisenBritton I kings College chapel; domest. archit. II, 75.  Laborde monum. I, Disc. prélim. 4.. Wider diese Kunst, die Baukunst, wurden eigentlich nie Einwendungen gemacht; wogegen zuweilen in mehren Mönchsorden, z. B. bei den Cistertiensern und Franziskanern Zweifel entstanden: ob 546 Bildsäulen, Wand- und Glas-Gemälde, ausgelegte Fußböden u. dergl. nicht unnütze, eitle Pracht und Sinnenlust wären. Die einige Male wegen Beschränkung, ja Wegschaffung dieser Gegenstände gefaßten BeschlüsseSchon Bernhard von Clairvaux schalt über Gemälde die keine religiösen Gegenstände darstellen, ein Beweis, daß es damals dergleichen gab.  Bernh. Apol. ad Wilh. Abb. – 1213 Kapitelsschluß der Cistertienser: ne de caetero fiant in ordine picturae, sculpturae praeter imaginem Christi, neque varietates pavimentorum, nec suberfluitates aedificiorum.  Martene thes. V, 1322, 1362.  Andere Ansicht der Cluniacenser, V, 1584. Beschluß der Prämonstratenser gegen unzüchtige Bilder et quae in se habeant materiam vanitatis.  Le Paige 663.  1260 Beschluß der Franziskaner: daß künftig nur das Hauptfenster hinter dem Altare gemalt werden dürfe, und nur mit den Bildern Christi, Mariens, des heiligen Franz und des heiligen Antonius.  Rodulph. hist. seraph. Relig. 238. kamen indeß nie zur vollen Ausführung; bald siegte die richtigere Ansicht, daß Kunst und Religion keineswegs, wie die Muhamedaner lehrten, in unbedingtem Widerspruche ständenNach Eroberung der christlichen Besitzungen in Syrien, zerstörten die Muhamedaner viele Kunstwerke.  Schahabeddin 607.  Sultan Kamel ließ viele Säulen aus Jerusalem nach Damaskus bringen.  Oliv. Damiat. 1425.; und einige Kongregationen, wie z. B. die von Clugni, bestritten immerdar jene Behauptungen. 547

 


 


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