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Am 28. Februar.
Es ist gar kein übler Monat, dieser Februar, man muß ihn nur zu nehmen wissen! – Da ist erstlich die ungeheuere Merkwürdigkeit der fehlenden Tage. Wie habe ich mir einst, vor langen Jahren, den Kopf über ihr Verbleiben zerbrochen! Jeder andere Monat paßte aufs Haar mit Einunddreißig auf den Knöchel der Hand, mit Dreißig in das Grübchen, und nur dieser eine Februar – 's war zu merkwürdig! – Das ist ein Stück aus der formellen Seite der Vorzüge dieses Monats, jetzt wollen wir aber auch die inhaltvolle in Betrachtung ziehen. Was ist an diesem Regen auszusetzen? Tut er nicht sein möglichstes, die Pflicht eines braven Regens zu erfüllen? Macht er nicht naß, was das Zeug halten will und mehr? Der alte Marquart in seinem Keller ist freilich übel dran, seine Barrikaden und Dämme, die er brummend errichtet, werden weggeschwemmt, seine Treppe verwandelt sich in einen Niagarafall. Alles, was Loch heißt, nimmt der Regen von Gottes Gnaden in Besitz. Immer ist er da; seine Ausdauer grenzt fast an Hartnäckigkeit! Man sollte meinen, nachts würde er sich doch wohl etwas Ruhe gönnen. Bewahre! Da pladdert und plätschert er erst recht. Da wäscht er Nachtschwärmer von außen, nachdem sie sich von innen gewaschen haben; da wäscht er Doktoren und Hebammen auf ihren Berufswegen; da wäscht er Kutscher und Pferde, Herren und Damen – maskiert und unmaskiert; da wäscht er Katzen auf den Dächern und Ratten in den Rinnsteinen; da wäscht er Nachtwächter und Schildwachen selbst in ihrem Schilderhaus. Alles, was er erreichen kann, wäscht er! Kurz: »Bei Tag und Nacht allgemeiner Scheuertag, und Hausmütterchen Natur so unliebenswürdig, wie nur eine Hausfrau um drei Uhr nachmittags an einem Sonnabend sein kann.« Das ist das Bulletin des Februars, den man einst mensis purgatorius nannte. – Jetzt finde ich auch einen Vergleich für das Aussehen der großen Stadt. Lange genug hab ich mich besonnen, keiner schien passend. Nun aber hab ich's! Aufs Haar gleicht sie einem unglücklichen Hausvater, den die Fluten des sonnabendlichen Scheuerns auf einen Stuhl am kalten Ofen geschwemmt haben, wo er sitzt – ein neuer Robinson Krusoe – mit Kind, Hund, Katze und Dompfaffenbauer, die Beine auf einem hohen Schemel stehend und die Schlafrockenden herabhängend in die Wogen.
Brr! – Das ist mal wieder ein Wetter, um in alten Mappen zu wühlen, und ich wühle auch darin schon seit geraumer Zeit! Da muß ein Brief sein, den ich trotz aller Mühe nicht finden kann und der doch eigentlich schon früher der Chronik hätte eingelegt werden sollen. Briefe mit späterm Datum von derselben Hand finde ich genug; sie berichten von Kindtaufen, und einer auch von dem Hinscheiden eines ehrwürdigen Pudels, »Rezensent« genannt. Ich möchte aber gern ein älteres Schreiben haben, welches noch nicht von Kindtaufen erzählt! Gottlob, hier ist's! Die Chronik hätte es, wie gesagt, viel früher aufnehmen müssen, aber was tut's? Je älter solche Briefe werden, je älter ihr Schreiber selbst geworden ist, desto frischer klingen sie!
Hier ist das Skriptum:
»Unter Verantwortlichkeit der Redaktion.
Liebe und Getreue!
Eben hatte ich diesen Anfang ›Liebe und Getreue‹ gemacht, als sich auf einmal ein kleines Patschhändchen auf meine Schulter legte, ein brauner Lockenkopf sich vorbeugte und ein Stimmchen ganz fein sagte:
›Erlaube, liebes Kind (›liebes Kind‹, das bin ich, der Dr. Wimmer) – erlaube, liebes Kind, an was für ein Frauenzimmer willst du da schreiben?‹ Ich sah verwundert auf und erblickte – eine kleine runde Dame (sie sitzt jetzt neben mir und zieht mich für das ›rund‹ tüchtig am Ohr), die ein allerliebstes Mäulchen machte:
›Liebes Kind, ich möcht's halt gern wissen!‹
›Sollst du auch, Schatz‹, sagte ich lachend. ›Gib acht, es ist eine seltsame Geschichte! – Es war einmal ein Mann, der lief in der Welt herum, und die Leute nannten ihn Dr. Heinrich Wimmer; einige freilich titulierten ihn auch ›Esel‹ oder so. Das waren aber nur die, welchen er dasselbe Epitheton gegeben hatte – was er oft sogar schriftlich, schwarz auf weiß, tat. Gut, dieser Mensch hatte eigentlich nur wenig wahre Freunde (Bekannte genug), denn er war so eine Art von Vagabond, wenn auch nicht in der schlimmsten Bedeutung des Worts. Er war ein Literat. Zu den Freunden, die ihn ertrugen und nicht ›Esel‹ nannten, gehörte erstens ein Schulmeister namens Roder, zweitens ein ältlicher Herr, Wachholder genannt, und drittens – ein junges Mädchen (beruhige dich, Nannette, sie war höchstens elf Jahr alt, als wir schieden), namens Elise Ralff. Wir wohnten in einer großen Stadt, wo es viel Staub gibt und aus der sie mich, höchst wahrscheinlich aus Sorge um meine Gesundheit, wegjagten, weil jener Staub mich stets zum Husten brachte, ziemlich dicht zusammen und betrugen uns gegeneinander, wie gute Freunde sich betragen müssen. Sogar der Pudel Rezensent, mein vierter Freund, fühlte oft eine menschliche Rührung darüber, wie es in der Tat ein vortreffliches Vieh ist, was du auch dagegen sagen magst, Nannerl!
Und nun höre – grimme Othelloin, das ›Liebe und Getreue‹ gilt den drei Freunden und ›halt‹ nicht einem Frauenzimmer, du Eifersucht!
Da wir nun aber einmal dabei sind, so laß dir auch weitererzählen, liebe Nannette. Mit diesen Freunden lag ich an dem Tage, an welchem ich den letzten Staub von den Füßen über jene Sand-Stadt schüttelte, in einem Holze, wo wir den ganzen Tag über Vogelnester gesucht, Blumen gepflückt und Märchen erzählt hatten, als auf einmal ein Gefühl bodenloser Einsamkeit und moralischen Katzenjammers usw. usw. über mich kam. Da stieg plötzlich, mitten im grünen Walde, wo die Vögel so lustig sangen und die Sonne so hell und fröhlich durch die Zweige schien, ein Gedanke in mir auf, ein Gedanke an ein kleines hübsches Mädchen, mit welchem ich einst zusammen gespielt und an das ich oft – oft gedacht hatte in spätern Jahren. – Daran aber dacht ich in dem Augenblick nicht, daß zwischen dem Kinderspiel und dem Waldtage so lange Zeit lag; – ich dachte – ich dachte: Heinrich, warum gehst du nicht nach München, wo du geboren bist, wo dein Onkel Pümpel, wo dein – kleines liebes Mühmchen Nannette wohnt?
Wie ein Lichtstrahl, viel heller und fröhlicher als die Sonne – durchzuckte mich das, ich sprang auf, warf den Hut in die Luft und schrie: ›Hurra, ich gehe nach München zu meinem Onkel Pümpel, zu meiner Kusine Nannerl!‹ – Die Freunde sahen mich verwundert und lächelnd an, und der Lehrer Roder sagte: ›Junge, das wäre prächtig, wenn du – solide würdest!‹
(Gib mir einen Kuß, Schatz, und ich erzähle weiter.)
Sieh, da wand die kleine Liese Ralff dem Pudel einen hübschen Waldblumenkranz um den Pelz, sie drückten mir alle die Hand – das kleine Mädchen weinte sogar – und – – – ich ging nach München.
Lange Jahre waren hingegangen, seit ich meine Vaterstadt nicht gesehen hatte, und ganz wehmütig gestimmt schritt ich in der Abenddämmerung durch die alten bekannten Gassen der Altstadt. Da lag das Haus meiner Eltern – Fremde wohnten darin. Ich lugte durch die Ritze eines Fensterladens und sah zwei Kinder, die allein am Tische bei der Lampe saßen; sie waren sehr eifrig in ein Gänsespiel vertieft, und ich dachte an unsere Jugend, Nannerl, und das Herz ward mir immer schwerer. – Seidelgasse Nr. 20, da stand ich nun vor einem andern Haus. Dort hing ein altes wohlbekanntes Schild, ›Pümpel's Buchhandlung‹ darauf gemalt. Der Laden war bereits geschlossen, der Onkel jedenfalls schon im Hofbräuhaus; ein Lichtschein erhellte noch die Fenster des obern Stockwerks.
Ich wagte kaum die Klingel zu ziehen. Endlich tat ich's aber doch. Mein Gott, ebenso jämmerlich klang die Glocke schon vor zehn Jahren. Schlürfende Schritte näherten sich – die Tür ging auf; wahrhaftig da war sie noch, die dicke Waberl, eher jünger als älter! Der Pudel und ich hätten sie beinah über den Haufen geworfen; sie kannte mich nicht und stand starr vor Schrecken und Verwunderung, als ich mit meinem vierbeinigen Begleiter in zwei Sätzen die Treppe hinauf war.
Eine kleine, runde ... (Au, mein Ohr! Hör einmal, Nannette, das ist das Ohr, in welches es bei mir ›hineingeht‹, was wird das für eine Ehe abgeben, wenn du mir das abkneifst! Nannette, ich würde in deiner Stelle mal das andere, zu welchem es ›herausgeht‹, nehmen!) Dame trat mir entgegen:
›Der Vater ist nicht zu Haus, mein Herr!‹ – – – Ich antwortete nicht, sondern nahm ihr das Licht aus der Hand – die kleine runde Dame erschrak ebenfalls gar sehr – und hielt es so, daß mir der Schein voll ins Gesicht fiel.
›Herr Gott, der Vetter Heinrich!‹ rief die kleine, rrr ... Dame. (Nannette, sag mal, ich glaube, ich habe dir in dem Augenblick einen Kuß gegeben?)
›O welch abscheulicher Bart – – und eine Brille trägt er auch! Waberl, Waberl, schnell nach dem Bräuhaus: der Vetter Wimmer sei da!‹
Ja, er war da, der Vetter Heinrich Wimmer, und der alte Onkel kam auch; er umarmte den Landläufer und steckte ihn in seinen Sonntagsschlafrock; er wollte – – ja, was wollte er nicht alles! Der Pudel sprang wie toll und machte sogleich als ein vernünftiger Köter Freundschaft mit dem dicken Pümpelschen Kater Hinz.
Und dann – dann ward ich Redakteur der ›Knospen‹, unter der Bedingung, den fatalen politischen Husten vorher erst auszuschwitzen; dann ward ich von deinem Papa, meinem guten dicken, vortrefflichen Onkel in den deutschen Buchhandel ›eingeschossen‹, und dann – – Nun, Nannette, und dann? – – – – – – – – – – – – Meine Herren und Freunde, was hab ich Ihnen da geschrieben! – So geht's, wenn man verlobt ist und neben seiner Braut einen Brief schreiben will! Die reine Unmöglichkeit! Statt eines soliden, nach allen Regeln der Logik und Briefschreibekunst abgefaßten Berichts, schmiere ich Ihnen meine Unterhaltung mit dem Frauenzimmer. 's ist göttlich!
Nun – was tut's? Die Hauptmomente meiner Geschichte habt Ihr doch bei der Gelegenheit erfahren. Ich habe eine neue Seite meines Lebens aufgeschlagen; und wer hat diese vita nuova bewirkt? Der edle Polizeikommissar Stulpnase nebst seinen Myrmidonen und – meine kleine Beatrice, genannt Nannette Pümpel! Gesegnet sei das Haus Pümpel et Comp. bis ins tausendste Glied!! –
Ich schließe. Meine gentilissima verlangt ebenfalls Platz auf diesem Bogen. Mich soll's wundern, was sie schreiben wird; ihre Augen leuchten gar arglistig.
Dr. Wimmer.
Liebe, kleine Elise!
Obgleich wir uns noch nicht mit Augen gesehen haben, so kann ich doch halt nicht unterlassen, Dir, Herz, diesen ganz kleinen Brief zu schreiben, der böse Mensch hat nicht viel Raum übergelassen. So ganz böse freilich ist er doch nicht, denn er hat mir viel Gutes und Schönes von Dir erzählt, aber sage doch den beiden Herren, die ich auch nicht kenne, daß sie das törichte Zeuch, was er alles geschrieben hat, halt nicht alles glauben. Ich hab ihn durchaus nicht so viel ins Ohr gekneift, als er sagt. – Liebes Kind, Ihr müßt uns einmal alle besuchen. Ich habe zwei Kanarienvögel und einen Stieglitz, der sich sein Futter selbst heraufzieht. Ich hätte Dir gern eins von den Vögelchen geschickt, aber der Onkel Doktor meint, sie könnten das Fahren nicht vertragen, das könnte selbst sein häßlicher Puhdel nicht. Es ist nur gut, daß das schwarze Tier sich so vor meinem schönen bunten Hinz fürchtet; sie beißen sich zwar halt nicht, aber sie sehen sich oft schief an von der Seite. Liebes Kind, besuche uns einmal und grüße den Herrn Onkel Wachholder und den Herrn Lehrer recht schön!
Deine unbekannte Freundin
Nannette P.
P. Scr. Verehrtester, überreichen Sie doch meiner dicken Freundin, der Madam Pimpernell, beifolgende drei Fünftalerscheine; da wird ein noch zu tilgender Schuldenrest sein.
Dr. W.
P. Scr. Ich muß in die Küche, sonst hätte ich mich eben noch recht über den Doktor zu beklagen. Er ist recht böse. Gestern hat er sein Dintenfaß über meine beste Tischdecke gegossen. Das geht mein Lebtag nicht wieder heraus! – Aber das ist das wenigste. – 's ist nur gut, daß ich den Tabaksdampf gewohnt bin, auch mein Papa macht furchtbare Wolken, und die Gardinen müssen nun noch einmal so bald gewaschen werden. Adieu!
Nannette.
P. Scr. Der Onkel Pümpel hat sich's in den Kopf gesetzt, dem armen ›Puhdel‹, wie Nann'l schreibt – auf seine alten Tage noch das ›Totstellen‹ beizubringen.
Dr. W.
P. Scr. Bier mag er schon! (Ich meine halt den Pudehl – so wird's wohl recht geschrieben sein.) Gott, ich muß wirklich in die Küchen!
N.
P. Scr. Nannette ist fort! Meine lieben Freunde, ich bin sehr glücklich und fidel! Ich hoffe auf baldige Nachrichten von Euch allen. Gruß und Brüderschaft!
Euer
H. Wimmer.«