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Hie hebet an der andre Theil, Zeigt, wie der ganzen Welt zum Heil Der Jungfrau edle Burg und Stadt Ihr Banner hoch gehalten hat; Zeigt, wie Verrath sie arg umspinnt, Die Tugend doch das Best' gewinnt. Drei blut'ge Kreuze flammen auf, Und Gott's Gericht hat seinen Lauf, Durch alle Welt geht das Geschrei' Von: Unseres Herrgotts Canzelei.
Vollständig hatte das Jahr Schönheit und Glanz abgestreift; gleich einem irdischen Weibe hatte es eins der frischen, funkelnden Gewänder der Jugend nach dem andern fallen lassen; verwelkt waren die Veilchen des Frühlings, die Rosen des Sommers, die letzten Sternblumen des Herbstes. Alt, recht alt und mürrisch war das Jahr allmählich geworden, Todesgedanken bekam es, und saß am Nachmittag des vierzehnten Octobers im christlichen Jubeljahr und Magdeburg'schen Trauerjahr Fünfzehnhundertfünfzig, wie ein mürrisches Mütterlein auf schwarzen, schweren Wolken, quirlte in einer Regensuppe und spann an einem grauen, düstern Nebelschleier, mit welchem es gegen Abend die Welt zudecken wollte.
Ehe dieser Schleier herabfällt und unsern Schauplatz verhüllt, führen wir den Leser vom Breiten Wege durch die Kaiserstraße, quer über die Bernau'sche Straße und durch die Hölle – die Gegend der Stadt Magdeburg, wo heute die Grüne Armstraße, die Venedische Straße und die Blaue Beilstraße zu finden sind – nach der Jakobskirche, und ersteigen mit ihm die Wendeltreppe im Thurm dieser Kirche bis unter die Glocken.
Da finden wir uns in einem Gemach, welches den ganzen innern Raum des Thurmes einnimmt und nach allen vier Weltgegenden eine umfassende Aussicht durch die »Galmlöcher« gewährt. In einer Ecke ist ein kleiner Herd angebracht, auf welchem ein winzig Kohlenfeuer glimmt, in einer andern Ecke befindet sich ein Strohlager; ein hölzerner Tisch, einige Schemel sind ebenfalls vorhanden, Kleidungsstücke und Waffenstücke hängen an den Wänden; – ein langes Geschütz auf wunderlicher, aber leicht zu regierender Laffette blickt drohend über die Mauern, Thürme und Dächer der Neuen Stadt in's Land hinaus. Ein Kugelhaufen ist neben diesem Stück aufgebaut, ein Fäßchen Pulver ist zur Hand, sowie Alles, was sonst zur Bedienung eines Geschützes gehört. Geschützmeister ist auf dem Jakobsthurm Andreas Kritzmann, welcher vor dem Obersten Ebeling Alemann und den Hauptleuten Probe geschossen hat, zur Verwunderung gut bestand und hieher beordert worden ist. Die Gehilfen, die man ihm hat zugeben wollen, hat er abgelehnt zu ihrer geheimen Genugthuung. Schon geht auf den andern Thürmen und auf den Mauern der Stadt manch bedenklich Wort an den Feuerstücken über den Meister Andreas vom Jakobsthurm. Solch' eine Kunst, solch' ein scharfes Auge, wie sie der »Schütz vom Jakobsthurm« besitzt, erscheint dem befahrensten Arkeleymeister übermenschlich. Des Schützen ungesellig, seltsames, finsteres Wesen füllt Jeden, der ihm naht, mit demselben geheimen Grauen, welches vor Braunschweig in den Schanzen Heinrich's des Jüngern die Kameraden aus seiner Nähe trieb.
Zur Hand geht dem Andreas nur ein verwachsener, taubstummer, elternloser Knabe aus der Neustadt, der sich zu dem stummen Mann gefunden hat, man weiß nicht wie. Dieser Bub' besorgt seine Ausläufe, Botschaften und Wege, der Schütz selbst scheint nicht wieder in die Gassen der Stadt hinabsteigen zu wollen.
In dem Augenblicke, wo wir durch die Oeffnung im Fußboden in den Aufenthaltsort des Geschützmeisters gelangen, ist dieser beschäftigt, mit großem Eifer und fast peinlicher Sorgfalt den Lauf seines Stückes zu putzen. Friedel, der taubstumme Knabe, sitzt in einem Galm- oder Schallloch und läßt die Beine herabbaumeln, und starrt blödsinnig auf den Jakobskirchhof hinab, oder den Krähen, welche den Thurm umflattern, nach.
Auf Stadt und Land blicken wir ebenfalls, und erzählen, was um und in der Alten Stadt Magdeburg geschah seit dem zweiundzwanzigsten September, dem Tag der Schlacht an der Ohre. Dann suchen wir nach den Leuten, mit welchen wir es in dem großen Schauspiel und Trauerspiel zumeist zu thun haben: dann – können wir wieder herniedersteigen in das bewegte Getriebe, die Herzen in Liebe und Haß, in Bangen und Hoffen näher klopfen zu hören.
Tief, tief zu unsern Füßen liegt: Unseres Herrgotts Canzlei, liegt die große geächtete lutherische Stadt Magdeburg; tief unter uns rund um das letzte Bollwerk des reinen Glaubens liegen die Lager, die Linien, die Schanzen Derer, welche des Reiches Acht und Aberacht zu vollstrecken gekommen sind! –
Nachdem Herzog Georg von Mecklenburg den Sieg an der Ohre gewonnen hatte, hielt er sich noch bis zum Donnerstag nach St. Mauritiitag im Kloster Hillersleben mit weidlichen Bankettiren und Jubiliren. Dann brach er auf mit seinen Schaaren, die anschwollen, gleich einem bergab sich wälzenden Schneeball. Weiter zog er seinen verwüstenden Strich durch das Stadtgebiet, bis er sein Hauptquartier zu Schönebeck aufschlug. Hier trafen nun die Nachbarn des Erzstiftes, die Herren des Capitels, die Stiftsjunker und die Achtsvollstrecker zusammen. Es kam Kurfürst Joachim von Brandenburg und sein Vetter Markgraf Albrecht von Kulmbach, es kam Hans Georg von Mansfeld, welcher die gute Gelegenheit benutzte, sich des Schlosses zu Egeln, sammt der Pflege, welche die Magdeburger daselbst innehatten, zu bemächtigen. Am neunundzwanzigsten September erschien die Seele des Ganzen, kam der feine, kluge Moritz, der »durchlauchtigste, hochgeborene Fürst und Herr, Herzog zu Sachsen, des heiligen römischen Reiches Erzmarschall und Kurfürst, Landgraf in Thüringen, Markgraf zu Meißen.« Seine politische Wagschale hielt er dem Mecklenburger Jürgen unter die Nase und flüsterte ihm zu:
»Herr zu Mecklenburg, wie dürft Ihr's wagen, daß Ihr die frommen Leut' von Magdeburg habt dürfen angreifen? ... Habt Ihr die Kinder Gottes einmal getroffen?«
Wer doch den Zug hätte malen können, der bei diesen Worten um die Mundwinkel des Mannes spielte! Wer doch gegenwärtig gewesen wäre bei den Verhandlungen, in welchen der hochdeutsch meißnerisch lispelnde Sachse dem plattdeutsch aufbegehrenden, tobenden, brummenden, klein beigebenden Mecklenburger den Oberbefehl über den von ihm bis jetzt so gut geführten Haufen abnahm!
An diesem selbigen neunundzwanzigsten September, dem Tage Michaelis, kam ein Trompeter vor Magdeburg, blies sein Stücklein und forderte die Stadt zur Uebergabe auf, wurde aber ohne ein gutes Wort zurückgeschickt.
Die aufgebotenen Lehnsleute ließ das Domcapitel zu dem Reichsheer stoßen; zu Augsburg saß immer noch kaiserliche Majestät und »hielt heftig an« für das Interim und den Reichsabschied und gegen die Geächteten. 60 000 Gulden, zu 15 Batzen gerechnet, verwilligte das Reich monatlich zur Belagerung der Stadt Magdeburg. Aufgewendet wurde dazu des »Reiches Vorrath«, der wider den Erbfeind, den Türken, und sonsten zufällige Noth gesammelt worden war, so daß der Magister Flacius Illyricus durch Michael Lotther's Pressen mit Recht in die Welt hinausrufen durfte:
»Lieber Gott, wie in einen gar verkehrten Sinn sind die falschen Christen gerathen! Sie sehen, wie in trefflicher großer Gefahr die ganze Christenheit stehet, und sonderlich Deutschland, der Christen Feind, des Türken halben. Noch lassen sie ihn zufrieden, ja sie geben ihm noch Tribut, daß er zufrieden sei, auff daß sie ja, dem Antichrist zu gefallen, Christum gantz und gar außrotten und austilgen mögen. Es gehet jetzt zu, wie es immer gegangen ist. Damit die falschen Jüden müssen immer Barrabam, den Mörder, loßbitten, auf daß sie nur Christum an's Kreuz bringen. Die Papisten lassen den Türken zufrieden, auff daß sie nur mögen die Christen verfolgen, die Interimisten und Adiaphoristen erlangen Friede von den Gottlosen, wie sie nur mögen, auf daß sie können uns ihre Brüder, dem Antichristen zu gefallen, ermorden.«
Immer ängstlicher schlugen die Herzen aller Glaubensgenossen durch die ganze Welt, der hartbedrängten Stadt wegen. Eine große Bestürzung war mit der Nachricht von der Schlacht an der Ohre über sie gekommen. Sie sahen schon im Geiste die letzten Mauern und Wälle des evangelischen Glaubens niedergeworfen; sie vernahmen schon das Jubelgeschrei der Sieger, den Triumphruf »der Spitzhüte, des Mönchs- und Pfaffengesindels.« »Kann ja« – wie Herr Flacius sagt, »der teufel unsern schwachgleubigen Hertzen solche wilde Fantasey und Gespenst einbilden, daß wir offt nicht anders meinen, denn es sei große Noth vorhanden, so doch keine ist, oder die gegenwertige Gefahr viel größer machen, denn sie ist.«
Fest stand die Canzlei des lieben Gottes! Ihre Besatzung verstärkte sie auf dreitausend Mann zu Fuß und dreihundert zu Roß. Jeder Bürger nahm die ihm zugetheilten Reiter und Knechte mit Freuden in's Quartier. Immerfort noch wurden Geschütze gegossen aus den Glocken der Stifter und Klöster. Rings um die Stadt hatte man Gruben aufgeworfen, dem Feind das Vordringen zu erschweren, Blendungen und Verschläge schützten auf den Mauern und Wällen die Streiter.
Alle Sehnen und Nerven spannte die Stadt nach der Niederlage im Feld vor Hillersleben auf's Aeußerste an, und mit blutigen Köpfen wichen die Feinde, die jetzt ihr Lager nach Fermersleben vorgeschoben hatten, zurück, als sie am zehnten October, am Sanct Burchhard's Abend, in der Nacht zwischen elf und zwölf Uhr mit großem Geschrei, gewaltiger Macht gegen Stadtgraben und Thore anliefen. Von den Wällen sprach das Geschütz des Bürgerthums auf ganz andere Weise wie im freien Feld. Wie brachen die Gewerke vor aus dem Ulrichsthor:
»Hie Magdeburg! Magdeburg hie!«
Wie wetterten die groben Fäuste der Stadt ein auf den bestürzten Feind.
Da dieser Feind in seiner Wuth und aus Verachtung des Stadtvolks, wider allen Kriegsgebrauch, sechs Windmühlen, den Holzhof und das Hintergebäude am Siechenhaus angezündet hatte, so konnte man desto besser sehen, wohin man schoß, stieß und schlug. Da ward »gar mancher großer Hans und starker Held von Thürmen und Wällen erschossen«.
Drei Rüstwagen voll Todte führten die Feinde aus dem Feld. Mit zwei Trommeln begruben sie zu Beiendorf wohl über hundert. Nach Salza und nach Halberstadt führte man gar vornehme Leichen, und Gefangene sagten späterhin aus: in dieser Nacht hätten sie einen Mann verloren, der ihnen nicht um tausend Gülden feil gewesen sei.
Das folgende Morgengrauen zeigte den Bürgern um die verbrannten Mühlen her eine recht blutige Wahlstatt. Da fand man ganze Arme in Panzern, ganze und halbe Schenkel, Pickelhauben mit ganzen und halben Köpfen, Zündröhren, Zäume, Schenkel von Pferden und dergleichen, und Herr Sebastian Besselmeier meinte fröhlich:
»Hei, schaut, sie können ihren Schaden nicht verbergen! Das ist die erste Abzahlung auf die Hillerslebener Rechnung.«
Am folgenden Tage hielt man ein Scharmützel hinter dem Klosterberge, und es kamen an diesem Tage, sehr gegen den Willen Herzog Heinrich's des Jüngeren, noch viel gute Kriegsleute der Stadt von Braunschweig her zu Hilfe.
An zwölften October wurde Stillstand geblasen, und in die Stadt ritt Fürst Wolfgang von Anhalt mit den zwei Doctoren Johannes Scheyring und Johannes Holstein, zwei Magdeburg'schen Kindern, der Erstere Canzler zu Mecklenburg, der Andere Canzler zu Lüneburg.
Kurfürst Moritz blickte wieder angestrengt auf das Zünglein seiner Wagschale. Es zitterte und schwankte und wollte gar nicht zur Ruhe kommen. Weitbeinig stand Herr Mauritius zwischen den Parteien da, augenblicklichen Vortheils wegen hingezogen zu Kaiser, Reich und Katholicismus; künftigen Vortheils halber liebäugelnd mit der neuen Weltmacht, dem Protestantismus, dessen Bedeutung und Unbesiegbarkeit dem genialen Politiker klar vor Augen lag.
Sechs Artikel ließ der Kurfürst der Stadt vorlegen, ihr seinen guten Willen zu zeigen:
Am elften und zwölften October wurde zwischen Belagerten und Belagerern, zwischen Rath und Gesandten über diese Artikel hin- und hergehandelt; am vierzehnten, in der Stunde, wo wir auf dem Jakobsthurm stehen, befindet sich der Doctor Scheyring abermals auf dem Rathhaus, dieser Sachen wegen.
Wir lassen nun das Allgemeine und blicken aus nach dem Einzelnen.
Auf dem Alten Markt, vor dem Rathhaus, schreiten vor der Front einer Abtheilung Knechte, die daselbst aufgestellt ist – dem Doctor Scheyring zur Ehre und vielleicht auch ein klein wenig zum Schrecken, – Hans Springer, der Elsässer, und Adam Schwartze, der Bamberger, im leisen eifrigen Gespräch auf und ab. Beiden ist in den letzten Tagen viel des Unangenehmen begegnet.
Auf den Hauptmann hat sich von den Canzeln ein wahrer Schwall von Anspielungen ergossen. Keine Buß- und Trauerpredigt ist nach der Schlacht an der Ohre gehalten, in welcher nicht Hänsel Springer's und seines Lebenswandels mehr oder weniger verblümt gedacht wurde. Insinuationen sind wiederum dem Rath gemacht, die Schwelger, Ehebrecher und Blasphemisten, bei denen kein Glück sei, aus seinem Dienst, aus der Stadt zu entfernen. Der Hauptmann befindet sich in einer teufelmäßig ungemüthlichen Stimmung; wäre die Frau Johanna nicht, in hellen Flammen wäre er aufgelodert gegen seinen Leutnant, der ihn abhielt, vor Hillersleben mit Sack und Pack zum Mecklenburger überzugehen.
Auf dem Geiste Adam's lasten nicht weniger schwere Wolken; aber er weiß seine Gemüthsbewegungen besser als der Elsässer zu verbergen, steigt für ein unbefangen Auge wie gewöhnlich patzig einher, lächelt wie gewöhnlich. Einem schärfern Beobachter aber entgeht eine wunderliche Veränderung im Wesen des Mannes nicht. Ein genauerer Beobachter erkennt, daß der feste Schritt, das sichere Auge Adam's nur noch Maske ist. Seit der Schlacht an der Ohre ist des Leutnants Stellung im Hause Michael Lotther's eine ganz andere geworden; der wieder zur Besinnung gekommene Buchdrucker empfängt den Vetter aus Franken lange so begeisterungsfroh nicht mehr wie früher. Er ist zwar nicht kalt gegen ihn; aber er schwört nicht mehr auf seine Worte, sondern beruft sich bei kriegerischen Erörterungen viel lieber auf die Meinung des Rottmeisters Horn. Er stellt den Leutnant nicht mehr als Muster auf; er nimmt sich sogar die Freiheit, ihm Allerlei vorzurücken, was er tadelnswerth findet. – Regina hat in ihrem Betragen gegen den Vetter eigentlich nichts geändert; aber darüber ist nicht viel zu sagen; der Vetter hat sich nie eines herzlichen Entgegenkommens ihrerseits rühmen können.
Doch das ist das Wenigste, damit würde der Leutnant schon fertig werden; aber noch etwas gar Sonderbares ist ihm begegnet. Am Abend des vierten Octobers hat er, in sein Quartier zurückkehrend, an seiner Thür eine Abschrift eines peinlichen Erkenntnisses der freien Reichsstadt Ulm vermittelst eines im Griff feststehenden Messers festgenagelt gefunden. Datirt ist dieses Erkenntniß vom zweiundzwanzigsten September 1544 gewesen, und Urtheil wurde darin gesprochen nach den Rechtsworten der Carolina, der hochnothpeinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karl's des Fünften und des heiligen Reiches über eine Kindesmörderin, genannt Anna Josepha Agnese Scheuerin. Auf Ersäufung im Sack lautete der Spruch der Ulm'schen Richter, und hatte die unglückliche Verbrecherin den Sack, in welchem sie ertränkt werden sollte, selbst zu nähen.
Der Abschrift dieses Urtels sind aber die Worte hinzugefügt gewesen:
Ob aber diese letzten Worte und diese drei Kreuze mit Blut oder mit rother Tinte gezeichnet waren, konnte der Leutnant Adam von Bamberg nicht herausbringen. Doch er sah jetzt dies schreckliche Blatt überall, wo er ging und stand, vor sich an der weißen Wand wie auf der schwarzen, am Himmel über ihm und am Erdboden unter ihm. Wie er auch über die Augen wischen mochte, überall erblickte er vor sich die drei rothen Kreuze und das Messer. Er fing an, die Dunkelheit und die Einsamkeit zu fürchten; er blickte bei jedem Schritt, den er hinter sich vernahm, schnell und scheu über die Schulter und hielt sich am liebsten mit dem Rücken gegen eine Wand gelehnt. –
Auf dem Altstadtmarkte vor dem Rathhaus zählt der Hauptmann, mit den gewöhnlichen Flüchen auf Pfaffen, Rath und Bürgerschaft, während der Doctor Scheyring im Sitzungssaal des Raths verhandelt, seinem Leutnant die Einzelnen, die Rotten und Haufen, deren er unter den städtischen Knechten sicher ist, an den Fingern her, und behauptet: jetzt sei die Gelegenheit wiederum günstig, durch den Doctor Johannes den Herren vor der Stadt einen Wink zu geben. Er weiß für gewiß, daß des Kurfürsten Vorschläge heute von Rath und Bürgerschaft verworfen werden, und glaubt, eine noch bessere Stunde, das Besprochene in's Werk zu setzen, werde nimmer kommen.
Das Sudenburgerthor und die Sudenburgervorstadt sind heute von den Leuten Springers besetzt, und somit beide ganz in der Gewalt des Hauptmanns. Johanna von Gent hat bereits einen Wink bekommen, und wird sich jetzt mit Geldsack und Schmuckkästchen auf der Wacht am Sudenburgerthor befinden. Geleitsmann des Doctor Scheyring zwischen dem Lager zu Fermersleben und der Stadt ist der Leutnant Schwartze, er mag sein Wort bei dem Doctor, er mag es beim Kurfürsten anbringen; – Alles findet sich ganz herrlich zusammen.
»Adämle, Adämle«, flüsterte der Hauptmann, »jetzt hat's e Schick. Dunder und Wetter, los die Würfeln! Trumpf und gewonnen! Hüt woll'n mer den Vogel abeschieße. Hüt Obend woll'n mer uns guet gebettet han im Lager vor der Stadt!«
Im Lager vor der Stadt! Was blickt der Leutnant plötzlich auf und um sich? Was der Hauptmann sagt, hat Kopf, Hand und Fuß; Zeit und Gelegenheit, den verwegenen, gewinnbringenden Plan des Verraths in's Werk zu setzen, sind wirklich so günstig, wie nur möglich. Ein kühnes Herz, ein kalter Kopf, eine Hand, die vor nichts zurückschreckt, mögen heute dem Kaiser und dem Reich die rebellische, geächtete, lutherische Stadt, die Canzlei unseres Herrn Gottes, wehrlos, gebrochen zu Füßen legen. Millionen im Reich und den »angrenzenden Provinzien« werden dem kühnen Mann, der solche That, sei es auch durch Verrath, thun wird, zujauchzen; fernste Geschlechter werden seinen Namen mit Schauder und Bewunderung nennen. Die höchsten Wünsche wird er erfüllen dürfen, Ehren und Reichthum werden ihm zufallen; die schönste Maid der niedergeworfenen lutherischen Stadt wird er aus Blut und Flammen reißen und als herrlichste Beute führen dürfen in das – Lager vor der Stadt.
In das Lager vor der Stadt; – zusammen stürzt vor Adam Schwartze's Augen das glorreiche Gebäude von Ruhm, Glanz und Glück, das sein schlau verwegener Geist aufbaute, und in welchem der Hauptmann Springer nur ein schlechter Eckstein ist. Dahin ist der tollkühne Muth, verwirrt sind die klaren Gedankenreihen, die logischen Schlußfolgerungen. Eine Wolke legt sich vor den Blick, der fast so scharf sieht im Getriebe der Zeit wie sein großer Lehrmeister, Herr Mauritius von Sachsen. Zu einem armen, schwachmüthigen Menschen ist Adam von Bamberg, der Bewunderer und Nacheiferer des Kurfürsten Moritz von Sachsen, geworden. Er fürchtet das Messer, welches die Abschrift des Ulm'schen Richterspruchs an seine Thür nagelte. Im Lager vor der Stadt, wo das Glück liegt, harrt auch der Rächer der Anna Scheuerin, die im Jahre Fünfzehnhundertvierundvierzig ertränkt, »gesäckt« wurde in der Donau und in ihren Sterbesack ihre Flüche und Segenswünsche hinein vernäht hat. Das Wahrzeichen an der Thür ist Schuld daran, daß die günstige Stunde, den großen Vorsatz auszuführen, ungenutzt vorübergeht; ist Schuld daran, daß der Hauptmann Hans Springer seiner »Cortesana« Befehl schickt, mit Geldsack und Schmuckkästchen wieder heimzukehren in die Wohnung; denn – »das Wetter sei zu trübe zum Lustritt unter den Mauern.«
Der Franke weiß den Elsässer eben so gut zu überreden und zu seiner Meinung hinüberzuziehen, wie der Obersachse Mauritius den Niedersachsen Jürgen von Mecklenburg. –
Auf dem Jakobsthurm ist der Büchsenmeister mit dem Glanz seines Geschützlaufes zufrieden; er richtet sich von seiner Arbeit auf, winkt dem taubstummen Friedel, und Beide setzen sich zu einem kärglichen Vespermahl nieder.
Wir blicken nach einer andern Gegend.
An der Brüstung der Stadtmauer, der Michaelisvorstadt gegenüber, lehnt der Rottmeister Horn im Gespräch mit dem Fähnrich Christof Alemann.
»So bist Du also ziemlich so weit wie vorher?« fragt Christof den Freund, und dieser nickt trübsinnig und spricht:
»Es ist ein traurig Ding um solch' ein Hin- und Herreißen. Da wirst Du gezogen hier und dort, da wirst Du weggestoßen dort. Ich wollt' lieber, es wär' geblieben, wie es zuerst war, wo der harte Vater mir ganz und gar den Eintritt in sein Haus verboten hatte. Jetzt darf ich kommen; aber was find' ich daheim? Von Tag zu Tag wird das arme Mütterlein betrübter, kümmerlicher, bleicher; der strenge Mann aber spricht kein Wort zu mir, reicht mir nicht die Hand beim Eintritt, antwortet meinem Gruß nicht beim Weggehen. Ich bin wie ein Fremder im Vaterhaus, und darf doch nicht daraus fortbleiben, denn die Mutter überlebt's nicht. Und Unfrieden bringe ich auch über die alten Eltern, die Frau zürnt stumm über den Mann des Sohnes wegen. Das Mutterherz hat des Kindes Schuld lang vergessen, nun begreift sie nicht den Vater, der nicht so schnell vergessen kann. O ich begreif' ihn wohl, Christof. Ich sage Dir, niederknien könnt' ich vor diesem strengen, richterlichen Greis; – ob er mir zürne, stolz bin ich drauf, daß solcher Herr und Meister mein Vater ist. Würd' ich's nicht eben so machen? Ach, ich vergeß' auch nicht so leicht in Lieb' und Haß. Mein Herz ist ein tiefer Bronnen voll dunkeln Wassers, und was da drein fället, das behält er. Es liegt manch häßlich Ding drin; aber auch ein Karfunkel liegt unten, der gibt bei aller Noth und allem Schmerz Allem einen goldigrothen Schein. Die Regina lieb' ich –«
»Hab's gemerkt und weiß es wohl, und der Teufel soll mich holen, wenn der stadtfremde Söldner solch' Magdeburg'schen Edelstein an seinem Schwertgriff davon tragen soll. Leid's nicht, leid's nicht, Markus Horn!«
»Was ist da zu leiden? Was ist da nicht zu leiden?« rief der Rottmeister, in düsterer Aufgeregtheit die Hand des Freundes fassend. »In ihre Nähe bin ich gebannt, und möchte doch bis an der Welt Ende wegfliehen. Sie spricht so sanft, so milde zu mir, und doch ist es, als läge ein kaltes, haarscharf Schwert zwischen uns. Manchmal denk' ich, es muß noch ein Fünklein in ihr leben, so zur Flamme werden kann; doch dann ist gleich Alles wieder erloschen, todt, schwarz, kalt. Ich möchte diesen Adam Schwartze vor ihren Augen niederstechen, und doch würd' ich es nimmer können; sie möchte ihn doch lieben, und sein Tod könnte sie betrüben.«
»Mark, was das anbetrifft, so probir's nur; gib ihm einen tüchtigen Puff. Auf mein Wort, ich sag' Dir, sie wird nicht das Geringste dagegen haben. Ihr närrischen Verliebten seid doch ein toll Völklein, sehet den Wald vor lauter Bäumen nicht. Ich sag' Dir, Bruder, es ist noch lang' nicht fest, daß der Leutnant Schwartze die schöne Regina heimführe, und seit der Schlacht an der Ohre – der böse Feind stampfe den Ort fünftausend Klafter tief in den Erdboden – seit der Schlacht vor Hillersleben nun gar nicht. Alle Teufel, was ist das? ... nennen die falschen Hunde Solches Waffenstillstand? Auf! Auf! Zu den Waffen! Der Feind! der Feind!«
»Auf! auf! Der Feind! der Feind ist da! Stillstand gebrochen! Stillstand gebrochen!« ruft auch Markus Horn, und Hunderte von Knechten und Bürgern, die auf die Mauern und an die Geschütze springen, rufen es nach.
Von den einzelnen Häusern her, welche die Michaelisvorstadt neben der Sudenburg bilden, erknattert Büchsenfeuer und wirbeln Trommeln; man stürmt auf dem Domthurm und Sanct Sebastian; Rauchwolken erheben sich aus der Vorstadt Sanct Michael. Der Feind hat dorten mehrere Häuser in Brand gesteckt und dringt in immer dichtern Haufen heran. Rund um die Stadt lassen sich bedenkliche Schaaren sehen; von den Wällen und Thürmen kracht das grobe Geschütz. Auf dem Neuen Markt rufen die Reitertrompeten zum Sammeln, und Christof Alemann stürzt die Stiegen vom Wall herunter, wirft sich auf sein unten angebundenes Roß, um zehn Minuten später an der Spitze einer Schaar vom reisigen Zeug aus der Stadt auf den wortbrüchigen Feind loszubrechen. Aus einer Ausfallspforte stürzt auch Markus Horn mit seiner Rotte, und Hans Kindelbrück drückt nach mit aller Macht. Der heftigste Kampf entbrennt in Sanct Michael; aber endlich, als auch die Leute Hans Springer's aus der Sudenburg vordringen, muß der Feind doch weichen. –
Auf dem Thurm von Sanct Jakob beugt sich der Schütz halben Leibes aus dem Schallloch; seitwärts der Neuen Stadt durchforscht sein Blick das Feld. Seine Augen scheinen Feuer zu sprühen, eine fliegende Röthe hat sich, seit das Feuern begonnen hat, über sein so bleiches Gesicht verbreitet. Der lahme Friedel bläst mit Macht eine Lunte an und kaut dazu mit vollen Backen. Des Meisters Andreas Kritzmann's Hand liegt auf dem Lauf der Karthaune, jetzt zieht er das Haupt aus dem Thurmfenster zurück, langsam, bedächtig richtet er sein Geschütz. Ein feindlicher Reiterhaufe hält im Feld an der Neustadt. Die Lunte faßt der Büchsenmeister von Sanct Jakob, ein dumpfer Knall erschüttert den Thurm, dröhnt in den Glocken nach. Ein dichter Qualm füllt das Gemach, in ihm herum tanzt Friedel wie ein Besessener, jauchzende, kreischende Töne ausstoßend; die Stimme solcher Karthaune ist der einzige Laut, welcher auf dieser Welt zu ihm dringt. Der Schütz steht hoch und wild aufgerichtet da und schwingt die Lunte um sein Haupt, daß sie in dem dichten Pulverdampf einen glühenden Kreis bildet. Eine ganze Reihe der feindlichen Reisigen hat die Kugel von Sanct Jacob im Feld an der Neustadt zu Boden gerissen, und Rosse und Reiter liegen übereinandergestürzt, während die unverletzt Gebliebenen in wilder Flucht auseinanderstieben.
Hinunter vom Thurm! Hinab in die Wendelstiege! Wir haben genug gesehen. – – – – – – – – –
In der vierten Stunde nach Mittag, an diesem vierzehnten October, saß in der Schöneeckstraße neben dem Bette des kranken Vaters Regina Lottherin. Der Buchdrucker, welchem mit der Besinnung die frühere Unruhe fast in doppeltem Maaße wiedergekommen war, hätte in seinem Bette vor Ungeduld vergehen mögen. Auf dem Rathhause wurde das Geschick der Stadt nun vielleicht entschieden, und dazu dieser Geschützdonner, dieses Sturmgeläut, dieser Kampflärm! Was war das? Was ging vor? O welche Qual, so festzuliegen; jetzt, wo man sich zertheilen möchte, um überall sein zu können!
Der alte Mann geberdete sich wie ein recht eigensinniges Kind, welches das Bett hüten muß, während die Gefährten auf dem Spielplatz sind. Mehr als einmal rief er eine helle Thräne in die Augen des doch so geduldigen Töchterleins. Das halbe Haus fast war nach Nachrichten aus; und der einzige Trost des Meisters Michael war der Lärm, das tactmäßige Klappen seiner Pressen, welche eine neue äußerst giftige und boshaftige Schrift gegen den Kurfürst Moritz an's Licht der Welt förderten.
Jetzt trat der Factor Cornelius mit verstörtem Gesicht herein, und der Principal schrie ihn an:
»Nun, was bringt Ihr? Was hat's gegeben? Was soll das Feuern? die Sturmglocken? Nun, so redet doch – bei allen Preßbengeln, redet!«
»O Meister, Meister«, seufzte der alte Diener des Hauses; »nichts stehet mehr fest und sicher in der Welt. Nicht Wort, nicht Eidschwur gilt mehr; worauf soll man sich denn nun noch verlassen? Den Stillstand hat der Feind niederträchtiglich gebrochen, angegriffen hat er, während sein Gesandter auf dem Rathhaus handelt. Sanct Michael haben sie angezünd't, und Unsere sind ausgefallen; und es geht um's Leben an der Sudenburg. Den Meister Meienreis, den Innungsmeister der Seidenkrämer, tragen sie eben vorbei. Er hat einen Stich in den Leib; er wird sein Haus nicht lebendig erreichen.«
»Ich wollt', ich hätt' auch solch'n Stich abgekriegt!« jammerte der Buchdrucker, mit der Faust auf die Bettdecke schlagend. »'S ist besser, als so dazuliegen.«
»O versündigt Euch nicht, Vater!« rief Regina, mit ängstlich gefalteten Händen.
»Halt' den Mund, Mädchen!« schnauzte der Alte. »Erzählt weiter, Cornel, die Unserigen halten sich doch gut? Wer leitet den Ausfall?«
»Hauptmann Kindelbrück! Man muß es ihnen lassen, sie schlagen sich wacker. Das Knallen von den Wällen hat ja auch aufgehört. Sie haben die wortbrüchigen Fladenweiher durch die Michaelisvorstadt wie eine Hammelheerde vor sich hergetrieben.«
»Recht so! Das ist wacker! Vivat, die Stadt! Regina, gib Acht, der brave Jung', unser Mark ist auch wieder dabei; 's ist ein Gottessegen, solchen Sohn zu haben, und – der Teufel hole den Rathmann.«
Die Jungfrau hatte sich bei den letzten Worten des Vaters erhoben und war an das Fenster getreten, um eine aufflammende Röthe der Wangen, die aber gleich darauf wieder in Todesbleiche überging, zu verbergen. Der Factor Cornelius blickte dem Mädchen mit leisem Kopfschütteln nach.
»Der wackere Markus!« schrie der Buchdrucker. »Ich wollte – – sagt doch, Cornelius, habt Ihr nichts vom Vetter Adam, ich meine den Leutnant Schwartze – gesehen?«
»O ja, Meister. Der Herr Leutnant geht am Roland vor dem Rathhaus spazieren.«
»Der Teufel hole ihn! Auch eine schöne Beschäftigung zu solcher Stund'!« schrie der Buchdrucker ärgerlich. »Ist da sein Platz? Ich wollte, ich könnte ihm zeigen, wo er hingehört!«
»Reget Euch nicht unnöthigerweise auf, Meister«, sprach der Factor. »Der Herr Leutnant ist befehligt. Er soll dem Doctor Scheyring das Geleit vor die Stadt geben, so die Unterhandlungen sich zerschlagen.«
»O heiliger Gott, Dem das Geleit geben?« schrie der Buchdrucker, jetzt in heller Wuth. »Dem Abgesandten – was Abgesandten? – dem Spion solcher falschen, eidbrüchigen Gesellen! Säß' ich im ehrbaren Rath, ich wüßt' wohl, was ich für ihn vorschlüge.«
»Vater, der Herr Rathmann Horn tritt so eben in's Haus«, sagte Regina, vom Fenster zu ihrem Sitz am Bett zurückkommend.
»Gottlob«, murmelte Meister Michael, »der wird uns Bericht abstatten von dem, was auf dem Rathhaus geschehen ist. Cornelius, Ihr könnt gehen. Bitt' Euch, schaut nach, daß sie drunten mit des Doctors Alberi Bogen sich eilen. Kann der Michael Lotther keine Büchse gegen den Interimisten, den Fuchsschwänzer Mauritius abbrennen, so kann er ihm doch auf andere Weise einen Tort anthun.«
Der alte Factor ging, und der Rathmann Ludolf Horn trat in das Gemach.
Mit zitternder Spannung richtete sich der Kranke auf seinem Lager hoch auf.
»Da seid Ihr endlich, Nachbar! Wie ist's? wie ist's? Sind wir zu Kreuze gekrochen, oder haben wir uns als deutsche Männer und echte Bürger der Canzlei unseres Herrgotts gezeigt?«
»Die Vorschläge und sechs Artikel kurfürstlicher und fürstlicher Gnaden sind verworfen von Rath, Innungsmeistern und Gemeinde. Die Unterhandlungen sind abgebrochen, und unter sicherm Geleit wird der Fürsten Unterhändler und Gesandter, Doctor Johannes Scheyring, so eben aus der Stadt geführet.«
»Vivat! vivat! vivat!« schrie Meister Michael Lotther, die Zipfelmütze schwingend, und sie sodann gegen die Balkendecke werfend. »Gott segne Euch für die Nachricht, Ludolf! Das ist besser, als zwanzig Gläser voll Arzneien, das ist besser, als alle Schröpfköpfe, Aderlaßschnepper, als aller medicinische Hocuspocus. Wo sind meine Hosen? Meine Hosen her; ich will aufstehen! Meine Hosen! meine Hosen sage ich!«
»Werdet Ihr verrückt, Michael?« fragte der Rathmann, den aufgeregten Nachbar wieder auf seine Kissen hinunterdrückend. »Haltet Euch ruhig, oder Ihr erfahret weiter nicht das Geringste von mir.«
»Ja, ja«, seufzte der Buchdrucker, der doch wieder seine Mattigkeit fühlte, »ich will so geduldig sein wie ein Aal unter dem Messer. Erzählt nur, was vorgefallen ist auf dem Rathhaus – ach, meine Hosen, meine Hosen!«
Die letzten Worte kamen so wehmüthig kläglich heraus, daß selbst der finstere Ludolf Horn ein Lächeln nicht unterdrücken konnte. Er setzte sich am Bett des Nachbars nieder, und gab Bericht von Allem, was im Rath gehandelt war. Er erzählte, wie der Graf Albrecht von Mansfeld und der Graf von Heydeck nach dem Worte: Die mitthaten müssen auch mitrathen – eingeladen wurden, an der Sitzung theilzunehmen. Er erzählte, wie sie erschienen und wie dann der Doctor Johannes Scheyring, der mecklenburg'sche Canzler, vorgetreten sei, abermals seine »Handlung« anzutragen.
»Hat da«, sprach der Rathmann, »der Doctor Johannes Scheyring, nach nochmaligem Fürtrag der sechs Artikeln, gesprochen und vorgewandt: er sei ja auch ein Bürgerskind, ein Magdeburgisch Kind und seinem Vaterland vom ganzen Herzen geneigt; sei ihm auch zu dienen schuldig, und habe sich gern als Mittler in diesen bösen Sachen gebrauchen lassen; man möge doch nur seinen Herrn von Mecklenburg und die kurfürstlichen Gnaden von Sachsen als Schutzherren annehmen, sie wären ja in allen Gnaden der Stadt wohlgeneiget und gewogen, und durch sie könne Alles zum Besten gewendet werden. – Hat sich aber auf solche Reden ein ehrbarer Rath mächtiglich beweget, gemurmelt und gemurrt, und der Graf Albrecht hat Allen das Wort aus dem Mund genommen, und dem Doctor geantwortet: »Herr Doctor, für Zeiten möget Ihr wohl Gottes Wort lieb gehabt haben; aber habt Ihr's auch jetzund lieb? Wisset Ihr auch, mit was für Herren und Fürsten Ihr umgehet? Habt Ihr Gottes Wort lieb und meint's Eurem Vaterland mit Treuem, wie kommt's denn, daß Ihr Euch zu Eures Vaterlandes Feinden haltet, da Euch doch bewußt ist, daß alle Feindschaft von Gottes Worts wegen uns zu Handen kommt?!« – Und indem der Graf so redet, hören wir plötzlich das Geschütz von Wall und Thürmen krachen und knallen, und die Sturmglocke läuten, und Nachricht kommt, der Feind überlaufe die Stadt mit Waffengewalt, habe den Stillstand gebrochen und Sanct Michael mit der Brandfackel angestoßen. Da könnet Ihr Euch vorstellen, Meister Michael, was das für einen Aufstand gab im Rath! Hob sich der Graf von Mansfeld wiederum von der Bank, und rief den Doctor an: »Höret Ihr, Herr Doctor, höret Ihr? Was ist das? Sind das gute Nachbarn, sind das aufrichtige Kriegsleute, die gütige Handlung fürschlagen und uns unterdeß überfallen?! Herr Doctor, merkt's wohl, wenn wir und ein ehrbarer Rath rechten Kriegsgebrauch mit Euch halten wollten, so wäre das Euer Recht, daß man Euch, Herr Doctor, Euch, meine ich, aufhinge und Euch über die Mauer hinaussteckte!«
Der Buchdrucker Michael Lotther hatte während dieser Erzählung die seltsamsten Bewegungen auf seinem Lager gemacht; er hatte seine Nachtmütze zu einem Ball zusammengedreht, er hatte sie wieder aufgewickelt und den Zipfel heruntergepflückt, er hatte sie über das Kinn heruntergezogen und sie wieder abgerissen; jetzt schleuderte er sie mitten in das Gemach und schrie:
»Wo ist der Doctor Alberus? Schafft mir den Doctor Erasmus, oder den Flacius, oder sonst Einen von des heidnischen Götzen Apollos Brüderschaft. In Reime will ich das gebracht haben; gesungen soll es werden zu ewigem Lob des Grafen von Mansfeld. So wie ich wieder in meinen Hosen bin, will ich dreimal Rad schlagen vor dem Grafen Albrecht, wenn ich ihm dadurch eine Güte anthun kann. Das ist ein Mann! Das ist ein Wort! He, he, he, Herr Doctor Scheyring – aufhängen – über die Mauer stecken – hi, hi, hi – wie gefällt Euch das, Herr Doctor? Recht wär' Euch also gedient, Mann! Ich hoffe, Nachbar Horn, Ihr habt doch die That dem Wort Nachfolgen lassen?«
»Das doch nicht, Michael!« sprach der Rathmann; »aber über die Maßen erschrak der Doctor Johannes Scheyring, roth und bleich wurde er, und bekannte mit gerungenen Händen: nicht recht sei's, daß die Seinigen unter der Unterhandlung also einplatzeten. Vollständig erkenne er aber für Recht, was da über ihn ausgesprochen sei; aber er bitte doch von den Herren die Gnade, seine Person zu verschonen, er sei ja ein Bürgerskind und habe sich nur aus Liebe zu seinem Vaterland als Händeler gebrauchen lassen.«
»Der interimistische, adiaphoristische Pharisäer! Bist Du's, der Israel verwirret?« murmelte Meister Michael. »Gedruckt will ich die Geschichte haben, daß nach dreihundert Jahren noch ein Anderer sie nacherzählen kann. Wart', Doctor, ich will schon meine Magister hinter Dich hetzen; Deine Schande soll auch ein Blinder an der Wand greifen können. Ludolf, Ihr habet doch diesem Babylonier, diesem abtrünnigen Mameluken ohne viel ferneres Disputiren aus der Stadt geläutet?«
»Die Unterhandlungen sind abgebrochen; der Feind mag sein Aergstes versuchen. Gott schütze die Stadt!«
»Amen! Ich wollte, ich wäre in meinen Hosen!« sprach der Buchdrucker.
»Wenn Ihr Euch in Geduld fasset, Michael, und Euch ruhig verhaltet, so werdet Ihr bald wieder in Euren Schuhen stehen«, meinte der Rathmann.
»Es hat nicht Jeder Euren Gleichmuth, Ludolf; und das ist auch recht gut für die Welt. – Was ich sagen wollt', Euer Sohn ist auch wieder mit dem Kindelbrück draußen gewesen. Ludolf, Ludolf, ich sage Dir, an dem Jungen handelst Du nicht recht; ich sage Dir –«
Der Rathmann erhob sich mit einer abwehrenden Handbewegung:
»Schweige davon, Michael; ich bin dem Knaben schon mehr gewichen, als ich sollte –«
»Kann er nicht in diesem Augenblick kalt und todt liegen? Was wirst Du sagen, Ludolf, wenn sie ihn Dir bringen als Leiche? Dem Todten wirst Du Dein Herz öffnen wollen; aber es ist zu spät dann. Ludolf, Ludolf, ein Bischen von meiner Art könnt' Dir nicht schaden.«
»Jungfräulein, was ficht Euch denn an?« sprach der Rathmann zu Regina. »Ihr schauet so bleich! Ihr habet einen schlimmen Kranken zur Pflege, Kind, das merkt man auch Euch allgemach an. Nachbar Michael, nehmt Euer Töchterlein in Acht, quält es nicht zu Tode; denn Ihr seid ein böser Betthüter und schlecht zu verwalten. Gott gebe Euch einen guten Abend, Jungfer Regina, und Euch auch, Michael.«
Mit den Worten nahm der Rathmann Abschied, und der Buchdrucker blickte ihm nach und sagte:
»Da gehet er hin; träget sein eisern Herz von dannen, und sein wackerer Sohn liegt vielleicht auf dem blutigen Plan, gestorben für die Eltern, für die Vaterstadt! Aber was hast Du, Regina, bist Du wirklich krank? Mache ich Dir in Wahrheit zuviel Beschwer mit meiner Hast und Ungeduld?«
»Nein, nein, mein Vater«, murmelte die Jungfrau, das Haupt in der Bettdecke des Vaters bergend.
»Was zitterst Du denn, Kind? Deine Hand ist so kalt! Regina!«
»Es ist schon vorüber, ängstet Euch nicht, Vater!« sagte die Jungfrau, das Gesicht wieder erhebend. »Es ist der Krieg in der Welt. Glaubt Ihr, ein armes, schwaches Mädchen kann in einer Zeit, wie diese, wie ein Mann Alles tragen? Wir sind nun leider nicht so starkmüthig wie Ihr Männer erschaffen, Vater.«
»Na, na, nur ruhig, der Feind ist noch nicht in der Stadt; halte Du nur den Kopf in die Höhe, Liebchen. Daran hab ich freilich nicht gedacht! Nun, wir wollen schon Mauer und Wall halten; es soll Euch armen Weiblein Niemand an die Kehle. Horch aber, wer kommt denn da?«
Ein schwerer Mannestritt erschütterte die Treppe; es wurde an die Thür geklopft.
»'S ist unser Mark; er hat versprochen zu kommen, – herein!« rief der Buchdrucker, sagte dann aber sogleich ziemlich enttäuscht:
»Ach, Adam, seid Ihr es?«
Der Leutnant trat in das Gemach und begrüßte den Vater und die Tochter mit aller Höflichkeit. Regina zog sich nach ihrer Art scheu zurück, der Buchdrucker aber sagte:
»Setzt Euch, Herr Vetter; habt Ihr Euern Doctor glücklich an seine Herren abgeliefert? 'S wär' wahrlich ein großer Schaden gewesen, wenn ihm ein Unglück auf dem Wege begegnet wär'.«
»Befehl geht dem eigenen Wunsch vor, Meister Michael«, antwortete der Leutnant. »Freilich wär' ich viel lieber beim Ausfall mit gewesen, um den Feind aus der Michaelisvorstadt zu verjagen; aber gegen den Befehl war nichts zu machen.«
»Recht, Adam, ein guter Kriegsmann muß seinem Vorgesetzten gehorchen; eben so gut wenn er: Sturm, als wenn er: Ausreißen, schreit. Euer Hauptmann Springer, Vetter, hätte vor Hillersleben nur nicht so eilig das Letztere brüllen sollen. Wir wären Alle doch schon von selber früh genug gelaufen.«
Der Bamberger zuckte die Achseln. »Ein böser Stern waltete an jenem Tage über uns Allen. Die Schlacht war verloren, ehe sie angefangen hatte, und die Erscheinung vor Barleben –«
»Ich bitte Euch um Alles in der Welt, Herr Vetter, schweigt mir von dieser Erscheinung. Erscheinung hin, Erscheinung her; ich habe nichts davon gesehen, und tausend Andere, die mit mir im Zuge waren, haben ebenfalls nichts davon zu Gesicht gekriegt. Ich verlaß' mich in Kriegssachen nur auf meine fünf gesunden Sinne und meinen gesunden Verstand, und die sagen mir Alle, je mehr ich darüber nachdenke, die Schlachtordnung, zu der Euer sauberer Hauptmann – nichts für ungut, Vetter – den Plan angegeben, war keinen rothen Pfifferling werth. Wie schön hätten wir uns den Rücken decken können durch das Wasser, die Ohre. Der Jürg, der Ochsenkopf brauchte wahrhaftig kein Alexander Magnus, kein Julius Cäsar zu sein, um einzusehen, wo er uns packen müsse und könne.«
»Schlagt das Faß zu, Meister Michael«, sprach der Leutnant. »Das nächste Mal wollen wir es besser machen, und Ihr sollt vor allen Anderen und zuerst Euern Rath dazu geben. Schlagt das Faß zu.«
»Hat sich was! Zuschlagen!« brummte der Buchdrucker. »Jawohl, zuschlagen; immer brummt's mir noch im Kopf, als hätt' ich tausend Hummeln drin summen vom Zuschlagen! Geht, geht, Vetter Adam. Ihr würdet einen schönen Schwiegersohn abgeben! Wär' der Markus Horn nicht gewesen – ich wär' jetzo draußen auf dem Feld vor Hillersleben im allerschönsten Verfaulen begriffen und läg' nicht mehr lebendig in diesem – Satansbett.«
»Aber, Herr Vetter Lotther, liebster Herr Vetter –«
»Ich bin ein grader Mann, Herr Vetter aus Franken, nehm' nicht gern ein Blatt vor's Maul, und will Euch auch jetzt meine Meinung klar heraus sagen. Wer mein Kind heimführen will, der muß es durch eine stolze, eine tapfere, glorreiche That gewinnen. Es muß Einer sein, von dem sich reden läßt auf der Lauenburg beim Becher. Auf den Tisch will ich schlagen können und sagen: »Mein Schwiegersohn hat das gethan; mein Schwiegersohn hat den Mecklenburger Jürg bei der Nase in die Stadt geführt, oder – mein Schwiegersohn hat den Kurfürsten Moritz vom Gaul gerannt, daß er die Beine aufkehrte. Hört Ihr, Vetter Schwartze, solches Querfeldeingaloppiren wie bei Hillersleben will ich nicht wieder haben, so wahr ich Michael Lotther heiße.«
»Jungfer Regina, Euer Vater ist noch recht krank«, rief der Leutnant, welcher während dieser Rede die herrlichste Gelegenheit hatte, seine Selbstbeherrschung zu beweisen. »Hütet ihn ja recht, theure Regina, und seid versichert, daß Adam Schwartze Alles für Euch thun wird, was in seinen schwachen Kräften stehet. Meister Lotther, ich gehe von Euch und will nur Euren Leibesgebresten zurechnen, was Ihr gegen mich eben spracht. Nehmt mein Wort, mein Herzblut setz' ich dran, ein Mann zu sein nach Euerm Sinn; aber bedenkt auch: nur ein Schuft thut mehr als er kann.«
Abschied nahm der Leutnant, und als sich die Thür hinter ihm geschlossen hatte, ächzte der Buchdrucker:
»Da geht er hin. Ein Schuft thut mehr als er kann. Aber ein Schuft thut auch weniger als er kann. Guten Abend, Herr Vetter ... ach, ich wollt', mein Markus wäre hier! Der stehet aber draußen bis an die Knöchel im Blut; während dieser Fant falschzüngige Unterhändler umherführt, und dann zierlich kommt und Besuch abstattet, und Gesichter schneidet, wenn man ihm nicht höflich die Hand küßt. Thut mir leid um Dich, Regina, wenn Du Dein Herzlein zu fest an diesen Vetter aus Franken gehänget hast; aber nimm mein Wort, Du kriegst ihn nicht, wenn er sich anders ausweist, als ich dachte.«
»O, mein Vater, mein Herz hänget nur an Euch und meinem zweiten Mütterlein drüben!« flüsterte Regina, den Arm um den Hals des Vaters legend, und dieser sagte:
»Das ist recht; Du bist mein wacker Herzblättchen und verdienst einen eben so braven Mann, als Du einen guten Vater hast ... was ist denn das für ein verfluchtes Gequieke?«
Der Ton einer Querpfeife ließ sich schrillend im Hause vernehmen, und der Factor Cornelius steckte den Kopf in die Thür:
»Meister, da ist ein Bengel – ein Kobold, ein Taugenichts, der Euch mit aller Gewalt sprechen will; – da ist er schon.«
Hinter dem alten Factor hervor drängte sich Fränzel Nothnagel, das Pfeiferlein, schlug ein Rad und stand neben dem Lager des Buchdruckers.
»Einen schönen Gruß von meinem Herrn, dem Herrn Rottmeister Horn, und er könnt' nicht abkommen vom Wall. Schickt er mich für sich, und wenn Ihr ihm was Gutes zu Essen und Trinken zugedacht hättet heut' Abend, ich möcht's auch und er gunnt's mir schon.«
»Teufelsjung', das hat er nicht gesagt!« schrie der Buchdrucker, den Bengel in höchster Verwunderung anstarrend.
»Er hat's aber gemeint, und dann sollt' ich Euch dazu fragen, ob das die Schaumünze sei, so man Euch abgerissen hat neulich an der Ohre. Hier – he?«
Eine Kette mit dranhängender Schaumünze hielt der kleine Pfeifer dem Meister Michael unter die Nase, und dieser stieß einen Ruf der Ueberraschung und der Freude aus:
»Wahrlich, wahrlich, o Wunder, hab' ich Dich wieder. Du Kleinod! Schau, schau, Reginchen, die Ehrenkett', so ein ehrbarer Rath Anno 1402 Deinem Urgroßvater gab, als er sich in dem großen Aufruhr des Schusters Gerke von der Heide so wacker gehalten und das Rathhaus errettet hatte! Bursch, wer gab Dir das?«
»Nun wer anders als mein Herr, Herr Horn, unser Rottmeister? Er hat's Einem der mecklenburger Knechte abgenommen bei Sanct Michel. Ich möcht' Euch schön grüßen und sagen: als Knab' hab' er oft mit der Münz' gespielt, wenn er Euch auf dem Schooß saß.«
»Segen und Glück über Deinen Herrn, Jung'. O könnt' ich doch in meine Hosen; o könnt' ich doch laufen, ihm selber Dank zu sagen. Wie heißest Du, mein Sohn?«
»Fränzel Nothnagel, Euch zu dienen, Meister!«
»Nun, Fränzel Nothnagel, gefüttert und getränkt sollst Du werden, und einen Anzug aus flandrischem Tuch sollst Du auch haben. Reginchen, lauf hinüber zur Nachbarin, und erzähl' ihr, was ihr Markus vollbracht hat. Cornelius, Cornelius, laßt die gebratene Schöpslende von heut' Mittag 'raufbringen, und einen Krug vom Besten. Ich hab' auch einen Hunger wie ein Wolf. Du, Pfeiferlein, setz' Dich her; das beste Stück vom Schöpsen sollst Du haben, und erzählen sollst Du mir von Deinem braven Herrn. Da kommt der Trunk; ich bring's Dir, Fränzel. Vivat, der Rottmeister Markus Horn!«
Zur Nachbarin Margaretha eilte Regina hinüber. An die Schöpsenkeule machten sich der Meister Lotther und das Pfeiferlein, und halb betrunken übergab eine Stunde später der Buchdrucker den Fränzel den Händen des Factors Cornelius. Als Regina aus dem Hause des Rathmanns Horn heimkehrte, fand sie ihren Vater in einem tiefen, gesunden Schlaf, die gerettete Ehrenkette des Ahnherrn fest an die Brust drückend.